Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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und leichname der apostel; die apostelgeschichte erwähnt nicht das
geringste davon, im dritten jh. mag der reliquiencultus , wahrschein
lich nach griechischem oder römischem brauch, entsprungen sein und
sich hei Vervielfältigung der kirchen schnell ausgebreitet haben, im
vierten sammelte man reliquien unter Gonstantin und Julian, der theo
dos. codex IX. 17, 6 bespricht die apostolorum et martyrum sedes,
und noch merkwürdiger sagt 17, 7: nemo martyrem distrahat, nemo
148mercetur. habeat vero in potestate, si quolihet in loco sanctorum est
aliquis conditus, pro ejus veneratione, quod martyrium vocandum sit,
addant quod voluerint fabricarum. Greg. tur. 1, 48 berichtet, wie
Poitiers und Tours um des h. Martinus (f 397) leichnam stritten.
Idalius in seiner chronik meldet, zur zeit der einnahme Roms durch
Alarich (im j. 409) seien alle geschont worden, qui ad sanctorum
limina confugerunt. Zu Justinians zeit war alles das noch mehr aus
gebildet. Procop de acdif. 1, 4 erwähnt die anoarö)uov nw/nara
und 1, 7 Xtiifjuva di'ÖQ(oi> uyicov, ebendaselbst erzählter, wie Justi-
nian den heiligen seine gesundheit befohlen habe, öl aus den reliquien
geflossen sei. de bello pers. 2, 11 meldet er, dasz zu Apamea ein
stück vom kreuz Christi heilig verehrt werde, die regula s. Bene-
dicti cap. 58 erwähnt schon einer petilio ad nomen sanctorum, quo-
rum reliquiae ibi sunt; des Eugippius im j. 511 geschrichne vita Seve-
rini hat cap. 25 wie ihm Johannis baptistae reliquiae dargebracht wur
den, und cap. 9 steht: martyres, quorum reliquias ofiero.
Reliquias et ossa condere terra war altrömischer Sprachgebrauch
(Virg. Aen. 5, 47. Sucton. Domitian. 8.), dem vermutlich Lucian jenes
lei'ipavu nachbildele, denn ich finde nicht, dasz ältere Griechen dies
wort in solchem sinn gebrauchen, bei Ulfilas ist kein anlasz für den
ausdruck, die ahd. Übersetzung der benedict. regel verdeutscht an jener
stelle reliquiae durch wihida, wie auch anderwärts steht, die gl. ker.
241 geben suuitha (bei Hattemer 205 suuihta), wobei man an das
serb. svetinja, sloven. svetinje d. i. heilthum denkt, eine alts. beichte
hebt an: ik giuhu goda endi allon sinon wihethon = ahd. wihidöm,
reliquiis, und im verfolg heiszt es: meneth suör an wielhon =■ wihi
döm. nicht anders in den fries. gesetzen: an thä witlium (in reliquiis)
swera, bihalda, undriuchta (Richth. 1154.) die Angelsachsen sagen
b;\n (ossa), |>a hälgan hän (Beda 3, 11) und so wird altengl. bones
verwendet, ir. laise (leichname) und taise na naomh, auch mionna
(häupter) na naomh, und mionna allein bezeichnet den eidschwur, der
welsche ausdruck ist creirfa und auf den reliquien schwören heiszt
creiräu. altsl. und russ. moschtschi, serb. moschti, d. i. die gewal-
149 teil, gewaltigen, kräftigen (von motsch vis, virtus.) mlat. quellen brau
chen häufig ])ignora sanctorum, und von der aufbewahrung in kapseln
hieszen sie selbst schon capsae sanctorum, ahd. chefsa (GralT 4, 379)
mlul. kefse, C cine kefsin an daz sper binden’ Roth. 4094. 4138.
Im miltelalter hat sich nun ein unerhörter und bis jetzt unaus-
gerotletcr reliquiencullus entfaltet, auf den hauptsächlich die kirche
ihre Verehrung der heiligen gründete: ein mit der Vielgötterei des hei-