sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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steppendurchzieliende wagen so gut als der erdwühlende pflüg. Auch
ist ackerbau ein friedlicher stand, kein sanfter zu nennen, weil er
schwerere arbeit kostet als weidgang, zu dem nach bestandner kriegs-
gefahr der hirte wiederkehrt*, aber selbst unter den hirten steht der
rinderweidende dem ackerbau näher als der wildere freiere schäfcr.
Mir scheint unzweifelhaft dasz bei ihrem ersten eintritt in die
geschichte die Germanen noch überwiegend dem hirtenleben anhiengen,
während die ihnen voraus gegangneu Kelten bereits ackerbauer waren,
die Cimbern ziehen auf ihren wagen einher und Caesar versichert all
gemein von den Germanen: agriculturae non Student, indem er sie
Kelten entgegensetzt, einige menschenalter können viel ändern, spä
terhin findet Tacitus zwar germanische feldhestellung, doch frauen und
knechten überlassene; männer, wo sie nicht kriegen, pflegen nomadi
scher ruhe fort, gartenbau und Obstzucht scheinen bald nachher erst
ihrem römischen nachbar die Deutschen abzulernen**. Den gemein
samen, wechselnden ackergang, wie ihn schon Caesar den Sueven,
Iloratius den Gelen, Tacitus mehr im ganzen den Deutschen beilegt,
23 hat man eben als seine einfachste, unmittelbar für die gewohnheit der
hirten sich ergebende anwendung zu betrachten; noch unfest an die
schölle gebunden musten sie von selbst darauf verfallen ihren triften
jährliche frucht abzugewinnen, diesen ersten betrieb des ackers unter
hirten hat bis auf uns herab den markgenossen ein von althergebrach
ter weidesitte ungern ablassender feldbau vergolten***, tiefe Wälder
nährten die angestammte lust, kein andres volle in Europa hat diese
uralte hirtengemeinschaft so lange festgehallen wie unsere markgenos
sen, und erst allmälich legte der freie mann seine waffen ab. Auch
dasz die Germanen nur langsam städte gründeten, ihre häuser und faur-
v gen zerstreut, wo es ihnen auf der flur gefiel, anlegten, darf für nacli-
wirkung ihres festwurzelnden nomadensinnes gelten.
In andern Zügen, oft noch dauernder und zäher, läszl sie sich
bei Slaven und Finnen spüren, deren spräche später ausgebildet aus
der hirtenzeit jugendliche eindrücke treuer bewahrt.
Jene durch ganz Europa verbreitete, nach Asien zurückgreifende,
unter Deutschen episch erblühte, unter Slaven, Litthauern, Finnen noch
heute im volk wache thierfabel liefert uns hier überraschende belege,
der vorgeschritlnen bildung sagt die natürliche Unschuld dieser mythen
* noch die casus sancti Galli schildern uns hirten aus dem j. 913 so: raa-
gistri pastorum duo, homines utique silvestres, hirsuti et prolixis barbis, ut id
genus multum videri solet. Pertz 2, 85.
** die meisten obstfrüchte führen undeutsche namen, aber zu Karls des
groszen zeit waren sie schon jahrhunderte lang allgemein gültig; wie alt mögen
Ortsnamen sein, die von der Obstzucht herriihren, z. b. Pirapalzinga in Baiern
(Meichelb. no. 1077) vom impfen (pelzen, palzian) der birnreiser.
*** wie die markgenossen den umgrif des ackerbaus erschwerten, finden sich
noch heute im Bregenzerwald thäler, wo nur Viehzucht und sennerei getrieben
wird, kein getraide zu schauen ist. (drei sommer in Tirol von Ludwig Steub
s. 44.)