DIALECTE
579
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
nennen; vergleichende Sprachforschung wird sich seiner am liebsten
bedienen, um die erscheinungen unserer spräche den urverwandten an
zureihen. beide dialecte, die vielleicht einmal leiblich in Thrakien zu-
sammenstieszen, sind sich auch darin ähnlich, dasz nur bruchsliicke
ihres reichthums, brocken von der fülle des groszen gastmals hinter-
bliebcn. doch reicht unsere kennlnis von der aeolischen mundart lange
nicht an die durch Ulfilas der geschichle unserer spräche bereitete
bestimmtheit.
Aus der hochdeutschen spräche weht uns gleichsam dorische berg-
luft an, und jonische Weichheit mag sich im altsächsischen, angelsäch
sischen und friesischen finden; auch haben die Angelsachsen mit aus
ihrer heiinat noch alle stücke des epos gebracht, fast der ganze ahd.
Zeitraum war der enlfaltung aller Volksdichtung hindersam, im mhd.
erwachten lied und epos mit einer fülle, der die niederdeutsche spräche
nur im niederländischen dialect einiges entgegenzusetzen hat; mnl. lie-
der zeigen gegen mhd. gehalten schwächere poesie und viel geringere
anlage zur kunst des reims.
Als Luther den glauben, zugleich die spräche reinigte'und hob,
langsam aber nach der Verwilderung des 17 jh. endlich im 18ten
mächtige dichter erstanden, war das Übergewicht hochdeutscher spräche
völlig entschieden, nichts ist unverständiger als den Untergang des
niederdeutschen dialects zu beklagen, der längst schon zur bloszen
mundart wieder herabgesunken und unfähig war, wie der hochdeutsche
zu nähren und zu sättigen, während sich alle hochdeutschen Stämme 835
der höheren Schriftsprache beugen, der niederdeutsche stamm bereits
die niederländische, in gewissem sinn die englische spräche hergege-
ben hat, wäre es ungerecht und unmöglich der niedersächsischen be-
völkerung ein anrecht auf Schriftsprache einzuräumen; Niedersachsen
und Niederländer hätten im rechten augenblick zugleich eine nieder
deutsche gesamtsprache der hochdeutschen an die seite setzen müs
sen. Es war jedoch besser, dasz es unterblieb und dasz nunmehr
alle Deutschen mit gesammelter kraft einer einzigen spräche pflegen,
die gleich der attischen streben sollte über allen dialecten zu
schweben.
Die spräche der Daken und Geten, als sie auf doppeltem wege
sich nach Scandinavien in zug setzten, mag kaum von der aller übri
gen Gothen weit abgewichen sein, der grelle abstand der heutigen
dänischen und schwedischen rede von hochdeutscher und niederländi
scher schwindet mit jedem schritt, den wir in das nordische alterlhum
zurück lliun können, zwei vorstechende eigenheiten, artikelsuffix und
überlritt der medialen intransitivform in strenges passivum erscheinen
früher seltner und müssen in noch tieferer vorzeit fast ganz unterblie
ben sein (s. 755.) das R der flexionen statt des goth. S, der Weg
fall des auslautenden N (s. 338. 754) sind eben so sicher erst zu
bestimmter zeit eingetretne abweichungen von dem ursprünglichen typus
als die ahd. lautverschiebung auf die gothische und diese auf den ge-
tischen stand der stummen consonanten zurückweist. Nicht anders
37*