sches Staatsarchiv Ma
98 Waidsprüche und Jagerschreie.
Einmal ist es schon an sich glaublich, daß unter
Ständen , die wie Hirten und Jäger unter allen am
freisten mit der Natur verkehren, und vor den Hem
mungen und demZwang des Staats am sichersten sind,
Sage, Lied und Sitte lange Zeiten hindurch dauern
muffen. Denn alle diese haben ihren practischen Zweck
und Brauch und mögen also schon um der Sache wil
len nicht entbehrt werden. Bei solchen Leuten nun,
die meistens unter dem bloßen Himmel in Fel
dern, Wäldern und Gebirgen ihr Leben zubringen, fin
den wir vor allem die stille, leise aber sichere, poetische
Beschauung der Natur, die nicht allein die Sterne und
ihren Lauf zuerst gelernt, sondern auch der Lebensart
der Thiere vielerlei inniges und vertrautes abgemerkt
hat. Wo ein zahmes oder wildes vorübergegangen,
wird daran, wie es seine Klauen gesetzt, oder das
Futter abgegrast, auf das mannichfaltigste erkannt;
viele oder die meisten solcher Beobachtungen mögen
uns, deren Sinne für dergleichen Gegenstände unge--
fchärft sind, übertrieben und verwickelt scheinen, sind
aber manchmal ganz auf andern Wegen überraschend
bestätiget worden; wenigstens beruhen sie stets auf
dem einfachen und natürlichen Scharfsinn. Nicht bloS
die Art der Thiere, auch ihr Geschlecht, Alter, Träch
tigkeit und anderes werden mit einer Sicherheit gemuth-
maßt, die uns in Verwunderung setzt; der deutsche
Weidmann hatte 72 Zeichen zur Unterscheidung der
Fährte eines Hirsches, die meisten derselben haben eig
ne Benennungen, und schon in der Sprache ein ge
heimnißreiches Zeugniß ihres alten Ursprungs. For
dert das Epos stets eine Fülle von Wörtern, mit de
nen es Me einfache, natürliche Begriffe auf das man-
nich»
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