Full text: Rede auf Wilhelm Grimm und Rede über das Alter

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in der beschaffenheit unseres glaubens und der einrich- 
tung unseres öffentlichen wesens. einem freigesinnten 
alten mann wird nur die religion für die wahre gelten, 
welche mit fortschaffung aller wegsperre den endlosen 
geheimnissen gottes und der natur immer näher zu rük- 
ken gestattet, ohne in den wahn zu fallen, dasz eine 
solche beseligende näherung jemals vollständiger abschlusz 
werden könne, da wir dann aufhören würden menschen 
zu sein. wünschenswertheste landesverfassung aber er- 
schiene ihm, die es verstände mit dem gröszten schutz 
aller einen ungestörten und unantastbaren spielraum für 
jeden einzelnen zu schaffen und zu vereinbaren. sicher 
ist nun, dasz hinter allen wünschen die wirklichkeit, an 
die wir zunächst gebunden sind, in unermessenem ab- 
stande stehn bleibt, doch sollen uns jene ideale vor- 
schweben als leitsterne und wer wollte dem alter den 
wahn abschneiden, dasz es sie schon am rande des ho- 
rizonts aufschimmern sieht? 
Bei den meisten völkern stand das alter in ehren 
und bereits im hirtenleben, dessen häupter väter und 
gyreise waren, sein ansehn begründet. es war uralter 
brauch durch seinen mund das recht sprechen zu las- 
sen und sich rathes bei ihm zu erholen, im gericht und 
in allen versammlungen gebührte ihm vorsitz, süsze worte 
flossen von Nestors lippen und wer in grauer vorzeit 
hätte gesetze entworfen und weisheit gelehrt, wenn nicht 
durch weisheit und gedankenreichthum ausgerüstete män- 
ner? doch im fortgange menschlicher bildung liegt es 
unausbleiblich, dasz allmälich vorgewicht und einflusz 
von dem bloszen stande übergiengen auf die, deren gei- 
stesgaben und thatkraft auch schon im mannesalter vor- 
ragten und es bezeichnet die überlegenheit athenischer 
zustände, dasz sie dem alter geringere ehre erwiesen,
	        
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