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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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AN GERYINÜS.
Auszer unserer landsmannschaft, auf die ich immer noch ein gutes
stück gebe, die ich jetzt sogar enger geschürzt wünsche, hat in vie-
len dingen gemeinsame forschung und Sinnesart, zu Göttingen gleiches
Schicksal uns verbunden, seit Reinhart Fuchs nahmen Sie an meinen
arbeiten beständig theil und hielten das streben alles ernstes in unsere
spräche, sage und geschiehte zu dringen für ein unmittelbar der ge-
genwärtigen und künftigen zeit zu gute kommendes unaufschiebbares
geschäft.
Das buch, mit dessen Zueignung, wie niemand als Ihre liebe
frau weisz, ich mich schon lange umtrug, war gerade fertig, als die
Verhängnisse dieses jahrs herein brachen, die mich, wären sie vor
dem druck eingetroffen, bewogen haben würden damit ganz zurück-
zuhalten; jetzt habe ich Ihnen anderes auszusprechen als was mir
sonst angelegen hätte, und den etwas übermütigen ton meiner doch
mit einer düsteren ahnung schlieszenden vorrede musz ich herabstim-
men. denn es kann kommen, dasz nun lange zeit diese Studien da-
nieder liegen, bevor das wühlende öffentliche geräusch ihnen wieder
raum gestatten wird; sie müssen uns dann wie ein edler und milder
träum hinter uns stehender jugend gemulen, wenn ans ohr der wa-
chenden ein roher wahn schlägt, alle unsere geschiehte von Arminius
an sei als unnütz der Vergessenheit zu übergeben und blosz am ein-
gebildeten recht der kurzen spanne unserer zeit mit dem heftigsten
anspruch zu hängen, solcher gesinnung ist im höchsten grade einer-
lei, ob Geten und Gothen jemals gewesen seien, ob Luther in Deutsch-
land eine feste macht des glaubens angefacht oder vor hundert jahren
Friedrich der grosze Preuszen erhoben habe, das sie mit allen mittein
erniedrigen möchten, da doch unsrer stärke hofnung auf ihm ruht,
gleichviel, oh sie fortan Deutsche heiszen oder Polen und Franzosen,
gelüstet diese selbstsüchtigen nach dem bodenlosen meer einer allge-
rnpinheit das allp länder uhp^ünfen soll.
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Wie verschieden davon war Ihre von jeher politische, aber für
die hcrlichkeil des lebendigen Vaterlandes streitende richtung. Ihre
geschichte der poesie legt immer den maszstab an die dichter, oh sie
es auferbaut und des volks geistigen fortschritt in der seele empfun-
den und gepflegt haben, sogar für die thierfabel geht das sittliche
beispiel oder auch die satire Ihnen über das weichere epische leben,
wobei ich doch beherzigte, dasz es im gegensatz zum offenen bekenntnis
auch eine stille, alles epimylhiums entrathende förderung des volks gibt,
und einige Ihrer urtheile über Göthe schienen mir ungerecht, in dessen
jugend und blüte kein deutscher aufschwung fiel, dessen alter die politik
müde sein muste, und der doch so gesungen hat, dasz ohne ihn wir
uns nicht einmal recht als Deutsche fühlen könnten, so stark ist diese
heimliche gewalt vaterländischer spräche und dichtung.
Jetzt haben wir das politische im überschwank, und während von
des volks freiheit, die nichts mehr hindern kann, die vögel auf dem
dach zwitschern, seiner heiszersehnten uns allein macht verleihenden
einheit kaum den schalten, o dasz sie bald nahe und nimmer von
uns weiche!
In wie ungelegner zeit nun mein buch erscheine, das vom vorge-
steckten ziel sich nicht abwandte, ist es doch, wer aus seinem inhalt
aufgabe und gefahr des Vaterlandes ermessen will, durch und durch
politisch, es lehrt, dasz unser volk nach dem abgeschüttelten joch der
Römer seinen namen und seine frische freiheit zu den Romanen in Gal-
lien, Italien, Spanien und Rritannien getragen, mit seiner vollen kraft
allein den sieg des christenthums entschieden und sich als undurchbrech-
lichen dämm gegen die ungestüm nachrückenden Slaven in Europas
mitte aufgestellt hat. Von ihm zumal gelenkt wurden die Schicksale
des ganzen mittelalters, aber welche höhe der macht wäre ihm beschie-
den gewesen, hätten Franken, Rurgunden, Langobarden und Westgothen
gleich den Angelsachsen ihre angestammte spräche behauptet. Mit deren
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aufgeben giengen sie uns und groszentheils sich selbst verloren; Loth-
ringen, Elsasz, die Schweiz, Belgien und Holland sind unserm reich,
wir sagen noch nicht unwiderbringlich entfremdet, viel zäher auf ihre
muttersprache hielten die Slaven und darum kann uns heute ein über-
mütiger slavismus bedrohen; in unserer innersten art lag je etwas nacli-
gibiges, der ausländischen silte sich anschmiegendes, sollen wir von
dem fehler bis zuletzt nicht genesen?
Der sich zunächst dem forscher in der spräche enthüllende grund-
satz, dasz zwischen groszen und waltenden Völkern (neben welchen es
jederzeit unterwürfige und bewältigte gab) auf die dauer allein sie
scheide, und anders redende nicht erobert werden sollen, scheint end-
lich die weit zu durchdringen, aber auch die innern glieder eines
volks müssen nach dialect und mundart zusammen treten oder gesondert
bleiben; in unserm widernatürlich gespaltnen Vaterland kann dies kein
fernes, nur ein nahes, keinen zwist, sondern ruhe und frieden brin-
gendes ereignis sein, das unsre zeit, wenn irgend eine andere mit leichter
hand heranzuführen berufen ist. Dann mag was unbefugte theilung der
fürsten, die ihre leute gleich fahrender habe zu vererben wähnten, zer-
splitterte wieder verwachsen, und aus vier stücken ein neues Thüringen,
aus zwei hälften ein starkes Hessen erblühen, jeder stamm aber, dessen
ehre die geschichte uns vorhält, dem groszen Deutschland freudige
opfer bringen.
Mein blick sucht in lichte Zukunft einzitdringen, wenn auch noch
über uns schwer ein wolkenbedeckter himmel steht, und nur am saunt
der berge die helle vorbricht, vielleicht, bevor einige menschenalter
vergangen sind, werden sich nur drei europäische Völker in die her-
schaft theilenRomanen, Germanen, Slaven. Und wie aus der letzten
feindschaft wischen Schweden und Dänen der schlummernde trieb ihres
engen verbandes erwacht ist, wird auch unser gegenwärtiger hader
mit den Scandinaven sich umwandeln zu brüderlichem Bunde zwischen
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uns und ihnen, welchen der spräche gemeinschaft laut begehrt, wie
sollte dann, wenn der grosze verein sich hinnenmarken setzt, die strei-
tige halbinsel nicht ganz zum festen lande geschlagen werden, was ge-
schichte, natur und läge fordert, wie sollten nicht die Jüten zum alten
anschlusz an Angeln und Sachsen, die Dänen zu dem an Gothen wie-
derkehren? sobald Deutschland sich umgestaltet kann Dänemark unmög-
lich wie vorher bestehn.
Frankfurt
JACOB GRIMM.
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
VORREDE ZÜR ERSTEN AUFLAGE.
öo hat es mich denn betroffen, wie Adelung (dem ich fast nie
nacheiferte) gegen seines lehens ende eine' geschichte der deutschen
spräche abfaszte, dasz auch ich meine grammatik feiern lassend vor dem
beginn des angekündigten Wörterbuchs ein solches werk, freilich in an-
derm sinn aufgenommen und ausgeführt an das licht gebe. Als ich in
unsrer academie über den hei neueren Schriftstellern ohne hinreichenden
grund verworfnen namen Jornandes zu lesen unternahm und mir fast
alle blätter dieses geschichtschreibers seine ansicht von Gothen und
Geten vor das äuge führten, lag es nahe einmal darauf einzugehn. Es
gibt alte durch die historische critik in acht und bann gethane Klei-
dungen, deren untilgbarer grund sich immer wieder luft macht, wie
man sagt dasz versunkne schätze nachblühen und von zeit zu zeit im
schosz der erde aufwärts rücken, damit sie endlich noch gehoben wer-
den. seine band davon ab lasse wer der lösenden worte unkundig
ist. Mir begann einzuleuchten, wenn die namens form Jornandes durch
sich selbst, dem beglaubigten Jordanes der handschriften zum trotz
haltbar bleibe, müsse noch vielmehr die innere Wahrscheinlichkeit des
geleugneten Zusammenhangs unserer Gothen mit älteren Geten über
lähmende zweifei siegen und gegen den sie uns eine weile lang verlei-
denden machtspruch aufrecht bestehn. Bald aber regte sich lust in
mir die flüchtig niedergeschriebne und schon lebhaft angefochtne ab-
handlung (obgleich sie noch nicht einmal ausgegeben, vorläufig nur an
freunde und bekannte verlheilt ist) zu einem bedächtigen buch umzu-
arbeiten, in welchem die geschichte aller deutschen Völker, nicht blosz
der Gothen, tiefer als es bisher geschah getränkt werden sollte aus
dem quell unsrer spräche, den zwar die historiker als ausstatlung ihres
gartens gellen lassen, dem sie doch kaum zutreten um die lippe da-
ran zu netzen.
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VIII VORREDE.
Jede Wissenschaft hat ihre natürlichen grenzen, die aber selten
dem äuge so einfach vorliegen, wie das Stromgebiet des Lachs, in des-
sen mitte nach unsern weisthümern ein schneidendes schwert gesteckt
wird, damit das wasser zu beiden seiten abfliefse. willige forscher
sollen also den verschlungenen pfaden folgen und bald leichteres bald
schwereres geschähe anlegen, um sie betreten zu können. Wer nichts
wagt gewinnt nichts und man darf mitten unter dem greifen nach der
neuen frucht auch den mut des fehlens haben, aus dem dunkel bricht
das licht hervor und der vorsclireilende tag pflegt sich auf seine zehen
zu stellen, von der groszen heerstrasze abwärts liehe ich es durch
enge kornfelder zu wandeln und ein verkrochenes wiesenblümchen zu
brechen, nach dem andere sich nicht niederbücken würden.
Wage ich nun allzuviel? meine gleichsetzung der Gothen und Ge-
len war an sich nicht kühner, als dasz ich in unserm hielt die go-
thische reduplication haihald, oder in dem Wunsch der dichter des
dreizehnten jahrhunderts den heidnischen Wuotan wieder erkannt habe,
und weite folgerungen greifen aus dem einen wie dem andern, jene
reduplication erzeigt sich als zweite stufe und Wiedergeburt einer gram-
matischen form, sie läszt eine ältere ihr vorangegangne, den lateinischen
und griechischen reduplicierenden Wörtern entsprechende ahnen, barg
sich aber deutliche spur des heidenthums, nachdem es schon lange
getilgt war, unerkannt noch in der poesie einer späteren zeit, so musz
es früher breite, ja allgemeine Wurzel geschlagen haben. Nicht anders
scheint der Gothen volksname aufzugehn in den der Gelen und damit
plötzlich unsrer geschichte ein reicher hintergrund eröfnet, der uns
die abkunft der Deutschen aus dem osten anschaulicher als es sonst
geschah gewahren läfst.
Die bisher geltende ansicht kann sich nicht entbinden davon, dafs
Geten und Daken bei den Römern als ungermanisch erscheinen, sie
erblickt in der seit dem vierten jahrhundert vorbrechenden vermengung
der Geten und Gothen bloszen irthum und in der namen ähnlichkeit
höchstens spiel des zufalls. Nothwendigen Zusammenhang zwischen Ge-
ten und Germanen, wie sie bereits Strabo, Plinius, Tacitus darslellen,
erweisen aber bedeutsam die Bastarnen, Peukinen und Lygier, vielleicht
auch Roxolanen; jener irthum nähert sich einer historischen Wahrheit,
jenes ähnliche wird zum grammatisch gleichen.
Wie mag hierwider der einwand bestehn, dasz kein fortgang sei
von gebildeten Geten zu wilden Teutonen, zu wandernden Sueven, von
halbchristlichen Gothen zu rohen Scandinaven? auch nicht ein einziges
dieser beiwörter als Bezeichnung eines wirklichen unterscheidenden Um-
standes lasse ich mir gefallen. Für der Geten Wildheit hat Ovid nicht
ausdrücke genug zu einer zeit, wo die Römer schon mehr als einen
maszstab ansetzen konnten an die barbarei, aber auch vorragende lu-
gend der Germanen, will denn immer der wahn nicht schwinden von
der roheit eines volks, dessen spräche uns vollendeter scheinen musz
als die seiner nachkommen und welchem sattsame Zeugnisse altherge-
brachten glauben und festbewahrte einrichlungen beizulegen gestatten
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VORREDE. IX
wie nöthigen? was für einen sinn überhaupt haben soll die aus ihrer
spräche unwiderlegbar hervorgehende abkunft indogermanischer Stämme,
sobald wir den auszöglingen nicht auch anhaltende, wenn schon ge-
schwächte theilnahme an der cultur und sittigung ihrer heimat einräu-
men? Die sicher schon vor ihrer bekehrung für alles menschlich bil-
dende empfänglichen Gothen erst von der Weichsel und Ostsee herzu-
leiten fruchtet gar nichts, indem es nur die frage zurückschiebt, von
wannen und zu welcher zeit sie in jene gegenden vorgedrungen seien?
musz eine anlwort darauf doch wieder nach dem osten hinweisen, so
gelangt man unvermeidlich zu dem standpunct, welchem ausgewichen
werden sollte und die wege werden sich dennoch berühren mit denen,
die einfach von Geten zu Gothen führen, war nun die wilde natur in
den Geten unbändig wie in Teutonen und Scandinaven, der Wandertrieb
nicht unmächtiger in Sueven als in Gothen oder jedem andern deutschen
volk; so sehe ich gar keine Ursache die erfolge der Untersuchung von
ganz allgemeinen und im gründe nichts sagenden einwürfen abhängig
zu machen, mir wiegt ein kleiner fund, und sei dessen beweiskraft
noch so geringfügig, fern vorüberziehende wölken solcher zweifei auf.
Waitz hält mir vor, der Geten deutsche abstammung sei neulich
erst von Wirth und fast mit bessern gründen behauptet worden, ich
kann mich des Zusammentreffens mit jedem unabhängigen forscher nur
erfreuen, bin aber gerade durch jenen ausspruch zu dem Vorsatz be-
wogen worden, das wirthische buch jetzt noch ungelesen zu lassen,
um meiner ansicht ihren vollen freien lauf zu bewahren.
Das gelehrteste was, meines eraehtens, gegen diese bis jetzt vor-
gebracht worden ist, findet sich, wTo man es gar nicht suchen sollte,
in Cassels magyarischen altertlnimern, deren Verfasser auch die schöne
entdeckung gemacht hat, dasz Jornandes bischof von Croton war. er
glaubt groszes gewicht legen zu müssen auf die stellen des Stephanus
von Byzanz, welcher ich cap. XXX gedenke, über diesen schriftsteiler
haben wir aber nunmehr den belehrenden Untersuchungen Meinekes
entgegenzusehn, der so viel ich weisz, ihn bereits in das dritte jahr-
hundert zu versetzen, jedoch in allem was uns von seinem werke übrig
bleibt verschiedenartige einschaltungen, nicht allein von Ilermolaus zu
Justinians zeit, sondern noch viel spätere anzunehmen geneigt ist. dem
gewicht der stellen des Stephanus wird also auf der einen seite zuge-
fügt, auf der andern dürfen abgezogen werden. Einiges von dem, was
ich von Cassels Untersuchungen glaube in meinen vortheil verwenden
zu können, musz ich hier unerwogen lassen. Über Krito (s. 816) ist
eine glosse zu Lucians Icaromenippus cap. 16. (ed. bipont. 7, 25)
einzusehn, welche ihn nach Trajan zu setzen zwingt und der angeb-
lichen Vernichtung der Geten bis auf vierzig männer unter diesem kaiser
fast wie Eutropius (s. 181) gedenkt.
Ich habe auch über andere Völker des deutschen alterthums an-
sichten aufgestellt, die keinen geringem anstosz geben werden als die
behauptete gleichheit der Geten und Gothen, dahin rechne ich die
mir glaublich gewordne herleitung des namens der Franken aus der
es Staatsarchiv Marburg, Best. 340
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VORREDE.
waffe und der Sueven aus der slavischen spräche, die angenomrane
Verwandtschaft zwischen Lygiern und Burgunden, Matliakern und Nas-
sauern, Eudosen und Jtlten, welche letztere in unsrer gegenwart leb-
haften einspruch dänischer gelehrten hervorrufen wird, die mir, was
sie auch davon denken, doch die gerechtigkeit widerfahren lassen müs-
sen, dasz ich das alterthum und den rühm ihres volks nicht herabzu-
setzen, sondern zu erhöhen gestrebt habe, indem ich ihn mit dem aller
übrigen Deutschen enger als bisher geschehn ist zu verknüpfen trachte.
Die älteste geschichte der Deutschen und Slaven, deren geschicke
sich von jeher eng berührten, ist durch zwei gleichzeitig erschienene
werke wahrhaft bereichert und, wie niemand verkennen kann, frucht-
bar gefördert worden. Bei Zeusz verdient die fast vollständige, rein-
liche und critische quellenangabe uneingeschränktestes lob und man lernt
aus dem buche, wo man es nur aufschlägt; eine neue ausgabe würde
zeigen dasz dem der schon viel hat immer noch mehr verliehen wird,
weil reichthum dahin llieszt, wo schon alle behälter offen stehn ihn in
sich aufzunehmen, mir scheint der gehandhabte unterschied zwischen
alterthum der Völker und ihrer Umgestaltung auf die klarheit der da-
durch zerrissenen Verhältnisse ungünstig einzuflieszen; schon das frühste
alterthum war umgestallend und die Umgestaltungen sind meistenlheils
. auch alt. für Ptolemäus, dessen angaben ihren groszen werlh behalten
4-lVv^ und noch zu wichtigen entdeckungen leiten werden, aber aus der le-
2^9» V/ggA. bendigen geschichte der Völker nicht entsprungen sind, hegt der Ver-
fasser all zu starke Vorliebe. Schafariks gelehrte und scharfsinnige arbeit
tritt ihrer richtung nach der meinigen völlig entgegen, insofern er die
seither fast allgemein zugestandne identität der Sarmaten und Slaven
leugnen will, ich die geleugnete der Gelen und Gothen wieder zu ge-
stehe. mir sind die Sarmaten so wenig auf dem boden verschwunden
als die Geten, Markomannen, Lygier, Chauken und Cherusker, wäh-
rend ich das Verhältnis zwischen Germanen und Thrakern in der ge-
schichte wieder anzufachen strebe, folgt der belesene Böhme dem geieise
unserer historiker und sucht, wie diese den deutschen stamm von allen
andern absondern und beinahe als einen autochthonischen aufstellen,
auch den slavischen von uralter zeit an eigenmächtig und ungemischt
zu schildern, wider alle Verwandtschaft der Litthauer mit Thraken und
Geten drückt er sich aufs stärkste aus*); doch seltsam erdacht kann
es nicht heiszen, wenn wir in der geringen zahl überlieferter dakischer
Wörter gleich einem zur litthauischen spräche entschieden stimmenden
begegnen, also die zwischen litlhauischer und deutscher zunge, ander-
wärts noch mehr die zwischen slavischer und deutscher wallende be-
rührung schon im hohen alterthum zwischen Sarmaten und Geten auf
dem bisher dunkeln thrakischen gebiet mannigfach bestätigt sehn, dasz
sarmatische an medische Wörter gemahnen darf nicht verwundern.
Ukerts Schriften über Germanien und Skythien sammeln dankens-
*) s. 363: necktjce sem tahati nettere diwcke wymyslky a sny starsjch ema-
rykai'üw powozugjcich Litwany gindy od Getuw a Thrakuw.
$g|\öl|. dlav»cw aflidk u.- tiaJBJr c)a>>
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VORREDE.
XI
werthen stof, nur dasz ihnen meistentheils die kunst critischer Schei-
dung und fast aller leim schöpferischer combination entgeht.
Keltische etymologie wird in unsern tagen wieder mit neuer vor-
liehe getrieben, aber von jeher folgt ihr das unheil, dasz bei der un-
gemeinen leichtigkeit der Zusammensetzungen und des consonantwechsels
in diesen sprachen die forscher auf gefährliche abwege verleitet werden
und nachdem sie sich eben mühsam glauben bereitet hallen alsobald
ihn neuerdings verscherzen; dies sei weniger gesagt gegen Leo, dessen
dreiste auslegung der malbergischen glosse mich hin und her bewegt
hatte, als gegen Hermann Müller, der begabt schien in die Verhältnisse
unsrer vorzeit einzudringen, allein durch maszlose, ungeregelte wort-
deutungen (während die von Leo wolthätig sich eine regel bildeten)
und was daraus nun gefolgert wird seine gäbe seihst zu gründe richtet,
sogar vorsichtige prüfer unsers alterthums, wie Heinrich Schreiber, kön-
nen sich der keltischen einwirkungen nicht erwehren und lassen ohne
scheu dem einheimischen das fremde überwiegen.
Sprachforschung der ich anhänge und von der ich ausgehe, hat
mich doch nie in der weise befriedigen können, dasz ich nicht immer
gern von den Wörtern zu den Sachen gelangt wäre; ich wollte nicht
blosz häuser hauen sondern auch darin wohnen, mir kam es versu-
chenswerth vor, oh nicht der geschichte unsers volks das bett von der
spräche her stärker aufgeschüttelt werden könnte, und wie bei etymo-
logien manchmal laienkenntnis fruchtet, umgekehrt auch die geschichte
aus dem unschuldigeren standpunct der spräche gewinn entnehmen sollte.
Wol empfinde ich, dasz das buch, weil es meiner angewöhnung
nach, vor dem anheben des drucks nur begonnen, nicht vollendet war,
hin und wieder an seinem ebenmasz eingebüszt hat, namentlich ist das
neunzehnte capitel keineswegs mit der ausführlichkeit behandelt, die
ich ihm hätte angedeihen lassen, wäre ich nicht damals darauf bedacht
gewesen mir engere grenzen abzustecken, im verlauf schöpfte die ar-
beit hernach wieder freieren athem.
Bedarf nächstdem noch etwas anderes ausdrücklicher entschuldi-
gung so ist es das wagnis deutsche und europäische völkernamen gera-
dezu nicht allein mit skythischeu, sondern auch tiefasiatischen zu ver-
binden. zwar mag ein solcher Zusammenhang an sich unverwerflich
scheinen; man wird ihn weder für bewiesen, noch einmal für glaub-
haft halten, so lange nicht eine kette von mittelgliedern aufgefunden
ist, deren ringe jetzt noch einzeln und lückenhaft vortreten, es pflegt
enge gemeinschaft aller indogermanischen sprachen bis in eine grosze
zahl von wurzeln und gestalten der Wörter zugestanden zu sein; ich
sehe keinen grund volksnamen von dieser reihe auszuschlieszen und
nicht auch ihnen uralte und zähe Überlieferung zuzutrauen. Gewis aber
habe ich vielfach unterlassen manches von dem geltend zu machen, was
schon gegenwärtig diese Vergleichungen ins licht zu setzen geeignet
ist. Dürfen die asiatischen Massagetae und Dahae den Ihrakischen Ge-
ten und Daken an die seite gestellt werden, wer wollte vor einer ge-
meinschaft der Sacae und Tectosagen (in welchem namen selbst Daco-
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VORREDE.
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sacae anklingen konnte) erschrecken? Gedrosien, Surrayvdai würden
mahnen an die thrakischen Gaudae, in welchen wir nordische Gautar,
wie in den Saken Sachsen, in den Daken Dänen wiederfinden, es
kommt doch der Daken und Dänen namensgleichheit seltsam zu statten,
dasz die indischen Asuren nach ihrer Stammutter Danu Dänavas heiszen
(s. 734), Danu aber tochler des Dakschus ist (Bopps gloss. 167a),
hier also beide formen wiederum neben einander stehn. Die geschichte
der Skythen kann noch manchen hier einschlagenden räthseln gewachsen
sein; hat nicht der name XveyyjxQayx in Lucians Alexander auffallend
deutsches ansehn? fc.VOLt- in auSfy <LIQ%
Doch ich darf nicht auf gegenstände zurückkommen, die im buche
selbst mehrmals angeregt, lange nicht erschöpft wurden, es mag man-
chem zweifelhaft erscheinen, ob sie in diese geschichte überhaupt ge-
hören, deren begrif gleichwol von mir nirgend so eingeschränkt worden
ist, dasz ich jenen weiten gesichtspunct von ihr auszuschlieszen brauchte,
man kann sich von dreien aus eine geschichte der deutschen spräche
behandelt denken.
Im engsten sinn wäre sie nur auf das, was wir heule in Deutsch-
land herschende spräche nennen, auf die hochdeutsche angewiesen,
deren gegenwärtige erscheinungcn sie nicht nur vollständig zur schau
bringen, sondern auch, soweit die quellen reichen, aus allen frühem
grundlagen erläutern würde, solch eine noch lange nicht einmal an-
gemessen begonnene, geschweige gelöste arbeit könnte nicht anders
als zu bedeutenden ergebnissen führen, welchen sogar die enggesteckte,
darum leichter zu erfüllende schranke zu statten käme. Es war längst
mein vorsalz, die regcl neuhochdeutscher, d. h. der ganz in unsre
gegenwart gerückten deutschen spräche vollständig und überall auf die
geschichte gestützt hinzustellen, ich weiszaber nicht, ob es mir ver-
gönnt sein wird band an ein werk zu legen, das, wenn es gelänge,
einer reinlich und scharf umrissenen Zeichnung grau in grau sich ver-
gleichen könnte.
Höhere färbung empfangen würde eine geschichte der deutschen
spräche, welche diesen ausdruck in seiner allgemein umfassenden be-
deutung genommen, deren wir bedürfen, auf alle einzelnen zweige des
groszen Stamms gerichtet wäre und sich dadurch hellere lichter, so
wie stärkere schatten zu wege bringen könnte, aus der wechselseitigen
Zuneigung oder dem abstand dieser deutschen sprachen müste ein le-
bendiges gemählde entspringen, das in streng enlworfnen und günstig
beleuchteten gestalten jedes Verhältnis unserer sprachverastung über-
schauen liesze. nach solcher richtung hin ist meine grammalik ausge-
arbeitet , welche den übergroszen reichthum zu bewältigen angefangen
hat, aber ihr ziel, je mehr sie ihm auch zu nahen wähnt, immer noch
in ungemessene weite sich entrückt wahrnimmt.
Wie nicht Sicherheit, allein fülle und gewicht der sprachgeselze
durch aufnahme aller mundarten und dialecte in den kreis der Unter-
suchung sich steigern, musz es diese noch in höherm grade fördern,
wenn auch die sprachen der uns benachbarten und urverwandten Völker
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VORREDE.
zugezogen werden, erst damit erlangt jenes bild, in welchem uns
sämtliche deutsche sprachen die vordere bühne einnehmen, seinen grund
für die in der tiefe aufgestellten ausländischen und eine rechte perspec-
tive thut sich unsern blicken auf. von solchem stand aus habe ich
mich nicht enthalten können diesmal die geschichte unserer spräche
zu unternehmen, und ihr wenigstens eine reihe von wechselnden aus-
sichten zu eröfnen, im bessern fall haltpuncte zu gewinnen, an wel-
chen fortgesetzte Untersuchungen haften und indem sie auswüchsiges
wieder abstreifen aller wahren fortschritte sich bemächtigen können.
Es scheint mir insgemein eine löbliche eigenschaft deutscher arbeiten,
dasz sie nicht alles abthun noch vorschnell zu Schlüsse bringen wollen,
sondern sich auch unterwegs gefallen, an unvorhergesehener stelle nie-
derlassen und beete anlegen, die noch forlgrünen nachdem das haupt-
feld schon in rüstigere bände übergegangen ist; französische und selbst
englische bücher, welchen an sorgsamer ausgleichung des inhalts mit
der form allzuviel liegt, pflegen, wenn sie veralten, leicht entbehrlich
zu werden.
Ich arbeite zwar mit ungeschwächter innerer lust, aber ganz ein-
sam , und vernehme weder beifall noch tadel sogar von denen die mir
am nächsten stehend mich am sichersten beurtheilen können, ist das
nicht ein drohendes Zeichen des Stillstands oder gar der abnahme ge-
meinsam sonst froh gepflogener forschungen, für die fast kein ende
abzusehen schien? was ich zujüngst in der deutschen grammatik ge-
leistet habe und der gröszten erweiterung allenthalben fähig wäre, ist
nur lässig und kalt aufgenommen und von keinem fort geführt worden;
darum versuche ich in vorliegendem werk schwierige hauptstücke die-
ses fachs, wie sie mir bei wiederholtem nachsinnen sich gestalten,
neuerdings auf die bahn zu bringen, mein capitel XXXV lehrt augen-
scheinlich, dasz man bei den Wörtern auch ohne die Sachen nicht
abkomme.
Rerlin 7. merz 1848.
ZUR ZWEITEN AUFLAGE.
W ährend ich his an die schultern ins deutsche Wörterbuch
vergraben bin, und davon nicht ablassen darf, wurde mir eine
neue ausgabe der geschichte der deutschen spräche angetragen,
mit ungeschwächter, ich kann sagen mit gewachsner lust am ge-
genständ würde ich, hätte ich freie hand, bestrebt gewesen sein,
sowol die fehler und mängel des rasch geschriebenen, aber stets
in den augenbehaltenen buches zu tilgen, als es auch mancher
wesentlichen erweiterung theilhaft zu machen, jetzt aber war kein
anderer rath , als dieser für mich kaum wiederkehrenden gunst loh-
nender Umarbeitung zu entsagen, und das werk nur in seiner
vorigen gestalt nochmals sein heil versuchen zu lassen, es steht
also alles wie es stand, selbst die in bewegtester zeit abgefaszte
Vorrede und Zueignung sind unangerührt geblieben, weil es mir
unwürdig scheint, nach fehl geschlagnen edlen hofnungen die
gesinnung zu verleugnen, mit der ich ihnen damals angehangen
habe.
Berlin 16. September 1853.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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INHALT.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XV11I.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.
XXVIII,
XXIX.
XXX.
XXXI.
Seite
Zeitalter und sprachen................................................ 1
liirten und ackerbauer............................................... 11
das vielt............................................................ 20
die falkenjagd....................................................... 31
ackerbau............................................................. 38
feste und monate..................................................... 51
glaube recht sitte.................................................. 81
einwanderung........................................................ 113
Thraker und Geten....................................................123
Skythien.............................................................152
urverwandschaft......................................................166
vocalismus...........................................................191
die spiration........................................................206
die liquation........................................................217
die stummen..........................................................240
die lautabstufung....................................................251
die lautverschiebung............................................... 275
die Gothen...........................................................305
die Hochdeutschen....................................................337
die Franken..........................................................358
die Hessen und Bataven.............................................. 393
Hermunduren..........................................................414
die Niederdeutschen..................................................423
Friesen und Chauken .... 464
Langobarden und Burgunden............................................474
die übrigen oststämme................................................493
Scandinavien.........................................................505
die edda.............................................................528
Germanen und Deutsche.............................................. 537
rückblick............................................................553
deutsche dialecte....................................................574
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
Seite
der ablaut..............................................................584
die reduplication.......................................................598
schwache verba 608
verschobnes praeteritum.................................................619
die vocale der declination..............................................633
der instrumentalis......................................................644
schwache nomina.........................................................652
der dualis..............................................................670
recht und link..........................................................680
milch und fleisch.......................................................692
schlusz.................................................................706
register................................................................719
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
ZEITALTER UND SPRACHEN.
Weder das in unermessener zeit von den höchsten siernen auf 1
uns niederfunkelnde licht, noch die am gestern der erde lagernden
schichten unvordenklicher Umwälzungen gehen unsre älteste geschichte
her, welche erst anhebt wann menschen auftrelen. was vor den men-
schen geschah, so erhaben es sei, ist unmenschlich und erwärmt
uns nicht.
Um des menschengeschlechts anfänge spielt mythus. bald steht
im Vordergrund ein seliges paradies, wo milch und honig fheszeri, die
erde ungepflegt und unbesät fruchte trägt* und noch die thiere reden,
bald musz was alle thiere gleich der menschlichen spräche entbehren
sogar das lebendige feuer den menschen erst errungen werden.
Ein goldnes silbernes ehernes eisernes Zeitalter folgen auf einan-
der; unter Kronos herschaft heiszen die langlebigen menschen selbst
noch goldne**, der nordische Fruoto liess gold und friede malen,
amrita, der unsterblichen trank, wurde aus flüssigem gold und milch
bereitet, an des friedens stelle trat sodann krieg und der mensch
brauchte statt goldes eisen, auf den duft und glanz der vorzeit gefolgt
ist farblosere Wirklichkeit, wie wir für alte poesie der prosa bedürfen. 2
Es wird dadurch, nach unverrückbarer stufe, ein herabsinken vom gipfel
früher Vollendung wehmütig ausgedrückt, im scheinbaren Widerspruch
zu dem ewig steigenden aufschwung der menschheit, die sich jenes
göttliche feuer nimmer entreiszen läszt.
Eine andre sage, indem sie von den menschen als jelzt lebenden
einheimischen geschlechtern ausgeht, setzt ihnen früher geschafne fremde
von riesen und zwergen entgegen, in den riesen scheint unmittelbar
das steinalter dargestcllt, da sie auf felsen hausen, ungeheure mauern
thürmen, steinkeulen führen und durch kein metall zu erlegen sind,
während mit den schmächtigen aber kunstfertigen zwergen die zeit des
erzes beginnt, das sie unter der erde schürfen und schmieden: aus
* Lucians Saturnal. 7. 20: Ötiots aonooa xai aprjgora nävra ifpvero.
** daselbst 8. 20.
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ZEITALTER
ihrer hand empfängt der mensch köstliches geschmeide und leuchtende
waffe. Auf beide, riesen und zwerge, fällt aber ein doppeltes licht,
günstig oder ungünstig, bald wird den riesen uralte treue und Weis-
heit beigelegt, sie sind milchesser, säen und ernten nicht, sondern wei-
den ihre lierden, kämmen der rosse mähne, legen ihren hunden gold-
bänder an; die zwerge bilden das stille friedliche volk, das von ein-
facher speise lebt und mit den menschen gute nacbbarschaft hält, bald
stehn jene unbeholfen, steinkalt und grausam da, diese tückisch und
feindselig, und des menschen ausharrende kraft trägt am ende den sieg
davon über des riesen leiblichen Vorzug, den sie mit dem geist, über
des zwergs geistigen, den sie mit dem leib bezwingt, jedesmal wider-
•fährt aber den riesen und zwergen gemeinschaftlich, dasz sie zuletzt
dem andrang der menschen weichen und das land räumen müssen*.
So verschieden sie gewendet sind, greifen diese Vorstellungen von
den vier altern und drei geschlechtern ineinander, und der mensch des
3 eisenalters gleicht dem besieger der riesen und zwerge. beide sagen
erreichen zuletzt den boden der Wirklichkeit, allein rückwärts sind sie
undeutbar auf die geschickte: sie können nur dumpfen anklang geben.
Der menschliche geist bat andere wege eingeschlagen nach den
geheimnissen der vorweit und ist beinahe wieder auf dieselbe spur
gerathen.
Wie das messer in leichname schneidet, um den menschlichen
leib innerst zu ergründen, ist in verwitterte erdlnigel eingedrungen und
die lange ruhe der gräber gestört worden, von schnee eingeschneit,
von regen geschlagen, von thau durchtrieben muste die todte völva dem
mächtigen gott rede stehn; was in staub und asche übrig geblieben
war, fragt unermüdliche neugier nach dem zustand der zeit, aus wel-
cher es abzustammen scheint, beschaflenheit der gräber, gestalt der
morschen schädel, art und weise des eingelegten geräths sollen ant-
wort geben, alle diese zeugen sind beinahe stumm, nur inschrift und
deutliche münze haben noch kraft des Wortes, Samenkörnern, die unsere
geschichte befruchten, gleicht das in unendlicher menge durch alle
europäischen fehler und hügel zerstreute römische geld.
Nach den allenthalben unternommnen ausgrabungcn hat man drei
verschiedne Zeitalter ermittelt, die jenen mythischen zu begegnen schei-
nen. zuerst angesetzt wird ein steinalter, aus welchem mächtige fei—
sengräber mit unverbrannten leichen und steinernen waffen übrig sind;
das volk welches sie baute und brauchte, soll nur jagd und fischerei
getrieben, aller metalle entbehrt haben, hierauf sei die eherne zeit oder
das brennalter gefolgt**, dem gold und erz zu Waffen und schmuck
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* daher fallen benennungen der riesen and unterirdischen zusammen mit
namen besiegter, zurückgedrängter volkstämme (mythol. s. 493, 1035.). die pixies,
das stille volk in Devonshire, sind die Picten, Peohtas.
** ipsurrt cremare apud Romanos non fuit veteris- instituti; terra condebantur.
at postquam longinquis bellis obrutos erui cognovere, tune institutum. et tarnen
multae familiae priscos servavere ritus Plinius 7, 54. sicher ward auch bei den
Griechen begraben, eh das schönere verbrennen allgemein eingang fand.
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ZEITALTER
eigen waren, das im feuer schmiedete und durch dasselbe element seine
leichen zerstörte, deren asche in irdnen kriigen beisetzte, ackerbau,
Weberei und schiffart kannte, endlich ein eisenalter, welches wieder
unverbrannte leichen in hiigel begrabend eiserne waffen und Schrift be-
sessen habe. Diesen kennzeichen gemäsz pflegt man die aufgefundnen
denkmäler zu ordnen und sorgsam zu betrachten; es scheint einleuch-
tend dasz jene steingriifte den riesenbetten der sage entsprechen und
der Volksglaube versetzt die unterirdischen schmiede des zwergstamms
mit ihren schätzen unmittelbar in die grabhügel der ehernen zeit*, so
Jasz mit der eisernen das treiben und die kraft des menschlichen ge-
schlechts eingetreten wäre.
Als oberste frage erhebt sich aber nun hierbei, inwiefern die ge-
wonnene Unterscheidung auf bestimmte Völker der geschichte anwen-
üung leide, ob sie stufen eines und desselben Stamms Zusage, oder bei
lern unablässigen Wechsel vieler hintereinander von verschiednen gel-
en müsse? jene mythischen Zeitalter gründeten sich auf wiederholte
chöpfung und die goldnen menschen waren nicht einer abkunft mit
en eisernen, riesen zwerge menschen jede für sich besonders entspros-
en. Wenn aber auch, und dafür streitet manches, das historische
teinalter einem eignen volkschlag überwiesen werden darf, scheint es
_esto bedenklicher erzaltcr und eisenalter auf ungleiche volkstämme zu
beziehen und nicht nach dem fortschritt eines und desselben auszu-
legen. mag man immer befugt sein zu der annahme, dasz gebrauch
des erzes und goldes dem des silbers und eisens vorausgehe und nach
dieser folge die Waffenschmiedekunst sich ausgebildet habe; es wird
schwer bleiben zu erhärten, dasz in einzelnen ländern das erz nicht
länger gedauert, das eisen nicht früher begonnen haben könne.
So lange diese zweifei dauern, so lange nicht sichere merkmale
aus der form der waffen, des schmucks und aller geräthe gewonnen
werden, die den ausschlag gäben, scheint die älteste geschichte der
europäischen Völker hier keine eigentliche aufklärung zu erlangen, wie
manches willkommne für sitten und gebrauche daraus hervorgehn mag.
An dem ehernen Zeitalter scheitert alle mühe der forscher; sie haben
sich um die reihe berechtigt zu der annahme gehalten, bald dasz es
den Reiten, bald den Deutschen gehöre, und es scheint, Slaven hätten
gleich starke ansprüche darauf zu erheben, wer Deutschen steinhäm-
mer, Kelten eherne waffen beimiszt, musz die riesengräber von dem
gebrauch der sleinwaffen absondern und unser volk aus der mitte und
dem vorschritt seiner entwicklung reiszen; weit naturgemäszer ist es
das eherne zeitaller Kellen, Deutschen, Slaven und allen übrigen Völ-
kern auf ähnliche weise, wenn auch nicht zugleich einzuräumen und
aus ihm für jedes einzelne volk den Übergang in die zeit zu finden,
wo das eisengeräth sich verbreitete. Ein neulicher anziehender fund
in Schwaben hat sogenannte todtenbäume, d. h. zur leichbestattung aus-
gehölte eichstämme an den tag gebracht, die nicht unwahrscheinlich
* Miillenhoffs sagen no. 384. 385 und Lisch jahrb. 11, 366.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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ZEITALTER
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waffe. Auf beide, riesen und zwerge, fällt abe Ites licht,
günstig oder ungünstig, bald wird den riesen ur nd Weis-
heit beigelegt, sie sind milchesser, säen und erntei lern wei-
den ihre herden, kämmen der rosse mahne, lege: den gold-
bänder an; die zwerge bilden das stille friedlich von ein-
facher speise lebt und mit den menschen gute nai iält. bald
stehn jene unbeholfen, steinkalt und grausam da ;isch und
feindselig, und des menschen ausharrende kraft t den sieg
davon über des riesen leiblichen vorzug, den sie ist, über
des zwergs geistigen, den sie mit dem leib bezw: al wider-
• fährt aber den riesen und zwergen gemeinschaft e zuletzt
dem andrang der menschen weichen und das lar üssen*.
So verschieden sie gewendet sind, greifen d ngen von
den vier altern und drei gescldechlern ineinandei msch des
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erreichen zuletzt den boden der Wirklichkeit, all . sind sie
undeutbar auf die geschichte: sie können nur d ,g geben.
Der menschliche geist hat andere wege ei lach den
geheimnissen der vorweit und ist beinahe wie lbe spur
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Wie das messer in leichname schneidet, um den menschlichen
leib innerst zu ergründen, ist in verwitterte erdhiigel eingedrungen und
die lange ruhe der gräber gestört worden, von schnee eingeschneit,
von regen geschlagen, von thau durchtrieben muste die todte völva dem
mächtigen gott rede stehn; was in staub und asche übrig geblieben
war, fragt unermüdliche neugier nach dem zusland der zeit, aus wel-
cher es abzustammen scheint, beschaffenheit der gräber, gestalt der
morschen schädel, art und weise des eingelegten gerälhs sollen ant-
wort geben, alle diese zeugen sind beinahe stumm, nur inschrift und
deutliche münze haben noch kraft des Wortes, Samenkörnern, die unsere
geschichte befruchten, gleicht das in unendlicher menge durch alle
europäischen fehler und luigel zerstreute römische geld.
Nach den allenthalben unternonunnen ausgrabungen hat man drei
verschiedne Zeitalter ermittelt, die jenen mythischen zu begegnen schei-
nen. zuerst angesetzt wird ein steinalter, aus welchem mächtige fei—
sengräber mit unverbrannten leichen und steinernen waffen übrig sind;
das volk welches sie baute und brauchte, soll nur jagd und fischerei
getrieben, aller metalle entbehrt haben, hierauf sei die eherne zeit oder
das brennalter gefolgt**, dem gold und erz zu waffen und schmuck
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* daher fallen benennungen der riesen und unterirdischen zusammen mit
namen besiegter, zurückgedrängter volkstämme (mythol. s. 493, 1035.). die pixies,
das stille volk in Devonshire, sind die Picten, Peohtas.
** ipsunl cremare apud Romanos non fuit veteris- instituti; terra condebantur.
at postquam longinquis bellis obrutos erui cognovere, tune institutum. et tarnen
multae familiae priscos servavere ritus Plinius 7, 54. sicher ward auch bei den
Griechen begraben, eh das schönere verbrennen allgemein eingang fand.
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ZEITALTER 3
eigen waren, das im feuer schmiedete und durch dasselbe clement seine
leichen zerstörte, deren asche in irdnen krügen beisetzte, ackerbau, 4
Weberei und schiffarl kannte, endlich ein eisenalter, welches wieder
unverbrannte leichen in hügel begrabend eiserne Waffen und schrift be-
sessen habe. Diesen kennzeichen gemäsz pflegt man die aufgefundnen
denkmäler zu ordnen und sorgsam zu betrachten; es scheint einleuch-
tend dasz jene Steingrüfte den riesenbetten der sage entsprechen und
der Volksglaube versetzt die unterirdischen schmiede des zwergstamms
mit ihren schätzen unmittelbar in die grablnigql der ehernen zeit*, so
dasz mit der eisernen das treiben und die kraft des menschlichen ge-
schlechts eingelreten wäre.
Als oberste frage erhebt sich aber nun hierbei, inwiefern die ge-
wonnene Unterscheidung auf bestimmte Völker der geschichle anwen-
dung leide, ob sie stufen eines und desselben Stamms Zusage, oder bei
dem unablässigen Wechsel vieler hintereinander von verschiednen gel-
ten müsse? jene mythischen Zeitalter gründeten sich auf wiederholte
Schöpfung und die goldnen menschen waren nicht einer abkunft mit
den eisernen, riesen zvverge menschen jede für sich besonders entspros-
sen. Wenn aber auch, und dafür streitet manches, das historische
steinalter einem eignen volkschlag überwiesen werden darf, scheint es
desto bedenklicher erzalter und eisenalter auf ungleiche volkstämme zu
beziehen und nicht nach dem fortschritt eines und desselben auszu-
legen. mag man immer befugt sein zu der annahme, dasz gebrauch
des erzes und gohles dem des silbers und eisens vorausgehe und nach
dieser folge die waffenschmiedekunst sich ausgebildet habe; es wird
schwer bleiben zu erhärten, dasz in einzelnen ländern das erz nicht
länger gedauert, das eisen nicht früher begonnen haben könne.
So lange diese zweifei dauern, so lange nicht sichere merkmale
aus der form der Waffen, des schmucks und aller gerüthe gewonnen
werden, die den ausschlag gäben, scheint die älteste geschickte der
europäischen Völker hier keine eigentliche aufklärung zu erlangen, wie
manches willkommne für sitten und gebrauche daraus hervorgehn mag. .
An dem ehernen Zeitalter scheitert alle mühe der forscher; sie haben 5
sich um die reihe berechtigt zu der annahme gehalten, bald dasz es
den Reiten, bald den Deutschen gehöre, und es scheint, Slaven hätten
gleich starke ansprüche darauf zu erheben, wer Deutschen steinhäm-
mer, Kelten eherne waffen beimiszt, musz die riesengräber von dem
gebrauch der sleinwaffen absondern und unser volk aus der mitte und
dem vorschritt seiner entwicklung reiszen; weit naturgemäszer ist es
das eherne Zeitalter Kelten, Deutschen, Slaven und allen übrigen Völ-
kern auf ähnliche weise, wenn auch nicht zugleich einzuräumen und
aus ihm für jedes einzelne volk den Übergang in die zeit zu linden,
wo das eisengeräth sich verbreitete. Ein neulicher anziehender fund
in Schwaben hat sogenannte todtenbäume, d. h. zur leichbestaltung aus-
gehölte eichstämme an den tag gebracht, die nicht unwahrscheinlich
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* Miillenlioffs sagen no. 384. 385 und Lisch jalirb. 11, 366.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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noch dem alamannischen heidenthum angehören*; wer aber möchte
feststellen, dasz zu gleicher zeit nicht schon die übrigen Deutschen und
selbst Alamannen auch aus brettern särge zimmerten?
Es gibt ein lebendigeres Zeugnis über die Völker als knochen,
Waffen und gräber, und das sind ihre sprachen.
Sprache ist der volle athem menschlicher seele, wo sie erschallt
oder in denkmälern geborgen ist, schwindet alle Unsicherheit über die
Verhältnisse des volks, das sie redete, zu seinen nachbarn. für die
älteste geschichte kann da, wo uns alle andern quellen versiegen oder
erhaltne Überbleibsel in unauflösbarer Unsicherheit lassen, nichts mehr
austragen als sorgsame erforschung der Verwandtschaft oder abweichung
jeder spräche und mundart bis in ihre feinsten adern oder fasern.
Aus der geschichte der sprachen geht zuvorderst bedeutsame be-
6 stätigung hervor jenes mythischen gegensatzes: in allen findet abstei-
gen von leiblicher Vollkommenheit statt, aufsteigen zu geistiger aus-
hildung. glücklich die sprachen, welchen diese schon gelang als jene
nicht zu weit vorgeschritten war: sie vermählten das milde gold ihrer
poesie noch mit der eisernen gewalt ihrer prosa.
Seien alle über den ganzen erdball gebreiteten menschen ausge-
gangen von einem ersten paar, folglich die manigfalten zungen geflos-
sen aus einer einzigen, oder nicht; sei die weisze, braune oder schwarze
race** unter den himmelsstrichen von einander ausgeartet oder ihre
abweichung unvereinbar; die meinung zählt nur noch geringe gegner,
dasz Europas gesamtbevölkerung erst im laufe der Zeiten von Asien ein-
gewandert sein, dasz die meisten europäischen sprachen in unverkenn-
barer Urverwandtschaft stehn müssen zu einem groszen auch noch beute
in Asien wurzelnden sprachgeschlecht, aus welchem sie entweder fort-
gezeugt sind, oder, was weit mehr für sich hat, neben dem sie auf
gleichen urquell zurückweisen, einzelne europäische sprachen scheinen
aber von ihnen abzurücken und auch ihre besondere wurzel an anderer
Stätte Asiens zu begehren, so dasz ihr Zusammenhang mit jenen ungleich
ferner und dunkler aussieht.
Elimals bat man gestrebt, wie alle alte geschichte auf die Über-
lieferungen der heiligen schrift zu beziehen, so der neueren sprachen
Ursprung in der hebräischen zu erspüren; seitdem die kenntnis des
sanskrits geöfnet wurde, ist volle einsicht aufgegangen, dasz zu ihm
und dem zend unsere europäischen zungen in engem band stehn, von
den semitischen weiter abliegen. Viel härter hält es eindrücke zu ver-
winden, die wir von jugend auf empfangen haben, es ist wahr, die
gesamte europäische bildung gründet sich, seit dem Christenthum, auf
die unsterblichen werke der Griechen und Römer; aber weit über die
* sie gemahnen an die schiffe aus holen bäumen und an den gebrauch
leichen auf schiffe zu setzen (mythol. s. 790.) Germaniae praedones singulis ar-
boribus cavatis navigant. Plin. 16, 40; cavatum ut illis mos est ex materia con-
scendit alveum. Veil. Paterculus 2, 106.
** schief wäre hier die Vergleichung des edlen metalls, erzes und eisens fort-
zusetzen, denn wo hat sich jemals in Negern die kraft des eisens gezeigt?
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SPRACHEN 5
ihrem einflusz gebührende gerechtigkeit hinaus hat man sich allzulange 7
gewöhnt den maszstab griechischer und lateinischer sprachen an alle
übrigen zu legen, beinahe jede germanische slavische keltische eigen-
thümlichkeit zu verkennen und als blosze trübung jener lauteren quelle
anzusehn. wie wenig, für sich erwogen und den gehalt ihrer denk-
mäler redlichst angeschlagen, unsere sprachen jene mit vollem recht
classisch genannten erreichen; so hat in der geschickte alles, auch das
geringere sein recht und seinen reiz, und erst eine ernsthafte bekannt-
schaft mit den einheimischen angeblich neueren, an sich aber gleich
alten, der lateinischen oder griechischen blosz verschwisterten sprachen
und mit der frischen, unbillig verachteten roheit ihres alterthums unsern
forschungen, wenn sie von allen seiten her gedeihen sollen, die rechte
freiheit verliehen, da die spräche mit dem glauben, dem recht und
der sitte jedes volks von natur eng zusammenhängt, so werden dem,
der seinen fleisz diesen zuwendet, über die spräche seihst unerwartete
aufschlüsse daher entspringen.
Jeder spräche, welche sie auch sei, stehn auszer ihren heimi-
schen Wörtern auch fremde zu, die der verkehr mit den nachbarn un-
ausbleiblich einfuhrte und denen sie gastrecht widerfahren liesz. sie
nach langer niederlassung auszutreiben ist eben so unmöglich, als es
die reinheit der sprachsitte gefährdet, wenn ihr zudrang leichtsinnig
gestaltet wird, für die geschickte der sprachen leisten diese lehnwör-
ter guten dienst, weil sie hei ihrer Wurzellosigkeit leicht ins äuge fallen
und als ausnahme die regel der spräche, gegen welche sie sich allent-
halben sträuben, hervorheben. Die einheimischen Wörter sind wiederum
doppelter art, je nachdem sich ihre Wurzel in kraft und fülle frisch
erhalten hat oder abgestorben ist und nur noch in einzelnen formen fort-
dauert. jene regen wurzeln verleihen der spräche sinnliche stärke und ge-
währen die günstigste entfaltung aller ihrer grammatischen eigenheiten;
in deutscher spräche wird sie durch das vermögen abzulauten kennbar.
Hiernach kann nun alle gemeinschaft zwischen sprachen theils auf
jenem zufälligen äuszeren anstosz beruhen, der hier und dort einzelnes 8
aus der fremde borgen liesz, theils auf einer langsam fortwirkenden
wesentlichen Urverwandtschaft, die vorhanden gewesen sein musz, als
die sprachen von einander sich abtrennend jede ihren eigenthümlichen
weg einschlugen, auf dem sie sich mehr oder minder entfremdeten,
als deutlichstes Zeichen solcher Urgemeinschaft werden einstimmige per-
sönliche pronomina, Zahlwörter und das verbum suhstantivum anerkannt;
sie wird zumal in jenen lebendigen wurzeln, von welchen das innere
gewebe der spräche abhängt, vorbrechen, aber auch in einer groszen
zahl von abgestorbnen aufzusuchen sein, deren wahrer keim gerade in
der andern spräche liafLen kann. Bei Sprachvergleichungen überhaupt
glaube ich den grundsalz aufstellen zu dürfen, dasz zwischen den Wör-
tern verschiedner Völker zwar gleichheit der buchstaben wie der begrilfe
obwalten, dennoch für jedes volk eigenlhümliche beziehung auf ihm ver-
traute wurzeln, formen und Vorstellungen einlreten könne, nothwen-
digkeit und freiheit sind auch in den sprachen ewiges gesetz.
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Zur allgemeinen übersieht, deren ich hier bedarf, führe ich zehn
Völker auf, von denen alle hauptsprachen dieses welttheils abstammen:
Iberer Kelten Römer Griechen Thraker Germanen Litthauer Slaven Finnen
Skythen, die letzten als blosz hinüberreichend nach Europa und eigentlich
in Asien eingesessen. Von der iberischen ist noch die baskische in sol-
cher fülle übrig, dasz anziehende Untersuchung gepflogen werden kann,
oh sie den kaukasischen sprachen verwandt, oder ihre berührung nur
äuszerlich sei. Thrakische und altskythische spräche sind, zum unheil
der geschichte, beinahe ganz verschollen. Keltische lateinische griechi-
sche deutsche litthauische und slavische liegen alle einander urverwandt
in vielfacher stufe der nähe oder ferne, also zugleich dem sanskrit
und zend, aus welchen die heutige spräche Indiens samt der persischen
flieszt. Unverwandt ihnen allen scheint die finnische, lappische und
über den Ural nach Asien weitwuchernde spräche, deren innere structur
bedeutend abweicht, so wirksamen einfluss von frühe an das finnische
9 auf das gothische und nordische geübt und umgekehrt erfahren haben
mag. zwischen iberischem keltischem und latein ist das Verhältnis noch
nicht genügend aufgeklärt.
Es wird in alle diese gesichtspuncte treffen, dasz ich die euro-
päischen namen der vier gen schöpfe. metalle zusammenstelle und daraus folgerun-
griech. /aXy.og XQvaog ÜLQyvQlOV oi'drjQog
latein. aes, raudus aurum argen tum ferrum
ital. bronzo oro argento ferro
span. bronze oro argen hierro
franz. bronce or argent fer
roman. irom aur argient her
walach. aram aur ardshint feru
alban. uu ■>/ ■> <■ «pp ipFfVr ytyovqi
irisch umha or airgjod jaran, eabradh
welsch . aur arian liaiarn
armor. . aour argan houarn
bask. urraida urrea cilarra burdina, burnia
preusz. . ' ausis sirablas .
litth. waras, ruda auksas sidabras gelezis
lett. warsch selts sudrabs dselse
slav. bron, rud zlato srebro sheljezo
russ. bronza, ruda zoloto serebro sheljezo
poln. bronc zloto srebro £elazo
böhm. ruda zlato stfjbro zelezo
wend. ruda zloto sljebro zclezo
goth. ais gul{) silubr eisarn
ahd. er, chuphar kohl silapar isarn, isan
nhd. erz, kupfer gold silber eisen
ags. ar, bräs gold seolfor isern, fron
engl. ore, brass gold silver iron
nnl. koper goud zilver ijzer
c*
k
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METALLE
altn. eir, bras gull silfr iarn
schwed. koppar guld silfver järn
dän. kobber guld sölv jern
finn. kasari, vaski kuld hopia rauta
est. werrew, wask kulda höbbe raud
lapp. air golle silb roude
ungr. ertz arany ezüst vas
Diese Wörter lehren, dasz in benennung des goldes und Silbers
M
irv tkytA*
alle deutschen und slavischen sprachen nahe Zusammentreffen den latei-
nischen und keltischen gegenüber, bei erz und eisen ist Übereinkunft
der deutschen, lateinischen und keltischen merkbar, das litthauische hält
die mitte, so durchgreifende einstimmungen können nicht durch bloszen
verkehr, nur durch ursprüngliche gemeinschaft veranlaszt sein.
Aes aeris steht für aes aesis, wie goth. ais aizis zeigt, und in
6r eir är ore schreitet die Wandlung des S in R noch weiter vor;
nhd. erz,.mhd. erze, ahd. aruzi scheint blosze Weiterung von er mit
vocalkürzun« und dem vorwiegenden sinn von rudus erzschlacke, trad.
I flatum ferri quod aruzi dicitur; in diesem sinn bedeu-
des metall (ir. men, mianach). aes und ais sind aber das
der bedeulung ferrum, welche nicht zweifeln läszt, dasz
im ablautsverhältnis auch die Fortbildung eisarn hervor-
erzeig, hei den Deutschen müsse bronze allerdings früher
;cwesen sein als eisen; umgekehrt ist das lat. ferrumen
lli, erz?) entsprossen aus ferrum. wie nun ahd. isan,
d. eisen ihr R der zweiten silbe, stoszen iron und iarn
aus, so dasz iarn den keltischen formen iaran, haiarn
'itt. Schwerer scheint ein urtheil über ferrum, das im
ichfalls dem haiarn und iarn ähnlich wird, sonst ent-
t aus RS: turris tvqqiq aus zvQotg, porro tioqqco aus
3 aus torseo goth. Jmirsa, erro aus erso goth. airzja,
\oi]v, curro aus curso, terra wahrscheinlich aus tersa,
jeniiber dem wasser. ferrum für fersum = fesrum würde
»ran bei Graff 1, 490) erreichen und der anlaut F schiene
II in haiarn houarn, oder im ahd. hisin für isin, wobei
rro in anschlag kommt, vielleicht alban. chekure. selbst
ben des roman. irom, walach. aram fordern auf ferrum 11
idoch das bask. burnia liesze an ferrum f. fernum den-
beide deulungen verwirft könnte in ferrum das F wie
in fei — /oh] galle nehmen und gar auf sl. sheljezo gelangen, bask.
urraida scheint fortgebildet aus urrea aurum, ähnlich dem eisarn aus
ais, was durch ciraida stannum aus cirarra cilarra bestärkt wird.
Denn gar nicht zu verkennen ist unmittelbare Verwandtschaft zwi-
schen aes und aurum, das für ausum steht*, wie aeris für aesis.
ganz zu ausum stimmt preusz. ausis, litth. auksas f. ausas; alle kel-
tischen Wörter gleich den romanischen haben R, nicht anders ungr.
* Sabini ausum, Auselii f. aurum, Aurelii.
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IM
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METALLE
übersieht, deren ich hier bedarf, führe ich zehn
alle hauptsprachen dieses welttheils abstammen:
iechen Thraker Germanen Litthauer Slaven Finnen
blosz hinüberreichend nach Europa und eigentlich
Von der iberischen ist noch die baskische in sol-
anziehende Untersuchung gepflogen werden kann,
en sprachen verwandt, oder ihre berührung nur
ische und altskylhische spräche sind, zum unheil
le ganz verschollen. Keltische lateinische griechi-
sche und slavische liegen alle einander urverwandt
er nähe oder ferne, also zugleich dem sanskrit
en die heutige spräche Indiens samt der persischen
ihnen allen scheint die finnische, lappische und
.sien weitwuchernde spräche, deren innere structur
so wirksamen einfluss von frühe an das finnische
d nordische geübt und umgekehrt erfahren haben
ehern keltischem und latein ist das Verhältnis noch
klärt.
diese gesichtspuncte treffen, dasz ich die euro-
vier nietalle zusammenstelle und daraus folcrerun-
»ciiopie.
griech. yakv.bq /QVOOQ uqyvQiov GlSfjQOq
latein. aes, raudus aurum argen tum ferrum
ital. bronzo oro argento ferro
span. bronze oro argen • liierro
franz. bronce or argent fer
roman. irom aur argient Her
walach. aram aur ardshint feru
alban. Ule «pp fpFfVr ye xovQe
irisch umha or airgjod jaran, eabradh
welsch . aur arian haiarn
armor. . aour argan liouarn
bask. urraida urrea cilarra burdina, burnia
preusz. . ' ausis sirablas . . .
litth. waras, ruda auksas sidabras gelezis
lett. warsch selts sudrabs dselse
slav. bron, rud zlato sreliro sheljezo
russ. lironza, ruda zoloto serebro sheljezo
poln. bronc zloto srebro £elazo
böhm. ruda zlato strjbro £elezo
wend. ruda zloto sljebro zclezo
golh. ais gul{> silubr eisarn
ahd. ör, chuphar kohl silapar isarn, isan
nhd. erz, kupfer gold silber eisen
ags. Ar, bräs gold seolfor isern, iron
engl. ore, brass gold silver iron
nnl. koper goud zilver ijzer
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k Ä >V ^ /
SA **><****'
METALLE
altn. eir, bras gull silfr iarn
schwed. koppar guld silfver järn
dän. kobber guld sölv jern
finn. kasari, vaski kuld hopia rauta
est. werrew, wask kulda höbbe raud
lapp. air golle silb roude
ungr. ertz arany ezüst vas
10
Diese Wörter lehren, dasz in benennung des goldes und silbers
alle deutschen und slavischen sprachen nahe Zusammentreffen den latei-
nischen und keltischen gegenüber, bei erz und eisen ist Übereinkunft
der deutschen, lateinischen und keltischen merkbar, das litthauische hält
die mitte, so durchgreifende einstimmungen können nicht durch bloszen
verkehr, nur durch ursprüngliche gemeinschaft veranlaszt sein.
Aes aeris steht fiir aes aesis, wie goth. ais aizis zeigt, und in
er eir är ore schreitet die Wandlung des S in R noch weiter vor;
nhd. erz,.mild, erze, ahd. aruzi scheint blosze Weiterung von er mit
vocalkürzung und dem vorwiegenden sinn von rndus erzschlacke, trad.
juvav. 132: ad flatum ferri quod aruzi dicitur; in diesem sinn bedeu-
tet uns erz jedes metall (ir. men, mianach). aes und ais sind aber das
skr. ajas mit der bedeulung ferrum, welche nicht zweifeln läszt, dasz
aus goth. ais im ablautsverhältnis auch die fortbildung eisarn hervor-
gieng, ein fmgerzeig, hei den Deutschen müsse bronze allerdings früher
im gebrauch gewesen sein als eisen; umgekehrt ist das lat. ferrumen
(junctura metalli, erz?) entsprossen aus ferrum. wie nun ahd. isan,
mhd. isen, nhd. eisen ihr R der zweiten silbe, stoszen iron und iarn
das vordere S aus, so dasz iarn den keltischen formen iaran, haiarn
an die seile tritt. Schwerer scheint ein urtheil über ferrum, das im
sp. hierro gleichfalls dem haiarn und iarn ähnlich wird, sonst ent-
springt lat. RR aus RS: turris tvqqiq aus rvqok;, porro tioqqco aus
noQGto, torreo aus torseo goth. jiairsa, erro aus erso goth. airzja,
afjQrjv aus uQGijv, curro aus curso, terra wahrscheinlich aus tersa,
trockenland gegenüber dem wasser. ferrum für fersum = fesrum würde
eisarn isarn (isran hei Graff 1, 490) erreichen und der anlaut F schiene
erklärbar aus H in haiarn houarn, oder im ahd. liisin für isin, wobei
wieder sp. hierro in auschlag kommt, vielleicht alban. chekure. selbst
die zweiten silben des roman. irom, walach. aram fordern auf ferrum 11
heranzuziehen, doch das bask. burnia liesze an ferrum f. fernum den-
ken, wer aber beide deutungen verwirft könnte in ferrum das F wie
in fei — /oh] galle nehmen und gar auf sl. sheljezo gelangen, hask.
urraida scheint fortgebildet aus urrea aurum, ähnlich dem eisarn aus
ais, was durch ciraida stannum aus cirarra cilarra bestärkt wird.
Denn gar nicht zu verkennen ist unmittelbare Verwandtschaft zwi-
schen aes und aurum, das für ausum steht*, wie aeris für aesis.
ganz zu ausum stimmt preusz. ausis, litth. auksas f. ausas; alle kel-
tischen Wörter gleich den romanischen haben R, nicht anders ungr.
* Sabini ausum, Auselii f. aurum, Aurelii.
METALLE
arany, alban. arr, bask. urrea. die vocalreihe Al schlägt um in AU,
der begrif des erzes in den des goldes.
Gold und zlato sind eins, kehllaut zum Zischlaut verhält sich wie
in humus und hiems yyif-iaix zu sl. zemja zemlja zima, oder in ahd.
chnähan, ags. cnävan zu sl. znati. die vocalumstellung in gold und
zlato bestätigen zahllose analogien: hahn slama, valdan vladiti, kalt
chlad, dulg dlug, milch mleko, folk pluk, elbe labe, karl krol, hart
brada, furt hrod, birke breza, wo der Russe doppelvocal liebt: zoloto,
cholodnyi, moloko, golova, horoda, hereza, gleich lat. calamus, ahd.
halam, miluh, charal, piricha. aber lett. selts folgt deutscher Stellung,
wie salds, litth. saldus sl. slady, litth. galwa sl. glawa, preusz. malds
sl. mlad, litth. waldyti sl. vladiti, litth. parszas sl. prase lat. porcel-
lus ferkel. das fiun. kulda scheint dem deutschen ausdruck ent-
nommen.
Silber und srebro werden vermittelt durch wend. sljebro, dessen
L und R im preusz. sirablas ihre stelle tauschen, während L und D
in silubr und sidabras sich verhalten wie in levir ÖarjQ, lingua dingua,
lautia dautia, lacrima dacrima, fdius üdius. lapp, silb mag wieder aus
dän. sölv rühren, auffallender ist die Verwandtschaft zwischen silabar
und bask. cilarra (dessen ci wie si lautet) und mag man noch west-
goth. einllusz glauben? berührt sich aber sogar alb. zile eisen, so darf
12 vielmehr oiÖi]Qog an sidubras mahnen, und die litth. form gewinnt ge-
gen die deutsche und slavische an echtheit; Pott 2, 414 vergleicht
skr. sitäbha weiszglänzend und litth. swidus blank, argentum und alle
romanischen Wörter begegnen den keltischen wie dem gr. uQyvQiov,
desto einsamer steht das fmn. hopia, das kaum aus cuprum entsprang,
wofür auch fhln. kupari gilt. ungr. ezüst ist das syriän. ezys, und
wahrscheinlich noch anderwärts an nordasiatischer grenze zu haus.
Auf den grund der gefundnen einstimmung zwischen ais und eisarn
liaiarn ferrum mag yuXxog zu sheljezo gehalten werden, gr. X und
sl. (das ich durch SH ausdrücke, es entspricht auch skr. s) be-
gegnen sich wie in yohog und shllz sheltz galle. Einer wurzel mit
bräs brass scheint mir bronze bronce, mlat. bronzium bronzina, russ.
serb. bronza, poln. bronc, die nasalis eingeschaltet oder ausgestoszen
wie in ans äs, gans gäs, litth. szwentas sl. svety. nicht steckt bras
in sidabras, dessen S flexivisch ist, und im gen. sidabro, im adj. sida-
brinnis == goth. silubreins schwindet, da altn. bras ferrumen, jun-
ctura qua ferrum ferro jungilur ausdrückt , wäre an bask. burnia zu
denken, und es könnte sich zum vermuteten fersum = ferrum verhal-
ten wie heran zu ferre, mit umgesetztem consonant wie in gras und
gräs. Ir. credli the ore of any mettil, credhumha the ore of brass;
umha nicht unähnlich dem skr. udumbara audumbara = aes. Sl. und
litth. ruda im sinn des lat. raudus, rudus* nehmen im fmn. rauta,
lapp, roude wieder deutlich den begrif des eisens an, also auch hier
* rudus unbearbeitetes erz, glarea, gotli. malma arena, ahd. melm, altn.
mälmr, schwed. malm und daher fmn. malmi metallum.
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METALLE
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scheint gebrauch der bronze voranzugehn dem des eisens. nicht an-
ders gehört ungr. vas eisen zum fmn. vaski, est. wask; wer erinnert
sich dabei nicht aus deutscher heldensage des Schwertes Waske? an
dasselbe vas, glaube ich, schlieszen sich waras warsch werrew.
Aber sehr auffallend gleicht finn. kasari aes dem skr. kesara aurum,
ein neues zeugnis für aes: aurum, die beide gelb sind, nach Pott 2,
410 bezeichnet kösara fulvum, löwenfarbe, und ist entnommen von 13
kesara juba leonis und leo selbst, vgl. lat. caesaries; soll auch an
y.aaalxfQog zinn gedacht werden?
In den gehalt der wurzeln zu dringen ist überhaupt kein leich-
tes geschäft, und hier liegen lauter allgemeine, auf die Wörter bald
zu übertragende begriffe des glanzes, der färbe nah. zwar uQyvQiov
und argenlum führen sich bestimmt zurück auf apyog, ir. arg, wie
skr. radsata und andere namen des silbers weisz, des goldes gelb aus-
drücken. Bedenklicher scheint die versuchte herleitung von sidubras
aus skr. svöla ablira (weisz gold) oder von atdrjQog aus skr. sved su-
dor, obgleich wir schweiszen für schmieden des eisens (jenes ferru-
minare) verwenden und ein mythus eisen aus blut entstehen läszt.
doch sveta albus, zend. spenla, sl. svent leuchtend mag immer ver-
wandt liegen, auch sidus sideris leuchtendes gestirn. yQvoog (für
ytQvaog) wird gestellt zu skr. hiranja,Vzend. zara zaranja, pers. zer,
wogul. zorni, syriän. zarni*, die alle gold bedeuten und dazu skr. hari ,
gelb, harit grün verglichen; ich zaudere goth. hairus, alts. heru (ensis)
in betracht zu nehmen, auch lett. sells kann neben seit virere, sl.
zlato neben zclen viridis zu stehn kommen, lat. viridis für quiridis un-
mittelbar harit und XP in yyvaog erreichen, wären yjyvoog und yXwQog
verwandt, so dürfte yuXy.og herantreten, wie zwischen selts und dselse
nähe vorbricht; für unser gold aber böten sich deutsche Wörter mit
GL und dem begrif des glanzes dar**. Läge die nemliche Vorstellung
in der Wurzel, welcher aes aurum eisen entstammen, (und unser is,
eis glacies verbürgt es) würde ich mich sträuben wider die deulung
von ajas aus ajamas unzähmbar.
Nach allen diesen beispielen leuchtet gleich an der schwelle mei-14
ner Untersuchungen ein, wie tief sich alle europäischen sprachen
durchdringen, erz und gold, erz und eisen wechseln ihre namen; Sil-
ber und gold nicht unmittelbar, allein silber mag sieb in cr/d^po? mit
eisen berühren. Deutsche Slaven und Litthauer müssen zuletzt in ge-
meinschaft gestanden haben, dann aber tritt das litlhauische wieder
unmittelbar nab dem latein, welches uns näher liegt als das grie-
* Reinhart fuchs s. CCVIII sarn f. isarn; aber damit gienge eisarn : ais
verloren.
** edda Saun. 187 L jt gialla gull, das klingende, aber giajlr stimmt nicht
unmittelbar zu gulp und gleich schwach sind die ansprüche von gelb oder galle.
Miklosich stellt zlato zu zrjeti videre, das ursprünglich splendere bedeutet habe,
jenem zara vergleicht er zarja aurora und auch aurora fällt zu aurum, litth. auszra
fast zu auksas. steht aurora für ausosa skr. uschas, gr. rjcos für rjocös? noch
unser sprach legt der morgenstunde gold in den mund.
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chische; doch die Slaven scheinen einigemal an das griechische zu
streifen, auch die keltischen sprachen, da wo sie sich an lateinische
und griechische schlieszen, weichen von uns ab; für alle nimmt das
sanskrit oft den hintergrund ein. fern steht finnische zunge, denn was
ihr mit uns gemein ist, hat sie erborgt, nur kasari : kßsara, vielleicht
hopia : cuprum wird bedeutsam, gern vernommen hätte man die sky-
thischen, thrakischen, getischen namen der vier metalle.
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II.
HIRTEN UND ACKERBAUER.
Hat die ansicht von den Zeitaltern grund, so musz sie noch 15
mit einem andern durchgreifenden gegensatz Zusammentreffen, den wir
auf dem boden der geschichte wahrnehmen, die inenschen des stein-
alters waren hirten, die des ehernen ackerleute und der milchessende
riese weidete herden; bedeutungsvoll scheint die weit bekannte sage
von der hünenjungfrau, die verwundert auf einen ackernden stiesz und
ihn samt pflüg und rindern in der schürze als artiges Spielzeug heim-
trug: doch der alte luine schalt und hiesz sie die erdwürmer schnell
zurückbringen, deren andrange das riesengeschiecht bald werde wei-
chen müssen. Hier sind aber riesen und menschen als verschiedne
Stämme aufgefaszt, während die geschichte lehrt, dasz bei jedem ein-
zelnen volk dem hirtenleben der ackergang nachfolge.
Jenes unaufhaltsame einrückcn der Völker aus Asien in Europa
setzt kühne kampflustige stamme voraus, die sich zuweilen ruhe und
rast gönnten, im drang der forlbewegung von ihrer herde, jagd und
beute lebten, bevor sie sich friedlichem ackerbau ergaben, müssen sie
jäger hirten und krieger gewesen sein und erst auf der grundlage bei-
der zustande konnte ein höherer aufschwung des geistes wie der sitte
gedeihen, der den begabtesten und glücklichsten unter ihnen zu
theil ward.
Ich will ausführen wie dieser unterschied in alle Verhältnisse des 16
lebens greift.
Den lapfern stand die weit offen: sie ziehen aus der heimat, wo
es ihnen zu enge geworden war, von lnmgersnoth und miswachs, von
feindschaft der stamme oder Wanderlust und drang nach abenteuer ge-
trieben. das losz und der götter rath geleitet sie, vögel fliegen vor-
aus, eine hindin zeigt die furt über den ström, ein bär oder wolf
weist den pfad durch wald und gebirge. sie reisen samt frauen kin-
dern verwandten freunden, vor allem heilig sind ihnen die bande der
brilderschaft und das gaslreeht: in Lucians Toxaris findet man mit tref-
fenden zügen, durch ergreifende beispiele skythischer nomaden feste
treue und unerschütterlichen mut dem gesittigten aber schlaffen leben
der Griechen gegenüber gestellt.
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12
HIRTEN
Dieser wandernden Völker habe sind wagen und vieh, wallen und
schmuck, den Griechen hieszen sie äf.ia6,oßioi, ein reicher unter
ihnen besitzt zehn goldschalen und achzig vierlagerige wagen, uf.ia^ag
reTQaxh'vovg, ein armer, dem weder wagen noch herden gehören, ist
reich an blutsbrüdern. wagenhäuser legt Plinius 8, 40 noch ausdrück-
lich den wandernden Cimbern bei und eine Wagenburg ums lager zu
führen gegen nächtlichen überfall blieb bis in die späten Zeiten kriegs-
brauch. anschaulichstes bild solcher wagen geben uns die holzhäuser
der sehäferkarrn*; wo aber länger gerastet wird, treten waldhütten
und erdhölen an deren stelle.
Pferde rinder schafe und hunde sind das vieh der hirten und
jäger. der hund schützt lierde und wagen, seine treue überdauert
den lod des herrn: canes defendere Cimbris caesis domus eorum plau-
stris impositas; beim gefallnen held liegt noch sein hund, steht trau-
rig nickend sein ros, denn beide hatte er oft mit namen gerufen und
zwischen ros und reiter waren gespräche gewechselt worden. Der
rinder und schafe folgt eine gröszere, schon minder zutrauliche schar.
17 Auch das schwelt wird benannt und angeredet, es ist des man-
nes grösztes kleinod, das nur auf seinen nächsten männlichen erben
übergeht; frauliche habe sind schmuck und ringe, den ganzen un-
terschied zwischen hergewäte und gerade darf man auf heilige Vorstel-
lungen des hirtenlebens zurückleilen. Nie legt der mann sein schwert
ab, bei jedem anlasz treten hirtenvölker bewafnet auf, was noch Taci-
tus an den Germanen beobachtete : nihil autem neque publicae neque
privatae rei nisi armati agunt. schwert und sper war den kriegern
ein hehres wesen, hei dem sie feierlichen eid schworen, das sie als
göttliches Zeichen aufrichteten und verehrten, von allen göttern stand
ihnen der gott des schwertes zunächst, oder der des hannners, dessen
wagen donnernd durch die lüfte rollt; ihm fallen blutige opfer zumal
von pferden und der wald ist sein tempel: wie wollte ihr gott zwi-
schen wände gedrängt werden, so lange sie selbst nicht in festen
häusern wohnen?
Aller kauf scheint noch tausch und wird mit vieh, pelz oder
ringen unterhandelt, selbst die münze war ursprünglich zierrat. alle
buszen sind kriegerisch, der ausgehaune knochen soll im schild er-
klingen.
Das ganze treiben dieser Völker ist freies waldleben, zwischen
zügen, weide und krieg getheilt; der kampf, den sie begierig suchen,
führt sie gleich der jagd zur beute**, scblacht und jagd ist was sie
ergetzt***. weida in unsrer alten spräche bedeutet sovvol pastio als
venalio und piscalio, weidman den hirt und jäger; noch heute ist der
alpenhirt auch der kühnste gemsenjäger. In den wandernden rit—
* an dem von Pallas gebauten haus wird getadelt: /irj TQoyovs oiSrjQeiovs
sv toTs d’eiisXiois yeyovevai. Babr. 59, 13.
** vtxsq vofirjs rj Xsias [xayofied'a. Toxar. 36.
*** man verband wonne und weide; vinja, wunna gebt über in den uns
heute allein bleibenden begrif der freude, und augenweide drückt wonne aus.
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-- - : ■ A A /■> A A * a r
HIRTEN
tern* *, die nach kampf und sieg durstig durch die weit zogen, ist
noch nomadischer anklang.
Speise war milch und fleisch der herde, wildobst und wildbret: 18
cibi simplices, agrestia poma, recens fera aut lac concretum (Tac.
Germ. 23), woher der name yakuxTonoTai. weder Stutenmilch wurde
verschmäht nocli pferdefleisch, dessen genusz nach der hekehrung allen
Christen für heidnischen greuel galt, einzelne nomaden hieszen den
Griechen Innrj/nokyot.
Da sie hlosz am gewinn von der herde und an kriegsbeute hän-
gen, fast keine frucht aus dem hoden erzielen und die waldtrift wech-
seln, hat grundeigenthum noch keinen werth und leicht verständigen
sie sich über den nieszbrauch solcher eine zeillang dem gemeinbesitz
einzelner geschlechter und horden belassenen gebiete, die nach deren
abzug andern einzunehmen freisieht, zwischen diesen Wahlbezirken
mag die grenze nicht durch mühsame messung bestimmt worden sein,
sondern ganz in weise der späteren markgemeinden durch raschen ham-
merwurf oder andere friedigende Zeichen.
Dem unstälen aufenlhalt, der ungebundenheil des hauses, das der
hirt auf rädern nach gefallen an andere stellen versetzen kann, scheint
auch Vielweiberei zu entsprechen, der wir bei allen aus dem nomaden-
sland tretenden Völkern noch begegnen, krieger und bitten streben
schönen weihern nach**, dem ackermanu genügt die einzige ehfrau,
welcher er, wenn ihn feldarbeiten rufen, sein haus zu ordnen über-
läszt. für die polygamie werde ich im verfolg das beispiel der Gelen
anführen; da sie sich bei den alten Slaven und Scandinaven vorfindet,
darf sie in ältester zeit auch unter den übrigen Germanen nicht be-
fremden. das blosze dasein eines Worts in frühster spräche diene zum
erweis: dem ahd. chepisa pellex, mhd. kebese, ags. cifese würde ein
goth. kibisa kibiza zur seile stehn, alln. bedeutet kefsi oder kefsir ser-
vus moleslus, wie auch Tuxkka'% naXXayJg naXXaxrj sowol magd als
kebse bezeichnen, sicher wurden die kebsen meistentheils geraubt oder
aus unfreien mädchen gewählt***.
Vorzugsweise werden unter nomaden anführer im krieg, künige, 19
edle geschlechter und ein priesterstand sich entfallet haben, wie bei
Homer der fiirst noch noi(.irtv Xuxov heiszt oder anderwärts tioi(.i(xvioq
noi/nuvTCOf), bedeutet auch im sanskrit gopa zugleich kuhhirt und fiirst.
ein dichter des mittelalters sagt: „ich wolle mver freude sehen“ d. i. was ihr
gejagt habt.
* span, caballeros andantes, mnl. wandelende ridders. Lanc. 3509. 6579.
8704. 8740.
** Tox. 26 von den Skythen : oiye x av ras naXXaxas axqißcös ras xaX-
Xioras sxXiyead'ai Xtyovrai.
*** chepisa scheint mit chupisi tugurium (Graff 4, 359) unmittelbar verwandt,
sie wurde in einer schlechten hätte (yvmj, xaXvßrj) gehalten, im gegensatz zur
frau. lieblicher ist ein andrer name, ahd. friudila, altn. fridla, frilla, und den
glossen friudilinna gerade pellex, concubina (Graff, 3 788.) amica mea Ellinsuind’
in einer urk. bei Meichelbek no. 132 aus dem beginn des 9 jh. ebenso its die
gr. iraiqa gegensatz zur ehfrau.
ACKERBAUER
Lucian nennt die bloszen freien oxranodtg, für sie wird zweier rinder
besitz und eines wagens gefordert, welch ein abstand von jenen ach-
zig wagen des vornehmen I freie scheinen durch lockentracht, edle und
priester durch hüte ausgezeichnet. Mit edlen und königlichen geschlech-
tern im Zusammenhang musz aber ein heroencultus gedacht werden,
der es wahrscheinlich macht, dass diese Völker die gräber ihrer hel-
den und könige heilig hielten, nach Ilerodot 4, 127 wollen Skythen
nur für die gräber ihrer Vorfahren streiten.
Unter solchen menschen, die ihre tage und jahre, aufgeregt aber
auch still und ruhig, über wonne und weide (rechtsalt. s. 521) in der
Sommerfrische* oder vom engen wagendach geschützt verbrachten und
die heimliche natur belauschten, musz glaube an einen verkehr mit
thieren gewurzelt und die thierfabel begonnen haben, die sich in spä-
tere Zeiten forttrug, auch die aufnahme mutiger thiere in menschliche
eigennamen, ihre abbildung auf heim und schild, und der bezug vieler
kräuternamen auf thiere scheint mir damals entsprungen **.
20 Die spräche der nomaden enthält einen reichthum manigfacher
ausdrücke für schwort und wallen und für die Viehzucht in jeder läge,
welche dem gebildeten zustand hernach lästig oder überflüssig erschei-
nen: das begatten, trächtig sein, gebären, sterben, schlachten wird
fast bei jedem vieli anders und eigens benannt, wie der jäger am ver-
schiedenen wild den gang und einzelne glieder des leibs mit abwei-
chenden Wörtern zu bezeichnen pflegt, dieser in freier luft lebenden
hirten äuge sieht weiter, ihr ohr hört schärfer, wie sollte nicht über-
all ihre rede sinnliche anschauung und fülle gewonnen haben?
Ihnen gegenüber lässt sich nun leicht auch ein bild der zum
ackerbau übergegangenen Völker entwerfen.
Jene bewegung ist zur ruhe gelangt und friedliche niederlassun-
gen an glücklich erkämpfter fester stelle sind erfolgt, zu der habe
an beweglichem gut, die ehmals genügte, tritt sicheres erbliches grund-
eigenthum und der ackerbau verbreitet seinen segen; statt des viehes
wird jetzt getraide in tausch und kauf gebraucht, theilbarkeit der fei—
der durch geregeltes masz geheiligt, für die blutigen opfer der hir-
ten bringen ackerleute ihre fruchte dar, und milderen göttern oder
göttinnen, die im pflüg und der Spindel unterwiesen haben, statt des
schwerts auf dem reisig ist ein pfähl, eine herme und bald unter ge-
wölbtem dach errichtet, die bewegliche wagenwolmung durch ein fest
* so nennt noch heute der Tiroler die landlust (villeggiatura). die altn.
spräche hat sei (tugurium aestivum).
** die slavische spräche besitzt eine menge lieblicher frauennamen, die von
waldkräutern, blumen und wilden thieren entnommen sind, z. b. serb. Smilja,
Smiljana von smil’ gnaphalium arenarium, Kalina ligustrum, Perunika iris, Ko-
schuta liindin, Sokolitza falkin; ebenso litthauisch Smulke = Smilja, lettisch
selta maggonite goldner mohn leipu lappa seeblumenblatt. man denkt an die
gleichschönen hetärennamen bei Lucian: Aßgorovov, Mvqtiov, KXcovoqiov,
XshSoviov. mhd. seltner, doch musz sumertocke, sumertöckel MS. 2, 67a Schmet-
terling oder libelle meinen; mines herzen kl6 MSH. 3, 445a.
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ACKERBAUER
15
im grund gemauertes und gebalktes haus ersetzt: an einander reihen
sich die häuser.
Inwendig waltet die spinnende webende frau, den Angelsachsen
fridovcbbe (friedeweherin) geheiszen; ihre gerade (radewant) wenn
ärmer an goldschmuck ist reicher an gewand und tüchern, die ehe
rein und streng geworden, und des hausvaters macht und ansehn hat
vieles zu schlichten, was sonst dem priester zustand. Entschiedner
zur freiheit als zum königthum scheint sich die sitte hinzuneigen, ver-21
liert das leben an geräusch, so hat es an wiederkehrenden festen,
Zusammenkünften, gerichten gewonnen; die spräche verarmend an sinn-
licher fülle und behendigkeit beginnt sich mehr an geistige Verknüpfung
der gedanken zu gewöhnen, knechte, deren Vorfahren auf heerzügen
gewonnen waren, sind schon durch viele geschlechter vererbt, und
führen, blosz im recht unterschieden, namen und spräche der freien.
Indem sich überhaupt an der stelle des gefälligen, leichten,
schmucken ein nützliches geltend zu machen weisz und den Wechsel
des unstäten schweifens ein behaglicher dauernder wolstand zu vertre-
ten beginnt, behält der unansehnliche ackermann über den gewandten
krieger und hirten allmälich die Oberhand*.
Von dem hirtenleben zum ackerbau müssen aber langsame, viel-
fache Übergänge angenommen werden**, es gibt nirgend steife gleich-
zeitige grenze zwischen beiden, und da die hirten an alter voraus-
gehn, kann es nicht wundern dasz manche ihrer bräuche und einrich-
tungen auch noch unter einzelnen Stämmen haften, die längst des ackers
pflegen, umgekehrt dürfen entschiedne nomaden schon im voraus feld-
wirtschaft versucht haben; es lebte vielleicht kein hirtenvolk völlig
ohne ackerbau, und bei allen ackerbauenden erhalten sich geraume
zeit hindurch, obschon in stäter abnahme und schmälerung, weide und
Viehtrift.
In den gesängen des Rigveda, welche uns frühe nachricht von
den zuständen eines urverwandten volks überliefern, sind bereits acker-
bau, dörfer und Städte erwähnt; daneben aber wird noch deutlich auf
das umherziehen nach grasreichen weiden bezug genommen***, hand-
müle (mola trusatilis, manuaria) und brotbacken war den hirten lange 22
schon bekannt, bevor in dauernder niederlassung wassermülen erfun-
den wurden.
Man kann nicht krieger jäger und hirten absondern und die hir-
ten als mittelstufe zwischen krieger und ackerbauer stellen, denn alle
wandernden hirten waren kriegerisch, alle krieger führten herden mit,
ohne deren milch und fleisch sie das leben nicht gefristet hätten, wo-
für fisch und wildbret unzureichend gewesen wäre; rindes bedarf der
* nach dem serbischen lied hat der ratar schwarze hände, aberweiszes brot
(tschrne ruke a bjela pogatza.) Vuk 1 no. 273.
** wenn Adams söhne alsogleich ackerer und hirte sind, so würde dem äl-
teren die weide, dem jüngeren der feldbau besser Zusagen und Abels weicher
gemütsart das unblutige opfer.
*** Adalb. Kuhn zur ältesten geschichte indogerm. Völker s. 12.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
i
steppendurchzieliende wagen so gut als der erdwühlende pflüg. Auch
ist ackerbau ein friedlicher stand, kein sanfter zu nennen, weil er
schwerere arbeit kostet als weidgang, zu dem nach bestandner kriegs-
gefahr der hirte wiederkehrt*, aber selbst unter den hirten steht der
rinderweidende dem ackerbau näher als der wildere freiere schäfcr.
Mir scheint unzweifelhaft dasz bei ihrem ersten eintritt in die
geschichte die Germanen noch überwiegend dem hirtenleben anhiengen,
während die ihnen voraus gegangneu Kelten bereits ackerbauer waren,
die Cimbern ziehen auf ihren wagen einher und Caesar versichert all-
gemein von den Germanen: agriculturae non Student, indem er sie
Kelten entgegensetzt, einige menschenalter können viel ändern, spä-
terhin findet Tacitus zwar germanische feldhestellung, doch frauen und
knechten überlassene; männer, wo sie nicht kriegen, pflegen nomadi-
scher ruhe fort, gartenbau und Obstzucht scheinen bald nachher erst
ihrem römischen nachbar die Deutschen abzulernen**. Den gemein-
samen, wechselnden ackergang, wie ihn schon Caesar den Sueven,
Iloratius den Gelen, Tacitus mehr im ganzen den Deutschen beilegt,
23 hat man eben als seine einfachste, unmittelbar für die gewohnheit der
hirten sich ergebende anwendung zu betrachten; noch unfest an die
schölle gebunden musten sie von selbst darauf verfallen ihren triften
jährliche frucht abzugewinnen, diesen ersten betrieb des ackers unter
hirten hat bis auf uns herab den markgenossen ein von althergebrach-
ter weidesitte ungern ablassender feldbau vergolten***, tiefe Wälder
nährten die angestammte lust, kein andres volle in Europa hat diese
uralte hirtengemeinschaft so lange festgehallen wie unsere markgenos-
sen, und erst allmälich legte der freie mann seine waffen ab. Auch
dasz die Germanen nur langsam städte gründeten, ihre häuser und faur-
v gen zerstreut, wo es ihnen auf der flur gefiel, anlegten, darf für nacli-
wirkung ihres festwurzelnden nomadensinnes gelten.
In andern Zügen, oft noch dauernder und zäher, läszl sie sich
bei Slaven und Finnen spüren, deren spräche später ausgebildet aus
der hirtenzeit jugendliche eindrücke treuer bewahrt.
Jene durch ganz Europa verbreitete, nach Asien zurückgreifende,
unter Deutschen episch erblühte, unter Slaven, Litthauern, Finnen noch
heute im volk wache thierfabel liefert uns hier überraschende belege,
der vorgeschritlnen bildung sagt die natürliche Unschuld dieser mythen
* noch die casus sancti Galli schildern uns hirten aus dem j. 913 so: raa-
gistri pastorum duo, homines utique silvestres, hirsuti et prolixis barbis, ut id
genus multum videri solet. Pertz 2, 85.
** die meisten obstfrüchte führen undeutsche namen, aber zu Karls des
groszen zeit waren sie schon jahrhunderte lang allgemein gültig; wie alt mögen
Ortsnamen sein, die von der Obstzucht herriihren, z. b. Pirapalzinga in Baiern
(Meichelb. no. 1077) vom impfen (pelzen, palzian) der birnreiser.
*** wie die markgenossen den umgrif des ackerbaus erschwerten, finden sich
noch heute im Bregenzerwald thäler, wo nur Viehzucht und sennerei getrieben
wird, kein getraide zu schauen ist. (drei sommer in Tirol von Ludwig Steub
s. 44.)
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
TTTTTTTTTTTTTrFT
HIRTEN
17
nicht mehr zu, und ihr reicht hin einen gedrungenen auszug für das
sittliche beispiel zu bewahren, aber zu welchen folgerungen berech-
tigt nicht, wenn Simsons angezündete Fuchsschwänze im kornfeld sich
auch bei Babrius, oder das auf Väinämöinens knie gelegte ei im Ae-
sop wiederfinden?
Ich hebe noch einiges aus den sprachen was mir zuerst im wald
unter hirten entsprossen scheint, nahe liegende benennungen einfacher
zustande, sie könnten jüngern Ursprung haben, weil das gemeine volk
immer die nalur beobachtet, doch ihre weite Verbreitung rälli an ihn24
tief rückwärts zu 'stellen.
Das jüngste kirul, den Griechen vrfmog, den Römern infans vom
mangel der rede geheiszen, nennt Ulfilas niuklahs, altn. nyklakinn,
nach dem im nest ausgeschlofnen jungen vogel. ich weisz nicht ob
das lat. pipio auf ein kind angewandt wurde, aber ralat. hiesz der
junge im nest überraschte sperber nidasius, woher das franz. allgemei-
ner gebrauchte niais, sp. niego stammt; noch poetischer klingt unser
gelbschnabel, und das franz. bejaune wird aus bec jaune erklärt, wo
es nicht zu beer, beare gehört, weil der junge vogel den Schnabel
sperrt, vgl. Ducange s. v. beanus. unsern volksmundarten steht eine
fülle lebhafter ausdrücke zu für das jüngste im nest hockende uner-
fahrne vöglein: nestling nestquak (das ist pipio) nestquaklein neslhocker
neslhöckerli nestblulter neslblütlling nestblütterli nestkitterle neslkuiter-
lein nestscheiszer (im pentamerone cacanidolo) nestkiken nestkükel nest-
batz. in englischen dialecten nestcock nestlecock nestchicken neslle-
bub nestletrip nestgulp nestledraft. die Polen sagen gniazdosz, die
Böhmen hnezdnjk*.
Uns reicht trächtig, dem Römer feta, praegnans, inciens (i'yxvog) 25
von allen thieren der herde aus, doch gilt ihm für die kuh horda oder
* ein neugebornes kind ist die freude der mutter, mey er munud fceddi,
delicias peperit = filium. Stern. 14913; maniger muoter froude — kind. Maria
209j 30; nie herzeliep mit kinde gewan: Maria 153, 15; thiu kinde nio ni fa-
gßta. 0. IV. 26, 36. noch heute heiszt unter dem volk erfreut werden: ein leben-
des kind gebären, keine freude bringen: ein todtes zur weit bringen, ungefreut:
todtgeboren (Schmeller 1, 599. 601. 4, 192. Stald. 2, 516.); nachfreude nach-
geburt (Schmid schwäb. id. 203.) In der aegypt. hieroglyphc drückt ein nest mit
jungen vögeln freude aus und koptisch bedeutet meh junge vögel, mih freude (ding-
bilder no. 437 bei Bunsen 1, 663.) ein minnesinger frolockt MS. 2, 91 a-
endclich daz herze min
wepfet in dem libe,
sam ez habe funden
ein nest vollc-z vögellin.
Hoch poetisch ist, dasz den Griechen der plural von eoarj und Sqooos die neu-
gebornen thiere bezeichnet: Sftoai Od. 9, 222. Sqoooi Aesch. Agam. 141, der
thau liegt noch auf ihnen wie auf frischen blumen. Sophocl. fragm. 962
xpanaXoiiyoi
fit]rtQss alyes r inifiaoriSiov
yovov oftraXixo.lv avacpaivoiev,
wozu man die von Dindorf beigebrachten stellen aus Eustathius nehme. rpdv.aXov
von fands, und der thau kann auch die lanugo an thieren oder fruchten sein,
finn. utu ros und pluma mollissima. '
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sfct ük' -4k . 4k\4iC,4)L 4JL. 4ic -
18 HIRTEN
forda vgl. hordicidia fordicidia. Die Slaven verfahren aber so, dasz
sie aus der praep. s und dem namen des jungen thiers ein eignes
wort für die tragende mutter bilden, russ. lieiszt die trächtige kuh
stute sau hündin stel’naja bereshaja suprosaja tschennaja, d. i. die mit
dem kalb telja, füllen sherebja, ferkel porosja gehende korova, kobliija,
svinja. ebenso böhm. stelnä, shrebnä, sprasnä, skotnä von tele liijbe
prase kote. Der Litthauer fügt dem namen des jungen die endung
-inga hinzu und bezeichnet damit das trächtige Weibchen: werszinga
karwe, parszinga kiaule, eringa awis, kummelinga von werszis kalb,
parszas ferkel, eris lamm, kummelis füllen. Auf ähnliche weise wird
mit dem namen des jungen thiers auch das werfen desselben bezeich-
net, wir sagen: die stute fohlt, die kuh kalbt, das schaf lammt, die
geisz zickelt, die sau frischt (von lrisching frischling), die hündin weift
(mhd. erwirfet daz weif); nicht anders lieiszt es franz. la chkvre che-
vrote, la brebis agnele, la truie porcöle, la louve louvete; bei Marie
de France 2, 86 lisse qui vuleit chaeler (von chaiax weif), bei Meon
2, 347 truies qui essouent (von soue ferkel). das ags. eanian, engl,
yean lammen setzt einen namen des lamms voraus, der von eov ovis
abweicht. Auch in den slav. sprachen geschieht dasselbe, z. b. böhm.
gilt von der kuh oteliti se, von der stute ohfebiti se, von der sau
oprasiti se, von der katze okotiti se. unsrer heutigen spräche klin-
gen solche verba gemein, wir sagen lieber: junge werfen, die Fran-
zosen: mettre bas.
26 Für das schlachten der tliiere, weil es nicht auf gleiche weise
bewerkstelligt wurde, galten wiederum verschiedne Wörter. Luc. 15,
23 verdeutscht Ulfilas rou /noo/ov &vGare stiur ufsneijiili, und 15, 27
nochmals td-vatv ufsnaiji, die vulg. hat für d"6tiv occidere, ufsneijian
ist mehr suecidere; Joh. 10, 10 wiederum ufsneijiai für &vcnj, vulg.
mactet, vom dieb der die schafe schlachtet, ich finde noch im 16 jh.
cein lamb mustu auch schneiden ab’, wie es nhd. lieiszt ein liuhn
abschneiden, gemeint wird das durchschneiden der kehle, gleichviel
nhd. abthun, mhd. abnemen, Berthold 47. weisth. 1, 313. Sclimid,
schwäb. id. 405. nhd. das schwein stechen, abstechen, ahd. arslahän
mactare, mhd. ein swin slahen Ls. 1, 285; vihe slalien, nhd. einen
ochsen schlagen, mhd. ein chalp bestroufen, zwei cliitzi bestroufen,
Diut. 3, 65. 7 3, eigentlich die haut abziehen, abstreifen? ahd. wurgan
mactare Diut. 1, 260b würgen, strangulare. ältn. skera mactare: Thorr
skar liafra Sn. 49, schor, schnitt den bocken das haupt ab. mhd.
den wolf klüb^n? fragm. 14b; lüben knüllen MS. 2, 192a; hüner
pflücken (rupfen) Fichards arch. 3, 318; zerbrechen als ein huon,
Eracl. 5482; den visch veilen Greg. 3054; nhd. ist fällen erlegen pro-
sternere. Den Böhmen lieiszt poräzeti wola den ochsen schlachten,
zaklati prase das schwein stechen, zabiti obet das opfer schlachten,
zabili gelena den hirscli fällen. Am reichsten scheint hier die litth.
£>otiaA_\5)T sprachejT vom stier gilt pamuszti, vom schwein skersti, vom schaf pa-
pjauti, von der gans pjauti, vom widder smaugli, und diese Wörter
haben entweder den sinn des stoszens, steebens oder erdrosselns.
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HIRTEN 19
Wahrscheinlich stammen solche unterschiede schon aus der zeit der
opfer und das alte blötan, pluozan sacrificare war ursprünglich mactare.
Dem sterbenden thier misgönnt unsre heutige Volkssprache den
gemeinen ausdruck* und braucht verächtlich entweder crepieren ber-
sten, nach dem ital. crepare, franz. crever, oder darauf gehn (engl. go27
off) abstehn (vom fisch) und verrecken, gleichsam die glieder strecken,
erstarren; edler die jäger vom hirsch und wild: verenden, mhd. gilt
sterben und tot ligen auch vom thier. von der geisz die schweizeri-
sche mundart: sie vergagert, vergibelt Stald. 1, 413. 442; verzwatzeln
heiszt sich todt zappeln**, böhm. pokapati, pozcypati verrecken, vom
hund zcypnauti, zcepeneti, vom schaf zkapati, zkapnauti. litlli. nusr
tipti erstarren, gaiszti iszgaiszti verderben, iszdwesti, padwesli. lett.
sprahgt, nosprahgt bersten.
Aus der alpenhirtensprache würde sich diese samlung erweitern
lassen und viel anderes wäre auszerdem erwägenswerlh, eigennamen
die der hirt seinem hund oder rinde, der held seinem pferde beilegt,
rufe des lockens, scheuchens, antreibens, zurückhaltens, wie sie sich
ohne zweifei in hohes alterthum verlieren, von noch grüszerem ge-
wicht für den Sprachforscher wird die allgemeine unter den urver-
wandten Völkern umgehende benennung dieser thiere sein.
* goth. divan und dau})nan, altn. deyja; goth. sviltan, alts. sueltan, ahd. ster-
pan, nhd. sterben; goth. usanan =,exspirare, ausatlimen, spiritum effundere,
ebullire animam.
** sehr eigen heiszt den Basken die lebendige ziege auntza, die todte auntzquia.
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28 Was gezähmt zur weide getrieben wird heiszt vieh, im gegen-
satz zu dem wilden ungebändigten thier. beide ausdrtlcke erstrecken
sich durch die sprachen: golh. faihu, ahd. fihu, alts. fehu, ags. feoh,
altn. fö, schwed. fä, nnl. vee, nhd. vieh, lat. pecu, preusz. pecku, gr.
möv fiir 7ioxv ntxv, zend und skr. pasu. litth. ist übrig piemü, dem
gr. 7ioi[.irjv entsprechend, den begrif pecus drückt aber galwijas aus
von galwa caput, wie capitale, engl, cattle und unser bestehaupt,
ßoiou YMQr\va. pecunia, faihu fihu feoh, des hirten vornehmste habe,
peculium, YTijvog, bezeichnen zugleich das älteste tauschmittel, geld.
das sl. wort für vieh lautet skot und scheint entweder umgekehrt aus
goth. skatts, altn. skattr, ags. sceat, ahd. scaz, nhd. schätz entsprun-
gen, welche bereits gehl bedeuten, oder es bewahrt den sinnlichen
begrif, den jene deutschen Wörter fahren lieszen; doch auch fries. sket
drückt vieh und geld aus, und mhd. werden Cscaz und vihe5 verbun-
den Diut. 3, 87. man erwäge lat. opes und ovis, wobei opilio für
ovilio vermittelt und hernach beim pferd maijuns und mädm.
Unser thier, goth. dius, ags. deor, engl, deer, altn. dyr, nnl. dier,
ahd. tior, mhd. tier ist sichtbar das gr. &riQ, \H]qiov, aeol. (ptjQ, lat.
fera (vgl. ferus wild), sl. zvjer, böhm. zwer zwjre, poln. zwierz, litth.
£weris, lett. swehrs, pr. swiris; fiir den Übergang des 0 in ZV ver-
29 gleiche man skr. dhvan sonare, ags. ftunor, ahd. donar, sl. zvon, litth.
zwanas sonus sonitus und das S dieser lat. Wörter neben tonitru. das.
thier ist der jäger vieh, das vieh der hirten thier.
Vieh weiden hiesz goth. haldan, ahd. lialtan (0. V. 20, 32. k.
12, 1) mhd. halten (Griesh. pred. 1, 10. fundgr. 2, 90. Helbl. 8,
524) tenere, custodire, in gewahrsam halten, und ganz ähnlich ent-
springt gr. vt/iieiy weiden aus der bedeutung habere, lenere, sortiri
= goth. niman, ahd. neman capere, tenere; vo^ir; ist weide, Weide-
platz wie captura praeda und mlat. locus praedae = ahd. bifang, lat.
nemus wähl und weide, alts. nimid (mythol. s. 614.) golh. vinja vojxrn
ahd. winön pascere, mhd. wünne paseuum, eigentlich gaudium, volup-
tas, aus der wonne des weidens, den lachenden wiesen zu deu-
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A----
VIEH
21
auch vinja und winen darf ich zu venari ziehen, dessen langer
lf dem wege des ablauts leicht vermittelt wäre. ahd. weida
pabulum, venatio, ags. väde vagatio (weil die nomaden schwei-
h. veidi captura venatio, veida venari, schwed. veda venari. altn.
|scere, schwed. beta, dän. bede, mhd. beizen, das vieh fressen
und jagen; schwed. gä i bet pastum agere , gä i vall auf die
lehn, von vall, altn. vallr campus. lat. pascere, gr. ßooxtiv
] in lat. bibere und meiv, sl. piti) sl. pasti.
Ir pastor, vo/iitvg, ßooxcov, goth. hairdeis, ahd. hirdi, altn. hir-
Inl. herder, von hairda lierta hiörd grex geleitet, wahrschein-
jvandt mit goth. huzd opes, thesaurus, ahd. hört, altn. hoddr
lat. custos, custodia; doch bleibt auch ahd. chortar grex, ags.
| mhd. korder zu berücksichtigen, sehr bezeichnend ags. dräf,
jove, was getrieben wird, Viehherde* **.
hauptthiere der herde müssen erwogen werden.
|? pferd läszt sich goth. aihvus, ahd. ihu mutmaszen, die alts. 30
tet ehu, altn. ior, lat. equus, gr. 'innog für Yy.xog, ir. each,
|>sw, skr. asvas, zend. aspa, litth. aszwa, mnog zu deuten aus
doch mahnen auch finn. hepo gen. hevon, est. hobbo, fries.
chw. hoppa, dän. hoppe, engl, hoppy, falls letztere nicht aus
jlüpfen, vom zeltenden gang des rosses. Ahd. hen-
. liengest, altn. mit ausgestosznem N heslr, wie es scheint,
jkon’, böhm. kün, poln. kon, litth. kuinas verwandt, deren
Schwierig bleibt, merkwürdig steht im altruss. Igor stets ko-
kon’, und so galt altböhm. komoii für equus, fnoch heute f-wo/l'eYvjev^.
hedeület den Böhmen komonstwo, den Polen komonnik comitatus equi-
tum, wobei nicht an die Kumaner, eher an mlat. communia cohors,
exercitus zu denken ist, wiewol ich kein communis für gemeines schlech-
tes pferd finde; aber kon’ war schon altslavisch und kon’ aus komon’
ist stark gekürzt. Miklosich will kürzen aus kobn’ (woher leicht komn)
und vergleicht kohyla slute, kobyla aber fügt sich zu caballus, y.ußuX-
h]g, die ursprünglich verschnittnes pferd (vgl. xuvd-rßaog saumesel)
bedeuten sollen, im roman. cavallo, franz. clieval, ir. caball allgemeine
bedeutung gewinnen. Ags. vicg, alts. wigg, altn. vigg Sa;m.
233a zumal streitros, vgl. gal. oigeach, ir. aigeach, die auch an equus
rühren. Ags. mädm, wie goth. maijmis cimelium donum,
episch aber oft mit mear verknüpft (meara and mädma (Beov. 4327.
exon. 475, 7. mearum and mädmum Beov. 2089. 2792. exon. 339, 2),
so dasz pferd des worts ursprünglicher sinn sein könnte, zumal mhd.
meiden genau nur ihn behielt; leicht nahm das hauptstück des heer-
gerätes jene abstraction an. Mlat. warannio, ahd. reinneo,
reinno, alts. wrenno, mnd. wrene admissarius, nnl. ruin castratus
* der birt freut sich seiner herde, wie die mutter des neugebornen kinds
(s. 24); sp. ganado herde und glück, vermögen.
** für einzelne thierarten noch besondere namen der herde: sonesti, sunor,
stuot, sueiga, avöjn, ouwiti, vrilius, vräd u. s. w. (gramm. 3, 475.)
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DAS VIEH.
28 Was gezähmt zur weide getrieben wird heiszt vieh
satz zu dem wilden ungebändigten thier. beide ausdrüek
sich durch die sprachen: golh. faihu, ahd. fihu, alts. fehl
altn. ft, schwed. fä, nnl. vee, nlul. vieh, lat. pecu, p
nwv für noxv ntxv, zend und skr. pasu. litth. ist üb
gr. noi[.irjv entsprechend, den begrif pecus drückt aber
von galvva caput, wie capitale, engl, cattle und u
ßoüu y.uqr}va. pecunia, faihu fihu feoh, des hirlen vorn
peculium, xrrjvog, bezeichnen zugleich das älteste tauscHmilÜfi, gehl,
das sl. wort für vieh lautet skot und scheint entweder umgekehrt aus
goth. skatls, altn. skattr, ags. sceat, ahd. scaz, nlul. schätz entsprun-
gen, welche bereits gehl bedeuten, oder es bewahrt den sinnlichen
begrif, den jene deutschen Wörter fahren lieszen; doch auch fries. sket
drückt vieh und geld aus, und mhd. werden Cscaz und vihe5 verbun-
den Diut. 3, 87. man erwäge lat. opes und ovis, wobei opilio für
ovilio vermittelt und hernach beim pferd maijjms und mädm.
Unser thier, goth. dius, ags. deor, engl, deer, altn. dyr, nnl. dierr
ahd. tior, mhd. lier ist sichtbar das gr. \hr]Q, \h]Qiov, aeol. (prjQ, lat.
fera (vgl. ferus wild), sl. zvjer, böhm. zwei- zwjre, poln. zwierz, litth.
£weris, lett. swehrs, pr. swiris; für den Übergang des 0 in ZV ver-
29 gleiche man skr. dhvan sonare, ags. jmnor, ahd. donar, sl. zvon, litth.
zwanas sonus sonitus und das S dieser lat. Wörter neben tonitru. das
thier ist der jäger vieh, das vieh der hirten thier.
Vieh weiden liiesz golh. haldan, ahd. haltan (0. V. 20, 32. k.
12, 1) mhd. halten (Griesh. pred. 1, 10. fundgr. 2, 90. Helbl. 8,
524) tenere, custodire, in gewahrsam halten, und ganz ähnlich ent-
springt gr. vt[.i£iv weiden aus der bedeutung habere, lenere, sortiri
==> goth. niman, ahd. neman capere, tenere; vo^ir] ist weide, Weide-
platz wie captura praeda und mlat. locus praedae = ahd. bifang, lat.
nemus wald und weide, alts. nimid (mythol. s. 614.) goth. vinja vOf.irn
ahd. winön pascere, mhd. wünne paseuum, eigentlich gaudium, volup-
tas, aus der wonne des weidens, den lachenden wiesen zu deu-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
a a"a m'AaAAA r
VIEH
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len?* • auch vinja und winön darf ich zu venari ziehen, dessen langer
vocal auf dem wege des ablauts leicht vermittelt wäre. ahd. weida
pascuum, pabulum, venatio, ags. väde vagatio (weil die nomaden schwei-
fen) alln. veidi captura venatio, veida venari, schwed. veda venari. altn.
beita pascere, schwed. beta, dän. bede, mhd. beizen, das vieh fressen
machen und jagen; schwed. gä i bet pastum agere , gä i vall auf die
weide »gehn, von vall, altn. vallr campus. lat. pascere, gr. ßooxtiv
(B wie in lat. bibere und mav, sl. piti) sl. pasti.
Für pastor, vo/uevg, ßooxcov, goth. hairdeis, ahd. hirdi, altn. hir—
dingi, nnl. herder, von hairda herta hiörd grex geleitet, wahrschein-
lich verwandt mit goth. huzd opes, thesaurus, ahd. hört, altn. hoddr
und mit lat. custos, custodia; doch bleibt auch ahd. chorlar grex, ags.
corder, mhd. korder zu berücksichtigen, sehr bezeichnend ags. dräf,
engl, drove, was getrieben wird, Viehherde**.
Die hauptthiere der herde müssen erwogen werden.
Für pferd läszt sich goth. aihvus, ahd. ihu mutmaszen, die alts. 30
form lautet ehu, altn. ior, lat. equus, gr. "mnog für l'xxog, ir. eacli,
welsch osw, skr. asvas, zend. aspa, littli. aszwa, 'Innog zu deuten aus
l'onog? doch mahnen auch finn. hepo gen. hevon, est. liobbo, fries.
hoppa, sclnv. hoppa, dän. hoppe, engl, hoppy, falls letztere nicht aus
hoppe, hüpfen, vom zeltenden gang des rosses. Ahd. hen-
gist, ags. hengest, altn. mit ausgestosznem N heslr, wie es scheint,
dem sl. kon’, böhm. kun, poln. kon, lilth. kuinas verwandt, deren
abkunft schwierig bleibt, merkwürdig steht im allruss. Igor stets ko-
moni für kon’, und so galt altböhm. komon für equus, fnoch heute [^to^-ev
bedeutet den Böhmen komonstwTo, den Polen komonnik comitatus equi-
tum, wobei nicht an die Kumancr, eher an mlat. communia cohors,
exercitus zu denken ist, wiewol ich kein communis für gemeines schlech-
tes pferd finde; aber kon’ war schon altslavisch und kon’ aus komon’
ist stark gekürzt. Miklosich will kürzen aus kobn’ (woher leicht komn)
und vergleicht kobyla Stute, kobyla aber fügt sich zu caballus, xaßuX-
bjg, die ursprünglich verschnittnes pferd (vgl. xavd-i'ßuog saumesel)
bedeuten sollen, im roman. cavallo, franz. cheval, ir. caball allgemeine
bedeutung gewinnen. Ags. vieg, alts. wigg, alln. vigg Saem.
233a zumal slreitros, vgl. gal. oigeach, ir. aigeach, die auch an equus
rühren. Ags. mädm, wie goth. maijnns cimelium donum,
episch aber oft mit mear verknüpft (meara and mädma (Beov. 4327.
exon. 475, 7. mearum and mädmum Beov. 2089. 2792. exon. 339, 2),
so dasz pferd des Worts ursprünglicher sinn sein könnte, zumal mhd.
meiden genau nur ihn behielt; leicht nahm das hauptstück des heer-
gerätes jene abstraction an. Mlat. warannio, ahd. reinneo,
reinno, alts. wrenno, mnd. wrene admissarius, nnl. ruin castratus
* der liirt freut sich seiner herde, wie die mutter des neugebornen kinds
(s. 24); sp. ganado herde und glück, vermögen.
** für einzelne thierarten noch besondere namen der herde: sonesti, sunor,
stuot, sueiga, avepi, ouwiti, vrijms, vräd u. s. w. (gramm. 3, 475.)
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VIEH
equus, vgl. ags. vrsene lascivus. ahd. scelo admissarius, nhd. beschä-
ler; da jedoch scelo zugleich onager und tragelaphus ausdrückt, in
einer urk. von 943 elo und schelo gerade zusammenstehn wie Nil).
880 eich und schelch, eich und elo alter den ahn. elgr, die lat. alce,
gr. uXy.7] meinen; so mulmasze ich, dasz im hohen alterthum auch
31 wreineo rcineo das rennlhier bezeiclmeten, dem lat. rheno gleichka-
men und erst später aufs pferd angewandt wurden. Ahd. hros^ ags.
hors, altn. hros, nhd. ros für alle geschlechter; man vergleicht skr.
hrfish hinnire; wie wenn lat. Cursor in betracht käme? Kelt.
marka (Pausan. X. 19, 4) ir. marc, welsch marfch, ags. mear, altn.
marr, ahd. marah equus, mericha equa; nhd. mähre; abliegt der mhd.
pl. moere, dessen sg. mör fordert und schwarzes pferd bedeutet, nhd.
mohr, rappe (rabenschwarzes) vgl. ags. blonca, blankes pferd, Schim-
mel. Nhd. pfage, westf. page equus, pagenstecher, der ein pferd er-
sticht. Lat. veredus, paravercdus, mlat. parafredus paredrus
paledrus, franz. palefroi, ahd. parefrit, parvrit, pherit (wie Sigfrit
Sigurd, Sivert), mhd. pfärit, nhd. pferd, nnl. paard, serb. parit.
Litlh. arklys equus scheint unnomadisch, erst aus der ackerzeit, offen-
bar das pflügende pferd, von arklas aratrum, gerade wie ir. ardhamh
den pflügenden ochsen bezeichnet. Bask. zaldia equus, zal-
duna eques, vgl. ahd. zeltari equus tolutarius, nhd. zelter, ags. teal-
tian, altn. tölla lolutim incedere. Bask. heorra equa, span,
burro asinus. altn. tia equa, ir. lair equa, finn. tamma- equa.
möXog, lat. pullus, goth. fula, ahd. folo, ags. fola, altn. foli,
schwed. fäle, it. puledro, span, pollino, franz. poulain, ursprünglich
allgemein junges hausthier, sp. pollino vorzugsweise eselsfüllen.
Sl. shrebja, russ. sherebja, poln. zriehe, bölim. hrjbe. Litlh.
kummelukas, etwa jenem sl. komon’ verwandt, oder darf an gromcl
grömlein bei Fischarl und Keisersberg gedacht werden?
Allgemein bezeichnet wird jumentum (jugmentum, das jochthier)
durch ahd. hrind, nhd. rind, nnl. rund, ags. hridcr hrydcr und ahd.
nöz, ags. neät, altn. naut, schwed. not, woher finn. nauta entlehnt,
epicoena sind ßovg und bos, doch it. hove, sp. buey, franz. hoeuf,
allsl. poln. byk, böhm. bvk beyk anfs masc. eingeschränkt* ir. ho (gen.
boin, dat. pl. buaibh — lat. bobus) aufs fein. Nur das
männliche rind bezeichnen goth. auhsa und aulisus, ahd. oliso, mhd.
ohse, ags. oxa, nnl. os^>cl. ossen, altn. oxi, lapp, wuoksa (norw.
32 lapp, uafsa), wozu skr. ujtan und vaksäs für bos und equus stimmen,
von der wurzel vah vehere? gal. agh, welsch ych. Goth. sliur fioo/og,
ahd. stior juvencus taurus, nhd. stier, ags. steor juvencus, engl, steer,
skr. slhaurin sthörin, zend. staora lastthier, woraus gr. ravQog, lat.
taurus, it. toro, altn. jnor, schwed. tjur. dän. lyr, sl. tour, böhm.
tur, die aphaeresis wie zwischen goth. stairno, skr. tärä, gr. Of.uy.Qog
und fuy.Qog, ahd. smal und sl. mal’; bei sliur scheint stiurs firmus,
ahd. stiuri forlis nah. altn. larfr weicht im anlaut von {nor und scheint
geborgt aus ir. tarbh, welsch taru, tarw, armor. laro, die sich wieder
an taurus schlieszen.
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» A A i
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23
Altn. boli bauli, ags. bulluca, engl, bullock, nhd. bulle, ir. bolog
bolan, litth. bullus, sl. vol”, böhm. wole, poln. vvol. Ahd. far taurus
pl. farri, mhd. var, ags. fear gen. fearres, scheint entspringend aus
fars fears, nach fersa vacca, gr. 7royytg nöqxig juvcnca, lett. wehrsis
bos. altn. grädüngr taurus, vgl. grädr admissarius. litth.
jautis bos zu jungas joch gehörend. flnn. härkä, est. liärg bos, das
lapp, herke aber renntbier, des rindes ersatz. ir. damb, damhan bos.
bask. idia bos, welsch eidon*.
i] ßovg, ahd. chuo pl. chuowi, mhd. kuo pl. luieje, nhd. kuh,
ags. eil pl. cy, engl, cow pl. kine, altn. kü pl. kyr, nach Columella
6, 24 auf den alpen cevae für vaccae, skr. gaus, acc. gäm, pl. gä-
vas, zend. gaus, lett. gohws, übrig in sl. govjado herde rinderherde,
böhm. howado, serb. govedar bubulcus, vielleicht in yulu ydXaxxoq
für yu-laxTog, wie Kuhn aufstellt, der auch in gaus, ßovg dieselbe
Wurzel annimmt, wozu gävas, chuowi, cevas und boves passen; einer
merkwürdigen analogie zwischen gaus und yrj terra ist myth. 631 ge-
dacht. Ags. heahfore heafore vaccula, engl, heifer. Sl. krava,
russ. korova, poln. krowa, litth. karwe; das preusz. kurwa bedeutet
ochs. Lat. it. vacca, sp. vaca, franz. vache, skr. vaska. 33 Vacca
Ir. bol vacca, zu bol ochs gehörig; ir. fearb; finn. lehmä, est. lehm; cuiA vac^o.
bask. beia vacca, beigaya vitulus.
goth. kalbö Ödf.iahg juvenca, ir. colpa vacca, colpach juvencus,
ahd. chalp vitulus, nhd. kalb, ags. cealf, altn. kälfr, wahrscheinlich
sl. krawa, litth. karwa, mit Wechsel des L und R, dasselbe wort.
Altn. qvigr vitulus, qviga junix, verwandt mit qius vivus, wie junix
juvencus juvenis, lat. ^itulus für cvitulus, gr. ha\ög, it. vitello, franz.
veau; sl. tele, russ. telja, i>oln. ciele, litth. tellyczia, lett. telscli, viel-
leicht mit aphaeresis des anlautenden vocals für itele?** Gr. (.16-
ayog, vgl. kopt. mes kalb und skr. vaska kuh, finn. wasikka, est. was-
sikas kalb. Ir. gabhuin, gambuin und laogh, welsch Ho.
sp. ternero.
Ilqößarov ist ein dichterisches wort, und bezeichnet das vor-
schreitende vich der herde insgemein, wird aber allmälich auf schafe
eingeschränkt, auch f.ifjXov gilt für das sclimalvieh überhaupt und für
schaf insonderheit, altn. smali pecus, smalamadr opilio, vgl. smal par-
vus; man denkt dabei an [xaXlog wolle. ebenso bedeutet
unser sebaf das lliier ohne unterschied des geschlechts: ahd. scäf,
alts. sciep, ags. sceap, engl, sheep, nnl. schaap, fries. skep, doch
den nord. mundarten fehlt das wort, die dafür das allen jenen abgeh-
ende altn. faer, schwed. fär, dän. faar besitzen, dies fser scheint mir
sowol ßÜQu pecora, ßaQtiov ovis bei llesych, als das poln. baran,
böhm. heran, litth. baronas fürs männliche schaf, ungr. baranyagnus;
■ * bezug aufs opfer hat das altlat. ambegnus, ambiegnus: ambegni bos et
vervex appellabantur, cum ad eorum utraque latera agni in sacrificium duceban-
tur. Festus.
** der neapol. dialect setzt Talia Taleja für Italia.
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altn. ahd. F entspricht öfter slavischem B: flö pulex sl. blocha, furt
vadum, sl. brod. welsch davad ovis.
Unser ausdruck für aries ist goth. vijirus, ahd. widar, rahd. wider,
nhd. widder, alts. wethar, ags. veder, engl, wether, nnl. wedder,
altn. vedr, dän. vädder, schwed. väder. Ilesych gewährt tfXgig, ro/uiug
xQiog, vielleicht Yd-gtg zu bessern, auch widder bezeichnet uns den
verschnittnen, wie umgekehrt hamal mutilus das verschnittne thier, den
hammel. aus mutilus it. moltone, franz. mouton, prov. molto, mouto,
34 widder und schaf. Beim lat. aries kommt viel in betracht: gr.
aQvog, was u^q/jv, uqoi]v männliches thier sein soll, i'ögaog l'^ug
aries oder aper, altlat. arviga hei Varro 5, 98, harviga bei Festus,
Ilesych hat u.Qi%a, ajjQtv nQoßarov, ferner bask. aria aries, neben
ardia ovis, finn. jäärä, est. jäär aries, endlich skr. uraiia urabhra ovis,
von ura lana geleitet — laniger wie /uijXot' von /laXXog, doch kaum
fallen alle dieser Wurzel zu. ahd. mhd. ram, rammes aries,
vervex, ags. ram rammes, nnl. ram pl. rammen, woher ahd. rammi-
lön, nhd. rammeln coire; steht nun ram für aram, wie qi)v für aqrjv’l
gr. xgiog, vielleicht verwandt mit altn. hrütr? oder näher mit ir. caor
pl. caoire ovis? noch besser sein wird an xtQag zu denken, da auch
altn. hyrningr cornutus den aries bedeutet. altn. for aries,
gregis obambulo, vgl. fär ovis. altn. saudr vervex, altschwed.
söd; das goth. sau[»s bedeutet &vo/a, wie harviga bei Festus hostia*
oder ahd. friscing vietima, merkwürdig auch die einstimmung des lap-
pischen sauz, sautsa ovis. lat. ambidens und bidens ovis bima, quae
duos habet dentes, apta ad sacrificium. gr. a/tivog vervex,
altsl. oven, litlh. awinis, lett. awens, auns, finn. est. oinas, sämtlich
verwandt mit ovis. lat. vervex, il. berhice, mlat. berbix, gl.
cass. pirpix, berbica ovis, prov. berbitz, franz. brebis und berger opi-
lio, herhicarins. höhm. skop, skopec, woher unser scliöps,
das verschnittne thier, sl. skop’tz eunuchus, von kopiti, skopiti evi-
rare, womit jenes deutsche schaf, skap zu vergleichen. schwed.
gumse aries, vervex. dän. bede vervex, westgöll. haitaväre, von heta
verberare, percutere, evirare. franz. belier der blockende'
von beler balare. span, carnero.
oig und ovis sind epicoena, litth. awis, lett. aws, skr. avis,
altn. ä, ags. eovu, nnl. ooi, ahd. ou ouwi gehn aufs Weibchen, ich
vermute goth. aus avais. sl. ovtza n^oßarov, böhm. owce,
poln. owca, finn. uuhi ovis femina, lett. aita ovis. gr. qi]v
35 QTjvog für u^rjv oder mit rheno verwandt? ahd. chilpurra agna,
Schweiz, bair. kilbe ovis, kilber aries, an kalb mahnend. schwed.
takka 'ovis femina, litth. tekis, lett. tekkis aries.
Das junge säugende schaf goth. lainb, ahd. lamp, ags. engl, lainb,
altn. lamb, nnl. lam, nhd. lamm, finn. lammas gen. lampaan ovis,
lampari opilio, welsch llamp agnus, gal. luan. ags. cilforlamb
nach jenem chilpurra. gr. uquiov, so wie uQveg oft allgemein
* für harviga auch liaruga, wovon haruspex, qui exta victimarum inspicit.
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7\ ' A ä A Tn ’Ä A Ä A A A A A A a A A
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lämmer, litth. eris, lett. jehrs, jenes fmn. jäiirä, bask. aria und lat.
aries. lat. agnus, sl. iagnja, böhm. gehne, ir. uan, uaghn,
uaghan, welsch oen, pl. vuan. altn. gimbill agnus, gimbla,
gimbur agna, dän. gimmer. Schweiz, und bair. spetti, spettl
(weisth. 1, 5. Schm. 3, 581.)
Vir gregis ipse caper (sp. cabron), was mit d^qrjv zusammen-
stimmt, ags. häfer, altn. hafr genau dem caper gleich, ein ahd. hapar
habar zu erwarten, und noch übrig in habermalch bocksbart (vocab.
1482), habergeisz, dem namen einer eule oder eines insects (Schm.
2, 137.) lat. hircus, hirquus, den Sabinern fircus. gr.
rQuyog und yi'/nugog, den Lakonen hiesz der leilbock tirvQog.
litth. o£ys, lett. ahsis. böhm. kozel, poln. koziol, serh. jaratz.
mlat. buccus, prov. boc, sp. boque, franz. bouc, it. becco, ahd. pocch,
nhd. bock, ags. bucca, altn. bokki, dän. buk, ir. poc, welsch hwch,
finn. pukki, putti. fmn. kauris caper, vgl. ir. caor ovis.
est. sic. bask. aquerra. Im Reineke heiszt der ziegen-
bock Hermen und noch heute in Niedersachsen, Westfalen, Hessen:
Harm, Herrn, Hirm, bei Fischart: Hermanstosznicht. Thors böcke aber
führen Sn. 26. die dichterischen namen tanngnioslr und tanngrisnir
d. i. dente frendens (von gnista stridere dentibus, ahd. criscrimmön)
weil er beim fressen knirscht (also auch wieder hidens), während Zick-
lein und ferkel noch nicht knirschen, d. i. nefrendes sind, keine har-
ten früchte zermalmen können.
Das Weibchen gr. uiS, gen. aiyog von ataoio salto salio? ir. aighe,
skr. dschä, litth. osza. goth. gaitsa, ahd. keiz, ags. gät, engl,
goat, nnl. geit, altn. geit, schwed. get, dän. ged , ir. cadhla, schwäb. 36
und bair. hettel*, fmn. kuttu kitti est. kits, alban. xtrKi, vgl. her-
nach hoedus. lat. capra capella, sp. cabra, franz. chövre. ir.
gabhar, cabhar, welsch gavyr, geivyr, armor. gavr. sl. koza
(vgl. kozel) lett. kasa. gr. yi'/.iuiQu vgl. ylf.iu.Qog. ir. seagha.
fmn. wuohi, wuohinen. bask. auntza.
Das junge lat. hoedus, haedus, sab. fedus, goth. gaitei, ahd. kiz,
chitzi, nhd. kitz, altn. kid. ahd. zigä capella, zikkin hoedus,
ags. ticcen, nhd. zicklein. ' gr. tgupog, egicpi], egi'cpiov.
serb. jarad collectiv zicklein.
2vg und vg, wie lat. sus, sind epicoena; auch die deutschen
neutra goth. svein, altn. svin, ahd. suin, nhd. schwein, russ. svinja,
böhm. swine, poln. swinia gehn auf alle geschlechter.
Dem lat. aper entspricht ahd. epar, ags. eofor, altn. iöfur (hehl),
nhd. eher, bezeichnet aber vorzugsweise den wilden; gr. xungog —
lat. caper, übergehend auf den bock. sl. vepr aper, böhm. wepf,
poln. wieprz, lett. wepris, verschniltner eher. Ahd. per verres,
ags. bär, engl, boar, mhd. hör, die goth. form wäre bais. nieder-
rhein. beir, beier in einer urk. von 1201 bei Lacomblet 2, 1.
lat. verres, skr. varäha, dem ahd. varah = farah unverwandt, und
SKV.
\joM-cl
* In Hessen und der Wetterau ruft man der ziege liitz! hetz!
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VIEH
VS'fTV.6
O^XSL-<1bh>
(tn.
wiederum andrer wurzel ahd. paruh, parh majalis caslratus, nhd.
barch horch, ags. bearuh hearh, engl, harrow. wegen fol, ful,
urful vgl. mythol. s. 948. altn. |>rändr aper, wiederum der
wilde, der auch sonst bassi, diin. hasse heiszt, was jenem hais be-
gegnen könnte,, vgl. nhd. watz in volksdialecten nhd hagk, haksch
verres, welsch hwch sus. altn. göltr verres, schwed. dän. galt,
zumal der versclinittne. böhm. kanec verres. serb. krmac por-
cus, krmatscha porca. litth. kuilys, lett. kuilis verres vgl. nhd. keu-
ler aper. das poln. odyniec soll hauer, kämpfer ausdrücken,
wir nennen des ebers zahne hauer und ihn das hauende thier.
finn. oro, oras, orrikas verres exseclus, woher vielleicht dän. orne
verres.
37 Ahd. sü scrofa, nhd. sau, ags. sugu, engl, sow, schwed. dän.
so. altn. syr neutrum (R — lat. S in susj. finn. sika, est. sigga,
skr. sükara, koptisch saau. ahd. galza sucula, ags. gille, schwed.
gyllä, vgl. göltr aper, litth. kiaule. gr. ygo/iKpug, ygo/ucpig, die
wühlende, was lat. scrofa. lat. troja, it. troja, franz. truie,
prov. trueja*. ir. muc, welsch- moch, mochyn, nhd. mucke,
nhd. ränge, ranze scbweinmutler, wie der eher schweinvater. ir.
crain sus fern.
Ahd. farah, varah porcus, farheli porcellus, mhd. varch, nhd. fer-
kel, ags. fearh, die lat. ausdrücke sind dasselbe wort, nach Varro
war auch noyxog allgriechisch, litth. parszas, parszelis, finn. porsas,
lett. pörsas, syriän. pors, wogul. boros, russ. porosja, poln. prosie,
böhm. prase; vielleicht sind auch ahd. friscing, nhd. Frischling dieser
verbreiteten wurzel. Lye hat die ags. Wörter für und förn por-
cus, porcasler, wodurch altn. förn victima (wie friscing) anfschlusz
empfängt, schon der lange vocal gebietet sie vom vorigen wort zu
sondern. Altn. gris, schwed. dän. gris porcellus, vgl. skr.
ghri||i, wühlender eher; unfern scheint gr. yoTgog porcus, porcellus,
bask. cherria, charria porcus, vgl. litth. szernas aper, czernukas Frisch-
ling. lat. nefrens, porcellus nondum frendens. gr.
dthfu'S, porcus, wozu dtlqtg delphinus, meerschwein. sp.
cochino porcus, franz. cochon. sp. lechon Spanferkel, von leche
milch. finn. naski porcus. nnl. big, bigge porcellus,
engl. pig. mlat. baco bacco bacho bedeuten porcus saginalus et salitus,
dann perna, pctaso, allfranz. bacon, ahd. pacho (GrafF 3, 29); unsre
jäger nennen die wilde sau bache, den wildeber baclier, becker.
Das treue, wagen und herde bewachende thier, der lex Bajuv.
19 hovawart, qui curlem domini defendit, nach dem Sp. 3, hl liove-
warl, ebenso den mhd. dichtem (MS. 2, 146 b) unsern jägern gesell-
mann geheiszen, hat einen fast durch alle verwandten sprachen laufen-
den namen, doch so, dasz vor der ahvveichung die gleichheit oft zu
38 schwinden scheint, skr. svjl gen. sutias, zend. spä acc. spänem, litth.
szu gen. szuns, lett. suns, gr. v.vtov gen. xvvog, ir. cu gen. con.
* Troja sus. Klausens Aeneas 827. 828.
dijb*’ AZ*»- Aa— \fs- AA. Ata- AjA J.
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VIEH
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welsch und armor. ki, lat. canis, it. cane, franz. chien, altfranz. kiens,
aus zend. aspa, skr. asva, litth. aszwa, goth. aihvus, alts. ehu, lat.
equus, wird aus spä svä deutsches hva hu = litth. szü, ir. cu, gr.
y.v, lat. ca für cva, aber die genitive sunas, szuns, xvvog, con zeigen
das schon ira lett. nom. suns, lat. canis vorstehende N, welchem in
unserin hund sich noch D zugesellt, vielleicht um den namen der Wur-
zel hin|>an capere (vgl. ags. huntian, engl, hunt) zu nähern, vielleicht
aber gleicht dies D dem lat. T in catus catellus. s
pes”, böhm. pes, poln. pies, serb. pas sind idenli
psa anschaulich macht, denn dies psa kommt über
PS für SP (wie dor. 'ifjt 'ipiv statt ocpe acpi'v), d
zend. skr. nominativform im sl. gen., die zend. s
lat. deutschen nom. entfaltet wird, und wie das i
gar kein N zeigt, die übrigen es allenthalben durch!
bekommt, auszer dem gen. coin, im nom. pl. cointe
deutsche linguallaut ausbricht.
Der schnelle jagdhund, mythisch von winden
unserer spräche wie das element selbst wind; lat.
(Gratii cyneg. 203) vcltagra, it. veltro, altfranz. veil
sl. chort, böhm. ehrt, poln. chart, litth. kurtas, letl
urt. Der molossus ahd. rudeo, mhd. nhd.
engl, dog, schwed. dogg; böhm. ohar, wohar, p
dradh. Andere allgemeine benennungen: finn. koirs
käire; bask. chakhurra, zacurra; ir. gadhar, gaig'
sjowonja, uorw. lapp, shiuwon, altu. seppi canis c
canis femina, pers. sipa, vgl. russ. sohaka. wolle
perrazo, perrica, perilla, perrila?
Hündin: ahd. zöhä, mhd. zöche, nhd. zauke za
tik, lapp. tiko. mnl. leve, nnl. teef, nnd. tefe tifff
bicce, engl, bitch, altn. bickja*, nhd. hetze, p<
tista, tistka.
Das junge: ahd. huelf, weif, ags. hvelp, <
hvalpr, schwed. walp (woher das lapp, vielpes gt
bezeichnet eigentlich xvvlSiov, gilt aber wie catulm
bornen jungen andrer thiere. nicht anders böhm.
würdig erhalten und es gehört zu hva wie catu
war cams für feles verwandt, so musz es ursprün^
bezeichnen, ihm ist aber langes A verliehen, den fo
lus kurzes, jenen slavischen Wörtern mag anlaut
sein, so dasz sie sich wiederum auf PS zurückfüf
* da Bikki, der altn. heldenname dem mhd. Sibeche, ;
feca, in Vilk. saga Sifka entspricht, könnten bikkja, bicc
gekürzt scheinen,, man erwäge die vorhin angeführten sif,
2, 165 will sohaka — sbaka, das er zu cva stellt.
alban. y.ev, golli. hunds, ahd. hunt, ags. hund, altn. hundr.
wie
nie. in hvelp aber hat sich das vorhin vermutete
28 VIEH
deutschen nah liegen, pse = live, cva. hund und huelf hätte also
Graff unter dieselbe Wurzel bringen müssen; ob auch oxv\a% und
Gxvfivog catellus mit zu xvcov fallen?
Die muhe der unternommnen durchsicht wird nicht verloren sein,
einmal zeigen die meisten appellativa dieser hausthiere so entscbiedne
Übereinkunft der urverwandten sprachen, dasz sie mit zur grundlage
aller folgenden forschungen dienen darf, wer überzeugt sich nicht,
wenn er die reihen pecu, fera, equus, pullus, taurus, gaus, ovis, sus,
porcus, canis erwägt, von einer durchdringenden gemeinschaft weit
erstreckter Völker, die von frühe an, ohne einander abzuborgen, so
gleicher, nur nach der eigenlhümlichkeit ihrer organe abgewichnen
namen pllagen; es will zwar gelernt sein, dasz ior und aspa oder
pies und canis, welp catulus und szczenie dasselbe wort sind, doch
zwischentretende stufen vermitteln ihre scheinbar schroffe abgelegen-
heit. wo aber die unentbehrlichsten gegenstände des einfachen hirten-
lehens in der benennung einstinnnen, musz die ganze übrige spräche
stark Zusammentreffen.
40 Dann bestätigen sich hier schon bei den metallnamen wahrge-
nommne ergebnisse über nähe oder ferne einzelner sprachen.
ST in stiur hat die unsrige gemein mit zend und sanskrit gegen-
über dem T aller andern, zendisches spa stimmt zu sl. psa, skr. sva
zu litth. szü, skr. gaus zu kuh, uxan zu ochs, sükara zu sus, sü,
varäha zu lat. verres; es scheint sehr begreiflich, warum diese fern-
sten, ältesten sprachen ihre analogie in keiner europäischen unbezeugt
lassen, vielmehr jeder derselben hier oder dort sich zuneigen, denn
auf sie in frühster zeit beziehen sich alle zurück, während die übri-
gen ähnlichkeiten und Verschiedenheiten sich erst unterwegs allmä-
lich bestimmten, nachdem die wandernden Völker Asien verlassen
hatten.
Nähe des lateins zum deutschen tritt vor in venatio vinja, pecu
fihu, equus ehu, aper epar, caper häfer,«ovis eovu, hoedus. geit, por-
cus farah, pullus fula, vielleicht Cursor liros, in sus sü, catulus huelp.
Griechische und deutsche spräche scheinen sich etwas ferner, doch
treffen zu vtfiav niman, &yQ dius, rxxog ehu, nwi) fihu, otg eovu,
otg sü, vermutlich Id-Qtg vijirus, noQQig ferse, yJf.iu.Qog gimbill, yj-
fiaiQU gimbra, yoiQog gris, y.Qiog hrütr, hyrningr. xunQog weicht
aus in den begrif aper, zu fera stehn d~i]Q dius tior wie zu fores
d-vQa dauro turi, während sl. zvjer und dver den Übergang lehren,
bemerklich ist das verhalten des sl. heran und tur zum alln. faeer |)ior,
da doch scäf sceap skopec dem Norden fehlt. Mit den Slaven stim-
men wir in skat skot, kuh gowedo, suin svinja, farh prase, vielleicht
in hengist kon, kalbo krawa, wogegen pascere pasti, agnus iagnja,
ovis ovlza, taurus tur, vielleicht caballus kobyla, vilulus tele treffen.
Litth. aszwa, awis, szü, eris, piemü sind skr. asva, avis, svä,
gr. uqviov, noifirjv und jaulis gleicht lat. jumentum, öfter stimmt die
litth. zur sl. spräche: baronas heran, owinis oven, karwe krawa, par-
szas prase, telluczia tele, kurtas ehrt, zweris zvjer, kasa kozel.
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Den Kelten mangelt pecu fera pullus taurus kuh aries ovis caper
sus porcus, wogegen sie besitzen each equus, osw asva, agh ochs,
ho bos ßovg, uan agnus iagnja, gabbar capra, cu xviov, und für die 41
deutsche spräche hervorzuheben ist marka marah, llamp Jamb, colpa
kalbö, aigeach vigg, tarw tarfr, bwch hog, bol bauli, muc mucke;
wo lautverschiebung abgeht, kann geborgt sein, kaum begegnet kel-
tische besonderheit der slavischen und lilthauischen, es sei denn in
bol bolan wole, colpa krawa karwe, deren Vergleichung noch unsicher
bleibt, offenbar lag das deutsche element zwischen Kelten und Slaven,
und hat mi
hochde
fj
mit de
den wö
o/og, jas
szas, oinas
wuoksa aus
zu übersehn
chen ausdrücke:
Aufmerksamke1
Äische mehr mit keltischem, das
in diesen thiernamen sich wenig
erwandt; keins jener durchgreifen-
inzelnes gleicht; wasikka vaska /uo-
rammas lamm, sigga sus, porsas par-
mögen einzelne erborgt sein, wie lapp,
ts, sauz ovis aus altn. saudr. Nicht
afen die alten auf das opfer bezügli-
wiga, bidens, bidental, ambidens, nefrens.
Tenen bask. aria und ardia wegen arviga und
finn. jäiirä, cherria wegen yo?Qog; diese noch zu wenig erforschte
spräche wird vielleicht aufschlüsse über lat. und gr. mundarten gehen.
Den Doriern hiesz die jährige ziege yJf.ia.Qog ylfiaiQu, die ältere
<*('£, ich halte zu jenen ausdrücken altnordische, uY§ bat grössere Ver-
wandtschaft; zu TQayog aber, das durch seinen bezug auf die tra-
goedie in alle neueren sprachen sich ausbreitete, läszt sich gar nichts
stellen.
Wer sagt uns wie die Römer zwischen hircus und caper unter-
schieden?* auch ins ilal. ist irco und capro, ins span, hirco und ca-
bron, ins franz. nur chevreau übergegangen, doch im adj. hircin das
erste wort erhalten, ich wage zu hircus das finn. härkä bos zu stel-
len, weil beides hornstoszende thiere sind und lapp, herke vom renn-
thier gilt, auch die Griechen TQuy&acpog auf stier wie gazelle an-42
wandten, zwischen warannio rheno scelo alces gewahrten wir ähnli-
chen Übergang; bock lassen wir heute von aries und caper gelten,
wie tacka agna , ticcen capra zusammenfallen, man weisz dasz sich
wolf und fuchs, in namen und fabel, vertreten, so durfte auch xunQog
Griechen den eher, caper Römern den bock bezeichnen und zu letzterm
stimmt Inifer, hafr. namen wilder thiere, der vögel und insecten grei-
fen noch mehr in einander über**.
* Ov. fast. 2, 439 caper hirtus, dies aber
verwandt
kirsutus, mit hircus kaum
** aus ilecpas, elephantus, den man altn. fill nach dem pers. fil, pilu
nannte, entsprang die benennung des andern groszen fremden thiers, deskamels:
gotb. ulbandus, abd. olpentä, mhd. olbente, ags. olfend, altn. ülfaldi, altsl. velb-
jud, böhm. welblaud, russ. velbljud verbljud, poln. wielblad, litth. werbludas.
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I
U
d
II
\£
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deutschen nah liegen, pse = hve, cva. hund und huelf hätte also
Graff unter dieselbe wurzel bringen müssen; ob auch oxv\a% und
axv/uvog catellus mit zu xvwv fallen?
Die mühe der unternommnen durchsicht wird nicht verloren sein,
einmal zeigen die meisten appellativa d^er hausthiere so entschiedne
Übereinkunft der urverwandten spract
aller folgenden forschungen dienen
wenn er die reihen pecu, fera, ec
porcus, cams erwägt, von
erstreckter Völker, die von
gleicher, nur nach der
namen pllagen; es will
pies und canis, welp cat
zwischentretende stufen v
heit, wo aber die unenlb
lebens in der benennung e
stark Zusammentreffen.
40 Dann bestätigen sich
dasz sie mit zur grundlage
er überzeugt sich nicht,
taurus, gaus, ovis, sus,
den gemeinschaft weit
ander abzuborgen, so
_ne abgewichnen
und aspa oder
ort sind, doch
olTe abgelegen-
fachen hirten-
übrige spräche
hier schon bei den metallnamen wahrge-
nommne ergebnisse über nähe oder ferne einzelner sprachen.
ST in stiur hat die unsrige gemein mit zend und sanskrit gegen-
über dem T aller andern, zendisches spa stimmt zu sl. psa, skr. sva
zu litth. szü, skr. gaus zu kuh, uxan zu ochs, sükara zu sus, sü,
varäha zu lat. verres; es scheint sehr begreiflich, warum diese fern-
sten, ältesten sprachen ihre analogie in keiner europäischen unbezeugt
lassen, vielmehr jeder derselben hier oder dort sich zuneigen, denn
auf sie in frühster zeit beziehen sich alle zurück, während die übri-
gen ähnlichkeiten und Verschiedenheiten sich erst unterwegs allmä-
lich bestimmten, nachdem die wandernden Völker Asien verlassen
hatten.
Nähe des lateins zum deutschen tritt vor in venatio vinja, pecu
film, equus ehu, aper epar, caper häfer,*ovis eovu, hoedus. geit, por-
cus farah, pullus fula, vielleicht Cursor hros, in sus sü, catulus huelp.
Griechische und deutsche spräche scheinen sich etwas ferner, doch
treffen zu vt/utiv niman, #17 p dius, l'xxog ehu, ntov film, oig eovu,
ovg sü, vermutlich l'd-Qig vijirus, noQQtg ferse, yj/uupog gimbill, yl~
f-iuiqa gimbra, yoiQog gris, xQiög hrütr, hyrningr. x.anQog weicht
aus in den begrif aper, zu fera stehn {hfa dius tior wie zu fores
&vQa daurö turi, während sl. zvjer und dvcr den Übergang lehren,
bemerklich ist das verhalten des sl. heran und tur zum altn. faeer jfior,
da doch scäf sceap skopec dem Norden fehlt. Mit den Slaven stim-
men wir in skat skot, kuh gowedo, suin svinja, farh prase, vielleicht
in hengist kon’, kalbö krawa, wogegen pascere pasti, agnus iagnja,
ovis ovtza, taurus tur, vielleicht caballus kobyla, vilulus tele treffen.
Litth. aszwa, awis, szü, eris, piemü sind skr. asva, avis, svä,
gr. uqvIov, tcoi/u^v und jaulis gleicht lat. jumentum, öfter stimmt die
litth. zur sl. spräche: baronas heran, owinis oven, karwe krawa, par-
szas prase, telluczia tele, kurtas ehrt, zweris zvjer, kasa kozel.
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’
VIEH
29
Den Kelten mangelt pecu fera pullus taurus kuh aries ovis caper
sus porcus, wogegen sie besitzen each equus, osw asva, agh ochs,
ho bos ßovg, uan agnus iagnja, gabliar capra, cu xvwr, und fiir die 41
deutsche spräche hervorzuheben ist marka marah, llamp lamh, colpa
kalbö, aigeach vigg, tarw tarfr, hwch hog, hol hauli, muc mucke;
wo lautverschiehung abgeht, kann geborgt sein, kaum begegnet kel-
tische besonderheit der slavischen und litthauischen, es sei denn in
bol bolan wole, colpa krawa karwe, deren Vergleichung noch unsicher
bleibt, offenbar lag das deutsche element zwischen Kelten und Slaven,
und hat mit beiden gemein, das nordische mehr mit keltischem, das
hochdeutsche mehr mit slavischem.
Finnische spräche berührt schon in diesen thiernamen sich wenig
mit den andern und scheint unurverwandl; keins jener durchgreifen-
den Wörter kommt vor und nur einzelnes gleicht; wasikka vaska fio-
oyog, jäärä aries, uuhi ovis, lammas lamm, sigga sus, porsas par-
szas, oinas awinis und wieder mögen einzelne erborgt sein, wie lapp,
wuoksa aus nord. oxi, und sauts, sauz ovis aus altn. saudr. Nicht
zu übersehn hei rindern und schafen die alten auf das opfer bezügli-
chen ausdrücke: ambegnus, arviga, bidens, bidental, ambidens, nefrens.
Aufmerksamkeit verdienen bask. aria und ardia wegen arviga und
finn. jäärä, cherria wegen yotyog; diese noch zu wenig erforschte
Sprache wird vielleicht aufschlüsse über lat. und gr. mundarten geben.
Den Doriern hiesz die jährige ziege ylf.ia.Qog yJfiaiQU, die ältere
at'£, ich halte zu jenen ausdrücken altnordische, aY§ hat grössere Ver-
wandtschaft; zu TQuyog aber, das durch seinen bezug auf die tra-
goedie in alle neueren sprachen sich ausbreitete, läszt sich gar nichts
stellen.
Wer sagt uns wie die Römer zwischen hircus und caper unter-
schieden?* auch ins ital. ist irco und capro, ins span, hirco und ca-
bron, ins franz. nur chevreau übergegangen, doch im adj. hircin das
erste wort erhalten, ich wage zu hircus das finn. härkä bos zu stel-
len, weil beides hornstoszende thiere sind und lapp, herke vom renn-
thier gilt, auch die Griechen TQaytXucpog auf stier wie gazelle an-42
wandten, zwischen warannio rheno scelo alces gewahrten wir ähnli-
chen Übergang; hock lassen wir heute von aries und caper gelten,
wie lacka agna , liccen capra zusammenfallen, man weisz dasz sich
wolf und fuchs, in namen und fabel, vertreten, so durfte auch xdnQog
Griechen den eher, caper Römern den hock bezeichnen und zu letzterm
stimmt häfer, hafr. namen wilder thiere, der vögel und insecten grei-
fen noch mehr in einander über**.
* Ov. fast. 2, 439 caper hirtus, dies aber = hirsutus, mit hircus kaum
verwandt
** aus elscpas, elephantus, den man altn. fill nach dem pers. fil, pilu
nannte, entsprang die henennung des andern groszen fremden thiers, des kamels:
goth. ulbandus, ahd. olpentä , mhd. olbente, ags. olfend, altn. ülfaldi, altsl. velb-
jud, böhrn. welblaud, russ. velbljud verbljud, poln. wielblad, litth. tverbludas.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
Die alten epicoena, sobald der spräche das vermögen beide ge-
schlechter an demselben wort zu bezeichnen ausstirbt, schränken sich
dann auf das männliche oder weibliche ein, und für das andere musz
sonst ratli geschaft werden.
In allen deutschen zungen scheint das wort bock unheimisch, so
früh es schon eingang fand, unser haber verdrängte und auf andre
männliche thiere, widder, rehhock, steinhock erstreckt wurde; von
uns gieng es auch zu den Finnen über, wir empfiengen es aus den
romanischen sprachen, diese wol aus den keltischen*, der zunehmen-
den abstraction sagte zu für ähnliche thiere einen allgemeinen ausdruck
zu besitzen statt der älteren besonderen. Wie geschah es, dasz wir
beim edelsten der zahmen thiere uns des eignen Wortes entäuszert
lind das gewaltsam zusammengezogene unschöne pferd erborgt haben?
das stattlichste ros war der geschmückte paraveredus und jedem an-
dern sollte allmälich gleiches ansehn verliehen werden, wie vor zahl-
losen modewörtern die alten einfachen ausdrücke wichen, auch alle
romanischen sprachen haben dem ehrwürdigen equus entsagt, dafür
aber das vollautige cavallo gewonnen.
daneben gilt böhm. tjawa camelus, dalmat. deva, ungr. teve. der elefant lieiszt
sl. slon, litth. szlapis. elepbant» selbst leitet Pott aus dem semit. aleph hindi ==
taurus indicus.
* kaum darf das sl. byk taurus verglichen werden.
(o) 'ff
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IV.
DIE FALKENJAGD.
Der mensch, wenn er thieren nachstellt, kann dazu des lhie-43
res selbst nicht entrathen. dem jäger gesellt sich sein hund, um das
wild aufzuspüren, behend zu erreichen und festzuhalten; es ist als
gehe kein geschlecht zu gründe, gegen das nicht aus seiner eignen
mitte helfer dem feinde auferstehn. Unser alterlhum pflag aber nicht
allein hunde abzurichten, sondern auch rauhvögel zu zähmen, die es
in die luft auffliegen und nach der beute stoszen liesz. erst dadurch
erreichte die jagdlust ihren gipfel.
Es kann keine edlere jagd ersonnen werden, als wenn der jäger
ausreitend durch die Wälder den falken auf der hand hielt und den
hund vor sich laufen halte; welches thier auf dem fehl oder in den
lüften mochte ihnen entrinnen? durch das pulver ist wie der krieg
grausamer und unmenschlicher, die jagd tückisch und weniger poe-
tisch geworden: ein feiger scliusz erlegt das stolzeste thier aus wei-
ter ferne, das gegen speer und pfeil noch seine letzte kraft aufbieten
konnte. Wie wissen die dichter den kühnen flug des falken und seine
leuchtenden äugen in ihre bilder und gleichnisse zu ziehen:
sie liez ir ougen umbe gän
als der valke üf dem aste;
ze linde noch ze vaste
luetens beide ir weide. Trist. 11000.
ja brinnent ime diu ougen sin 44
rehte in shne boubet
alsö eime wilden falkelin. Mor. 2166.
Ii oeil estable ne seront,
ains tornent plus menuement
quespervicrs, quant laloe prent. Me'on 2, 189.
eis lniclhs var en la testa coma falco mudat. Ferabr. 1889.
les ieux vers en la teste conme faucon ramage. Maugis 52°,
und noch in Etlners hebamme s. 802: die äugen, die vormals als die
falken hier und dorthin geflogen*, augenweide, das oculos pascere
* in den serb. liedern ist oko sokolovo (falkenauge) schmeichelname.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
32
m
FALKENJAGD
scheint ganz nomadisch aufgefaszt, da weiden pascere und venari aus-
drückt, das alln. beila pastum agere pecus, das schwed. beta (mhd.
beizen) venari.
Wie unsere alten gesetze den Zeigefinger digitus quo sagittatur
nennen, ags. scytefinger*, hiesz den skalden die band haukslründ, ac-
cipitris litus, Strand, auf den der vogel seinen flug senkend sich nie-
derliiszt, der hehl selbst haukstaldr, auf dessen liand oder Schulter der
habicht sitzt, gramr oder viur haukstalda daher der könig (Sacm.
220b 240a). unsern jägern stand habicht oder falke auf der linken
faust (Döbel 2, 185), ä vinstri hendi hefr hann ein hauk (Vilk. saga
cap. 244), und in allen bildern der handschriften, die ich einsah,
sitzt er auf der linken, wie in den rechtsbüchern und gedichten mit
abhauen der rechten band und des linken fuszes gestraft wird, heiszt
es im spanischen lied von Gayferos
cortenle el pie de estribo, la mano del gavilan,
unter sperberhand musz also die rechte gemeint sein; Nithart aber
sagt umgekehrt MSH. 3, 237b
die hant die muoz er mir liie lim,
dä der sprenkelobte vogel oben Cife stät,
und dar zuo den zeswen vuoz,
dar an der sporn erklinget,
45 was offenbar dem vogel die linke band anweist, beide bände wech-
selten also, kaiser Friedrich de arte ven. 2, 42 sagt ausdrücklich:
expedit enim quod portitor sciat portare falconem super utramque ma-
num, ut si ventus fuerit a sinistris, portet super dextram, et si a
dexlris, portet super sinistram, quoniam sic semper apponetur pectus
falconis vento........item sunt liomines quarundam regionum, qui
consuevcrunt portare falcones in manu dextra el tantum suum modum
approbant et aliorum modum vituperant, vgl. 2, 71. Oft trugen auch
frauen auf ihrer band den falken und die jagd empfieng dadurch noch
höheren reiz, dasz sie an ihr theil nahmen.
In den alten sagen unsers volks spielt der habicht eine grosze
rolle. Sigurds habicht setzt sich in ein fenster von Brynhilds thurm,
und leitet, als jener ihn aufsucht, den bund zwischen beiden ein (Völ-
sungasaga cap. 24.)**. gleich wichtig erscheint in der sage von Ir-
manfrid und Iring der über die Unstrut entfiiegende habicht (Widukind
1, 10.) die ags. genealogien überliefern einen göttlichen stammhelden
•Vesterfalcna und die alte form eines sächsischen volksnamens lautet
Westfalah. Aus des heil. Bonifacius Briefen erhellt, dasz der könig
Aelhelbert von Kenl falken von ihm begehrte: unam rem praelerea a
vobis desidero exhiberi . . . hoc est duos falcones, quorum ars et
artis audacia sit grues veile libenter captando accipere et accipiendo
* ir. ardog, ordog pollex bedeutet den pflügenden finger, weil der daume
den pflüg faszt, und stammt aus dem ackerbauleben.
** Randver, zum galgen geleitet, rauft einem habicht alle federn aus, damit
anzuzeigen, dasz er aller ehre verlustig gehe, wie der vogel des gefieders. Völ-
sungasaga cap. 40.
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FALKENJAGD
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consternere solo, und dem könig Athebald von Mercia schrieb Boni-
facius: direximus tibi accipitrem unum et duos falcones. Was aber
noch mehr bedeutet, schon in den volksrechten, zumal dem salischen,
steht der habicht unter den werthvollen gegenständen, auf deren dieb—
stal besondere busze verordnet wird: accipitrem de arbore, de per-
tica, de intro clavem volare (lex sal. 7), acceplorem involare (lex
Burgund. 11), unter den wergeldanschlägen findet sich ein acceptor
non domitus und ein acceptor mutatus (jener falco mudat) aulgeführt 46
(lex Ripuar. 36, 11) und was hier commorsus grurarius, heiszt in
der lex alam. 101 acceptor qui gruem mordet, neben dem qui aucam
mordet, die späteren capitularien verfügen: clerici aecipitres et falco-
nes non habeant. durch das ganze mittelaller hindurch hielt diese
lust der könige fürsten und ritler in Europa an, falkenmeister* gehör-
ten zu den hofämtern und noch bis auf unsere zeit wurden reiher zur
falkenbeize gehegt**.
Alles läszt auf tiefeingewurzelte, schon im fünften und sechsten
Jahrhundert langbestehende, nicht erst neueingeführte volksitte sehlieszen.
Die falkenjagd gehört zu den brauchen, die unsere voreitern nicht
von den Römern empfiengen, sondern bereits vor ihnen kannten, und
mit andern rückwärts im osten hausenden Völkern gemein hatten.
Weder Römer noch Griechen übten falkenjagd, so bekannt ihnen
und von ihren nalurforschern beobachtet diese raubvögel waren, sie
verstanden es nicht sie zur jagd abzurichten und kein römisches oder
griechisches kunstwerk, meines Wissens, spielt darauf an.
Eine merkwürdige stelle ist bei Plinius 10, 8, nachdem er die
sechzehn arten des habichts aufgezählt hat, fährt er fort: in Thraciae
parte super Amphipolim homines alque aecipitres societate quadam
aucupantur. hi ex silvis et arundinetis excitant aves, illi supervolan-
tes deprimunt, rursus caplas aucupes dividunt cum iis. traditum est,
missas in sublime sibi excipere eos, et cum tempus sit capturae,
clangore ac volatus genere invitare ad occasionem. Simile quiddam
lupi apud Maeotin paludem faciunt. nam nisi partem a piscantibus
suam accepere, expansa eorum retia lacerant. bekanntlich musz auch
den jagdhunden beim zerwirken des gefällten hirsches ihr theil hin- 47
geworfen werden und so geschah es noch im mittelaller bei den
falken***.
Amphipolis lag im alten Thrakien, wo der Strymon ausmündet,
in der sogenannten Macedonia adjecta: thrakische sitte wird auch un-
ter Geten und von da weiter unter Germanen einheimisch gewesen
sein. Man könnte sagen, dasz Tacitus und Plinius keines falken in der
* Ducange s. v. falconarius.
** in den weisthümern wird fiir den habicht des einziehenden herrn, wie für
seine winde gesorgt, vgl. 2, 287. 3, 31. 826.
*** wenn Plinius hinzufiigt: aecipitres avium non edunt corda, so behauptet
Albertus Magnus in seinem buch über die falken cap. 6 umgekehrt, dasz sie
zuerst blosz das herz des geraubten vogels fressen sollen.
3
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34
FALKENJAGD
eigentlichen Germania gedenken; doch in ihren nicht einmal vollstän-
dig bewahrten Schriften sind schwerlich alle beobachtungen niederge-
legt, die ihnen zu gebot standen, und von den östlich wohnenden
Völkern bleibt ihre meldung überhaupt unvollständig. Diese ansicht
ziehe ich einer andern vor, auf die man auch verfallen dürfte, es ist
allerdings glaublich, dasz von Thrakien aus oder von Asien her die
ergötzlichkeit der falkenjagd zu den Byzantinern drang und erst von
ihnen wäre sie dann im vierten, fünften jh. zu den Deutschen gelangt,
wie viel glaublicher, dasz es früher schon geschah, im verkehr der
Sueven mit Geten, Sarmaten und Skythen, deren grosze Wälder wilde
jagdlust nährten. Ducange im gloss. med. graec. bat UfJaxuQi falco-
narius und tfquxitou falconarii aus Theophanes im 24 jahr des Leo,
d. h. im j. 740, mit merkwürdigem bezug auf Damaskus, diese nach-
richten reichen in weil spätere zeit, als auf die es hier ankommt.
Demetrius, ein arzt aus Byzanz, dessen lebensalter ich nicht bestim-
men kann, schrieb ein griechisches buch über die falken; ein Firmi-
cus schon unter Constanlins söhnen ist ihm auf jeden fall vorausge-
gangen. Venanlius Fortunatus nennt einen Vectius cin equis, canibus,
accipitribus instituendis nulli secundus’, auch Beda in seinem werk de
48 natura rerum gibt darüber lesenswerthe nachricht. Völlig fabelhaft
erscheint, wenn man im mittelaller den Ursprung der falkenjagd auf
Ulysses* **, oder einen aegyptischen könig Ptolcmaeus zurückleitet, auf
Plolemaeus beziehen sich einige stellen in des Albertus magnus buch
über die falken, namentlich cap. 7: praeceptum est Ptolemaei regis
Aegypti, quod raro teneatur in manu nisi in aurora; die vorgebliche
epistola Aquilae, Symmachi et Theodotionis ad Ptolemaeum regem (bei
Albertus magnus und Vincentius bellovacensis) ist, wie man begreift,
durchaus verdächtig***, die Aegypter richteten keine falken, auf ihren
zahlreichen bildwerken wären sie sonst gewis oft vorhanden.
Desto sichrer scheint, dasz die falkenjagd von früh auf unter
Arabern im schwang gieng. kaiser Friedrich 2, 77 legt ihnen aus-
drücklich die erfindung des capellus (der falkenhaube) bei: reges Ara-
bum mittebant ad nos falconarios suos peritiores in hac arte cum
multis modis falconum. Auszerdem war und ist sie noch heutzutage
bei Tataren, Türken, Persern, Mongolen und Chinesen in Übung, ara-
bische und zumal persische dichter gedenken ihrer oft; reisende schil-
dern die gewandtheit und menge der falken in den steppen f. Hat
im kriege zwischen zwei Stämmen ein Beduine etwas unter den fein-
* herausgegeben von Petrus Gillius hinter Aelians hist, animal. Lugd. 1562. 8.
** Joann. Sarisberiensis Policraticus lib. I p. 11: venatica tarn terrestris
quam aeria quanto solidior tanto fructuosior est. auctorem occupationis suae ab
antiquis historiis Ulixem proferunt, qui primus excisa Troja armatas aves attulit
Graeciae, quas suavi quodam et grata admiratione videntium in cognati generis
exitium animavit.
*** dubiae auctoritatis est. Schneiders ausg. des buchs von kaiser Friedrich
de venatione 2, 106.
•j Klemms culturgeschichte 4, 213.
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
rW W Y v ▼ ▼ ▼ ▼ YaT ▼ T T T T1
FALKENJAGD 35
den zu verhandeln, so ergreift er eine lanze oder einen falken, und
ruft zeugen aus, dasz er dem scheich des feindlichen Stammes ein
geschenk damit mache; dann darf er im feindeslager so lange verwei-
len, als es das geschäft erfordert*.
Sanang Setsen der mongolische geschichtschreiber (s. 61 der 49
schmidtschen ausgabe) erzählt, dasz Budantsar, eilfter Vorfahre des
Tschinggis Chan auf einsamer Wanderung am Ononstrom sah, wie ein
grauer habicht auf eine ende stiesz; diesen fieng er, richtete ihn ab
und gebrauchte ihn zur jagd. Zu Tschinggis Chans vater, der bei
einem mongolischen häuptling eingekehrt war, sagt dieser: heint er-
schien mir im Traum ein weiszer falke und setzte sich auf meine
hand, das ist euer Zeichen oder Wappen (daselbst s. 63.) Wenn
Tschinggis Chan 1162 geboren war, darf man den Budantsar höch-
stens 300 jahre vor ihm setzen: es ist aber eine unhistorische sage.
Im 15 jh. hiesz ein mongolischer stamm Schiwaghotschin, d. i. vogler,
falkner, ein mythischer königssohn aus Tibet Schiwaghotschi, Vogel-
steller (tibetanisch k’ra-pa). dieser stamm scheint derselbe, welcher
bei Abulghasi (s. 101 der Kasaner ausg.) den namen Kuschlschy führt,
und kuschtschy ist das türkische wort für vogler. in Kokand, Chiwa
und Bochora ist es titel der ersten minister geworden. In chinesischen
Schriften heiszt der falke ing oder häi-tung-ls’ing.
Im sanskrit begegnen mehrere namen für den falken oder habicht:
sjenas, d. i. der graue, weisze, wie in serbischen liedern der soko
siv (canus) heiszt; palri, eigentlich blosz vogel; sasädanas, hasenes-
ser; sakunas oder sakuntas, wie er zumal oft als Indras vogel darge-
stellt erscheint, doch der abrichtung des falken zur jagd gedenken
die quellen nicht: sjenampatä scheint eher die jagd auf den falken als
mit ihm auszudrücken.
Unser deutscher jagdvogel ist eigentlich der habicht, unter dessen
benennung aber auch falken und sperber begriffen wurden; ich über-
sehe nicht, dasz jene meldung des Plinius eben vom accipiter, nicht
falco redet, der goth. name wird habuks gelautet haben, nach dem
ahd. hapuh, mhd. habech, ags. hafoc, engl, hawk, nnl. havik, alln.
haukr, schwed. hök, dän. hög; das dem nhd. habicht zugetrelne T
ist ungehörig, die Finnen entlehnten ihr haukka, havukka, die Esten
haukas, die Lappen hapak; war aber auch das welsche hebog erborgt?
dessen irische form seabhac gewährt, es hat allen schein, dasz ha-50
buks von haban, hapuh von hapfin herstamme, wie accipiter, mlat. ac-
ceptor, ja sogar capus (Ducange s. v.) von capere, accipere: es be-
zeichnet den fangenden, oder wie Ssp. 3, 47 steht krimmenden,
klemmenden vogel (vgl. erkrimmen, ungulis rapere Nib. 13, 3.) diese
einfache ableilung ziehe ich der verführerischen, von ßopp dargeleg-
* Kohls Südruszland 2, 148. 230, von der heutigen falkenjagd in der Tata-
rei ein bericht in der allg. zeitung 1846 s. 1850. lieblingsfalken des chans bei
Baktschisarai. Kohl 1, 231.
3 *
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FALKENJAGD
ten vor, er hält accipiter zu wxvnreQog und einem skr. asupatra,
dessen bezug auf den habicht erst zu beweisen wäre.
Der sl. ausdruck ist jastreb, poln. iastrzab, bölim. gesträb, serb.
jastrijeb.
Dem litth. wanagas, lett. wannags für habicht, lilth. wanagelis
für sperber scheint das ahd. wannoweho, wannunwechel loaficus ähn-
lich, in Schwaben wannenwäher, wanneweihe, worunter man einen
kleinen, für heilig geltenden raubvogel meint, dem wannen an die
häuser ausgehängt werden, dasz er in ihnen niste: das haus, an wel-
chem er sein nest baue, soll vor einschlagendem blitz sicher sein
(Mones anz. 7, 429.) es ist der röm. tinunculus (von tina vas, olla),
welchen Columella 8, 8 so beschreibt: genus accipitris tinunculum
vocant rustici, qui fere in aedificiis nidos facit. ejus pulli singuli fic-
tilibus ollis condunlur, spirantibusque opercula superponuntur, et gypso
lita vasa in angulis columbarii suspenduntur, quae res avibus amorem
loci sic conciliat, ne unquam deserant. etwas anders Plinius 10, 37:
ob id cum columbis habenda est avis, quae tinunculus vocatur. defen-
dit enim illas terretque accipitres naturali potenlia in tantum, ut visum
vocemque ejus fugiant. hac de causa praecipuus columbis amor eorum,
feruntque, si in quatuor angulis defodiantur in ollis novis oblilis, non
mutare sedem columbas. der kleine sperber scheucht den habicht,
die befreundeten tauben schützend. Auch das litth. wanagas scheint
von wTane vannus gebildet; beaclitenswerlh ist aber, dasz die Letten
den sperber wehja wannags (heiligen habicht?) nennen, und, ich ver-
mute, unser wio, wiho milvus den heiligen ^vogel meint, wie in den
allböhm. liedern der krahug, krahulec, poln. krogulec, ungr. karoly
für heilig gilt und im hain gehegt wird (mythol. s. 640.)
Hiernach mag glaublich sein, dasz auch das gr. Itpag, mit
der bedeutung accipiter und falco zu ityog gehöre, obschon Hesych
ein verwandtes ßtiQu'S, und ßuQäxrj aQnaxnxrj anführt, ja xtQxa'S,
und xiQxoq nisus nicht allzuweit abliegen, um so wahrscheinlicher
ist es, als ein bestimmter falke sacer hiesz, franz. sacre, engl, saker,
welchen Friedrich II buch 2 cap. 22 beschreibt; dieser name wird
freilich auf das arab. saker (avis perspicax), pers. sonkor = falco
zurückgeführt, und nähert sich jenem skr. sakunas; umgedreht aber
könnten sie aus dem lat. wort entspringen, wie dem sei, unzweifel-
haft musz dahin auch der slavische ausdruck sokol”, böhm. sokol, serb.
soko, litth. sakalas für falke gestellt werden, der kaum dem lat. falco,
it. falcone, span, lialcon, franz. faucon verwandt ist; ein späteres gr.
(puXxcov gewährt erst Suidas. Im russischen Igorlied entsenden die
beiden zehn falken (sokolov) gegen die schwäne und in den serbischen
gedichten erscheint der falke allenthalben, an sokol gemahnt in der
that die malbergische glosse sucelino zu sparvarius. lex sal. 7, 4.
Die falkner unterscheiden manigfache arten: für den vornehmsten
aller galt der girofalco, altfranz. gerfaut, ital. grifagno, entweder von
den weiten kreisen, die er in der luft nimmt (gyrofalco a gyrando),
oder mit dem deutschen geier, ahd. mhd. gir verwandt, geierfalk.
Jb. itk -4>v ***
gg
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FALKENJAGD
37
Albertus magnus hält den sacer falco für den ersten und läszt dann
den girofalco folgen, was andere umkehren. Diesen beiden edelsten
falken zunächst stand der montanarius und peregrinus (pilgrimfalke,
faucon pelerin), der lanerius, nidasius (vergl. nisus), ramagius (franz.
ramage) und terciolus (mhd. terze terzel). das sp. gavilan bezeichnet
sperber, aber auch den abgerichteten, den Angelsachsen hiesz der
pilgrim vealhhafoc vealhafoc von vealh peregrinus, woher sich das altn.
valr leitet, weder von falco noch vultur. der lanerius kommt auch
unter dem mhd. namen sweimaere vor, von sweimen kreisen, jenem
gyrare *.
Leicht geschah es, dasz der name auf das ros und den hund 52
übertragen wurde, denen gleiche schnelle und stärke zukam. Dieterichs
und Wolfdieterichs rosse hieszen Falke und noch heute heiszen so
Windspiele, wie sl. sokol, vgl. canis acceptoricius in den lex Fris. 4, 4.
Sparva bedeutet dem Ulfdas gtqovS-Iov, scheint aber, wie gtqov-
&og für adler und strausz gilt, in den begrif des raubvogels auszu-
weichen. ahd. sparo passer, ags. spearva, altn. spörr, engl, sparrow,
schwed. sparf, dän. spurve, nhd. Sperling; dagegen ahd. sparawari,
mhd. sperwaere, nhd. sperber, it. sparviere, franz. epervier für nisus,
schwed. sparfhök, dän. spurvehög, engl, sparrowhawk, gleichsam auf
Sperlinge jagend, des sperbers Weibchen ahd. sprinzä nisula, mhd.
das sprinzelin.
Den Aegyptern war sperber oder habicht (koptisch hak) einer der
heiligsten vögel, der in den hieroglyphen vielfach wiederkehrt, ich
habe schon anderwärts hervorgehoben, dasz das den wind vorstellende
bild eines sperbers mit ausgebreiteten schwingen bedeutsam mit unsrer
altdeutschen und altnord, anschauung Zusammentritt (mytliol. s. 600.
601); hinzugenommen die Zeugnisse für die heiligkeit des weihen,
wanneweihen und krahuc wird das hohe alterthum der falkenjagd bei
Deutschen und Slaven kaum dem zweifei unterliegen.
* mirotza, den bask. namen des falken, weisz ich nirgend anzuknüpfen.
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v.
ACKERBAU.
53 Allmälich beginnt das unruhige schweifen in friedliche nieder-
lassung überzugehn und ein sattes lachendes grün der wiesen und
weiden die breiten furchen in sich aufzunehmen, welche die 'goldne
gäbe der göttin zieht:
thaz fruma thie gibüra fuarßn in thia scüra. 0. II. 14, 108,
wem die erdmutter gnädig ist, dessen acker trägt hundertfältige frucht
(fruma), wem die flur versagt, von dem hat jene den blick abge-
wandt :
ond5 eldtv avzov rrjv äXwva zlrj/.irirrjQ. Babr. 11, 9*.
zur erntezeit, sagt eine litthauische Überlieferung, hütet sich der Schnit-
ter die letzten bahne zu mähen, denn in ihnen soll die Rugia boba
(kornmutter) wohnen, dasz er sie nicht schädige, wie das volk in
Sachsen der guten frau, der frau Gode oder Harke einen hüschel
ähren stehn liesz. die mutter war auf dem wagen, mit dem pflüg
durch die fehler gezogen, und das liebe getraide ist ihr heilig, nvqbg
(pi'Xrjg /Jij/u7]TQog. Babr. 131, 6. jener erntebrauch hiesz auch ceine
54 scheune bauen’ (mythol. 1211), der acker steht unter gottes Ver-
schluss, wer auf dem fehle getraide stielt, von dem sagt Östgötalag
s. 43: brytär guzs las (frangit dei seram) und noch heute drückt sich
der gemeine mann in Schweden so aus. in Dänmark heiszt körn und
getraide guds gave, wie bei uns gottes gäbe, gottes segen. Hat an-
haltende dürre die Auren ausgesogen, so rufen die ackerer, indem sie
ein naktes Mädchen mit wasser besprengen, ersehnten regen herab
(mythol. s. 560. 561.)
Der ackerbau, ackergang (Conrads troj. kr. 9751) ist der men-
schen und rinder werk, ßoiov, ut'dQiov Voya bezeichnet ackerland
Od. 10, 98. uyQOvg lo/uty xui l'gy* uvdQ(öniov Od. 6, 259, tQyov
* wo die götter auf der erde lagern, entsprieszen blumen und kräutcr, Deme-
ter hatte aber bei Iasion auf der dreibrache gelegen (fiiyr] cpilorr^xi xni evvrj rsuS
evi TQtnohp. Od. 5, J °7J und dem acker dadurch höchste fruchtbarkeit verliehen.
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/ T' T-.'T 'laKKEKJmi.
ACKERBAU
39
folglich die eigentliche arbeit Od. 14, 222*, obgleich es auch vom
geschäft des spinnens und webens gilt, Od. 21, 350. 352, die der
götlin gleich heilig sind, nicht anders war unser arbeit, goth. arbaifts,
ahd. arapeit, alts. arbßd, ags. earfod, altn. arvidi labor ursprünglich
aratio, agri cultura, welche bedeutung ausdrücklich der letztangeführ-
ten mundart verblieb: nur darf man arvidi nicht arvinni erklären von
vinna laborare, vielmehr B in arbaifts gleicht dem in hvairban, ahd.
P in arapeit dem in huerapan, und beide entsprechen dem lat. V in
arvum terra culta; mit goth. arbi hereditas verhält es sich ebenso,
dessen erste bedeutung nur die von ager, praedium gewesen sein kann:
das grundeigenthum aber wurde vererbt und dieser ausdruck trat in
den begrif des erbes über, einfach erscheint die Wurzel im altn. ar
labor und aratio, fast alle urverwandten sprachen stimmen in ihr für
den sinn des ackerns und des geräths unverkennbar zusammen, lat.
arare aratio aralrum, gr. uqovv ci.QOf.ia uQorog uqovqu uqotqop, sl.
orati oralo und mit aphaeresis ralo**, poln. ora6 (arare) oracz (ager)
radto (aratrum), litth. arti arimmas arklas, lett. art arrajs arkls, irisch 55
ar (ploughing) arach (ploughshare) ardhamh (ploughox), oireamh arator,
welsch arad (aratrum) cornisch aradar, bretagn. arazr alazr. das goth.
verbum lautet arjan arida, ahd. erran arta, alts. erian eride, altn. erja
ardi und yrja urdi; zugleich erscheint noch ahd. die starke form aran
iar, mhd. arn ier. nur im sanskrit und zend tritt die Wurzel nicht
so deutlich vor, man rnüste denn skr. irä, altgr. I'qu, ahd. ero, welche
terra bezeichnen (mythol. s. 229) unserm erde, goth. airjta, ahd. erada
erda, ags. eorde (vgl. yrdling arator), altn. iörd gleichzustellen und
alle aus dem stamm ar zu entleiten befugt sein, sicher überweisen
darf man ihm ahd. art aratio, artön arare colere habitare, woraus
mhd. nhd. die abgezogne bedeutung von cultus modus indoles natura
hervorgieng; ags. eard solum habitatio habitus, gesondert von eorde
im vocalischen wie consonanlischen laut.
Näher zu betrachten sind die namen des geräths. aratrum und
uqotqov stimmen gänzlich, zunächst stellt das welsche und cornische
arad aradar; im altn. ardr gehört das letzte R der flexion (gen. ards,
nicht ardrs); alts. erida aratrum; dem sl. oralo ralo radlo radlo glei-
chen litth. arklas arkls, deren K ans ir. arach reicht, aber die litth.
spräche liebt es einzuschalten (vgl. auksas f. ausas.) wegen des altsl.
vollen oralo läszt sich ralo nicht aus rädere leiten (dies entspringe
denn selbst aus aradere), Ducange hat mlat. ralla für radula £rWp«,
und lat. rallum war eisen des pflügers: purget vomerem subinde Sti-
mulus cuspidatus rallo. Plin. 18, 19.
Der Rigveda hat aber ein wort aritra, welches schif und rüder
ausdrückt; scharfsinnig stellt Kuhn auf, dasz es jenem aratrum «po-
* in opere faciundo = agro colendo. Cic. Verr. II. 4, 24. auch das russ.
pacliat’, böhm. pachati, poln. pachad bedeuten arare und laborare.
** nicht anders serb. ratar f. oratar (arator), böhm. poln. rolnik f. orolnik,
böhm. ratag, poln. rataj ackerknecht.
4h
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ACKERBAU
tqov entspreche und auch altn. är remus, ags. äre, engl, oar, schwed.
ära, dän. aare dahin gehöre, deren aller vocallänge freilich noch zu
rechtfertigen wäre, das meer wird vom schif wie die erde vom pflüg
gefurcht (sulcus = aqua remigando fissa, sulcare — navigare), im
altertlium geschehen heilige, feierliche umziige mit beiden durch das
. land, der erde fruchtbarkeit zu erflehen (mylhol. 5. 243.) Wenn nun
56 für aratrum ahd. pfluoc , nhd. pflüg, nnl. ploeg, altn. plögr, schwed.
plog, dän. ploug, engl, plough (altengl. plow) gelten, und man weisz,
dasz die anlaute PF, P der undeutschheit verdächtig sind; so schei-
nen diese Wörter entlehnt aus sl. ploug”, russ. plug”, böhm. pluh,
poln. plug, litth. plugas, alban. nXtovaQ, obgleich sehr früh, da
schon die lex. Roth. 293 sagt: si quis plouum (al. ploum plonum)
aut aratrum alienum scapellaverit, vgl. Ducange s. v. ploum plovum;
Gothen und Angelsachsen blieb der ausdruck noch fremd, aber er
schlieszt sich dem skr. plava navis, gr. nloTov an, und musz ursprüng-
lich schif bedeutend der Wurzel plu zufidlen, die in unsrer spräche
bereits FL annimmt. Plinius 18, 18 vom vomer redend überliefert:
non pridem inventum in Rhaetia Galliae, ut duas adderent alii rotas,
quod genus vocant planarati, wozu man jenes lesart plonum hält,
berührt sich aritra mit skr. ara — rota? auch das franz. charrue geht
über in den begrif des wagens; aber planarVatum könnte einfach sein
aratrum planum?
Das gotli. wort lautet höha, wofür auch ahd. huoho gemutmaszt
werden darf, weil sich huohili aratiuncula vorlindet, genau wie ahd.
suoili suoli auf suol suliol führen, das dem ags. syl sul sulh = ara-
trum entspricht und noch im provinziellengl. sull fortdauert, sulh aber
scheint das lat. sulcus, die pfluggezogne furche und sulhian arare fol-
gert sich aus sulhung aratio. schwieriger schien die abkunft von höha
huoho; Kuhn hat das skr. köka ermittelt, welches wolf bedeutet, weil
in den veden auch vrka, ein andrer bekannter name des wolfs (goth.
vargs) sich auf den begrif aratrum angewandt findet, nemlich vrka,
wolf, lupus bezeichnen zerreiszcr und der pflüg zerreiszt die erde,
ja im sanskrit lieiszt er ausdrücklich noch godarana, erdzerreiszer.
ein lettisches räthsel sagt: lahzis tupp tihrumä, dselses kurpes kahjä
(der bär sitzt auf dem felde mit eisenschuhen am fusz) und meint
wiederum den pflüg.
Für diese ansicht, sollte sie im einzelnen bedenklich bleiben,
streitet mächtig, dasz auch unser altertlium pflüg und schif als leben-
diges wesen dachte, wie das schif liaupt, hals und Schnabel (vgl.
vorcQcoQog) empfängt und als pferd oder schwan die flut durchschnei-
57 det, darum auch angeredet wird (gramm. 3, 434), tritt ähnliches ein
beim pflüg*. so ist ahd. die rede von pfluoges houbit und zagal,
noch heute von pflughaupt und pflugsterz, schwed. ploghufvud plog-
stjert, dän. ploughoved plougstiärt, engl, ploughneck (collum aratri)
* wenn Conrad troj. kr. 9742 sagt den ptluoc wtsen’, so gilt dies verbum
auch sonst von personen, nicht von Sachen.
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,*a7i 7C XiAiStl
il
ACKERBAU
41
ploughstilt ploughtail, nnl. von ploeghoofd ploegslaart, mnl. von cdes
ploeghes staert1 Minnenlop 2, 666.
Es mag aber bald ein gehörntes, bald ein wühlendes thier ge-
meint sein. MSH. 3, 213b heiszt es: cden pfluoc begrifen bi dem
horn’, und das ahd. geiza keiza für stiva gemahnt an geisz oder bock,
noch heute soll man im Argau die pflughandhabe nennen geisz. des
erdwühlenden ehers erwähnen unsere sagen (myth. s. 632. 975)*
und die serbische thierfabel läszt das schwein mit seinem rüssel ackern
(Reinhart CCXCI), porca, die aufgewühlte erde scheint nach porcus
oder porca genannt, wie furicha nach farah**; des Festus deutungen
taugen nicht, vielleicht dasz in vollständiger französischer thiersage
(Renart branche 22) der wolf pflügte, dann hätten wir vollends den
vrka oder köka. den Litthauern bedeutet plunksna (feder) des plluges
gahel, er ist also vogel, vielleicht hahn, der wiederum in den mär-
chen pflügt (mythol. s. 929. 975), im Renart dem ackerbauenden wolf
zur seite steht. Ich will mich nicht übereilen und sulcus für ver-
wandt mit sus, iol'g avXu£ evXuxa mit vg halten; Varro meint von
vomer: ita dictum quod terram erutam utrinque vomat, und es wäre
nah dabei an ein thier zu denken, doch hat vomer langes 0, vomere
kurzes, aber auch Plutarch leitet vvig vvrj vvvig von vg ah: des erd-
aufwühlenden thieres rüssel habe ersten anlasz zum pflüg gegeben***,
noch jetzt heiszt hei uns in einzelnen gegenden der leichte pflüg 58
schweinsnase, in England pigs nose und sollte nicht das altn. hali
cauda sich berühren mit skr. hala aratrum? Ihres dialecllexicon gibt
al für hal cauda und aratrum leve, alä *= halä für arare.
Andere henennungen des pflugs und seiner tlieile stehn gramm.
3, 415. 416 aufgezählt, ihren eigenlhtimlichen pflüg nennen die
Litthauer 2agre, was man dort zoch verdeutscht, haken (uncus) poln.
böhm. hak ist der räderlose pflüg, mit dem man hin und wieder das
land bearbeitet; es soll wendischer brauch sein, der name klingt
deutsch, den Finnen heiszt der pflüg atra (est. adder) ahra aura, die
handhabe auran kurki, auran perä, sonst sahra, das pflugeisen vannas
(wie keula vannas, prora navis). ir. ceachta aratrum, vomer. bask.
goldea und bostortza.
Den Skythen war ein goldner pflüg und joch noch glühend vom
himmel niedergefallen (Herod. 4, 5) und nach der reihe nahten ihm
ihre königssöhne. In einer unsrer volkssagen läszt sich eine glühende
egge vom himmel auf die erde, und an der stelle wird eine kirche
* eine malb. glosse diramni für porcus deutet Leo 1, 75 erdwühlen
** die sl. brazda, russ. borozda, poln. brozda entfernen sich von prase po-
rosja prosi^.
*** der eher galt unserm altertbum für ein tapferes edles thier, dessen Zei-
chen heim und Schild schmückte (mythol. 195), dem Odinn selbst die Schlacht-
ordnung, die svinfylking (caput porcinum, acies cuneiformis) abgesehn hatte (my-
thol. s. 122.) solchen eberkopf bildete auch der Alamanne Butilin (Agathias 2, 8),
wie die röm. kriegskunst den mauerbrecher aries nannte, krieg und ackerbau
weisen thiere.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
uim\n
42
ACKERBAU
fj i
gebaut (Emil Sommers -sagen no. 65). viel bedeutsamer musz jedoch
erscheinen, dasz in unsern weisthümern, wie durch sehwurf oder
koltervvurf, d. h. wurf mit der pflugschar gesetzliche weite ermittelt
wird (I, 483. 2, 456. 587. 721. 3, 30. 309), einigemal ausdrück-
lich mit heiszer pflugschar geworfen werden soll, im Langenfelder
weisthum (2, 594) lieiszt es: und wo der gefangne des dorfs ein ein-
wohner wäre, sol man für sein thür an den gatter einen heiszen kol-
ter legen und soweit damit könnte geworfen werden, sol man das
geeicht stellen und ihn richten; diese bestimmung wiederholt sich im
weisthum von Olzhem (2, 597) und von Scheuren (2, 599.) sie wäre
sinnlos, wenn sie sich nicht auf uralte Überlieferung gründete, die ich
unmittelbar wage mit jener skythischen zu verknüpfen, glühend oder
59 heisz gefordert wird die schar, das will sagen funkelneu, wie sie eben
geschmiedet wurde, da zu allen heiligen dingen neues geräth nöthig
war, weshalb auch 1, 483 gesagt ist: mit einem neuen seche. man
musz aber zugleich an das goltesurtheil denken, nach welchem bar-
* fusz über glühende pflugscharen geschritten werden soll (rechtsalt. s.
914); die alle heiligkeit des ackerwerkzeugs bricht allenthalben durch.
Noch im milteialter wurden silberne pflüge und schifle als abgabe dar-
gebracht (mythol. s. 52, 243. weisth. 1, 624. 2, 648. 659. 730.
731. 3, 853), ein delphisches Orakel sprach von aQyvQtu tvhüxu
evXu^eiv (Thuc. 5, 16.) König Ilugons goldpflug stand unentvvendbar
auf den äekern, er selbst leitete ihn alljährlich durch die flur (rom.
de Charlemagne p. 12, 13.) Wenn das volk sich seinen heerführer
oder herrscher auserwählt, treflen ihn die boten auf dem felde pflü-
gend, damit soll angezeigt sein, dasz des landbauers erste arbeit auch
ihm heilig bleibe: aranli quatuor sua jugera in vaticano, quae prata
quinctia appellantur, Cincinnato viator attulit dielaturam, et quidem,
I 0c.Xttvie4.ut traditur, nudo plenoque pulvcris ore. Plin. 18, 4/f Quinctius ab
aratro ad dietaluram areessitus. Liv. 3, 26 vgl. Cic. fin. 2, 4. Den
Gothen wurde geweissagt, dasz Vamba (ventriosus?) ihr könig sein
solle :
y lo habian de hallar arando cerca de la Andalucla,
con un buey blanco y sereno, y un prieto en su companla,
wie um die neugegründete sladt furche gezogen ward; der ackernde
stier gilt für heilig*. Als feierliche gesandschalt dem Premysl das
herzogsamt in Böhmen übertrug, lag seine hand am pflüg, und das
feld wo er ackerte hiesz seitdem königsfeld; andere melden er habe
auf eisernem lisch der pflugschar eben sein mahl eingenommen. Auch
Marko, der Serbenheld ackert und festigt den pflüg an den nagel
(Vuks gloss. 346) «i.wou,
uze Marko ralo za krtschalo.
60 Bei der huldigung in Kärnten muste der herzog den graurock mit
rauher jägertasche, worin brot, käse und ackergeräth lag, anziehen
* die septem trioncs bilden das heilige gestirn, triones für teriones oder
nach Varro 7, 74 terriones, boves arantes, valentes glebarii.
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---M
ACKERBAU
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und einen hirtenslab in band halten (RA. 253.) Unsern Heinrich über-
rascht die wahlbolschaft beim vogelstellen, diese sage entstammt noch
der hirlenzeit, aus der ackerzeit die römische von Seranus: serentem
invenerunt dali honores Seranum, unde cognomen. Plin. 18, 4.
Ich lenke wieder ein. das gebaute land heiszt mit groszer Über-
einkunft lat. ager, gr. äygog, goth. akrs, ahd. achar, ags. äcer, altn.
akr, schwed. äker, dän. ager, ohne zweifei aus agere aytiv herge-
leitet*, deute man von der bewegung des pflugs, dem antrieb der rin-
der, oder dem bloszen thun, das ein bauen ist, toyov und arbeit.
den deutschen sprachen mangelt schon das verbum, auszer der altn.
aka ök. allen romanischen aber fehlt das lat. ager und wird ersetzt
durch das allgemeine campo camp campus, nur im landmasz findet
sich mlat. acra, franz. acre, wie die tenuis zeigt aus deutschem acker
geborgt, eben darum scheint ir. acra, gal. acair entlehnt, anders ur-
theile ich vom böhm. auhor uhor, serb. ugar, die brachacker, ager
proscissus bedeuten und kaum zu ager gehören, vielmehr zu uhoreti
abbrennen (neugereutetes land, novale).
I'oln. rola, böhm. role, ich denke wieder mit abgeworfnem an-
laut statt orola orala von orati. sonst gilt pole, ursprünglich campus,
auch für ager. ihm entsprechen finn. peldo, est. pöld, lapp, päldo,
walach. holda, alts. folda, ags. folde, altn. fold, die deutschen Wörter
mit dem sinn von solum terra humus; an folda reiht sich aber feld
campus. daraus wage ich zu folgern: den Deutschen verblieb der
nomadische begrif von folda und feld, während Slaven pole, Finnen
peldo bereits zu gebautem land wurde, die Deutschen haben also
.früher acker gebaut und ihr wort, das ihnen mit Griechen und Rö-61
mern gemein war, nicht verloren.
Wenn die Litthauer den acker laukas nennen, lett. lauks, pr.
laukas; haftete im russ. lug”, böhm. luh, ahd. loh, ags. leäh, engl,
ley, lat. lucus wieder die ältere bedeutung von aue wiese wald weide,
und ähnliche schlösse werden statthaft, neben laukas litth. dirwa, lett.
druwa für ackerland.
Wir gelangen zu einem merkwürdigen ausdruck. brache brach-
fehl ist uns das in ruhe liegende ackerfeld, der angebaute acker,
brach liegen heiszt ungepfliigt liegen: mhd. sin bü in brache lac.
Diut. 2, 250, folglich anger ungebrächot, der angebaute acker (fundgr.
2, 143. 149 auf Maria bezogen**), ahd. aber bedeutete präclia ara-
tio, präehön proscindere terram; wie ist dieser anscheinende Wider-
spruch zu lösen? präclia war nicht volle pflügung, blosz aratio prima,
wobei der acker in schollen gebrochen ward, ohne dasz man ihn aus-
slellte; nachdem er zwei jahre getragen halte, blieb er in solcher
* wie gleich einstimmig (mutmaszlich goth. vagns) ahd. wakan currus, nhd.
wagen, ags. vagen, engl, wain, altn. vagn, skr. vahana, lat. velia vehela vehicu-
lurn, gr. oxos 6xr]/u.a, litth. wezimmas, poln. woz, böhm. wuz wozu, sämtlich
von vigan, skr. vah, lat. vehere, gr. o^cIv, litth. weszti, sl. vesti, poln. wie£d.
derselben wurzel gehört goth. vigs, ahd. wec, lat. via.
** den Skalden ist troda terra culta, subacta zugleich femina.
V V V vv
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ACKERBAU
ruhe das dritte liegen, ruhte er längere zeit, mehrere jahre hindurch,
dasz ihn unkraut dorn und gesträuch erfüllten, so kehrt er wieder in
weide und wald zurück, unsere weisthümer sagen: er trägt dorn und
distel, oder, das erste jahr soll er dorn und distel tragen, das ander
jahr soll man den wolf darüber laufen lassen, hub neuer laubwuchs
sich zu baumes höhe, konnte ein joch rinder sich im gesträuch ber-
gen, so wurde das land wieder markmäszig, wie es vor dem ersten
reuten gewesen war (rechtsalt. s. 92. 93. 525): das alte hirlenrecht
erwacht.
bräche stammt her aus brechen scindere; auch das mlat. rupti-
tius oder fractitius ager sind aus rumpere frangere gebildet; fractitius
kürzte sich ins franz. friche, terre friche. brach liegen hiesz mhd.
auch cin egerden ligen kindh. Jesu b. Hahn 95, 62, brach liegen
lassen cen egerde län3 MS. 2, 229b, agri egerden sind agri inculti.
Oberlin 275 mlat. agri vegri. egerde scheint ahd. ägierida. gleichviel
62 ist das nhd. driesch liegen, und drieschen bedeutet brachen; es scheint
ahd. drisk ternus oder trimus, was auf denselben dreijährigen umlauf
der ackerzeit weist*, mich dünkt, brache und driesch, die nach zwei
jahren anbau im dritten eintreten, hängen zusammen sowol mit dem
uralten jährlichen Wechsel der äcker (arva per annum mulant, in annos
singulos genlibus, quantum eis et quo loco visum est, attribuunt agri
atque anno post alio transire cogunt) als mit dreifelderwirtschaft,
die alles ackerland in drei wechselnd brach liegende Iheile ab-
sondert.
Altn. hiesz brachland träd pascuum (trieb und trät) oder troda
(nicht troda) terra subacta, trodarlsegi ager quiescens a cultura, von
troda calcare, coneulcare, golh. trudan, ahd. trctan. schwed. träda
ager cessans, vervactum, träda agrum, qui superiore anno quieverat,
proscindere, trädestock aratrum minus (jenes al oder hal), weil es
zum brachen nur leichteren pflugs bedarf.
Franz, auszer jenem laisser en friche, laisser en jachere (altfranz.
ä gaskiere. Meon 1, 108), en repos. älter ist das lat. vervactum,
quod vere semel aralum est**. der ital. ausdruck lautet maggese,
maggiatica, von maggio, wie unser brachmonat den juni bezeichnet,
sp. tierra baldia oder barbecho (vervactum) und herial. russ. prilog,
poln. przylog, böhm. pfjloh; auhor ugar wurden vorhin erwähnt, wen-
disch smaha. litth. pudimas, lett. papuwa, papua.
Mit allgemeinem ausdruck nennen wir die ausgestellte und geern-
tete frucht das gelraide, ahd. gitragidi, mhd. getregede, gleichsam
die zahme, in des menschen bände gekommne frucht, wie die zahmen
thiere den wilden entgegen stehn, lat. frumenlum, fruges; mlat. bla-
dum, blavum, it. biada***, biava, franz. bled, bld, ags. blaed, sl. plod;
* jene vei'os rghtoXos (Jl. 18, 541) war den Griechen driska und brächa.
** gegensatz: ager restibilis, qui restituitur ac reseritur quotannis, contra
qui intermittitur a novando novalis. Varro 5, 39.
*** und gern im pl. biade oder grani, franz. grains, wie finn. jyviä (die körner).
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ir. arbhar, vgl. lat. arvum; böhm. obilj, sl. obilije pinguedo, abun-63
danlia, wie arvina zu arvum gehört; lett. labbiba, von labs gut, die
güte, das liebe getraide.
Auch hier sollen die hauptarten des getraides durchgegangen wer-
den, wie bei den thieren schwankt der ausdruck zwischen einzelnen.
Das golh. hvaiteis verdeutscht Job. 12, 24 alrog, vulg. frumen-
tum; ahd. hueizi triticum, frumentum, siligo; alls. büßte triticum;
ags. hvaete triticum, frumentum, altn. hveiti, mhd. weize, nhd. wai-
zen, nnl. weit, engl, wheat, dän. hvede schränken sich auf triticum
ein. leicht fällt hvaiteis zu hveits albus, hueizi zu huizi, wie ais zu
eisarn, 6r zu isarn; genau gleicht litth. kwetys, lett. kweeschi und
das sicher entlehnte lapp, hveit. aber auch gr. oTiog, sl. shito, böhm.
zjto, poln. zito, sämtlich den allgemeinen begrif frumentum ausdriickend,
liegen nahe, sei nun skr. svßta albus anzuschlagen, oder sl. shiti
vivere, so dasz der sinn wäre lebensmittel, vivres (vgl. nacher quecke).
Eigen ist nnl. tarwe triticum, nd. tarve; es könnte nebst triticum,
sp. trigo der Wurzel -tero trivi tritum gehören (Benfey 2, 261) und
mehlkorn (far) bezeichnen, vgl. triturare. Gr. nvQog, syrakus.
cnvQog liesze sich zu oTrf/pw stellen, doch die gemeine form bestärkt
sl. p”iro oXvqu far, slov. pira gerste, böhm. pyr quecke, triticum
repens, lett. pürji puhri winterwaizen, mit Übertragung des namens
auf ein schlechteres getraide oder gar unkraut. Kuhn hält zu nvQog
die skr. wurzel pusch nutrire, Puschan den gott des ackerbaus, 7zoa
gramen für nooa. da böhm. pyr auch glühende asche bezeichnet,
wäre Verwandtschaft mit nvq möglich, obschoii dies kurzen, nvQog
langen vocal zeigt (aber auch unser fiuri langen), und die goldne saat
der Ceres könnte wie feuer glänzen, pschenitza, die russ. benennung
des waizens, böhm. psenice, poln. pszenice scheint gleich dem alts.
penik, nhd. fenich fench aus lat. panicum ableitbar; nahe liegt russ.
pscheno milium, böhm. pseno, poln. pszono*. ganz ab steht finn.
nisu triticum, est. nisso, auch finn. vehna. ir. breachtan triticum 64
vielleicht verwandt mit breach humulus, insofern beide dem bierbrau
dienen.
Was wir vorzugsweise körn nennen, die roman. sprachen gleich
allgemein grano grain, ist der rocken ahd. rocco, roggo, ags. ryge,
engl, rye, altn. rugr, schwed. rog, rag, dän. rüg, nnl. rogge, mlat.
rogo, welsch rhyg, litth. ruggei, lett. rudsi, russ. rosh’, böhm. rez
gen. rzi, poln. rei, rzy, ungr. rozs, finn. ruis, ruvis gen. rukiin, est.
rukki riigga röa, welche grosze einstimmung oft auf erborgung beru-
hen mag. Lat. siligo, woher gr. oiXiyviov, sommergetraide, zu unter-
scheiden von secale, it. secale, franz. seigle. secale war den Römern .
erst spät bekannt geworden und eine geringe fruclit, auf die sie einen
allgemeinen ausdruck anwandten, der von allem gcschnittnen getraide
* milium ist eigentlich sl. proso, das verwandt scheint mit ahd. hirsi, nhd.
hirse, weil P und K (was sich hernach in Hlaut verschob) tauschen dürfen, vgl.
nvavos mafios höhne, lett. ehrski, litth. soros, gr. xeyxgos.
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gelten kann; rührt aber secale von secare, so leitete auch böhm. rez
auf rezati, poln. rzezac, schneiden, obgleich die Zischlaute etwas abwei-
chen, vgl. poln. rzany =* fytni und rfysko stoppel. Die frucht scheint
aus dem Norden in den Süden gedrungen zu sein, wo der waizen vor-
herschte. da jenes russ. rosh, finn. ruis im Nordosten noch weiter
um sich greift und nicht allein bei Morduinen ros, bei Tscheremissen
rsha, rusha angetroflen wird, sondern mit Vorgesetztem vocal bei Vo-
gulen orosh, bei Ostjaken arüsh, bei Tschuwaschen irasch, bei Samo-
jeden arish, unter Tataren aresh orosh, selbst unter Zigeunern rozo
(Pott 2, 280); so liegt hier ein uraltes wort vor, in dessen Wurzel
gar nicht mehr einzudringen ist. wahrscheinlich gehört oqvI,u reis mit
hinzu, der im skr. vrihi hiesz, in unsern ahd. glossen aber auch durch
arawiz verdeutscht wird, was sonst pisum, cicer bedeutet: pisum
scheint ursprünglich malbare frucht*. welche getraidearten gr. oXvQa
und lat. arinca sind, weisz ich nicht.
65 Goth. baris gen. barizis, gr. xgidr;, ags. bere, engl, barley, altn.
barr, gen. bars, Ssem. 51 b allgemein frucht, alle von bairan, wie lat.
far von ferre, gen. farris (für farsis = barizis?), in farina einfaches
R, wie in fero baira und bere. altn. bygg, schwed. bjugg, dän.
byg, von byggja colere, gebaute frucht. ahd. gersta, mhd. nhd.
gerste, nnl. gerst garst, ags. gerst, engl, grist; wie wir schon bei
nvgog auf nou geleitet wurden, läge auch hier das nährende gras,
ags. gärs nicht ab, und S erschiene wesentlich; doch volleren an-
spruch haben hordeum fordeum ordeum, sp. ordeo, it. orzo, franz.
orge und xQi&rj (nach Benfey 2, 197 für /Qid-rj), liord = gert, S
eingeschaltet (wie in kunst brunst munst); vgl. bask. garagarra. sp.
cebada, von cebar nulrire und cibo nahrung. skr. java, bald
als frumentum und triticum, bald hordeum aufgefaszt, pers. jew, ent-
spricht dem litth. jawai frumentum, finn. jyvä granum frumenti (pl.
jyviä frumentum) wie dem gr. fea (vgl., skr. juga^, lat. jugum,
gr. tvyov) aufs haar, zugleich zeigt litth. jau^a Scheune die Verwandt-
schaft zwischen hordeum und horreum, granum und granarium (gre-
nier): es sind häuser für frucht und gerste. sl. jatsch’men’,
russ. jatschmen’, slov. jazhmen, serb. jetsclnnen, poln. ieczmien, böhm.
gecmen führt sich zurück auf die wurzel jasli edere, poln. iesdz, böhm.
gjsti, und entspricht dem altn. seti (von ela), welches Ssem. 51 b neben
bygg und barr steht; damit stimmen ferner ir. joth (in der alten
spräche ith), welsch yd hyd, bretagn. ed für körn, getraide, gleich-
sam res edules edulia. litth. meiei, lett. meeschi scheint mit
der bierbereitung in Zusammenhang. «xoor?/ soll auf Cyprus
die gerste geheiszen haben , vielleicht wegen ihres spitzen barts? vgl.
66 acus üxtoTQa und acus aceris spreu. finn. olira, est. ohrad oh her,
* von pisum, franz. pois, engl. pl. pease, ist sowol cicer, cicera, ahd. chi-
cburia, mhd. kiclier, als ervum, ervilia, franz. ers, ervilliers, ahd. araweiz (noch
b. Hans Sachs erbeisz), nhd. erbse, ags. earfe, nnl. ervet, altn. erta, gr. ogoßos
und egeßivSos der art nach unterschieden, mit der Sache scheinen uns diese
namen von Römern zugebracht.
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ich zweifle ob zum ir. orna earn gehörig. Zuletzt gedacht sei
der beiden synonyme lagastafr und hnipinn im eddischen Alvismäl, die
nicht anders als bygg harr vaxt aeti den begrif der frucht insgemein
hervor heben, nicht auf gerste einschränken, lagastafr, sonst auch
dichterischer name des meers, drückt das wie wellen, wenn seine
ähren schwer geworden sind, wogende getraide aus, und hnippinn
entweder gekrümmt, unter last der ähre gebogen, oder die gebundne
garbe, merges, altn. hneppi, dän. knippe.
Ahd. haparo habaro avena, alts. havoro, altn. hafri, schwed. hafre,
dän. havre, mhd. habere, nhd. haber (hafer ist unhochdeutsch), nnl.
haver, unverkennbar alle mit der schwachen form aus hafr caper ge-
leitet, also das gemutmaszte ahd. hapar bestätigend, die frucht rnusz
also bezug auf bock oder schaf haben, sei es dasz das thier dem
haber (vielleicht einem ähnlichen unkraut) nachstellt, oder vormals da-
mit gefüttert wurde*, haparo ist des hapar speise, hierzu stimmt
mancherlei, einmal alyl^.o)\fj windhaber, aiyinvQog ziegenwaizen und
dasz ßgo^iog (umgestpllt ßop/uog) sowol haber als bocksgestank, caper,
liircus bedeutet; zwar pflegt man letzteres ßQw/uog zu schreiben, nicht
anders ^iiallen sich Ihm. kauris caper und kaura avena, est. kara
kaer; j^R^^^-ovis, coirce avena, welsch keirk, um so deutlicher die
syncoa^^rc^^Rdis in kauris, caor. nun erklärt sich auch russ. oves”,
bÖhn^^HHHfli*. owies gen. owsa avena neben owce owca ovis und
litth. ausas avena neben awis ovis**; walach. ovesu
avena ^ÄdefiSfaven abgeborgt, ob ags. Ate äta avena, engl, oat pl. 67
oats i«Htag|j/hinein solchen thiernamen begegne, steht dahin, äta
wäre ano^j^^und GrafF 5, 7 88. 1, 541 hat die eigennamen Eizo
Eizä. f Lat. it. sp. avena, franz. avoine, nnl. evene fügen sich leicht | oo-rtwiw
zu ovis; wenn franz. averon folle avoine bedeutet, scheint es zurück- 533
zuführen auf haveron und deutsches havre, das die Franzosen auch in
havresae aufnahmen. baskisch heiszt haber oloa.
Jenes allgemeine körn, goth. kaum und durch alle deutschen
inundarten gehend, ist auch im lat. granum, ir. gran, sl. zr’no, böhm.
zrno, poln. ziarno vorhanden, empfängt aber im litth. firnis, lett. sirns
die eingeschränkte bedeutung pisum (erbskern.) pisum, nlaov, ita dic-
tum quod semper pisitur antequam coquatur, führt uns auf pisere pin-
sere, skr. pisch conterere und pöschana handmüle. gr. nrioaeiy pin-
sere, nriouv?], yovÖQog. eben dahin leitet auch zirnis.
Specifisch unterschieden von sl. zrno ist shr”n”v” mola, serb.
shrvanj, böhm. zerna, poln. farna, litth. girna (wofür der pl. girnos
bräuchlich), lett. dsirnus, goth. qairnus, ahd. quirn, alts. quern, ags.
* heute das pferd; schwed. hestakorn = avena; wie den gaul der baber
sticht, könnte er auch den bock, ein Sprichwort lautet: den bock auf die haber-
kiste setzen. Simrock 1180.
** aus aveda folgt, dasz die lat. spräche für ovis ursprünglich avis sagte, sie
liebt aber das 0 auch in novus novem skr. navas navan und vielen andern, und
unterschied ovis von avis vogel, die früher, sobald man ausgefallne consonanten
herstellt, ganz anders unterschieden waren.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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gelten kann; rührt aber secale von secare, so leitete auch böhm. rez
auf rezati, poln. rzezac, schneiden, obgleich die Zischlaute etwas abwei-
chen, vgl. poln. rzany = fytni und rzysko Stoppel. Die frucht scheint
aus dem Norden in den Süden gedrungen zu sein, wo der waizen vor-
herschte. da jenes russ. rosh, finn. ruis im Nordosten noch weiter
um sich greift und nicht allein bei Morduinen ros, bei Tscheremissen
rsha, rusha angetroflen wird, sondern mit Vorgesetztem vocal bei Vo-
gulen orosh, bei Ostjaken arüsh, bei Tschuwaschen irasch, bei Samo-
jeden arisli, unter Tataren aresh orosh, selbst unter Zigeunern rozo
(Pott 2, 280); so liegt hier ein uraltes wort vor, in dessen wurzel
gar nicht mehr einzudringen ist. wahrscheinlich gehört oqv^u reis mit
hinzu, der im skr. vrihi hiesz, in unsern ahd. glossen aber auch durch
arawiz verdeutscht wird, was sonst pisum, cicer bedeutet: pisum
scheint ursprünglich malbare frucht*. welche getraidearten gr. oXvga
und lat. arinca sind, weisz ich nicht.
65 Goth. baris gen. barizis, gr. xgidr}, ags. bere, engl, barley, altn.
barr, gen. bars, Ssem. 51 b allgemein frucht, alle
far von ferre, gen. farris (für farsis — barizis?
R, wie in fero baira und bere. altn.
byg, von byggja colere, gebaute frucht.
gerste, nnl. gerst garst, ags. gerst, engl.
nvQog auf noa geleitet wurden, läge auch
ags. gärs nicht ah, und S erschiene wesentl
Spruch haben hordeum fordcum ordeum, sp
orge und y.Qi&i] (nach Benfey 2, 197 für
bairan, wie lat.
rina einfaches
bjugg, dän.
mhd. nhd.
schon bei
gras,
eren an-
, franz.
gert, S
eingeschaltet (wie in kunst brunst munst); vgl. bask. garagarra. sp.
cebada, von cebar nulrire und cibo nahrung. skr. java, bald
als frumentum und triticum, bald hordeum aufgefaszt, pers. jew, ent-
spricht dem litth. jawai frumentum, finn. jyvä granum frumenti (pl.
jyviä frumentum) wie dem gr. Cf« £f/a (vgl., skr. juga^, lat. jugum,
gr. ’Quyöv) aufs haar, zugleich zeigt litth. jau^a scheune die Verwandt-
schaft zwischen hordeum und horreum, granum und granarium (gre-
nier): es sind häuser für frucht und gerste. sl. jalsch’men’,
russ. jatschmen’, slov. jazhmen, serb. jetschmen, poln. ieczmien, böhm.
gecmen führt sich zurück auf die wurzel jasti edere, poln. iesdf, böhm.
gjsli, und entspricht dem altn. aeti (von ela), welches Saem. 51 b neben
bygg und barr steht; damit stimmen ferner ir. jolh (in der alten
spräche ith), welsch yd hyd, bretagn. ed für körn, getraide, gleich-
sam res edules edulia. litth. mefei, lett. meeschi scheint mit
der bierbereitung in Zusammenhang. dxoorrj soll auf Cyprus
die gerste geheiszen haben , vielleicht wegen ihres spitzen barts? vgl.
66 acus uxtGTQa und acus aceris spreu. finn. ohra, est. ohrad ohher,
* von pisum, franz. pois, engl. pl. pease, ist sowol cicer, cicera, ahd. clii-
cliuria, mild, kicher, als ervum, ervilia, franz. ers, ervilliers, ahd. araweiz (noch
b. Hans Sachs erheisz), nhd. erbse, ags. earfe, nnl. ervet, altn. erta, gr. ogoßos
und sQsßivSos der art nach unterschieden, mit der sache scheinen uns diese
namen von Römern zugebracht.
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ich zweifle ob zum ir. orna earn gehörig. Zuletzt gedacht sei
der beiden synonyme lagastafr und hnipinn im eddischen Alvismäi, die
nicht anders als bygg harr vaxt seti den begrif der frucht insgemein
hervor heben, nicht auf gerste einschränken, lagastafr, sonst auch
dichterischer name des meers, drückt das wie wellen, wenn seine
ähren schwer geworden sind, wogende getraide aus, und hnippinn
entweder gekrümmt, unter last der ähre gebogen, oder die gebundne
garbe, merges, altn. hneppi, dän. knippe.
Ahd. haparo habaro avena, alts. havoro, altn. hafri, schwed. hafre,
dän. havre, mhd. habere, nhd. haber (hafer ist unhochdeutsch), nnl.
haver, unverkennbar alle mit der schwachen form aus hafr caper ge-
leitet, also das gemutmaszte ahd. hapar bestätigend, die frucht musz
also bezug auf bock oder schaf haben, sei es dasz das thier dem
haber (vielleicht einem ähnlichen unkraut) nachstellt, oder vormals da-
mit gefüttert wurde*, haparo ist des hapar speise, hierzu stimmt
mancherlei, einmal aly&toxp windhaber, uiymvQog ziegenwaizen und
dasz ßgo/uog (umgestellt ßoQfxog) sowol haber als bocksgestank, caper,
hircus bedeutet; zwar pflegt man letzteres ßQÜfxog zu schreiben, nicht
anders verhalten sich finn. kauris caper und kaura avena, est. kara j
kaer; ir. caor ovis, coirce avena, welsch keirk, um so deutlicher die V
syncope der labialis in kauris, caor. nun erklärt sich auch russ. oves”, $0V
böhm. owesr poln. owies gen. owsa avena neben owce owca ovis und
litth. awizos, letA ausas avena neben awis ovis**; walach. ovesu
avena ist den Slaven abgeborgt, ob ags. äte äta avena, engl, oat pl. 67
oats irgendwie einem solchen thiernamen begegne, steht dahin, äta
wäre ahd. eizo und Graff 5, 7 88. 1, 541 hat die eigennamen Eizo ,
Eizä. f Lat. it. sp. avena, franz. avoine, nnl. evene fügen sich leicht j oo-rSVeme
zu ovis; wenn franz. averon folle avoine bedeutet, scheint es zurück- 533
zuführen auf haveron und deutsches havre, das die Franzosen auch in
havresac aufnahmen. baskisch heiszt haber oloa.
Jenes allgemeine körn, goth. kaum und durch alle deutschen
mundarten gehend, ist auch im lat. granum, ir. gran, sl. zr’no, böhm.
zrno, poln. ziarno vorhanden, empfängt aber im litth. Firnis, lett. sirns
die eingeschränkte bedeutung pisum (erbskern.) pisum, niaov, ita dic-
tum quod semper pisitur antequam coquatur, führt uns auf pisere pin-
sere, skr. pisch conterere und pßschana handmüle. gr. nxiaanv pin-
sere, nriouvT], yovÖQog. eben dahin leitet auch zirnis.
Specifisch unterschieden von sl. zrno ist shr”n”v” mola, serb.
shrvanj, böhm. "zerna, poln. farna, litth. girna (wofür der pl. girnos
bräuchlich), lett. dsirnus, goth. qairnus, ahd. quirn, alts. quern, ags.
* heute das pferd; schwed. hestakorn = avena; wie den gaul der haber
sticht, könnte er auch den bock, ein Sprichwort lautet: den bock auf die liaber-
kiste setzen. Simrock 1180.
** aus avena folgt, dasz die lat. spräche für ovis ursprünglich avis sagte, sie
liebt aber das 0 auch in novus novem skr. navas navan und vielen andern, und
unterschied ovis von avis vogel, die früher, sobald man ausgefallne consonanten
herstellt, ganz anders unterschieden waren.
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diese Übersicht der nothwendigsten und ältesten ausdrücke
ACKERBAU
cveorn, engl, quern, altn. qvörn, schvved. qvarn, dän. qvärn. da nun
sl. Z und SH tauschen (bozi boshe, mozati raoshio), dürfen Jitth. Z
und G, gotli. K und Q ähnlichem Wechsel unterliegen, und kaum zrno
Firnis, die frucht, der sie malenden müle qairnus zerna girna unmit-
telbar verwandt sein, wie bereits Benfey 2, 128 körn kern qairnus
zusammenstellt*, granum und grando hagelkorn vermitteln sich aber
in yovÖQog (für yQovöog?) und im ags. grindan molere, mhd. grien
arena, nhd. grand, das kies und graupe bedeutet; skr. ist dhsri terere
molere, dhsirna tritus. Älteste mülen waren bandmülen und tretmü-
len, wie sie poln. £arna, engl, quern noch heute bezeichnen.
mola, f.ivlog {.ivX.7]**, alul. muh, ags. mylen, engl, mill, altn.
68 mylna, ir. meile, welsch melin, russ. mel’nitza, böhm. mlyn, poln.
mlyn, littli. malunas, ungr. malom gehn vorzugsweise auf die wasser-
rnüle, und die Wurzel molere, malan (praet. möl, starkformig), mljeti,
malti breitet sich weit aus, sie zeigt in melo, altn. miöl farina, malma
melm arena, malmen terere, ahd. mulian alle vorhin wahrgenommnen
begriffe, wie in farina far kann in qairnus die Wurzel kaum hegen,
während melo miöl aus malan, triticum aus terere erwachsen, oder
ist es gerathner auch körn, das malbare, malmbare aus mutmaszlichem
qairnan. = grindan molere llieszen zu lassen? ir. finde ich bro (gen.
bron, pl. brointe) für handmüle ***.
Auch
des ackerbaus lehrt, den Worten wie den Vorstellungen nach, gemein-
schaftlichen Ursprung der Völker.
Wie unmittelbar nah stehn sich arare, aratrum, ager im lateini-
schen griechischen keltischen und deutschen, zwar für aratrum ist
golh. ar|ir, ahd. aradar nicht mehr aufzuzeigen und altn. ardr um
weniges ungleich, dagegen späteres pfluoc plögr vielleicht von Slaven
und Litthauern eingedrungen oder so uralt, dasz es der lautverschie-
bung entgieng. diesen Slaven und Litthauern mangelt das dem ager
entsprechende wort, aber orati arti besitzen sie und für aratrum ein-
stimmig die ableitung mit L oralo ralo arklas = arlas, welches L
auch in sl. rola fiir ager gefunden wird, mola molere zeigt sich fast
allenthalben, granum körn zrno zirnis wieder bei Römern Deutschen
Slaven Litthauern, yovöqog, wenn es dasselbe, weicht in der form ab.
ebenso lucus loh lug laukas.
69 Lateinisch und deutsch erscheinen arvum arbi, porca furicha,
* lat. verna aus querna zu deuten würde ich wagen, läge nicht der begrif
des heimatlichen (vernaculus) zu stark darin, der malende knecht entspräche der
malenden magd, dXsrgls.
** fiel von aXeco M ab? vgl. aXevgov [idXevQov. Buttm. lexil. 1, 195.
*** hier noch ein Beispiel vom sinnlichen reichthum einiger sprachen, was
wir stoppeln nennen, ahd. stuphilün, lat. stipulae, stupulae, die auf dem acker
nach geschnittner frucht stecken bleibenden enden des halms, unterscheidet der
Litthauer: jawena ist Stoppel von getraide überhaupt, ruggiena vom roggen, kwe-
tena vom waizen, mezena von gerste, awiiena von haber. der Lette sagt rug-
gaji, meeschaji, ausaji; sirnaji von erbsenstoppein; grikkaji von buchwaizen.
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sulcus sulh, far baris, hordeum gersta. darunter stimmen auch zwei
zum gr. xpixh] und uX'§.
Deutsch slavisch und litthauisch sind qairnus zerna girna, hvaiteis
shilo kwetys, wiewol für die identität von shito zweifei bleiben, es
neigt sich mehr zu otrog, wie sich vielleicht pira und nvQog fügen.
- slavisch und altn. stimmen in jatschmen und aeti, wozu sich kelt. jed
ed ioth gesellt, wie bladum* und plod sich erreichen, eigenthümlich
stände nord. bygg bjugg, doch wie hätte der allgemeine sinn des Worts
ausgedehntere Verbreitung gehindert?
Finnisches peldo ist alts. folda wie sl. polje; die fmn. namen
der fruchte weichen ab, ausgenommen jyvä granum und ruis, das
aber fast überall hin reicht, in kaura haber avena treffen seltsam
die begriffe zusammen, nicht die Wörter, in avena und owes auch
das wort.
Mit dem sanskrit offenbart sich Urverwandtschaft hier seltner als
bei der Viehzucht und das ist natürlich, die ausziehenden hirlen hat-
ten noch manches gemein, wofür die späteren ackerbauer schon be-
sondere Wörter wählen musten**; aber dasz dabei Römer und Grie-
chen gewöhnlich schon Deutschen und Slaven gleichstehn, das spricht
für sehr frühe mitauswanderung der beiden letzten, dennoch bleiben
java jawai £eu, köka liöha huoho wichtige ausnahme, so wie, wenn
die wunderbare analogie allen zweifei besiegen kann, aritra aratrum
uqotqov, plava n\oXov plugas. seien die Germanen im groszen noch
lange hirlen gewesen, sie müssen gleich den Skythen von sehr
früher zeit an das himmlische pfluggerälh gekannt haben. Tacitus
legt unter allen deutschen Stämmen zumal den Aestiern ackerbau
bei***.
Grundlos erzeigt sich die von Niebuhr 1, 93 aufgestellle bebaup-70
tung, dasz Wörter, welche ackerbau und sanfteres leben betreffen, im
latein und griechischen einstimmen, alle zu krieg und jagd gehören-
den gegenstände unter den Römern mit ungriechischen Wörtern be-
zeichnet werden, namen der Waffen, von denen ich hier nicht handle,
gewähren, weil ihrer die menschen nie entrathen können, gröszere
manigfaltigkeit, doch ebemvol einleuchtende beispiele der Urgemein-
schaft , und für das wild, von dem die hirten wie von ihrem vieh
künde nahmen, waltet sie noch entschiedner. auch weichen lateini-
sche und griechische namen des getraides gerade meistens ab, wie
schon 0. Müller Etr. 1, 17 anmerkt, anfängliche Verwandtschaft blickt
in dieser oder der andern spräche immer durch, das kann nicht ver-
wundern, dasz sie unter den hirten gröszer war, als unter den acker-
* welsch ist blawd, bretagn. bleud farina, ir. blodli zerriebenes, zerstäubtes.
** kenner der persischen spräche mögen über akar — ager entscheiden, ob
•es entlehnt sein könne.
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bauenden und je weiter die Völker sich gegenseitig entfernten stu-
fenweise abnahm. Pflügen und malen haben Deutsche und Slaven
weder von einander noch von Römern und Griechen erlernt, aber
neue arten des getraides, vollkommnere weisen der ackerbestellung
mögen durch mittheilung dahin und dorthin, früher oder später ver-
breitet worden sein.
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—
VI.
FESTE UND MONATE.
Erst unter ackerbauenden Völkern ordnen sich gottesdienst und 7]
zeitabtheilung; auch die nomaden haben ihre götter denen sie opfer
darbringen, und die gestirne des himmels prägen ihnen den Wechsel
der tage, monate, jahre ein; aber von der besitznahme heimatlicher
statten scheint hausehre der frauen und einfflhrung der meisten göt-
tinnen abhängig, auf die erscheinungen des ackerhaus läszt sich regel-
mäszige Wiederkehr der zeiten am natürlichsten anwenden, wenn auch
krieger das andenken ihrer siege feiern, so hat nur der friede die
ruhe und Stätigkeit der feste geheiligt, die mehrzahl aller feste gehört
offenbar den wünschen und freuden des ackermanns.
Unsere Vorfahren nannten ein fest uoba, gleichsam cultus, von
uoban celehrare, exercere, colere*, wie es scheint auch öra (mythol.
s. 26. 720.) deutlichen bezug auf Wiederholung der zeit haben ahd. itmäli
festivitas, solemnitas, ags. edmaele, vom goth. mdl tempus, und ags.hedh-
tht, altn. hätid, mhd. höchgezit, nhd. hochzeit, alts. högetidi, oder hlosz
tidi, wihtidi. sl. god, godina, böhm. hod tempus, annus und dann72
auch festum, solemnitas, zumal in der pluralform godi wie tidi. toQXTj,
jon. oQxrj, vielleicht verwandt mit ifpo£, wie Od. 21, 258 tOQxrj ayrrj
verbunden steht, lilth. szwente, lett. swehlki heiligertag. Dunkler ist
das lat. festum, das zu feriae = fesiae gehört wie fasti, nefasti zu
fari, nefarius, man vergleicht sl. basn’ fahula; diese fasti waren ge-
richtstage, feriae feiertage, an welchen die arheit ruhte, daher ist
unser feier und feiern, schon ahd. fira, firön geborgt. Den ältesten
ausdruck bewahrt uns blosz die goth. und ahd. mundart, goth. duljss
toQxtj, dulf)jan tOQXu&iv, ahd. tuld festum, solemnitas, neomenia,
rßtuldi exsequiae (goth. hraivädulfmis?), tuldan celehrare, agere, tuld-
lih solemnis, tulditac tulditago dies feslus, mhd. dult (für tuld, tult)
Servat. 2871. 3293. MS. 2, 74b die dult behalten Mar. 160, 27.
* solemnis nicht zu solere, vielmehr, wie Festes lehrt, zum osk. sollo =
lat. solum, gr. olov, welchen skr. sarva entspricht, lat. salvum und servare nah
verwandt sind, wie unser goth. hails, ahd. heil integer und hailjan servare.
4*
Staatsarchiv Marburg, Best. 340
FESTE JAHRSZEITEN
hegen 161, 32. 162, 13. dultac dies festus. fundgr. 1, 106. das
wort hat sich heute noch unter dem volk in ßaiern und der Schweiz
erhalten, es ist dahei weder an goth. {rnlan, ahd. dolßn pati, tolerare,
die in der consonanz abstehn, noch an Verstümmlung des lat. indul-
tum, gleichsam concessio principis (cod. theod. III. 10, 1. IV. 15, 1) vel
ecclesiae zu denken, wie schon jener ahd. bezug auf den ncumond
oder die todtenfeier darthut. auch hindert die anwendung auf kirchen-
feste nicht, dasz es im heidenthum entsprungen sei, ich weisz aber
seine wurzel, die hoch ins alterlhum hinauf reichen musz, noch nicht
aufzudecken.
Im höchsten alterthum scheint das jahr nur in drei theile zu zer-
fallen, die Inder unterschieden entweder vasanta frühling, grischma
sommer, sarad regenzeit, oder nach dem ältesten commentalor der
veden: grischma, varscha regenzeit, hömanta winter, anderwärts sogar
sechs Zeiten, aus deren doppelung die zwölf monate entspringen, die
Griechen: tuq frühling, &tQog sommer, yeif-aoy winter, aber schon
bei Homer Od. 11, 192 ist dem &tQog noch oncogi] angefügt, grosze
einstimmung findet statt zwischen hemanta und hima kälte, zend. zima,
sl. zima, litth. £iema, lett. secma, /ti/uu und /ei/mov, ir. gamh,
73geimhre, lat. hiems; die it. inverno, sp. invierno, franz. hiver sind
nach hibernus wie giorno, jour nach diurnus gebildet; ein deutsches
wort hätte mit G anzulauten, zu vasanta gehörig scheint sl. wiosna
wesna (frühling), litth. wasara sommer, lat. ver, wenn es für ves
steht, das römische jahr zählt vier theile ver, aestas (verwandt mit
aestus), auctumnus, hiems*. tag, den Boeotiern nach Ilesychius
yiaQ, scheint vergleichbar dem ir. earrach, sl. iar, gar (frühling) wie
dem goth. jer annus, ahd. jär. Ulfdas gibt Marc. 1 3, 28 d-tpog durch
asans, wo es ihm ernte, ü-tgio/iiog, ahd. aran bedeutet und dem lat.
aestas gleicht, wir wissen also nicht gewis, oh er neben vintrus auch
sumrus kannte, was nach der durchdringenden analogie aller unsrer
sprachen zu erwarten stände. Diese beiden vintrus und sumrus schei-
nen auf dem gegensalz einer uns besonders eigenlhümlichcn personi-
ßcation zu beruhen, und ersten blicks den verwandten sprachen fremd,
näher zugesehn bricht aber die analogie, zumal mit keltischer spräche
durch, sumrus, ahd. sumar, ags. sumor, altn. sumar ist das ir. samh
(sol aestas) und samhra (aestas) **, welchem geimhra (hiems) wie dem
sumrus vintrus gegenüber steht, vintrus nemlich musz früher gelautet
haben qintrus, verhält sich also wie goth. qainön zu ahd. weinön,
qiman zu lat. venire, qius zu vivus, quattula, quacara (Pertz 2, 793)
zu wahtula (coturnix) oder die ahd. Schreibung Quiliperht Quolfwin für
Wiliperht Wolfwin; unsere gleich der lat. spräche tilgt den kehllaut
vor dem V gern, goth. vaurms lat. vermis entspringen aus qaurms
quermis, umgekehrt behauptete sich im lat. hiems H. qintrus tritt
* finn. talvi, lapp, talve hiems, finn. kesä, lapp, kese aestas, wobei mir
pers. chezän herbst einfällt.
** berührt sich finn. suvi (aestas) est. sui?
© w
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
JAHRSZEITEN
53
mit geimhra yeT/ua hömanta hiems ziema zima auf gleiche reihe, und
N mit anschlusz des T (wie in hund hunt canis) für M begegnet wie
™nirp und aiman. Unser alter name des frühlings ahd. lenzo, nhd.
igten (vgl. ahd. langiz) tritt dem sl.
i in den begrif von jahr jßr •■= tuQ
1 blwydd frühling, blute, blwyddyn74
r. bliadhain jahr ausdrücken. goth.
'zog, wie finn. vuosi (annus) zu jenem
•aschende und groszentheils unbestreit-
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mg, an der ich früher mit unrecht
zu seiner zeit die Germanen auch nur
drei jahrszeiten unterschieden: hiems et ver et aestas intellectum ac
vocabula habent, auclumni perinde nomen ac bona ignoranlur, er sagt
es, nachdem er ihnen eben zwar getraidebau, aber noch keine gärten
zugesprochen hat. ohst und wein reifen beträchtlich später als ge-
traide, nach deren einführung wird auch der ahd. name herpist, ags.
hearfest, altn. haust verwandt, oder wenn das wort schon in anderm
sinn gangbar war, auf diese zeit bezogen worden sein*, noch heute
pflegt man herbst ausschlieszlich von ohst und Weinernte, nicht von
getraide zu gebrauchen, der deutsche feldbau lag also im ersten jh.
unsrer Zeitrechnung noch danieder und beschränkte sich auf die
cerealien **.
Bei eintheilung des jahrs gieng das alterlhum am natürlichsten
von den Sonnenwenden aus, d. h. dem höchsten oder tiefsten stand,
den die sonne jedes jahr, indem sie sich niederwärts oder aufwärts
wendet, einnahm, so zerfällt das jahr in zwei gleiche hälften, Som-
mer und winter, die mit Johannistag und Weihnachten anheben, beide
hälften nochmals zerlegt ergehen sich vier haupttheile, welche gedrit-
theilt zusammen zwölf nicht völlig gleiche Zeiträume bilden und das
ganze jahr abschlieszcn. die Beobachtung der wiederkehrenden nlond-
wechsel liesz dagegen die tage des jahrs in dreizehn Zeiten absondern,
welche den unmittelbar vom monde selbst geleiteten namen der monate 75
führten, der auf jene zwölf Zeiten des sonnenjahrs nicht gerecht war.
hieraus entsprang ein widerstreit-zwischen zwölf perioden der sonne
und dreizehn des monds, wobei allmälich die sonne siegle, der mond
aber den von ihm gegebnen namen durchsetzte.
Über das indische jahr sind zwölf lebendig gedachte Adiljas,
söhne des Aditi und der Kasjapa, eingesetzt***, welche unter besondern
* ich habe zu herpist xäpjtog und y.apniZ,<a gehalten; könnte in haust RF
svncopicrt, das V aus F entsprungen sein? das anlautende H in haust, höst
scheint gegen die herleitung aus ougest, augustus. irisch heiszt der herbst fomhar.
** goth. asans ahd. aran meint getraideernte, messis, nicht vindemia, ich
denke auch alts. beo bewod, nnl. bouwt, erst Kilian hat winbouwt.
*** auch in einem märchen des pentamerone 5, 2 treten die zwölf monate
als briider leiblich auf, und einzelne monate heiszen noch heutiges tags unter
dem volk briider oder mann und frau.
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
A*- jAUk. » V*. JÜk. w*. Jj>.
FESTE JAHRSZEITEN
Legen 161, 32. 162, 13. dultac dies festus. fundgr. 1, 106. das
worl hat sich heute noch unter dem volk in ßaiern und der Schweiz
erhalten, es ist dahei weder au
die in der consonanz ;
tum, gleichsam concessi
ecclesiae zu denken,
oder die todtenfeier da
feste nicht, dasz es i)
seine wurzel, die hoch
aufzudecken.
Im höchsten alterl
tolerare,
t. indul-
5, 1) vel
neumond
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:isz aber
ch nicht
fallen, die Inder unterschieden entweder vasanta lrunnng, grischma
sommer, sarad regenzeit, oder nach dem ältesten commentator der
veden: grischma, varscha regenzeit, hßmanta winter, anderwärts sogar
sechs Zeiten, aus deren doppelung die zwölf monate entspringen, die
Griechen: lag frtihling, &£Qog sommer, yyif.aov winter, aber schon
hei Homer Od. 11, 192 ist dem d-tgog noch otuoqt] angefügt. grosze
einstimmung findet statt zwischen hßmanta und hima kälte, zend. zima,
sl. zima, litth. 2iema, lett. seema, yti/tiu und yei/ucov, ir. gamh,
73 geimhre, lat. hiems; die it. inverno, sp. invierno, franz. liiver sind
nach hibernus wie giorno, jour nach diurnus gebildet; ein deutsches
wort hätte mit G anzulauten, zu vasanta gehörig scheint sl. wiosna
wesna (frülding), litth. wasara sommer, lat. ver, wenn es für ves
steht, das römische jahr zählt vier theile ver, aestas (verwandt mit
aestus), auetumnus, hiems*. I'uq, den Boeotiern nach Ilesychius
ytaQ, scheint vergleichbar dem ir. earrach, sl. iar, gar (frülding) wie
dem goth. jer annus, ahd. jär. Ulfilas gibt Marc. 1 3, 28 &t()og durch
asans, wo es ihm ernte, d-tgiof-iog, ahd. aran bedeutet und dem lat.
aestas gleicht, wir wissen also nicht gewis, oh er neben vintrus auch
sumrus kannte, was nach der durchdringenden analogie aller unsrer
sprachen zu erwarten stände. Diese beiden vintrus und sumrus schei-
nen auf dem gegensalz einer uns besonders eigenlhtimlichen personi-
fication zu beruhen, und ersten blicks den verwandten sprachen fremd,
näher zugeselm bricht aber die analogie, zumal mit keltischer spräche
durch, sumrus, ahd. sumar, ags. sumor, altn. sumar ist das ir. samh
(sol aestas) und samhra (aestas) **, welchem geimhra (hiems) wie dem
sumrus vintrus gegenüber steht, vintrus nemlich musz früher gelautet
haben qintrus, verhält sich also wie goth. qainön zu ahd. weinön,
qiman zu lat. venire, qius zu vivus, qualtula, quacara (Perlz 2, 793)
zu wahtula (coturnix) oder die ahd. Schreibung Quiliperht Quolfwin für
Wiliperht Wolfwin; unsere gleich der lat. spräche tilgt den kehllaut
vor dem V gern, goth. vaurms lat. vermis entspringen aus qaurras
quermis, umgekehrt behauptete sich im lat. hiems H. qintrus tritt
* finn. talvi, lapp, talve hiems, finn. kesä, lapp, kese aestas, wobei mir
pers. cliezän herbst einfällt.
** berührt sich finn. suvi (aestas) est. sui?
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
JAHRSZEITEN
53
mit geimhra /ti/ua hemanta hiems ziema zima auf gleiche reihe, und
N mit anschlusz des T (wie in hund hunt canis) für M begegnet wie
in venire und qiman. Unser aller name des frühlings ahd. lenzo, nhd.
lenz, nnl. lente, ags. lencten, lengten (vgl. ahd. langiz) tritt dein sl.
Ijeto, leto (aestas) nahe, welches in den begrif von jahr jer ••= tag
und iar rückt, wie auch welsch hlwydd frühling, hlüte, blwyddyn 74
jahr, bretagn. bloaz, bloavez, ir. bliadhain jahr ausdrücken. goth.
aj>n, atajmi (annus) gehören zu trog, wie finn. vuosi (annus) zu jenem
sl. wiosna (aestas.) lauter überraschende und groszentheils unbestreit-
bare analogien.
Des Tacitus wichtige meldung, an der ich früher mit unrecht
gezweifelt hatte, enthält, dasz zu seiner zeit die Germanen auch nur
drei jahrszeiten unterschieden: hiems et ver et aestas intellectum ac
vocabula habent, auctumni perinde nomen ac bona ignorantur, er sagt
es, nachdem er ihnen eben zwar getraidebau, aber noch keine gärten
zugesprochen hat. obst und wein reifen beträchtlich später als ge-
traute, nach deren einführung wird auch der ahd. name herpist, ags.
hearfest, altn. baust verwandt, oder wenn das wort schon in anderm
sinn gangbar war, auf diese zeit bezogen worden sein*, noch heute
pflegt man herbst ausschlieszlich von obst und Weinernte, nicht von
getraide zu gebrauchen, der deutsche feldbau lag also im ersten jh.
unsrer Zeitrechnung noch danieder und beschränkte sich auf die
Cerealien**.
Bei eintheilung des jahrs gieng das alterlhum am natürlichsten
von den Sonnenwenden aus, d. h. dem höchsten oder tiefsten stand,
den die sonne jedes jahr, indem sie sich niederwärts oder aufwärts
wendet, einnahm, so zerfällt das jahr in zwei gleiche hälften, som-
mer und winter, die mit Johannistag und Weihnachten anheben, beide
hälften nochmals zerlegt ergehen sich vier haupttheile, welche gedrit-
theilt zusammen zwölf nicht völlig gleiche Zeiträume bilden und das
ganze jahr abschlieszen. die beobachtung der wiederkehrenden moiul-
wechsel liesz dagegen die tage des jahrs in dreizehn Zeiten absondern,
welche den unmittelbar vom monde selbst geleiteten namen der monale 75
führten, der auf jene zwölf Zeiten des sonnenjahrs nicht gerecht war.
hieraus entsprang ein widerstreit -zwischen zwölf perioden der sonne
und dreizehn des monds, wobei allmälich die sonne siegte, der mond
aber den von ihm gegebnen namen durchsetzte.
Über das indische jahr sind zwölf lebendig gedachte Aditjas,
söhne des Aditi und der Kasjapa, eingesetzt***, welche unter besondern
* ich habe zu herpist xägnos und y.aoTiiC^co gehalten; könnte in haust RF
syncopicrt, das V aus F entsprungen sein? das anlautende H in haust, hüst
scheint gegen die herleitung aus ougest, augustus. irisch heiszt der herbst fomhar.
** goth. asans ahd. aran meint getraideernte, messis, nicht vindemia, ich
denke auch alts. beo bewod, nnl. bouwt, erst Kilian hat winbouwt.
*** auch in einem märchen des pentamerone 5, 2 treten die zwölf monate
als brüder leiblich auf, und einzelne monate keiszen noch heutiges tags unter
dem volk brüder oder mann und frau.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
namen aufgeführt die einzelnen mondhäuser beherschen; auf diese weise
sollte sonnenzeit sich mit der des mondes einigen, die namen der
monate werden aber nicht von diesen Aditjas, sondern von den Stern-
bildern, in welchen der Vollmond eintritt, entnommen, und ich ent-
halte mich sie herzuschreiben, da ohnehin grosze abweichung statt-
findet; am schlusz des capitels sollen die volksmäszigen, aus einer
Zerlegung des jahrs in sechs theile hervorgehenden monatsnamen der
Inder mitgetheilt werden, von den übrigen pflegt ein einziger monat
kaumudi nach kumuda lotus zu heiszen, gleichsam lotusmonat; alle
monate beginnen etwa nach der mitte der unsrigen.
Unter den griechischen Stämmen hub das jahr verschiedentlich
entweder mit Sommersonnenwende, Wintersonnenwende oder herbst-
nachtgleiche an, abwechselnd begannen die monate zwischen dem 21
und 24 tag der unsrigen. alle monatsnamen lauteten einfach, die
jonischen auf -icov, die übrigen auf -tog, ihre manigfaltigkeit, wie
neuere Untersuchungen dargelhan haben, musz auf Volksfeste zurück-
geführt werden; ist ein göttername darin enthalten, so handelt es sich
um ein fest zu seiner ehre, und niemals scheint der name blosze na-
turschilderung zu gewähren; er sollte dem volk die Wiederkehr des hei-
ligen festes einprägen*, ich theile hier nur die monate des attischen
jahrs mit, welche vom sommer anhebend ungefähr den beigefügten
unsrigen entsprechen:
76 7 tExaTOf.ißau6v vom rinderopfer,
8 MtrayeiTvauv, für AnoXXcoy furuytlrviog,
9 Boydgo/iuiov von der ßoriÖqoi.iia zu Tlieseus ehre,
10 Tlvuvt'ipuöv (K.vavi'\\ji(x)v) vom bohnenfest für Apollon,
11 M.aif.iaxTrjQic6y für Ztvg f.iaifiüxTrjg, wüter,
12 IIoGudiUiv.
1 l'u/LirjXia>y von der yu/urjXi'a zu Ileras ehre,
2 'AvfrtorriQKjöv von dem blumenfesl,
3 EXcuprjßoXuov von der hirschjagd, für Artemis,
4 JMovvvyuov für AQTtf.ag [Movvvyja,
5 OaQy^Xicov von den Thargelien für Apollon,
6 ^y.tyofpoQuov vom schirmfest für Athene.
einige dieser namen mögen älter sein, als die Zerlegung des jahrs in
zwölf monate war, alle weisen auf einfache feste zu ehren olympischer
götter, vorzugsweise des Apollon und der Artemis, der zwillingsge-
schwister, von welchen die gaben des ackers und des waldes abhien-
gen; auch bei der Artemis feier mangelte nicht die waizenähre (Herod.
4, 33.) dem 'AnoXXwv ÜOQvomog galt bei asianischen Aeolern auch
ein IIoQvoni(x)y, und EXacprjßoXuov hiesz anderwärts geradezu Aqtz-
/nioiioy. Aber wie die feste selbst verschoben sich die namen der
monate, die Boeotier legten ihren Bovxuziog auf die Wintersonnen-
wende, während zu Athen die ßovcpövia der Sommersonnenwende
* K. Fr. Hermann über griechische monatskunde. Göttingen 1844. Theodor
Bergks beitrage zur griechischen monatskunde. Gieszen 1845.
MONATE
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i'TTI A ä a a A A /H
zufielen*, woher der name Exaro^ßaiwv. Tloxtog in Amphissa be-
zog sich auf die Schafschur (noxog.)
Wenn etwas den abstand römischer sitte und spräche von der
griechischen lehrt, so ist es die beinahe gänzliche Verschiedenheit der
lateinischen monatsnamen. Ihr jahr vom merz (ungefähr der frühlings-
nachtgleiche, wie niemals in Griechenland) beginnend, nannten sie die
vier ersten und beiden letzten monate von göttern, nach Mars Maja
Juno Janus Februus (oder Februa) den Martius** Majus Junius***
Januarius Februarius; Aprilis zog man fehlerhaft auf die griechische 77
Aphrodite und schon Varro 6, 33 will ihn lieber deuten quod ver
oinnia apperit, gleichsam aperilis, wie den Neugriechen der frühling
uvoi^ig eröfnung heiszt; es könnte einen verschollnen hehlen oder gött-
lichen beinamen Aper oder Aprus gegeben haben, in Januarius Fe-
bruarius weist die abweichende bildung -arius ungleichzeitigen Ursprung,
vom fünften bis zehnten monat wurde blosz gezählt: quinctilisf sex-
tilis September october november december, und auch unter ihnen
steht das -her der vier letzten ab von dem -ilis der beiden voraus-
gehenden, welches vielmehr zu aprilis stimmt, dazu tritt nun, dasz
auch quinctilis und sextilis aussterben und Julius, Augustus benannt
werden, angeblich nach Julius Caesar und Octavius Augustus, welche
beide die Zeitrechnung berichtigten und als vergötterte fürsten dem
monat ihren namen verleihen durften. Suetonius sagt es ausdrücklich ff,
ein späteres zeugnis legt Macrobius (Saturn. 1, 12) ab. Sueton lebte
schon 150 jalire nach Caesar, 100 nach August, und mir kommen
zweifei ein, ob er und die zu seiner zeit verbreitete ansicht nicht irre,
in Julius und Augustus nicht alte volksthümliche namen, die längst vor
Caesar und Octavius bestanden, erneuert seien? Es fällt schon auf,
dasz gleichzeilige Schriftsteller unter Caesar und August jener namen-
gebung geschweigen, und sollten Tiberius, Caligula, Claudius, Nero
dem einmal gegebnen beispiel folgend nicht nach gleicher ehre gestrebt
und mindestens versucht haben, ihre namen den übrigen zahlmonaten
aufzudrängen? in Kleinasien, namentlich zu Aphrodisias gelangte unter
römischer herschaft die. Schmeichelei allerdings dahin, nach den mona- 78
ten Kcuodyiog, 5Iov)urjog, JZeßaoxog auch einen TtßtQiog und Tjoaict-
vog in den calender, allein für ganz andere monate aufzunehmen, als
die ihnen zu Rom gebührt hätten, sollte aber ein gr. ’lovhog so
hoch hinaufsteigen, dasz er jenen allen Julius vor Caesar beweisen
könnte? bedeutsam fällt der cyprische vIovXog in die zeit vom 22 dec.
* ßöckh C. I. 1, 733 \
** wie der gr. Ü4qeios oder !14qeos nach Ares.
*** ob Junius aus Junonius gedeutet werden darf? ich will darauf zurückkommen,
f vgl. Procop de bello golh. 1, 24.
ff im Caesar 76: decerni sibi passus est .... appellationem mensis e suo
nomine, und im Octavius 31 : in cujus (anni) ordinatione sextilem mensem e suo
cognomine nuncupavit, magis quam septembrem, quo erat natus. sagenhaft ver-
schieden Festus: Julium, quod eo mense dicitur Julius natus. Caesar biesz Ju-
lius dem verbreiteten julischen geschleckt nach.
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K. Fr. Hermann a. a. o. s. 64.
** die deutnngen bei Sueton Oct. 8 und Festus 'ab avium gestu gustuve’ tau-
gen nichts, also ab auctu , was jener billig voranslellt.
*** mir fallen dabei Heimdalls neun miitter ein (Saun. 118*. b. Sn. 106 Laxd.
392), also das fest seiner wunderbaren gebürt.
56 MONATE
bis 23 jan. *, er könnte den Römern nach Julus dem groszen heros
heiszen, von dem das ganze priesterliche geschlecht bis auf den die—
tator selbst stammte, der name Augustus, passend von augere, wie
auctumnus abgeleitet**, dem litth. auksztas, goth. auhuma entspre-
chend, wird als kaisertitel durch gr. oeßaozog wiedergegeben, zu
diesen gründen soll hernach noch ein andrer für uns bedeutsamer tre-
ten. Sehr wahrscheinlich besaszen ursprünglich auch September oclo-
ber november december andere namen als die zählenden, und man dürfte
überhaupt schlieszen, dasz zahlen angewandt wurden um einer jüngern
vom merz anhebenden jahrsrechnung Sicherheit zu verleihen, während
die ältere, zuletzt wieder siegende den januar an die spitze der Win-
tersonnenwende stellte, was schon aus der benennung selbst hervor-
geht, da Janus den reigen der uralten gölter anfiihrt und auf der
schwelle (janua) des jahrs steht.
Für unsere deutschen monatsnamen ist der abgang eines golhi—
sehen calenders unersetzlicher verlust, wie schon der eine glücklich
gerettete jiuleis (november oder december) lehrt, und dazu cfruma
jiuleis’ darbietet, dem wir alsogleich im ags. cforma geolä* begegnen;
welche bedeutsame einstimmung.
Höchst wichtig wird uns die von Beda (f 738) in der schrift de
lemporum ratione cap. 13 gegebne nachricht, welche ich hier, mit
benutzung mehrerer texte, einschalle.
De mensibus Anglorum. antiqui autem Anglorum populi (neque
enim mihi congruum videtur aliarum gentium annalem observantiam di-
79cere, et meae reticere) juxta cursum lunae suos menses computavere,
unde et a luna, Hebraeorum et Graecorum more, nomen accipiunt.
siquidem apud eos luna mona, mensis appellalur monath, primusque
eorum mensis, quem Latini Januarium vocant, dicitur Giuli, deinde
Februarius Solmonath, Martius Hredmonath, Aprilis Eosturmonath, Ma-
jus Thrimilci, Junius Lida, Julius similiter Lida, Augustus Veodmonalh,
September Halegmonath, October Vintirfyllith, November Blotmonath,
December Giuli eodem quo Januarius nomine vocalur. Incipiebant
autem annum ab octavo calendarum Januariarum die, ubi nunc natale
domini celebramus, et ipsam noctem nunc nobis sacrosanctam tune gen-
tili vocabulo Modraneht, id est matrum noctem***, ob causam ut su-
spicannir, ceremoniarum, quas in ea pervigiles agebant. Et quoties-
cunque communis esset annus, ternos menses solares singulis anni tem-
poribus dabant, cum vero embolismus, hoc est XIII mensium lunarium
annus occurreret, superfluum mensem aestali appoucbanl, ila ut tune
tres menses simul Lida nomine vocarentur, et ob id annus thrilidus
cognominabalur habens quatuor menses aeslalis, ternos, ut semper,
■
MONATE
57
temporum caeterorum. Iterum principaliter annum totum in duo tem-
pora, hiemis videlicet et aestatis dispertiebant, sex illos menses, qui-
bus longiores noctibus dies sunt, aestati tribuendo, sex rcliquos liienii.
unde et mensem, quo hiemalia tempora incipiebant, Vintirfyllith appel-
labant, composito nomine ab bieme et plenilunio, quia videlicet a pleni-
lunio ejusdem mensis hiems sorlirelur initium. Nec abs re est, si et
caetera mensium eorum nomina quid significcnt interpretari curemus.
menses Giuli a conversione solis in auctum diei, quia unus eorum prae-
cedit, alius subsequitur, nomina accipiunt. Solmonath dici potest
mensis placentarum, quas in eo diis suis offerebant, Hredmonath a dea
illorum Hreda, cui in illo sacrificabant, nominatur. Eosturmonath, qui
nunc pascalis mensis interpretatur, quondam a dea illorum, quae Eostre
vocabatur, et cui in illo festa celebrabant, nomen habuit, a cujus no- 80
mine nunc pascbale tempus cognominant, consueto antiquae observa-
tionis vocabulo gaudia novae solemnitatis vocantes. Tbrimilci diceba-
tur, quod tribus vicibus in eo per diem pecora mulgebantur*. talis
enim erat quondam ubertas Britanniae vel Germaniae, e qua in Britan-
niam natio intravit Anglorum. Lida dicitur blandus sive navigabilis eo,
quod in utroque illo mense et blanda sit serenitas aurarum et navigari
soleant aequora**. Veodmonath mensis zizaniorum, quod ea tempes-
tate maxime abundent. Halegmonalh mensis sacrorum. Vintirfyllith
potest dici composilio novo nomine liiemiplenium. Blotmonath mensis
immolationum, qitod in eo pecora, quae occisuri erant, diis suis vove-
rent. gralia tibi, bone Jesu, qui nos ab his vanis avertcns tibi sacri-
ficia laudis oflerre donasti.
Unter diesen ags. namen beziehen sich Solmonath Hredmonath
Eosturmonath Halegmonalh Blotmonath ausdrücklich auf heidnische feste,
zwei derselben sogar auf die göltinnen, welchen opfer dargebracht
wurde; wogegen bei Giuli Lida Tbrimilci Veodmonath Beda blosz an
eigenschaften denkt, die der jahrszeit in ihnen zustehn, Vinterfyllith
(vgl. gotli. fullijjs myth. s. 672) blosz wintersein tritt ausdrückt. Un-
zusammengesetzt erscheinen nur Giuli Lida Tbrimilci, und sicher sind
sie schon darum uralt, Vinterfyllith ist zusammengesetzt und alle übri-
gen schleppen sich mit angehängtem monath. Giuli entspricht genau
dem golh. Jiuleis, spätere ags. denkmäler ziehen die schwache form
Geola vor und unterscheiden die beiden monate dieses namens und die
beiden Lida durch Vorgesetzte adjectiva: se forma Geola, se äftera
Geola, se terra, äftera, und wenn einschaltung statt lindet jtridda Lida.
Thrilidi fürs Schaltjahr gleicht dem Tbrimilci. Allmälich aber scheinen 81
einzelne namen zu veralten oder werden absichtlich durch neue ver-
treten: Ilredmönad durch Illydmonad, Tbrimilci schon durch das lat.
Majus, terra Lida durch Searmönad, Seremönad (mensis aridus), äftera
* wie auf dem rginolos dreimal im sommer gepflügt und geerntet wurde.
** Beda hat im sinn ags. litte, engl, lithe blandus, mitis, ahd. lindi und
lidan navigare, transfretare, altn. lida, die windstille auf dem meer legte man
erscheinungen der gotter bei.
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2 Solmönad
3 Hredmönad.
4 Eosturmönad
5 Thrimilci
6 aerra Lida.
7 äftera Lida.
8 Veodmönad
9 Hälegmönad.
10 Vinterfylled
11 Blötmönad
12 forma Geola.
MONATE
Lida durch Medemönad, Hälegmönad durch Ilearfestmönad. auszerdem
mag, seit uralter zeit, der sechste monat midsumor, der zwölfte mid-
vinter heiszen. Ich will sie alle zur übersieht aufstellen*.
1 äftera Geola
Hlydmönad
Majus
Searmönad.
Medemönad
Hearfestmönad
midsumor
midvinter.
Finden im jahr dreizehn monate statt, d. h. ist der achte se Jbridda
Lida, so musz nun Veodmönad die neunte, Hälegmönad die zehnte
stelle einnehmen und schon aus diesem Verhältnis begreifen sich Ver-
schiebungen der namen. Ohne zweilel gab es auszer den bisher an-
geführten namen bei einzelnen Stämmen noch besondere, Vihtraedes
dömas, deren bekanntmachung im j. 696 erfolgte, geben zu eingang
an csextan däge Rugernes5, so dasz Rügern roggenernte auszudrücken
scheint, von rüg ryge secale und ern messis, und entweder august
oder September bezeichnete. auch hier zeigt die abwesenheit von
mönad einen uralten namen an**.
82 Unsere ahd. monatsnamen überliefert Eginharts bekannte stelle.
Karl der grosze, der nicht gleich Caesar und August an der Zeitrech-
nung regeln konnte, suchte mindestens die unter seinen Völkern viel-
fach schwankende benennung zu berichtigen: mensibus enim juxta pro-
priam linguam vocabula imposuit, cum ante id temporis apud Francos
partim latinis partim barbaris nominibus pronunciarentur. die kirche
und der verkehr mit Romanen hatte längst römische namen einge-
schwärzt, neben welchen also noch einheimische heidnische galten,
wahrscheinlich gefügere, als die Umschreibungen, welche Karl an deren
Stelle vorschlug oder, wenn sie schon früher im gebrauch waren, bei-
behielt; seinen eigennamen mit in die reihe zu setzen (worauf ihn
Sueton hätte führen können) darauf verfiel weder des königs einfacher
sinn, noch späterhin seines volks. die namen lauten wie folgt:
1 Januarius Wintarmänöth
2 Februarius Hornung
t dem offenbar aus Beda tlieszenden verzeichnisz des chron. Beruoldi
(Pertz 7, 395) ist vimirfrillith verlesen aus vintirfyllitli.
** längst berschen in England die römischen namen, doch allgemein haftet
bis auf heute yule zur Bezeichnung des weihnachtsfestes und die gemeine Volks-
sprache wird sich auch noch andere namen nicht haben nehmen lassen, so fin-
det sich barleymonth für September (= nnl. evenmaand), Verstegan nennt barn-
monad, was dasselbe sein wird. Brocketts glossary of northeountry works hat
s. 89 hagmena fiir december.
4. -4^- Jtk..
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MONATE
59
3 Martius Lenzinmänöth
4 Aprilis Ostarmänöth
5 Majus Winnemänöth
6 Junius Brächmänöth
7 Julius Hewimänöth
8 Augustus Aranmänöth
9 September Widemänöth
10 October Windumemänöth
11 November Herbistmänöth
12 December Heilogmänöth*
unter ihnen scheint blosz Hornung ganz echt und alt, östarmänöt würde
kaum geblieben sein, hätte die kirche nicht lange schon den heidni-83
sehen namen für das christliche fest gedultet; im zehnten monat steckt
dennoch das lat. vindemia, wofür die ahd. spräche auch sonst winte-
möd und im verbum windemön = vindemiare verwandte, winnemä-
nöt scheint weidemonat, von winni vinna pastus, das auch wunna lau-
tete, goth. vinja, mit dem nebensinn der wonne und freude (vgl. s. 17.
29), wie unsern minnesängern der mai überall den frohen eintritt des
sommers, die sommerwonne andeutet, zweifelhaft sein kann der neunte
monat, den Angelsachsen hiesz der achte oder neunte veodmönad, den
Beda aus veod zizania erklärt, alts. wiod, mnl. wede, nnl. wiede,
sonst wildhaber, ags. vilde äte, ein um diese zeit auf dem acker
schieszendes oder getilgtes unkraut; fränkisch sollte wiodmänöth ge-
schrieben stehn, weder withu noch witu taugen. Sichtbar werden
durch Karls namen, abgesehn von ihrem geschlepp, die vier jahrs-
zeiten schlecht geschieden, da zwischen herbist wintar und lenzo jedes-
mal nur ein monat gerückt, sommers anfang gar nicht ausgedrückt ist.
Die älteren vor Karls zeit geschriebnen glossen überliefern keine mo-
natsnamen; reganmänöt (Graff 2, 795) scheint nur Verdeutschung des
lat. mensis defluus, obwol einzelne hss. Eginharts ihn auch für novem-
ber verwenden, dasz andere formen wie brächöt, houwöt wenigstens
in Baiern und Schwaben längst üblich waren, lehrt mit Sicherheit
deren späterhin anhaltende dauer. Zu den ags. monaten stimmen allein
Östarmänöt Widemänöt Herbistmänöt Heilagmänöt, beide letztere an
anderer stelle und auf zwei verschiedne monate erstreckt, da die ags.
namen demselben zukamen. Hornung bedeutet spurius filius, adulte-
rinus, illegitimus und musz aus irgend einer symbolischen anwendung
des worts horn auf diesen begrif flieszen, also cornutus aussagen. ich
würde ans himmelszeichen des Widders (altn. hyrningr) denken, in das
aber die sonne erst am 20 merz tritt.
Wann zuerst die fremden römischen namen oberhand nahmen,
läszt sich nicht bestimmen, es musz sehr frühe geschehn sein, da
bereits Eginhart sic voraussetzt, keronische glossen des achten jh.
* etwas strenger hochdeutsche formen dieser namen in den schlettstädter
glossen bei Haupt 5, 327, namentlich wnnimänöth, hovimänöth, aranomänöth,
witemänoth, windemänöth, heribislmänöth.
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60 MONATE
84 gewähren marceo für martius, jüngere des eilften merze meje aberelle
was auf ein früheres aprilio, aprileo majo schlieszen läszt: immer
schwacher form, aus LI entsprang LL in abrelle.
Bei den mhd. dichtem finde ich fünf monate ziemlich oft ge-
nannt, die sieben übrigen fast gar nicht, jene sind hornunc Waith.
28, 32. hornunges wetter. Helmbr. 1200; merze Waith. 46, 30;
aberelle MS. 1, 20a 2, 31b 94b 183a Lanz. 8787. abrille Parz. 96,
12*; meige meie allenthalben (eine Cass. hs. von 1445 gibt dem juni
merkwürdig: ander meige) ougeste MS. 2, 176a vgl. ougestheiz Parz.
3, 9. ouwesl Iw. 3058 (BDb ougest) owest Livl. ehr. 9672.
Januar februar juni juli September october* november december
sind aber in den gedichten unerhört, in prosa stehn folgende namen.
für jan. in glossen, die beinahe mhd. sind (Graff 2, 795), järmänct,
in einer urk. von 1313 (Schweiz, gesch. forsch. 1, 71) barmanoth,
was vielleicht bermänot mensis apri? Ilartm. von Fritzlar zweimal (bei
Pfeiffer 1, 73. 91) volborne volborn oder volbor, nämlich hartmänd
91, 1 musz ihm dec. sein, so dasz härtmänd volborne hornunc merze
auf einander folgen; volrot in Mones anz. 6, 436 vollrat bei Oberlin
1686 ist jedoch december. eine hs. aus dem anfang des 15 jh. hat
hardemaint für jan., spurkel für februar**, eine oberhess. urk. von
1315 spurkel für febr. Retmänet für febr. oder merz (mythol. s. 267)
klingt bedeutsam an den ags. Hredmönad. juni juli heiszen brächhoz
(urk. von 1291. Schund schw. wb. 89) brächot (Zcllweger n°. 76.
82. 107 «. 1341. 1344. 1373) brächet (Anshelm 1, 166. 394) bro-
chat (Justinger 58. 133) hoewat (Augsb. urk. a. 1330 MB. 33«, 545)
85 houwots (urk. von 1240. Böhmers reg. n° 3801)*** howacz (altd.
bl. 2, 197) hüwet (Anshclm 1, 78) heuet, beuget (Schm. 2, 133.);
aber auch die Zusammensetzungen brächmät (Diut. 1, 399) hoimanod
(urk. von 1404. 1405 bei Zellweger n° 164. 165.) ougest = august
wird zwar von herbest =* sept. gesondert (Livl. ehr. 9673), oft aber
begreift derselbe name beide: in den tzweyen augsten (Muglen bei
Kovachich s. 4), der ander ougst (Mones anz. 8, 496) «= sept., der
erste herbstmonat (Zellweger n° 191 a. 1407) — sept.; unter erstem
anderm drittem herbstmand ist sept. oct. nov. gemeint, was Karls her-
bistmänöth einholt. Fulmänt (Diut. 1, 409. 432) fohnant (n. lit. anz.
1807 s. 363) fülmont (Mones anz. 6, 436) bedeuten sept., sonst fol-
monat auch october. november heiszt wolfmon (Mone 8, 249), win-
* octember in Hahns Tit. 3277 (auch im alten druck) vgl. altfranz. witembre
(a. 1283. Ileelu cod. dipl. s. 425) und serb. oktomber.
** Henneberg, archiv 1, 76, woraus ich das ganze Verzeichnis hersetze l harde-
maint, 2 spurkel, 3 merze, 4 aprille, 5 mey, 6 hramaint, 7 heumaint, 8 aust,
9 evenmaint, 10 herfst, 11 alrehilgenmaint, 12 sant Andrcismaint. das alles scheint
niederrheinisch.
*** aus dem dat. hovvvotse macht Hägens vorr. zu den Nib. (1816) s. VIII
einen ort. cxuucV YYV13 . S2,*i:(1o8.
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MONATE 61
termont (im namenbüchlin a. 1435 und Mone 6, 436), louprise*,
lawbreisz (cod. cass. von 1445.) december hertimänot (Graff 2, 797)
bartmon (cod. cass. a. 1445) hartmonet (im namenb.), anderwärts voll-
rät, slachtmonet, wintermonet, Christmonet, übersieht:
1 barmänet. volborn. barlmdnet
2 hornunc. spurkel.
3 merze. Retmänet
4 aberelle
5 meige
6 brächot. brächoz. brächmänet. ander meige
7 houwot. houwots. höumänet
8 ougest. ouwest. aust
9 ander ougest. herbest. Fulmänt
10 ander herbest, winmänt
11 dritte herbest, wolfmänet. firsle winlermänet. louprise
12 ander wintermänet. volrät. harlmänet.
der alte hornunc, den schon Karl dultete, dauert fest, entschieden 80
eingedrungen sind merze aberelle meije. bemerkenswTerth die analogie
von brächot und houwot**; unter den abweichenden namen fällt zu-
mal volbor oder volborn auf: ist es ein ahd. folporo oder folporan
legitime natus? oder der alul. folprunno plenus fons, noch nhd. Voll-
born, Fülleborn eigenname, gleichsam implens fontem? dabei musz
aber auch volrät plena copia für dec. und selbst folmänet für sept.
(vgl. mythol. s. 749) erwogen werden, der als erntemonat triftig ein
monat der göllin Fulla, Folla = Abundia (mythol. s. 265. 285) hiesze
(vgl. den irischen mi lananas.)
Auch in nhd. Schriftsprache haben die römischen namen durch-
gängig gesiegt, merz april mai aber starke form empfangen, nur wird
von einigen noch aprill, wie es aus der schwachen entsprang, ge-
schrieben. von altdeutschen namen höchstens hornung zulässig, der
übrigen enlräth man, wegen ihrer schwankenden bedeutung und un-
* in Schweiz, urkunden oft louprlsi, loubriesi, laubriesete = laubfall und
allgemein für jabresumlauf: dri louprisinen, niin louprisinen (weistb. 1, 11) mei-
nen: wann das laub dreimal, neunmal gefallen ist, vgl. Stald. 2, 159.
** sie scheint eingewirkt zu haben auf romanische namen derselben monate
in angrenzender gegend. ein calandrier du 13 e siede, den Roqueforts suppl. 195
mittheilt, hat für alle monate die üblichen lat. namen, auszer für 6 ghieskerec,
für 7 feneree, jenes von ghieskere gaskiere = bräche (oben s. 62), dieses von
foin, foenum, beide Wörter drücken demnach genau aus brächot, houwot. nicht
anders heiszen in Graubünden beide monate zarcladur und fenadur (Conradi s. 88.)
beide zusammen auch altfranz. resaille mois (Roquefort 2, 470), ich weisz nicht
ob vom mlat. resallire, das vom lat. resilire verschieden scheint. Aber Metzer
urkunden von 1312 und 1357 nennen den juni somertras, sonmartras, in einer
bei Butkens 1, 229 meint mois de seval den juli, was alles Roquefort s. v. sa-
vart, savarz, sommart durch terre en friche erklärt; ist dabei unser sommer im
spiel? Noch lese ich bei Meon 1, 448b juignet für juli, gleichsam zweiter, klei-
ner oder groszer juni, was ganz deuscli scheint; in juillet statt jul, juil (ital. lug-
lio, sp. julio) ist diese bildung durchgedrungen, aernovel f. august bei Roquefort
bedürfte belegs, enthält aber unser erne messis.
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62
MONATE
9-
«LY
bequemen form. In Franken Horla Hörla Horlung für hornung, in
. 'föf*y*JL * * Henneberg unterscheidet der grosze und kleine Horning zwischen jan.
<u_yye. oy. g7 untj febr> statt Wonnemonat hört man in Schwaben mitunter lustmo-
° nat für mai. In der Schweiz, ziemlich auf mhd. weise 1 jänner,
> /'^ 2 hornung, 3 merz, 4 april, 5 mai, 6 brachmonat, 7 heumonat,
8 äugst, 9 herbstmonat, 10 weinmonal, 11 wintermonat, 12 Christ-
monat. Unter den ital. Deutschen nach Ilormayr: 1 genner gienner
(it. gennaro), 2 horning horlung, 3 mörz mörzen, 4 abrel, 5 maii,
6 broucket bracket, 7 höbiget, 8 erster aux, 9 anderst aux, 10 hör-
böist, 11 hälegmunät, 12 bintermunäl; damit werden fast die Tiroler
namen stimmen, man sieht Karls lieilagmänolh hier dem nov. (ags.
dem sept.) überwiesen, den wintermonat dem december.
Niederrheinische und niedersächsische abweichungen. in Nieder-
hessen hörte ich noch ‘bruder Hartmann* für jan., hardemaynd hat
eine urk. bei Seibertz von 1382, der name reicht von Hessen durch
den Westerwald (Limb. ehr. 85) an den Niederrhein bis Cöln (Firme-
nich 1, 453 a) und Bremen, wo er aber für febr. stehn soll (brem.
wb. 2, 60.) die alte Cölner chronik hat bl. 42a hartmaent ind spur-
kel; im Cölnischen und an der Eifel findet sich sonst für jan. lase-
mand*. Den febr. nennt die Limb, chron. 123 sporkel, der Wester-
wälder spörkel oder spörkelsin (mythol. s. 749): ‘hält ich gewalt, wie
mein bruder Hartmond, sagt der Spörkel, so sollte das kalb erfrieren
in der kuh, die suppe vornen kochen, hinten frieren3. Philanders von
Sittewald kehrausz macht aus dem westreichischen spirkler sogar april.
in Osnabrück soll, nach Strodtmann 278, der febr. wannenmond
heiszen, in Holstein hat er den namen vosmanet, und auch Chorion
gibt dem febr. fuchsmonat. Am Niederrhein gilt evenmant (habermo-
88nat) für sept. (Günther 3 n° 453. 462), cin der bonenarne3 (bohnen-
ernte) bezeichnet Neocorus die herbstzeit. nirgend hat Neocorus seil—
maand, silmaand, welche nach Ziegler (brem. wb. 4, 749 und Outzen
s. 302) in Ditmarsen für sept. gelten sollen; wir werden sie hernach
auf den nl. febr. angewandt finden, was richtiger scheint, den octo-
ber, wofür zuweilen sadmoen, saatmonat vorkommt, bezeichnen musz
rosenmonat in der Limb., ehr. 120, wahrscheinlich misverstanden aus
roselmonat, von rosel alts. rusel, rysel adeps. Der niederrheinische
teutonista hat folgende namen: 1 hardmaynt, 2 sporkel, 3 merte,
4 april, 5 meye, 6 hoeymaynt, 7 bramavnt, 8 oist, 9 herfstmaynt,
10 ossenmavnt, 11 alreheiligen maynt, 12 wintermaynt, was. zu den
niederländischen namen überleitet. Aus dem tieferen Niedersachsen
kann ich wenig anführen; in der glosse zu Ssp. 3, 82 stehn die
* lehnsauftrag Conrads von Schleiden an könig Johann von Böhmen als gra-
fen von Luxenburg über die herschaft Schleiden vom 23 jan. 1343: des andern
tages na sancte Agneten dage en dem mande der da heiszet Lasmand, und in
der lat. fassung: postero die sanctae Agnetis in mense qui appellatur Lasemond.
Liinig C. J. feudal. 3, 107. sollte dies unbegreifliche wort aus dem mnl. lau-
maent verlesen sein?
Uäi
^ uv ,4k.. Jik; JL -u*. ’Jk 4
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
63
bekannten ausdriicke horning und bräcmäne*. Es wäre wichtig, was
jeder hochdeutschen und niederdeutschen landschaft angehört genau zu
ermitteln, und namentlich für die beiden ersten monate, welcher unter
ihnen hartmänet, volborne, hornunc und sporkel zustanden.
Mnl. quellen geben ziemlich auskunft. januar heiszt laumaent
Maerl. 1, 156, 2, 25, anderwärts geschrieben leumaent hör. belg. 7
18a lomant Diut. 2, 214 b. febr. bald sporkel oder sporcle (doch dies
scheint flexion Maerl. 2, 25. Kauslers chron. 10054. in sporkelle im
anhang zu de Klerk 1, 740 a. 1306) bald aber sille Maerl. 1, 156.
seile (Kilian h. v.), beide mögen nach der gegend gelten und sporkel
mehr niederländisch, sille mehr friesisch sein, merz: maerte, meerte.
april: aprel Maerl. 2, 245. aprille de Klerk 1, 692. mai: meye
Stoke 3, 172. mey Kausler 9302. junius steht bei Haupt 1, 105,89
das einheimische wedemaent bei Kausler 9111 und de Klerk 2, 476.
570 (a. 1356. 1340), wieden bedeutet noch heute jäten, julius Maerl.
3, 287. de Klerk 2, 486. 556 aber hoymaent Maerl. 1, 336. für
august häufig östmaent, falsch geschrieben oeslmaent Maerl. 2, 345
oustmaent de Klerk 2, 491. houstmaent 2, 502, auch blosz ogst
Maerl. 2, 72. oechst de Klerk 1, 802. 804 oder maent van oeghst
b. de Klerk 2, 497. 499. neben September evenmaent hör. belg. 7,
19. october Maerl. 2, 193 de Klerk 2, 518. november Kausler
9301. 10053 und wieder evenmant Diut. 2, 225 a. december de
Klerk 2, 524, in Maerl. nat. bloeme aber slachtmaent. übersieht:
1 laumaent
2 sporkel. sille
3 maerte
4 aprel. aprille
5 meye
6 junius. wedemaent
7 julius. hoymaent
8 oghest. öst. östmaent
9 September, evenmaent
10 october
11 november. evenmaent
12 december. slachtmaent
Nnl. bleiben gangbar: 1 louwmaand, 2 sprokkelmaand, 3 lentemaand,
4 grasmaand, 5 ldoeimaand, 6 zomermaand, 7 hooimaand, 8 oogst-
maand, 9 herfstmaand, 10 wijnmaand, 11 slagtmaand, 12 winter-
maand. Landschaftlich aber in Holland und Belgien manche andere:
1 hardemaand hardmaand in belgischen strichen und solchen, die sich
* Chorions ehrenkranz der teutschen sprach. Straszb. 1644 wirft hochdeut-
sche, niederländische, angelsächsische, nordische und übersetzte slavische mo-
natsnamen untereinander, dasz man kaum etwas aus ihm anführen darf, sonst
verdienen namentlich die mit thieren zusammengesetzten monate aufmerksamkeit
und genauere prüfung. das landvolk in Niedersachsen nennt heutzutage nicht leicht
monate, sondern behilft sich mit heiligen festen, die auch hier an die stelle der
alten getreten sind.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
dem Niederrhein nähern, 2 sporkelmaand, schrikkelmaand, selmaand,
sulmaand, blijdemaand, 3 dorremaand, 4 paaschmaand, 5 vvonnemaand,
6 braakmaand, roozenmaand, 7 vveidemaand, wedemaand, 8 bouw-
maand, 9 evenmaand, gerstmaand, pietmaand, speltmaand, 10 aarzel-
OOmaand, herselmaand, rozelmaand, 11 loefmaand, boremaand, hoer-
maand, smeermaand, 12 windelmaand, wolfsmaand, heiligmaand,
korsmaand*.
Leider gewähren die altfriesischen gesetze keinen als den wol-
klingenden maiamonalh (Richth. 914), die heutigen friesischen-theilt
mir Ilalbertsma mit (sie stehn auch meistens in hriefen des Japicx):
1 foärmoänne, 2 seile, 3 foärzienmoänne, 4 goersmoänne, 5 blomme-
moänne, 6 simmenmoänne, 7 haeimoänne, 8 rispmoänne (von rispen
colligere), 9 hervstmoänne, 10 wynmoänne, 11 slachtmoänne, 12 win-
termoänne.
Vor allem fällt auf, dasz unter den niederländischen und friesi-
schen namen, wie unter den hochdeutschen, der einzige fehruar ein-
fach ist, folglich uralt scheint; doch an des hornungs stelle sind hier
zwei andere, gleich schwierige benennungen getreten.
Sporkei mahnt an den indicul. superstit. des j. 743 cde spurca-
libus in fehruario^ (Pertz 3, 19), das ist ein altes zeugnis für den
namen und führt ihn deutlich auf ein Volksfest hin. spurcalia von
spurcus abgeleitet kommt im guten latein nicht vor und die römische
sitte hat keine so benannte feier**, im miltellatein gilt es aber für
heidnischen brauch: ‘fanaticae lustrationis spurcaüa thurificabal’ sagt
Aldhelm de virginit. c. 12, Karls capit. von 769 nennt Cspurcitias gen-
tilitatis3 (Pertz 3, 33) andere setzen Cspurcamina\ dabei fällt mir
sogar ahd. horo, ags. horu, horva sordes, coenum ein, aus welchen
hornung und nicht aus horn entspringen könnte, wiewol hornung kaum
für horawung, horving steht, seltsam bleibt immer die herkunft des
91 volksmäszigen monatsnamens aus dem kirchenlateinischen spurcalis, und
sehr möglich, dasz eine deutsche Wurzel spork unterliegt, und die
geistlichkeit den namen geflissentlich in spurcalis entstellte, zu erwä-
gen ags. spearca scinlilla, engl, spark, sparkle, nnl. sprank sprankel
und spark sparkel; ahd. sporah, spurcha juniperus, nd. sprokware
(winddürres holz, RA. s. 507), nnl. sprok, sprokkel (windfall, leseholz),
woher das geldrische sprokkelen holz lesen.
Seile, sille gleichen offenbar dem ags. solmonad, wenn man sie
nur aus sylle entspringen läszt, für den ags. namen kommt nun zu-
oberst Redas deutung ‘mensis placentarum’ in betracht; doch ich kenne
sonst kein sol als benennung eines gebäckes. aber goth. saljan, ags.
* zu finden in den Wörterbüchern, einer abhandlung von J. D. Meyer (ver-
handelingen der tweede klasse von het instituut. deel 1 1818 s. 130 ff.) und in
der annee de l’ancienne Belgique par Coreinans. Bruxelles 1844. alles aber
genauerer prüfung bedürftig.
** wenn man februarius von februare reinigen leitet und ein festum lustrale
annimmt; so wäre spurcare gerade das gegentheil verunreinigen.
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MONATE
65
sellan syllan hiesz darbringen, opfern (mythol. s. 34) und sylmönad
könnte gelten wie blötmönad. weniger behagt Lyes auslegung solis
mensis. Da ags. sol auch volutabrum bedeutet, ahd. gisol und solaga
(Graff 6, 186) altn. söla inquinare (vgl. ahd. salawön Graff 6, 183)
geriethe man wieder auf spurcare und lioro, die fast beseitigt schie-
nen. die angeführten nnl. sulmaand selmaand wünsche ich erst völlig
beglaubt, sie könnten dem ags. ausdruck nachgeahmt sein.
Auch laumaent louwmaand ist schwierig, wer mag ans engl, law
(mit Übergang von 6 gesetz in ehe conjugium) und gar an den gr.
yaf.irjhdn' denken? da weder mnl. lauw noch nnl. louw für 6 Vor-
kommen, höchstens loy dem franz. loi nachgebildet wurde (Kausler 2,
630) und nur gesetz, nicht ehe ausdrückt, louwen soll sodann ger-
ben, leder bereiten, nnl. looijen bedeutet haben, was gewaltsam auf
die vom schlachtmonat (dec.) her übrigen rinderhäute bezogen wird.
Kilian hat louwen verberare, und Fergüt 8595 steht gelout .(geschla-
gen, Wolframs gälünet): betrout. wider unser lau tepidus, ahd. lao,
altn). hlyr sträubt sich die strenge winterzeit.
Die meisten übrigen niederländischen namen sind verständlich und
schon anderwärts erklärt, rozelmaand ist fetter monat, von rozel adeps,
alts. rusel, gerade wie auch nov. smeermaand heisztj wenn das dunkle
pietmaent für sep.t. aus ags. pida medulla, engl, pith (vgl. ir. paiteog92
butter) zu deuten wäre, so liefe das auf dieselbe Vorstellung hinaus;
oder ist piet aus dem franz. epeautre entsprungen? dann wäre es
gleichviel mit speltmaent. aarzelmaand deutet man aus aarzelen (recu-
ler), vom zurückgehn, neigen der zeit, loefmaand verstehe ich nicht.
Wären nordfriesische namen vorhanden oder gesammelt, sie könn-
ten den Übergang zu den nordischen bilden.
In Dänemark sind neben den römischen noch heimische üblich:
1 glugmaaned, 2 blidemaaned und früher göie, 3 tormaaned, 4 faare-
maaned, 5 mejmaaned, 6 sommermaaned, auch skärsommar, 7 orme-
maaned, 8 hömaaned, höstmaaned, 9 fiskemaaned, 10 sädemaaned, frü-
her auch ridmaaned, 11 vintermaaned, 12 juelmaaned.
Schwedische: 1 Thore, Thorsmänad, 2 Göja, göjemänad, 3 blida,
blidemänad, thurrmänad, 4 värant; 5 mai, 6 midsommer, 7 höant, hö-
mänad, 8 skortant, skördemänad, 9 höstmänad, 10 blotmänad, slagt-
mänad, 11 vinlermänad, 12 julmänad. das -ant in värant höant skor-
tant entspricht dem altn. önn (opus, negotium) pl. annir, sie drücken
also aus vernum negotium, foeni, messis negotium; die schwed. bibel
setzt skördeand für ernlezeit, richtiger wäre zu schreiben värand,
höand, skördand: das geschäft wird zur Zeitbestimmung angewendet.
Man darf noch andere volksmäszige namen vermuten, in Angermanland
heiszt die callha palustris trimjölksgräs (Dybeks runa 1845 s. 67),
was bedeutsam an den ags. Thrimilci erinnert, und in Jemtland, An-
germanland, Dalsland ist noch heute trimjölkning zur Sommerzeit im
gebrauch, der Jemtländer sagt dann: ‘boskapen mjölkas i try\
Das altn. jahr oder der winler begann mit unserm 23. nov., das
frühjahr am 22. febr., der sommer am 25. mai, der herbst am 21.
5
66
MONATE
august, gleich den griechischen monaten, so dasz frühjahrsanfang jenem
beginn des römischen jahrs mit merz nahe begegnete, hiernach las-
sen sich die in skäldskaparmäl Sn. 188 verzeiclmelen altnordischen
monate den unsern vergleichen; 1 ]>orri, 2 göi, 3 einmänudr ok säd-
93tid, 4 egglid ok stecktid, 5 solmänudr, 6 selmänudr, 7 heyannir,
8 kornskurdarmänudr, 9 haustmänudr, 10 gormänudr, 11 frermänudr,
12 hrütmänudr. In Island gelten aber auch andere, zum theil offen-
bar neuere namen; 1 {mrri, 2 göe, 3 einmänadr, Odinsmänadr, 4 harpa,
gaukmänadr, 5 egglid, 6 solmänadr, selmänadr, 7 heyannir (jenes
schwed. höand), 8 tvimanadr, 9 haustmänadr, 10 ylir, 11 frermänadr,
12 mörsugr.
An diesen nordischen namen scheint vieles merkwürdig, vorerst
hebe ich wieder hervor, dasz für den febr., wie bei uns hornung,
sporkel und sille, so auch liier das einfache göi, göja, göie eintritt
und aufrecht bleibt, eine sage (Sn. 358) scheint den Ursprung von
göi und |iorri zu deuten: Thorri war könig in Gottland und Finnland,
von dem groszen opfer, das er zu miltwinler ordnete, hiesz der monat
|)orramänadr; als Göi, seine tochter aus dem lande gieng, liesz der
könig einen monat später opfern und so begann göi. Landnämabök
4, 7 meldet, dasz Ilrölfr Gö heiratete, nach welcher göimänadr ge-
nannt ist. vielleicht darf auch von ihrem bruder Gor gormänadr ge-
deutet werden, wo nicht umgekehrt alle diese personificalionen aus
alten monatsnamen entspringen, für göi werden wir hernach lapp,
guova finden, und göi weist allerdings auf ein volleres gövi, dessen
deutung ich nicht wage*.
Noch gröszeres gewicht hat, dasz die altn. spräche überhaupt auf
das fest der Wintersonnenwende den namen jol anwendet, welches
man für den nom. pl. neutr. hält, obwol die Zusammensetzungen jola-
dagr jolatid auch von einem schwachen joli herrühren können, das dem
ags. geola genau entspräche, und den monat ausdrückte, wofür Schwe-
den und Dänen julmänad julmaaned zusammenselzen. welcher ein-
ldang zwischen joli, ags. geola, goth. jiuleis, der sich auf das fmn.
joulou kuu, lapp, joula maro weiter ausstreckt. Wahrscheinlich hatte
94 der alle Norden noch andere namen,* die sich den ags. näher anschlos-
sen, z. b. einen {irimilki, wie ich aus der schwed. blume folgre.
Selmänudr, weidemonat (von sei pascuum aestivum) schickt sich
für juni weit besser als ags. solmönad, mnl. seile, wenn sie dasselbe
wort sind, für febr. oder ditmarsisches selmand für sept. zu mhd.
liouwot, ougest, herbest stimmen heyönn, kornskurd und haust, gor-
mänudr =» october legt Biörn aus tempus mactationis, was dem schwed.
slaglmänad = oct. gliche, soll in einmänudr das ein den ersten mo-
nat ausdrücken? was harpa (harfe) mit dem april zu thun hat weisz
ich nicht, kukuksmonat ist klar, wie egglid, zeit des eierlegens, tvi-
mänadr mensis duplex, binus musz aus Wiederholung des namens oder
einem schaltmonat erklärlich sein, ylir soll nach Biörn querulus be-
* Göinn Sn. 20 name einer schlänge, vgl. serh. gyja serpens, saniog. giuoitos.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
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deuten und nov., nicht oct., von yla ululare, was auf den brüllenden
hirsch oder heulenden wolf gehn könnte, frermänadr ist eismonat,
hrütmänudr scheint mensis arietis.
Von den schvved. namen ist värant ans vär lenz, höant aus hö
heu, skortant aus skort inessis gebildet, blida für merz, dän. blidemaa-
ned für febr. stimmen zum angeblichen nnl. blijdemaand, falls dies
nicht Übersetzung der nord. form ist; das ags. lida mit der gleichen
bedeutung laetus, mitis eignet sich aber besser für Sommermonate.
Warum lieiszt der dän. jan. glugmaaned fenstermonat? von glug, altn.
gluggi; eigen ist schafmonat für april, wurm oder madenmonat für
juli, wozu sich gleich eine analogie bieten soll.
Unter den Slaven haben sich die heutigen Russen und Serben
dem röm. calender bequemt*, Polen, Böhmen, Slovenen und Sorben
noch die einheimische benennung festgehalten **. ihr jahr begannen
die alten Slaven mit September, genau wie Snorri vom haustmänudr 95
an zählt***, ich stelle jedoch nach unsrer gewöhnlichen Ordnung auf
altsl. 1 prosinetz sloven. prosinz. simiz. pervnik
2 sjetschen fvizhan. drujnik
3 suchyi fufhiz. bresen
4 berezozol malitraven. fhtertnik
5 traven velikitraven
6 izok maliferpan
7 tscherven r’shenzvet. roshen zvel
8 zarjev, zarev veliki ferpan
9 riujen, rujan kimaviz. kimovz
10 listopad kosaperfk
11 gruden listovgnoj
12 studenij gruden
die slovenischen nach Murko. Jarnik nennt 5 travenveliki, 7 ferpan mali,
8 ferpan veliki, 9 riujen. den Kroaten heiszt 6 klasen.
. 1 slyczeü böhm. leden
2 luty vnor, aunor
3 marzec brezen
4 kwiecien duben
5 may may, mag
6 czerwiec cerwen
7 lipiec cerwenec
8 sierpieii srpen
9 wrzesieii zafj
10 pazdziernik fjgen
* neben sentjabr gilt jedoch russ. osenj = herbstmonat, und die altruss.
spräche kennt noch andere, z. b. pazdernik für october.
** Verzeichnisse und deutungen in Alters beitrag zur diplomatik. Wien 1801
s. 98 — 100 (unverlässig) und Dobrowskys Slovanka. Prag 1814. s. 70^—75.
*** wenn in Hankas mater verborum 13ac cmaius mensis tercius aufgeführt
wird, so ist das die altrömische von merz anhebende computation.
5*
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
poln. 11 listopad böhm. listopad
12 grudzien prosinec. wlcenec,
doch manche andere zeigt die ältere spräche, so hat die altböhm.
mater verhör. 13 a fitr mai noch das merkwürdige Siban, das sich auf
96 die göttin Siva (sonst Ziva, vgl. lett. seewa femina) beziehen könnte*,
und auszerdem yzok, welches altsl. dem juni gehört und cicada be-
deutet. anderwärts hiesz den Böhmen derselbe mai auch trnopuk (dorn-
knospe), kweten (der blühende), trawen (der grasige), das Verzeich-
nis bei Hanka 55b stimmt, auszer dasz julius (und sonst august)
wrzyesen (wresen) heiszt, wie den Polen der September wrzesiefi, der
u)Y2-oS name rührt her von .wres erica pund blütezeit der heide ? oder von
wrzasna6, böhm. wreskati schreien, wie zarj von zarjti? pafdziernik
ist von der flachsbereitung. styczefi jan. halte ich für gleichviel mit
dem sl. studeny = der kalte, für dec. und studnia kühler brunnen,
böhm. studnice, serb. studenatz verführt mich das mhd. volborn hinzu
zuhalten, den februar nennen die polen auch wachlerz (den windi-
gen.) In polnisch Schlesien 1 wanoönjk Weihnachten, hromecnjk licht-
messe, 4 ludikwiat, 7 lipen, 9 kosen, 10 seweii, 11 odfilas (was
sonst listopad.)
Die monatsnamen der sorbischen und lüneburgischen Wenden ver-
rathen deutschen einflusz:
sorb. 1 wulki rozh
macXi 8<4»roalET2 maly rozh
3 mierc
4
5
hapyrleja
meja
6 smaznik
praznik
8 znefic. zenc
9
lüneb. nivaglutüf
rüsatz
sürman
cheudemon
leistenmon
pancjustemon
•seninic
haymon
pregnia seymemon
weiniamon
seymemon
trebemon.
10
11
12
wulki und maly rozh sind groszer und kleiner horn und rüsatz ist
hornung = cornutus; smaznik brachmonat, seninic heumonat, niva-
97 glutüf neujahr (novaljuto), pregnia seymemon erster wintermonat, panc-
justemon pfingstmonat, trebemon Weihnachten (von treba, böhm. treba
sacrificium), leistenmon blältermonat (poln. lipiec). cheudemon soll
böser monat (quade monat) sein, sürman ist mir dunkel, haperleya
scheint nichts als entstellung aus april, aberelle. der wollautende mai
hat bei Böhmen, Polen, Sorben wie bei Deutschen über die heimischen
namen den sieg davon getragen.
* Dobrowskys Slovanka s. 71 führt die dalmatisch illyrische form svibah an,
welche ablenkt, jedoch bezeugt, dasz nicht etwa der hebr. monat sivan ge-
meint sei.
. 4L JiK 4IL4L 4^ 4k► 4L "4kL 4L '4L 4^. 4L 4L 4L 4l 4
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
69
Ueberhaupt aber zeichnen sich die altslavischen namen vor den
meisten deutschen vortheilhaft aus durch ihre einfache bildung, die
sich mit keinem mesac, miesiac, mesjc schleppt, dann durch das na-
turgefühl, welches sie athmen. die meisten sind aus dem pflanzen-
reich und mit -en abgeleitet: brezen wo die birke, duben wo die
eiche sich laubt, traven wo das gras grünt, wresen wo heidekraut
blüht, kvveten wo alles blüht oder grünt, lipiec wo die linde duftet,
listopad wo das laub fällt, was dem Schweiz, louprisi begegnet,
srpen, serpan ist der monat wo die sichel (srp) schneidet, erntezeit.
mai oder juni heiszen izok, nach der heuschrecke, juni oder juli czer-
wiec, üerwenec*, tscherven wurmmonat, merkwürdig stimmend zu
dem dän. ormemaaned, madkemaaned, weil um diese zeit der brach-
käfer oder dessen made auf den ackern sichtbar wird? zarj, zarjev
brunstmonat, vom schreien brünstiger hirsche, gleichviel mit riujen,
rjgen, von rjevali rugire, ahd. reran, ags. rärjan. die bedeulung schwankt
aber zwischen aug. sept. oct., unsere jäger setzen die brunst in den
sept., wo man die hirsche stundenweit durch den wald brüllen hört;
mich gemahnt riujen wieder ans ags. rugern = august, dessen deu-
tung aus rüg roggen vielleicht noch zweifei leidet. Nicht auf pflanzen
und thiere, blosz auf den eindruck der winternatur berechnet sind
studenij der kalte, poln. styczen, zwischen dec. und jan. schwebend,
leden der eisige januar, gruden, grudzieh von gruda schölle, wo die
erde vom frost hart zu schollen wird**, bald nov. bald dec., dieser98
monat mag zum einschalten gedient haben, da das entsprechende böhm.
hruden diesen sinn mit sich führt, böhm. wlüenek bedeutet wolfsmo-
nat, was auch ein deutscher name für dec., sjetschen haumonat, von
sjekati hauen, weil man im febr. holz fällt? suehyi, der trockne monat,
wie der dän. schwed. merz tormaaned, thurrmänad heiszen, altn. aber
jjorri jan., was Biörn stärke des winters deutet, eigen ist das poln.
luty febr., er soll auch altruss. ljotyi mjesjatz, der herbe, grausame
monat geheiszen haben, gleichsam der Wüterich; klärt er uns über
hornung und sporkel auf? prosinetz endlich bedeutet bittmonat, von
prositi precari, ich weisz nicht, ob die Slaven um neujahr besonders
gebete hielten; die bettage oder rogalionen fanden im mittelalter erst
den fünften sonntag nach ostern statt.
Jene naturanschauungen scheinen nicht nolhwendig mit heidni-
schen festen zusammenzuhängen, und auf gölter erhellt kein bezug, es
sei denn in dem noch ungewissen Siban.
Unter allen sl. monatsnamen wird uns keiner wichtiger als gru-
den, grudzieii, weil er aufschlusz gewährt über den deutschen bisher
unverstandnen, zwischen dec. und jan. schwankenden harlmänot. die-
ser ausdruek ist nicht aus dem adj. hart herzuleiten, vielmehr aus
* ccrwen der kleine, cerwenec der grosze wurmmonat, elimals auch weliky
cerwen geheiszen.
** dieselbe Vorstellung im liebr. monate wo laub welkt und die erde zu
schollen (nibia) wird. Benfey und Stern monatsn. s. 16.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
70
MONATE
einem subst. der hart, welches noch in Baiern den gefrornen schnee,
die schneekruste (Schm. 2, 241) bezeichnet und völlig dem sl. grouda,
gruda* gleichkommt, mit Versetzung des R, wie sie in brada hart,
brod furt (s. 11) stattfindet, wir werden demselben namen alsogleich
im litth. grodinnis wieder begegnen.
* Die litthauischen namen gleichen oft den slavischen.
1 pusczius (? puczius bläser). wasdris
1 2 kowinnis dohlenmonat
3 karwelinnis taubenmonat baicJurT^i^'
4 birzelis birkenmonat. sultekis birkenwasserflieszen
5 geguzinnis kukuksmonat
99 6 pudimo menü hrachmonat. sejinnis sämonat
7 lepinnis lindenmonat
8 degesis heiszer monat. rugpjutis roggenschnitt
9 ruddugis, rudeninnis herhstmonat
*10 lapkristis laubfall
11 grodinnis schollcnmonat
12 sausis trockner (frost) monat.
Lettische namen:
1 seemas mehnesis wintermonat
2 puttenu m. schnee m. gawenu m. fasten m.
3 balloschu m. tauben m. sehrsnu schneeharst m.
4 sullu mehnesis birkensaftsmonat
5 lappu mehnesis laubmonat
6 papues m. brachm. seedu m. bliite m.
7 seenu, leepu m. heu, lindenmonat
8 rudsu m. roggen m. suhhu hunds (tage) m.
9 sillu mehnesis heideblütmonat
10 ruddens m. herbstm. im heidenthum: semlikka m.
11 salla mehnesis frostmonat
12 wilku m. wolfsmonat. swehtku m. Weihnachten
Bedeutender ist der finnischen, estnischen und lappischen monate na-
men abweichung, die fast alle auf deutsche weise mit kuu oder ma-
nod = monat zusammengefügt waren.
finn. 1 tammikuu eicbenmonat
2 helmikuu perlenmonat. kaimala begleiter? dümmerer?
3 maaliskuu, birkensaflmonat
4 buhlikuu waldschwendemonat
5 toukokuu saatmonat
6 kesäkuu Sommermonat
7 heinäkuu heumonat
8 elokuu erntemonat
9 syyskuu herbstmonat
10 lokakuu kolhmonat
* litth. grodas gefrorne schölle, wahrscheinlich lat. crusta verwandt: concre-
scunt subitae currenti in flumine crustae. Virg. georg. 3, 360.
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
W*AAAA***
est.
MONATE
11 marraskuu gebrechlicher monat
12 joulukuu weihnachtsmonat.
1
2
3
4
5
6
7
71
neäri ku neujahrsmonat
hunti ku wolfsm. küiinla ku dämmerlichtsm. 100
äuge ku hechtsmonat. paasto ku fasten
mahla ku birksaftm. jürri ku Georgsmonat
leht ku laubmonat
jani ku Johannismonat
heina ku heumonat
8 mädda ku hundstage, poimo ku erntemonat
9 süggise ku herbstm. mihkli ku Michaelis
10 roja ku kothmonat. rühhe ku tennemonat
11 talwe ku wintermonat. marti ku Martini
12 joulo ku, lalwiste ku Weihnachten.
das finnische tammikuu gleicht dem sl. duben april, scheint aber unge-
hörig für jan.; wenigstens kenne ich keinen bezug der eiche auf die-
sen monat, strenge winterkälte heiszt tammipakkainen, hart und fest
gleich dem eichholz? maaliskuu das Renvall 1, 307 nicht versteht,
deute ich nach dem est. april, zumal auch den Slaven birkenmonat
bald merz, bald april ist. wichtig scheint kaimala von kaimo lux levis-
sima, zeit der merklichen lichtzunahme oder von kaimaan comitor?
doch küünlaku führt auf kilnal licht und das schwed. kyndelmessa,
engl, candlemas.
Den norwegischen lappen heiszen
1 odda beivemanod neujahrstagmonat
2 guovamanod, das altn. göi
3 niuvzhiamanod, schwanmonat
4 vuoratzlnnanod, krähenmonat
5 zaangos
6 miessemanod, rennthierkalbsmonat
7 snjilzliiamanod, rennlhiershaarfall
8 gassahorge, dichthaarfall
9 vuodkedmanod
10 ragad brunslmonat
11 golgo, rennthierermatlung
12 passatas, heiligermonat.
Von den schwedischen Lappen treibe ich nur folgende auf: 2 kuova,
4 wuoratjis mano, 5 qweddet mano (eilegenszeit?), 9 rakad, 11 hälko, 101
12 passatesmano oder joulomano. Bei diesen lappischen namen ver-
schwinden die von bäumen und pflanzen entnommuen, ihre arme natur
gibt sie nicht mehr ein; einige rühren von vögeln her, die meisten
vom rennlhier, dessen kalben, mause, brunst und ermatten in betracht
steht, ragad oder rakad, zwischen sept. und oct. schwankend, be-
gegnen dem sl. zarjev und rujan. guova, kuova, joulo stammen sicht-
bar aus nord. göja göie, jul.
Die irischen und galischen monate könnte ich nur weniger voll-
ständig geben, hätte mir nicht meine samlungen Leo aus Marcels alpha-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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bet irlandais ergänzt,
hinten angehängt.
MONATE
irisch 1 gionbhar. ceadmhi
2 feabhra. faoillidh
3 niart, marta
4 abran, abraon. diblin
5 ceideam. Bealtuinne
6 ceadshamh. myabhuinn
7 jul. miosbuidhe, buidhemios
8 luglmas, lunasd. milananas
vielen wird mhi, mhios (mensis) vornen oder
gal
ceudmhios
faoilteach
mairt
aibreann
Bealtuin
ogmhios
jul
mor, morach. flathail.
rioghail
mios meadhonach
ochdraios
naoimhios
dubhlachd.
9 seichtmi. mi fionnfoloi
10 oichtmi. osmhadhmi. shearri
11 naoimhi. midhu. gamh.
1 2 michrundu
In den vier ersten ist die entstcllung aus dem latein ersichtlich, so
wie seichtmi oichtmi naoimhi sept. oct. nov. übersetzen, desto merk-
würdiger sind manche der einheimischen namen. ceadmhi ceidmhi
ceudmhios bedeutet primus mensis, nach dem jetzigen calender, aber
auch ceideamh oder ceideamhain für mai sagt beginn aus, weil die
Kelten ihr jahr mit der nacht des Baalfeuers (oidhche Baaltinne) began-
nen; dies heilige feuer wird in der ersten mainachl entzündet, im
heidenthum soll es zur frühlingsnachtgleiche geschehn sein, nach dem
groszen fest heiszt der ganze mai Balluinne, Bealtuinne, Beilteine, Beil—
102 tinne. faoillidh oder faoilteach drückt aus die frohe zeit, und begeg-
net dem dän. blidemaaned für denselben februar, dem schwed. blida
für merz; meint der name die last festlicher tanze? wie auch die
Christen ihre fastnachtfreude in diesen monat legen, und heiszt der
finnische helmikuu vom perlenschmuck festlicher frauen? diblin bezeich-
net die zeit des grünen krauts oder futters und fügt sich allenfalls
zum slavischen traven. ceadshamh ist erste sonne, erster Sommermo-
nat, migabhuin kälbermonat. ogmhios wofür auch ir. oigmi vorkommt,
bedeutet entweder junger monat oder jünglings, jungfrauenmonat was
dunkel bleibt; kaum geht es auf Johannes den täufer; gleiche dunkel-
heit schwebt Uber mimheasmach, noch einem ir. namen für juni. mios-
buidhe, buidhmis, buidhmi ist gelber monat, weil im juli die ähren
gelbe färbe annehmen, man findet auch mi bodhuidh und miguaire,
miguartag, beide mir unverständlich, luglmas soll sich auf ein altes
mondfest beziehen und wird etwas gezwungen für zusammengezogen
aus luanfheisd genommen; vielleicht ist es dialeclische entstcllung aus
lananas in milananas, monat der fülle? fülle (von lan, welsch llawn
plenus, sp. l!eno) ist treffende bezeichnung der ernte und kann sogar
unsern folmonat, fulmonat ==-- September als herbst oder erntemonat
rechtfertigen helfen. Das galische rioghail darf an den ags. rugern
gemahnen, mor, morach halle ich zum ir. mi madramhal, monat des
hunds, der hundstage, fionnfoloi drückt weisze leere aus, die zeit wo
die äcker mit stoppeln bedeckt sind, os mhad = über fehl, os-
^
.<£4AL Jh.4
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
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mhadmi der monat, den man auf dem leeren feld zubringen darf? she-
arri sägemonat. midhu schwarzer monat, weil nach gestürzter Stoppel
der acker schwarzes ansehn hat? gegensatz zu dem gelben monat;
michrundu für dec. mag ähnliches ausdrücken, wie auch der bretag-
nische name bestätigt und Marcel erklärt: mois sacrß le plus noir;
'das gal. dubhlachd ist deutlich mit dubh schwarz verwandt, obgleich
es näher den begrif der kälte und dunkelheit enthält*. Auszer den
angeführten namen sind noch einige allgemeine und abstracte bezeich- 103
nungen hergebracht, für april mis meadhon earraich monat mitten im
frühjahr, für juni mi meadhon samhradh monat mitten im sommer,
für September mi meadhon fomharadh monat mitten im herbst, für dec.
mi meadhon an geimhradh, monat mitten im winter; auch mi deire-
annach fomharadh letzter herbstmonat für october, ceidmhi do geim-
hradh erster wintermonat für november, woraus sich reihen mehrerer
monate ergeben.
Den welschen zur seite stelle ich die cornischen und bretagni-
schen (armorischen).
welsch
b
1 jonawr corn. genver bret. guenveur
2 chwefror, chwefrol huevral c’huevrer
3 mawrth merh meurs
4 ebrill ebrall ebrel, imbrel
5 mai mizme mae
6 mehefin epham mezevenn
7 gorphenhaf gorephan gouezre, mez-
vennicq
8 aust east eaust
9 medi, mismedi guerda gala guengolo
10 hydref hedra hezre, here
11 tachwedd dui du
12 rhagfyr kevardin qerdu, qerzu.
auch hier ist einigemal mez, mis (mensis) vorgeschoben, in mizme,
mezevenn, mismedi, wo das eigentliche wort me, evenn, medi (ernte)
lautet, und so heiszt es anderwärts mismerh, misehrall u. s. w. alle
fünf ersten monate sind wieder die römischen und bestärken das über
die ersten irischen gefällte urtheil. efm ephan evenn bedeutet som-
mer, gorephan haupt (stärke) des sommers, wie altn. [mrri stärke des
winters, guerda gala, guen golo drücken aus weiszes stroh, was das
ir. fionnfoloi. hydref hedra soll den wässerigen monat anzeigen. dui,
du schwarz für november begegnen dem ir. midu, und kevardin, qerdu
dem ir. chrundu und gal. dubhlachd. tachwedd lending to a conclu-
sion, rhagfyr kürzung. Nur der einzige mi gabhuin ist von einem 104
thier hergenommen, und die überwiegende mehrzahl auf erscheinungen
des ackerbaus gerichtet.
Unter den baskischen namen, deren mittheilung und deutung ich
* altn. blär, scliwed. blä niger, coeruleus, inanis; mnl. blaer frigidus, infelix.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
herrn C. A. F. Mahn danke, wird meistentheils ila oder illa (mensis)
angehängt.
1 urtarrilla neujahrsmonat. beltzilla, ilbalza schwarzer monat
2 otsailla wolismonat. ceccilla stiermonat
3 epailla lauer monat, von epela lau
4 jorrailla jätemonat. opea, opailla fastbrotmonat
5 ostarua, orrilla blattmonat von ostoa ostroä, orria blatt
6 erearoa säezeit. baguilla bohnenm. garagarilla gerstenmonat
7 urtailla erntemonat. garilla waizenmonat
8 agorilla trockenmonat
9 irailla farrenkrautmonat. buruilla ährenmonat
10 urria. urrilla, bildilla sammelmonat
11 acilla, azaroa saatmonat. cemendia lichterwald
12 lotacilla, wachstbumbindend ?
daneben gelten auch nach den römischen 3 marchoa, 4 apirilla, 8 abos-
tua, abuztua, 12 abendua, abenduba. bemerkenswerlb stimmen
ostarua, ostroa zum sl. traven und lett. lappu mehnesis, jorrailla zum
ags. veodmönad, mnl. wedemaent, agorilla zum ir. lugbnas, cemen-
dia, cemcndila zum deutschen louprisi, sl. listopad, litth. lapkristis,
irailla (von iratzea filix) etwa zum poln. wrzesien, vorzüglich aber beltz-
illa, ilbalza zum kelt. du, midhu und dubhlachd, mit dem gewöhnli-
chen schwanken zwischen nov. dec. und jan., die schwarze trübe win-
terzeit steht auch ohne bezug auf das ackerfeld dem hellen sommer
entgegen, hei ostarua mai wäre sehr erlaubt an den deutschen namen
des aprils östarnninot, eosturmönad zu denken und unsre Ostara Eostur
für eine laubgöttin zu halten.
Ich schliesze diese langen reihen mit den albanesischen monats-
namen nach Xylander, bei welchem blosz der januar fehlt. 2 oxovqti,
3 f-icLQQ, 4 nQiX, 5 6 y-ÖQi/, 7 XtoxuQ, 8 yoon, 9 yoOToßuove,
10 ylfA.ixQi, 11 yif.u'Xi, 12 yUvÖQt. für 3 4 5 8 die römischen
namen, mit aphaercsis des a in nqiX und yöon, der anhang ßttore
105 in yoozoßitove scheint einen andern oder kleinen august zu bezeich-
nen. (Jxovqti, xoQty, Xmvuq sind eigen und mir unverständlich, die
drei letzten monate des jahrs heiszen nach heiligenfesten, monat des
Demetrius, Michael, Andreas. So werden sämtliche ungrische monate
nach kirchenfesten genannt, weshalb sic uns nicht anziehen: 1 böldog
aszszony’ hava (seliger frauenmonat), 2 böjt-elö-hava (erste faste), 3 bdjt-
mäs-hava (andre faste), 4 szent György hava, 5 pünküsthava, 6 szent
Ivan hava, 7 szent Jakab hava, 8 kisaszszony’ hava (kleiner frauenmonat)^
9 szent Mihaly hava, 10 mindszent hava (allerheiligenmonat), 11 szent
Andrds hava, 12 karätson hava (weihnachlsmonat.) für hava (monat)
auch die kürzung ho.
Es ist eine menge von analogien sowol in der wortgestalt als
in dem begrif der monatsnamen unter allen europäischen Völkern nicht
zu verkennen; aber sie tauchen hier und da, in einzelnen oder schnell
wieder gebrochnen reihen auf, und sind von dem massenhaften Vor-
dringen der römischen monate zu unterscheiden, wo sie, dem raum
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MONATE
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und der zeit nach fern von einander erscheinen, ist ihre bedeutsamkeit
desto anziehender.
Unentlehnt stehn darum ein baskischer beltzilla und bretagnischer
du, ein baskischer cemendila, schweizerischer loubrisi, slavischer listo—
pad, ein dänischer ormemaaned und slavischer öenven, und wir dür-
fen die slavischen monate der hirschbrunst dem gr. tXaiprjßoXuov zur
Seite stellen, die zeit, wo das brüllende thier seine stimme erschallen
läszt, dem jährlichen fest, an welchem der Artemis die hindin geopfert
wurde; ein andrer iXucpiog fiel den Griechen in die frühlingsnacht-
gleiche. noch scheint der gr. nQogxQomog = supplicatorius (Her-
mann a. a. o. 75) zu zweifelhaft, um ihn dem sl. bittmonat prosinetz
zu vergleichen, aber die ähnlichkeit steigt, wo sie buchstäblich wird,
wie zwischen dem macedonischen yogmaiog von yoqni] == ognij,
aQTcrj, lett. zirpe sichel und dem slavischen serpan, srpen.
Entspricht der litthauische grodinnis, polnische grudzien, slove-
nische gruden augenscheinlich unserm hartmonat, so musz die lautver-
schiebung der worte schon in frühe heidnische zeit gesetzt werden, 106
wo ein theil der Deutschen mit Slaven und Litthauern in spräche und
sitte manches gemein hatte, ein solcher hartmAnöt könnte noch Karl
dem groszen zu ohren gekommen sein, der ihn durch wintarmänöt ver-
drängen wollte, aber nicht im andenken der Völker tilgen konnte.
Warum sollten nicht andere noch gröszere einstimmungen statt-
haft sein, wir sahen den goth. jiuleis, ags. giuli geola der Winter-
sonnenwende zustehn und vom nordischen jul aus in den finnischen
lappischen joulu Vordringen; sollte er nicht auch der Sommersonnen-
wende gerecht, d. h. nichts mehr und nichts weniger sein als der
römische julius? diesen kühnen schritt habe ich schon oben durch den
einwand wider die gewöhnliche herleilung vorbereitet, dasz das auf-
treten eines kaisers und selbst eines vergötterten neben unsterblichen
göltern, deren narnen die vorausgehenden monate erfüllen*, höchst
unwahrscheinlich bleibt. Aber es kommen noch andere gründe hinzu,
unter den cyprischen monaten steht ein iovXiog, der ausdrücklich die
zeit vom 22. dec. bis 23 jan. umfaszt (Hermann s. 64), mithin genau
zu dem ags. geola und zu der Sonnenwende auf jultag stimmt, ich
lasse dahingestellt, welche jahrszeit dem lovllrjOg in Aphrodisias oder
dem kleinasiatischen lovXaTog beizulegen sei. was viel wichtiger scheint,
auch der delphische iXaiog oder uXatog, den man schwerlich mit
Böckh C. I. 1, 814b von festlichen iXoug oder el'Xaig leiten darf, fällt
mit der zeit des attischen txaxo/ußeitop, d. h. dem römischen julius
zusammen und bestätigt das übergleiten der narnen von einer Sonnen-
wende zur andern, schwanken aber gr. monatsnamen zwischen IXaiog
* bei junius ist zu zweifeln, er könnte wie junior junix zu juvenis gehören
(vgl. gal. ogmhios = jungcrnionat) ohne dasz darum, wie ßenfey s. 224 annimmt,
junius und majus neutrale comparativformen wären, was durch flexion und genus
widerlegt ist; eher liesze sich majus als männlicher positiv eines adj. hören,
jedenfalls wird Junius bereits vor dem ersten consul Junius Brutus, auf den man
ihn hat ziehen wollen, eigenname gewesen sein.
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MONATE
IovXuTog iovXlrjog, iovXiog, so mag auch ein altrömischer julius ge-
107 gölten haben, dessen berührung mit dem juliseben geschlecht statt fand
oder nicht. Höchst gezwungen wäre es, unsre gothischen sächsischen
nordischen namen, die noch heidnischen beischmack haben, aus dem
uns Deutschen durch die kirche zugebrachten römischen calender her-
zuleiten, und für die winterzeit müste man sogar auf ferne wenig be-
kannte griechische menologien zurückgehn.
Was nun bedeuten diese namen jiuleis geola juli julius iovXiog
iovXuTog iXaiog, deren Übereinkunft nach dem grundsatz der unwan-
delbarkeit des J und L in allen urverwandten sprachen nicht verwun-
dern kann? ich glaube nichts anders als sonnenmonat, nach dem son-
nenrad selbst, dessen Zeichen 0 sigil sagil sauil sol und ijXiog, zu-
gleich aber hveol, hvel, hiul ausdrückt (mythol. s. 664), dem die ags.
formen geohol, geol, geola unmittelbar nahe treten, auf ähnliche
weise verhalten sich iovXuTog* und iXaiog und es verdient bemerkt
zu werden, dasz der baskische ausdruck ilä oder illd mensis zu c/Xiog
gehören mag, wie gr. /.itjv zu (vqvrj, ags. mönad zu möna oder finn.
kuu beides luna und mensis bezeichnet. Für alles dies soll noch eine
neue bestätigung gewähren, dasz unter den zendischen monaten der
siebente wiederum mithra d. i. sonne heiszt, und im allpersischen jahr
unserm december, im neupersischen unserm September zu entsprechen
scheint**.
War aber der lateinische julius nicht nach Julius Caesar genannt,
so kann es auguslus ebensowenig sein nach Augustus, und die gleich-
heit der ausdrücke augustus und auctumnus scheint durch die einstim-
migen deutschen und nordischen namen des achten monats ougest oust,
öghest öst, haust höst, so wie das welsche und bretagnische aust
eaust bestärkt, obschon diese unsern ältesten denkmälern abgehn und
darum an sich römischer abkunft sein dürften.
108 Niemand wird glaublich finden, dasz der name des siebenten latei-
nischen monats für unsern nov. oder dec. geborgt worden sei, viel-
mehr musz ihre identität auf einer Urgemeinschaft beruhen, die auch
im cyprischen lovXog vorbricht; erst späterhin konnten junius fund
julius neben einander wirklich entlehnt werden, um unsern brächot und
houwot zu vertreten.
Wie also hartmonat und gruden auf unvordenkliche berührung
zwischen Deutschen und Slaven, so müssen für eine noch ältere zwi-
schen Deutschen Römern und Griechen jiuleis julius iovhog iovXuTog
als unanfechtbare zeugen gelten.
Einzelne monalsnamen, vorzüglich die für den februar angeführten
(hornunc, sporkel, sille, göi, sjetschen, luty, kaimala), auszerdem
einige für den januar (bärmänet, volborn, lasemand, laumaent, glugmaa-
* tovlos oder ovXos hiesz korngarbe und davon Demeter selbst ‘IovXoj
OvXco, ich vveisz nicht ob in irgend einem bezug auf den gipfel des sommers?
es bedeutete auch milchhaar, woraus man Julius deutet.
**) ßenfey und Stern alte monatsnamen s. 69. 155.
<&!**&* 41L ^ . W JL w». Ak Jik A
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MONATE
77
ned, prosinetz) bleiben noch in dunkel gehüllt; aus ihrer gelingenden
deutung würde sich mancher aufschlusz ergeben, auch der gr. dai'otog,
den man epularis auslegt, gehört dem febr. an.
Den character von Volksfesten scheinen auszer den griechischen
monaten zunächst die keltischen baskischen und deutschen kundzuge-
ben, minder die slavischen, litthauischen und finnischen. Auf den ags.
geola fiel die feier der Wintersonnenwende und der vorhergehende
blötmönad zeigt schon im namen ein groszes opferfest an, das auch
die spätere benennung schlachtmonat deutlich zu erkennen gibt; man
darf den gr. ßovcpovuou und tyazo^ßaiMv hinzuhallen, bei dem ags.
solmönad ist Bedas älteste deutung zu wahren, die kuchen waren sicher
opferfladen und gemahnen an die ahd. österstuopha (RA. s. 298);
der haber, gersten und bohnenmonat an den gr. nvavtipuov und an
die nvavexpta, wo ein gericht von höhnen und graupen gekocht ward;
sogar sept. oder oct. stimmen, während der bask. baguilla und gara-
garilla in den juni zurück treten, das christliche auf dreikönigstag
gelegte bohnenfest und die im kuchen verbackne bohne fordert rück-
sicht, denn beim keltischen ßealtuin erscheint dasselbe backen und
auslheilen des opferkuchens (mythol. s. 579); unsere Osterfeste, mai
und sonnenwendfeuer werden ähnlicher brauche nicht ermangelt haben. 109
hängt mit bealtuin unser folmonat zusammen, so wechseln wieder früh-
lings und herbstfeste; dem altn. Jiorri und göi werden nach ausdrück-
licher sage heidnische opfer untergelegt.
Eästormönad Ostarmänot Hredmönad und Redmänet, Bealtuin und
vielleicht Folmänet leiten auf göttliche wesen selbst, wie die gr. Uo-
oeidewv lAqxmiGiMv und vielleicht alle sechs ersten monate des römi-
schen calenders, bei den Slaven der einzige zweifelhafte Siban; doch
mögen die heiligen der ungrischen und einzelner lettischen monate ver-
glichen werden, deren feste an die stelle heidnischer götterfeste ge-
treten sind, ich weisz nicht ob die isländische annahme eines Odins-
mänadr alte beglaubigung hat.
Es wird zulässig sein zwischen monatsfesten und naturanschauung,
wie sie vielen monatsnamen zum gründe zu liegen scheint, einen
wirklichen Zusammenhang anzunehmen, da jene feste unstreitig selbst
auf naturerscheinungen der einzelnen jahrszeiten bezug hatten, wenn
auch göttercultus vortritt, der seinerseits mit dem naturleben innig
verknüpft ist. Die slavischen monate sind entweder ein niederschlag
altheidnischer feste oder noch die einfache grundlage, auf welcher
bei andern Völkern, voraus den Griechen, heitere Volksfeste sich ge-
stalteten.
Erwägt man mit welchem entzücken der mai empfangen wurde,
so schlieszt dieser name schon alle wonne in sich, die bei einem lust
oder blumenmonat denkbar ist. im brzozol flieszt der birkensaft, im
traven wächst das gras, im lipiec blüht die linde, und im wrzesien
bedeckt sich die heide mit rother blüte; mir ist unbekannt, warum
auch der Baske seinen irailla in den herbst legt, da alle andern Völ-
ker das farnkraut in geheimnisvoller Johannisnacht blühen lassen (my-
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
MONATE
thol. s. 1160. 1161) und die lettischen Jahnu dseesmas von papardi
voll sind, die Heiligkeit der lotuspflanze läszt aber kaum zweifei, dasz
schon der indische monat kaumudi .festlichen begang hatte.
Gibt des kukuks geschrei dem mai den namen, so fällt es auf
110 dasz merz und april nirgend nach dem storch und der schwalbe
heiszen, deren Wiederkehr dem volk frtlhlingseintritt bezeichnet. Die
Litthauer und Letten nennen febr. und merz nach dohlen und tauben,
die Lappen merz und apr. nach schwanen und krähen, nach dem
brüllenden hirseh heiszen herbstmonate, nach dem raubenden wolf win-
termonate, nach dem stier blosz die, in welchen er als opfer fällt.
Alle nach gras, kraul und bäum oder der Heuschrecke genann-
ten monate sind schon aus dem hirtenleben entsprungen, während die
von ernte, sicliel, haber, Stroh und gefrorner schölle enlnommnen dem
ackerbau angehören, die Slaven, bei welchen jene überwiegen, haben
dennoch bereits ihren serpen und gruden. Ganz nomadisch klingt
aber, wenn alpenhirten ihren ochsen die namen horni, merzi, lauhi,
lusti zulegen, jenachdem sie im hornung, merz, laubmonat oder lust-
monat geworfen waren, wie sie ihre kühe nach tagen zu benennen
pflegen (Schm. 1, 322.) seinen Ursprung aus dem hirtenalter kann
auch der ags. name jmmilci nicht verleugnen, vorzugsweise rechnen
die Lappen nach ihrem rennthier, das vor alters tiefer in europa ver-
breitet war und dessen brunstzeit einen monat vielleicht ursprünglicher
als die des wilden Hirsches bezeichnete (vgl. s. 101.) In den kelti-
schen namen ist, wie in den römischen, gar kein bezug auf thiere
und pflanzen; sie fallen dem Zeitalter des ackerhaus zu, denn auch
der kalbsmonat darf diesem angehören *.
Das verschieben der monatsnamen, an sich schon ähnlich dem
der einzelnen benennungen für metall, vieh und gelraide, wird noch
unmittelbar veranlaszl durch einllusz der mondjahre auf sonnenjahre,
durch schaltmonale und climatische abweichung. laubfall mag bald in
oct. bald november, harter frost sowol in nov. dec. und jan. gesetzt
werden, danach aber die benennung wechseln und folgende monate
mit verrücken.
Ilervorzuheben ist die Verknüpfung zweier oder auch dreier mo-
nate hintereinander mit demselben namen, wie sie aus ursprünglicher
111 Zerlegung des ganzen jahrs in sechs oder vier theile übrig geblieben
zu sein scheint, so kam hei den Angelsachsen ein doppelter lida (für
das auch sonst gekuppelte paar des junius julius, brächol houwot oder
der beiden resaillemois) und ein doppelter geola vor, mhd. ein dop-
pelter ougest, doppelter wintermonat, dreifacher herbstmonat; jan. und
febr. sind noch späterhin als groszer und kleiner Horn geschieden, ja
einigemal finden wir den zweiten monat als frau des vorausgehenden
dargestellt und auf sporkel eine spörkelsin, auf ougest eine öugstin
folgen. Nicht anders ergab sich unter den Slaven ein kleiner und
groszer traven, kleiner und groszer serpan, also mit vorausgang des
* die Kalmüken haben einen mäusemonal und einen rindermonat.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MONATE
79
kleinen, während unser kleiner liorning nachfolgt; auch die Lüneburger
Wenden sandten einen ersten winterinonat als September dem andern
im dec. eintrelenden voraus, nach slavischer rangordnung hingegen
gieng der kleine cerwen dem groszen cerwenec voran. Etwas ähnli-
ches findet in dem keltischen midu und michrundu für nov. dec., ephan
sommer und gorephan hauptsommer für juni juli*, im alban. yoou
und yoöToßitart für august und September statt. Mir ist diese paa-
rung ein zeuge hohen alterthums. der attische calender schob im
Schaltjahr einen andern lTooeidttuv hinter dem ersten ein, wie die
Juden nach ihrem adar einen veadar, andern adar. das arabische mon-
denjahr zeigt aber noch regelmäszig sechs seiner monate paarweise
verbunden: rehi el avvel und rehi el accher, dschemädi el avvel und
dschemädi el accher, dsulkade und dsulhedsche. das syrische jahr hat
einen theschrin I. II und khanun I. II aufzuweisen, während im per-
sischen und jüdischen calender diese paarung verloren ist. sie wallet
aber vorzüglich in der indischen Zerlegung des jahrs in sechs theile,
deren jeder zwei gewöhnlich schon im namen verknüpfte monate auf-
zuweisen hat, nemlich vasanta frühling die monate madhu melh, lionig
und mädhava honigsüsz; grischma sommer die monate shukra den hel-
len und shukhi den glänzenden; varscha regenzeit die monate nahhas 112
wolke (lat. nubes, sl. neho wolkenhimmel) und nahhasja den wolkigen;
sarad schwüle zeit die monate ischa und ürgha den nährenden; hemanta
winter die monate sahas kraft und sahasja den kräftigen; sisira thau-
zeit die monate tapas wärme und tapasja den warmen, in diesem
verhalten der namen tapas tapasja, nahhas nahhasja, sahas sahasja,
madhu mädhava liegt etwas analoges mit dem in sporkel spörkelsin,
ougest öugslin, gosti gostohiesle, cerwen cerwenec und die angeführ-
ten sanskritnamen scheinen volksmäsziger als die gelehrten, für die
äditjas festgesetzten, wie durch Zerlegung des indischen jahrs in sechs
Zeiträume die unmittelbar daraus hervorgehende weitere unseres alter-
thums in drei jahrszeiten willkommen gerechtfertigt wird, hei den
von milde, helle und wärme der zeit entnommnen namen darf man
sich an die schwarzen wintermonate der Kelten, an den trocknen su-
chyi der Slaven, sausis der Litlhauer, searmönad der Angelsachsen,
agorilla der Basken und umgekehrt an den lida der Angelsachsen, hlida
der Schweden erinnern, ja mädhava und |>rimilci sind die monate, in
denen lionig und milch flieszt.
Die zendischen und persischen monatsnamen, welche sich nach
dem babylonischen exil auch über Palästina und Syrien verbreiteten**,
haben ein von dem unserer europäischen völlig verschiednes aussehn,
und das wird gerade für den zweck meiner Untersuchungen bedeutend.
* selbst die Zigeuner, deren monatsnamen Pott 1, 116 angibt, nennen junius
und julius mit den verwandten namen nutibe' und nunutibe.
** in ßenfeys und Sterns abh. über die monatsnamen einiger alter Völker,
Berlin 1836 ist scharfsinnig dargetban, dasz alle hebräischen monatsnamen unse-
mitisch und aus den persischen entnommen sind.
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MONATE
in ihnen walten personificationen göttlicher eigenschaften und elemente,
amschaspands, izeds, fervers geheiszen, die sich mit jenen indischen
äditjas zu berühren scheinen, aber nichts von den sinnlichen bezügen
auf natur und volkssitte an sich tragen, wodurch die griechischen,
deutschen und übrigen europäischen monalsnamen ausgezeichnet sind,
blosz für den siebenten monat milhra (sonne), auf welchen äpö (was-
ser) und ätar (feuer) als achter und neunter folgen, glaube ich, wie
113 vorhin ausgeführt wurde, einen nachhall in julius und jiuleis zu ent-
decken, der fernstes alter und längste dauer kund gibt*, neben die-
ser einzigen ausnahme musz ein nachwirkender Zusammenhang unsrer
monalsnamen mit den indischen sechs jahrszeiten und der daraus
flieszenden paarung je zweier monate anerkannt werden; alle ihre
übrige besonderheit scheint erst unter den urverwandten Völkern, in
früher gemeinschaft, auf europäischem boden neu entfaltet, aber nicht
nur in das volle heidenthum, sondern weit über den beginn unsrer
Zeitrechnung hinaus zu reichen.
Siegreiche Völker trugen ihre monatsnamen zu den abgelegensten
strecken, Perser, Araber und Römer, der römische calender mit sei-
nen vier blosz zählenden, in der Ordnung verrückten namen hat all—
mälich in ganz europa die heimischen, groszentheils schönen und sin-
nigen benennungen verdrängt. Jeglicher auskunfl über skythische thra-
kische getische monate ermangeln wir ganz, und schon die geringste
würde hohen werth haben.
* ätar'ist der zweite monat nach mithra, Bealtuin geht aber der Sonnen-
wende, Osterfeuer dem Johannisfeuer um gleich viel zeit voraus. Aus Mommsens
osk. stud. s. 86 sei hier noch nachgeholt, dasz Osken und Sabinern der Majus
Maesius, der Junius Flusalis = Floralis hiesz von Flusa = Flora, welcher er
heilig war. das oskische rosenfest fiel in den juni, das römische in den inai.
darf aus Maesius eine oskische göttin Maesia für Maja gefolgert werden? vgl.
Caesius und Cajus, ahd. pläsan, pläjan.
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VII.
GLAUBE RECHT SITTE.
Schon haben wir boden gewonnen. Völker die in einfachen 114
brauchen des hirtenlebens, der jagd und des ackerbaus, in wiederkeh-
renden jahresfesten und in ihrer naturanschauung, oft mit den feinsten
zögen übereinstimmen, müssen allenthalben diesen Zusammenhang in
glauben, recht und sitte bewähren: es ist freie gemeinschaft, die auch
grosze abweichung und Verschiedenheit leidet. Aus einer unitbersehli-
chen menge von gegenständen sollen hier nur solche hervorgeho-
ben werden, die grundlage und Übergänge dieser anstalten erkennen
lassen.
So lange die menschen in der ofnen natur und den Wäldern leb-
ten, wurde auch der götter aufenthalt und jeder verkehr mit ihnen an
keine andre Stätten gelegt, es gab allerwärts dunkle haine, in deren
tiefem schauer, heilige berge, auf deren unnahbarem gipfel man sich
die gotlheit wohnend dachte, geweihte priester hallen den Zugang;
das gesammte volk nur an tagen, wo der golt zu erscheinen pflegte,
wo ihm feierliche gaben dargereicht wurden.
Das opfer geschah an bestimmter dafür ausersehner stelle, un-
ter hehrem bäum wurde rasen erhöht, ein tisch gesetzt, ein stein
errichtet.
Wenn die lateinische ara, wie Macrobius Sat. 3, 2 nach Varro
meldet, früher asa und ansa lautete, weil sie von opfernden und schwö-
renden mit der hand angerührt wurde (aram tenere, tangere); so 115
scheint unsere alte spräche einen auffallend ähnlichen ausdruck darzu-
bieten. das golh. ans, ahn. äs, schwed. äs, dän. aas bedeuten nem-
lich Soxog, trabs, inlernodium lignorum, und lilth. asa, lett. ohsa,
gleichfalls was lat. ansa. es wäre ein handhäbiger baumslamm, in
tisches weise aufgestellt und zum opfer eingerichtet, vielleicht mit gras
belegt, bald aber auch von steinen erbaut; wer gedenkt nicht der von
Tacitus erwähnten trunci in germanischen hainen? altare bezeichnet
hingegen ein höheres gerüsle, steingemauert und tuchbehangen, etwa
was ahd. höhsedal heiszt, thronus, und ihm gleicht gr. ßio/uog, ein
6
rburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
J4K4k. 4k. jrX Jh. A
82 GLAUBE
erhöhter ort, ßfj/nu von ßuivio, zu welchem man aufslieg, dies
altare gieng über in die Vorstellung von pulvinar und lectisternium,
goth. badi, ahd. petti, gotapetti lectus, pulvinar templi, ags. veohbed,
vihbed, später veofed altare (mythol. s. 59.)
Ohne zweifei gab es noch manche andere ausdrücke, die wegen
ihres heidnischen anklangs durch das christliche altäri (Graff 1, 247)
verdrängt wurden. Ulfilas verdeutscht i^voiuorrjQiov, wo die vulg.
altare setzt, mit dem umschreibenden hunslaslajis. unserm allerlhum
mag biuds, ursprünglich opfertisch (von biudan oflerre) ahd. piot, her-
nach überhaupt tisch, mensa bezeichnet haben, wie schon im salischen
gesetz beudus. litth. ist slalas mensa, diewstalas altare, gottestisch,
poln. stol, böhm. stül mensa; goth. stöls, ahd. stuol nur sella, thro-
nus. entschieden heidnisch scheint aber das altn. slalli ara deorum,
pulvinar, von dessen röthen und mit blut bestreichen in den sagen
geredet wird; blöta ä stallhelgum stad heiszt Saem. 111 b auf heili-
gem altar opfern. Bedeutsam wird ahd. haruc, das sonst den heiligen
hain ausdrückt, einmal für ara gesetzt, denn auch die altn. hörgar
waren nicht hlosz idola sondern zugleich arae deorum.
Insofern dies haruc, ags. hearg, altn. borg auszer lucus auch
saxetum, saxum bezeichnet, möchte ich ihm das welsche careg lapis,
ir. carraig saxum zur seite stellen, die keltischen Völker scheinen den
steiucultus vorzugsweise entfaltet zu haben und ihre sprachen zeigen
116 noch versehiedne namen für steinalläre, so ir. carn oder carnail slein-
haufe, auf welchem das halleine entzündet wurde, carnach cairneach
ein priester; cromleac ein altar, von leac stein, welsch liech; ir. ma-
ghadhair heiliges steinfeld; ir. doch, gal. clach stein, clachbrath heili-
ger stein; in der Bretagne sind die Benennungen dolmen und menliir
hergebracht. Aus den lettischen, slavischen, finnischen sprachen kenne
ich kein einheimisches wort zur Bezeichnung dieses begnfs, überall
berscht der christliche ausdruck; das böhm. obetnice (von obetowati
opfern) umschreibt hlosz.
Die götter, im wald und auf der berghohe gegenwärtig, bedurf-
ten keiner gebauten wohnung, keines sie darstellenden Bildes, am
deutlichsten hat das Tacilus von den Germanen ausgesprochen: cete-
rum nec cohibere parietibus deos, neque in ullam humani oris spe-
ciem assimilare ex magnitudine coelestium arhitrantur: lucos ac nemora
consecrant, deorumque nontinihus appellant secretum illud, quod sola
reverentia vident. nur bäume hegten den gott und über bäumen stand
der Bimmel offen.
Als aber allmälich feste niederlassungen erfolgten, und der fried-
liche ackerhauer selbst ein haus bezogen hatte, lag der gedanke nah,
auch für die götter bleibende Wohnstätten zu errichten, und aus feier-
lichen steinkreisen auf dem waldgebirg giengen höfe oder tempel her-
vor. Die ältesten ausdrücke unserer wie der griechischen spräche für
tempel können sich von dem begrif des heiligen hains noch nicht los-
reiszen, sondern gehen von diesem aus und erst unmerklich in die
Vorstellung einer steinerbauten Stätte über: will, bearo, haruc, alah
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GLAUBE
83
(mytliol. s. 57—59), lat. nemus, gr. xifitvog und uhjog. Abgezog-
ner ist vuog, das von vai'co abstammt und dem skr. niväsa domus
verglichen wird, wie lat. aedes und domus auch auf geweihte bauten
anwendung leiden, und dw/uu, sl. dom, böhm. dum, gleich unserm
hüs, haus, wohnung der menschen und götler bezeichnen darf*, ein
gehegter raum auf wiesen und auen, welchen man unter hof (xfjnog?)
verstand, ungefähr mit dem begrif der lat. aula, scheint in unsrer 117
spräche der älteste name für einen solchen göttlichen aufenthalt, und
auch dabei hängt die Vorstellung eines gartens und seiner hautngänge
noch mit dem tiefeingeprägten waldleben zusammen.
Mir fällt ein, dasz unsre volkssagen von kirchen und teufelshau-
ten reden, deren giebel ollen bleibe, nicht geschlossen werden könne,
ist das noch eine spur von jenem non cohibere parietibus ileos? es
sollte, seitdem man gotteshäuser mauerte, wenigstens oben im dach
ein loch für den eingang und ausgang des gotles gelassen werden.
Festus berichtet: Terminus quo loco colebatur, super eum foramen
patebat in tecto, quod nefas esse putarent Terminum intra tectum con-
sislere, und auch Ovid sagt vom Terminus fastor. 2, 669 :
nunc quoque, sc snpra nc quid nisi sidera cernat,
exiguum templi tecta foramen habent**.
ist dies nicht die einfachste deutung der griechischen hypaethraltempel
mit dem freien raum über dem allar , den die gebildete baulumst für
ihre zwecke hernach anzuwenden wüste. Festus enthält folgendes:
Scribonianum appellatur antea alria puteal, quod fecit Scribonius, cui
negotium datum a senalu fuerat, ut conquireret sacella altacta. isque
illud procuravit, quia in eo loco attactum fulmine sacellum fuit, quod
ignoraveranl contegere, ut quidam, fulgur conditum, quod cum scitur,
quia nefas est integi: semper foramine ibi aperto coelum patet; wo
der himmlische strahl eingefahren war, sollte nicht wieder gedeckt
werden. Ein merkwürdiger brauch des keltischen alterthums soll uns
was den Vorstellungen eigentlich zum gründe hegt bestätigen; man
deckte den oben geschlossenen tempel einmal alljährlich ab, um der
goltheit ihren freien ausgang zu wahren: i'&og d° tivo.i xux tviavxov
dnulg t6 ItQov änooxtyuCto&ui, xui oxtyui,tod ul nühv uvd'ijfitQov
7i(jo dvoewg, txuoxi]g cpoQxlov ini(ft()ovoi]g. rtg tfav ixntooi xb
(ßOQxloy, diuonäo&ui xuvxLjv vnb xcbv uXhoi'. (ptQOvoug de xd
/.itQXj ntQi xb itgor fitx5 tvu.of.iov, fn) nuvto&ui nQuxtQov, ttqlv
nuvoMvxui xijg Xvxxrjg. utl dt ovußutvttr, (boxt nvu tfininxtiv 118
xrjv xovxo ntioof/tvtjy. Strabo, 4, 4 pag. 198. es waren namne-
tische frauen, in deren tempel kein mann treten durfte, die gefahr
beim binfallen des zugelragnen bausleins gemahnt an die Heiligkeit
des semnonischen hains, in welchem nicht ungestraft niedergefallen
werden durfte. ich meine gelesen zu haben, dasz noch heute
in einzelnen catholischen kirchen auf himmelfahrt oder plingsten
* ganz verschieden das gotli. döms, ahd. tuom, judicium.
** vergl. Serv. in Virg. Aen. 9, 448.
6*
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ein raum der bühne oder des thurrns eröfnet wird zur freien
ausfahrt.
Schon Tacitus thut bei den Germanen einiger Örter meldung, die
bestimmten göttern geweiht waren, es ist schwer zu sagen, ob er
sich darunter nur heilige haine oder bauten dachte, den Marsen,
wahrscheinlich auch Chatten und Cheruskern zugleich gehörte das
celeberrimum templum, quod Tanfanae vocabant, Tanfana brauchte keine
göttin anzuzeigen, es könnte der hain, die aufgerichtete baumseule
sein, unserer Irmansül vergleichbar*; ich werde jedoch späterhin eine
andere deutung mittheilen, die mir vorzüglicher scheint, bei den Na-
harvalen fand sich ein hain, wo man ein britderpaar, unter dem na-
men Alx oder Alces verehrte, welchen ich mit alah, der benennung
des heiligen waldes zusammenzustellen gesucht habe, merkwürdig ist
mir, dasz Toxaris bei Lucian einer ehernen seule (axrjX^g /uXy.ijg)
im skythischen 'ÖQtoxtiov gedenkt, das dem Orestes und Pylades ge-
weiht war, über deren cultus bei den Skythen auch sonst nachrichten
vorhanden sind; doch heimische helden brüder und götter der Skythen
wie der Germanen konnten Griechen und Römer auf Orestes und Py-
lades, Castor und Pollux deuten. Toxaris fügt hinzu: xal xovxof.iu
enl xovxoig avxtov td't/utd'a, KoQaxovg xaXtio&ai • xovxo dt loxiv
tv xfj rj[.ttxtQa cpwvfj äontQ uv el' xig Xiyoi tpiltot dal^iovtg. es
ist verwegen diese xÖquxoi durch l^arugä, hörgar zu deuten und ihnen
sogar die alces gleichzusetzen; freundschaftsgötter waren sie immer,
wenn es auch nicht im namen lag, und das konnte der berichterstat-
ter verwechseln.
Im ganzen heidenthum treten trilogien der hauptgötter vor, die
ich zur Übersicht aufslelle und nicht gleichgültig vierten und fünften Wochentag ordne: nach dem dritten.
lat. Mars Mercurius Jupiter
gr. !’Aqr\g ‘EQ(.ii\g Ztvg
kelt. Hesus Teutates Taranis
ahd. Zio Wuotan Donar
alln. Tyr Odinn Thorr
sl. Svjatovit Radigast Perun
litth. Pykullas Polrimpos Perkunas
ind. Siva Brahma Vishnus
einzelnes kann bestritten werden, es ist die kriegerische, schöpferische
und donnernde (erdbefruchtende) gewalt; der naine schwankt aus einer
reihe in die andere, wie wir es bei den metallen, thieren und fruch-
ten wahrgenommen haben, angenommen dasz Donar bei älteren deut-
schen Völkern Fairguneis hiesz, der erde sohn, wie Thorr ausdrücklich
Fiörgyns sohn, so ergibt sich ein unmittelbares Verhältnis zwischen
Fairguneis Perkunas Perun bei den Völkern, welchen silubr sidabras
srebro, qairnüs girna zerna gemeinschaftlich war, aber bedeutend ver-
* Wh. Engelb, Giefers hat das neulich in einer lesenswerthen abhandlung
aufgestellt.
**• -ev . v*. -W
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stärkt wird die einstimmung, wenn xsgavvtiog und Taranis mit Über-
gang der anlaute auch buchstäblich zu Perun treten, so dasz Donar
und Tonitrus nur Versetzung desselben namens scheinen*. Perkunas,
Fairguneis sind für ein hirtenvolk der vater auf dem waldgebirg (fair—
guni); noch spät dachte sich der Nordländer seinen Thor auf bergen **.
Jupiter und Zeus drücken wörtlich nicht den donnernden vater 120
aus, sondern den himmlischen vater, den hehren gott des lichts, des-
sen name im lat. deus zur allgemeinen benennung der gottheit ward,
im deutschen Zio und Tyr den leuchtenden gott des schwerts anzeigt,
der kriegerischen Völkern für den höchsten und ersten gilt, Skythen
feierten ihn als schwert, äxivuxi]g***. Mars Marspiter, Diespiter, Dis-
piter wird für einen hauptgott der Germanen erklärt (mythol. s. 39.
179) und greift in die ältesten lateinischen genealogien von Picus,
Salurnus, Faunus ein, derentwegen er schon als ein im walde ver-
ehrter gott erscheinen musz. in Svjatovit, Svetovit ist wiederum der
begrif des glanzes und lichts, wie in Zeus und deus gelegen, wie
leicht war der Übergang in Donar, dessen hand zugleich den blitz
führt; Procop de hello golh. 3, 14 miszt allen Slaven als obersten
gott den T'fjg aoxqanyjg di]f.uovQyöv bei, welches amt sonst dem Perun
angewiesen wird.
Mercurius steht bei den Römern in geringerem ansehn, Hermes
den Griechen schon in gröszerem und noch höher scheint er den Gal-
liern zu steigen, deren Teutates an die deutsche Wurzel f>iuda, diot
erinnert, welche uns mit Kelten wie Litthauern gemein war: welsch
tud, ir. tualh regio, tualha populus, litth. Tauta Germania. Sicher
war Hermes milderer gott als Mars und Jupiter, in künsten erfindungs-
reich, friedlichem verkehr der Völker angemessen; den Deutschen, wie
Tacilus ausdrücklich bezeugt, nahm er bald die oberste stelle ein.
Wuolan, als Wunsc und Oski gedacht, war ihnen die allwaltende
schöpferische kraft, das alldurchdringende element der luft und des
windes, dessen günstiges wehen und wilder sturm vernehmlich wird,
jenes mag vorzugsweise der name Voma und Biflidi Biflindi ausdrücken.
bedeutsam scheint dasz auch schon im skythischen, thrakischen Volks-
glauben diese kraft der lufl, die noch in Wnotans wildem heer braust,
hervorgehoben war, und beide Odinn wie Loki Loptr d. i. luft heiszen. 121
Es ist gleich verkehrt Wuotan als jüngeren helden und eroberer, des-
* womit nicht behauptet wird, dasz diese namen einer wurzel seien; unser
donar gehört zu denan tendere (Haupt 5, 182), tonitrus zu tonare, Perun zu
prati ferire, xegawös zu xsqccs und cornu horn (der stoszende, spaltende), wo-
hin kelt. taran toran weisz ich nicht. Perkunas läszt sich nicht aus perku, ich
kaufe deuten, ich habe in ihm und in Fairguneis den sinn vou axpciios, ogeivos
gesucht; ohne diese annahmen wäre die Verschiedenheit zwischen Perun und Per-
kunas nicht zu begreifen.
** locka tili Thor i fjälf Volkslied bei Arvidsson 3, 504.
*** bei den bosporanischen Skythen stand ein lefTov rov ^qeos. Lucians
Tox. 50. Herod. 4, 59 sagt von allen Skythen: ayäXfiara Ss xai ßco/uovs xai
vrjovs ov voui'Qovoi tioieeiv n).rtv 'Äorß.
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GLAUBE
sen macht ältere naturgötter verdunkelt habe, und den getischen Zal-
moxis als vergötterten weltweisen zu erfassen. Zalmoxis stammt vom
thrakischen ^akfxöq — dop«, nach Porphyrius, weil der neugeborne
in eines hären haut gehüllt worden war; ich glaube '(^aX/iiog richtig
zum litth. szalmas und unserm beim gehalten zu haben*, es sei, dasz
der gott glückselig mit heim oder hut geboren wurde (mythol. s. 829)**
oder den heim beständig trug; auch finde ich bedeutsam genug, dasz
Odinn die namen Ilialmberi (ahd. Helmpero) wie Sidhöttr führte (beide
gibt Grimnismäl 46ab an) und die heiligkeit der pileati schiene, damit
von selbst gerechtfertigt, da in der skalda der liimmel hialmr. lopts
(aeris galea) heiszt (Sn. 122), liesze sich auch darin bezug auf den
luftgott ahnen. Habe ich hier den Zalmoxis mit Odinn verglichen, so
wird sich späterhin gelegenheit bieten ihn auch zu Thorr, dessen sohn,
zu halten.
Des zweiten gottes gnädige milde art leuchtet aus der sl. benen-
nung Radigast (von rad labens, radi gratia, radoschtscha laetilia), die
sich dem begriffe Wunsc (von vinja, wunna) nähert, hieran reiht viel-
leicht der finnische Väinämöinen, ein Cupido; wer nach deutschem
liebesgott fragt müsle auf Wunsch gewiesen werden, dessen haar dem
der Gratien gleicht, auch E^cog ist wünsch wonne verlangen, wie der
altn. Vili, Odins bruder, voluntas und voluplas, der indische Kama amor,
cupido, desiderium bedeuten. Potyimpos bleibt zweifelhaft und seine
deutung aus dem sl. potreba, böhm. potreba, poln. potrzeba (noth,
nothdurft) unsicher, im litth. Wörterbuch finde ich nicht einmal po-
trimba; es könnte aber in dem polnischlitth. dialect vorhanden sein,
und enthielte es die Vorstellung des Schicksals, so würde auch dadurch
der höchste gewaltigste gott angezeigt. Odinn und Zalmoxis lehrten
122 Unsterblichkeit und verhieszen den sterbenden aufnahme in ihrer Woh-
nung; Hermes geleitet die seelen, sein y.v\qvy.uqv ist die Wünschelrute.
Schwer fällt es die indische trilogie heranzuziehen, weil alle na-
men abweichen***; doch ruht auch hier die eigentliche schöpfungs-
kraft bei Brahma, und Siva gilt wie Mars oder Pykullas für den grau-
samsten gott, während Vischnus herschgewalt der des Zeus gleich
stehtf. als donnergott und luftgebicter ist ein eigner gott, In-
dras , aufgestellt den man für bloszen ausflusz des Vischnus oder
Brahma ansehn darf, wiederum soll Märutas, ein beiname des Indras,
den römischen Mars buchstäblich erreichen, der dieser auffassung zu-
folge ursprünglicher frühlingsgott gewesen wäre ff, was auf den Mar-
tius mensis licht würfe.
Freyja Frouwä Fraujö, nach welcher der sechste Wochentag
* vgl. auch skr. tsebarma cutis, scutuin.
** wie Hödr mit heim und Schwert (mythol. s. 362.)
*** wer möchte Brahma mit der slowakischen form Parom für Perun in
Verbindung setzen ? die Lappen haben aus Thor Thiermcs gebildet.
f Finnen und Lappen würdigen in ihrem Perkele Perkel den Porkunas zum
bösen gott herab. ^
ff Ad. Kuhn in Haupts Zeitschrift 5, 491. 492.
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heiszt, wie nach Venus, scheint dem männlichen Freyr Frö Frauja
identisch, und die altsl. Prija entspricht ihr vollkommen, wie dem
Freyr Fro der sl. Prove. solche Spaltung des göttlichen wesens in
zwei geschlechter hilft erscheinungen des mythus und der spräche
erklären, von Lunus und Luna herab bis auf unser gothisches sunna
und sunnö. Paltar Bahlr Bakläg Pliol können ihre Verwandtschaft mit
dem keltischen Beal, dessen feuerfest Bealtuine sich erhalten hat, nicht
verleugnen.
Gleich auffallende grosze Urgemeinschaft findet statt zwischen den
mythischen Vorstellungen der Kelten und Germanen in allem, was das
Verhältnis milder göttinnen, weiser frauen und eines unterirdischen fried-
lichen volks zu den menschen angeht, während umgedreht slavische,
finnische und deutsche sage mehr in den riesen zusammenstimmen,
merkwürdig klingt Jiurs, jiyrs (mythol. s. 487) finn. tursas, turras an
den namen der skythischen Idyud'VQOoi, die von einem göttlichen
lAyä&vQooi; abstammen (Herod. 4, 10. 125) und an den skythischen 123
könig 5Iödvd’VQooi; (Herod. 4, 76. 120. 126. 127.)
Die keltische frühlingsfeier vermittelt sich durch den deutschen
sommerempfang mit dem slavischen todaustreiben. hei Germanen und
Slaven scheint die naturanschauung tiefer als bei Griechen und Rö-
mern, in deren anthesterien und floralien frohe festlust sich ausliesz.
wo die natur in voller pracht berscht, zeigt sie geringere macht über
die menschen, als wo sie karger haushält, darum wurzelte die echte
thierfabel auch mehr bei uns, Slaven, Littbauern und Finnen; die
Griechen strebten sie ethisch oder politisch zu verwenden und langten
mit kleinen stücken aus.
Man hat darauf zu sehn, welche gottbeiten in alter thierfabel
und volkssage haften, am allerhäufigsten erscheint bei Aesop Hermes,
sogar dem holzhauer im wald holt er das heil aus dem flusz hervor,
und es reicht nicht hin zu vermuten, dasz er der götterbote mehr als
andre mit den menschen verkehrte; die Völker, bei denen die fabel
aufkam, müssen ihn als obersten golt betrachtet haben, gleich ihm
kehrt Perkunos zu den menschen ein, wo aber drei götter einkehren
(Zeus, Ares und Hermes, bei Lucians Timon Zeus, Hermes, Plulus),
fehlt Hermes nie. dem Ares, der Artemis hiengen die jäger einen theil
ihrer beute an den bäum (wie umgekehrt Wuotan mit den jägern tlieilt);
Marti praedae primordia vovebantur, huic truncis suspendebanlur exuviae
(Iornandes cap. 5.)
Das geriebne notfeuer, durch dessen flamme die herde springen
muste (mythol. s. 270 — 593) war den meisten Völkern des alterlhums
gemein, und wird Kellen und Deutschen zum frühlings und sommer-
fest, das sich an bestimmte gottheiten schlosz, wie die römischen Pali-
lien an Pales.
Eines eigentlichen hirtengotles, wie die Slaven Weles, VVolos hat-
ten, der gleich nach Perun der erste war, die Römer ihren Pan und
Faunus, scheint die deutsche mythologie zu entralhen. eine menge
schützender waldgötter, unter besondern namen, zählt das finnische epos
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auf, wie der alte Hermes die herden hütete, aber Wuotan ist uns
124 bis auf heute der wilde jäger geblieben, und der wolf ist sein hund,
wie ihm der rabe auf der Schulter sitzt. Frolio (gleich dem tscher-
kessischen Messilch, mythol. s. 196) streift auf goldnem ober durch die
haine, das eberzeichen scheint Deutsclien und Kelten gemeinschaftlich,
der specht ist dem Mars heilig; warum sollten seinen göttern wilde
thiere zugesellt worden sein, wenn es nicht zur zeit geschah, wo das
volk in Wäldern hauste? fast alle wilden kräuter sind nach göttern oder
thieren benannt, oder haben bezüge darauf; ein beispiel mag genügen,
die heilige verbena, die herba pura, qua coronabantur bellum indicturi
(Plin. 22. 2, 3. 25. 9, 59) heiszt ahd. isarna, isanina, mhd. isenhart,
nhd. eisenkraut, gr. i) oidijQiug (Dioscor. 4, 33 — 35) lat. auch fer-
raria (Diosc. 4, 60), und musz nach dem Volksglauben auf dinstag,
Martis dies gebrochen werden*; mit dem planetenzeiehen des Mars
wird eisen bezeichnet, über die abkunft von sigijg ist so viel gemut-
maszt worden, dasz man, den horrens feris altaribus Ilesus hinzuge-
nommen, auch an aes und eisen denken dürfte.
Für das vieh, das getraide und den baushalt hatten die Samo-
giten und die allen Römer eine menge einzelner geschäftiger gottheiten
niederen ranges aufgestellt, deren namen aus Lasicz, Arnobius und
Augustinus zu erfahren und einer besondern Untersuchung werth sind.
Nicht minder einstimmiges musz sich über namen, amt und rechte
der priesterschaft ergeben, die bei Römern und Kellen vorzugsweise
ausgebildet war. priesterliche huttracht scheint bei Scandinaven, Da-
ken, Geten und Skythen eingeführt. In unsern weisthümern sind häufig
seltsame gebärden der hände und füsze angeordnet, wenn irgend ein
masz feierlich bestimmt werden soll; man darf darin Überbleibsel heid-
nischer, vielleicht durch den priester vorgenommner oder geleiteter
125 gebrauche finden, die ehmals ihren sinn und verstand hatten, der uns
jetzt entgeht, priesterliche Wohnorte blieben auch späterhin noch fried-
liöfe und zufluchtstätten. Das Allorfer weisthum (1, 17) sagt, wenn
vieh in den vier holzhöfen zu schaden weidet, sollen die höfer beide
hände unter den einbogen nehmen und in der linken band einen heu-
rigen zweig (sonst somerlate) haben und das vieh damit austreiben.
Nach der öfnung von Fallanden (1, 29) wird auf folgende weise be-
stimmt, wie weit eines mannes hüner auszerhalb seines etters gehn
dürfen: er soll auf den first seines hauses stehn, mit dem rechten arm
greifen unter den linken und soll das haar in die rechte hand nehmen
und eine sichel bei der spitze in die linke hand; so weit er (in dieser
erschwerten läge) mit der sichel wirft, so weit recht haben seine
hüner zu gehn. Dergleichen bestimmungen begegnen so oft (rechtsalt.
s. 55—74), dasz man ihnen einen hinlergrund Zutrauen darf, der sie
tief ins alterlhum zurück schiebt. Lasicz meldet uns, wie Litlhauerin-
nen verfuhren, wenn sie den Waizganthos um hohen flachs flehten:
* wie solsequinm sonntags, lunaria montags, mercurialis mittwoche, barba
Jovis donnerstags, capillos Veneris freitags; ich weisz nicht was samstags.
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altissima illarum, impleto placentulis sinu, et stans pede uno in sedili,
manuque sinistra sursum elata librum prolixum vel tiliae vel ulnto de-
traetum, dextera vero craterem cerevisiae haec loquens tenet: cWaiz-
ganthe, produc nobis tarn altuni linura, quam ego nunc alta sunt, neve
nos nudos incedere permiltas!’ (mythol. s. 1189.)
Eine menge alter und sinnvoller rechtsbräuclie wiederholt sich bei
ferngelegnen Völkern; ich will hier nur auf das verweisen was in den
rechtsalterthümern vorrede XIII. XIV. zusammengestellt ist; zu welchen
folgerungen berechtigt allein die wegeluslration (s. 73), das begieszen
mit gold oder waizen (s. 670), die form der gelübde, eidschwüre und
gottesurtheile!
Am eigenlhümlichsten und frischesten ausgeprägt wird man unter
kriegerischen Völkern der vorzeit alle persönlichen Verhältnisse erwarten.
Ihr ganzes leben athmet mut und todesverachtung. mythol. s. 820.
821 ist ausgeführt worden, wie der glaube an ein unausweichliches
Verhängnis unter allen deutschen Stämmen haftete: seinem nahenden ende
sah der krieger mit ruhe und sogar freude entgegen, weil er auf dem 126
Schlachtfeld gefallen in die gemeinschaft göttlicher wohnung einzugehn
hofte, und wie göttern und hehlen frohes lachen beigemessen wird
(mythol. s. 301. 363) lacht er sterbend, berühmt ist Ragnars ausspruch:
lifs eru lidnar stundir, lsejandi skal ek deyja!
und von Agner berichtet Saxo gramm. ed. Müll. p. 87: sunt qui asse-
rant, morientem Agnerem soluto in risum ore per summam doloris dis-
simulationem spiritum reddidisse, was Biarco s. 103 selbst sagt:
semivigil subsedit enim cubitoque reclinis
ridendo excepit letum, mortemque cacbinno
sprevit et elysium gaudens successit in orbem.
nach edda Saem. 247 lachte Högni, als man ihm das herz ausschnitt:
hlö bä Högni, er til hiarta skäro
kvicqvan kumblasmid, klecqva bann sizt hugdi,
blödugt pat ä biod lögdo ok bäro for Gunnar.
moerr qvad pat Gunnarr geirnifliingr:
her hefi ek hiarta Högna ins frcekna,
er litt bifaz er ä biodi liggr,
bifdiz svägi miök, er i briosti lä,
und als derselbe Gunnarr im wurmgarten* mit gebundnen bänden liegt,
spielt er mit seinen zehen auf der harl'e, dasz die schlangen entschla-
fen; nur eine böse natler bleibt wach und sticht ihm ins herz. Völs.
saga cap. 37. wie kühn und mannhaft sind alle reden der nacheinan-
der zur enthauptung geführten Iomsvikinge! (saga cap. 47.)
Heldengeschlechtern schrieb unser alterlhum glanzvollen leuchten-
den blick der äugen zu, der andere durchbohrte, micatus oculorum;
das nannte man orntr i auga, wurm int äuge, schlänge im äuge:
ämon ero augo ormi peim enom fräna. Ssem. 156a. Sigurdr
Odins settar, peim er ormr i auga. fornald. sog. 1, 258, der Aslög 127
sohn, Sigurds und Brvnhilds enkel, hiesz Sigurdr ormr i auga. als
* die wurmläge. Atliis. s. 65.
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RECHT END SITTE
Svanhildr unter den hufen der rosse zermalmt werden sollte, warf sic
ihr leuchtendes äuge auf die thiere, und diese wagten nicht ihr ein
leid zu thun. Völs. saga cap. 40. den wurm bezeichnet fränn glän-
zend, den held fräneygdr, micantibus oculis. Sollte den Griechen eine
so schöne Vorstellung fremd gewesen sein? da sich Sqolxwv von diqxco
leitet scheint auch o(pig aus dem veralteten omo, onrco besser als aus
skr. ahi anguis erklärbar, beide z/quxiov und ’Ocpuov sind heldenna-
men ; wie wenn das noch ungedeutele ofp&uXfiog aus ocpttog 9-uXa/uog
entspränge? das äuge ist ein gemach der schlänge, aus dem sie blickend
hervorschieszt; das einfache gr. wort war oaai, wovon der dual, oooe
übrig ist. man dachte sich bald eine schlänge im äuge, bald ein mäd-
chen (xoqtj, pupa), und das leuchtende, geringelte haisband liiesz nicht
nur o(pig, dgaxcov, sondern auch ahd. mouwi virgo, was ich ander-
wärts gezeigt habe.
Ich werde noch einzelne altertlnimer des kriegerlebens hervor-
heben.
Unter jener verbena verstand man eigentlich das gramen ex arce
cum sua terra evulsum, ac semper e legatis cum ad hostes clariga-
tumque mitterentur, id est res raptas clare repetitum, urius utique ver-
benarius vocabatur. ich habe dazu die chrenecruda des salischen rechts
gehalten.
Andere feierlichkeitcn beim kriegverkiindigen beschreibt Livius 1, 32
mit allen formein. fieri solitum, ut fetialis hastam ferratam aut san-
guineam praeustam ad fines Latinorum ferrct; nach hersagung seines
Spruchs: hastam in fines eorum emittebat. hoc tum modo ab Lalinis
repetitae res ac bellum indictum, moremque eum posteri acceperunt.
Dieser angebrannte blutige speer gleicht aufs merkwürdigste dem gali-
schen cranntair, der, wenn feindseligkeit ausbrach, an beiden enden im
feuer gebrannt, in das blut eines opferthiers getaucht und mit gröszter
Schnelligkeit von dorf zu dorf getragen wurde, um die krieger zu ver-
sammeln. Nicht anders entsandte man in Scandinavien herör und bod-
kelli (rechtsalt. s. 164. 165.)
128 Burchard von Worms meldet eine abergläubische gewohnheit, die
in der neujahrsnacht stattfand: wer die zukunft erforschen wollte setzte
sich im kreuzweg auf eine stierhaut (in bivio sedisli supra taurinam
cutem, ut ibi futura tibi intelligeres.) ohne zweifei wurde im heidenthum
darunter die haut eines eben zum opl'er dargebrachten sliers verstanden.
Lucian im Tox. 48 erzählt aber als skythischen brauch das xu-
inl rrjg ßvgoijg. wenn jemand an seinen feinden rache
nehmen will, opfert er einen stier und setzt sich auf dessen haut, seine
hände über den rücken geschlagen, das gesottene fleisch des thiers
wird herbeigebracht, die freunde treten hinzu, und wer ein stück
fleisches nimmt, setzt seinen rechten fusz auf die stierhaut, und ver-
heiszt fünf, der andere zehn, ein anderer noch mehr reiter zu stellen,
geringere machen sich zu fuszgängern anheischig, der arme verspricht
sich selbst, und so wird auf der haut oft ein groszes tapferes heer
zusammengebracht: imßfjvai rrjg ßvQGrtg opxog toxi, du wirst nicht
jül wi sj*. Jtk Ji
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RECHT UND SITTE
91
wenig freunde haben, sagt Tox. 47 einer zum andern: /udXiora de
fi xadt^oio tn'i Tr\g ßvQoyg rov ßoog.*
Wie hier durch betreten der stierhaut unverbrüchliche gemein-
schaft der heergenossen, so entsprang durch ähnlichen brauch nach
altnordischem recht aufnahme ins geschlecht. Wer einen an kindes-
stalt oder seinen unehlichen sohn in die gemeinschaft des hauses auf-
nehmen wollte, verfuhr folgendermaszen. er schlachtete einen drei-
jährigen ochsen, löste von dessen rechtem fusze die haut ab und
machte daraus einen schuh, diesen schuh zog zuerst der vater an,
nach ihm der neuaufgenommne sohn, dann alle erben und freunde.
Gulajnngslög leyslngsb. 2. Frostafüngslög 1 1, 1 (rechtsalt. s. 155.463.)
dies nannte man aetlleida, aettleiding** oder mit einem in den schuh 129
steigen, und der noch spät ins mittelalter reichende brauch, die braut
beim Verlöbnis oder der hochzeit zu beschuhen, scheint mir auf die
heiligere sitte der vorzeit zurückzugehn, das opferthier, und dasz seine
frisch abgezogne haut mit dem haaren fusz berührt werden muste, ver-
mittelte den neuen bund. Im lempel des Dius Fidius bewahrten die
Römer einen Schild, der mit der haut eines beim bündnis zwischen
ihnen und den Gahinern geopferten stiers bespannt war***: das stier-
feil heiligte hier den Völkerbund.
Welche unschuldige einfalt tragen alle gewohnheiten der vorzeit
in dem familienrecht an sich, die vermählte braut wird gleich dem
neuerwählten könig auf den schultern in die höhe gehoben, gleich dem
angenonnnnen sohn in den schosz, aufs knie gesetzt, in den mantel
gehüllt; auch der Wunsch, die Saelde legen ihre gtinsllinge in den
schosz, wir sagen noch heute ein schoszkind des gliicks (mhd. der Ssel—
den barn) sein, so setzte man den neugebornen Odysseus seinem grosz-
vater auf die knie, dasz er ihm namen gebe (Od. 19, 40011'.), er ist
ihm TioXvuQriTog, ein Wunschkind. Wenn bei den Tscherkessen ein
fremdes kind an sohnesstatt aufgenommen wird, bietet ihm die haus-
frau ihre brust, und dann theilt es alle rechte der übrigen kinder.
die Neugriechen nennen ein angewünschtes kind ipvyonuldi, herzens-
kind, liebeskind. Ulfilas verdeutscht vio&eotu frastisibja und das sonst
unsrer spräche erloschne frasts musz vlog, rtxvov ausgesagt haben: JvoAhrn yjkvo^
es stammt, denke ich, von fraftjan voetv, frafu vo-rj/na, litth. protas, 6,13
lett. prahts sinn, mut, und mag herzenskind, liebling sein, was uns in
herz und mut hegt, wie wir den ausdruck seele, die Slaven duscha,
duschitza hypocoristisch an geliebte wesen richten, f
* den Lucian ziehen Suidas und Apostolius in den Sprichwörtern aus
(Leutsch und Schneidewin paroemiogr. gr. p. 210.)
** wie mhd. brütleite, swertleite, also wol auch früher ahtleita, slahtleita
von ahta, slahta genus. schön diese technischen ausdrjicke lassen ahnen, dasz
eine lierileita in skythischer weise gegolten haben könne.
***) Dionysius halicarn. 4, 58 p. 257*. Nicbuhr 1, 569.
f mhd. vrastmunt herzhaftigkeit, rehter vrastmunt ein base. Helbl. 2, 515
(wie sonst ein base des muotes); mit fräste (audacter) er si werte, fundgr. 1,137 ;
er sanc niht vrastgemunde (nicht herzhaft) nach der mugent. Lohengr. 176;
durch die vrastmund (propter audaciam) Ottoc. 828b.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
92 RECHT UND SITTE
130 Die gröszere kraft des familienrechts bei den alten geht schon
aus dem reichthum der spräche an ausdrücken für alle stufen der Ver-
wandtschaft hervor; es würde allzuviel raum kosten, wollte ich meine
samlungfen einschalten: über die namen des groszvalers und urgroszva-
ters habe ich einmal in Haupts Zeitschrift 1, 21—26 geschrieben, von
den seitenverwandten und Verschwägerungen wäre noch viel mehr bei-
zubringen. auch hier wird die deutsche spräche an fülle der benen-
nungen von der slavischen, litthauischen, finnischen weit übertroflen,
weil diese später gebildeten Völker den brauch des alterthums länger
bewahrten, die alte sippe und magschaft, welche ein recht des kus-
ses, der trauer, des namengebens, der eidhülfe, blutrache und erbschaft
begründete, hütete streng ihren hergebrachten brauch; als dieser ver-
altete, wurden auch die vielfachen benennungen entbehrlich und gien-
gen in allgemeinheit unter, auch die erzieher und ammen hatten
gröszere befugnis als ihnen die jüngere zeit einräumt; ich will mich hier
darauf einschränken die freundschaft und brüderschaft näher zu schildern.
Den Serben heiszt der angenommne sohn posinak und adoptieren
posiniti, gerade wie pobratim und posestrima die aufgenommnen bru-
der und Schwester ausdrücken, pobralitise, posestrilise sich verbrüdern,
verschwistern; böhm. pobratriti se, poln. pobratac sie; diese Verbrü-
derung und verschwisterung begründet blosz ein Verhältnis zwischen
freunden und greift nicht in die Verwandtschaft der geschlechler ein,
aber allen Slaven war sie heilig, zumal den südlichen, einen pobra-
tim kann man sich sogar schlafend im träum erwählen, wachend aber
pflegt es feierlich in der kirche vor allem volk zu geschehn; ein sol-
cher bund dauert für das ganze leben und verpflichtet beide brüder
zu wechselseitigem beistand und zur blutrache: wahrscheinlich galten
im heidenlhum fiir den eingang des pobratimstvo heilige bräuche, an
deren stelle jener kirchliche getreten ist. Aüch die geisterhafte vila
konnte posestrima eines beiden werden und schützte ihn dann in jeder
131 gefahr. eine solche vila war mit Marko Kraljavitsch verschwistert.*
dieser bund gleicht bedeutsam dem der valkyrien unsers alterthums
mit den helden.**
Unsere heutige spräche kennt noch die namen milchbrilder, bluts-
brüder und herzbrüder für engverbundne freunde; sie waren sich ein-
ander zugethan, als ob sie Zwillinge gewesen wären und milch aus
einer mutter brust gesogen hätten, ihr blut für einander hinzugeben
sind sie bereit, in den märchen leben beispiele solcher milchbrüder,
die ähnliche namen führen, sich von gestalt so gleich sind, dasz sie
nicht unterschieden werden können, und ihrer kinder blut zur heilung
des aussatzes darbringen; ein altes Zeichen verbrüderter war, dasz sie
ein naktes schwert zwischen sich und die frau oder geliebte des
freundes legten.
* Vuk 2 n° 38; eine andre verschwisterung der vila bei Vuk 1 n° 224.
** die brüderschaft der Tscherkessen, welche tleusch genannt wird, beschreibt
Klemm 4, 61. 62.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
RECHT UND SITTE
93
£
In der alten spräche finden sich noch mehr benennungen; ahd.
giteilun consortes; gileibun für gihleibun commensales, goUi. gahlai-
bans*; gimazun convivae; gipellun, gisläfun contubernales; girünun
collocutores; gisindun comites; ginözun, ginözä socii, welchen die altn.
rünar, sinnar, nautar, mälar entsprechen, jböftar, qui una sedent in
transtro, sind die ags. gefiöftan, welche sodales clientes consortes ver-
deutschen; auch aus dem gr. vnriqhr^g, das einen rüderer bedeutet,
erwuchs der begrif eines dieners und gehilfen.
Ich habe diese aufgezählt, um mir das recht zu erwerben zwei
andere ausdrücke abzuhandeln, die für meine zwecke ungleich wich-
tiger werden.
Caesar, indem er die gallischen reiter schildern will, sagt 6, 15:
ii, cum est usus atque aliquod bellum incidit, quod ante Caesaris
adventum fere quotannis accidere solebat, ubi aut ipsi injurias infer-
rent, aut illatas propulsarent, omnes in bello versantur: alque eorum
ut quisque est genere copiisque amplissimus, ila plurimos circum se
ambactos clientesque habet, hanc unam gratiam potentiamque nove- 132
runt. ambacti stimmt ohne zweifei zum beigefügten lat. clientes, w7ie
eben unsere ags. gefiöftan clientes heiszen, die goth. gahlaibans mini-,
stri (mifigahlaibeis comministri in der neap. urk.) oder condiscipuli
Joh. 11, 16. diese dienten eines vornehmen Galliers können bloszes
cht auch zum heerzug
en stierhaut?
i der aquitanische krieg
kdcantuanus, qui sum-
illi soldurios adpellant,
commodis una cum his
lid iis per vim accidat,
m consciscant. neque
m, qui eo interfecto,
unnvumc ucTimssCT, Tiiui'i recusareu nierzu gehalten werden
musz Athenaeus 6, 54 p. 542: tgaxootovg i/tiv Xoyudag nsgl avzov,
ovg xaXtiotXai vno PaXuzair zfj nazqiio yXwzzzj aiXoÖovQovg, zovzo
d1 iorly tXXrjviGTi tv/toXi/naloi. diese evycoXi/^ialoi (bei Herod.
2, 63 tvytoXag tmzeXeorztg), diese devoli, qui aliorum amicitiae se
dediderunt, devoverunt, sind wieder die vorhin genannten clientes, und
beide ausdrücke erscheinen anderwärts verbunden (devotusque cliens.
Juvenal 9, 72), folglich bezeichnen auch die angeführten gallischen
Wörter ambacti und soldurii dasselbe.
Sind es aber wirklich gallische? ambaclus wurzelt in allen deut-
schen sprachen bis auf heute; goth. andbahts diäxovog, vnzjQtzijg,
ahd. ampaht minister, villicus, satelles, ags. ambiht ombiht minister,
famulus, alts. schwachformig ambahteo minister, altn. aber nur das
weibliche ambefit ancilla, serva. aus dem persönlichen leitet sich der
sächliche begrif goth. andbahti dmxovia Xeizovqyia, ahd. ampahti,
«A £$ (vi,
(\aK
70*
im span, romance : que a una mesa comen pan
arburg, Best. 340
RECHT UND SITTE
130 Die gröszere kraft des familienrechts bei den alten geht schon
aus dem reichthum der spräche an ausdrücken fiir alle stufen der Ver-
wandtschaft hervor; es würde allzuviel raum kosten, wollte ich meine
samlungfen einschalten: über die namen des groszvaters und urgroszva-
lers habe ich einmal in Haupts Zeitschrift 1, 21—26 geschrieben, von
den seitenverwandten und Verschwägerungen wäre noch viel mehr bei-
zubringen. auch hier wird die deutsche spräche an fülle der benen-
nungen von der slavischen, lilthauischen, finnischen weit übertroflen,
weil diese später gebildeten Völker den brauch des alterthums länger
bewahrten, die alte sippe und magschaft, welche ein recht des kus-
ses, der trauer, des namengebens, der eidhülfe, blutrache und erbschaft
begründete, hütete streng ihren hergebrachten brauch; als dieser ver-
altete, wurden auch die vielfachen benennungen entbehrlich und gien-
gen in allgemeinheil unter, auch die erzieher und ammen hatten
gröszere befugnis als ihnen die jüngere zeit einräumt; ich will mich hier
darauf einscbränken die freundschaft und brüderschaft näher zu schildern.
Den Serben heiszt der angenonnnne sohn posinak und adoptieren
posiniti, gerade wie pobratim und posestrima die aufgenommnen bru-
der und Schwester ausdrücken. nobratitise nnspstrih«** sieh vcrhniHern,
verschwistern; irü-
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aber allen Slav >ra-
tim kann man ber
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im heidenlhum an
deren stelle jemji lurcuncne geueien isi. auch um gvist^maitc vila
konnte posestrima eines beiden werden und schützte ihn dann in jeder
131 gefahr. eine solche vila war mit Marko Kraljavitsch verschwistert.*
dieser bund gleicht bedeutsam dem der valkyrien unsers alterthums
mit den beiden.**
Unsere heutige spräche kennt noch die namen milchbrüder, bluts-
brtider und herzbrüder für engverbundne freunde; sie waren sich ein-
ander zugethan, als ob sie Zwillinge gewesen wären und milch aus
einer mutter brust gesogen hätten, ihr blut für einander hinzugeben
sind sie bereit, in den märchen leben beispiele solcher milchbrüder,
die ähnliche namen führen, sich von gestalt so gleich sind, dasz sie
nicht unterschieden werden können, und ihrer kinder blut zur heilung
des aussatzes darbringen; ein altes Zeichen verbrüderter war, dasz sie
ein naktes Schwert zwischen sich und die frau oder geliebte des
freundes lenten.
* Vak 2 n° 38; eine andre verschvvisterung der vila bei Vuk 1 n° 224.
** die brüderschaft der Tsckerkessen, welche tleusch genannt wird, beschreibt
Klemm 4, 61.62.
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In der alten spräche finden sich noch mehr benennungen; ahd.
giteilun consortes; gileibun für gihleibun commensales, goth. gahlai-
bans*; gimazun convivae; gipeltun, gisläfun contubernales; girünun
eollocutores; gisindun comites; ginözun, ginözä socii, welchen die altn.
rünar, sinnar, nautar, mälar entsprechen. |>öflar, qui una sedent in
transtro, sind die ags. gefmftan, welche sodales clientes consortes ver-
deutschen; auch aus dem gr. vnrjQtzrjg, das einen rüderer bedeutet,
erwuchs der begrif eines dieners und gehilfen.
Ich habe diese aufgezählt, um mir das recht zu erwerben zwei
andere ausdrücke abzuhandeln, die für meine zwecke ungleich wich-
tiger werden.
Caesar, indem er die gallischen reiter schildern will, sagt 6, 15:
ii, cum est usus atque aliquod bellum incidit, quod ante Caesaris
adventum fere quotannis accidere solebat, ubi aut ipsi injurias infer-
rent, aut illatas propulsarent, omnes in bello versantur: atque eorum
ut quisque est genere copiisque amplissimus, ita plurimos circum se
ambactos clientesque habet, hanc unam gratiam potentiamque nove- 132
runt. ambacti stimmt ohne zweifei zum beigefügten lat. clientes, wie
eben unsere ags. gefwftan clientes heiszen, die goth. gahlaibans mini-
stri (mijjgahlaibeis comministri in der neap. urk.) oder condiscipuli
Joh. 11, 16. diese dienten eines vornehmen Galliers können bloszes
gefolge und dienstmannschafl sein, warum nicht auch zum heerzug
geworbne leute, gleich denen auf der skythischen stierhaut?
Man höre Caesars andere stelle 3, 22, wo der aquitanische krieg
beschrieben wird: atque alia ex parte oppidi Adcantuanus, qui sum-
mam imperii tenebat, cum DC devotis, quos illi soldurios adpellant,
quorum haec est conditio, ut Omnibus in vita commodis una cum his
fruantur, quorum se amicitiae dediderint: si quid iis per vim accidat,
aut eundem casum una ferant, aut sibi mortem consciscant. neque
adhuc hominum memoria repertus est quisquam, qui eo interfecto,
cujus se amicitiae devovisset, mori recusaret. hierzu gehalten werden
musz Athenaeus 6, 54 p. 542: i^axooi'ovg i'ytiv loyudag tizq'i avxov,
ovg xaXtia&ai vno TuXaxüv zfj tiu.xquo yXojzzrj oiXoÖovQovg, zovzo
d’ iozlv iXXrjviGzl evycoXi/.iaioi. diese tvytoXt/.iaToi (bei Herod.
2, 63 tvywXdg InizeXtovzeg), diese devoli, qui aliorum amicitiae se
dediderunt, devoverunt, sind wieder die vorhin genannten clientes, und
beide ausdrücke erscheinen anderwärts verbunden (devotusque cliens.
Juvenal 9, 72), folglich bezeichnen auch die angeführten gallischen
Wörter ambacti und soldurii dasselbe.
Sind es aber wirklich gallische? ambaclus wurzelt in allen deut-
schen sprachen bis auf heute: goth. andbahts didxovog, vnrjQ£zi]g,
ahd. ampaht minister, villicus, satelles, ags. ambiht ombiht minister,
famulus, alts. schwachformig ambahteo minister, altn. aber nur das
weibliche ambäit ancilla, serva. aus dem persönlichen leitet sich der
sächliche begrif goth. andbahti öiaxovia Xeizovqyia, ahd. ampaliti,
* im span, romance : que a una mesa comen pan.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
KECHT UND SITTE
später ampaht officium clientis, episcopatus, ags. ambiht officium, man-
datum, sghwed. ämbete, dän. embed, mhd. ambet, nhd. amt, in wel-
chem letzten wort von der Wurzel gar nichts mehr übrig bleibt, da
133 am aus der praep. and herrührt und das T derivativ ist. das goth.
verbum andbahtjan übersetzt diaxoveiv, das ahd. ampahtan ministrare.
was so tief in unsre spräche verwachsen ist kann kein fremdes wort,
und was so wenig in die keltische spräche greift musz ihr ein frem-
des sein.*
Allein auch zu den Römern müssen es frühe die Gallier getragen
haben, ambaclus, sagt Feslus, apud Ennium lingua gallica servus
appellalur, ein altes glossar: ambactus dovXog /uio&WTog, u>g 'Evviog.
eine gallische münze hat neben einem ochsenkopf die inschrift am-
bactus, eine batavische inschrift: deae Nehalenniae Januarius Ambac-
thius pro se et suis V. R. L. M.** bei Steiner n° 877 ein Marianus Am-
bactus. das wort ist ins mittellatein und alle roman. sprachen auf-
genommen: dominica ambascia (jussio regis) lex. sal. 1, 3; in am-
bascia (legatione) sua, lex. Rurg. add. 1, 17; ambasciare legationem
obire, nuntiare, ambasciator legatus, ital. ambasciadore, sp. embaxador,
port. embaixador, prov. ambaichadors, franz. ambassadeur, welche alle
erst aus dem verb. ambasciare herllieszen, so dasz keine einfache form
dem goth. andbahts, ahd. ampaht gleichkomml. Die keltischen spra-
chen selbst überliefern uns nichts einstimmendes, oder man miiste wort
und begrif zwängen, vergeblich scheint mir auch aus skr. bhadsch
colere (Pott 2, 47 und Bopp gl. skr. 242b) zu erklären, denn die
deutsche wurzel liegt näher.
Das goth. wort für vcörog entgeht uns, würde aber hak lauten,
wie alts. bac, ags. bäc, altn. bak; andbaht bezeichnet also den freund
oder diener, der uns den rücken wahrt, den wir im rücken haben,
134 einen rückenhalter, die praep. and drückt aus gegen (wie in andaugi
nQooamcn'***) und HT zu K verhält sich wie in siuks sauhts, vakan
valitvö, vaurkjan vaurhta. höchst analog gebildet dem andbahts ist gr.
diüxovog, jon. dirjxovog, das weder zu ditoxio noch (schon seines
langen u wegen) xövig gehört, vielmehr aus diuuyxovog Öiuyxovog
von dyxwv einbogen entspringt und einen diener oder helfer bedeutet,
der uns zum arm, zur seite steht; and entspricht dem diu (gramm.
4, 793.) man erwäge lyxovig, uyxovig = vnr^tTig, lat. ancilla und
ancus, ahd. encho servus, anchala talus, enkel nepos, altn. albogabarn,
altschwed. bakarf, bryslarf.
Läge in bak, wie in tergum zuweilen, in tergus immer auch die
* wie andbahts in die keltische, gieng später unser ähnliches skalk in die
romanische spräche ein, und der ital. siniscalco, franz. senechal, prov. senescal,
ital. mariscalco maresciallo, franz. marechal hezeichnen wieder amtsleute im gc-
folge des herrn.
** Orelli n° 2774 aus Keyslers antiq. celt. p. 249. andere lesen Januarinius.
in den denkmälern auf Nehalennia klingen öfter deutsche namen an: Sumaronius,
Satto, Flettius.
*** mhd. andouge. Haupt 2, 195 wo zu lesen: vor gotes andouge.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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bedeutung corium, so wagte ich, da jenes ambaclus mehr einen edlen
geführten als knecht aussagt, andbahts sogar auf das symbolische be-
treten der ßvQou zu ziehen und den gebrauch von den Skythen auf
Germanen und Gallier zu erstrecken, ja mir fallt ein, der Übergang
des begrifs ßvQou in bursa, crumena e corio, ahd. burissa cassidile
(Graff 3, 206) sei zwar leicht, seltsam der in mlat. bursa = conven-
ticulum, coetus, societas, woraus unser fern, burse, börse (coetus com-
militonum, mercatorum), endlich das masc. bursch entsprang; Frisch
führt ein nnl. bors an mit der bedeutung: bande de dix. es scheint
gezwungen dies daher zu erklären, dasz der verein aus einer börse,
einem seckel unterhalten werde, und natürlicher vorauszusetzen, bursa
könne in hohem alterlhum einen Zusammentritt verbündeter genossen
auf der stierhaut ursprünglich gemeint haben. Cicero epist. ad famil.
7, 2 nennt einen Plancus Bursa; das wäre ein name wie Ambactus,
aber es bedürfte natürlich Zeugnisses dafür, dasz bursa damals schon
in solchem sinne galt.
Wie dem sei, die ambacli sind nur deutsch zu erklären, die sol-
durii nicht minder, gotli. skula, ahd. scolo, mhd. schol ist debitor,
folglich obligatus, devinclus; gotli. skuldö debitum, ahd. sculd; die
verbalformen sol solt sulen sule solta stoszen schon bei Notker das
C aus, und es läszt sich erwarten, dasz es die Gallier bei aufnahme 135
des worts gleichfalls ausslieszen; den ausgang urii mögen sie gebildet
haben, das mlat. soldum soldala, Stipendium, il. soldo, prov. sout,
altfranz. soldee soudee leitet man mit allem anschein aus solidata und
solidus, der krieger sei für einen solidus geworben worden (vgl. Diez
1, 302); doch das ahd. skoldiner miles gregarius (Gralf 6, 490) könnte
zweifei anregen und ursprünglich der krieger gemeint sein, der sich
ins heer verpflichtet hat. die mlat. form soldonerius miles stipen-
diarius, it. soldaniere lassen sich kaum auf solidus zurückführen; auch
bei Alhenaeus lesen einige hss. für atlodovgoi cnXodovvoi. keine
keltische spräche taugt soldurii zu erläutern; man hat das bask. zal-
duna eques verglichen.
Aber den gallischen hergang beim bund der soldurii unterläszt
Caesar mitzutheilen oder erfuhr ihn nicht; den skythischen schildert
Toxaris dem Mnesippus bei Lucian cap. 37 folgendergestalt: xuntibav
nQOXQid'elg 7 ig ijdij yiXog fj, ovvd'rjy.ou zo ano zovzov, xal OQXog
o /utytoxog, i]v /ui]r xal ßiMoeo&cu /.uz' äXXrßuov xal ömod'avu-
ofrai, Jjv bei], imeQ zov eztQOV zov extgov xal ovza) noiov/uev.
u(ß ov yaQ evxefzovzeg unug zovg bay.zvbovg, lyaruXa^(x)f,itv zu
uT/uu fig y.vXiy.u, xal za igleprj uxqu ßüipavxtg, a/xa u[A<fbxtQQi
enta/uf-ayoi tcuo/.uv, ovx eazn’, o, zi zo f.itzä zovzo i]/iiäg btalvoeitv
«V. xal eqeizui de zo fueyiazoy ayjii zqiwv eg zag Gvv&rjxag
elgievai. Diese unverbrüchliche treue der skythischen blutsbrüder wird
nun in einzelnen, wie es scheint wirklich aus dem leben gegriffenen
geschichten dargelegt; was könnte rührender sein als die von Dandamis
und Amizoces, welche sich einander das licht ihrer äugen opferten und
erblindet saszen öffentlich von allen Skythen unterhalten und hochgeehrt?
rburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
RECHT UND SITTE
Eine ausführliche und abweichende meldung von dem skythischen
bluteid, ohne ihn jedoch auf den freundschaftsbund zu beziehen, hat
Herodot 4, 70 bewahrt: oqxiu de noievvxui JSxv&ui wde tiqoq rovg
uv noietovzui. eg xvXix.u /neyuXrtv xeQUf.ilvrjv otvov eyyeuvzeg al/uct
ov/Lijuiöyovoi riuv tu oqxiu rajuvo/Lievcov, Tvxpuvreg vneuzi 1) em-
136 xuuovteg [lu/uiyi] g/hixqov tov ow/uaiog xal enenu unoßüxpuvreg
eg ttjv xvhxu uxivüxeu xul oioTOvg xul GuyuQiv xul uxovtiov
eneuv de tuvtu notrjOUicn, xurevyoviui noXXu xul e'neiTU unoni-
vovoi uvjoi re ol ro oqxiov noiev/^ievoi xul twv enOf.iev(av ol nXei-
gtov u'^toi. Toxaris redet blosz von blut, nicht von wein, in den das
blut gelassen werde, und geschweigt der pfeile, der axt und des speers,
die auszer dem schwert in den kelch getaucht werden; dort erlangt
man das blut durch fingerritzen, hier durch stechen mit der ahle und
schneiden mit dem dolch in den leib.
Andere merkwürdige nachrichlen von bluteiden und blulbündnissen
zwischen'verschiednen älteren und neueren Völkern sind rechtsalt. s. 193.
194 gegeben, die ich jetzt'nicht wiederhole, hinzufügen will ich nur
aus Herod. 1, 74: oqxiu de noteexui tuvtu tu e'xXveu tu neQ je
'’EXXrjveg, xul ngog rovtoioi , eneuv rovg ßquyiovug eniTUf.uovxui
eg trjv dfioyjfourjv, to ui(.iu uvuXelyovai uXXijXo)v. Noch um die
mitte des vierzehnten jh. schwur der litlhauische könig, als er sich
dem von Ungern ergab, eide auf dem blut, nach seiner weise (Suchen-
wirt 9, MO.) In Kazwinis nalurgeschichte wird von den Tataren fol-
gendes erzählt: si amicitiam vel foedus cum sui vel alieni generis po-
pulis faciunt, in conspectum solis prodeunt, eumque adorant. tum
poculum vino plenum in aerem jaciunt atque quisque eorum ex hoc
poculo bibit. tum educlis gladiis se ipsos in quadam corporis parte
vulnerant, donec sanguis profluit. tum quisque eorum allerius san-
guinem potat, quo facto foedus inler eos ictum est. si quid stipulan-
tur vel firmum dant jusjurandum, gladios educunt, eosque mordicus
premunt.*
Zumal anziehend ist die altnordische sitte. wenn zwei unterein-
ander brüderschaft schlossen, schnitten sie einen streif rasen auf, so
dasz er mit beiden enden am gründe hängen blieb und in der mitte
ein spiesz untergestellt wurde, der den rasen hob. dann traten sie
unter den rasen und jeder stach oder schnitt sich in die fuszsohle
137 oder flache hand: ihr ausflieszendes, zusammenlaufendes blut mischte
sich mit der erde, dann fielen sie aufs knie und riefen die gölter
an, dasz sie ein^r des andern tod, gleich briidern, rächen wollten,
diese feierliche handlung biesz gänga undir iardar men (gehn unter
der erde haisband, rechtsalt. s. 118. 119 mythol. s. 609) und die
freunde nannten sich föstbroedr (collactanei.)
Weitere Zeugnisse lehren genauer, dasz die föstbroedr das blut
in ihre fuszspur laufen lieszen; siquidem, sagt Saxo gramm. p. 12
* Abu Dolef Misaris ben Mobalhal de itinere asiatico commentarium ed.
Kurd de Schlözer. Berol. 1845 p. 33.
.JUL
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(ed. Müll. p. 40) icturi foedus veteres vestigiä sua mului sanguinis
aspersione perfundere consueverant, amicitiarum pignus alterni cruoris
commercio firniaturi. der altnordische ausdruck war hlanda blödi com-
miscere sanguinem, renna i spor blödi sanguinera in vestigia mittere;
später sagte man sverja i brcedra lag (Vols. saga cap. 26.)* Loki
wirft dem Odinn vor (Saem. 60b)
mantu pat Odinn, er vit i ärdaga
blendom blödi saman ?
und Brynhildr dem Gunnar seine briiderschaft mit Sigurd (Saem. 209b)
mantattu Gunnar til görva pat,
er pit blödi i spor bäpir rendut?
Unverkennbar gleicht dieser tritt in die lebendige fuszspur** jenem
treten in den schuh bei der aufnahme an kindesslatt, überall brechen
verwandte Vorstellungen durch. Wie das angenommene kind die mut-
termilch des geschlechts saugen musz, soll der gewählte bruder sein
blut mit dem des andern mengen oder beide trinken blutgemischten
wein; derselbe schuh faszt den fusz der neubeschlechtelen, auf die-
selbe opferhaut treten alle heerverbündeten, das blut wird vom arm
geleckt, und selbst der bund mit finstern gewalten fordert blut zur be-
kräftigung. ihren Speichel mischten Äsen und Vanen beim friedensbund. 138
Was bei so manchen Völkern des alterthums in ergreifender sitte
galt, durfte uns gallische oder germanische appellaliva auslegen helfen,
in deren hintergrund ähnlicher brauch gewaltet haben musz. Der
griechische truT^og war freund genosz und dienstmann, nach allen
färben dieser ausdrücke, er könnte ein cliens devotus andbahts und
pobratim gewesen sein.*** wie der pobralim zum leiblichen bruder,
steht in gewisser weise die trutQu und nüXkaS, zur ehfrau und leib-
lichen Schwester; beide Verhältnisse scheinen dem zustande kriegeri-
scher Völker gleich natürlich; fortschreitende ausbildung kann sie her-
nach entbehren oder verwerfen, man deutet traigog aus tTVjg, Ho-
mer verbindet y.aoiyvrjTOi t£ treu rf, trug xal tzaiQOvg, und der
unterschied des lenis und asper mag nichts austragen, doch schiene
einfach an tztgog zu denken, und das epische eragog für tzaiQog
anzuschlagen, denn geradeso haben die Slaven neben droug”, drugi,
böhm. druhy aller-p ein suhst. droug”, serb. drug, poln. druch, böhm.
* triuwe und gesellescliaft gelobeten si zwöne under in zwein. Trist. 18752.
** mit denn ausschnitt sonst zauber getrieben wird; in solcher spur schaut
der bruder, wie es dem abwesenden ergeht, jenachdem sie sich mit erde, wasser
oder blut lullt, fornald. sög. 1,63.
*** Polybius hist. 2, 17 von gallischen Bojen, Lingonen und Senonen redend:
ttsqi Ss ras traioEiae pieyiorrjv ottovStjv inoiovvro, Sia.ro xal tpoßsQcöra-
rov xal Svvarcörazov elvai tuio avroTe rovror, os av nXeiOTOvS i%eiv SoxFj
rove ßEQaTtevovrae xal otyaiEoaf Efiouevov avreo.
-j- drug durch aphaeresis für odrug, also wurzelhaft eins mit anpar, alid.
andar, ags. oder, engl, other, litth. antras, lett. ohtrs, während sp. otro, franz.
autre sich von lat. alter, it. altro ableitet, anpar ist skr. anjataras, Steigerung
von anjas, wie lat. alter von alius; der comparativ beschränkt den begrif auf
zwei. ereQos gleicht dem russ» vtoroi, poln. wtöry.
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sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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RECHT UND SITTE
druli mit der bedeutung (pilog, es ist wie haiQog txtQog der gleich-
namige andere, der andere theil der seele. das litth. draugas, lett.
draugs musz von den Slaven entlehnt sein, weil es sich von antras,
ohtrs entfernt, ich habe nicht gefunden, dasz unser ander jemals
einen alter ego bezeichnete; merkwürdig lieszen, nach jenen Worten
des Toxaris, die Skythen nicht über drei blutsfreunde zu. Aber man
139wird natürlich finden,- dasz Völker, die freundschaft so heilig hielten,
wie Skythen und Deutsche, den Orestes und Pylades, den Caslor und
Pollux, oder unter welchen namen sie diese wesen kannten, göttlich
verehrten.
Noch einige züge aus rauher vorzeit sollen für den Zusammen-
hang dieser Völker untereinander gleich starkes zeugnis ahlegen.
Durch nichts kann liebe und treue von den menschen heftiger
.an den lag gelegt werden als dadurch, dasz man einem theuren ver-
storbnen in den tod zu folgen bereit ist. bei den Indern verbrannten
sich eitern mit des geliebten sohnes leiclinam, am häufigsten aber
geschah, dasz die ehfr.au ihren mann in den tod begleitete: bis auf
heule berscht das mitverbrennen der weiber in Indien. Herodot 5, 5
erzählt, dasz bei thrakisehen Völkern nach des mannes absterben er-
forscht werde, welche von seinen frauen ihm die liebste gewesen sei,
und dasz man diese hernach auf seinem grabe tödte; Mela 2, 2 mel-
det das als allgemeinen getischen brauch, er war aber auch unter
den Skythen im schwang (Her. 4, 71: rcov nu’kXuxtcöi' f.uav uno-
nvi^avrtg) wie unter den allen Hellenen (Pausan. 4, 2: yvvaixtg
avTai TQeig nQoano&uvovoi nuaou xoig uvö^äoiv tavräg tnixaxi-
acpuS,uv.) von den Herulern versichert ihn Procop de hello goth. 2, 14
und unser nordisches alterthum gewährt rührende beispiele, Nanna
ward mit Baldr verbrannt, Brynhild verordnele, dasz sie mit Sigurd
verbrannt würde, von Gunnhild, Asinunds ehfrau meldet Saxo gramm.
ed. Müll. p. 46: ne ei super esset spiritum sibi ferro surripuit virum-
que fato insequi quam vita deserere praeoptavit. hujus corpus amici
sepulturae mandantes mariti cineribus adjunxerunt, dignam ejus tumulo
rati, cujus caritatem vitae praetulerat. ‘wenn ich ihm nachfolge’ sagt
Brynhild Völs. cap. 31, ‘fällt ihm die schwere thiir der Unterwelt nicht
auf die ferse*, es war mit dem glauben an ein künftiges leben und
an den dienst, welchen die frau dem gatten auch dann zu leisten
schuldig sei, eng verwachsen, der Gudrun gereicht es zum vorwurf,
dasz sie ihren gemahl überlebte: saemri vaeri Godrun frumver sinom
140 at fylgja daudom. Saun. 2241’. Noch in den gedichlen des mittelalters
bricht der altheidnische sinn durch:
ouch so] ich mich niht sfimen me,
ich vvirde din geselle
ze himel oder zer helle,
swederhalp wir miiezen sin.’ Wigal. 7705.
sus lac si klagende ob im tut. 7744. vgl. 10012. 10050.
die jüngere zeit findet das blosz schön oder rührend, in der alten war
es herkommen und gesetz.
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SITTE
99
Mich hat zu sammeln angezogen, auf welche weise man im alter-
Ihum sich dem sieger oder einem gefürchteten feind auf gnade ergab,
man gieng ihm nackt, ohne Waffen entgegen, oder faszte das schwert
an der spitze und reichte den grif dar, damit anzuzeigen, dasz ihm
recht über leben und tod gebühre (RA. 166. Pertz 8, 620.) lornandes
erzählt aber cap. 10 dem Dio Chrysostomus nach, dasz dem Philippus
von Macedonien, Alexanders vater, als er Moesien mit heer überzog,
aus der stadt die priester mit gesang entgegentraten und ihn so er-
weichten : unde et sacerdotes Gothorum aliqui, illi qui Pii vocabantur,
subito patefactis portis cum citharis et vestibus candidis obviam sunt
egressi, paternis diis ut sibi propilii Macedones repellerent, voce sup-
plici modulanles. Athenaeus 14, 24 aus Theopomp.: Ttzai, (pijoi,
y.i&uQag lyovreg xai xi&uQiXovreg rag tniy.r^vxHag noiovvrai.
Merkwürdig meldet auch Cassius Dio 51, 25, dasz bei des Crassus Bereit 83
heerzug in Thrakien die Odrysen, als Verehrer des Dionysus, ohne
waffen ihm entgegen giengen und Schonung erhielten; ja er nahm den
Ressen die gegend, wo Dionysus heilig gehalten ward, und gab sie den
Odrysen. Nicht anders sollen in Indien die Nisaeer dem Alexander
entgegengesandt haben, dasz er ihre stadt, als dem Dionysus heilig,
verschonen möge: äyeTvai rui ri]v nö’kiv, wie Arrian und Cur-
tius 8, 10 berichten.
Herodol 4, 64 meldet von den Skythen: Intav röv uqmtov
u.vÖqu y.axaßaXtj uvtjq Sy.vfrijg, rov duiarog i/umvti. ooovg d’
uv ffovevarj tv rft /-idyij, rovrecov rüg xecpuXäg änocptgei tw ßa-
aiXtT. So werden die häupter des gefallnen Euryalus und Nisus auf
speere gesteckt und fortgetragen. Virg. Aen. 9, 463; sie sollen dem 141
heerführer ein Zeichen des sicgs, oder genommner rache sein. Gregor,
turon. 8, 30 vom Terensiolus comes: cujus caput truncalum est ad
vindictam adversariorum et urbi delatum est; die gedichte sind voll
von beispielen. im span, romance dcl moro Calaynos heiszt es von
Roldan:
la cabeca de los ombros luego se la fne a cortar,
llevola al emperador y fue se la a presentar;
im Ferabras 2320 sagt llollan
ar fassam una causa de que sia parlat:
cascus prengna ij testas a l’arso nozelat,
e farem ne prezen perdenant lalmirat,
diesem knüpfen der häupter an den satteibogen begegnet man auch
bei den wilden in Amerika (Klemm 2, 144), und die jäger schleppen
so ihren fang heim*, ja im neugriechischen liede reiht Charon die
kinder an seinen saltel (mythol. s. 805); Wode fängt die unterirdi-
schen, knüpft sie mit den haaren zusammen und läszt sie von jeder
seite des pferds herabhängen (Miillenhoff s. 373.) auch Dieterich bin-
det des Ecken abgeschlagnes haupt an seinen saltel (Ecke 150 oder
296) und dasselbe wird von diesem beiden Vilk. saga cap. 283 er-
zählt. Rol. 142, 27:
* Siegfried bindet den gefangnen baren an den sattel.
Nib. 891. 898.
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100
SITTE
daz ich din houbit abe slahe
unt iz für den chunc trage;
149, 11 : din houbit dar obene
x steche ich an minen spiez,
alsö ich deme Jiunige gehiez,
unt fuerez ubir al dise berge;
307, 4: den hals er iine abe sluoc,
daz houbit er ftf huop,
er stacte iz an ein sper,
üf sin marh gesez er,
er fuortiz wider üf den hof,
da wart michel froude unt lof.
142 das haupt wird immer in den kreis der genossen, deren jubelgeschrei
ausbricht, oder dem könig hingetragen, welcher auch von dem erleg-
ten eher oder hären das haupt zu empfangen berechtigt ist.* Wolf-
dieterich, nachdem er die riesin erschlagen hat,
er nam daz houpt besunder dö bi dem hüre sin,
er wolt ez durch ein wunder hin brüht der keiserin :
dö düht ez in ze swsere, er nam ez an die hant,
der fürste saeldenban-e, und warfez üf daz lant;
gerade so wird des von Beovulf erlegten Grendels haupt hei dem haar
an hof getragen, und das lied fügt den mildernden zug hei, dasz män-
ner und frauen ob dem anhlick sich entsetzten, v. 3292:
väs be feaxe on flet boren
Grendles heäfod, {m- guman druncon,
egeslic for eorlum and h»aere idese mid,
vliteseon vraülic veras onsävon.
auch Governal im Trislram 1735, der einen feind enthauptet hat:
Governal ä la löge vient,
la teste au mort ä sa main tient
ä la forche de sa ramee
Ta eil par les cheveus nouee.
von dem norwegischen könig Sigurdr, Haralds sohn, heiszt es (fornm.
sög. 7, 214) hlosz: drap hann ok har höfud bans üt i hendi ser.
Es geht aus diesen heispielen hervor, dasz der gebrauch unter allen
deutschen Stämmen verbreitet war, wie noch heute die serbischen
krieger den erlegten feinden die häupler abzuhauen und ihrem feld-
herrn zu überbringen pllegen.**
143 Gleiches musz von der gewohnheit behauptet werden, aus dem Schä-
del erlegter feinde oder gestorbner angehörigen ein trinkgefäsz zu bereiten.
Die Issedonen pflegten, wenn einem mann sein vater starb,
das fleisch des leichnams mit dem der geopferten schafe zu mengen,
und beides zu schmausen***: rtjv de xecpaXrjy uvrov \piXwaavieg
* wie das haupt des erlegten vargus: et si postea repertus fuerit et teneri
possit, vivus regi reddatur, vel caput ipsius, si se defenderit: lupinum enim caput
gerit a die utlagacionis, quod ab Anglis wlvesheved nominatur. leges Edwardi
confessor. 6.
** Vuks Montenegro s. 113.
*** die Weletaben oder Wilzen beschuldigte man, ihre todten eitern zu essen
N. Cap. 105 vgl. rechtsalt. s. 488. auch Mnesippus hatte von den Skythen gehört!
OTt xaxeod'iovoi xovs Ttartoas ajtod'avövxas. Lucians Tox. cap. 8.
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mnsnzzx
SITTE
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y.al Zy.y.aihiQavTiq y.axuyQVGOvGt y.al t'neixu uxe dydX/.taxi yQewvzai,
&volug /ueydXug Inexeovq emxeleovxeg. Iferod. 4, 26. hier ist die
Verwendung des schädels zum becher nicht ausgedrückt, nur dasz er
vergoldet als heilthum (uyaX/tia) aufbewahrt werde, f deutlicher be- fcU>«'« l
schreibt die schon vorhin angezogne meldung 4, 64. 65 von den Sky-
then, wie der mitgebrachte schädel des feindes zubereitet wird: y.al vTÜIt» pr»
rj fxfv 11 nemjg, o e'^iod'tv ib/uoßottjv f.iovvr\v neqixeivag ovxoj
ygäxai, ]]v Öe r\ nXovoiog, xtjv f.iev ib/uoßoei]v neQixelvei, to(o&ev
de xaxayj)VGcboag ovxto yj)äzat noxtjQÜo. £3
Animianus Marcell. schildert uns 27, 4 die Skordisken, welche
man für illyrische Kelten hält, die aber Florus 3, 4pThraker nennt,.ylotia
als in Thrakien wohnhaft: partem Thraciarum habilavere Scordisci . . .ytfgy«- G*
saevi quondam et truces, ut anliquitas docet, hostiis captivorum Bei - '
lonae litantes et Marli, humanumque sanguinem in ossihus capitum
cavis bibentes avidius; zu Ammians zeit war das blosze sage und die . . „ „
sitte des herahgekommenen volks milder geworden.
Berühmt ist die langohardische sage bei Paulus diac. 2, 28: cum
in convivio, ultra quam oportuerat, apud Veronam laetus resideret
(Alboin), cum poculo, quod de capite Cunimundi regis sui soceri fece-
rat, reginae ad bibendum vinum dari praecepit, atque eam ut cum
patre suo laetanter biberet invitavit. hoc ne cui videatur impossihile,
fügt Paulus hinzu, veritatem in Christo loquor, ego hoc poculum vidi
in quodam die feslo Ratchis principem, ut illud convivis suis ostenta-
ret, mjmu tenentem. Alboin wurde auf Rosemundens anstiften dieses 144
greuels wegen im j. 574 ermordet, Ratchis berschte fast zwei jhh.
später, so lange zeit hatten also die künige das uyaX/ia feierlich be-
wahrt. es ist dem Paulus gern zu glauben, dasz er den schädelbecher
sah. zu Trier halten die mönchc den in silber gefaszten schädel des
heiligen Theodulfs und gaben fieberkranken daraus zu trinken (acta
sanctor. mai 1, 99 a.) Leo von Rozmilal kam im j. 1465 nach Neusz:
do sahen wir in der kirchen einen köstlichen sarch, dorin leit der
lieber heilig saut Quirinus, und sahen sein hirnschalen, doraus gab man
uns zu trinken (Schm. ausg. s. 148.) Aventin (ed. 1580 fol. 24b)
die sitten der alten Deutschen schildernd, sagt: der feinde hauplleut
und herren (so sie erschlugen in offen freiem fehle) hirnschalen lieszen
sie einfassen, gaben an hochzeitlichen tagen darausz zu trinken denen,
die ein feind im offen fehle erwürgt betten, was eine besondere grosze
gnad- und ehre, wie die mönch zu Ebersberg mit sanct Sebastian hirn-
schal, und die zu Niedermünster in Regenspurg mit sanct Ernhart
hirnschal noch thun, dorft der son nicht ehe zu tisch sitzen mit dem
vater, dergleichen gab man keinem an feirtagen ausz den geweichten
der feinde hirnschale nicht zu trinken, er hett dann vor einen feind
im ofnen krieg erschlagen.
Ein wichtiges zeugnis liefert der noch ungedruckte theil des Garin
le loherain, nach Mones auszug s. 279: Gerbert liesz ein münster
bauen und den alten Fromont prächtig begraben, seinen schädel aber
aus dem sarge nehmen (porce quil fu ä si tres bon guerrier), daraus
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SRS!
102
SITTE
einen hanepier, d. i. lianap, ags. hnäp, ahd. linapf fertigen, womit ihn
Fromondin, sein mundschenk bedienen sollte, doch befahl er den
schädel ganz mit edelsteinen und gold zu überziehen, dasz er unkennt-
lich war und nur eine heimliche stelle hatte, wo man den Überzug
wegschieben und den schädel sehn konnte *. Beim groszen pfingst-
145feste, wozu alle verwandten geladen waren, bediente Fromondin den
Gerbert mit dem schädelbecher, ohne es zu wissen; so trank auch
Fromondin einmal daraus, als ihm ein ritter verrieth, dasz seines vaters
schädel im becher sei. da fuhr Fromondin zusammen und eilte zu
Gerbert, die Wahrheit zu erkunden, dieser erklärte, er habe den
becher zur minne, nicht zum hohn machen lassen; aber Fromondin
war entrüstet, kündigte dem Gerbert die lehenschaft auf und krieg und
feindschaft an.
Rachedurstig tödtete Völundr, der kunstreiche schmid, Nidads beide
knaben, schnitt ihnen die häupter ab, faszte ihre schädel in silber,
ihre augensteine in ringe, ihre zähne in brustgeschmeide zum geschenk
fitr vater, mutter und Schwester der kinder:
en poer skalar, er und skörom voro,
sveip bann utan silfri, seldi Nidadi;
en or augom iarenasteina
sendi bann kunnigri kvän Nidadar;
en or tönnoin tveggja peirra
slö banu briostkringlor, sendi ßödvildi**.
Ein berüchtigtes anderes beispiel aus dem alten Norden hat die neuere
critik der Dänen tilgen wollen; die worte Ragnars in Kräkumäl 25
drekkum bior at bragdi or biugvidum bausa
bedeuten: brevi cerevisiam bibemus e caveis craniorum, biugvid ist
buchstäblich vaeuitas curva d. i. locus cavus et vaeuus, cavea; ge-
zwungen und falsch erklärt Rafns ausgabe statt biugvidum biugvidum,
curvis arboribus von biugvidr, diese curvae arbores craniorum seien
nichts als trinkhörner. dasz man aus hörnern trank weisz jeder, aber
biugvidir hausa sind unmöglich hörner (allenfalls haarlocken) und skäl
mag haus, nicht haus skäl' vertreten, das trinken aus hörnern wäre
im liede matt, während die barbarische wildbeit des ausdrucks hier
völlig an ihrer stelle ist.
140 Nestor erzäldt, dasz im j. 972 die Petscheneger den Svjatoslav
erschlugen, seinen köpf nahmen und von der hirnschalc einen becher
machten, beschlagen und daraus tranken (übers, von Jos. Müller
s. 147, vgl. Schlözer 5, IM.)
Auch die Abiponer, sobald sie den feind zu boden gestreckt haben,
schneiden dem sterbenden, das messer ins genick einsetzend, unglaub-
lich schnell den köpf ab und festigen ihn mit den haaren an ihrem
sattel oder gürtel. die hirnschale heben sie zuweilen auf und nutzen
sie als trinkgefäsz (Klemm 2, 144 aus Dobritzholfer 2, 548.)
* das gold muste den scbädel fassen, der Überzug gemahnt an jene couoßoir}
bei Herodot.
** Samt. 137 b vgl. Vilkinasaga cap. 29.
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I HI u
SITTE
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Offenbar dienten nur angesehner feinde hirnschalen zu bechern
und man pflegte auch die geliebter, verwandter mariner auf solche
weise als kostbares andenken zu verwahren: aus ihnen zu trinken galt
für ehrenvoll und heilkräftig und wurde nur an hohen festen als aus-
zeichnung gestattet, dadurch empfängt der altertümliche gebrauch
eine art weihe und verliert an grausamkeit; zuerst die poesie scheint
das menschliche gefühl zu wahren und sich zu empören.
Diese becherschädel, von einer seite her betrachtet sind heilthü-
mer und reliquien; hier darf die frage aufsteigen, zu welcher zeit
und wo begannen die reliquien? auch sie sind heidnischen Ur-
sprungs.
Der gebrauch leichname oder stücke von ihnen aufzuheben und
zu verehren kann nur im grabalter, nicht im brennalter entstanden
sein, wird die leiche durch das feuer in ein häuflein asche verwan-
delt, so entschwindet den äugen alle besonderheit der gestalt und
nichts als das .geistige, reinere andenken bleibt.
Das begraben soll den leib so lange als möglich gegen
[ird der reiche in doppelten oder
[esten gewölben beigesetzt; einige
eigne Zubereitung zu sichern
Igeprägt die grabstätten zu ehren
todten zu bewahren, auch der
he wurden fromm gesammelt und 147
. Servius ad Aen. 2,539. Se-
tnüpfte sich der heroencultus an
knochen schützten das ganze
[nach Sparta geführt. Herod. 1,
jPausan. III. 3, 6. 11, 8. Cimon
In. Pausan. III. 3, 6. Die ru<poi
iHerod. 4, 127. Man gosz spen-
jhh. noch nicht auf die gräber
■29 sagt: vSoiav xofuKo) riov Jrifio-
lcap. 50 das r'o om/ua sie Ad'rjvae
I) von der asche gesagt wurde,
i 67. 68.
verborgen:
iiariars vit avayxrje,
xal rvTtos avriwitos, xai itiju ini nrjfiaTi xeZrou,
und werden hernach unter blasbälgen und ambosz gefunden. In der Vilkinasaga
cap. 29 birgt Velent die getödteten knaben unter die schmicdbälge in die wasser-
pfütze (undir fen fiöturs. Soem. 137 b) und entdeckt später die läge mit der zwei-
deutigen rede: '{)är sem vatn gengr inn enn vindr fit’, womit das räthsel in Her-
vararsaga cap. 15 p. 467. 468 zu vgl. wie überraschend begegnen sich hier grie-
chisches und deutsches alterthum mit aller kraft der poesie.
f ad rosas et profusienes quotannis faciundas. inschrift der Claudia Severa.
auf Walthers von der Vogehveide grab sollte den vögeln getraide gestreut werden.
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SITTE
einen hanepier, <1. i. hanap, ags. hnäp, ahd. linapf fertigen, womit ihn
Fromondin, sein mundschenk bedienen sollte, doch befahl er den
schädel ganz mit edelsteinen und gold zu überziehen, dasz er unkennt-
lich war und nur eine heimliche stelle hatte, wo man den Überzug
wegschieben und den schädel sehn konnte*. Beim groszen pfingst-
145 feste,
Gerber
Fromo
schäde
Gerbei
bechei
war e
feinds'
l
knabe
ihre c
für vi
Fromondin den
so trank auch
asz seines vaters
en und eilte zu
, er habe den
aber Fromondin
uf und krieg und
nid, Nidads beide
schädel in silber,
de zum geschenk
Ein 1
critik
sn bat die neuere
Kräkumäl 25
bede rum, biugvüt ist
buch :uus, cavea; ge-
zwungen uiiu laioeu CI IVTUI V IIUIIIU iJEiÜ.. "-'r^Vidum b i ugvidum,
curvis arboribus von biugvidr, diese curvae arbores craniorum seien
nichts als trinkhörner. dasz man aus hörnern trank weisz jeder, aber
biugvidir hausa sind unmöglich hörner (allenfalls haarlocken) und skäl
mag haus, nicht haus skal vertreten, das trinken aus hörnern wäre
im liede matt, während die barbarische Wildheit des ausdrucks hier
völlig an ihrer stelle ist.
14G Nestor erzählt, dasz im j. 972 die Pelscheneger den Svjatoslav
erschlugen, seinen köpf nahmen und von der. hirnschale einen becher
machten, beschlugen und daraus tranken (übers, von Jos. Müller
s. 147, vgl. Sehlözer 5, 180.)
Auch die Abiponer, sobald sie den feind zu boden gestreckt haben,
schneiden dem sterbenden, das messer ins genick einsetzend, unglaub-
lich schnell den köpf ab und festigen ihn mit den haaren an ihrem
sattel oder gürtel. die hirnschale heben sie zuweilen auf und nutzen
sie als trinkgefäsz (Klemm 2, 144 aus DobritzholFer 2, 548.)
* das gold muste den schädel fassen, der Überzug gemalmt an jene oinoßoer}
bei Herodot.
** Stern. 137 •» vgl. Vilkinasaga cap. 29.
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äTTaTv<A 6 <N.Ä ft A /t' /S
SITTE
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Offenbar dienten nur angesehner feinde hirnschalen zu bechern
und man pflegte auch die geliebter, verwandter männer auf solche
weise als kostbares andenken zu verwahren: aus ihnen zu trinken galt
für ehrenvoll und heilkräftig und wurde nur an hohen festen als aus-
zeichnung gestattet, dadurch empfängt der alterthümliche gebrauch
eine art weihe und verliert an grausamkeit; zuerst die poesie scheint
das menschliche gefülil zu wahren und sich zu empören.
Diese becherschädel, von einer seite her betrachtet sind heilthü-
mer und reliquien; liier darf die frage aufsteigen, zu welcher zeit
und wo begannen die reliquien? auch sie sind heidnischen Ur-
sprungs.
Der gebrauch leichname oder stticke von ihnen aufzuheben und
zu verehren kann nur im grabalter, nicht im brennalter entstanden
sein, wird die leiche durch das feuer in ein häuflein asche verwan-
delt, so entschwindet den äugen alle besonderheit der gestalt und
nichts als das .geistige, reinere andenken bleibt.
Das begraben soll den lodten leib so lange als möglich gegen
die Verwesung schützen, darum wird der reiche in doppelten oder
metallnen sarg geschlossen oder in festen gewölben beigesetzt; einige
Völker haben die leichname durch eigne Zubereitung zu sichern
gesucht.
Es hegt menschlicher brust eingeprägt die grabstätten zu ehren
und jedes Überbleibsel von tbeuern todten zu bewahren, auch der
verbrannten leichen knochen und asche wurden fromm gesammelt und 147
in urnen niedergelegt*. II. 24, 793. Servius ad Aen. 2,539. Se-
neca epist. 92. Bei den Griechen knüpfte sich der heroencultus an
die gräber**. des Orestes begrabne knochen schützten das ganze
land, wurden ausgegraben und mit nach Sparta geführt. Herod. 1,
67. 68***. von Tegea nach Sparta. Pausan. III. 3, 6. 11, 8. Cimon
brachte des Theseus gebein nach Athen. Pausan. III. 3, 6. Die xdqioi
narQwioi waren den Skythen heilig. Herod. 4, 127. Man gosz spen-
den, schüttete blumen auf gräberf.
Christen achteten in den ersten jhh. noch nicht auf die gräber
* Archias bei Lucian Demosth. encom. 29 sagt: vS^iav rcov Jrjfio-
ad'e'vovs leiydvcov, also ist am schlusz cap. 50 das ro ocö/ua eis A&rjvas
anontfiyofiev ungenau, da ocäfta schwerlich von der asche gesagt wurde.
** K. Fr. Hermanns gottesd. altherth. s. 67. 68.
*** nach der Pythia Spruch liegen sie da verborgen:
eWK dveuoi nveiovoi Svo y.oareo^s vn arayy.r]S,
y.al rvnos avrirvnos, y.al nrju ini xeTzai,
und werden hernach unter blasbälgen und ambosz gefunden. In der Vilkinasaga
cap. 29 birgt Velent die getödteten knaben unter die schmicdbälge in die wasser-
pfütze (undir fen fiöturs. Saun. 137 b) und entdeckt später die läge mit der zwei-
deutigen rede: |)är sem vatn gengr inn enn vindr tit\ womit das räthsel in Her-
vararsaga cap. 15 p. 467. 468 zu vgl. wie überraschend begegnen sich hier grie-
chisches und deutsches alterthum mit aller kraft der poesie.
f ad rosas et profusienes quotannis faciundas. inschrift der Claudia Severa.
auf Walthers von der Vogelweide grab sollte den vögeln getraide gestreut werden.
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104
SITTE
und leichname der apostel; die apostelgeschichte erwähnt nicht das
geringste davon, im dritten jh. mag der reliquiencultus , wahrschein-
lich nach griechischem oder römischem brauch, entsprungen sein und
sich hei Vervielfältigung der kirchen schnell ausgebreitet haben, im
vierten sammelte man reliquien unter Gonstantin und Julian, der theo-
dos. codex IX. 17, 6 bespricht die apostolorum et martyrum sedes,
und noch merkwürdiger sagt 17, 7: nemo martyrem distrahat, nemo
148mercetur. habeat vero in potestate, si quolihet in loco sanctorum est
aliquis conditus, pro ejus veneratione, quod martyrium vocandum sit,
addant quod voluerint fabricarum. Greg. tur. 1, 48 berichtet, wie
Poitiers und Tours um des h. Martinus (f 397) leichnam stritten.
Idalius in seiner chronik meldet, zur zeit der einnahme Roms durch
Alarich (im j. 409) seien alle geschont worden, qui ad sanctorum
limina confugerunt. Zu Justinians zeit war alles das noch mehr aus-
gebildet. Procop de acdif. 1, 4 erwähnt die anoarö)uov nw/nara
und 1, 7 Xtiifjuva di'ÖQ(oi> uyicov, ebendaselbst erzählter, wie Justi-
nian den heiligen seine gesundheit befohlen habe, öl aus den reliquien
geflossen sei. de bello pers. 2, 11 meldet er, dasz zu Apamea ein
stück vom kreuz Christi heilig verehrt werde, die regula s. Bene-
dicti cap. 58 erwähnt schon einer petilio ad nomen sanctorum, quo-
rum reliquiae ibi sunt; des Eugippius im j. 511 geschrichne vita Seve-
rini hat cap. 25 wie ihm Johannis baptistae reliquiae dargebracht wur-
den, und cap. 9 steht: martyres, quorum reliquias ofiero.
Reliquias et ossa condere terra war altrömischer Sprachgebrauch
(Virg. Aen. 5, 47. Sucton. Domitian. 8.), dem vermutlich Lucian jenes
lei'ipavu nachbildele, denn ich finde nicht, dasz ältere Griechen dies
wort in solchem sinn gebrauchen, bei Ulfilas ist kein anlasz für den
ausdruck, die ahd. Übersetzung der benedict. regel verdeutscht an jener
stelle reliquiae durch wihida, wie auch anderwärts steht, die gl. ker.
241 geben suuitha (bei Hattemer 205 suuihta), wobei man an das
serb. svetinja, sloven. svetinje d. i. heilthum denkt, eine alts. beichte
hebt an: ik giuhu goda endi allon sinon wihethon = ahd. wihidöm,
reliquiis, und im verfolg heiszt es: meneth suör an wielhon =■ wihi-
döm. nicht anders in den fries. gesetzen: an thä witlium (in reliquiis)
swera, bihalda, undriuchta (Richth. 1154.) die Angelsachsen sagen
b;\n (ossa), |>a hälgan hän (Beda 3, 11) und so wird altengl. bones
verwendet, ir. laise (leichname) und taise na naomh, auch mionna
(häupter) na naomh, und mionna allein bezeichnet den eidschwur, der
welsche ausdruck ist creirfa und auf den reliquien schwören heiszt
creiräu. altsl. und russ. moschtschi, serb. moschti, d. i. die gewal-
149 teil, gewaltigen, kräftigen (von motsch vis, virtus.) mlat. quellen brau-
chen häufig ])ignora sanctorum, und von der aufbewahrung in kapseln
hieszen sie selbst schon capsae sanctorum, ahd. chefsa (GralT 4, 379)
mlul. kefse, Ccine kefsin an daz sper binden’ Roth. 4094. 4138.
Im miltelalter hat sich nun ein unerhörter und bis jetzt unaus-
gerotletcr reliquiencullus entfaltet, auf den hauptsächlich die kirche
ihre Verehrung der heiligen gründete: ein mit der Vielgötterei des hei-
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-------------r
SITTE
denlhums an unsichtbaren faden zusammenhängendes element.
105
kaum
eine kirche traute man zu bauen, in der nicht modernde knochen und
alte kleiderfetzen niedergelegt wurden*; diese heiligen, deren alläre
sich neben dem der gottheit erhoben, deren feste das ganze jahr er-
füllten, standen auch dem recht und den krankheiten vor, denn alle
eide wurden auf ihrer kapse geschworen, alle siechen suchten heilung
kniend vor ihren gräbern und ihren reliquien. milde gaben strömten
ihnen zu und die kirche konnte dem bedürfnis der gläubigen nur da-
durch genügen, dasz sie die zahl der heiligen, folglich der heilthümer
unablässig mehrte, eine menge dieser heilthümer muste unecht**), der
gröszte tlieil der ihnen beigelegten wunder unwahr sein.
Bei den Griechen und Römern fehlt es nicht an ähnlichen ge-
brauchen, sie hielten die gräber ihrer beiden und Vorfahren im anden-
ken und jene gebeine des Orestes oder Theseus hatten für das ganze
land schützende kraft, aus Pclops gebeinen soll Abaris das palladium
gefertigt und den Trojanern gegeben haben***, sein Schulterblatt wurde
vorgezeigt und galt für heilkräftig: quorundam partes medicae sunt,
siculi diximus de Pyrrlii regis pollice, et Elide solebat ostendi Pelopis
costa, quam eburneam affirmahant. Plin. 28, 4. Aber es entwickelte
sich daraus kein so allgemeiner, alles ergreifender cultus, wie bei den 150
Christen, keine beständigen, unaufhörlichen wallfahrten zu den grä-
bern. keine kranken genasen, keine todlen erwachten auf den gräbern.
Wenn die mönche aus Schädeln der heiligen zu trinken gaben,
knüpft sich das nicht an jene barbarei der wilden beiden? die heilig—
haltung der knochen gleicht sie nicht jenen einzelnen brauchen der
Griechen?
Auch das einheimische heidenlhum bietet zu Vergleichungen an-
lasz. Nach der Ynglingasaga wurde an Freys grabhügel eine Öfnung
gelassen mit drei fenstern; im hiigel bewahrte man den leichnam drei
jahre, in die drei fenstcr legte man den schätz an gold, silher und
erz; da blieb fruchtbarkeil und friede im land. es war ein heiliges
grab, ein palladium der Nordländer.
Auf den heiligendienst unsers mittelalters müssen also einzelne
Überlieferungen des europäischen, seihst des fernen asiatischen heiden-
thums eingewirkt haben, der weit erstreckte buddhismus kennt kein
blutiges opfer und bringt blosz blumen und wolgerüche dar, unter
gesang und frommem gebet; nur Shäkjamuni, den Stifter seiner lehre,
stellt er im bilde auf und betet seine in besondern gebäuden einge-
schlossenen knochen an. dieser reliquiencultus zeichnet alle Buddhi-
sten ausf. durch mehr als eine Vermittlung können buddhistische leh-
ren bis nach Europa gedrungen sein und sich dort an verwandte rich-
,* die eine kirche bauen wollen, holen sich reliquien und setzen sie gleich
ins fundainent. Pertz 6, 83b—85 b. 307 — 313.
** trug mit reliquien, beschwörung ihrer echtheit Pertz 6, 83*. b.
*** Jul. Firmicus astronomic. p. 434. Clemens Alexandr. ad gent. p. 30.
t E. Burnouf introduction ä l’histoire du buddhisme indien. Paris 1844 p. 339.
340. in nachrichten über die Mongolen lieiszt jener Shäkjamuni gewöhnlich
Dschagdschamuni.
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aA
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SITTE
-n
tungen geschlossen haben, auch hier erscheint tiefer Zusammenhang
der europäischen Völker in glauben und sitte mit Asien.
Anziehend sind die Überfahrten solcher heiligenbeine oft aus wei-
ter ferne nach der kirche, die sie neu erworben hatte, das volk un-
terwegs emplieng sie feierlich, wie man fürsten oder bischöfe empfängt,
und geleitete bis zur grenze, wo schon die nachbarn aufgestellt wa-
ren, um den zug fortzuführen.
151 So wurden die gebeine des heiligen Venantius durch Rabanus im
j. 836 aus Italien geholt, das deutsche volk geleitete mit fahnen und
kreuzen. Baiern empfiengen an ihrer grenze und giengen mit bis
Solenhofen in regione Sualafeld, von da geleiteten Alamannen bis
nach Hasariod, wo Ostfranken an deren stelle traten und bis zum
gau Waldsäzi begleiteten*; alle deutschen stamme waren von gleichem
eifer durchdrungen den heiligen zu verehren. Als in demselben jahr
boten aus Paderborn nach Mans in Frankreich gesandt waren, um den
heiligen Liborius abzuholen, dessen leichnam auf die heidnischen ge-
müter der Sachsen einwirken sollte**, muss es ein groszarliger an-
blick gewesen sein, wie an beiden ufern des Rheins das volk in zahl-
loser menge, auf dem linken Franken, auf dem rechten Sachsen ver-
sammelt standen; ingressi Saxoniam prae nimia sibi obviante turba vix
gradum movere poterant (Pcrtz 6, 151. 156.) Im jahr 964 ent-
wandten zwei deutsche bischöfe durch nächtlichen einbruch die geheine
des heil. Epiphanius von Pavia aus dem grab und schäften sie glück-
lich über die alpen nach Ilihlesheim (Pertz 6,249.)*** bekannt ist die
translatio sancti Alexandri im j. 831: magnis undique multitudinibus,
virorum scilicet ac mulierum, diversarum regionum occurrentibus atque
venerationem praebentibus, "signisque quam pluribus coruscanlibus (Pertz
2, 678.) misfiel den heiligen etwas, so erschienen sie nachts im
träum und verkündeten ihren willen, wie götter zu thun pflegen.
Man bewahrte im heidenthum nicht blosz die gebeine und häup-
ter von menschen, sondern auch thieren, zumal pferden (mythol. s. 626);
152 Herodot 4, 71. 72 schildert ein oij/iia der skythischen könige, das
aus den leiclmamen getödteter pferdc und knechte aufgerichtet wurde
(rechtsalt. s. 676.)
Es wird anderswo gelegenheit sein von der uralten, unter allen
europäischen Völkern verbreiteten sitte der leichengerüste, leichenmale
und leichenwachen ausführlich zu handeln.
Aus einer menge von einstimmungen über kleidung und tracht
greife ich blosz einen einzelnen zug.
Reiter und fuhrlcule pflegen einen breiten gurt um den Unterleib,
damit er auf dem rosse nicht erschüttert werde, zu schnüren; ein
* Ruodolfi fuldensis vita Hrabani in Scliannats hist. fuld. p. 123 n° XVII
und in den act. ord. bened. sec. 4 pars 2.
** quia vero rudis adbuc in fidc populus et maxirne plebejum vulgus difficile
poterat ab errore gentili perfecte divelli, latenter ad avitas quasdam superstitiones
colendas sese convertens.
*** solcher diebstal aalt für erlaubt, nach dem gedieht von Servatius 2375 ff.
stehlen Mastrichter den Sachsen des heiligen leichnam.
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SITTE
107
solcher giirtel heiszt schmaelUrieme, weil er dem hunger wehren soll,
und von lange hungernden sagt man, dasz sie den Schmachtriemen
anschnallen, der altn. ausdruck war hüngurband, die Böhmen sagen
gezdecky pas (reitgurl.) es gab aber sagen von giirteln, die gegen
hunger schützten, im lied von Ferabras trägt Floripar einen solchen,
er wurde ihr im schlaf abgelöst (wie der Frevja ihr Brisinga men),
hernach zerstiickt und ins meer geworfen (Ferabr. 2749. 2752. 2768.
2799.) Hierher gehört eine stelle aus Gellius N. A. 16, 31 : Scvthas
quoque, ait eundem Erasistratum dicere, cum sit usus, ut famem lon-
gius tolerent, fasciis ventrem strictissime circumligare. ea ventris com-
pressione esuritionem posse depelli creditum est. verba Erasistrati ad
eam rem pertinentia haec sunt: ti&io/uevoi de eleu y.ul oi ~xvfrui,
ozuv diu jivu xüuqov uvayxutovxui uoixoi elvai, fyuvcug nXuzeiuig
TtjV xoiXiav Siuoeplyyeiv, log rrjg neivr^g avzovg tjttov evoyXovorjg'
oyedov de xui in uv nXrjQtjg rj xoiXtu fj, diu xd xevoi/uu ev uvzfj
f.irjdev eivui, diu xovxo ov netvüoiv ozav de GffdÖQu ov/u7ie7izio-
xviu fi, xtvio/nu ovx eyei. Erasistratus war des Aristoteles urenkel.
Das widerspiel solcher hungergürtel sind gewissermaszcn die werwolfs-
giirtel, welche angelegt werden, um thierische freszlust zu stillen;
bekanntlich führt Herodot 4, 105 auch schon skylhische werwölfe an
(versipeRes. Plin. 8, 34.)
Alle bisher angezognen brauche haben weit in die geschichte des
alterthums zurilckgeleitet; der folgende, von geringerem umfang, zeigt
uns den unschuldigen sinn des nordischen alterthums.
Name ist das was man nimmt, zur gäbe empfängt, gotli. namö 153
(neutr.) allh. alls. namo (masc.) ags. nama (masc.) altn. nafn (neutr.)
schwed. namn, dän. navn, von niman capere prehendere; sl. imja,
poln. imie, böhm. gme (gen. gmene) und gmeno von imu capio, inf.
jati, imali böhm. gimati; dem litth. innnu capio, lett. iemmu, niemmu
steht kein solches subst. zur seite, doch preusz. findet sich emnes
(nomen) neben irnma capio. diesem emnes gleicht gr. ovo/uu, ir. ainm,
ainim, welsch enw, dem goth. namö aber lat. nomen, it. nome, franz.
nom, sp. nombre, skr. näman, osset. nom, finn. nimi, est. nimmi,
lapp, namm und nabma, ungr. nev (vgl. poln. nazwa benennung.) die
einstimmung ist auszerordentlich, und eine bei uns und den Slaven
schön durchsichtige abkunft kann nicht gestört werden durch den ein-
wand, dasz alle diese Wörter aus der sanskritwurzel dshnä entsprun-
gen seien, also skr. näman für dshnäman stehe, wie lat. nomen für
gnomen (vgl. cognomen, ignotus), und das M der ableitung gehöre,
mithin na-mö, nicht nam-6 anzusetzen sei (Pott 1, 182. Benfev 2, 144.
Bopps gloss. skr. 193b.) unsere ablautende wurzel hat gröszeres
recht als eine hinter ihr gelegne zweifelhafte, der das skr. näman
selbst untreu wird, und der begrif des namens durch das, woran man
erkannt wird (gnomen) scheint nicht passender als der andere, jf was j ^
man empfängt.
Für die namcn gilt nun als regel: keiner legt sich seinen namen
seihst bei, sondern er wird ihm von andern beigelegt, wie das neu-
I
.«k 4*. JlkJl
108
SITTE
geborne kind einen namen durch seine eitern und freunde erhält, so
ist es auch für die erklärung der volksnamen wichtig anzunehmen,
dasz sie durch benachbarte Völker gegeben wurden, das bedürfnis
einen dritten zu benennen ist jederzeit stärker als das sich selbst zu
nennen.
Unsere Vorfahren ertheilten dem kinde seinen namen feierlich und
beschenkten es dabei, man hiesz das altn. gefa nafn ok fylgja ldta.
Egilssaga 367.
Als die valkyrja den stummen d. i. namenlosen jüngling mit dem
anruf Ilelgi begrüszt hatte, sagt er:
hvat lsetr Jjö fylgja Helga nafni?
154 sie enthüllt ihm darauf den ort, wo ein kostbares schwort verborgen
aai liege. Ssem. 142. dieser name Ilelgi ist ein glückhafter .und drückt
frfta&r aus ^er se^Se» heilige (er ist Zusammenziehung von heilagi.) Sigmundr
p \ \T verleiht seinem neugebornen, eben von den nornen begabten solme
’ccy^k.^den gleichen namen Ilelgi und schenkt ihm dazu sieben grundstücke
und ein köstliches Schwert. Srem. 150a. das hiesz man nafnfesti,
namenfestigung. Wodan hatte ein ihm unbekanntes volk Langobarden
benannt und muste ihnen zur festigung des namens den sieg über
ihren feind bewilligen, andere beispiele sind mythol. s. 123 beige-
bracht. Es ist natürlich, dasz man in den namen des neugebornen
eine heilsame weissagende kraft für seine Zukunft legte; hiernach zu-
mal sind die von thieren her entlehnten benennungen zu deuten.
Andere anlässe zur namengebung waren die wehrhaftmachung, wodurch
der jüngling in den stand der krieger eintrat, die adoption, be-
sonders die durch haarscheren, endlich todesfälle, weil dadurch
erbschaften und Umänderung des grundeigenthums herbei geführt
wurden.
Man pflegte auch dem kind, sobald sein erster zahn ausbrach,
etwas zu schenken, diese gäbe hiesz altn. tannfö, zalmgeld:
Alfheim Frey gäfo t ärdaga
tivar at tannfö. Sann. 41 a.
Olafr trug an der band einen ring, den seiner mutier der könig at
tannfö gegeben batte und woran er den sohn erkennen wollte. Laxd.
saga p. 72. 82. ich zweifle kaum, dasz dieser brauch schon vor
alters auch in Deutschland galt, kann ihn aber nicht ausdrücklich nach-
155weisen*; wol aber besteht er noch heute in Island und Finmarken.
bei den Finnen beiszt solches zahngeld oder die pathengabe hammas-
raha, bei den Esten hambarahha, von hammas zahn; bei den Lappen
* noch weniger im classischen alterthum; doch galt den Römern ein solcher
zahn für heilkräftig: pueri qui primus ceciderit dens, ut terram non attingat,
incfusus in armillam et assidue in brachio habitus. Plin. 28, 4. auch : dentes
equi, qui primi cadunt, alligati facilem dentionem praesfant, mhd. fiilzene (my-
thol. s. 624.) die stadt Sinzich hatte, auf Friedrich Rothbarts anordnung, dem
reich jährlich sechs Schillinge zu entrichten, welches jus rostant (pferdezahn)
hiesz. Lacomblet 2 n° 125.
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SITTE
k pa^ne/ bcuhve
panekes, pannikeis, von pane zahn, sie pflegen nemlich dem kind für
den erst ausbrechenden zahn ein rennthier zu schenken, das dann in
der heerde beobachtet wird: nach dem es sich viel oder wenig ver-
mehrt, folgert man, dasz auch das kind reich oder arm sein werde.
Nicht anders schenkt man hei uns den kindern, ich weisz nicht ob
zur zeit der gehurt oder des ersten zahns, ein lamm oder kalb, das
grosz gezogen wird; in Schlesien schenken die pathen dem kind einen
acker oder ein fehl, das pathenmauer genannt wird, auch die amme
oder Wärterin des kindes pflegt für den ersten zahn ein geschenk zu
empfangen, dieser erste zahn heiszl in Siiddeutschland wölfeli, wöl-
ferl oder wolfszahn, böhm. wldek, poln. wilczek, doch mhd. bezeich-
net wolfes zant den bissigen, giftigen zahn (Freidank s. 379.) der
lettische ausdruck sohbu nauda zahngeld, pathengeschenk verbürgt die
sitte für diese gegend, und ich ahne, dasz sie auch unter den Sla-
ven besteht*.
An einigen orten herscht der brauch bei gehurt des kindes einen
bäum zu pflanzen, und man achtet, ob er gedeihe.
Ich schliesze mit einer bemerkung über den gebrauch der schrift
bei den europäischen Völkern.
Entsprungen in einer fülle des Zusammenhangs zwischen bihb und 15&
gedanken bei den Aegyptern und bald zurückgeführt auf einen für
ihren eigentlichen zweck hinlangenden auszug der Zeichen, hat sie sich
frühe nach Phoenizien gewandt und von dannen manche weitere wege
gefunden.
Wie die schrift unter Griechen Etruskern und Römern einhei-
misch ward, sich noch einfacher und edler gestaltete und von
dieser grundlage her allmälich in das übrige Europa eindrang, ist
bekannt.
3Iinder ausgemacht scheint, ob nicht, was man vorlaut geleugnet
hat, auszer jenem breiten ström in dem sie sich durch die länder
ergosz, auch noch schmale und versteckte gänge eingestanden werden
müssen, auf welchen sie theilweise vordrang, wieder stockte oder her-
nach in jener gröszeren masse sich verlief, gewisse eigenthümlich-
keiten der Schreibweise des europäischen allerthums stehn füglich kaum
anders zu begreifen.
Es läszt sich zugeben, dasz auch rohen ungebildeten volksstäm-
men, wie wir uns die einwandernden zu denken haben, wenn nicht
allgemeine Übung der schrift, deren sie nicht bedurften, doch eine
gewisse überlieferte und mitgebracbte kenntnis derselben beigewohnt
* neben der groszen Urverwandtschaft zwischen skr. dantas, pers. dendän,
osset. dendeg, gr. oSovs, jon. oScov, lat. dens, litth. danlis, ir. deat, welsch dant,
goth. tun{)us, ahd. zand, ags. töd, altn. tönn erscheint das abweichende sl. zuh,
poln. zab, welchen sich lett. solibs anreiht, zwischen diesem sohhs und dem .
litth. dantis liegt hier die Scheidewand; mit zuh vergleicht Mikiosich skr. dshamba j>cnZetc/heir
cibus und maxilla, gr. ya/xfai yafi<pr]lai und yofupios dens molaris (Benfey 2, vg Z^2,
116), wobei altn. kiammi maxilla, kiaptr faux in betracht kommt (K : Z wie in '
körn : zrno.) merkwürdig das alban. St/in.
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SITTE
habe: hervorragende Stände und edle geschlechter, zumal priesterliche
mögen hin und wieder im besitz einer solchen gewesen oder geblie-
ben sein und sie für ihre zwecke anzuwenden verstanden haben, be-
kanntlich legt Caesar 6, 14 den gallischen druiden ausdrücklich den
gebrauch einer schrift bei, die er griechisch nennt, weil ihre buch-
slaben vermutlich den griechischen mehr als den lateinischen glichen *,
Toxaris hei Lucian berichtet, im skylhischen Oresteion seien auf der
seule bilder und Schriften gewesen, mag man diese erzäblung be-
zweifeln, den Gelen und Daken, bei ihrem häufigen verkehr mit Grie-
157 eben und Römern, wird man schwerlich kenntnis des Schreibens ab-
streiten, und das bleibt unleugbar, dasz in der späteren gotliischen
schrift, wie sie zu Ulfilas zeit geregelt wurde, einzelne buchstaben
und Zeichen haften, die aus den ihr zum grund gelegten griechischen
und lateinischen buchslaben keineswegs folgen, aber mit den nordi-
schen, sächsischen und markomannischen runen sich berühren, diese
runen, deren name schon auf geheime, nicht allgemein verbreitete
Übung hinweist, wie ich mir jene priesterliche denke, reichen auf den
scandinavischen steinfelsen kaum noch ins heidenthum zurück, werden
aber durch ags. und ahd. handschriften bis zum achten und siebenten
jh. gesichert, so dasz sie von den gotliischen büchern nicht fern ab-
stehn. Nimmt man hinzu, dasz die hibernischen und slavischen alpha-
bete, obgleich aus dem lat. und gr. herleitbar, manches eigne haben,
und zumal die glagolitische noch mehr als die cyrillische schrift der
Slaven an die nordischen runen streift, so wird jenes Vorhandensein
eines unrömischen und ungriechischen schriftelements in Europa nicht
in abrede zu stellen sein**, die Wichtigkeit dieses Zusammenhangs
musz aber in den einzelnen Zeichen nachgewiesen werden und beson-
deren Untersuchungen Vorbehalten bleiben.
Hier liegt es mir an, etwas anderes nicht zu verschweigen, wo-
durch eine solche bevveisfülirung noch verstärkt werden kann, die
runischen, slavischen und irischen alpliabele weichen in Ordnung und
benennung ihrer huchslaben bedeutsam ab von den classischen. schon
die arl und weise, wonach die einzelnen laute geordnet werden, ist
nichts gleichgültiges, sondern beruht auf langem herkommen, noch
gröszere aufmerksamkeit fordern aber die namen. ohne zweifei sind
diese namen groszentheils noch übrig aus dem beim Ursprung des zei-
158 chens stattgefundenen verfahren, nemlich das Zeichen gieng hervor aus
einem bild der Vorstellung, für welche ein wort galt, das mit dem
laut anhub, welcher durch das Zeichen ausgedrückt werden sollte,
die altdeutsche rune M zum beispiel führt den namen mann, und drückt
in ags. hss. gradezu dies wort aus; sie scheint sicher aus der gestalt
* in castris Helvetiornm tabulae repertae sunt litteris graecis confectae et
ad Caesarcm periatae. Caesar 1, 29.
** Dietmar von Merseburg versichert (Pertz 5, 812) auf den slavischen göt-
terbildern (wie in jenem Oresteion) seien die namen eingeschrieben gewesen (sin-
gulis nominibus insculptis), wie sie an den Prilwitzer götzen stehn, deren echt-
heit noch nicht so verzweifelt ist.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
muusr
SITTE
i I 1
eines manns mit zwei armen entsprossen, da nun die buchstabnamen
begreiflich bei verschiedenen Völkern und stammen wechseln, d. li. auf
worte und Zeichen angewandt werden, die jedem angemessen und
liöthig sind; so erhält dadurch die Untersuchung dieser Verschieden-
heiten groszen reiz.
Der zweite buchstab des hehr, und gf. alphabets hiesz belli, ßrjra
und hätte schon die Römer auf belulla betula leiten können, doch die-
ser bäum schien ihnen ein gallischer (Plin. 16, 18.) desto natürli-
cher war den Galliern selbst für das B der name beith (wie belulla
auf irisch lautet, auf welsch bedwen), den Angelsachsen beorc, den
Normannen biörk; allein ahd. runen geben nicht biricha, sondern berc
mons. einem halb gothischen alphabet des Wiener cod. 140 ist bercna
beigeschrieben; den Slaven heiszt B nicht bereza, vielmehr buki, was
an buk fagus, unser buche mahnt, und altsl. bouki drückt yQu/n/nu,
ßißllov aus wie das goth. böka. Im altn. runenalphabet sind nur
zwei namen von gewachsen entlehnt jiorn und biörk, und dazu galt für
[>orn früher jpurs, riese; die sächsischen runen haben vier solcher
namen: jiorn, beorc, äc, äse. das irische bestellt dagegen aus lauter
gewachsen: B beith birke, L luis erberesclie, F fearn erle, S sail
weide, N nion esche, II liuatli hagedorn, D duir eiche, T tinne?
schwerlich leine feuer, G coli liasel, Q queirl apfelbaum, M muin rebe,
G gort epheu, NG ngedal ried, P pellipoc? ST straif schiebe, B ruis
Bieder, A ailm fölire, 0 onn pfriemenkraut, U ur beide, E eadhadh
espe, I idhadh eibe, EA eabhadh espe, 01 oir spindelbaum, UI uilleann
waldwinde, IO ihn Stachelbeere, EA amhancholl? verschieden von die-
sem belhluisnoin ist eine andere oghum genannte Ordnung.
Bei den monatsnamen sahen wir die einbildungskraft der Kelten 159
gar nicht auf pflanzen gerichtet, während es liier überall geschieht,
und umgekehrt Deutsche wie Slaven tbiere und andre Vorstellungen
einmengen, auch die welschen coelbren, die von Tacitus geschilderte
sortium consuetudo und die friesischen teni beziehen sich auf baum-
zweigzeichen und nichts gleicht den runen mehr als die gestalt zuge-
schnittner gerader und krummer äste.
Da die alte stabschrift geheimnis war und zauberhaft wirkte, so
begreift sich warum runa mysterium bedeutete und raunen flüstern,
fast alles weissagen des alterlhums geschah mit zweigen und Stäben,
wie unsere Wünschelrute (mythol. s. 926) und der stab des Hermes
und Aesculap lehren, das temere ac fortuilo spargere bei Tacitus
Germ. 10 gleicht dem altn. hrista teina (concutere virgas): liristo teina
ok blaut sä. Saem. 52a, von den alten Sachsen meldet Beda 5,
11 mittunt sortes, liluton mid tänum und noch Ulfilas Luc. 1, 9 ver-
deutscht i'Xuye hlauts imma urrann. wie die Slaven mit schwarzen
und weiszen Stäbchen loszten schildert Saxo gramm. ed. Müll. p. 827,
wie die Alanen Ammianus 31, 2, wie die Skythen Ilerodot 4, 67;
nach dem scholiast zu Nicanders ther. 613 brauchten diese dazu die
myrica (tamariske): /nuyoi de y.ui 2y.v&ou f.ivQiyuv(ü /uuvrtvoj'Tcu
%vXu>.
112
SITTE
Die griechischen namen der buchstabcn scheinen phoenizischen
Ursprungs, doch ist glaublich, dasz den Griechen schon bei der ersten
ankunft im lande schrift nicht mangelte, sie war ein gemeingut, des-
sen künde alle urverwandten Völker mit in ihren auszug nahmen; aber
viel fehlt daran, dasz sie es auf gleiche weise zu vereinfachen, zu
veredeln und fruchtbar zu öiachen verstanden hatten.
Es war meine absjeht in einer nicht sparsamen reihe von bei-
spielen, gegenüber den aufgestellten wortgeschlechtern des viehes und
160 getraides, erkennen zu lassen, wie fest auch in glauben und sitte die
ganze europäische vorzeit unter sich und mit Asien Zusammenhänge,
und vorzugsweise wählte ich das, woraus zu lernen wäre, dasz auch
die barbarei ihre lügend hat und nothwendige stufe unsers aufschwungs
wurde, alle einzelnen Völkerstämme sind aber in dieser belrachtung
ein groszes geschlecht und welche sich näher berühren konnte nur
angedeutet werden: weil aber mein werk auf die deutsche spräche
gerichtet ist, muste der deutsche faden durchschlagen.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
VIII.
EINWANDERUNG.
Aus dem unermesznen vorralh des alterthums sind manigfalte züge 161
allem was folgen soll gleichsam als Vordergrund unterbreitet worden,
diese allgemeine Schilderung der Zeitalter, des liirten und jägerlebens,
seiner Übergänge in den ackerbau, in geordnete feste und jahrszeiten,
endlich ein aus glauben, recht und sitte urverwandter Völker gegrifnes
bild, überall durch einklänge der spräche gehalten und belebt, liesz
sich noch gar nicht historisch fassen, aber mitten durch die Unter-
suchungen zuckt schon unabweisliche gemeinschaft, und wenn gleich
denkmäler der sprachen unsre reinste quelle sind, wo sie noch spru-
delt, dürfen überraschende aufsehlüsse und bestätigungen nicht ver-
schmäht oder gering geachtet werden, die aus der poesie, dem mythus
und den gebräuchen des lebens hervorgehn: auch da ist eine zähe
kraft ihrer fortdauer und Überlieferung anzuerkennen.
Nirgend wo europäische geschichte beginnt, hebt sie ganz von
frischem an, sondern setzt immer lange, dunkle Zeiten voraus, durch
welche ihr eine frühere weit verknüpft wird, einheimische götter, ein-
geborne menschen kann nur mythus oder volksage hinstellen.
Darin unterscheidet sich wesentlich Asien und die geschichte sei-
ner meisten Völker, die nach verhältnismäszig kurzer aufregung im ge-
lobten lande ihrer heimat verweilen und was jene wandernden ein- 162
biiszen, nie verlieren, was jene stufenweise hintereinander erreichen,
auf einmal zusammen besitzen, wie in Kain und Abel alsobald acker-
bau und hirlenleben nebeneinander erscheinen, so haben sich bei den
Indern ständige, hart gesonderte kästen von priestern, kriegern, arbei-
tern und knechten entfaltet, die dem verschmelzen und unablässigen
erhöhen der menschheit widerstand entgegen stellen; noch unter Per-
sern und Skythen dauerte diese einlheilung in drei stände: krieger,
liirten und ackerbauer, bei den übrigen, wo sie forlbestand, wurde
ihr eine ganz andere Wendung gegeben.
Alle Völker Europas und voraus jene urverwandten, denen es be-
schieden war durch Wechsel und gefahr emporzuringen, sind in fer-
8
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EINWANDERUNG
ner zeit aus Asien eingewandert, vom osten nach dem westen setzte
sie ein unhemmbarer trieb, dessen eigentliche Ursache uns verborgen
hegt, in bewegung. der zug scheint aber stets zu lande und um die
kiisten des meers ergangen, auszer wenn bloszc meerengen zu über-
fahren, insein zu erreichen waren, je weiter gegen abend wir ein
volk gedrungen finden, desto früher hat es seinen auslauf begonnen,
desto tiefere spur kann es unterwegs hinterlassen haben, klein im
anfang wälzte sich der häufe zu immer gröszerer masse fort; bei-
nahe alle Völker, wo sie zuerst erscheinen, sind schon zu solcher
breite und fülle empor gewachsen, dasz Zwischenräume der ruhe und
des Stillstands ihre ankunft verdecken, aber hinten nachdringende
schwärme rühren sie von neuem auf. dieser drang musz in der mitte
und im herzen Europas am stärksten walten; einzelne Völker die seit-
wärts nach Süden schmale halbinseln erreichen, gedeihen auf ihnen
schnell zu mächtiger entfaltung, und erliegen erst spät, nachdem ihre
geschicke erfüllt sind, den unabwendbaren einflüssen der mitte, unbe-
günstigte Stämme sinken in vergessenheil, die aber am langsamsten
zur edleren bildung reiften, scheinen der gröszten lehensdauer fähig,
und wenn die sage den menschcn der vorzeit höheres alter heimiszt,
halten die späteren Völker desto fester aus. der urverwandten zu wei-
163 tem auslauf ersehnen Völker entschiedner beruf und vorragende tücli-
tigkeit offenhart sich eben darin, dasz ihnen fast allein die europäische
geschichte angehört.
Kaum über die hälfte der zeit, welche insgemein von Schöpfung
der weit an gerechnet wird, dehnt sich diese geschichte hinaus; oh
vorher Europa waldbedeckt und unbewohnt war oder andere menschen-
scharen, auf deren treiben tiefes schweigen ruht, darin lebten, weisz
niemand, alles was von Völkern in Europa unsere geschichte nennt
und kennt, mag schon zwischen zweitausend und tausend jahren vor
unsrer jetzigen Zeitrechnung daselbst heimisch gewesen sein.
Zuerst tauchen die Griechen auf und erstrecken sich rückwärts
bis ungefähr 1800 jahre vor Christus, eingezogen, wie man vermuten
darf, über Kleinasien in Macedonien Thessalien Boeotien und den Pe-
loponnes hat sich zumal in diesem ihre ruhmvolle kraft entfaltet; welche
anderen Völker schon vor ihnen da heimisch waren, wie sie sich mit
ihnen in bezug auf spräche oder abslammung berührten, ist kaum zu
sagen. Die griechischen mundarten setzten sich im aeolischen, joni-
schen dorischen dialect. über welchen allen endlich der attische
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EINWANDERUNG
115
erst vom jalire 754 vor Chr. zählt; ihr glanz steht zwischen den
kriegen mit Carthago und der eroberung Macedoniens (264— 168),
hält aber an bis anderthalb jahrhunderte unsrer Zeitrechnung; nach
Antonin und Mark Aurel beginnt des weiten reiclis verfall. Wann und
auf welchen wegen Italien, lange vor Roms erbauung, bevölkert wurde,
kann nicht nachgewiesen nur gemutmaszt werden; schon seine west-164
lichere läge lehrt, dasz es Griechenland vorangegangen sein müsse,
die Römer selbst leiteten sich von Troja her und das palladium stammte
ab aus llium. Nicht tochter, ebenbürtige Schwester der griechischen
spräche ist die lateinische, in manchem allerthiimlicher und reiner,
unter den italischen stammen kommen, auszer Sikelern, Sabiner Osker
Umbrer und Tusker in betracht; dem lateinischen dialect hegt der oski-
sche nah, der umbrische ferner, mit welchem sich der stark abwei-
chende etruskische berührt, die Rhätier hat man zu abkömmlingen
der Tyrrhener oder Etrusker gemacht; eher trugen wol Rhätier oder Ra-
sener ihren stamm von den alpen in die halbinsel; einzelnes in etrus-
kischer sage und spräche klingt an germanisches, die erste einwan-
derung in Ilalien überhaupt scheint aus Ulyrien her erfolgt zu sein.
Unbedenklich das dritte volk europäischer geschichte sind die
Kelten, griechische nachrichten begreifen Gallier und theile der Ger-
manen unter dem gemeinschaftlichen namen Reiten oder Galater und
erst die Römer lernten allmälich Gallier von Germanen scheiden, dem
Ilerodot wohnen die Kelten eo/aroi nQOQ r\\lov övG/uuoy (2, 33.
4, 49.)* Livius will, dasz Rituriger schon unter Tarquinius Priscus
etwa 600 jahr vor Chr. über die alpen nach Italien und dem liercy-
nischen wähl gedrungen seien, historisch ist, dasz bald zweihundert
jalire später, 388 vor Chr., Gallier Rom eroberten** und dann ihre
streifzüge wiederholten, von 336 bis 238 hielt Rom mit ihnen friede,
neuer krieg entzündete sich von 226 bis 220 und schlug zu der Gal-
lier nachtheil aus: das blatt hatte sich gewendet und ihrerseits dran-
gen die Römer 223 in Gallien ein, das sie endlich zu Caesars zeit
fast unterjochten. Die blüte der gallischen macht wird in das sechste
fünfte und vierte jh. vor Chr. fallen, also dem gipfel der römischen 165
noch vorausgehn: um diese zeit hatten die Gallier strecken Germa-
niens, Oberitaliens, Spaniens in besitz; die beiden letzten jbh. vor unsrer
Zeitrechnung sehen wir sie geschwächt, auf einer seile den Römern,
auf der andern den Germanen erliegend. Deutsche wie Römer trieb
es sich nach westen und nordwesten auszudehnen; was (ihrig blieb
von Galliern konnte, gleichsam ins meer gedrängt, nur an der äuszer-
sten küste, auf der britannischen und hibernischen insei geborgen wer-
den. hier dauern, für die Sprachforschung günstig, zwei verwandte,
bedeutend abweichende dialecte fort, der welsche und irische, die von
* extremi hominum Morini. Virg. Aen. 8, 727; ut Menapios et Morinos et
extrema Galliarum quateret. Tac. hist. 4, 28; Ultimi gallicarum gentium Morini.
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früh auf geschieden gewesen sein müssen. Ob der an armorischer
küste in Bretagne ansässige rest der Gallier, dessen mundart jener wel-
schen nahe steht, immer auf festem lande gehaftet habe oder dorthin
von der insei wieder eingezogen sei? kann ungewis scheinen; da alle
Völkerbewegung vorwärts, nicht zurück schreitet, trete ich lieber der
ersten ansicht hei.
Solche zweifei fanden schon vor alters raum und unsre frühsten
berichterstatter Uber gallische Völkerschaften durchschauten das Ver-
hältnis nicht, es ist mir wichtig hier die stellen Caesars und Tacitus
auszuheben. Caesar, der das Vordringen germanischer Sueven in Gal-
lien seihst erlebte, aber noch Helvetier, Bojen und Teclosagen auf ger-
manischem boden jenseits wüste, deutet sich diese östlichen Gallier
folgendermaszen 6, 24: ac fuit antea tempus quum Germanos Galli
virtute superarent et ultro bella inferrent, ac propter hominum mulli-
tudinem agrique inopiam trans Bhenum colonias mitterent. itaque ea,
quae fertilissima sunt, Germaniae loca circum Hercyniam silvam ...........
Volcae Tectosages occuparunt atquc ibi consederunt. quae gens ad
hoc tempus iis sedibus se continet, summamque habet justitiae et bel-
licae laudis opinionem, nuncque in eadem egestate patientia, qua Ger-
mani permanent, eodem victu et cullu corporis utuntur. Gallis autem pro-
vinciae propinquitas et transmarinarurn rerum notitia mulla ad copiam
166 atque usus largitur. paullatim assuefacti superari multisque victi proe-
liis ne se quidem ipsi cum illis virtute comparant. Diese worte im
äuge hat Tacitus Germ. 28: validiores olim Gällorum res fuisse sum-
mus auctorum divus Julius tradit, eoque credibile est eliam Gallos in
Germaniam transgressos. quantulum enim anniis obstabat, quo minus
ut quaeque gens evaluerat occuparet permutaretquc sedes promiscuas
adhuc et nulla regnorum potentia divisas? igitur inter Hercyniam sil-
vam Rhenumque et Moenum amnes Helvetii, ulteriora Boji, gallica ulra-
que gens, tenuere. manet adhuc Boihemi nomen signatque loci vete-
rem memoriam, quamvis mutatis cultoribus. sed utrum Aravisci in
Pannoniam ab Osis Germanorum natione, an Osi ab Araviscis in Ger-
maniam commigraverint, quum eodem adhuc sermone inslitutis moribus
utantur, incertum est. In der volksage hei Livius wie in Caesars nach-
richten hat jene annahme von siegreichen zügen alter Gallier auf den
germanischen boden wenig für und alles gegen sich. Wie sollten die
östlichen Helvetier, die norischen> Bojen schon im eigentlichen Gallien
sitz gefaszt und ihren rücklauf über den Rhein genommen haben?
naturgemäsz war, dasz alle Gallier auf ihrem zug gegen westen vorher
das ganze Donau und Rheingebiel inne hatten, und als ihre grosze
masse den letzten ström überschritt, ihre hintersten Stämme noch jen-
seits hausten; so geschah es, dasz theile der Bojen und Helvetier zu-
rück blieben, bis auch sie deutschem andrang erlagen, aus Böhmen
wichen die Bojen nach Baiern, aus der Maingegend die Helvetier
nach der Schweiz gegen den hauptstock ihres volks: beide flüchteten
südwärts, immer aber von deutschen Völkern erreicht und endlich auf-
gerieben; der bojische name haftete in zwei gebieten, die slavischen
- |
w*. -v. m: -w ä ^ ^ 'jk, 4
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EINWANDERUNG
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Tschechen und deutschen Markomannen zufielen.* Dem hercynischen
wald heiszt es gewaltige ausdehnung geben, wenn man noch in seinen
östlichsten raum jene Tectosagen unterbringen will; Zeusz meint s. 171,167
sie seien von Pannonien aus über die Donau in Umgehungen der östlichen
germanischen waldhöhen eingezogen: aber wie gelangt waren sie nach
Pannonien? Livius 38, 16 läszt bald nach des Brennus zug Tectosa-
gen über Illyrien tief nach Asien vorbrechen, Polyhius hat sie im süd-
lichen Gallien an der Garumna, Ptolemaeus gar im asiatischen Sky-
thien. Mag sich schon Tacitus, jener Tectosagen geschweigend, nicht
über Ösen und Aravisker entscheiden, deren spräche und lebensart ihm
einstimmig deutsch erscheint; wie musz die Unsicherheit steigen bei
fernentlegnen Völkerschaften, die in griechischer Berichterstattung unter
dem namen von Kelten oder Galatern auftreten, von deren spräche,
welche hier allein aufschlusz bringen könnte, wir nichts wissen. Über
allen Verhältnissen dieser illyrischen makedonischen thrakischen skythi-
schen asiatischen Kelten schwebt undurchdringliches dunkel, waren
sie wirklich eines volks mit den westlichen, so mögen sie eher im
osten verharrt, als vom westen aus dahin zurückgewandert sein; das
stimmt auch, wie wir sehn werden, mit dem Vordringen und dahinten-
bleiben einzelner germanischen stamme.
Die geschichte der Deutschen, die das vierte in Europa vor-
rückende volk bilden, pflegt man mit des Pytheas meldungen zu be-
ginnen, der zu Alexanders des groszen zeit an Britannien vorüber nach
Thule und an die ostseeküste gereist sein soll, wo er Guttonen, Teu-
tonen und Ostyaer traf, so ungünstig Polyhius, Artemidorus und
Strabo von seiner glaubhaftigkeit urtheilen, vereinbaren doch diese öst-
lichen Völker sich mit den Teutonen, Gothonen und Aestiern des Ta-
citus , ja mit den Guten und Daukionen des Ptolemaeus auf der insei
Scandia. 113 — 102 vor Chr. ziehen sodann Cimbern und Teutonen
von der nördlichen halbinsel den Rhein entlang haufenweise über die
alpen**, Gallien wie Rom in schrecken setzend; es war das erste vor-168
bild der Römerzüge, die aus Deutschland unser ganzes mittelalter hin-
durch nach Welscldand geschahen, unterwegs musten sie schon mit
andern germanischen Stämmen in Verbindung gewesen sein, da unmög-
lich anzunehmen ist, dasz die menge germanischer Völker, welche fünfzig
jahre nachher zu Caesars tagen das land jenseit des Rheins erfüllt und
allen folgenden Berichterstattern seszhaft daselbst erscheint, erst nach
dem cimbrischen zug vorgedrungen sei. von einer ankunft der Deut-
schen überhaupt weisz Tacitus nichts, sondern setzt sie in ihren land-
slrichen als eingeboren von jeher wohnend voraus: welch wander-
lustiges volk, sagt er, habe wol aus Asien, Africa oder Italien über
das schauerliche meer nach dem rauhen Germanien schiffen mögen, wo
* in der Zusammensetzung Boikemum ist mindestens liemum deutsch, so
wurde der deutsche volksname Aestier zuletzt einem finnischen stamm überwiesen.
** ü)07Z£o vifos kfineooitv rahtzla xal TraXia. Plut. Marius 11, 5. mit
demselben bild heiszt es in der kaiserchronik (cod. pal. 361, 88d): si sigen zuo
sam diu wolchen über Monteiöh, hei wie daz her darüber zöh!
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EINWANDERUNG
mir der heimische es aushalte? offenbar musten die Deutschen da
schon so lange niedergesessen sein, dasz bereits alle künde von ihrem
einzug verschollen war und nicht mehr zu des Itömers ohr gelangte;
hlosz ihr weiteres Vordringen über den Rhein gemeldet wurde damals.
Ich zweifle nicht, dasz unter deutschen und gallischen stammen
schon lange Jahrhunderte nachbarschaft und manigfacher verkehr stall-
fand, aus dem allein erklärlich wird, wie einzelne deutsche Wörter und
gebrauche durch die Gallier auch zu den Römern gelangten, bevor
diese in unmittelbare berührung mit den Deutschen selbst traten, auf
solche weise wurden jene Deutschen ambacli (s. 131) zu Rom und
dem Ennius bekannt: es ist glaublich, dasz reiche Gallier germanische
diener um sich versammelten, wie hernach die Römer deutsches ge-
folge unterhielten; ich werde gelegenheit haben noch andere deutsche
ausdrücke beizubringen, die so früh zu den Römern drangen, das
geschrei der Gallier über deutsche Wildheit vor Römern, deren beistand
gegen Ariovist sie nachsuchten, kann man sich leicht auslegen.
Wie nun zwischen den bis zum Rhein sich erstreckenden, diesen
ström schon überschreitenden Germanen und den Galliern musz ein
gleich starker verkehr eingetreten sein zwischen östlichen Germanen,
169welche die Donaugegend inne hatten, von da sich nordwärts bis zur
Ostsee dehnten, und in ihrem rücken hausenden thrakisehen, sarma-
tischen Völkern, ja, weil wir sahen, dasz einzelne gallische stamme
eine zeitlang mitten in Germanien fortdauerten, wird nicht weiter gegen
osten bis zum auslauf der Donau und noch tiefer hinten von deutschen
Völkern die rede sein dürfen, die ihren früher dort eingenommnen sitz
behaupteten? die Wanderung ergieng nirgends auf einmal, ohne dasz
häufen und abtheilungen einzelner Völker zurückbliebcn. wer ein äuge
hat für diese Verhältnisse kann nicht tadeln, dasz dakische, getische,
thrakische und selbst skythische Völkerschaften unter gesichtspunkte
gestellt werden, die den abgelegnen Römern entgicngen; unsre älteste
geschickte hat dabei nur zu gewinnen und was ihr abgerissen wurde
zu erobern, dem unwandelbaren naturgesctz groszer Völkerbewegungen
angemessen scheint es, sie langsam von morgen gegen abend vor-
schreiten zu lassen und alle dauernden rückgänge abzulehnen, wie
keine Gallier über den Rhein setzend deutschen grund und boden, den
sie bereits verlassen halten, neu bewältigten, eben so wenig sind Go-
then, ohwol es die sage lügt, von Scandinavien aus zur Weichsel und
an die Donaugestade hinterwärts gedrungen; durch die Geteu aber
könnte der deutsche name weit über die zeit der ankunft in unserm
jetzigen Vaterland hinauf geleitet werden. ergossen sich deutsche
Stämme noch viel später nach Gallien, Britannien, Italien, Spanien und
Africa, so werden auch früher pannonische, thrakische und skythische
landstriche in ihrer gewalt gewesen sein. Die bisher gültige critik
suchte sich weder über ankunft und einzug der Germanen in Deutsch-
land eine befriedigende Vorstellung zu bilden, noch den thrakisehen
und skythischen einflusz auf die geschicke Europas zu würdigen.
Für das fünfte europäische volk sehe ich die Litthauer an, deren
(
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die geschiehte fast geschweige denen aber ihre kostbare spräche ge-
währ leistet, dicht an der ostseeküste von der Weichsel bis zur Düna,
seitwärts zur Wilna hin durch Preuszen, Samogitien, Kurland und
Liefland strecken sich die Überbleibsel einer Völkerschaft, die niemals
einllusz auf die weltbegebenheiten gewonnen, sich stets unter dem 170
druck mächtigerer nachbarn befunden hat. Ihre spräche steht in drei
zweigen bedeutsam von einander ab; darunter ist der altpreuszische
ganz ausgestorben, nur aus einem einzigen denkmal spärlich zu erken-
nen. der litthauische lebt in Ostpreuszen und Samogitien, (fort reiner,
hier mit polnischen Wörtern vermengt, der lettische in Kurland und
Liefland: aus diesen Verschiedenheiten zieht die Sprachforschung nur
gewinn, alterthümlich und formreich erscheint zumal der litthauische
engeren sinn, kaum eine andere spräche in Europa steht
wiskrit näher, auszerdem findet grosze ähnlichkeit mit der deut-
TEQMjjKi und slavischen zunge statt, diese beiden werden durch die
Tittnauische gewissermaszen vermittelt, was nur nicht so aufzufassen
st, als sei das litthauische, wie man früher wol angenommen hat, aus
ihnen gemischt worden, da es vielmehr selbständige eigentlnimlichkeit
besitzt, die nur an deutsche und slavische rührt, ebensowenig aber
haben die slavische und deutsche spräche ihre urverwandten bestand-
theile aus der lillhauischen entlehnt, sondern zwischen allen dreien
waltet warme in der geschiehte der europäischen sprachen höchst fol-
genreich dastehende gemeinschaft ob. wahrscheinlich hatte auch die
getische spräche einen nicht zu übersehenden verband mit der lit—
thauischen; es ist ungemein merkwürdig, dasz der preuszische Lit—
thauer den polnischen, d. h. den Samogeten Gudas oder Guddas nennt,
unserm mittelalter hiesz er Sameite, woraus nachher Schamaite ent-
sprang, was sich alles zurückführt auf Samogeta.
Schon dieser, wrie mich dünkt, erweisliche haft zwischen Lit—
thauern und Geten zwingt, auch ohne andre historische Zeugnisse, den
aufenthalt der lillhauischen stamme in der gegend, wo sie jetzt woh-
nen, sehr früher zeit zu überweisen, sie scheinen durchaus nicht
später als Deutsche und Slaven, welchen sie stets benachbart waren,
in Europa, also schon lange vor dem beginn unsrer Zeitrechnung an
ihrer stelle angelangt; ihre abgeschiedenheit, bei geringer anzahl, hat
ihnen feste dauer gegönnt: erst in der späteren polnischen geschiehte
gieng ein litthauisches herzogthum unter, litthauisches heidenthum musz 171
vorzüglich aus samogitischen Überlieferungen erforscht werden.
In weit ansehnlicherer breite und ausdehnung, wie sie wenig an-
dern auf dem erdboden zu theil ward, hat sich das slavische volk ent-
faltet, und bildet den sechsten sprachstamm, dessen denkmäler und
Verzweigungen die reichste ausbeute darreichen.
So spät Slaven in die geschiehte eingezeichnet sind (denn sie
werden zuerst bei Iornandes und Procop mit gothischen, bei den anna-
listen hernach mit fränkischen händeln verflochten), läszt das nahe Ver-
hältnis ihrer spräche zur deutschen und litthauischen gar nicht be-
zweifeln, dasz sie ungefähr gleichzeitig mit diesen nachbarn auf dem
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mir der heimische es aushalle? offenbar musten die Deutschen da
schon so lange niedergesessen sein, dasz bereits alle künde von ihrem
einzug verschollen war und nicht mehr zu des Römers ohr gelangte;
blosz ihr weiteres Vordringen tiher den Rhein gemeldet wurde damals.
Ich zweifle nicht, dasz unter deutschen und gallischen stammen
schon lange Jahrhunderte nachbarschaft und manigfacher verkehr statt-
fand, aus dem allein erklärlich wird, wie einzelne deutsche Wörter und
gebrauche durch die Gallier auch zu den Römern gelangten, bevor
diese in unmittelbare berührung mit den Deutschen selbst traten, auf
solche weise wurden jene Deutschen ambacli (s. 131) zu Rom und
dem Ennius bekannt: es ist g
diener um sich versammelten,
folge unterhielten; ich werde
ausdrücke beizubringen, die so
geschrei der Gallier über deutsche
gegen Ariovist sie nachsuchten, kann
Wie nun zwischen den bis zum R
ström schon überschreitenden Germanen und
gleich starker verkehr eingelreten sein
169welche die Donaugegend inne hatten, von
ostsec dehnten, und in ihrem rücken hause
tischen Völkern, ja, weil wir sahen, dasz
eine zeitlang mitten in Germanien fortdauerten,
osten bis zum auslauf der Donau und noch tiefer
Völkern die rede sein dürfen, die ihren früher
behaupteten? die Wanderung ergieng nirgends auf
häufen und abtheilungen einzelner Völker zurückblieb
hat für diese Verhältnisse kann nicht tadeln, dasz da
thrakische und selbst skythische Völkerschaften un
gestellt werden, die den abgelegnen Römern enlgi
geschichte hat dabei nur zu gewinnen und
zu erobern, dem unwandelbaren naturgesetz
angemessen scheint es, sie langsam von m
schreiten zu lassen und alle dauernden rückgänge
keine Gallier über den Rhein setzend deutschen grün
sie bereits verlassen halten, neu bewältigten, eben s
tlien, obwol es die sage lügt, von Scandinavien aus
an die Donaugestade hinterwärts gedrungen; durch
könnte der deutsche name weit über die zeit der ankunft in unserm
jetzigen Vaterland hinauf geleitet werden. ergossen sich deutsche
Stämme noch viel später nach Gallien, Britannien, Italien, Spanien und
Africa, so werden auch früher pannonische, thrakische und skythische
landstriche in ihrer gewalt gewesen sein. Die bisher gültige critik
suchte sich weder über ankunft und einzug der Germanen in Deutsch-
land eine befriedigende Vorstellung zu bilden, noch den Ihrakischen
und skythischen einflusz auf die geschicke Europas zu würdigen.
Für das fünfte europäische volk sehe ich die Lilthauer an, deren
reiche Gallier germanische
die Römer deutsches ge-
noch andere deutsche
Römern drangen, das
Römern, deren beistand
leicht auslegen.
treckenden, diesen
Galliern musz ein
tlichen Germanen,
nordwärts bis zur
rakischen, sarma-
gallische stamme
iclit weiter gegen
von deutschen
sitz
mal, ohne dasz
wer ein äuge
sehe, gelische,
gesichtspunkte
; unsre älteste
jerissen wurde
kerbe wegungen
n abend vor-
ulehnen. wie
und boden, den
wenig sind Go-
(zur Weichsel und
die Geteu aber
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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EINWANDERUNG
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die geschichte fast geschwelgt, denen aber ihre kostbare spräche ge-
währ leistet, dicht an der ostseektiste von der Weichsel bis zur Düna,
seitwärts zur Wilna hin durch Preuszen, Sainogitien, Kurland und
Liefland strecken sich die Überbleibsel einer Völkerschaft, die niemals
einflusz auf die weltbegebenheiten gewonnen, sich stets unter dem 170
druck mächtigerer nachbarn befunden hat. Ihre spräche steht in drei
zweigen bedeutsam von einander ab; darunter ist der allpreuszische
ganz ausgestorben, nur aus einem einzigen denkmal spärlich zu erken-
nen. der litthauische lebt in Ostpreuszen und Samogitien, dort reiner,
hier mit polnischen Wörtern vermengt, der lettische in Kurland und
Liefland: aus diesen Verschiedenheiten zieht die Sprachforschung nur
gewinn, alterthümlich und formreich erscheint zumal der litthauische
dialect im engeren sinn, kaum eine andere spräche in Europa steht
dem sanskrit näher, auszerdem findet grosze ähnlichkeit mit der deut-
schen und slavischen zunge statt, diese beiden werden durch die
litthauische gewissermaszen vermittelt, was nur nicht so aufzufassen
ist, als sei das litthauische, wie man früher wol angenommen hat, aus
ihnen gemischt worden, da es vielmehr selbständige eigenlhümlichkeit
besitzt, die nur an deutsche und slavische rührt, ebensowenig aber
haben die slavische und deutsche spräche ihre urverwandten bestand-
theile aus der litthauischen entlehnt, sondern zwischen allen dreien
waltet warme in der geschichte der europäischen sprachen höchst fol-
genreich dastehende gemeinschaft ob. wahrscheinlich hatte auch die
getische spräche einen nicht zu übersehenden verband mit der lit—
thauischen; es ist ungemein merkwürdig, dasz der preuszische Lit—
thauer den polnischen, d. h. den Samogeten Gudas oder Guddas nennt,
unserm mittelalter hiesz er Sameite, woraus nachher Schamaite ent-
sprang, was sich alles zurückführt auf Samogeta.
Schon dieser, wie mich dünkt, erweisliche haft zwischen Lit—
thauern und Geten zwingt, auch ohne andre historische Zeugnisse, den
aufenthalt der litthauischen stamme in der gegend, wo sie jetzt woh-
nen, sehr früher zeit zu überweisen, sie scheinen durchaus nicht
später als Deutsche und Slaven, welchen sie stets benachbart waren,
in Europa, also schon lange vor dem beginn unsrer Zeitrechnung an
ihrer stelle angelangt; ihre abgeschiedenheit, bei geringer anzahl, hat
ihnen feste dauer gegönnt: erst in der späteren polnischengeschichte
gieng ein litthauisches herzogthum unter, litthauisches heidenthum musz 171
vorzüglich aus samogitischen Überlieferungen erforscht werden.
In weit ansehnlicherer breite und ausdehnung, wie sie wenig an-
dern auf dem erdboden zu theil ward, bat sich das slavische volk ent-
faltet, und bildet den sechsten sprachstamm, dessen denkmäler und
Verzweigungen die reichste ausbeute darreichen.
So spät Slaven in die geschichte eingezeichnet sind (denn sie
werden zuerst bei Iornandes und Procop mit gothischen, bei den anna-
listen hernach mit fränkischen händeln verflochten), läszt das nahe Ver-
hältnis ihrer spräche zur deutschen und litthauischen gar nicht be-
zweifeln, dasz sie ungefähr gleichzeitig mit diesen nachbarn auf dem
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
120 EINWANDERUNG
platz waren und bereits weite strecken erfüllten, eine so kräftige
masse kann weder später auf einmal vorgerückt sein noch sich anders
als in gemächlicher weile überaus fruchtbar entfaltet haben.
Ihren gesamtnamen der Slaven hatten diese Völker damals So
wenig empfangen, als die Germanen den der Deutschen; unsern Vor-
fahren aber hieszen sie Winden, Wenden (ahd. Winidä, ags. Veonodas)
und unter dieser benennung Veneti wurden sie auch den Römern auf
einzelnen puncten bekannt, gerade wie die Römer die Finnen mit einem
unter dem volk selbst ungewöhnlichen deutschen namen kennen lern-
ten. Dies alles dargelegt hat Schafarik, der dem namen Winden für
sein volk wolbefugt einen andern einheimischen an hohem aller gleich
stellt, den schon bei l'linius 6, 7 unter den maeotischen Völkern er-
wähnten namen Serbi, bei Ptolemaeus Sirbi, wie er noch heute für
zwei entlegne slavische Stämme, Sorben und Serben, fortbesteht. * nur
darin scheint mir der gründliche forscher fehl zu treten, dasz er jetzt
die früher von ihm selbst erkannte identität der Serben und Sarmaten
leugnet und für den ausdruck Srb die vage Wurzel su (generare) aus
172dem sanskrit herholt, welche mutter eines jeden mit diesen buchsta-
ben anlautenden Worts werden könnte, nichts aber ist natürlicher,
als dasz unmittelbar im rücken der Germanen hausende Sarmaten, bei
Älfröd Sermende **, den Griechen Sauromaten genannt, die grundlage
des slavischen volks bilden; durch ihre Wegnahme würde den Slaven
ein anhalt in der älteren geschichte entzogen, wie man ihn den Deut-
schen durch das verkennen ihrer Verwandtschaft mit den Geten ent-
rissen hat und das plötzliche verschwinden beider, der Sarmaten wie
der Geten, bliebe gleich unerklärlich, den Übergang der buchstaben
SRB in SRM rechtfertigen eine menge ähnlicher***, und das heutige
Sirmien (Srijem, Srem) in Serbien, lat. Sirmium zeugt dafürf; Diodors
meldung vom auszug der Sauromaten aus Medien über den Tanais um
633—605 vor Chr. (2, 43) behält ihren vollen werth, ohne dasz von-
nöthen wäre weder alle Sarmaten daher zu leiten, noch der slavischen
spräche einen näheren bezug auf modische zu geben, als er schon
aus der Urverwandtschaft mit medischen und persischen Völkern folgt,
die frühe rührigkeit der Slaven bewährt hier Diodor so willkommen,
als die der Deutschen Ilerodols nachricht von den Gelen, sarmatische
* darf man statt der bei Strabo 290 neben Butonen und Mugilonen genann-
ten 2ißivoi mutmaszen J5'iQßivoi*! deuten sich Mugilonen aus sl. mogila, Inigel?
** wie Dalemense, Daleminzi = Dalmatae.
*** bair. alm für alb; lapp, zhialbme, tjalmi oculus, finn. silmü. wahrschein-
lich skr. sarpa, sl. tscherv, lat. serpens mit vermis für evermis, goth. vaurms f.
hvaurms, skr. krimi verwandt.
•{• noch die altböhm. mater verborum übersetzt Sarmatae durch zirbi (— sirbi.)
Sträubt man sich aber wider die gleichstellung von Serben und Sarmaten, so
wird eine andere nahliegende deutung des letzten namens noch weniger gefallen,
den Litthauern ist sarmata dedecus, was dem böhm. sramota, poln. sromata ge-
nau entspricht, altsl. ist sramiti ivr^snsiv pudore afficere, und mit sram hängt
unser ahd. harm, ags. hearm genau zusammen, die litthauischen nachbarn könn-
ten nun in sehr früher zeit den Slaven diesen namen aufgehängt haben.
£3
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
EINWANDERUNG
121
Wildheit angeblicher sittigung und milde der Slaven entgegenzusetzen
scheint mir unrathsam, da noch die jüngeren Slaven an kriegerischem,
rohem sinn den Germanen nirgend nachstehn. * 2tioqoi, nach Procop 173
de bell. goth. 3, 14 alter gesamlname aller Slaven, und von ihm
onoQudrjv ditax^vrj/uet'oi ausgelegt, soll versetztes Serpi Srbi sein;
wer das zend. SP für SV erwägt (aspa f. skr. asva, spenta f. sl. svent),
könnte andere deutungen vorschlagen.
Tacitus ist zweifelhaft, ob die in seiner Germania den schlusz
bildenden Peucini, Veneti und Fenni germanische oder slavische Völker
seien; wir sehn ihn hier wirklich auf der scheide zwischen Deutschen,
Slaven und Finnen angelangt, doch Peucini als Bastarnae sind ihm der
spräche nach mit recht Deutsche: nur die Unreinheit ihrer ehen scheint
ihm undeutsch und sarmatisch. die räuberischen Veneti in den Wald-
gebirgen zwischen Finnen und Peucinen hält er deshalb für Germanen,
weil sie schon in häusern wohnen, nicht auf wagen wie die Sarmaten.
Wenden und Serben, die wir für das nemliche volk erkennen, weichen
ihm im stamm von einander ab; doch die Verbrüderung der Sarmaten
und Daken um diese zeit unter Decebalus läszt beide ungefähr auf
gleiche stufe der Bildung setzen und den nomadenstand der Sarmaten
mag Tacitus übertreiben.
Die Finnen sind der siebente sprachstamm, und da er noch heute
über den Ural in das nordöstliche Asien reicht, in Europa den äuszer-
sten norden besetzt hält, so musz er für mächtig und uralt gelten,
wahrscheinlich war er in Europa schon vor den Kelten eingezogen 174
und durch Kellen, Germanen und Slaven aus der mitte gegen norden
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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122
EINWANDERUNG
Der name Finnen wurde diesen Völkern schon im hohen alter-
thum, wie Tacitus lehrt, von den Deutschen ertheilt (bekanntliGh
heiszen in alln. sagen auch die Lappen Finnar), und die benennung
eines damals noch germanischen volks, der Aestier, gieng im verfolg
der zeit auf das finnische der Esten über. Sein land und volle heiszt
der Finne Suome, der Lappe Sabme; Suomalainen bezeichnet den Fin-
nen, Sabmelats Sabmeladzh den Lappen. Schweden nennt der Finne
Ruotsi, der Lappe lluotli, Deutschland der Finne Saksa, Ruszland
Venäjä, worin jenes Wendenland anklingt; Slaven heiszt der Finne
Tschud. merkwürdig dasz der Finne für Lappland Pohja, wie der
Lappe für Norwegen Vuodn gebraucht: beide namen sind das nem-
liche und bedeuten fundus (schwed. bottn, boden.) es läszt sich nach-
weisen, wie der Name Finnar und Qvenir ursprünglich auch der-
selbe sei.
Von den Iberern, die gleich den Finnen in Europa vorangiengen
und den achten stamm bilden, ist bis auf die baskische spräche alles
erloschen; sie müssen aber in frühster vorzeit auf italische und kel-
tische Völker, wie schon der name Keltiberer zeigt, vielfach eingewirkt
haben.
175 Auf Thraker und Skythen, oder den neunten und zehnten volk-
stamm Europas werde ich alsbald ausführlicher zu sprechen kommen,
hier schliesze ich die gewonnene übersieht aller einwanderungen mit
dem anhang, dasz sie auf der meersküste immer rascher vorzuschrei-
ten scheinen, als im innern des landes, wie eine überströmende llut
schnell die seiten, hernach erst die mitte erreicht. So erblicken wir
bereits zur Römerzeit germanische Friesen und Bataver westlich vor-
gedrungen, früher Guttonen und Teutonen, endlich Slaven über Pom-
mern nach Jleklenburg und Holstein, während inmitten der länder ein-
heimische kerne der Gallier und Germanen längeren widerstand leisteten.
® ^---------------------------------------------------— ■•*-**--
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IX.
THRAKER UND GEIEN.
Den Griechen nordwärts über den Hämus nach der Donau und L76
zum schwarzen meer dehnte sich Thrakien, sie pflegten aus nordwe-
sten her wehenden wind &Qaoy.iag zu nennen*, mit ihrem frühsten
allerthum war thrakisches eng verwachsen: es ist schwer zu sagen,
ob die Griechen hei ihrer ankunft schon thrakische stamme vorfanden,
oder diese, wie mir wahrscheinlicher wird, ihnen unmittelbar nach-
rückten. Bereits Homer gedenkt der Thraker und Ilerodot 5, 3 sagt
sogar: v di advog ^liyioxöv toxi /.itxu ya \Ivdovg uuvxojv
uvd'QMTKjov, es musz sich also vormals viel tiefer nach osten er-
streckt**, im lauf der zeit zusammengezogen haben, den Griechen
mag lebensart und spräche der Thraker, schon ihrer nachbarschaft
wegen, und weil einzelne derselben als knechte oder fremdlinge in
Griechenland auftraten, bekannt gewesen sein, weiter ab lagen ihnen
die Römer, Plinius 4, 11 die einzelnen thrakischen Völker herzählend,
beginnt: Thracia sequilur inter validissimas Europae gentes, in stra-177
tegias quinquaginta divisa. Als sich römische herschaft in Illyrien,
Makedonien und Thrakien gefestigt hatte, konnte es auch den Römern
nicht an gelegenheit fehlen, über die thrakischen Verhältnisse eigne
künde einzuziehen, wie hätte, seit den dakischen kriegen, diese sich
nicht noch erweitern sollen?
Die Griechen, bevor sie den Römern unterwürfig wurden, wüsten
fast noch nichts von den Deutschen und diese verschmolzen ihnen
unter dem namen der Galater mit den Kelten. Römern dagegen, welche
Gallier von Germanen zu scheiden gelernt hatten, konnte auch ein ab-
stand germanischer von thrakischer spräche kaum verborgen bleiben.
* wie andere Völker winde nach der gegend des landes, woher sie streifen:
ein wint von Barbarie wset, der ander von Tiirkie, lieiszt es beim Tanküser MS.
2, 68b. Auch nachtigall und schwalbe fliegen den Griechen aus Thrakien zu,
Babr. 12,8 sagt die eine zur andern:
Ttqorcov ßlimo <je or]tieoov fiera 0Qay.rtv.
** Herodot 1, 28. 3. 90. 7, 75 kennt natürlich noch in Asien Thraker.
Aww. YWclt*-.
p. tw . .
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124
GETEN
Kl
sie halten krieger und gefangne von allen solchen Völkern in Rom
vor äugen.
Hinten an die östlichsten Germanen, wie sie zur Römerzeit des
ersten jahrhunderts nach Chr. bestanden, da wo die Donau als Ister
den letzten theil ihres laufs zurücklegt, in dem heutigen Siebenbürgen,
der Moldau und Walachei, stieszen Daken und Geten. beide dürfen
für nahverwandte stamme fast eines einzigen volks gelten, das vor-
zugsweise Griechen das getische hiesz, Römern das dakische. Tacitus
mag sich die Daken etwa als nachbarn der Quaden denken, Strabo
stellt Geten dicht an Sueven. gleich zu eingang seines werks drückt
sich jener so aus: Germania omnis a Sarmatis Dacisque mutuo metu
aut montibus separatur; auch hist. 4, 54 verknüpft er Sarmatis Da-
cisque, und Agric. 41 stehn Moesia Daciaque et Germania et Pannonia
nebeneinander, der ältere Strabo aber sagt 290 von Sueven und Sem-
nonen redend: nlfv rd yt riov 2orjßcov tS-vi], rd /uiv iwog ojxu,
ru di ixrog rov dqv/uov, o/lioqu roig Vertag’ /uiyiorov /.liv rb rtov
—orjßaiv t'S-vog, und nochmals 294: rb di vbnov /ui qog rrjg Ttq-
/laviug, rb niquv rov 'Alßiog, rb f.iiv ovveyig ux/ur/v vno rwv
^or/ßtov xariyerai. dV iv&vg fj rwv Vtrtbv awunrei yfj, xud
uqyug /uiv anvrj, Tiaqanra/uiv?] rtö 3IcfTQtp xard rb voriov /uiqog.
xaru di rovvavriov, rfj nuqoqiu rov ‘EqxvvIov dqvfxov, /uiqog n
xul avrij rwv oqwv xariyovou, dru nXarvverat nqog rag dqxrovg
/liyqi Tvqiyerwv • rovg di uxqißaTg oqovg ovx iyo/.itv tpqaQi.iv.
178 genaue nordgrenze kannte er nicht, zwischen Geten und Daken gibt
er s. 304 folgende scheide: Tirug /.tiv rovg nqog rov Ilovrov xe-
xh/iivovg xul 7iqog rrjv tto. Adxovg di rovg dg ravavria nqog
Viq/.iaviav xul rüg rov'Iarqov nr/ydg und s. 313 heiszt es: ruvru
d3 iorl rd Gvvtyij rfj 7ruXiu re xul ruig ^AXmoi, xul J'tq/uuvoig,
xul Auxoig, xul riraig.
Beide Schriftsteller halten also diese Völker zwar für nachbarn
der Germanen, nicht selbst für Germanen, noch entscheidender scheint,
dasz ihnen Strabo ausdrücklich thrakischen Ursprung, thrakische spräche
beimiszt. nicht allein sagt er s. 305 6/uoyXwrroi* <53 dolv ol Adxoi
roig Tirutg, woran niemand zweifeln wird, sondern ein hlatt vorher s. 304
hiesz es: tri ydq itp rj/utov yovv Al'Xiog Kdrog piertoxiaav ix rijg
mquiug rov Iarqov nivn /uvqiddag aco/udriov naqd rwv Verwv,
o/uoyXwrrov roig GquQlv l'&vovg, dg rfv Qqdxyv xul vvv olxovoiv
avrofri, TVLoiaol xuXov/utvoi. in dieser stelle, wenn man ihre absicht
erwägt, liegt ihm daran zu widerlegen, dasz in Thrakien keine Myser
seien: Aelius Calus (unter August) habe über die Donau 50000 Geten
nach Thrakien geführt, die nun daseihst wohnen und Myser heiszen;
über die Donau waren sie nach Moesien gewandert, wo die späteren
Moesogothen hausten, da dies lauter altgetische landstriche sind, so
versteht sich von selbst, dasz kein sprachunterschied statlfand und diese
übergeführten einwohner in Moesien ihre angeborne spräche behielten,
* ahd. samarartö, folglich goth. samarazdai.
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GETEN 125
die Strabo der thrakischen für gleich achtet, wir wissen leider nicht,
welche ansicht Dio Chrysostonnis hatte, der die Geten aus eigner an-
schauung kannte, kein römischer Schriftsteller des ersten oder zwei-
ten jh. hat in den Geten etwas anders als einen thrakischen volk-
stamm gesehn.
Es scheint darum vermessen, dasz ich in ihnen deutsche Gothen
ahne und dasz in dämmernder nacht unseres alterthums mir die Geten
als ein weiszer stamm entgegen schimmern.
Ich will mit dem anheben, was sich zuerst aufdrängt, mit dem
getischen namen. nach dem verhalten der laute zwischen griechischer
lateinischer und deutscher spräche stimmt Ferat Getae zu unseren Gujaai 179
oder Guftans, welche germanische namensform die Gothi und Gothones
römischer Schriftsteller von Tacitus an folgern lassen, in das römi-
sche ohr über den Rhein drang nemlich der name des östlichsten ger-
manischen volks nur laulverschoben und mit dem tiefen statt des hellen
vocals; diese bedeutende Verschiedenheit der klänge darf in anschlag
gebracht werden, um zu begreifen, dasz die Römer nicht darauf ver-
fielen, solche Gothen an die ihnen von andrer seite her bekannten
Geten zu halten, ich musz hier einen einwand, der sich gegen die
richtigkeit des namens Gothi oder Gujmi erheben könnte, noch bei
seite lassen und werde im verfolg darauf zurückkehren, angenommen
dasz Tacitus, wie er sonst pflegt, die deutschen laute treu wiedergibt
und dasz bei ihm Gothones (nicht Gotones) gelesen werden musz, was
durch die später allgemein übliche Schreibung Gothi und bei Griechen
r6r&oi bestätigt wird; so erscheint dies TH wie im goth. mija vijma
rajjjö ajm anjrnr tunjius gulfi bröjmr: jitfra iterum ratio trog tregog
dens zlato frater. gleich gern, obschon nicht nolhwendig zeigt die
deutsche spräche U oder 0 statt des E oder I der gr. und lat., z. b.
in |>uk fms us fruma un- kuni muns lunjtus hund tuggö faur vaurms:
te tibi ex primus in- yivoq genus mens dens centum dingua nagd
vermis.
Zwar, scheint es, sollte man auch im anlaut verschobnes Ku|iai
erwarten, wie Kröks für Graecus (ahd. Chriah) gesagt wurde, volks-
namen pflegen sich aber oft der lautverschiebung des übrigen wort-
vorraths zu entziehen, aus demselben grund, der den eigennamen ins-
gemein auch sonst alterthümliche laute und formen sichert. Ulfdas
läszt z. b. die fremden Galatia, Galeilaia unverschoben und erst der
volksmäszige gebrauch erlaubt sich davon abzuweichen: diese bemer-
kung wird für das aufsuchen der wurzel unseres volksnamens wichtig;
fallen Geta und Gü|ta zusammen, so darf auch zu letztem das lat. getes
in indigetes, das gr. yerog in xrjlvytjog = trj'ktyovoq gehalten wer-
den und Gu{>a scheint weder mit gufi deus gemeinschaft zu haben,
noch mit göds bonus, deren beider G verschoben ist, d. h. dem gr. 180
X, lat. H. entspricht.
Aus derselben Ursache würde z/uxog und Dacus, begegneten wir
ihm noch in goth. denkmälern, Dags geschrieben sein, weil auch in
diesem namen die uralte anlautende media ihr volles recht behält; der
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
AiL . ^ ^ w*. ». Ufcfc ü
, 126
GETEN
inlaut G hingegen steht zur gr. tenuis nacli dem gesetz der Verschie-
bung, wie in Geta Gu|>a die inlaute T und TH fortgeschoben sind.
Dieser grammatische einklang beider namen Geta und Dacus weckt
das günstigste vorurtheil. es war höchst natürlich, dasz die dem deut-
schen organ angemessene gestalt des namens der Gothen theils in den
meldungen der Römer auftauchte, theils im verlauf der zeit, beim stei-
genden wachsthum der deutschen macht, sich überall geltend machte
und die ältere form Geta zuletzt verdrängte.
Grösseres gewicht wird meiner ansicht die geographische und
historische betrachtung verleihen.
Die Gothen als sie später in der geschickte erscheinen werden
fast ganz an derselben stelle getroffen, wo zuletzt die Geten saszen,
in der Donaugegend und den nördlichen noch herkynischen Waldge-
birgen, die ihnen schon Slrabo anweist. Zwar Tacitus nennt im nord-
osten Deutschlands hinter den Lygiern auch Gothones und legt ihnen
königthum, nicht die freie Verfassung der übrigen Germanen hei: trans
Lygios Gothones regnantur, paulo jam adductius quam ceterae Ger-
manorum gentes, nondum tarnen supra libertatem. wie bei den alten
Geten wurzeln auch hei den jüngern Gothen könige; es verschlägt
nichts, dasz sie, z. b. zur zeit des Ulfilas Alhanarich und Fridigern,
judices heiszen. im jalir 19 nach Chr. tritt Catualda, einer ihrer edlen
jünglinge in marcomannische händel verflochten auf. Bei diesen Go-
thonen musz dem Tacitus wirklich kein Zusammenhang mit den Geten
eingefallen sein, weil es zu nahe gelegen hätte, darüber etwas anzu-
merken; aber ihm vorzugsweise war der begrif und name Germaniens
1S1 von Gallien her ausgegangen und das wenige, was er über die abge-
legnen Gothonen in erfahrung brachte, ihm aus dem bericht rheini-
scher Germanen zugeflossen, während die eigentlichen Geten von der
Donauseite in Rom bekannt sein musten. man könnte auch einräu-
men, dasz diese Gothonen ein gen westen vorgerückter zweig der da-
maligen Geten waren, so wie früher die von Pylheas wahrgenommenen
Guttonen am gestade der Ostsee vorsprung gewonnen hatten: den kern
der Geten gieng das noch nichts an. Nicht anders halte ich die dem
r ,< Tacitus sogar gallisch erscheinenden Gothinen wiederum für gelische
' o ' vordringlinge, wie die [aufgewiesne nebenform Fsr^yoi hei Arrian allein
^>- auszer zweifei setzt; das keltische element mag hier bloszer irthum
^ie deutschheit der von suevischen, quadischen, hastarnischen
|qi , ' nachharn umgebnen Geten wird aber noch mehr bestärkt durch Stra-
J ' bons Versicherung s. 305, dasz das getische reich von der Römer
macht bedrängt durch germanische bundsgenossen Unterstützung em-
plieng. schon bevor sie eines gesamtnamens theilhaft waren wohnte
deutschen Stämmen dies gefiihl ihrer gemeinschaft bei, und an fremde
wäre die hilfe nicht verschwendet worden, sollten umgekehrt nicht
auch in des Maroboduus herschaft und kriege gothische d. i. getische
bundsgenossen geflochten gewesen sein? dem Domitian weigerten sich
die Quaden und Markomannen des mitzugs gegen die Daken (Dio Cass.
67, 7.) Wie, das kriegerische, an der Donau her einziehende volk
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
GETEN
127
der Deutschen hätte den auslauf des mächtigen Stroms ins meer frem-
den händen überlassen?
Trajans sieg über die Daken fällt ins j. 105 unsrer Zeitrechnung,
Eutropius 8, 6 sagt: Trajanus victa Dacia ex toto orbe romano infini-
las eo copias hominum transtulerat ad agros et urhes colendas. Dacia
enim diuturno hello Decebali viris fuit exhausta; die gelische bevölke-
rung mochte geschwächt sein, ausgerottet war sie nicht und über das
eigentliche Dacien hinaus noch weniger vertilgt, aber durch diese
römischen colonen mag sich damals die lateinische spräche festgesetzt
haben und grundlage des dort bis auf heute fortlebenden walachischen 182
idioms geworden sein*, im nordosten und nordwesten Getenlands
muste sich daneben deutsche zunge in kraft erhalten. Jul. Capitolinus
in Pio cap. 5 läszt zur zeit des Antoninus Pius, im dritten oder vier-
ten. zehnt des zweiten jh. Germanen und Daken sich empören: Ger-
manos et Dacos et multas gentes atque Judaeos rebellantes contudit
per praesides ac legatos. von da an bis zum j. 166. 167, wo Astinge,
d. h. unbestreitbare Gothen an der dakischen grenze einrücken, ist
nicht einmal ein sprung, und unbefangnem blick der Geten fortdauer
in den Gothen fast erwiesen. Wie im raum lassen sich auch in der
zeit Geten und Gothen nicht von einander reiszen: weder schwinden
jene an der stelle und in der zeit, wo diese auftreten, noch treten
diese als neulinge auf da wo und seitdem jene schwinden, es wäre
der unbegreiflichste zufall, dasz zwei gleichnamige Völker sich unmit-
telbar in derselben gegend folgen sollten, ohne etwas mit einander
gemein zu haben, das aufhören der Geten schiene kein geringeres
rälhsel** als das anheben der Gothen.
Weiter anzuschlagen für ihre identität bleibt der spätere Sprach-
gebrauch und die ausdrückliche ansicht der dichter und Schriftsteller,
welche beide Völker in namen und Ursprung gleichsetzt. Schlug man
dem Caracalla den beinamen Geticus vor, so konnte ein halb jh. nach-
her dem Marcus Aurelius Claudius schon besser gefallen Gothicus zu
heiszen (auf münzen hei Eckhel 7, 472) und nun gar Justinian zu
seinen tagen durfte blosz letzteren namen wählen, es heiszt dem 4.
5. 6. jh. und den anfängen der einheimischen geschichte allen tact
absprechen, wenn man sie hierin immerfort des irthums zeiht. In
Julians tyxw/uov eig x6v avroy.QUTOQU Kcovaruvriov (orat. 1 ed.
Spanh. p. 9.) liest man: 6 de tt\v ngbg rovg Ferag f\{iTv eiQtjvyv
naQfaxevaoet' äocpaXij, der officiclle lobredner nennt Geten, die, wenn 183
unsre gewöhnliche meinung recht hat, gar keine mehr waren. Clau-
dian, der doch die einfälle wirklicher Gothen darstellt, verleiht ihnen
beständig noch den namen Geten, während in prosa und seit die macht
der Deutschen aufsteigt, die deutsche namensform üblicher wird, aber
ganz dasselbe bezeichnet. Gar’ an der Stätte selbst, wo sie lebten,
* vgl. Massmanns libellus aurarius p. 99.
** denn mit des Aelius Catus Überführung der Geten nach Moesien wird es
so wenig gelöst als mit dem Untergang der Daken seit Trajans sieg.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
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musz sich doch eine künde von dem Zusammenhang der älteren und
jüngeren Stämme fortgepflanzt haben, den kein Zwischenraum einiger
Jahrhunderte so schnell tilgt, ich getraue mir zu wetten, dasz unser
unsterblicher Ulfdas, dem die hälfte seines thätigen lebens auf thraki-
schem, altgetischem boden, am fusze des Hämus verstrich, bei seinem
verkehr mit Griechen und Römern, ofL die volksnamen Geten und Go-
then gleichbedeutig im munde geführt haben wird. Von Ulfilas, den
er Urtilas nennt, sagt Pliilostorgius in seiner um den beginn des 5. jh.
gescliriebnen kirchengeschichte: oxi OvQcpiXuv tpyol xaxd xovxovg
xovg yqbvovg tx xtbv ntqav ’ Ioxqov 2xv&(dv , ovg ol /.ttx nülcu
Ttrag, oi dt vvv TöxSovg xaXovat, noXvv tlg cPa)f.iaitov diaßißd-
oou Xaov, dt tvotßttav tx xtox olxtiwv rj&tov tXa.&ti'xag, und bald
darauf: b xoivvv OvQtpiXag ovxog . . . tnioxonog ytiQoxovuxcu xwv
iv xfj Ttxtxfi yQioxtavt^ovxwy*. Socrates scholasticus und Sozome-
nus, die nicht lange nachher die kirchengeschichte behandeln und wie-
der auf Ulfdas zu sprechen kommen, nennen sein volk nur Foxd-ot,
wie auch Auxenlius im lateinischen bericht von Ulfdas cgens Gotho-
runf sagt, aber Orosius, Hieronymus, Augustinus verwenden die ge-
tische benennung statt der golhischen, die gothischen geschichtschrei-
ber selbst, Cassiodor, Jornandes und Procop haben nicht vergessen,
dasz beiden ausdrücken gleicher sinn beiwohnt**, und blicken mit
stolz von den Gothen weiter rückwärts auf die Geten. Ennodius (*j- 521
zu Pavia) im panegyricus diclus regi Theoderico wechselt ab mit geti—
cum robur und Gothorum nobilissimus. Umgekehrt nimmt noch spä-
ter könig Alfred, nach des Orosius Vorgang, keinen anstand Gotan zu
nennen die unbezweifelt alte Geten waren: in fiaere Lide [ic Gotan of
Sciddia mägde vid Romanarice gevin upähöfon; be eästan f»aem sind
Dalia f>;\ jie iu vaeron Gotan. Hätten sich des Dio Chrysostomus Ge-
tica erhalten, sie würden uns Zusammenhänge der Geten und Gothen
vielleicht so beweisen; dasz alle zweifei verstummten; aus ihm schöpfte
wol lornandes cap. 10 die worte: Philippus quoque pater Alexandri
magni cum Gothis amicilias copulans Medopam Gothilae (al. Medorum
Gudilae) filiam regis accepit uxorem, ul tali affmitate roboratus Mace-
donum regna firmaret. an den namen Medopa (Mtn/mi] ?) wage ich
mich ungern; der könig Gujiila klingt überaus gothisch. hatte des
lornandes quelle rdxrjXa, was er verdeutscht? va; ifotyr ß.
Ich bin fern davon dieser ansicht der späteren jahrhunderte ent-
scheidenden werth beizumessen, aber auch bereit sie mitgelten zu las-
sen, wo andere gründe reden; ebensowenig darf man sich allem un-
terwerfen , was die classiker über die läge und Verwandtschaft der
Völker des alterthums ausgesprochen haben, wie manches, was ihnen
klar war, ist uns dunkel geworden und wie manches uns klare ihnen
dunkel geblieben, es sei nur an das ausgedehnte volk der -<dovtoi
oder Lygier, das Strabo und Tacitus den Germanen beizählen, erinnert,
* Photii epitome Philostorgii H. E. 2, 5.
** vgl. meine academiscke abhandlung s. 20. 21.
3iL - U v Jik ■
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128
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GETEN
129
aus welchem heutige forscher Slaven machen wollen, oder an die das
Rheinufer bewohnenden Nemeles, worin man Kellen erblickt, niemand
wird aus Strabo folgern, dasz Skythien bis zum Rhein reiche, dem-
nach Germanien mitbegreife, wenn er einmal sagt ßna'S,v rov ‘Pijvov
xul rov Tavuidog nora/nov (s. 312); also brauchen auch seine
Ftrai o/uoyXcorroi rolg nicht nach aller strenge aufgefaszt*,
noch des Philostorgius gelische Skythen belächelt zu werden.
Nahe Verwandtschaft der Thraker und Geten scheint unleugbar, 185
dennoch bricht merkliche Verschiedenheit hervor zwischen beiden, schon
bei Ilerodot, der zu eingang des fünften buchs von den Thrakern spre-
chen will, und bereits 4, 92 ff. auf die Geten gekommen war, welche
ihm ®qi]Iymv dvÖQttoruroi xul Öixaioruroi erscheinen, und wäh-
rend er 5, 3 allen Thrakern einstimmige bräuche zuschreibt, bilden
ihm gleich die Ftrai ol u&avuri^ovrtg und einige ihrer nachharn
ausnahme von dem groszen häufen der übrigen Thraker. Strabo geht
von den Germanen und Kimbern unmittelbar auf die Geten über und
behandelt sie im dritten cap. seines siebenten buchs so unverhältnis-
mäszig ausführlich, dasz ihm von den andern Thrakern wenig zu sagen
übrig bleibt, sie ragten also auch in seinen quellen eigenthümlich vor,
und nicht anders Mela 2, 2, nachdem er angehoben hat: una gens
Thraccs habitant, aliis aliisque praediti et nominibus et moribus; qui-
dam feri sunt et ad mortem paralissimi, Gelae utique, steht gleich
bei den Geten. Unter allen Thrakern sind aber die Geten die nörd-
lichsten, d. h. sie reichen unmittelbar an die Germanen, bilden also
fast ein gesondertes volk**, von dem später, wie wir sahen, wieder
einzelne häufen über die Donau zurückgeführt wurden. Gesetzt nun,
die Thraker nehmen in der ganzen weltordnung den raum zwischen
Germanen und Griechen ein und vermitteln beide; so begriffe sich,
dasz wiederum zwischen Germanen und Thrakern die Geten in der mitte
halten, weicht doch selbst die gothische spräche von den übrigen
deutschen vielfach ab; die Verschiedenheit getischcr und germanischer
zungen könnte ein römisches ohr so getroffen haben, dasz ihm darüber 186
ihre gemeinschaft entgangen wäre? aller Wahrscheinlichkeit nach dran-
gen die meisten deutschen stamme am südlichen gestade des Ponlus
durch Kleinasien in Europa vor, ein theil von ihnen konnte in Thra-
kien haften, wenn es vielen anschein hat, dasz die falkenjagd über
* Cassius Dio 5t , 22 erzählt, wie im j. 725 (28 vor Chr.) ein kainpf zwi-
schen Daten und Sueven in Rom zur schau gegeben wurde: ad'qooi ngos ähXrt-
Mvs Jaxoi re v.ai 2!ovrjßoi tucc/toavro, und fügt hinzu eiol S oiroi fiev
Kelrol, evelvoi Se Sr] ßSxvd'cu rnoczov nva. das ist robjrov riv 'a ganz rich-
tig, als er aber tcqos r'o axqißes sprechen will folgt nur, dasz die Sueven über
dem Rhein, die Daken zu beiden seiten des lster wohnten; keltische, germani-
sche, thrakische, skvthische spräche zu sondern fiel ihm nicht ein. zweihundert
jalire vor ihm hatte Strabo die Sueven als naebbarn der Geten geschildert.
** ich weisz nicht aus welchem grund Ukert im anliang zu Skythien, nicht
bei Thrakien, das getische und dakisclie land abhandelt; aber es geschieht mit
gutem fug.
9
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
GETEN
Thrakien sich weiter nach Europa verbreitete (s. 47), brachten sie die
Thraker alsbald mit in die neue heimat? oder schon vor ihnen Ger-
manen? oder kam sie beiden nach?
Frühste künde von den Geten empfangen wir durch Herodot, der
uns ihren sitz noch auf der rechten seite der Donau im eigentlichen
Thrakien bezeichnet, üarius durchzog es auf seiner heerfahrt gegen
die Skythen im j. 513 vor Chr.; nachdem er vom Bosporus aus über
den Tearus und Artiscus vorgedrungen war, Skyrmiaden und Nipsaeer
am salmidessischen meerbusen unterhalb Apollonia und Mesembria ohne
widerstand sich ergeben hatten, stiesz er auf jene mannhaftesten und
gerechtesten, sich für unsterblich haltenden GeLen: beiwörter von ge-
wicht im munde stolzer Griechen, denen sonst alle Thraker für bar-
baren galten. Fast hundert jahre nachher (429 vor Chr.) weist den
Geten dieselbe Wohnstätte zwischen Haemus und Ister Thucydides 2,
96 an. im verfolg der zeit finden wir sie nördlicher und mächtiger.
Alexanders thrakischer krieg fällt ins j. 335, er überzog Triballer und
dann Geten, welche schon jenseits des Stroms unfern der insei Peuke
ihre sladt hatten. Strabo s. 301. Damals mag sich ein theil von
ihnen noch mehr nordwärts geworfen haben, wiewol sie das linke
Donauufer behaupteten; eine steppe oder ein Waldgebirge zwischen
Ister und Tyras hiesz seitdem rt tcov FeTtöv fgy/ui'a. Strabo s. 305.
-faYuro. aber üir reich wuchs empor und im j. 292 vor Chr. wurde der
makedonische Lysimachus von ihrem könige Dromichaetes aufs haupt
^,4^2/ geschlagen (Strabo s. 302. 305, Pausan. I. 9. 5), seitdem müssen sie
lange zeit zwischen Donau und Tyras gewalt und einllusz behauptet
haben. Ungefähr fünfzig jahre vor Chr. wurden alle Städte am linken
ufer des Pontus von Olbia bis nach Apollonia hin genommen und durch
187 sie verheert (Dio Chrysost. 1, 75); es mag unter ihrem könige Bo-
roistes geschehn sein, welchen Strabo s. 303 in des Augustus frü-
here jahre, lornandes unter Sylla setzt, im beginn unsrer Zeitrech-
nung zu Ovids tagen streiften sie in denselben landstrichen. Dio Chry-
sostomus aber reiste noch zu des Tacitus zeit durch Skylhien in das
Getenland, um ihre silten und brauche zu erfunden, während die
ihnen verbrüderten Daken mehr nach westen ihr reich unter Deeeba-
lus fortsetzten. Dies allmäliche vorrücken und lange verweilen wäh-
rend fünfhundert jahren verbürgt uns den gehalt und wachslhum eines
lebensvollen volks.
Jene ud-avuriL,ovrag und ihren golt Zalmoxis oder Gebeleizis
schildert uns Herodot schön und ausführlich; in Griechenland mochten
darüber abweichende meldungen umgehn, dasz Zalmoxis nicht für den
bloszen lehrling des Pythagoras gelten dürfe, vielmehr daemon und
golt sei, durchschaute schon der geschichtschreiber, unbefangne wer-
den die auffallende ähnlichkeit germanischer lehre und silte nicht ver-
kennen. an seines lebens ende, nachdem er drei jahre lang in einem
unterirdischen haus verblieben war und von den Geten todtgeglaubt
wurde, erschien Zalmoxis nochmals unter ihnen, das gemahnt an
Freys hügcl, worin der göttliche herscher nach seinem tode drei jahre
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
GETEN
131
r-7
62,
188
hindurch aufbewahrt und dem volk als noch lebend dargestellt wurde,
weil davon fruchtbarkeit und friede im ganzen land abhiengen. ster-
bende liesz man zu Zalmoxis gehn, entsandte sie zu Zalmoxis oder
Geheleizis; was könnte genauer übereintreffen mit dem tiefwurzelnden
deutschen und slavischen Volksglauben, dem fara lil Odins, leila Odin,
hilla Odin, soekja Odin, fadar suokian, Swatopluka hledati?* Swato-
pluk, held oder könig, führt zuruck auf einen göttlichen Swatowit,
wie Zalmoxis auf den daemon; diese analogie des mythus begegnet der
äuszerlichen berührung zwischen Geten und Sarmaten. Axivuxrjg ent-
spricht unserrn Zio und Eor, ^'Avt^iog dem Odinn und Biflindi (s. 120),
mich dünkt die oquvo'i Qgaxag y.al f.ia/aiQO(poQOi bei Thucyd. 2, 96.
7, 27, worauf ich zurückkommen werde, passen als Schwertträger zu'
Zio und zu Acinaces, nicht blosz Alanen, auch Suevi und Bojoarii
waren Marsverehrer; wie der name Zalmoxis an unser heim, das litth.
szalmas erinnere, habe ich dargethan. Gebeleizis dürfte ein Gibalaiks
oder Gibuka sein, vielleicht auch Gibaleis, da sich hei Irmino 67b
der mannsname Witleis, 38 b 42 der frauenname Bertieis, Wulfleis fin-
det, den Lillhauern war Gabjauja göllin des reichthums. wir sind
schon öfter hei den- Geten auf die Lilthauer geleitet worden, und jener
Samogeta = Guddas (s. 170) wird immer wichtiger**.
Auch die getische silte scldieszt sich an deutsche. Ilerodot 5, 5 . . u
von den nachbarn der Gelen, den thrakischen Trausen und Kresto-
naeern redend, legt ihnen Vielweiberei bei: l/ei yvvuTxag txaorog
noXXdg und erzählt dann, was ich schon s. 139 anführte, wie die
geliebteste derselben auf des marines grab getödtet wurde, allbekannt
sind die von Strabo s. 297 geretteten stellen Menanders
TCavres fisv oi 0oqr.ES, finXiora S ol Tirni x. r. X.
und yautT ynQ r,ficöv ovSe sls, co ov Sex rj x. r. X.
Tacilus hingegen preist die strenge und reinheit germanischer eben,
nec ullam morum partem magis laudaveris, nam prope soli barbarorum
singulis uxoribus conlenti sunt, exceptis admodum paucis, qui non libi—
dine sed ob nobilitatem plurimis. nupliis ambiuntur; also er kennt auch
ausnahmen. Caesar [erwähnt zweier weiber des Ariovist, Adam von
Bremen weisz der Sueonen Vielweiberei und die altn. sagen sind voll
von lieispielen: könig Hiörvardr halte vier frauen (S;em. 140), Iläraldr,
als er Bagnhild heiratete, verliesz neun andere, Alrekr hatte zwei
frauen (fornald. sög. 2, 25. 26.) Samo ein könig der Slaven: duo-
decim uxores ex gente Vinidorum habuit. Fredegar. ad a. 623. von
polygamie der edeln und freien, die oline zvveifel vorkam, haben
sagen und gescbichtschreiber zu reden keinen anlasz. Wenn sie bei
den ihm bekannten Germanen Tacilus seltner beobachtete, so bezeugt
GoJnCKM\L^
. 'Xivuh tiovvciS'
1 icrn. . aahenß*
Viole-w f
fl,V3
189
* mylliol. s. 132. 913. 1205. 1225. Ad. Schmidts zeitschr. 3, 348. 4, 544.
Schafarik s. 804. Palacky 1, 135.
** der Zufall spielt seltsam, wenn in Sn/wd'^qt die nemliche bildung ist,
ich bestehe aber nicht das abenteuer mich hier auf den samothrakischen cultus
einzulassen.
9*
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
* vgl. oben s. 18. die pellex hiesz ahd. auch ella giella kielia gella, mhd.
gelle, altn. elja, d. i. aemula, rivalin, wie ello aemulus, rival, von ellan eljau,
goth. aljan pugna, certamen, £jj2os.
** Orelli zur horazisclien stelle meint: hunc Suevorum morem ad Getas trans
tulisse videtur poeta. so auszulegen wie unerlaubt! dem Strabo sind Geten und
Sueven gerade unmittelbare nachbarn.
132
GETEN. DAKEN
das der westlichen stamme, deren ackerbau auch mehr ausgebildet
war, grüszeren fortschritt; dem hirtenleben lag Vielweiberei nah*,
man musz auch zwischen vermählter ehfrau und den kebsen unter-
scheiden, welcher es in ganz Europa das mittelaller hindurch viele
gab, ohne dasz daraus den männern vorwurf und laster erwuchs.
Kriemhilt nennt Nib. 782, 4. 789, 3. 796, 3 ihre Schwägerin cman-
nes kebse3 und will damit Siegfried nicht schelten; allen dichtem musz
freilich das Verhältnis unedel erscheinen, zumal den geistlichen. Cres-
cenlia sagt, als arme dirne (cod. pal. 361, 73°):
ouch wäre im ze sunden getän,
ob er mich zc kebese wolde hän:
ze wlbe wäre ich im ze smähe. (cod. kol. 260 ze kone.)
Menanders worte dürfen nicht einmal den Gelen zu Slrabons zeit zur
last fallen, geschweige den Germanen des Tacitus verglichen werden,
da um 320 vor Ghr. die silte freier und ausgelassener sein mochte,
wenn man überhaupt den comiker keiner Übertreibung, wie sie seinen
absichten entsprach, zeihen will, recht verstanden ist also hier nicht
Verschiedenheit, sondern einstimmung.
Diese zeigt sich weit stärker noch bei dem Zusammenhalten viel-
besprochner äuszerungen Caesars und Tac. über die ackerbestellung der
Sueven und Germanen insgemein mit dem, was iloraz von der goti-
schen meldet. Caes. 4, 1. 6, 22. Tac. Germ. 26. Hör. carm. 111.
24, 11. wie angemessen auch dem Übertritt aus dem hirtenstand in
die feldwirtschaft der jährliche ackerwechsel erscheint, war er doch
etwas unter allen übrigen Völkern so wenig wahrgenommnes, dasz man
daraus auf Stammverwandtschaft derer, die ihn beobachten, einen wahr-
scheinlichen schlusz zu ziehen berechtigt wird**.
190 Sind nunmehr in namen, läge, geschichte und brauch der Geten
erhebliche gründe dafür gefunden worden, dasz sie mit den Deutschen
wo nicht gleiches, doch verwandtes Ursprungs erscheinen, so mangelt
es nicht an andern noch weiter greifenden beslätigungen.
Vor allem rechne ich dabin das merkwürdige Verhältnis der Geten
zu den Daken, welche beide entweder völlig in einander aufgehn oder
unmittelbar zusammen stehn.
Wer mit der griechischen und römischen comoedie des Menander
und Plautus bekannt ist, weisz dasz in ihr ein Fezag oder /läog als
ständige person des olxlrrjg oder dovXog auftreten; ist es nicht wun-
derbar, dasz uns damit eins der ältesten Zeugnisse für die deutsche
geschichte erhallen wird? es waren mancipien, die der verkehr mit
Thrakien, sei es durch gefangenschaft oder kauf nach Griechenland
brachte; solche ui/jidlcoroi, ÖoqvuXcozol oder uQyvQiovrjzoi, uXcovij-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
GETEN. DAKEN
133
(] 4 OCOiH
r4
I ä
durch treue oder anstelligkeit, wie bei andern Völkern
olge, den griechischen herrn willkommen sein: sonst wä-
häufig geworden, den comikern lieferten blosz die aus-
Gerade so bezcichnete hernach waltenden Deutschen der
, Walah oder Sclav einen aus der fremde erworbnen
j ,j war also der dienende Gete; wer aber /luog, lat.
kann gar kein zweifei sein, dasz darunter ein abkömmling
akischen stamm gemeint werde, dessen Verbrüderung mit
____0 * ien aus allen nachrichten erhellt.
Das erste was hier erwogen werden musz, ist die abweichende
wortgestalt. Jüog Davus*, nach aller sprachana!o£ie, scheint nichts
als trauliche abschleifung des volleren Dacus Dacvus. wie aus golli.
magus mavi hervorgeht und neben lat. raucus (für racvus?) ravus**,
verhalten sich Dacus und Davus; die gr. spräche mit ausgestosznem 191
, ViYr fSftrin frir nnvuc nnvic
JJer gefangene liänlier.
@ct)t an’g genfter flimmet einer
Der ©efang'ncn yfeilgefd)toinD!
3u pebt Dag SBeib Sen Steinen:
iet>c Deinen iüatcr. SinDI"
UnD gum Si:-d Durrf; Sifenjiattgen
©lieft Der iWann fo bfajj uut> mit»,
Ätijjt eg latent, ob Die ©Bangen
Slueb ein Sljvänenftrom Durd)quiHt.
pat eg an Die ©ruft gerijfen,
^>ergt Dag SinD, faft möd)t’ cg fdjrei’n,
Demnach pat eg Deuten muffen
Dort Der Diube fromm uuD rein.
Dodf, aig Üebeioobl jte lagen,
©träubt fein paar fid> auf in SSButi),
©eine Sauft' an’« ©etter fdjlagen,
UnD fein Singe rollt in (iHutp.
Sieb beg ÄinDeg Slrnt' umfdgieöen
©ebeu Die QJlutter angfterfullt.
Da bat bang eg Deuten muffen
Sin Den Ä&uigstigcr milD.
31. ©tute.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
132
GETE.N. DA KEN
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das der westlichen Stämme, deren ackerbau auch mehr ausgebildet
war, grüszeren fortscliritt; dem hirtenleben lag Vielweiberei nah*.
man musz auch zwi
scheiden, welcher e
gab, ohne dasz dai
Kriemhill nennt Nil),
nes kebse’ und will
freilich das Verhältnis
centia sagt, als arme
ouch wäre in
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ze wibe wäre
ihlter ehfrau und den kebsen unter-
Europa das mittelalter hindurch viele
ännern vorwurf und laster erwuchs.
$9, 3. 796, 3 ihre Schwägerin ‘man-
ied nicht schelten; allen dichtem musz
scheinen, zumal den geistlichen. Cres-
. pal. 361, 73°):
jetän,
de hän:
mähe. (cod. kol. 260 ze kone.)
Menanders worle dürfen nicht einmal den Gelen zu Strabons zeit zur
last fallen, geschweige den Germanen des Tacitus verglichen werden,
da um 320 vor Chr. die sitte freier und ausgelassener sein mochte,
wenn man überhaupt den comiker keiner Übertreibung, wie sie seinen
absichten entsprach, zeihen will, recht verstanden ist also hier nicht
Verschiedenheit, sondern einstimmung.
gtebt ttc uns tag ®ilb ber ©efdjidjtc ber Literatur bic SMogravbie ber ©djriftfieller unb eine'
allgemeine Jtritit ihrer Seifhingen gegeben wirb, fo ift aud) it>r 3»ecf,tr
burdj wobt aenmblte SBrucbflücfe aus ben betoorragenbften ©rjeug=-
niffen eines jebetx uns ein ftares 83üb beffen ju geben, was fiel,
fdjafften, ba ber 93eftfe aller ber einjelnen @d)riften oou feinem^
Sefer anjunetpnen ift. 2lllen biefen ©rforberniffen entfpridjt obige,
Siteraturgefd^id)te »on Äletfe; forgfam ift bic 2lu3»af)l, bebutfam 1
berechnet auf ben SilbungSgang bcs weiblichen ©efdflecbts, unb allen n
©atten unb 93dtcrn gebilbeter ©taube als ein höchfl »iirbiges ©e=_
fd)enf | ür ihre Slngel)örigen ju empfehlen.
finnbilblicbcn Ü)arftellungeu
jene Süabrbcit, als aud) bas
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gegebenen Siegeln grünblich)
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für bie unb ihre Scl;rer.
®rei Söitnbc,
unäertrcnnlid), in gr. 8. auf fd)önem »eifern 3Dru<fpapicr.
ümeite oerbessrrte nnb uermtjirte Slnflage.
ffi r ft et SB an b: ©äugettjierc unb Söget. 3 roe iter SB anb: Stmp^ibicn, gifc^je,
Snfeften unb ©eieütme. ®ritter SBanb: ^iftaiijcu unb üKinetalien.
Bitfantmeit 193 SBognt »tit 350 gemalt« SlDhUiuutgeu
auf 62 dbuffertafcln.
©legant in englifchc Seimoanb gebunben.
fpretö 6 £ljlr.
(Sitte Siatiirgefdpdjte, welche bie Söifbegierbc befriebigen unb
bern ©ebäcbtnif einen bauernben ©inbruef geben foll,
bebarf fowolp einer gefdjmacfoollcn $arflcllungSwcife, als and) einer
grünblichen, ausführlichen ©djilberung, beim nte fanu ein
furger Slbrif obigen ©rforbetniffen cntfbrcchen. 97otb»enbig muffen
mit ber SluSfiibrlicbfeit unb CDcutlidjfcit bie Slbbilbnngen Jpanb in
«öattb aeben!
GETEN. DAKEN
westlichen Stämme, deren ackerbau auch mehr ausgebildet
war, gröszeren fortschritt; dem hirtenleben lag Vielweiberei nah*,
man musz auch zwischen vermählter ehfrau und den kebsen unter-
scheiden, welcher es in ganz Europa das mittelaller hindurch viele
gab, ohne dasz daraus den männern vorwurf und laster erwuchs.
Kriemhilt nennt Nib. 782, 4. 78
nes kebse’ und will damit Siegfrii
freilich das Verhältnis unedel erst
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gegebenen Siegeln grünblid)
aßiifl-avTti-iofp i’ifti>r nllf SUers
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*ten zu Strabons zeit zur
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usgelassener sein mochte,
wenn man überhaupt den comiker keiner trnertreibung, wie sie seinen
absichten entsprach, zeihen will, recht verstanden ist also hier nicht
Verschiedenheit, sondern einstimmung.
Diese zeitrt sich weit, stärker .pß<%tv.öH“i..((uni..viel—
@efd)id)tc bcr Sitcratur bic ®iograpt)ie bcr ©djriftftcllcr unb einen- jer
allgemeine Äritif ihrer Seiftungen gegeben wirb, fo ift audj> if>r 3wccf,D(r .
burd) wobt gewählte SBrudjflücfe aus ben beroorragenbfien @rgeug= S0*-1-
niffen eines geben uns ein tlareS Sßilb beffen gu geben, was fte* I1E
fdjafften, ba ber 33eftfe aller ber einzelnen Schriften oon feinemid in
Sefer angunebmen ift. Sillen biefen ©rforberniffer '•
Siteraturgefdpdfte »ott dtletfe; forgfam ift bie SU
berechnet auf ben SBilbungSgang bes weiblichen ®ef ZV* .
@atten unb 93atevn gebilbeter ©taube als ein l)ö< MsU*- c/jKxj,
fdjenf | ür ifjre 2lngef>örigen gu empfehlen. /
OCßo
<f. y. UJtfnifen,
SSoHflänbtgcö
gankud) kr iaturgi
für bie 3ugenb unb ihre £cf
Drei SBänbe,
unjertrennlicf), in gr. 8. auf fdfönem weitem !
^mcite uerhesserte nnb umntjirft Slnflag
6r(lcr SBnnb: ©äugettjierc unb Söget. 3 r» e 11 e r Sanb:
Snfetten uns ©eiuünne. ®rttterSanb: tpftcmjcn un
3«fammcit 193 Sßogcn mit 350 gemalt. 2
auf 62 dtupfcrtafcln.
©legant in eitglifd)e Seimoanb gcbunl
fpvets 6
©ine 9iaturgefd)id)te, welche bie Sßifibegicrtx
bem @ebäcf>tnip einen bauernben ©inbru
bebarf fowol;I einer gefdjmacfoollen (DarficllungSroc
gtiinblidjen, ausführlichen ©dgilbetung, betut ntc faim ein
furger Slbrifj obigen ©rforberniffen cntfpred)en. Slothwenbig muffen
mit ber Slusfii^rli^feit unb 3)cutlidjfcit bie 2lbbilbungen .£aub in
.öaub «eben!
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
rTTT.T t,t rar r t ~ :
GETEN. DAKEN
133
toi musten, durch treue oder anstelligkeit, wie bei andern Völkern
deutsches gefolgc, den griechischen Jierrn willkommen sein: sonst wä-
ren sie nicht häufig geworden, den comikern lieferten blosz die aus-
namen stof. Gerade so bezeichnete hernach wallenden Deutschen der
narae Winid, Walah oder Sclav einen aus der fremde erworbneri
knecht. Ftrag war also der dienende Gete; wer aber /luog, lat.
Davus? es kann gar kein zweifei sein, dasz darunter ein abkömmling
aus dem dakischen stamm gemeint werde, dessen Verbrüderung mit
dem getischen aus allen nachrichten erhellt.
Das erste was hier erwogen werden musz, ist die abweichende
wortgestalt. zläog Davus*, nach aller sprachanaro^ie, scheint nichts
als trauliche abschleifung des volleren Dacus Dacvus. wie aus goth.
magus mavi hervorgeht und neben lat. raucus (für racvus?) ravus**,
verhalten sich Dacus und Davus; die gr. spräche mit ausgestosznem 191
digamma, setzt /luog wie veog vavg big wop darjq für novus navis
ovis ovum levir (= devir) oder antog nwv = specus pecu. Strabo
verkennt keinen augenhlick dasz /laxog und z;läog dasselbe sind, s. 304:
yeyope de xai äXXog rr\g /cöqag fieqiOfiog ovfifiepoop ex naXaiov•
Tovg fiep ydo /hixovg nqogayoqevovoi, rovg de rerag. Frag flev
jovg nqog top FIoptov xexXtfiepovg xai 7iqog TTjp ho. /Idxovg de
Tovg eig tupuptiu nqbg Feqf.id.plap xai Tag tov ’Iotqov nrjydg,
ovg oifiai /läovg xaXeio&ai to nalutop’ d(p ov xai naqd TOig
lÄTTixoig enenbXaoe tu t iop oixstcop opofiaTU Ferai xai /hioi. tov to
yaq m&apWTeqop, 1) ano tcop ZSxvd'WP, ovg xaXovci //dag' nbqqco
yaq exeipoi neqi ti)p LYqxapiap' xai ovx eixog exei&ep xofii^eod-ai
dpdqanoda eig Ti]p iATTixrjp. sicher waren jene griechischen knechte
aus dem nahen Thrakien, nicht dem fernen Skythien geholt und für
Strabons zeit unter August europäische /laoi, asiatische /Jdai (lat.
Daci und Dahae) zu sondern. Aber früherhin, wie wir sahen, saszen
Ferai und /Jdoi südlicher in Thrakien, auf der rechten seite des
Ister, am fusze des Haemus, und Thucydides 2, 96 stellt den dama-
ligen Geten schwerttragende Thraker vom gebirg zur seite, welche an
der Rhodope, d. h. westwärts gegen den Nestus und Strymon woh-
nen: ot zlioi xulovPTui, 7, 27 heiszen ihm die nemlichen fia/aiqo-
(fbqoi: tov zhaxov yepovg, wo eine scholie hat: yqucperai tcop
zlaxixov. offenbar sind /laoi und z/foz ganz derselbe volkstamm,
was Cassius Dio 51, 22 auszer zweifei setzt: oi de enexeipa /Idxoi
/JxXi]PTai, elre di] Ferai rtveg, elre xai Qqaxeg tov /laxixov
yepovg tov ti)p cPodonr]p nore epoixrjGUPTog bpreg. die lesart zu
ändern bedarfs nicht, dioi, die göttlichen, war ein übliches beiwort
auch andrer volksnamen, so dasz griechisches ohr oder selbst llira-
kische Überlieferung leicht /IT01 und /läoi, /Idoi verwechselte. Beide
uamen Ferai und /laxoi waren den Griechen von alters her bekannt,
* aeol. /ciFos. Prise. 6, 264. Abrens dial. aeol. 35.
** beide formen zusammen stellt die plautische redensart: usque ad rau-
carn ravim.
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doch sie begriffen gewöhnlich unter ersteren auch die letzten, wäh-
rend umgedreht hernach die Römer die ihnen etwas näheren Daci für
die Getae mit verwandten, wo Ftzai Getae und z/«oz Daci unter-
192 schieden werden, liegen früher wie später jene immer nordöstlich,
diese südwestlich, beide aber rücken in den nordwesten vor.
Da wir in Geten Gothen erkennen, darf der frage nicht ausge-
wichen werden, wie die spur der Daken zu verfolgen sei? und eine
darauf bereit liegende anlwTort wäre nicht so lang ausgeblieben, wenn
unsre hisloriker und geographen sich herabgelassen hätten die einfach-
sten und natürlichsten nachrichten zu verknüpfen, unmittelbare fort-
setzurig der Daken 'sind die Dänen, wohlzuverstehn nicht gerade der
zuletzt von Trajan besiegten Donaudaken, sondern ein in unvordenkli-
cher zeit gegen nordwesten vorgedrungner zweig desselben Stamms,
wie Gothen in gleicher richtung ausrückend die ostsee erreichten, als
noch der hauptstamm ihres volks dahinten weilte.
Leicht fällt es die Übergänge der namensform aufzudecken, ich
habe vorausgeschickt, dasz dem lat. Daci ein deutsches Dagai oder
Dagös entspreche, hierfür zeugt Isidor unmittelbar orig. 9, 2: Daci
autem Gothorum soboles fuerunt, et dictos pulant Dacos quasi üagos,
quia de Gothorum slirpe creati sunt, des namens wurzel ist dags —
dies, welches lat. wort aus vollerem dacies entsprungen scheint, wie
nahe liegt der hegrif der leuchtenden lichten dem der göttlichen z1toi.
Durch ahleitung tritt nun N hinzu: aus Daci wird Dacini, wie aus Ge-
tae Gothi Getini Gothini, Dacini aber kürzt sich in Dani, wie picinus
in pinus (decenarius in denarius, was dem septenarius analog ist, deceni
in deni, secenarius oder sexenarius in senarius, seceni in seni*), oder
will man aus Davus Davini bilden, welches sich leicht in Dani wan-
delt, wie noveni in noni? Die lat. spräche zieht langen vocal vor in
Davus Danus pinus nonus, doch organische kürze haftet in Daha wie
in magis neben majus, das aus magius gekürzt ist. unsere spräche
wahrt die kürzen besser: altn. Danir, ahd. Teni; sollte nicht altn. man
193 virgo, serva erwachsen sein aus adjectivischem magvin magin mavin?
kein beispiel wäre treffender für Danr Danus aus Dacuinus , Dacinus.
Diese etymologie empfängt ein gepräge voller Wahrheit dadurch,
dasz bei lateinischen Schriftstellern des mittelalters Dacus für Danus,
Dacia für Dania gebraucht wird (acad. abhandl. s. 41. 42), ja dadurch
dasz den Russen noch heute der Däne Datschanin, den Lappen Dazh
oder Tazh heiszt. zu den äuszersten Slaven und Lappen war der name
nicht aus Deutschland her, sondern unmittelbar vorn gestade des schwar-
zen meers gelangt, wie uns der Litlhauer Guddas bewahrt, haben
uns diese Völker Dazh = Dacus aufbehalten.
Über die bevölkerung Dänmarks und den dänischen stamm werde
ich mich näher äuszern, wann die scandinavische spräche abgehandelt
* Die Engländer erweichen ags. pegen in thane, lat. decanus in dean, franz.
doyen, ir. deacanach. taken wird in den schottischen Volksliedern häufig zu
taen, tane.
GETEN. DAKEN
134
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’—
A A A
DAKEN
135
werden soll. Hier sei blosz der überraschenden einstimraung erwähnt,
dasz im plolemaeischen Scandia neben einander Gutae und Dauciones,
Jahrhunderte lang nachher im angelsächsischen Beovulfliede Geälas und
Dene verbrüdert auflreten, wie in der getiscben geschichte von uralter
zeit an Geten und Daken. jenes gedieht kennt auch Gifdas, was wie-
derum die den Gothen stammverwandten Gepidae sind, welche noch
unter Justinian im Daeien der Donaugegend hausen; was in unsrer
Heldensage die grundlage bildet, mag von Gelen Daken Gepiden der
alten geschichte wirklich nicht fern stehn, wenn irgendwo geschichte,
sage und geographie des alterthums Zusammentreffen, so ist es in die-
sem Verhältnis der Geten und Daken.
Es wird mir aus mehr als einer Ursache glaublich, dasz der da-
kische königsnaine /lv/.tßakoq eigentliches appellaliv war und nichts
anders als einen Daken, vielleicht des edelsten königlichen geschlechts
bezeichnetc
nachbarn,
Strabo p.
men sein
den Trihoc
s. 80) un
gen schrie
volksnamei
mannsnam
und Ainni
dasz Eutn
janus), prv
Unlto
c.
vnrpv«i der Geten thrakische
;yd. 2, 96. 4, 101.
licht anders zu neh-
y./oi Slraho p. 193,
und Thrimilci (oben
s kurzen vocals we- 194
iem ich unser fal im
noch heule auch als
dasz bei Mamertinus
’haiphali auftreten, ja
o victo subegit (Tra-
ris,.quos nunc Tliai-
phali habent et \TictopIiaTi"^FTlicf üiTTgr:—Tnr'vTerlen jh. finden wir uns
hier ganz unter Deutschen und Eutrop ahnte nicht der namen gleich-
beit, die er neben einander stellte: Thai Tai in Thaifalus ist genau
wie zluog Davus für Dacus, aus Deccbalus also geworden Taifalus,
aus getischer form die gothische, alamannische. der dakische name
z/njyig bei Dio Gass. 67, 7 enthält eine analoge erweichung von Dacus.
Deccbalus soll uns aber auch einen sagenhaften anklang gewäh-
ren. Dio 68, 14 erzählt, dasz im zweiten kriege gegen Trajan der
könig seinen hört unter dem lluszbelt der Sargelia barg, Iornandes
aber cap. 30, dasz (im j. 409) Westgolhen die leichc ihres.geliebten
Alarichs, als den köstlichsten schätz unter einem abgeleiteten flusz
bestatteten und nachher die lebendige Hut wieder darüber führen: quem
nimia dilectione lugenles Barentinum amnem juxta Consentinam civita—
tem de alveo suo derivant. hujus ergo in medio alveo collecto capti-
vorum agmine sepulturae locum effodiunt, in cujus foveae gremio Ala-
ricum cum multis opibus obruunt, rursusque aquas in suum alveum
reducenles, ne a quoquam quandoque locus agnosceretur, fossores om-
nes intcremcrunt*, gerade wie Ilagen den Nibelungehort in den Rhein
versenkt hatte, Nib. 2308, 3:
* mox vehiculum et vestes, et si credere velis numen ipsum secreto lacu
abluitur. servi ininistrant, quos statim idem lacus haurit. arcanus liinc terror
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GETEN. DAKEN
doch sie begriffen gewöhnlich unter ersteren auch die letzten, wäh-
rend umgedreht hernach die Römer die ihnen etwas näheren Daci für
die Getae mit verwandten, wo Fixai Getae und /luoi Daci unter-
192 schieden werden, liegen früher wie später jene immer nordöstlich,
diese südwestlich, beide aber rücken in den nordwesten vor.
Da wir in Geten Gothen erkennen, darf der frage nicht ausge-
wichen werden, wie die spur der Daken zu verfolgen sei? und eine
darauf bereit liegende anlwort wäre nicht so lang ausgeblieben, wenn
unsre hisloriker und geographen sich herabgelassen hätten die einfach-
sten und natürlichsten nachrichten zu verknüpfen, unmittelbare fort-
setzung der Daken* 'sind die Dänen, wohlzuverstehn nicht gerade der
zuletzt von Trajan besiegten Donaudaken, sondern ein in unvordenkli-
cher zeit gegen nordwesten vorgedrungner zweig desselben Stamms,
wie Gothen in ' ' —dir« oslsce erreichten, als
noch der haupti
Leicht fäll fzudecken. ich
habe vorausges lies Dagai oder
Dagös entsprecl rig. 9, 2: Daci
autem Gothorur :os quasi Dagos,
quia de Golhor lrzel ist dags —
dies, welches 1 en scheint, wie
nahe hegt der göttlichen Z/ioi.
Durch ableitunj , :ini, wie aus Ge-
tae Gothi Getir ani, wie picinus
in pinus (decenanuo k. analog ist, deceni
in deni, secenarius oder sexenarius in senanus, seceni in seni*), oder
will man aus Davus Davini bilden, welches sieb leicht in Dani wan-
delt, wie noveni in noni? Die lat. spräche zieht langen vocal vor in
Davus Danus pinus nonus, doch organische kürze haftet in Daha wie
in magis neben majus, das aus magius gekürzt ist. unsere spräche
wahrt die kürzen besser: altn. Danir, ahd. Teni; sollte nicht altn. man
193 virgo, serva erwachsen sein aus adjectivischem magvin magin mavin?
kein beispiel wäre treffender für Danr Danus aus Dacuinus, Daemus.
Diese etymologie empfängt ein gepräge voller Wahrheit dadurch,
dasz bei lateinischen Schriftstellern des mittelallers Dacus für Danus,
Dacia für Dania gebraucht wird (acad. abhandl. s. 41. 42), ja dadurch
dasz den Russen noch heute der Däne Datschanin, den Lappen Dazh
oder Tazh heiszt. zu den äuszersten Slaven und Lappen war der name
nicht aus Deutschland her, sondern unmittelbar vom gestade des schwar-
zen meers gelangt, wie uns der Lilthauer Giuldas bewahrt, haben
uns diese Völker Dazh = Dacus aufbehalten.
Über die bevölkerung Dänmarks und den dänischen stamm werde
ich mich näher äuszern, wann die scandinavische spräche abgehandelt
* Die Engländer erweichen ags. pegen in thane, lat. decanus in dean, franz.
doyen, ir. deacanach. taken wird in den schottischen Volksliedern häufig zu
taen, tane.
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DÄKEN
werden soll. Hier sei blosz der überraschenden einstimmung erwähnt,
dasz im plolemaeischen Scandia neben einander Gulae und Dauciones,
Jahrhunderte lang nachher im angelsächsischen Beovulfliede Geälas und
Dene verbrüdert auftreten, wie in der getischen geschichte von uralter
zeit an Geten und Daken. jenes gedieht kennt auch Gifdas, was wie-
derum die den Gothen stammverwandten Gepidae sind, welche noch
unter Justinian im Dacien der Donaugegend hausen; was in unsrer
heldensage die grundlage bildet, mag von Geten Daken Gepiden der
alten geschichte wirklich nicht fern stehn, wenn irgendwo geschichte,
sage und geographie des alterthums Zusammentreffen, so ist es in die-
sem Verhältnis der Geten und Daken.
Es wird mir aus mehr als einer Ursache glaublich, dasz der da-
kische königsname /JextßaXog eigentliches appellaliv war und nichts
anders als einen Daken, vielleicht des edelsten königlichen geschleclits
bezeichnete. zu ßuXog aber halte ich vorerst der Geten thrakische
nachbarn, die TqißuXXoi bei Herod. 4, 49. Thucyd. 2, 96. 4, 101.
Strabo p. 317, in welchem namen die dreizahl nicht anders zu neh-
men sein wird, als bei den germanischen T^tßox/oi Strabo p. 193,
den Triboci des Tacitus, oder im ags. Thrilidi und Thrimilci (oben
s. 80) und in vielen örtlichen benennungen. des kurzen vocals we- 194
gen schrieben die Griechen ßuXXog für ßuXog, dem ich unser fal im
volksnamen Westfal Westfalah vergleiche, welcher noch heute auch als
mannsname vorkommt. Nun gewinnt bedeulung, dasz bei Mamerlinus
und Ammianus an der Donau gothische Taifali, Thaiphali auftreten, ja
dasz Eutropius geradezu meldet: Daciam Decebalo victo subegit (Tra-
janus), provincia Irans Danubium facta in his agris,.quos nunc Thai-
phali habent et Victophali et Theruingi. im vierten jh. finden wir uns
hier ganz unter Deutschen und Eutrop ahnte nicht der namen gleich-
beit, die er neben einander stellte: Thai Tai in Thaifalus ist genau
wie zlaog Davus für Dacus, aus Decebalus also geworden Taifalus,
aus getischer form die gothische, alamannische. der dakische name
/hfjyig bei Dio Cass. 67, 7 enthält eine analoge erweichung von Dacus.
Decebalus soll uns aber auch einen sagenhaften anklang gewäh-
ren. Dio 68, 14 erzählt, dasz im zweiten kriege gegen Trajan der
könig seinen hört unter dem fluszbelt der Sargetia barg, Ioruandes
aber cap. 30, dasz (im j. 409) Westgolhen die leiche ihres.geliebten
Alarichs, als den köstlichsten schätz unter einem abgeleiteten flusz
bestatteten und nachher die lebendige Hut wieder darüber führen: quem
nimia dilectione lugentes Barentinum amnem juxta Consentinam civita-
tem de alveo suo derivant. hujus ergo in medio alveo collecto capti-
vorum agmine sepulturae locum ellbdiunl, in cujus foveae gremio Ala-
ricum cum multis opibus obruunt, rursusque aquas in suum alveum
reduccntes, ne a quoquam quandoque locus agnosceretur, fossores om-
nes interemerunt*, gerade wie Hagen den Nibelungehort in den Rhein
versenkt hatte, Nib. 2308, 3:
* mox vehiculum et vestes, et si credere velis numen ipsum secreto lacu
abluitur. sevvi ministrant, quos statim idem lacus haurit. arcanus liinc terror
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THRAKER
den schätz weiz nu nieman wan got unde min.
Was getische war, zeigt sich als gothische, urdeutsche silte.
195 Jene thrakisehen Triballer gemalmten auch an deutsche Völker,
es steht noch eigen um Thrakien und selbst um seinen namen.
ist gleich 0p?/t£ Ogufg, das fern. Qq^ggu Qquogu Gyazzu
für Gprfioou Gquiogu (wie avdg avaoou, Öquogco,
(fQioGto) und jener S-Quaxtag (s. 176)* läszt ein volleres QqÜgi'S, vor-
aussetzen, wozu d-gaavg litth. drasus audax, d-Quoog audacia ge-
hörte. da nun vor L und R die linguallaute oft der Verschiebung ent-
gehn, fiele das golh. |)rasabal[)ei Streitkühnheit, altn. |)rd contumacia,
Jn'äsa [>rätta rixari, litigare, schwed. träta, dän. trätte in den vergleich,
und die alten eigennamen Thrasamunt**, Thrasaberht machten 'sich
geltend. Oder bleiben im namen Qguxr] noch andere Übergänge des
K in linguallaute zu erforschen? die alts. spräche kennt ein thrak
threki robur, ags. [rnäc, altn. fjrekr, welche dem hd. dialect mangeln.
Wie nun die Griechen des Ares sitz in thrakische berge legen, wohnt
der nordische Thorr in Thrudheim (Stern. 40b), Snorris form Ali zur
edda erklärt aber Thrudheim ausdrücklich für Thrakien. [mtdr, ags.
jiryd bedeutet gleich jenem ftrekr nochmals robur, Thorr heiszt {irü-
dugr Ass deus fortis Saem. 72 b, sein hammer jiriidhamarr, seine mit
VaVVYu-tAVw Sif erzeugte tochter Thrüdr, [»riklr ist appellativ für virgo, virago, und
/ heilige frauen unsers alterthums führen häufig den namen Drüd (my-
V J thol. s. 394); wie wenn ftrüd aus [»ruht hervorgienge und sich mit
jrnek berührte? Snorri *** erzählt aber folgendes: Thorr ward in Thra-
kien bei einem manne namens Loricus auferzogen; zehn jahre alt legte
er seines vaters wallen an, vierzehn jahre alt halte er volle stärke
und vermochte zehn härenhäute auf einmal von der erde aufzuheben;
dann erschlug er jenen Loricus samt dessen frau Lora oder Glora und
196 eignete sich ganz Thrakien zu, welches die Nordländer Trüdheim nen-
nen. In dieser bisher verachteten sage scheint mir einiges so merk-
dasz ich ihr wol alten grund Zutrauen mag, und die Geten
und Daken haben uns gelehrt in dem Norden Zusammenhang mit Thra-
kien zu finden; warum sollten die Gothen und Dänen nicht getische
und dakische Überlieferung lange zeit unter sich fortgeptlanzt haben?
Thorr ist Odins sohn und seinem vater in vielem gleich; dasz das
starke kind zehn bärenhäute aufhebt scheint sagenhafte Veränderung
des thrakisehen mythus von Zalmoxis, der in die härenhaut gewindelt
auA Sollt au. sanctaque ignorantia. Tac. Germ. 40. ebenso tüdtet Ketilbiöm seinen kneclit
und seine magd Bot, die ihm geholfen hatten seinen schätz zu bergen,
p .. Landnämabök 5, 12. ^6* mixaYenr4t>bf<>».Ä'iotXeJiA-r»
I J' * auch in d'Qrjoxos fromm, das Plutarch aus 0(>fj§ und dem orphischen
SttaUa.cfcot*'* cultus leitet, das
** dnneben Transamunt, was zum altn. J»räsa stimmt, nicht zum goth.
CY<?> r [ras.
• Y) *** oder ein andrer Verfasser oder interpolator dieser Vorrede, dem werth’der
‘ J Überlieferung, wenn sie nur eine solche war, benimmt es nichts, wer sie zuerst
berichtete.
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GETEN 137
wird* und davon heiszt, wie Thorr den bemamen Biörn führt und wie
der nordische könig der thierfabel altvater, groszvater genennt wird.
Mit Sif zeugt Thorr, auszer jener Thrüd, einen ihm gleichen sohn
Loride, von welchem Henride, Vinge|)örr, Vingner, Modi, Magi ah-
slannnen: die genealogie verwirrt sich zusehends , denn aus der edda
weisz man, dasz Hlörridi und Vingftörr Thors eigne namen, Modi und
Magni (der starke) unmittelbar seine söhne sind (mylliol. s. 170. 172),
IUörridi aber scheint sich zu vergleichen mit Loricus, Lora oder Glora.
anderwärts (skäldskaparmäl 101) heis^ Thorr föslri Vingnis ok Hlöru, w6■ *3 A-rpy
des Vingnir und der Illöra zögling, was den Loricus wiederum besei- ^
tigt. diese dunkelheit im mythus von Thorr ist recht empfindlich, da
sie vollständig und in reiner gestalt den wichtigsten aufschlusz gewäh-
ren, und die altnordische sage, so dasz alle zweifei schwänden, an
getische oder thrakische festkniipfen könnte. Ich stemple die Thra-
ker nicht zu Deutschen, sondern suche nachzuweisen, wie sich, durch
Vermittlung der Goten, zwischen Thrakern und Germanen nähere berüh-
rung annehmen läszt, als man bisher einräumte.
Hier werden wenige noch in meine fuszstapfen treten wollen, die
neuere critik hält ein misgünstiges äuge über allem was ihre gewöhn- 197
ten kreise stört, in welchen sie das meiste längst geordnet zu haben
wähnt, man sollte es aber dem Iornandes dank wissen, dasz er un-
schuldig einen Sprachgebrauch wahrte, der unmittelbar auf die sache
leitend den blick in ein tieferes alterlhum unseres volks offen liesz,
als wir es aus den nachrichten bei Caesar und Tacitus ahnen. Dions
Chrysostomus verlornes werk hätte den schieier höher gelüftet, dür-
fen aber Gelen und Daken für uns Deutschen verwandt, gelten, so
werden unschätzbare meldungen bei Herodot, Thucydides, Strabo und
Cassius Dio in anderes licht treten und dem bisher fast bedeutungs-
losen Thrakien in der geschickte eine lebendigere stelle sichern.
Es ist bei diesen forschungcn das gröszte Hindernis, dasz von
thrakischer und getischer zunge keine denkmäler vorrälhig sind, die
mit einemmal zahllose -bedenken niederschlagen würden, wie günstig
vorgesorgt war durch Ovids Verbannung in das ihm verleidete Tomi,
mitten auf dem für unsere absiebten ergiebigsten bodenl** getische
und sarmatische laute verstand sein olir zu unterscheiden und er ver-
sichert selbst ein gotisches gedieht verfaszt zu haben, das freilich rö-
mische abschreiber wenig anziehen mochte, in einem drama hätte sich j
getische zwischenrede eines Geta oder Davus leichter bewahrt, und
des Hanno punischer monolog im Poenulus ein trefliches gegenstück
erhalten.
Nichts als eigennamen sind uns aufbehalten, deren deulung, wenn !
die lebendige sprachkunde abgeht, mit den grüszlen Schwierigkeiten
* darf hierher gezogen werden, dasz es fiir unchristlich und heidnisch galt,
sich in bärenhaut zu hüllen? mythol. s. 970 vgl. KM. n° 85 und Biarnhedinn d
mythol. s. 1232. ||
** die Russen mit ihrem Ovidiopol haben nicht die rechte alte stelle gelrof- j
fen. Kohls Siidruszland 1, 168. ;
* der an den Aißrjs oder Aißvs rcöv Xäxriov leosvg bei Strabo s. 292
gemahnt.
** bei Procop de b. pers. 1, 8 merkwürdig Xße'aae f. Beoaas.
*** bessica ortus progenie. Iornand. de regn. succ. p. m. 58.
GETEN
zu ringen hat, weil solche Wörter an sieh schon anomal beschaffen,
fremdem einllusz und vielfacher entstellung ausgesetzt sind, da heim
ersten wurf meines Versuchs nur wenige dieser namen beachtet wer-
den konnten, so will ich versäumtes nachholen, mich aber nicht an-
heischig machen alle und jede thrakischen oder getischen Wörter vor-
zubringen und deutsch oder lilthauisch auszulegen, der natur der sache
198 nach kann dies deuten nur selten anspruch auf Sicherheit haben und
musz sich in den meisten fällen mit dürrer Wahrscheinlichkeit be-
gnitgen. •
üc)tv ajui braA Herodot 5, 3-, 4 nennt Pirat und Tquvgoi zusammen, welcher
Uitii |pro-f name deutsch klingt, wenn man gr. TU auf goth. DR in driusan draus
drusun zugibt, lilth. bedeutet traiszus traszkus ganz anderes, pinguis.
über die den Trausen beigesellten Kyrjoriovaiot will ich nachher et-
was vermuten.
Auch die oft genannten Bessi scheinen den Gelen nah zu stehn,
hei Iler. 7, 111 Brjoooi, mit der wichtigen angabe: ridv ^argtcov eial
oi 7iQO(pi]TevouTeg rov iqov, docli über diese ^urgai wage ich noch
nichts zu rathen; das nQocprjreveiv musz freilich auf altthrakischen
orphischen dienst bezogen werden, von welchem die Griechen manche
nachricht hatten. Noch später, als sich die Römer mit den Thrakern
feindlich berührten, galten die Bi]oaoi für Dionysos Verehrer und bei
Cassius Dio 51, 25 und 34j wird ein OvoXoyaioog O^ag Brjoaog,
teyevg* rov no.Q^ avrolg /hovvoov namhaft gemacht, wahrschein-
lich hängen damit die (s. 140 angeführten) sacerdotes pii (d-Qrjoxoi?)
zusammen. Strabo schreibt Beoöoi. In diesem cullus liegen ßessen
den Odrysen näher, während die vorhin genannten zlioi des Thucy-
dides sich an die Daken schlieszen, wie auch Ovidius Bessi Getaeque,
Bessos Getasque (Trist. III. 10, 5. IV. 1,67) knüpft; selbst in jüngerer
zeit finden wir bei Procop de b. goth. 1, 16 einen Gothen Bessas in
Belisars dienst, und es heiszt: 6 di Biaoag ovrog For&og fiiv ijv
yivog rwv ix nakaiov iv &qi/.xi] coxrjf.ieviov, Qevdtotyio re ovx
iniOTio/tepiov, i-vixa ivßevde ig ‘IiuXU/.v inriye rov rörxhvv Xtcov. **
zu Theoderichs tagen, der im j. 488 aus allgothischer beimat nach
Italien zog, blieben stamme in Thrakien zurück, von welchen Bessa
entsprosz, sicher ein abkömmling jener allen den Gelen verbrüderten
199Bessern selbst Leo, der 457 den kaiserstul einnahm, war hessischer
herkunft. *** Baza, beiname des in Jornandes eigner genealogie auf-
geführten Gunthigis, scheint dasselbe und wiese dann die jüngere goth.
gestalt des namens: altn. bedeuten bassi und bessi einen hären (Sn.
179. 221.) warum sollte nicht der zu Alexanders des groszen zeit
in Persien auflrelende ßessus gleichnamig sein? von diesen alten Bes-
sen oder Bassen her könnte der eigenname Bassus frühen einga'ng in
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
Rom gefunden haben: Aelius Bassus natione Bessus findet sich auf
einer alten inschrift.
Bekanntlich hiesz die Donau für den letzten tlieil ihres laufs, von
Axiopolis in Moesien an, Ister, und lornandes cap. 12 überliefert: in
lingua Bessorum Hisler vocatur. ich habe gewiesen, dasz altn. istr,
istra adeps, arvina, schwed. dä'n. ister pinguedo bedeuten, was sich
für den fetten befruchtenden ström eignete; aber das wort scheint zu-
gleich dem gr. axtaQ axtuxog verwandt, man vgl. den begrif von
arvina oder obilije (s. 63.)
Caesar 6, 25 läszt die hercynia silva sich der Donau entlang er-
strecken ad fines Dacorum et Anartium, diese Anartes müssen also
gleich den Daken nachbarn der Germanen gewesen sein, und auch
Ptolemaeus 3, 8 zählt unter den bewohnern Dakiens zu allererst die
^AvaQxoi auf. nach dem ahd. einherti constans jhesze sich ein goth. I Gv.47 lo2.3
ainhardus mutmaszen, und da im altn. einardr audax das H wegfällt,
dürfte es auch in Anartes mangeln, es wären gothisch ausgedrückt
Ainhardjai. wie aber die von Ptolemaeus 3, 5 an den Weichselquellen
aufgefiihrten yivuQxocpQaxxoi zu deuten? ist (pQaxxog das altsl. brüht,
ahd. präht allatus?
Daselbst hat Ptolemaeus auch Koiozoßcoxot, die bei Cassius Dio
71, 12 Kooxovßiuxoi heiszen und im j. 174 nach Chr. von den goth.
Astingen verdrängt wurden, bei Capilolinus c. 22 stehn Roxolani
Baslarnae Alani Peucini Costohoci zusammen und die Peucini sind alte
Geten, Plinius 6, 7 nennt Costohoci an der Maeolis rückwärts. Kost I
Koist vergleicht sich dem goth. hauhist, ahd. höhist liöst, boci dem 200 9-Oq ^
zweiten tlieil der germanischen Triboci; eine auffallend ähnliche zu- J
sammensetzung erscheint in dein angeblich keltischen nainen Tolisloboji.
Aber auch die dakischen Kavy.oijpoioi klingen hier noch mehr an
die germanischen Chauci an, deren namen zu hauhs excelsus wie zu
ahd. houc, altn. haugr tumulus gehören kann, der noch bei andern
dakischen Völkern begegnende ausgang -ens gleicht zwar dem lat.
-ensis, aber auch dem ahd. -anso gramm. 2, 345; bei dem nainen
selbst kommt noch anderes getische in betracht. Slrabo s. 298 nennt
einen heiligen berg der Gelen Kcoyaiwuov, dessen vielleicht Stalius °
gedenkt, wenn er silv. III. 3, 168 dem Germanicus zuruft:
haec est, quae victis parcentia foedera Cattis,
quaeque suum Dacis donat clementia montem;
will man ihn wiederfmden im caucalandensis locus, altiludine silvarum
et montium inaccessus bei Ammian 31, 5, wohin noch im jahr 376
Athanaricus flüchtete; so wäre im alten eullus der Geten eine heilige
statte nachgewiesen, die jahrhunderte lang nöfik unter entschiednen
Gothen behauptet wurde.*
Eine der merkwürdigsten angaben begegnet bei Plinius 4, 11;
unter den zwischen llaemus und Donau wohnhaften thrakischen völ-
* Schafarik s. 395 findet Caucaland, ich weisz nicht ob auch Cogaeonum im
siebenbiirgischcn kiikiillö.
CLf
Gt4{irr*flLoM,
1034.
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140 GETEN
? Dacae
kern nennt er in einem athem Moesi, Getae, Aorsi, Gaudae Clariaeque.
Getae und Gaudae nebeneinander! sind das nicht mit voller lautver-
schiebung in golhisclier spräche Gu[)ai und Gautai? doch die unge-
meine Wichtigkeit dieser meldung kann erst in gehöriges licht gesetzt
werden, wann ich von dem namen der Gothen und einer Verschieden-
heit golhisclier stännne handle, die sich bis auf späte Zeiten forter-
halten hat. eben dadurch wird sich die deutsehheit beider Völker
fast unweigerlich ergeben.
Die Aorsi sind jetzt ein räthsel; wie sie hier neben Geten an
201 der Donau genannt werden, tauchen sie bei Tacitus ann. 12, 15—20
am Bosporus, bei Strabo 11 p. 506 am Tanais, bei Ptolemaeus in
Sarmatien auf. ihr name hat ganz deutschen klang (vgl. goth. airzis,
vairs, |iaursis, alul. hirsi, altn. hiarsi.) Strabo stellt ''Aoqgol und
JZigaxeg, wie Tacitus Aorsi und Siraci nebeneinander, und die ~<qu-
xrjvri soll zwischen der Maeotis und dem kaspischen meer liegen.
Noch ziehen bei Plinius die thrakischen Priantae und Sithonii an.
Priantae wären buchstäblich gothische frijöiuls amici und die Sithonii
dürfen zu den Sithonen bei Tacitus, ihrem namen nach, gehalten werden.
Ich gehe nicht auf erklärung aller thrakischen völkernamen aus,
uneinverstanden mit Melas cThracum una gens\ und lasse bei seite
liegen was auszerhalb meines gesichtspuncts fällt. Gesetzt aber unter
den thrakischen lägen alle gotischen, unentstellt und sicher, vor uns
und es herschte kein zweifei mehr über der Geten und Gothen iden-
tität; so würden dennoch viele dieser uralten Wörter aus dem gothi-
schen und später deutschen standpunct der spräche nicht weniger dun-
kel bleiben, als die überlieferten namen entschieden germanischer Völ-
ker. zwischen die yiovtovg und 2t(.ivwvag setzt Strabo s. 290 /Cov-
lovg, Bovrovag, MovyiXwvag und Sißivovg in den germanischen
nordosten, sonst unerhörte und fast undeutsch klingende namen, die
man durch gewaltsame und unerlaubte verändrung der lesart gerecht
zu machen pflegt; man lasse sie unversehrt, vielleicht dasz sie einmal
besserer einsicht klar werden. * wer hat uns schon im chattischen
Libys bei Strabo, im volksnamen Usipctes bei Caesar, Usipi bei Tacitus
die rechte deutsche wurzel aufgezeigt? wie viel räthselhafte deutsche
namen schlieszt noch die gcographie des Ptolemaeus ein?
Auch von den königsnamen sollen hier einige nicht übergangen
202 werden, auszer Zalmoxis ist schon Oecebalus gedeutet worden, /tqo-
/Lu/atryg wäre gothiscli geschrieben Trumahaitja, obgleich ich trums
firmus erst aus ags. triun oder fmn. tyrmiä entnehme, mit dem zwei-
ten thcil vergleichen liesze sich altn. hetja heros. BoiQtßiarug im
ausgang gemahnt an Ariovistus, doch der erste theil bleibe noch un-
versucht. Dio 51, 26 nennt drei gotische könige cPioXi]g, zJunvg,
ZvQu^og, zu deren letzterem fast jener volksname Sigaxeg stimmt.
* merkwürdig, dasz Tac. Germ. 43 für Gotliini die lesart Bothini vorkommt
und in der genealogie des cod. vaticanus neben gothischen Völkern Butes als
abkömmlinge des Ermenius (mythol. Stammtafeln s. XXVII. Haupts zeitsclir. 1, 562.)
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
DAKEN
141
Roles aber scheint mir sicher der bei Justinus 32, 3 genannte daki— ?
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$lad)tid)ten
Don ber ©. 31, Unioerfität uttb ber Röntgt
©efeüfdjaft bet* SBiffenfdjaften Böttingen.
ni 12.
M 9.
1861.
Unioerfität.
äitt oierten 3funtu8 beging bie Unioerfität in
ferfömmlid)er Söeife öa£ $eft ber öffentlichen ^reis=
brtfjeilung. ^Srofeffor Dr. (Snrtiuö hielt bie $eft*
, Sr fnüpfte an §erobot 4, 92 an, m bas
1 ber ©eten ab „ baS an bie Unfterblidjfeit
flaubenbeäjaräfterifirt toirb; bie nationale Söebeu*
I, welche ber gried)tfcf)e ©efrf)id)tfTreiber biefent
«ben beimifjt, führte ju ber $rage, ioie bie
©riechen fidj ju ihm oerhalten hätten. _ ©S erfdjeint
tiefer ©laube, ben mir ab ein gemeinfames ©rb=
tbeit ber oermanbten SSölfer anfehen fönnett, bei ben
homerifdjen ©riechen am meiften oerbunfelt; barum
fnb aber bie Slnfidjten £efiobS nicht etloa ab jün*
ger ju betrachten, fonbern unoerfennbar liegt auch
bei ben ©rieefjen ben UnfterblidffeitSljoffnungcn eine
unöorbenfliche Ueberliefernng ju ©runbe, loelche fich
ä ein oolf^thümlicher 33efi| in ber ben Söerftor*
beiten erioiefenen (Shrer^teturtg nachmeifen läjjt. £)eu
3ufammenhang, tueltfjer oott ©eiten beS ©taats
uttb ber Familie mit ben SSerftorbenen unterhalten
tnirb, [efct oorauS, bah biefe ab Öebenbe gebacht
mürben, mtb biefer ©ebanfe bezeugt fich auch io ber
bilbenbert ®unft mie in ber ^oefie ber ©riechen ab
ein ungemein fruchtbarer uttb bebeutfamer. £)aS
lebhafte Sebürfnih nach fidjereren JBürgfdjaften über
baö Öeben ttatf) bem £obe rief aber neben ber öf*
ans dessen krieo- mit den Bastarnen dort ein hüb- lßVA*fLL'JS
l.tth. errelis, letl. ehr- Fat>aß
igsweise zum heldenna- 1
e aphaeresis des vocals
uch unsere alte spräche
ein Aral, Arol gegolten
vischer und litthauischcr
wobei der griechische
e, gleicht der ausgang
ich nicht rathen. jener
)oyuioog ähnlich, wel-
tche anzueignen recht
i»£7t« z/txtßu’kov l'/MV,
en und neben den ahd.
en.
sich ihnen zumeist die
tickt haben kann, die
mer namensform Davus
i die ersten tlieile der
lava, Singidava ? Zuq-
dtet Avie das gr.
= goth. Sarmaizö Sur-
en damaligen bund zwi-
eutingersche tafel gibt
meine Vermutung slich 203
mn Ammian 27, 4 und
Iscudama, das spätere
t dem ahd. tuom, alts.
irhs vergleichen könnte,
dicken wäre wagslück,
adt! AVer für die deu-
’orderte, vcrsliege sich,
kischen oder getischen
vorerst die möglichkeit
den händen nach einer
dennoch darbietet.
uxi]g sind neben grie-
üuter manche aus bar-
barischen sprachen, die dem samler aufgestoszen AAraren, verzeichnet,
darunter, wenn ich keinen übersehn habe, 32 oder vielmehr 33 da-
kische. Dioscoridcs, aus Anazarbus in Cilicien gebürtig, lebte vor der
mitte des ersten jh., etwa gleichzeitig mit Plinius, dessen N. II. aber
erst nach des Dioscoridcs buch geschrieben scheint, unter Claudius
Avar er schon in Italien, wahrscheinlich auch in Gallien, Spanien, Car-
thago und Aegypten, da er gallische, iberische, keltische, punische und
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GETEN
? Dacae
kern nennt er in einem alliem Moesi, Gelae, Aorsi, Gaudae Clariaeque.
Getae und Gaudae neben<dnarwlpr f sind das niplit mit vnlloi- luitvop.
fentlidjeu Religion nacf) befonbern £>eil«anfta
fjerüor unb mar SSeranlaffung, bafj biefe namen
im attifdjen «Staate ein fefjr fjoljc« 21nfel)en erlt
ten unb auf bte (Sntmitfelung ber fünfte einem
greifenben (Sinftufj gewannen. ©nblicf) Ijat fid)
33ebürfntfj nacf) fieserer Unfterblicfyfeit«f)offnung i
in ber SBiffcnfdjaft ber ©riedjeu betätigt, in
fie ben entfpredjenben Uebertieferungen bei anbt
23ölferu mit gro&crn (Sifer nacfjgegangen finb i
bie eigenen mie fremben Uebertieferungen biefe« {
I)altß ptjitofopbifc^ begrünbet Ijaben.
£öa« bie bte«jäf)rige <’J3ret«bemerbung betrifft,
finb ber tljeologifdjen f^acuttät jmet 423earbeitmt;
be« miffenfd)aftlid)en £f)euta« (fielje ^adjricfjtent
ber ©. 21. Uniuerf. 1860 ©. 185) eingereitf;t tu
ben. ©te eine berfeiben ift gefrönt morben. S
SSerfaffer ift ber stud. th. 3oI)anne« Sro^jji
Hamburg. ©er 23f. ber mtberen öffentlich belofc
ift 2luguft st. th. au« 9taffau. $tr
prebigten finb fieben eingegangen; barunter äeidjr
fid) brei au«. 3mei berfelben haben gleichen!
fprudfi auf ben ^ßrei«, fo bajj bie gacultät ihm
ter bie SSerfaffer geteilt hat; e« finb bie ©tubir
ber Geologie ®eorg feinem amt au« ©öttiii:
unb 3man ft-ranj au« üftieberftöcfen. ©er jr
ftifcf)e ^rei« ift bent stud. iuris 2llfreb Sßerni
au« £)alle ju 2:l)eil gemorben. ©ie p^ilofo^i1
zu machen pflegt; man gacultät hat gtuei greife au«getheilt; ben einen
besserer einsicht klar bie .^Bearbeitung ber bie £eibnifcifd)e £el)re betref
ben 2Iufgabe an ben stud. phil. £>ugo «Somit
au« ©anber«f)eim unb ben anberen mat^ematii
pl)bfifalifd)en s)3rei« an $ ermann $ anfei sii
math. au« Seidig.
©ie eingehendere 23eurtheilung ber ^reiöötfe
ten mirb in bent ^eftprogramme ueröff entlieht,
©ie neuen ^reiöaufgabeu, bereu £3earbeituii|
ausgang gemahnt an Ariovistus, doch der erste theil bleibe noch un-
versucht. Dio 51, 26 nennt drei getisclie könige cPa>kr]g, Janvg,
ZvQu^og, zu deren letzterem fast jener volksname SiQaxeg stimmt.
* merkwürdig, dasz Tac. Germ. 43 für Gothini die lesart Bothini vorkommt
und in der genealogie des cod. vaticanus neben gothischen Völkern ßutes als
abkömmlinge des Ermenius (mythol. Stammtafeln s. XXVII. Haupts zeitsclir. 1, 5b2.)
Schiebung in golhischer
meine Wichtigkeit dieser
werden, wann ich von t
heit gothischer stamme
halten hat. eben dadu
fast unweigerlich ergebe
Die Aorsi sind jet:
201 der Donau genannt wen
am Bosporus, hei Stral
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Noch ziehen hei P
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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2»
DAKEN
lioles aber scheint mir sicher der hei Justinus 32, 3 genannte daki- ?-
sehe künig Oroles, aus dessen krieg mit den Bastarnen dort ein hüb- S
scher zugfvorkommt. Oroles gleicht nun dem littli. errelis, lett. ehr-
glis, sl. orel, orl d. i. adler und taugt vorzugsweise zum heldenna-
men, wie unsere vielen Aro Arno beweisen; die aphaeresis des vocals
in lioles ist wie in sl. ralo ralor (s. 54); da auch unsere alle spräche
gern mit L ahleitet, kann für ara, aro früher ein Aral, Arol gegolten
haben, wie cs der Verwandtschaft deutscher slavischer und litthauischcr
spräche angemessen ist. in /Jänvi- zlänvyog, wobei der griechische
gewährsmann leicht an 'I5.nv£ 3Iunvyog dachte, gleicht der ausgang
dem ahd. hapuh, ags. hafoc, den eingang will ich nicht rathen. jener
hessische Ovolöyaiaog ist dem bekannten 1Padoyouoog ähnlich, wel-
chen namen sich slavische und deutsche spräche anzueignen recht
haben. OvtUvug bei Dio 67, 10, za devztQa /uezu Av/.tßuXov i'/iot',
liesze sich ungezwungen aus golh. visan erklären und neben den ahd.
mannsnamen Warin, Werin (GrafF 1, 930) setzen.
Am schwierigsten bleiben Ortsnamen, weil sich ihnen zumeist die
spur fremder und früherer hewohner eingedrückt haben kann, die
menge dakischer Örter auf -dava scheint aus jener namensform Davus
für Dacus begreiflich und wie deutsch klingen die ersten theile der
Zusammensetzungen Argidava, Nentidava, Marcodava, Singidava? Zuq-
jui&yt&ovou, Decehals ßaoiXeiov, kaum gestaltet wie das gr. AqI-
&ovaa, mag vielmehr den gen. pl. Zag/uiKe = goth. Sarmaizö Sar-
mizö gewähren und im namen der hauptstadt den damaligen bund zwi-
schen Sarmaten und Geten ausdrücken; die peutingersche tafel gibt
Sarmategete, und auch yzzovou wäre, wenn meine Vermutung stich 203
hält, richtiger geschrieben. Den Dessen wird von Ammian 27, 4 und
Jornandes de regn. succ. p. 40 eine stadt Uscudama, das spätere
Adrianopel, beigelegt, dessen zweiten theil man dem ahd. luom, alts.
dehn, wie dem lat. domus, sl. dom, ir. duam urbs vergleichen könnte,
im ersten altn. ösk, ags. vusc votum zu erblicken wäre wagstitck,
Obrien macht flugs daraus Uisgedaimh, wasserstadt l wer für die deu-
tungen so fern stehender namen vollen glauben forderte, vcrsliege sich,
da uns alle sichere künde des einfachen llirakischen oder getischen
sprachstofs abgebt; es reicht bin, in ihnen vorerst die möglichkeit
deutscher klänge zu entdecken.
Bei so leidigem mangel greift man mit beiden händen nach einer
auskunft, die sich unansehnlich aber unerwartet dennoch darbietet.
In des Dioscorides werke ntQi vXrjg iarQix^g sind neben grie-
chischen und lateinischen namen heilkräftiger kräuter manche aus bar-
barischen sprachen, die dem samler aufgestoszen waren, verzeichnet,
darunter, wenn ich keinen übersehn habe, 32 oder vielmehr 33 da-
kische. Dioscorides, aus Anazarbus in Gilicien gebürtig, lebte vor der
mitte des ersten jh., etwa gleichzeitig mit Plinius, dessen N. H. aber
erst nach des Dioscorides buch geschrieben scheint, unter Claudius
war er schon in Italien, wahrscheinlich auch in Gallien, Spanien, Car-
thago und Aegypten, da er gallische, iberische, keltische, punische und
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
aegyptische pflanzennamen mittheilt; aus dem abgang britannischer und
germanischer ist zu folgern, dasz er gegenden, wo ihm diese vorge-
kommen wären, nicht betrat. Dacien mochte ihm dagegen bekannt
sein, anzunehmen, dasz erst nach der besiegung des landes unter
Trajan die dakisehen namen gesammelt und von anderer hand dem
dioscoridischen werke eingeschaltet worden seien, zwingt kein grund;
warum sollten nicht schon im ganzen ersten jh. römische reisende
über lllyrien und Pannonien auch Dacien besucht haben? allenfalls
lassen einzelne, fast ganz lateinische benennungen, die für dakische
204 gegeben werden, schlieszen, dasz sie erst im zweiten jh. von Römern
dort eingeführt wurden.* selbst in diesem fall, wenn alle dakisehen
namen nicht von Dioscorides, sondern späterhin gesammelt und einge-
fügt wären, thut das ihrem belang für die spräche geringen abbruch.
ohne zweifei sind sie durch die abschreiber oft entstellt, und es ver-
steht sich, dasz auch wo das nicht geschah, ihre auslegung groszer
Schwierigkeit unterliegt, weil volksmäszige benennungen von kräutern
und thieren, gleich allen eigennamen, in ein hohes allerthum zurück-
fallen und kaum in einer neuen vollständig gekannten spräche sich hin-
reichend deuten lassen, geschweige in einer alten, ungekannten. hier
folgen alle nach der reihe, wie sie Kühns ausgabe gewährt.
1) 2, 143. ßXrjxov cPw/iuioi ßXlxovfx, zldy.ot ßXr/g. ein esz-
"bares aber unschmackhaftes olus, dem atriplex, ahd. malla (Graff 2,
723) poln. loboda, böhm. lebeda verwandt, eigentlich aber amarantus
blitum. ßXi\g scheint aus dem gr. verkürzt, obschon auch ein echt
dakischcs bles möglich wäre.
7
£ 0,1
V-
2) 2, 209. uvuyaXXlg u(jQyv, ytXiööviov, PdXXoi aanäva,
yläy.oi y.e^ye^ucpQajy. scheint wieder entstellter gr. naine, ucpQwv
klingt an unsern namen der anagallis gauchheil, salus stultornm, weil
man dem kraut kraft den Wahnsinn zu heilen beilegt; eine hs. abwei-
chend: PdXXoi y.tQxtQ, /ldy.oi xovqu, worin etwas wie unser thor,
rnhd. töre zu ahnen kühn wäre.
3) 2, 211. ytXiÖoviov /utyu. cPio/uuToi (pußtov/.i, rüXXoi d-tova,
/ddxoi y.QOvoruvi]. hier ist ein echt dakischer oder getischer aus-
druck. wie in yeXidoi'iov ytXiöwv musz in crustani der begrif
des vogels enthalten sein. die schwalbe hiesz demnach crusla,
was unverkennbar dem litth. kregzde entspricht, wovon kregzdyne
oder auch kregzdüles schwalbenkraut gebildet wird, krusta, kregzde
205 scheint das schwirren des thiers auszudrücken.** leider entgeht
uns der golli. name, den die Verdeutschung des A. T. mehrmals dar-
geboten hätte, doch die einstimmigen ahd. sualawä, mhd. swalwe,
ags. svaleve, altn. svala nöthigen nicht ein goth. svalvö anzunehmen;
die Gothen könnten zu Ulfilas zeit, mit laulverschiebung, gesagt haben
hruzdö. die Letten nennen den vogel besdeliga, das kraut besdeligas
*3,6 heiszt es von einer art der aQioroXoxia: IraXoi Tto(>ni fioika
jddxoi ayivd’iov %coQbxov, d. i. absintliium rusticum; es kann ebenwoi von den
Griechen übernommen sein, wie n° 1. 10. 27, mehr römisch scheint 21.
** vgl. skr. krus clamare, sl. krastel, russ. korostel, poln. chrosciel wachtel.
• *•. «w w«. -.v ^ A
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
DAKEN
143
aztinas, schwalbenäuglein. den Slaven heiszt die schwalbe laslovitscha,
russ. lastotchka, böhm. wlastowice lastowice lastowka, poln. jaskölka,
das kraut russ. lastovitschnaja trava, bölim. lastovvicnjk; man brauchte
für last- blosz klast- zu vermuten, um Übergang auf krast und kregzde
crusta zu finden, hegt dem gr. yeXidcou das lat. hirundo (walach.
rendurea) nahe, so scheint an hirundo hirudo wirklich auch kregzde
crusta und hruzdö zu rühren; dasz aber die wurzel von hruzdö euro-
päischen sprachen auch sonst nicht fremd war, kann noch eine andere
analogie lehren. Wolfram nennt ^ie schwirrende harfe nach dem vogel 1
swalwe Parz 623, 20. 663, 17* und Homer Od. 21, 411 läszt bo-
genselme wie schwalbe schwirren, harpa selbst mag gleich der im körn
rauschenden aynij heiszen, yeXvg, dem mylhus von der schildkröten-
schale ungeachtet, an yeXidwv erinnern, den Kellen ist nun cruith,
crwth, engl, crowd rauschende harfe, fiedel oder leier, mlat. bei Ven.
Forlunatus chrotta, ahd. hrotta, und später rolta, mhd. rotte, alt—
franz. rote; dies hrotlä tritt dem geinulmaszten hruzdö nah, sobald
man erwägt, dasz golh. uzds altn. oddr entspricht, hruzdö also in alln.
lirodda zu übersetzen wäre; die ahd. mundart hätte eigentlich brortä
zu lauten, hrotta scheint aber ausnahmsweise zulässig wie loltar für
altn. loddari. Nach allen diesen ergebnissen wäre ein golh. hruzdö,
ahd. brortä, hrottä = hirundo ganz glaublich und die Übereinkunft
des dakischen krusta höchst bedeutsam. Dürfte man nun noch wagen
llerodols KgriOTCovuioi heranzuziehen und XeXidövioi zu deuten? ein
illyrischer volkslamm hiesz Chelidonier und die anwendung des worts 206
auf leule (welchen bezug man auch darin suche) wäre gerechtfertigt.
4) 3, 7. xevravyiov, cP(o/ituToi cpev()i(povyiu/ii oi de u.vQa fxovX-
Ttyudi'g, zlüy.oi xovXßrßid.** mit lautverschiebung wäre goth. Jmlbila
oder jmlbilö zu gewarlen, was zwar deutschen klang hat, in keiner
unsrer mundarten aber aufzuzeigen ist. da es manche arten der cen-
tauria gibt, läszt sich das kraut nicht sicher nachweisen, die Engländer
verstehn unter ihrem feverfew (= febrifugia) matricaria chamomilla,
und nach Diosc. 3, 126 hiesz auch conyza, inlybus febrifuga. Schrieb
der samler nach römischer auffassung xovXßi]Xd fiir ■OovXßrjXu, was
mir sehr wahrscheinlich wird, so gelangt man zu golh. dulbila, ahd.
tulpila und der wurzel dilban = ags. delfan, ahd. telpan fodere, böhm.
dlaubali, poln. dlubac klauben, und dulbila, dulbilö ist ein mit der
wurzel auszugrabendes kraut, wozu die herba multiradix stimmt,
die trad. fühl, führen einen ort des namens Tulba an, bekannt ist Tol-
biacum.
5) 3, 11. dlxpaxog. 'Pm/iuToi Xußpov/u BeveQig, oi de yupdov/ii
Beveyig, /Juy.oi oy.tayij. die sogenannte karde oder weberkarde, an
* beidemal ohne artikel, als wärs eigenname. auch Tit. 2946 (Hahn.)
** ein seltsamer zufall, dasz in dem bekannten yor&ixov bei Constantinus
porphyrog. gerade der ausdruck rovXßeiU vorkommt; es wäre schwer zu rathen,
wie der name irgend eines krauts in dies weihnachtslied, worauf ich im verfolg
zu sprechen kommen werde, gehört, in unsern Volksliedern bilden blumennamen
manchmal den refrain.
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DAKEN
welcher feine stacheln sitzen, womit man wolle kratzt, daher ahd.
zeisala, ags. taesel. da diese Verwendung uralt ist, vermute ich in dem
namen skiari bezug darauf, gotli. skeirs, ags. scir bedeutet lucidus
purus, skeirjan klären, reinigen; skiuran aber heftig bewegen, vinjiis—
kaurö nxvor, ahd. scioro velociter impetuose, scioran sciaran expedire;
ahd. sceran tondere rädere, ags. sceoran: man müste den dakischen
diphtli. IA genau kennen, um sich zu entscheiden, auch das equise-
tum, mit dessen schäften man gefäsze scheuert, heiszt noch beute
scheuerkraut, und etwas dergleichen suche ich in oxiaQrj. man vgl.
auch Schierling, ahd. scerilinc cicuta.
207 6) 3, 21. ^QvyyiopdPco/uuioi xanirovXov/,i xaQÖovg, ol de xuq-
TtQai, /ltxxoi oixovnvoe'S,. auf den ersten blick wäre hier Zusammen-
setzung mit sigu, und beim zweiten theü des worts könnte den Grie-
chen sein nvorj duft geleitet haben: mit geringer änderung entspräche
ein ahd. sigufnäst, ags. sigefnmst, victoriae flatus, victoriam spirans,
das kraut heiszt uns heute mannstreue, doch schreiben Strabo und
Tacitus in den namen 2Suiyeorrjg 2Suiyi/urj()og Segesles Segimundus
kein K und die vom eryngium gehende sage leitet auf anderes, nem-
lieh Plutarch. sympos. VII. 2, 3 berichtet: xa'i rb fjQvyyiov, o f.uug
alyog dg rb oro/na Xußovotjg, anav itfiorarai ro alnbXiov, sei
dies auch misverstand einer stelle bei Aristoteles bist. an. 9, 4: rtou
t)5 u.lyibv brav rig [.aäg Xdßrjrai rov rjQvyyov rb dxyov (tan de
oiov «t dXXai ioruoiv (ooneQ /ue/nco^io/ntvai xul ßXänovoiv
tlg txeivrjv, womit Plinius 8, 70 stimmt: dependet omnium (capra-
rum) mento villus quem aruncum vocant; hoc si quis apprehensain ex
grege unam trahat, ceterae stupentes spectant; so gab es doch kräuter
des namens rgayombyiov, hirci barbula, ijgvyyog, aruncus, von denen
jenes erzählt wurde, darum scheint auch in sicupnoex geiszbart ent-
halten; unser wort ziege hat anomales Z, wie aus dem niederdeut-
schen tsege erhellt, so dasz ahd. zigä für sigä stehn, einem uralten
wort mit S entsprechen könnte, nvottg, wenn aus not'S, verderbt,
gliche unserm falls und dem bölnn. faus, hart.
7) 3, 38. xXv/iog. cPco/uaiot frov/nov/i, z/dxoi [.ibQovXa. da wil-
der thymian dicht und niedrig, wie mos, den rain bewächst, so ver-
gliche ich ahd. mios mies, ags. meos, altn. mosi, die nicht allein
muscus, alga, sondern auch lanugo terrae überhaupt bezeichnen; mo-
sula ist weitere ableitung. russ. moch, poln. böhm. meeb. * Oder
hallt in mozula der schöne poln. name des thymians wider: macier-
zanka, macicrza^ dusza, mütterliche secle? o-faet+yT du.jp.
208 8) 3 , 60. avr^ov rb taO'ib^uvov, ol de' noXytdog ... 2Juxoi
nöXnovf.1. weder das lat. pulpa, noch bulbus, gr. ßoXßog schickt
sich für den begrif von dille oder fenchel, sl. kopr, litth. krapai. ich
weisz daher dies polpus nicht zu deuten.
* mit rücksicht auf die ähnlichkeit der Wörter S'vuos mens und d'vuos
tliymus liesze sich das poln. dobrej mvsli, böhm. dobra mvsl = origanum vul-
gare zu mozula halten; doch wird das einfache mysl nicht für ein kraut ver-
wandt, und jene namen scheinen aus dem deutschen wolgenmt entsprungen.
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OL) JUlt U*.
9) 3, 117. d^ze/iioia. cPco/uatot ovalevzia, ol de oe^nvllov/u,
ol de eoßa Qeyia, ot de Qaniov/n, ol de zeQruvdyerot,, Pdlloi novzfx,
yldxoi ^ovdözrj. wäre dies wort nach dem gr. £cdar^p, wie uns die
artemisia sonnwendgürtel, gürtelkraut heiszt? kann cs aber deutsch KPou6ifc*Yu
sein, so rathe ich nicht auf das ahd. dosto origanum, lieber auf den 1
Superlativ des golh. adj. svös, ahd. suäs, ags. svaes familiaris, gratus,
so dasz svösösta zusammengezogen svosta ausdriicken würde herha gra-
tissima, familiarissima. zu ponem findet Diefenbach celt. 1, 172 kein
keltisches wort und vergleicht unser buck, dän. bynke, schwed. gräbo;
die deutschen namen sind myth. s. 1161. 1162 verzeichnet, lith.
kietczei, serb. bosbje drvtze (gottes bäumchen.)
10) 3, 135. oq[.iivov rj[.iEQOv. cPio/uatoi ye/uivdhg, /Jdxot og/niu,
eine art salvei, sichtbar aus dem gr. namen gebildet.
11) 3, 148. li&do7iZQ[.iov. cPio/iiuioi xolov/ußa/u, z/dxot yovo-
lijzu. Plinius 27, 74: nec quidquam inter herbas majore quidem
miraculo adspexi. tanlus est decor, velut aurificum arte allernis inter
folia candicantibus margaritis: tarn exquisita difficultas lapidis ex berba
nascentis. Diosc. fügt hinzu: ot de i]qdxleiu.v did zrjv tizqi zo oneQf-iu
loyvv, o&ev xul XifroGneQ^iov cdvd/.iaoTui. columba scheint vertrau-
licher ausdruck. man könnte yovolrjza in golh. kunilOta übertragen:
kraut das sein geschlecht läszt (steine hervorbringt)? oder hätte gono die
bedeutung des gr. yovrj = one'^/ua, Xijzu die von h'&og = goth.
laujis? aber es ist noch gefährlich diese beiden Wörter (läag lapis
und laog) im hegrif des Wachsens zu einigen.
12) 3, 160. dvoßpvyig. lPio/nuToi onuxu, oi de ßQiyillazd, ol
de 1dm u., ol de loryxivdle/u, yfdxoi dviuooeS,L an feuchter wilder
stelle wachsend, binsartig, mit rolher blüte; heute versteht man unter 209
onobrychis schotigen hahnenkamm. ich will eine deutung wagen, ania
kann sein ahne avia, und sexe sahs culter pl. sahsa, der groszmulter
messer, wegen der zackigen schoten, darauf brachte mich, dasz die
Polen für das kraut hahnenkamm sagen babie zeby, zähne der alten,
die Böhmen babj zub für dentaria. die Griechen nennen eine andere
pflanze £vQig nach '£vqov messer.
13) 3, 165. yu.[.iu.i7iUvg. cPio/uaioi Kvtiqitiov[.i, Z/uxoi doyelä.
niedrigwachsend mit gelber blume und harzigem geruch, auf Euboea
otdriQiztg genannt, lautverschoben würde goth. tagl, ahd. zakal crinis,
cauda passen, nur weicht geschlecht ab und Schilderung der pflanze,
ein ags. wort jüicele bedeutet fax lampas und gilt neben fäcele, weil
dieser dialect öfter J) und f wechselt; ahd. fachula drückt taeda und
pinus aus, also nlxvg. an ags. docce lapathum, wird nicht zu denken
sein, eher an litth. dagys dislel und dagillelei, ein dorniges kraut. Der
lat. acc. Cypripum ist wie der dor. D/Iela/.mog f. Meld/unovg.
14) 4, 16. lei^odviov. QPiof.iatoi oveguzpov/n ylygov/u, ol de ziv-
zivyußovlovf.i zeqqui, rdlloi iov[Aßa()ovf.i, zldxot ddxivu. eine
Wiesenblume, bei Plin. 20, 8 beta silvestris genannt, die botaniker ver-
stehn darunter statice limonium. ddxiva darf man aber nicht anders
auslegen als den volksnamen selbst, also nur aus dags dies, das engl.
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daisy, bellis perennis, war ags. däges eäge, die blume leuchtet wie der
tag (mhd. ougebreliender klß.)
15) 4, 22. 'tgvQig. cPco/naToi yXadioXov/u, ol de I'qi/i dy^eaxe/j.,
z/dxoi dnQOvg. über '§vQi'g s. Lobecks rhem. p. 293, £vq6v ist ein
messer, dessen klinge dem schwort gleicht, darf in aprus das lat.
aper, alid. epar, altn. iöfur mit voller gothischer endung ibrus gesucht
werden? ags. eoforfearn ist polypodium und radiola, ahd. eparwurz
carlina.
16) 4, 30. aygcooxig. lPo)/.iaioi y^df.iev, ol de doicpoXiovf.i, ol
de auyyovivdXe/.i, ol de ovyloXa/u, cTonavol änaQia, /tdxoi xoxiaxa.
Ulfilas setzt für yoQxog bald gras, bald havi, gras ist herba pratorum,
dyycooxig feldgras, quecke, ags. cvice gramen, engl, quitchgrass, tri—
ticum repens, ein unkraut (oben s. 63), worauf auch die herba san-
210guinalis, gr. noXvyovov, das vielknotige leitet, litth. bedeutet kotas
den stengel am kraut, kotiata sieht ganz einer adjectivischen neutral-
form ähnlich, wie goth. midjata, sutjata, und scheint eben auf ein aus-
gelasznes gras bezogen dessen eigenschaft zu bezeichnen, gäbe es ein
adj. liatis odiosus, so wäre gras hatjata leidiges, schlechtes, vgl. alts.
höti infensus und den thrakischen namen Koxvg. ich wage keine ände-
rung, sonst liesze sich für kotiata leicht etwas vorschlagen, wodurch
es dem goth. qivala (vivum gramen) nah käme.
17) 4, 37. ßdxog. cPeof.iuToi oeyxig, ol de govßov/ii, ol de /uoga
ßaxixdva, z/dxoi (.luvxeTa. dies halte ich für das gr. piavxela auf
ßdxog bezogen, der weissagende dorn, von irgend einer heiligen Ver-
wendung desselben, man denke an xvvogßaxog, den hagen oder
weiszdorn, dessen frucht ahd. hiafa, alts. hiopa, ags. heope hiesz, an
dem sieh auch der zauberkräftige schlafdorn bildete, vgl. oben s. 159
über das weissagen mit zweigen.
18) 4, 42. nevxdyvXXov. cPio/uaToi xiyxecpoXiovf.i, FdXXoi ne/.i-
nedovXu, z/dxoi nQonedovXd. hier hätte man ein anderes wort er-
wartet. die gallische pempedula hat volle richtigkeit, pemp das bre-
tagnische wort für die fünfzahl, dula das welsche dal, dail, ir. duille
folium. dem quinquefolium und dem gr. oder gallischen ausdruck ent-
spräche goth. llmflaufs, wie ahd. finfplat, ags. fifleäf, engl, liveleaf,
böhrn. petiljstek. da in keiner europ. spräche die fünfzahl prop noch
pro lautet, so musz in dem wort ein baarer Schreibfehler walten, der
sich auch durch gedankenlose Wiederholung der drei letzten silben pe-
dula des gallischen namens kundgibt, an ein lat. propatula denke ich
nicht, zu vermuten wäre TU/.meepXad' 7ii{.ine(p&ovXuy falls unser blad,
plat dem gr. nexaXoy ganz nahe steht, vgl. n° 27.
19) 4, 50. TQuyiov, TQaydxtQiog. Fio/uuToi xoqvovXuxu, ol de
ßuovevoa, /Jdtxoi ouXia. das auf bergen und steilen abhängen wach-
sende kraut heiszt xp/dyiov, weil seine blätler im herbst bockenzen
(nqoßdXXei xaxd to cpd’ivomoQOv xd cpvXXa xp>dyov oGf-irjy.) ich
weisz nicht, ob das heutige bockshorn (ceraloria siliqua), eine hülsen-
frucht, dasselbe ist. salia aber scheint unmittelbar das altn. selja,
salix caprea, dän. sehe, ahd. salalia, ags. sealh, engl, sallow und dem
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lat. salix urverwandt, wie sich aus diesem saliunca für ein kleineres 211
kraut bildet, kann auch selja verschiedenartige gewächse, deren blät-
tern bocke und ziegen nacbstellen *, bedeuten, abd. salaha steht ge-
radezu für saliuncula und Mones ags. gl. 201 saliunculas selas, dies
. _ jq_ bleuchtend deutsch.
i £ p iiog. ^PwuaiOL Ivo uv a, dtvraQia, Fd.XXoi
T P \eiu. unter den mir bekannten namen der
* jf 149), die auch russ. bjelena, poln. bielun,
t kein zum dakischen dielia stimmender, litth.
\^X bilse, vgl. litth. dilgele nessel. ich vermute
St». * s im lat. dies, goth. dags.
5“ ^ v dXrxuxußov, lPio/iiuToi ßiooixdXig, oi de
<£, bxpdytveu, /tdxoi xvxcoXida. das dakische
" —»s nachgebildet sein, kukukskraut, nachtschat-
f'nihtscadu.
~yrj, oi de xvidrj, cPco/uuToi ovqti'xu , z1dxoi
■ *s echt, zunächst läge, wenn keine lautver-
__oth. deina oder deinö in vigadeina rQt'ßoXog
P ^ wachsende stachlige also siechende pflanze,
«oär brennt, das goth. sonst unerhörte wort .
f^mmne beslätigung. ags. {>ona palmes, abd. Q/üti
F'Tjegrif, aber im welschen ist dynad und da- 40»}^^
iiauieu gerauezu na me uer nessel, urtica.
23) 4, 99. norujuoyeirwv, cPio/.iatoi ßrjvui (poXiovju, oi de
e^ßdyo), ol de yXadiarib^ia/u, zJdxoi xoadd^ia, TdXXoi tuvqovx.
eine Wasserpflanze, zu deren namen ich wenig zu halten weisz. ags.
hodma bedeutet nubes, die wassertragende (mythol. s. 308) litth.
kodis einen wasserkrug; das sind ganz dünne faden, näher läge dem
schlusz der hessische Ortsname Uscudama.
24) 4, 118. dori]Q drrrx.bg, oi de voffxXuX/uov, Fiofiutoi lyyv-
rdXig, zIdxoi jjad-ißida. ein Strauch mit purpurblüte und rauhen
blättern, man glaubt, Virgils amellus (georg. 4, 271), eine schöne212
blume, vgl. Columella 9, 4. der name klingt deutsch genug, alln.
rädabid ist lempus consultandi, was als blumenname den warnenden
sinn unsers ‘vergiszmeinnichl1 haben müste; vielleicht läge im ersten
theil des Worts ahd. rad, lat. rota, litth. ratas, lelt. rats, aber für
bida wüste ich dann keine hilfe.
25) 4, 126. ßovyXwooov, lPio/.iuioi Xoyyu/ßovfi, oi de Xlyyova
ßoßovf.i, z/dxoi ßovduXXa. Xoyyaißov/ii scheint nicht longaevum,
sondern blosze Verderbnis aus lingua boum. da man auch ahd. hrin-
deszungd (welsch tafod yr ych) sagt und der erste theil des daki-
sclien worts gr. ßov enthält, so mag der ausdruck irgend einem an-
dern thrakischen dialect nachgebildet sein, welcher die zunge dalla
nannte, wobei mir doch das nnl. lei, Schweiz, läl = zunge, kehle
* denn der bock heiszt r^dyos von xqdyco = xQcoyco, weil er am laub
knuppert (fressend knirscht, oben s. 35.)
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daisy, bellis perennis, war ags. däges eäge, die blume leuchtet wie der
tag (mhd. ougebrebender klfi.)
15) 4, 22. ’^VQi'g. cPcof.iutoi yXudioXov/.i, oi de 1'qi/i uyQtGTtfr,
/Jüxoi unqovg. über tgvQig s. Lobecks rhem. p. 293, igvQov ist ein
messer, dessen klinge dem schwert gleicht, .darf ^ 1
aper, ahd. öpar, altn. iöfur mit voller gothischt
werden? ags. eoforfearn ist polypodium und ] o^S, OO^ß
carlina. r*j .
16) 4, 30. ayncüGTig. lPo)/.tuioi yQUf.av, •f-flti-fy*'
dt GuyyoviyuXtju, 01 dt ovyioXu/u, ‘Tgtiuvoi ui
Ulfdas setzt für /OQTOg bald gras, bald havi, g ß
uyQWGxig feldgras, quecke, ags. cvice gramen, v, . 0\i. 0* h. *
ticum repens, ein unkraut (oben s. 63), worai
210guinalis, gr. noXvyovov, das vielknotige leitet,
den Stengel am kraut, koliata sieht ganz einer
form ähnlich, wie goth. midjata, sutjala, und si
gelasznes gras bezogen dessen cigenschaft zu b
adj. hatis odiosus, so wäre gras hatjata leidiges
höti infensus und den thrakischen namen Korvg.
rung, sonst liesze sich für kotiata leicht etwas
es dem goth. qivala (vivum gramen) nah käme.
17) 4, 37. ßurog. ‘Pw/uuloi otyug, oi de
ßauxuya, /Juxoi /LiuvreTa. dies halte ich füi
ßurog bezogen, der weissagende dorn, von irgend einer heiligen Ver-
wendung desselben, man denke an xvvogßuTog, den hagen oder
weiszdorn, dessen frucht ahd. hiafa, alts. hiopa, ags. heope hiesz, an
dem sich auch der zauberkräftige schlafdorn bildete, vgl. oben s. 159
über das weissagen mit zweigen.
18) 4, 42. ntvTUtpvXXov. lPio/uuToi xiyxtcpoXiovf.1, FuXXoi ntf.i-
ntdovXu, Zluxoi nQontdovXu. hier hätte man ein anderes wort er-
wartet. die gallische peinpedula hat volle richtigkcit, pemp das bre-
tagnische wort für die fünfzahl, dula das welsche dal, dail, ir. dudle
folium. dem quinquefolium und dem gr. oder gallischen ausdruck ent-
spräche goth. fimflaufs, wie ahd. finfplat, ags. fifleäf, engl, fiveleaf,
bölnn. petiljstek. da in keiner europ. spräche die fünfzahl prop noch
pro lautet, so musz in dem wort ein baarer Schreibfehler walten, der
sich auch durch gedankenlose Wiederholung der drei letzten silben pe-
dula des gallischen namens kundgibt, an ein lat. propatula denke ich
nicht, zu vermuten wäre ni^nttfXud' 7it/i(nt(p&ovXa, falls unser blad,
plat dem gr. ntruXoy ganz nahe steht, vgl. n° 27.
19) 4, 50. TQuyioy, TQuydxtQtog. lPo)f.iuiot xoqvovXuxu, oi dt
ßirovtvGu, z/cixoi GuXta. das auf bergen und steilen abhängen wach-
sende kraut heiszt tQuyiov, weil seine blätter im herbst bockenzen
(jlQOßuXXtl XUTU TO ffd'lVOTtlOQOV TU ffvXXu TQUyOV OG/U?jy.) ich
weisz nicht, ob das heutige bockshorn (ceraloria siliqua), eine hülsen-
frucht, dasselbe ist. salia aber scheint unmittelbar das altn. selja,
salix caprea, dän. selie, ahd. salaha, ags. sealh, engl, sallow und dem
{% jwajJmA ,—
1 *) idlfCs.
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lat. salix urverwandt, wie sich aus diesem saliunca für ein kleineres 211
kraut bildet, kann auch selja verschiedenartige gewächse, deren blät-
tern bocke und ziegen nachstellen *, bedeuten, ahd. salaha steht ge-
radezu für saliuncula und Mones ags. gl. 201 saliunculas selas, dies
dakische salia ist also einleuchtend deutsch.
20) 4, 69. vogxvafxog. lPio^iaioi Ivoära, dtvraQia, PdXXoi
ßiXivovrzia, Jdxoi diiXeia. unter den mir bekannten namen der
bilisa (mythol. s. 560. 1149), die auch russ. bjelena, poln. bielun,
bölim. bien bljn lieiszt, ist kein zum dakischen dielia stimmender, litth.
drignes, lett. driggenes bilse, vgl. litth. dilgele nessel. ich vermute
ausfall eines kehllauts wie im lat. dies, goth. dags.
21) 4, 72. otqv/vov dXixdxußov, lPo)/auToi ßiooixdXig, ol di
unoXXirdyig /ilvioq, ol di dyjdyire/ii, /laxen xvxcoXlda. das dakische
wort mag dem lat. cuculus nachgebildet sein, kukukskraut, nachtschat-
ten, ahd. nahtscalo, ags. nihtscadu.
22) 4, 92. dxaXvcprj, ol di xvidi/, cPco/tiuioi ovQzixa, Jdxoi
dvv. einsilbig, also gewis echt, zunächst läge, wenn keine lautver-
schiebung sein soll, das goth. deina oder deinö in vigadeina zg/ßoXog
Matth. 7, 16, eine am weg wachsende stachlige also stechende pflanze,
wie die nessel sticht oder brennt, das goth. sonst unerhörte wort .
empfienge dadurch willkommne beslätigung. ags. {>ona palmes, ahd. Qmto-
dono stimmen nicht im begrif, aber im welschen ist dynad und da- 4««^^
nadlen geradezu name der nessel, urtica.
23) 4, 99. 7iOTUf,ioyaivcoy, cP(o/xaToi ßrjvai cpoXiov/n, ol di
i()ßäyto, ol di yXudiazioQia/u, /Jdxoi xoaddfia, TdXXoi zavqovx.
eine Wasserpflanze, zu deren namen ich wenig zu halten weisz. ags.
hodma bedeutet nubes, die wassertragende (mythol. s. 308) litth.
kodis einen wasserkrug; das sind ganz dünne faden, näher läge dem
scblusz der hessische Ortsname Uscudama.
24) 4, 118. doxTiQ dzTixog, ol di vocf&aX/uov, cP(o/uaToi iyyv-
rdXig, Jdxoi qafrlßida. ein Strauch mit purpurblüte und rauhen
blättern, man glaubt, Virgils amellus (georg. 4, 271), eine schöne212
blume, vgl. Columella 9, 4. der name klingt deutsch genug, altn.
rädabid ist tempus consultandi, was als blumenname den warnenden
sinn unsers Cvergiszmeinnicht> haben müste; vielleicht läge im ersten
theil des worts ahd. rad, lat. rota, litth. ratas, lett. rats, aber für
bida wüste ich dann keine hilfe.
25) 4, 126. ßovyXwooov, cPio/.iuioi Xoyyalßov/u, ol di Xtyyova
ßoßov/n, Jdxoi ßovddXXa. Xoyyaißovf.i scheint nicht longaevum,
sondern blosze Verderbnis aus lingua boum. da man auch ahd. lirin-
deszungä (welsch tafod yr ych) sagt und der erste theil des daki-
schen worts gr. ßov enthält, so mag der ausdruck irgend einem an-
dern thrakischen dialecl nachgebildet sein, welcher die zunge dalla
nannte, wobei mir doch das nnl. lei, Schweiz, läl — zunge, kehle
* denn der bock lieiszt rpdyos von rgdyco = tQcöya), weil er am laub
knuppert (fressend knirscht, oben s. 35.)
10*
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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148 DAKEN
einfällt: unser lallen bedeutet mit der zunge stammeln, lat. lallare,
altn. lalla. D und L wechseln, eben in dingua lingua; möglich wäre
ein goth. lallö. litth. heiszt das kraut godas, aber viele kräuter heiszen
Ochsenzunge.
26) 4, 132. xaruvdyxrj, ‘Pw/uaioi tQßa (ptXixXä, ol di durloxa,
ol di Poßig juudiovg, ßhxxoi xugoni&Xa. datisca, obschon in die
botanik eingeführt, wird doch in dacisca zu bessern, also eigentlich
dakische pllanze sein, heilkräftiger art, da sie auch du^iva^iivi] domi-
trix heiszt und xaTavuyxrj, weil sie unwiderstehlich zwingt; thessa-
lische frauen zauberten damit, was bedeutet Jovis madius? darf man
in karo ahd. haru linum erkennen, in pithla ahd. fidula, ags. fidele
fidicula? dann möchte auch die herba hlicula vielmehr fidicula sein,
nur fragt sich, ob die gestalt des krauts einem besaiteten gerätli ähn-
lich sah? seine blätter werden geschildert lang wie krähenfüsze, und
wenn es dorrend sich auf den boden streckt, wie klauen eines lodten
weihen, ich werde jedoch über pithla gleich anderes vermuten.
27) 4, 134. ddlavrov, Pw/uaToi xiyxivuXig, ol di Tt$Qcu xa-
niXXovg, ol di GovntQyJXiovf,i Ttgycu, zldxoi (fi&ocpd't&tXü. hier
ist eine haarige pflanze, adiantum oder polytrichum, cincinnus (woher
cincinnalis) oder capillus, supercilium terrae, auch bei uns frauenhaar,
213 Marienhaar, altn. Freyjuhär. lat. capillus Veneris, welsch briger Gwener
(mythol. s. 280.) hält der dakische name diese analogie, so könnte
sein erster tlieil ein mythisches wesen anzeigen, dessen locken oder
liechten der zweite ausdrückt, und qd-t&tXd käme wieder auf jenes
nidXa heraus; die aspiralen scheinen sich auf gr. weise zu häufen
und zu assimilieren, wie wenn man in beiden pflanzennamcn die be-
deutung haar fahren liesze, nur die von blatt suchte? pithla und phthe-
thela scheinen dem gr. niraXov nicht fern (phthelh für pheth, wie
nxöXig für noXig) und zwischen ntxaXov und cpvXXov, folium findet
nahe berührung statt, diese letzteren entsprechen aber unserin blatt,
das bei Ulfilas mangelt, altn. alts. blad, ahd. plat, mit versetzten lau-
ten; (fvXXov vielleicht aus (ffrvXXov = mtraXov niraXox, wie (pfXvii)
= TiTvio. in n° 18 wäre zu lesen nif.intTvXa, 7ii/u(f9-tdtXu oder
etwas dergleichen.
28) 4, 149. iXXißoQog /niXug, cPiof.ialoi ßegurgov/u viyyov/ii,
ol di guquxu, z/uxoi nQodioQva. veratrum wie veratrix von verare,
divinare; saraca gleich andern bei Diosc. angeführten lat. kräulerna-
men sonst unbekannt, die dakische endung -orna ist ganz goth. -arna
und prod darf zu frö{»s sapiens gehalten werden oder zu frajijan, pro-
diorna, fra()jarna wäre ungezwungen das klug machende, den verstand
stärkende kraut, ähnliches liegt in veratrum und stimmt zu der allge-
mein dem helleborum beiwohnenden kraft. das russ. tscheineritza,
böhm. cemefice, poln. cicmierzyca, litth. czemerei czemericzei ent-
springen aus böhm. cmyr, poln. czmör kriebeln im köpf, was dem
niesen vorangeht.
29) 4, 171. uxrrj. ol di dfVdpoK uqxtov, ol di rjf-itQOv, CP(0-
/iiaToi Gu/iißovxovf.i, FuXXoi Gxoßirjx, /Jdxoi otßa. xuXa/iiotideig
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
DAKE.X
149
tyovaa xXudovg, mit rohrartigen holen zweigen, wie auch im ahd.
holuntar (GrafT 4, 880), schwed. hyll, diin. hylde, der begrif des holen
liegt und die holurtderstengel, mhd. holre, zu pfeifen geschnitten wer-
den. hiernach könnten die Daken seba für holunder, andere mund-
arten denselben ausdruck für rohr oder bins gebrauchen: altn. sef
scirpus juncus, schwed. säf, dän. siv, ahd. semid, semida carex für
sebid sebida, mhd. semt, noch heute in Ostreich sebde neben semde;
eine ags. Übersetzung von Matth. 13, 25. 38 gibt zizania durch äte214
(wilder haber s. 67) oder sifde, schilfgras für unkraut. den Serben
ist zova sambucus nigra, was der form und bedeutung von seba nah
kommt. Das gallische skobien hat bereits Diefenbach celt. 1, 90 im
welschen ysgaw, ysgawen, cornischen scauan, bretagn. skav skao sam-
bucus nachgewiesen; da nun im altschwed. Alexander skäf für säf steht
und heutige deutsche mundarten den hollunder schübiken, schib-
clien nennen, so vermittelt sich Urverwandtschaft zwischen seba und
skobie. Um so wichtiger wird uns dieses seba, als der dem baren
heilige bäum noch viel andere alterthümliche beziehungen hat, und
etwan aufschlusz über die altn. götlin Sif, über die Siva dea Polaborum
bei Ilelmold daraus hervorgehn kann, in altböhm. glossen heiszt Siva
Ceres und slavische mythologen erklären sie lebensgöttin (ziwa), wie
ich die nordische Sif mythol. s. 286 Sibja Sippa vielleicht unrich-
tig deutete.
30) 4, 172. yaf.iaidy.xrj, ol de e'Xeiog äxxrj, ot de uyQia dxxrj,
1PwfiuToi eßovXovfi, PdXXoi dovxcove, XJdxoi oXfia. das ahd. atah
atuh, nhd. attich hängt vielleicht durch Umstellung mit dxxrj zusam-
men und uxrij scheint dxxrj dxxea sambucus nigra, verschieden von
dxxrj körn, woher /trjfirjxeQoq dxxrj Saatkorn, olma gleicht dem lat.
ulmus, it. olmo, franz. orme, altn. älmr, schwed. alm, dän. älm, ags.
engl. ahd. elm, nhd. ulme, welcher bäum freilich vom strauchartigen
ebulum abweicht; da jedoch ags. eilen, nd. ellliorn sambucus (mythol.
s. 618), ir. ailm pinus bedeuten, scheint das wort auf verschiedenar-
tige gewächse angewandt, gall. dukone kann ich nicht aufzeigen, so
keltisch es klingt.
31) 4, 175. xoXoxvvd'ig. LPo)fiaToi y.ovxovqßixa aiXßdxixa,
/laxen xovxdoxQa. läszt die runde kürbisgeslalt an ahd. tutto mamma
denken? xovxdaxQa für d ovxdaxQa? die bildung -astra wäre in
ägalastra pica, in ramestra strvchnum, herba salutaris (Gralf 5, 512.
Mones anz. 1835, 95) in ganastra scintilla (Grafl* 4, 297.)
32) 4, 182. dfineXog fieXuivu, ol de ßfrvioviu fieXuivu, ol de
ßovy.yuviov, cPcüf.iaiot dßXa/Lirjvia, ol de ßaxavovxa, oi de ßexi-
ouXxa, /luxoi nQiudrjXa, ol de neyqiva. ein üppiges rankengewächs, 215
dessen römische namen unbekannt oder verdorben sind. dagegen
scheint priadela genau das ahd. friudila, friedila amica, wozu man noch
das litth. prietelka, russ. prijatelnitscha, böhm. prjtelnice, poln. przyja-
ciolka halte, zu vergleichen wären auch die thrakischen Priantae (oben
s. 201.) in einer glosse (sumerl. 57, 62) finde ich die herba mer-
curialis, 1Eq/.iov noa, sonst parthenium, verdeutscht vridelisoge d. i.
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friudiles ougä und bei Mone 8, 405 flos campi friedeis ouge. der
volkspoesie liegt es nah, liebende mit Weinreben zu vergleichen, ein
serbisches lied (bei Vuk 1 n° 555) hebt schön an:
obvila se bela loza vinova
oko grada oko bela Budima:
to ne bila bela loza vinova,
vetsch to bilo dvoje mili i dragi.
diese rebe musz den Daken gefallen haben, da auch pegrina, der an-
dere name, aus golli. fagrs, ahd. fagar gedeutet werden darf = goth.
fagreina, mit hinzugetretner ableitung.
Auszer den dakischen glossen thcilt Dioscorides auch eine einzige
hessische mit, die ich nicht übergehn will, sie steht 3, 116 beim
ßrj/ioy. cPwfiuToi rovoiXuyco, oi di cpugfpuQtufi, ol di novarovXuyco,
JBeoool uau. asa ist ohne zweifei richtig, ich weisz es aber nicht zu
deuten, da weder der begrif des pferdehufs von des krauts gestalt
luxoßllf a}- (woher ungula caballina, unser huflattich), noch des hustens (ßrf§,
cVUUjC'.'3/372 - tussis, woher tussilago) von seiner heilkraft, auf ein wort wie asa in
unsern sprachen leitet, das litth. asa bedeutet handhabe (lat. ansa,
vgl. oben s. 114) und nadelöhr. asant (asa foetida und dulcis, fiir
assa, tosta?) wird kaum gemeint, gleich dunkel scheinen die lat. far-
farus, farferus (Festus s. v. farfenum) farfaria, farfugium (vgl. febri-
fugia n° 4) und puslulago oder populago. den letzten namen erklärt
Plin. 24, 15 aus ähnlichkeit des pappelblatts. man findet gr. auch
yufiuiktvy.r^ yuf.iumtvy.ri, was an yufiuinirvg reicht.
Dies bisher übersehne glossarium, worauf ich noch öfter zurück-
216 kommen werde, ist, wenn man schon bloszer Vermutung trauen will,
das älteste denkmal unsrer spräche, da es wo nicht im ersten, sicher
im zweiten jh. gesammelt wurde; niemand wird unbillig fordern, dasz
ich beim anlauf solcher verschollenen Wörter nirgend gestrauchelt sei.
Von Ulfilas, der dreihundert jahre später schrieb, so weit wir seine
Verdeutschung heiliger Schriften übrig haben, sind auch die pllanzen-
namcn bainabagms, vigadeinö, aihvatundi gebraucht worden, deren sinn
lange zeit unerforscht blieb; wie sollten nicht in der älteren, von einem
ausländer veranstalteten wortsamlung jetzt unauflösbare dunkelheiten
haften. Sind nur sechs oder acht meiner auslegungen wahr, die übrigen
mehr oder minder wahrscheinlich, so reichen sie vollkommen hin: es
bedürfte keines andern bewcises, dasz Daken und Geten deutsche,
deutschverwandte Völker waren, alle übrigen gründe träten einem
hauptzeugen, den fürder niemand entfernen würde, hinzu.
Vorzugsweise in anschlag kommen crustana tulbela kotiala salia
dun prodiorna seba priadela pegrina. unser ableitendes -ila erscheint
in tulbela dochela priadela phthclhela caropithla *, -ula in mozula,
-ana in crustana, -ina in dakina pegrina, -orna in prodiorna, -astra in
tutastra, -s des nom. sg. in bles aprus, adjectivisches -ata und -osta
* die Ungleichheit des vocals und accents in Tovlßrß.ä nQiaSrjla So^ei-a
tpd'ed'elä messe ich der aufzeichnung und herausgv.be bei.
DAKEN
150
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EEEEE3
THRAKER. GETEN
151
in cotiala zuosta (vgl. Costoboci.) merkwürdig wäre der gen. sg. anias,
entweder goth. anjös oder anjöns.
Das allerwichtigste ist der lautverschiebung abgang, worüber im
verfolg ausführlicher zu reden sein wird, die dakische spräche hielt
also damals ihre consonanten noch auf der stufe, von welcher die sla-
vische, litthauische, griechische lateinische nie gewichen sind, dadurch
erschwert und erleichtert sich die deutung dieser Wörter, weil ihr ein
weiteres feld offen steht, als das enge gebiet deutscher zunge allein.
Ich stelle überhaupt nicht in abrede, sondern hebe hervor, dasz
ein nahes Verhältnis der getischen spräche zur litthauischen (samogeli- 217
sehen) obwalte: wie Zahnoxis zu szalmas, Oroles zu Errelis, stimmt
krusta krustane zu kregzde kregzdyne, und -elis, -eie, -ine sind auch
litth. bildungen, wie der litth. nom. sg. auf -s ausgeht.
Was soll man sagen zur cnlschiednen gleichheit des welschen
dynad mit övv urtica, in form und bedeutung, die genauer ist als die
des goth. deinö? ist es Urverwandtschaft auch mit keltischer spräche,
oder 4, 92 /lAxoi verschrieben für J’aAP.o«?
Das ergebnis aller dieser forschungen läszt sich nach drei stufen
verschieden stellen.
Die Thraker und Geten sind den übrigen urverwandten Völkern
in Europa gleich und ihre spräche darf aus deutscher wie aus slavi-
scher, lilthauischer, griechischer, keltischer mitgedeutet werden, auszer-
dem aber noch einen eigenthümlichen bestandtheil haben.
Oder Thraker und voraus Geten zeigen besondere annäherung zu
lilthauischer und germanischer zunge; theile ihres volks sind unmit-
telbar in Litthauer und Deutsche eingegangen.
Oder endlich es fand ein noch engeres band statt zwischen nord-
westlichen Thrakern d. i. Geten und östlichen Germanen, d. i. Gothen,
so dasz beide Geten und Gothen den deutschen und thrakischen stamm
vermitteln.
Das alles kann bestätigung empfangen, wenn wir die germanische
spur höher im oslen verfolgen.
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218 Die Untersuchung hat schon so oft in das dunklere alterthum grei-
fen müssen, dasz sie nicht umhin kann nach Asien zurück zu gehn,
zwischen beiden welttheilen knüpft aber Skythien ein festes band und
auf einen richtigen begrif von Skythien und seinen bewohnern haben
wir vor allem das augenmerk zu richten.
Den Griechen war Skythien gleich Gallien oder Galatien ein fern-
gerücktes unbestimmtes reich; wie unter Galatern oder Kelten auch
die Germanen, begriffen sie unter Skythen wiederum Germanen, Sar-
maten und andere weiter im nordost gelegene Völker, hinter Thra-
kien, jenseits der Donau begann Skythenland und reichte in unge-
messene weite.
Von getischer und thrakischer spräche ist gewissermaszen sky-
thische untrennbar und schon Ilerodot verflicht das alterthum dieser
Völker. Lucian mag hei solchen unterschieden nicht der vorsichtigste
und gewissenhafteste sein, doch waren ihm Anacharsis und Toxaris
fest überliefert. * in zwei dialogen stellt er sie als landsleute (bf-io-
‘IVd'y'ktoaoovg, bf.iotpcoi'ovg) auf, die ay.v&tGTi sich unterreden und beide
an Zalmoxis und Acinaces glauben; nach dem concil. deor. 9 sind
es Skythen und Gelen die Zalmoxis vergöttern, während im dialog. verae
hist. 17 Anacharsis als Skvtha, Toxaris als Thrax erscheint, und im
Jupiter tragoed. 42 Skythen dem Acinaces, Thraker dem Zalmoxes
opfern.
Straho, wie wir oben sahen, läszt Skythien zwischen dem Tanais
und Rhein sich erstrecken, Tacitus nennt es nicht einmal in der Ger-
mania, ann. 2, 65 verbindet er Bastarnas Scythasque. Ptolemaeus, der
Sarmatien unmäszig dehnt bis nach Asien, schiebt Skythien mehr aus
Europa fort, aber noch die jüngeren historiker erkennen europäisches
* Anacharsis Scvtlia bei Herodot 4, 46. 76, bei Sträbo s. 303, in Plutarchs
Symposium septem sapientum cap. 3 und im prolog des dritten buchs von Phae-
drus fabeln, man nimmt an, dasz er ol. 47 (592 vor dir.) nach Griechen-
land kam.
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© Hessisches Staatsarchiv M
218 Die Untersuchung hat schon so oft in das dunklere alterthum grei-
fen müssen, dasz sie nicht umhin kann nach Asien zurück zu gehn,
zwischen beiden welttheilen knüpft aber Skythien ein festes band und
auf einen richtigen begrif von Skythien und seinen bewohnern haben
wir vor allem das augenmerk zu richten.
Den Griechen war Skythien gleich Gallien oder Galatien ein fern-
gerücktes unbestimmtes reich; wie unter Galatern oder Kelten auch
die Germanen, begriffen sie unter Skythen wiederum Germanen, Sar-
maten und andere weiter im nordost gelegene Völker, hinter Thra-
kien, jenseits der Donau begann Skythenland und reichte in unge-
messene weite.
Von getischer und thrakiseher spräche ist gewissermaszen sky-
thische untrennbar und schon Ilerodot verdicht das alterthum dieser
Völker. Lucian mag bei solchen unterschieden nicht der vorsichtigste
und gewissenhafteste sein, doch waren ihm Anacharsis und Toxaris
fest überliefert.* in zwei dialogen stellt er sie als landsleute {bf.10-
2l9y?iWG(TOvg, b/uofpibyovg) auf, die axv&iGri sich unterreden und beide
an Zalmoxis und Acinaces glauben; nach dem concil. deor. 9 sind
es Skythen und Gelen die Zalmoxis vergöttern, während im dialog. verae
hist. 17 Anacharsis als Skytha, Toxaris als Thrax erscheint, und im
Jupiter tragoed. 42 Skythen dem Acinaces, Thraker dem Zalmoxes
opfern.
Straho, wie wir oben sahen, läszt Skythien zwischen dem Tanais
und Rhein sich erstrecken, Tacitus nennt es nicht einmal in der Ger-
mania, ann. 2, 65 verbindet er Bastarnas Scythasque. Ftolemaeus, der
Sarmatien unmäszig dehnt bis nach Asien, schiebt Skythien mehr aus
Europa fort, aber noch die jüngeren historiker erkennen europäisches
* Anacharsis Scvtlia bei Ilerodot 4, 46. 76, bei Sträbo s. 303, in Plutarchs
Symposium septem sapientum cap. 3 und im prolog des dritten buchs von Phae-
drus fabeln, man nimmt an, dasz er ol. 47 (592 vor Chr.) nach Griechen-
land kam.
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SKYTHIEN
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Skythien an, dem lornandes cap. 3 scheidet die Weichsel zwischen
Germanien und Skythien, und er nennt dieses cap. 5 mit recht Ger-
maniae terrae confinis, indem er seinen weiteren umfang his nach Asien
angibt; es unterliegt keinem zweifei, dasz auf der ganzen linken seite
des schwarzen meers fast zur Donau hin skythische Völker hausend
angenommen wurden. Philostorgios II. E. 2, 5 und Procop de h. goth.
4, 5 begreifen unter dem alten namen der Skythen auch Gothen und
Sauromaten.
Niebuhrs Vorstellung, welche Skythien hlosz mongolischen borden
einräumen will, ist auf alle weise zu verwerfen. * nicht allein treten
die Mongolen viel später in der geschichte auf als die Skythen, von
denen Ilerodot so ausführliche und lehrreiche nachricht erlheilt, son-
dern diese Skythen hängen auch unzerreiszbar zusammen mit dem
groszen langsamen zuge urverwandter Völker aus Asien nach Europa,
in welches jene Mongolen nur vorübergehend einbrachen, offenbar
waltet in Skythien ein südasiatisches elemenl, das auch germanische
und sarmatische bestandtheile nicht von sich ausschlieszend neben ihnen
zugleich andere unbekannte Völker in seinem dunkeln schosze birgt,
man hat anzunehmen, dasz erst hinter Germanen, Thrakern und Slaven
die Skythen in bewegung geriethen und nur ein theil von ihnen Europa 220
erreichte, der andere, weil Europa schon erfüllt war, in Asien wohn-
haft blieb, mit germanischen und sarmalischen völkernamen verflech-
ten sich skythische dergestalt, dasz sie an gewissen stellen gar nicht
gesondert werden können.**
Was vorerst den namen der Skythen angeht, so haben neuere
forscher*** gemeint sie in den Tschuden wiederzufinden. Schafarik
s. 238 ff. gibt sich alle mühe darzuthun, dasz nach den lautgesetzen
griechischer und slavischer zunge 2?y.vfhjg dem namen Tschud ent-
spreche, womit bekanntlich die Nordslaven einen Finnen bezeichnen:
was tschud ursprünglich ausdrücke, wisse man nicht, aus dem volks-
namen aber habe sich hernach tschud für riese und tschudo monstrum,
miraculum entfaltet, da zwischen Griechen und Slaven die laute sich
nicht verschieben, hätte schon, wenn man Übergang des ax in c ein-
räumen wollte, der des & in d bedenken; doch unglaublicher ist, dasz
ein unskythischen Finnen vom slavischen machbar licigelegter name für
die alten Skythen sogar bei den Griechen allgemein gegolten haben
solle. Viel wahrscheinlicher bleibt darum die längst vorgeschlagne ab-
leitung aus der deutschen Wurzel skiutan jaculari, vom gebrauch des
spers und bogens unter allen Skythen, gerade wie viele germanische
Völker nach den Waffen heiszen. zwar völlig in Ordnung ist auch hier
die lautfolge nicht, denn dem goth. skutja, altn. skyti, ahd. scuzo
sollte gr. oxvdijg zur seite stehn; indessen kann irgend ein verborgner
* gegen sie erklärt sich auch Al. von Humboldt in der Asie centrale 1, 400
und Zeusz s. 284.
** mit groszem fug sagt Plinius 4, 25: Scytharum nomen usque quaque tran-
sit in Sarmatas atque Germanos.
*** z. b. auch Rask (saml. afhandl. 1, 334.)
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jß
1
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SKYTHIEN
grund den abstand veranlassen und bewirkt haben, dasz die Gothen
vom TH unmittelbar auf T übersprangen, bedeutende stütze empfängt
aber diese ableitung dadurch, dasz die Griechen vermutlich nach er-
klärungen, die sie von Skythen erhielten, den namen selbst so ver-
standen haben müssen: Lucian im Tox. cap. 8 nennt die Skythen aus-
221 drücklich to'&vuv ayadoi, in Athen hiesz der gerichtsdiener oder
scherge, wozu man Skythen zu verwenden pflegte, sowol 2xvd-i]g als
To^orrjg d. i. bogenschütz, und wiederum ist der eigenname ’To^aqig
bei Lucian, der einen wahren Skythen kennzeichnen sollte, kein echt-
skythischer*, sondern nichts als griechische Übertragung von Sxvd’tjg.
Diesen namen hatten entweder germanische, zu Ilerodots zeit und früher
noch unter Skythen hausende nachbarn ihnen beigelegt und so war er
auch zu Griechen gelangt, oder in skythischen urverwandten dialecten
haftete dieselbe wurzel. Noch mehr, Ilerodot 4, 10 indem er die sky-
thische stammsage berichtet, erzählt, dasz von des Herakles drei söhnen
mit Echidna nur der jüngste, namens Skylhes des göttlichen vaters
bogen zu spannen vermochte und darum erster könig wurde, während
die einheimische sage (4, 5) den jüngsten sohn lvolaxais nennt und
statt des bogenspannens den glühenden pflüg aufnehmen läszt: aus dem
namen Skylhes bildete sich den politischen Griechen jene Verschieden-
heit der sage, auch Plin. 7, 57 sagt: arcum et sagittam Scythen Jo-
vis filium invenisse dicunt, und Orpheus Argon. 1078 nennt wiederum
ro^orpooovs re Jlxvd'as, morovs fregaTtovras !Aqt]os,
wir wissen, dasz Skythen, Geten, Alanen, Baiern und Schwaben Ares-
diner und Ziowari hieszen; eins verstärkt das andere, alle Skythen
sollen des Ares bogentragende Schwester Artemis, die ro^ovig und
ioytaiQu, heilig gehalten haben, die herleitung von Hxvthjg aus golh.
skutja (getisch skuthia, skudia?) ist also der aus tschud weit über-
legen, und höchstens könnte man zugeben, dasz die Slaven dieses ihnen
dunkle wort aus Skythe entnommen und später auf die Finnen ange-
wandt hätten, das finn. kyltä Venator selbst scheint mit abgeworfnem
S aus dem schwed. skytle gelehnt. aber die lilth. Wörter szauti
schieszen, szauditi oft s-chieszen, szauti schütze, szaudykle weberspule**
222 scheinen urverwandt, und gewähren zum theil jene vielleicht organische
media.
Ich will noch einen ähnlichen Waffenausdruck, weil er fast allen
urverwandten sprachen zustcht, anführen, das gr. oxvxog bedeutet
leder und lederbezognen schild, lat. scutum (vgl. axvrig scutica) ir.
sgeith, bret. skoed, Iitth. skyda, sl. schtschil, böhm. §tjt, altböhm. seit,
zid. jedoch die deutschen sprachen haben golh. skildus, ahd. seilt
(für sciltu), ags. scild, altn. skiöldr; wie ist dps eingefügte L zu fassen?
vermutlich gieng skildus hervor aus umgesetztem skidilus, skidlus, einer
* wie Böckli annimmt C. I. 2, I12b; die gr. bildung ist auch in <pä),aQig
von epakos und vielen weiblichen Meyngis, TuvSagis, auszer solchen eigennamen
sind xid'aois, y.iSaois, iiuraQts, oäynois weiblich vgl. Lobeck phys. 256.
** d. i. weberschiflade, Jett, schaudeklis, schautawa von schaut schieszen.
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
Weiterableitung des einfachen verlornen skid, früher skud. Ammianus
führt 14, 11 einen alamannischen Scudilo scutariorum tribunus an (wie
17, 10 Nestica*, 20, 2 Agilo gentilium scutariorum tribunus); sie waren
keine schildmacher (oder schildmahler, mhd. sciltaere) sondern schild-
träger im römischen dienst, scudilo hiesz noch nach der alten wort-
form, woraus sich skuldus, skildus gestaltete, dem skudilo, skudili
entspricht lat. scutulum doniöiox, wovon scutulatus = alln. skiöldottr.
nur zufällig aber gleicht ein solcher scudilo oder scutarius jenem gr.
oxvd'rjg, obgleich beide fremden herschern zur leibwache dienten.
Musz man für oxvd-tjg deutsche Wurzel, oder deutscher spräche
ganz nahliegende zugestehn; so folgt daraus uralte nachbarschaft deut-
scher und griechischer stamme, mit andern Worten, nichts ist glaub-
licher, als dasz Hellenen, welche Skythen so nannten (2xvd'ag''EkX?]V£g
ovvo/uuouv, Herod. 4, 6), diesen namen von Thrakern oder Geten hör-
ten, dasz mithin Geten zwischen Hellenen und Skythen wohnten, und
griechischer Vorstellung ganz natürlich war Geten und Skythen zu ver-
mengen. darum sind Aye/uog, Axivdxrjg, ZdXf.io'^ig bei Skythen wie
Gelen verehrt. Thucydides sagt 2, 96: elal <T ol Ttrai xal ol ravrrj
(dem schwarzen meer) o/iiOQat re roTg 2xv&uig xal o/.iooxevoi, näv-
teg innoro^orai.** Aber nicht blosz auf den Pontus und Europa zu 223
beschränken sind diese völkernamen; sie greifen lieler nach Asien gegen
Medien, Persien und Indien ein, d. h. unmittelbar in die länder, aus
welchen die grosze Wanderung nach Europa begann.
Aus weitem umfang skylhischer länder, namen und brauche hebe
ich was unsere deutschen Verhältnisse erläutern kann.
Nach Herodot 4, 6 legten sich die Skythen seihst den namen
~x()Xotoi bei; nirgend sonst wird seiner gedacht, doch 4, 78. 79 er-
scheint der mannsname Sxvbjg und Justinus 2, 4 erwähnt eines sky-
thischen königs Scolopitus. jede deulung wäre verwegen, aber jenes
skildus drängt sich doch auf.***
Geten nennt Herodot im europäischen Thrakien, Massageten weisz
er 1, 20111“. 4, 11 als groszes tapferes volk in Asien, ostwärts vom
kaspischen meer, am Araxes, Issedonen gegenüber, also in armeni-
schen, persischen landstrecken, und sie wehren dem Cyrus den Über-
gang jenes Stroms, ihre königin wird Tomyris genannt, bei Justinus
1, 8 heiszt sie Tamyris und Scytharum regina, bei Iornandes cap. 10
unbedenklich Tamyris Getarum regina. die begebenheit fällt etwa in
das jahr 545 vor Chr., nur dreiszig jahre vor jenem zog des Darius
nach Thrakien, und es versteht sich von selbst, dasz die thrakischen
Geten und jene araxischen Massageten verschiedne Stämme waren; beide
können jedoch gemeinschaftlichen Ursprung haben, die Geten nach
Thrakien vorgerückt, die Massageten in Asien geblieben sein. Noch
* = Torquatus, torque ornatus, von nest torques, woher nestila fibula und
der frauenname Neosta.
** über den gebrauch des bogens s. meine acad. abh. s. 33.
*** wem fallen hier auch nicht die gallischen, s. 135 anders ausgelegten sol-
durii von selbst wieder ein?
SKYTHIEN
Plinius 6,17 die (asiatisch-) skythischen Völker aufzählend beginnt mit
den bedeutenden namen Sacae, Masagetae, Dahae, Essedones, und nicht
anders stellt Strabo 11, 8 Massageten zu den Saken an den Araxes.
Aber auch diese Massageten erscheinen späterhin in Europa, da
wo lange Geten hausten, am Pontus und weiter nordöstlich unter dem
namen Alanen. Cassius Dio 69, 15 sagt ausdrücklich von den Alanen:
224 flol St Maooaytrou, und Julian im j. 363 sein lieer anredend von
Pompejus: qui per Massagetas, quos Alanos nunc appellamus, vidit
Caspios lacus (Ammian. 23, 5.)* von da aus müssen sie nach Europa
übergegangen sein oder mit den pontischen Geten sonst genau Zusam-
menhängen; unter, den (europäischen) Scythen läszt Plin. 4, 12 auf
Geten, Sarmaten, Aorsen die Alani et Rhoxalani folgen. Ptolemaeus,
der 6, 14 im skythischen Asien nordwärts vom kaspischen meer Alanen
und ein alanisches gehirg anführt, hat 3, 5 im europäischen Sarmatien
skylhische Alaunen, was offenbar in Alanen zu bessern ist. Woher
immer Lucian seine nachrichten schöpfe, im Toxaris 51 tritt ein Ma-
xtvxrtg auf: bjuooxtvog aal b/uoyXcoTTog roTg ^AXavoXg cbv• xoivu ydg
ravra lAXavolg xul ^xvfraig' nXrjy on ov nuvv xco/utooiv ol \4Xavol
äoTttQ ol 2y.vdai, Alanen schnitten ihre haare kürzer als Skythen,
sonst war beiden Völkern spräche und wafl'enart gemein. Da nun
gegen ausgang des 4 jh. unsrer Zeitrechnung Alanen nachharn gothi-
scher Greuthungen sind (Ammian. 31, 3), Alanen mit deutschen Scyren
Moesien einnehmen und Iornandes selbst aus halbalanischem gcschlecht
abstammt; so zeugt mir die Verflechtung der späteren Alanen und Go-
then wiederum für die der älteren Massageten und Geten. Procop de
b. vand. 1, 11 stellt sogar Massageten und Hunnen gleich, doch der
hier wie 2, 10 beigebrachte massagetische eigenname Aigan läszt fast
keinen zweifei über des Volkes deulschheit.
Zeusz s. 293 will den namen Massagetae für unzusammengesetzt,
blosz für abgeleitet erklären, was aber aus dem lybisclien mannsnamen
lVlaaauyi]g hei Ilerod. 7,71 nicht folgt und schon durch QvaoaytTui,
Thyrsagetae widerlegt wird. **. anders bewandt ist es um die EvtQ-
ytreu = Ev - tgytreu. IJekataeus von Milet nennt Matyketen. das
aber entscheidet, dasz schon alte Schriftsteller einfaches Gelae für Mas-
sagetae gebrauchen.
An die Massageten gemahnen sodann Tyrageten, skylhische Völker
225 die am Tyras bis zum Ister hin niedergesessen waren. Strabo s. 306.2.8»
führt sie hei der gotischen wüste als nachharn der Bastarnen auf; man
könnte sie geradezu für gewöhnliche Geten halten, deren name nur
durch den Tyras näher bestimmt wurde. Plin. 4, 12 der alten Ophiusa
zwischen Tyras und Ister gedenkend fügt hinzu: in eodem (oppido)
insulam spatiosam incolunt Tyragetae, Ptolemaeus schreibt TvQuyyhui.
die späteren litthauischen Samogitae tragen dieselbe Zusammensetzung
* Lucan. Phars. 8, 133: peterem cum Caspia claustra ct sequerer duros
aeterni Martis Alanos.
** Arrian An. 4, 28, 6 hat einen indischen läaaayirrjs.
**>*■■*»*.4..w .v~ w-
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SKYTHIEN
157
an sich. Gesetzt der name Tvqiyexai und Samogelae habe den ur-
sprünglichen allgemeinen sinn von yexrjg zu bewahren gevvust; das
Vorkommen solcher bildungen an dieser stelle bleibt nichts desto weni-
ger merkwürdig, germanischer anklang war in Thrakien, ebenso ist
thrakischer in Skythien.
Wie die thrakischen Geten tauchen auch die Daken in Asien auf.
Herodot 1, 126 nennt ackerbauende und weidende Perser: uXXoi de
HtQOai eiol o'ide, IlayfhaXatoi zIrjQOvaiutoi TeQ^iävioi. ovxoi [.uv
ndvxeg äQozzjye'g eien, ol de uXXoi vo[tudeg, z/uoi ülugdoi z/po-
nixol Sayuyzioi. hier gehn mich blosz Dai an. es sind die skythi—
sehen Jdai, wie ihnen Strabo die thrakischen z/«oz entgegensetzt,
zugleich sind es die thrakischen zlioi bei Thucydides. um das kas-
pische ineer pflegen die meisten Skythen Daae, die etwas östlicheren
Massagetae und Sacae zu heiszen. Auch römische Schriftsteller ken-
nen sie fortwährend in diesen sitzen. Livius 35, 48 nennt Dahas Me-
dos Elymaeosque et Caddusios. Lucan 2, 296 Dahas Getasque , wo-
bei das einfache Getae ==> Massagetae nicht zu übersehn ist. Plin.
6, 17 Sacae Massagetae Dahae, gerade wie Strabo s. 511 am
kaspischen meer z/«c« Maoouyexcu 2uy.ou. Tacitus ann. 2, 3
Artabanus apud Dahas adultus (a. 16); 11, 8 Gotarzes Daharum Ilyr-
eanorumque opibus auctus (a. 47); 11, 10 ad Humen Sinden, quod
Dahas Ariqsque disterminat. Ptolemaeus 1, 2 Baklri Sogdiani Paropa-
misii Dahae. Solinus 15 Chalybes et Dahae und ebenso Ammian. 22,
8 Dahae et Chalybes. Diese asiatischen Dahae scheinen nicht nach
Europa vorzudringen, sondern ungefähr nach dem ersten jh. im arme-
nischen oder persischen reich unterzugehn, während die Massageten
sich westwärts gewandt und die politischen Geten verstärkt hatten. 226
war dies eine Ursache, weshalb die Geten in Europa stärkere macht
entwickelten als die Daken?
In den mitgetheilten stellen des Strabo wurden neben den Mas-
sageten und Dahen auch Suy.u.i, Sacae als skythische anwohner des
kaspischen meers genannt; die Perser brauchten den namen dieser
ihrer nachbarn für alle und jede Skythen: ol yuQ TltQOui nuvxug
xovg Sxv&ug xu.’keovai Suy.ug. Herod. 7, 64 ; ultra sunt Scytharum
populi, Persae illos Sacas in Universum appellavere a proxima gente.
Plin. 6, 17; inde Asiae confinia, nisi ubi perpetuae nives sedent et
intolerabilis rigor, scythici populi incolunt, fere omnes in unurn Sacae
appellali. Mola 3, 5.
Unleugbar traten der griechischen Vorstellung unter den asiati-
schen Skythen diese drei Völker: JMaooayexai Ztdai 2uxai in den
Vordergrund, einfacher hätte sie die ersten Fexen genannt, wäre der
name nicht für die schon europäischen Geten üblich gewesen, wie sie
ducu und z/uoi unterscheiden muste*.
Rawlinsons Scharfsinn ist es neulich gelungen die altpersische
* die gr. und lat. spräche unterscheidet den nom. pl. ou ae der ersten von
dem oi i der zweiten decl., in gothischer lauten beide einförmig 6s. aber wie
die alten Dahae Daci wurden auch die Getae Gothi — rörd’oi.
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2)bot»\e) ßfc*.
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SKYTHIEN
keilschrift ganz zu entziffern, und auf den felsvvänden von Persepolis
gewinnen wir glänzende bestätigung herodolischer angaben. Darius
Hystaspes sohn selbst führt in seiner urkunde die namen der ihm un-
terworfnen, der aufrührerischen und mit gottes hilfe* wieder besieg-
ten reiche auf: auch ein Saka erscheint, jedesmal neben Thataghush.
dies letztere ist das land der ^airuyvöai, welche bei Herodot 3, 91
im siebenten ro/uog der heberolle des Darius Vorkommen, TH wird
den Griechen zu 2, wie Athura Assyrien ausdrückt. Ghush aber und
Tvöui gemahnen auffällig an unsere deutsche form des namens Gu-
[>ai oder Guj)ös für gr. Ftrai, das vorausgehende Thata, Salta im
227 ersten theil der Zusammensetzung bliebe dunkel. Massagelen, die den
Persern nicht zinsbar waren, können unter diesen Sattagyden nicht
gemeint sein, wol aber ein verwandter stamm, in der heberolle stelm
ihnen zur Seite ravduQioi, Aaöixai und AnuQvrai, 7, 66 folgen
TavöuQLOi und Aaöiy.ai auf 2öydoi, einwohner der Sogdiana, welche
in der keilschrift S-ughda heiszt und unmittelbar vor Saka hergeht,
auch nach allen andern meldungen stiesz Sogdiana ans land der Saken.
die heberolle hat 2uxou und Kuamoi im fünfzehnten, üuydoi, Xo-
()do(.uoi, Aqzioi im sechzehnten vo/.iog, wie sie auch 7, 66 und bei
Strabo 11,8 (s. 513) verbunden stehn. Polybius 10, 48 stellt no-
madische Aanaotdxui zwischen Oxus und Tanais: das sind wol Aona-
ouxcu, reitende Saken, denen er ausdrücklich beilegt ndQtv^iv
xüv \Inncov dg xrjv X^xaviav. am hyrkanischen oder kaspischen
meer, im nordweslen von Persien bewegen sich alle diese Völkerschaf-
ten; es fällt uns unmöglich die gliederung ihrer Verhältnisse vollstän-
dig zu entwirren, aber das scheint doch nicht unhaltbar, dasz eine
520 jahre vor Chr. eingehaune Schrift die älteste urkundliche spur
deutscher Völker überliefere, dort hatten damals noch verwandte
Stämme heimat, während unsre eigentlichen Vorfahren, wie die thraki-
schen Geten darlhun, lange vor gründung.des persischen reichs aus-
gerückt sein musten.
Sogar die ältesten chinesischen annalisten der Ilandynaslie, welche
ungefähr um den beginn unsrer Zeitrechnung abgefaszt sein sollen,
scheinen etwa 165 jahre vor Chr. in der gegend des kaspischen
meers Geten und Saken, als blondhaarige blauäugige Völker zu ken-
jene nennen sie Yuetschi, dann wieder Alanen oder Yan-
thsai, die Saken Hakas, nach dem gangbaren wecbsel zwischen S
ist bereit im zend und sanskrit eine masse von Wörtern und
formen wiederzufinden, die slavischen deutschen griechischen lateini-
schen und keltischen gleich sind, zaudert aber bedenksam skythische
228 völkernamen auf europäische anzuwenden. allein durch Skylhiens
* immer wiederholt er: 'Auramazda mija upastäm abara’, Oromazdes mihi
opem ferebat, und vashnä Auramazdaha’, gratia Oromazdis.
** Klaproth tableaux historiques de l’Asie p. 168. 172. 174 vgl. Al. von Hum-
boldt Asie centrale 1, 515.
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weite strecken zogen sich zerspreitend alle Völker von osten nach we-
sten, und nichts haftete fester in ihrer spräche, als gerade ihre
namen.
Wenn ich in den Gothen und Dänen Geten und Daken, Massage-
ten und Dahen erkenne, dürfen auch die Sachsen des nördlichen cher-
sonesus mahnen an die uralten Saken. sahs und saxum fallen gleich
securis der Wurzel secare zu, S ist angefügt wie im altn. lios liosis
für liohs liohsis = lux lucis. auch die zahl sex gotli. saihs ist sec-s,
saili-s (vgl. seni wie deni aus seceni, deceni.) im persischen Dage-
stan oder Dahestan am abhang des Kaukasus nach dem kaspischen
meer lebt noch der Dahae, vielleicht im östlichen Sagestan, Segistan
der Sacae name. ap. 4^4-
Einzelne namen zu erheben und an die spitze zu stellen scheint
gefährlich, man hat die Skythen zu arischem oder medopersischem
stamm geschlagen, ebenso die Sarmaten medopersischen Stamms ge-
nannt; in allem dem liegt etwas wahres. Ilerodot 4, 117 legt aus-
drücklich den Sauromaten beinahe skylhische spräche zu, und Slrabo
s. 724, indem er Ariana zwischen Persien Medien Bactria und Sog-
diana stellt, schreibt deren einwohnern fast gleiche spräche zu: tiai
yuQ nwg xai bfioy'kwrroi nagä fiixQOv. dem Herodot sind 7, 62
Mijöoi die alten 'sIqioi*. in jener keilschrifturkunde des Darius heiszt
Arien Hariwa (die aspiration mahnt an unsere lygischen Ilarier) und
ist von Medien = Mada wie Persien — Parsa geschieden. Redeten
nun die Sarmaten, wie man annehmen musz, slavisch, so fordert die
Verwandtschaft zwischen deutscher und slavischer zunge, dasz auch
ein germanischer bestandtheil in Skvthien obwalte, was durch die 229
Geten, Dahen und Saken bestätigt wird, die Unbestimmtheit und weite
des skylhischen namens eignet sich also vorzüglich für den ausdruck
der gemeinschaft dieser Völker und sprachen, und in den Germanen
oder Slavcn ist, recht verstanden, nicht mehr oder weniger arisches
oder medisches elemenl als in andern Skythen. Kelten in Skythien
gibt man, so viel ich weisz, allgemein zu. Nicht uneben legt Lucian
im Jupiter trag. 13 dem Hermes die worte in den mund: tyw de ov
noXvyXwacbg tif.it, wart xai 2xvd~uig xai ütQaaig xai &qa^i xai
Ktlrotg ovvtxu xrjpvrrtiv, er drückt dadurch gewissermaszen alle
barbarischen zungen skylhische, slavische, deutsche und keltische aus.
Sicher gehört es zu den unauflöslichsten Schwierigkeiten alter
ethnographie Völkernamen, die an ganz verschiedner stelle vortauchen,
ohne dasz die geschichte ihren Zusammenhang auswiese, zu erklären;
so werden uns Aorsi in Thrakien, im europäischen und asiatischen
* der beweis kann nicht fehlen, dasz die medische spräche unsere urver-
wandten berühre, ich will hier nur eins anfiihren. Herodot 1, 110 erzählt von
einem weil) namens Kvvco, welches aber griech. Übersetzung des medischen
JSnaxio war: rrjv yao xvva y.a/.tovoi onätca MrjSoi. oitdi ist genau das zen-
dische spä, dessen übrige Verwandtschaft oben s. 38 angegeben wurde, jener
frauenname gleicht also dem altn. Hyndla.
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Sarmatien und in Skythien genannt*, jene rätselhaften Tectosagcn,
die Caesar als gallisches volk in Deutschland kennt, Livius und Strabo
durch Illyrien und Vorderasien einbrechen lassen, hat Ptolemaeus am
Imaus in Skythien, und auch Ttxxoadxai erinnern an die Sacae. selt-
sam steht bei Polybius 5, 77. 78 yllyöoaytg für Texxooaytg, was
kaum Schreibfehler ist, sondern über die bedeutung von Teclo auf-
schlusz gewähren könnte, am leichtesten, aber auch verkehrtesten
scheint es die Übereinkunft solcher namcn an verschiedner stelle als
bloszes spiel des zufalls abzufertigen; die skylhischen Ttxai und z/««/,
thrakischen Ftxai und zläoi, deutschen Gothen und Dänen bezeugen
die möglichkeit wahrhafter Völkerverwandtschaft in den entlegensten
strichen.
Wie die Inder vier stände, priester, krieger, werkleute und
knechte, die Griechen drei: uqioxoi, df/uov dvÖQtg und d'/uweg, die
Perser drei: krieger, ackerer und hirten entfalteten, unterscheidetauch
Herodot 4, 17. 18. 19 aber an verschiedner Wohnstätte 2xv&ou
230 aQOTrjQtg (vgl. 4, 52), die getraide bauen, um es zu verhandeln,
yeiopyot, die das land für sich bestellen und vo/.tudtg**. schon aus
ihrer heimischen sage, dasz ihnen der glühende pflüg vom himmel
niedergefallen sei, folgt ihr ackerbau; aber der nomadischen Skythen
war die grosze mehrzahl, und in bezug auf sie heiszt es 4, 2: ov
yaQ uqoxui elal dlld vo/uudeg und 4, 46: xoloi yag /ttrjre uoxta
/ui]re xei/ea fj ixxiofiivct, dlld (f tQtoixoi lovreg ndvxtg hoch \nno-
ro'lgoxui, Lwvxtg /ufj an uqoxov all! and xx^vteov, oixrj/uaxd xe
acfi fj tni Cevytcov***. Jenen am kaspischen meer seszhaften, zins-
pflichtigen Skythen wird man den ackerbau nicht streitig machen, aber
die gegen norden und westen aufbrechenden müssen stufenweise ent-
schieden dem wandernden hirtenleben zugefallen sein; bei Griechen und
Römern, die mit diesen wandernden Skythen zunächst in berührung
traten, wurzelte die Vorstellung vom bogenschieszen und wagenhaus
(u/na^offOQTjxog olxog) aller Skythen ein:
campestres melius Scytliae,
quorum plaustra vagas rite trakunt domos,
vivunt. Hör. carm. III. 24, 9.
Scythae nomades, quibus plaustra sedes sunt, sagt Salust, d[xa'^oßioi,
a[j.u§oixoi heiszen sie den Griechen. Nicht anders, stelle ich mir vor,
verwilderten auch unsere voreitern auf den langen zügen ihrer Wande-
rung, und lebten als krieger und hirten, auszer wo sie sich bei dauern-
der niederlassung, wie die Gelen in Thrakien, wieder dem landbau
zuwendeten und häuser aufführten. Straho und Ptolemaeus kennen
am Pontus und an der Donau genug angelegter Städte. Aber noch
Ammian schildert die Alanen als streifende nomaden (31, 2) und Ovid
* man vgl. die skythischen Alanorsi.
** Strabo ll, 2 unterscheidet vo/uäSss, OMjvlrcu, yscoqyoi.
*** woher der narne dfia^oixoi Strabo s. 294. 296. 300.
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bricht über die steppen der pontica tellus in klagen aus (Pont. III.
1, 12):
tu neque ver sentis cinctum florente corona,
tu neque messorum corpora nuda vides,
nec tibi pampineas auctumnus porrigit uvas.
Der skythische götterglaube, wie ihn Herodot in anziehenden um- 231
rissen 4, 59 — 62 dargestellt hat, kann offenbar nicht für den ein-
stimmigen cultus aller der vielen Völker dieses weiten landes gelten,
sondern musz sich auf die nachrichten gründen, welche von einem
oder mehrern der ihnen zunächst gelegnen stamme zu den Griechen
gelangten, dem Zusammenhang nach scheinen es mehr meldungen von
den nördlicher, am Borysthenes und Tanais wohnhaften Skythen, als
von den südlich und östlich vom kaspischen meer gesessenen. Zeusz
s. 49 legt mir darum zu groszes gewicht auf das abweichende dieser
skythischen mythen von den uns urverwandten; auch des getischen
glaubens von Zalmoxis ist hier keine spur, wie er doch zu Lucians
zeit Skythen und Gelen beigelegt ward, wogegen Herodot 4, 62 den
skythischen schwert und Marsdienst ganz in getischer, alanischer und
germanischer weise schildert, da nun das wort acinaces sogar persi-
scher abkunft ist, mag diese Verehrung die meisten Skythen durch-
drungen haben.
Taßtri für cIoTirj oder Vesta, die unter allen höheren wesen der
Skythen die erste stelle einnimmt, gewährt jedoch bedeutsame fast
unzweifelhafte anklänge, es war das feuer, die wärme, und die göt-
tin für dies heilige element, von der sanskritwurzel tap calere cremare
(Bopp 149b 150a), woher tapas calor und lat. tepere calere, tepi—
dus = calidus, sl. tepl” &t()/u6g, böhm. leply, poln. cieply, pers.
täften accendere, calefacere, täban splendidus, lucidus, täba sartago.
gr. d-dnretv, 7ivqI Sünxtiv mortuum cremare II. 21, 323. Od. 12,
12. 24, 417, ein wort des brennalters und hernach übergehend in
den begrif des begrabens, beerdigens, daher räcpog ursprünglich was
bustum (ab urendo, comburendo) und rt(fQa cinis. die lautverschie-
bung fordert für dieses T gotli. TII, ahd. D und es gehört dahin ags.
[lefian aestuare, altn. jtefa [ielja odorari, [>efr odor, altn. |)eyr ventus
cgelidus, |iä terra egelida, fiäma egelidari, tepere, ags. fiävan, ahd.
doan; schön entfaltet sich die bedeutung des altn. Jieyr, alts. thau,
ahd. dau, ags. jieav indoles, mens, wie auch indoles suboles incre- 232
mentum ab olendo, olescendo*. merkwürdig stimmt zu rdi(fog und
d-dnjHv das hei Graff unerläuterte ahd. chreodiba der lex sal. 74 (si
quis hominem igne combusserit **, gewis allheidnischer ausdruck für
den leichbrand und ein gotli. hraiva|)iba voraussetzend; Leos deutung
(2, 157) aus gal. teibheadh ist abzulehnen, nicht anders bezeichnet
im tit. 19 de incendiis die malb. gl. andeba, andebau, im tit. 20 das
einfache deba wiederum incendium und auch hier schlägt Leo (2, 22) .
vgl. finn tapa gen. lavan indoles, mos.
Lei Pertz 4, 7 im capit. Childcberti das sinnlose creubeba.
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mit der galischen auslegung fehl, ferner nehme ich zu dieser Wur-
zel das ahd. depandorn rhamnus (Graff 5, 227), ags. [>efe|)orn, {)ife—
[>orn, {^yfejmrn rhamnus, rubus und jiifel, |>yfel spina, sentis, entwe-
der duftender dorn oder lieber zum feuerbrand dienender. Das wich-
tigste habe ich aber bis zuletzt aufgespart und ein ausdruck unseres
höchsten alterthums, an welchem icli mich oft umsonst versuchte,
scheint endlich befriedigend aufgehellt zu werden, man weisz, wie
leicht sich in den wurzeln unmittelbar vor den labialen M entwickelt,
aus tepere scheint templum, ursprünglich heilige brandstätte, altar
gebildet, aus ahd. depan calere aesluare stammt damf vapor, odor,
jenes altn. [lefr; leicht also ist die berühmte Tamfana oder Tanfana
des Tacitus die germanische güttin des herdes und feuers, Vesta, Earia,
kurz sie ist die skythische Tahiti, den Sachsen könnte sie Thäfene,
den Gothen Thabana Thambana geheiszen haben; die ahd. wortgestalt
wäre Dapana, Dambana; dasz Tacitus mit der tenuis Tanfana schrieb,
ist in Ordnung, weil er im anlaut überall T für Th setzt. Ptolemaeus
nennt auf der taurischen halbinsel einen ort Tabana, Iornandes cap. 12
einen dakischen bergpass Tabae.
Das skythische Tahiti hängt, wie dargethan wurde, mit slavischen
und deutschen Wörtern urverwandt zusammen, und man wird es mir
nicht mehr als blosze'Verwegenheit auslegen, dasz ich s. 118 die
233 skythischen xoyaxoi und unsere haragä nebeneinander stellte, warum
wäre nicht noch anderes zu wagen?
Die göttliche Fij hiesz den Skythen Ani, was zum goth. aliva
lat. aqua, ahd. aha wie zum goth. avi,' ahd. ouwa, nhd. aue d. i.
wasserland gehalten werden darf, um so sichrer, da jenes aha in allen
flusznamen apa, apha, afa lautet, zweideutiger mag sich onov oculus
zu unserm spähen und schauen verhalten.
Ma^yu^ir^g (dann auch verkürzt in /udpyayov, /.luyyaQog) mar-
garita haben Griechen und Römer geständig, mit der sache selbst, von
den barbaren her überkommen: nam id nomen apud Graecos non est,
ne apud barbaros quidem inventores ejus aliud quam margaritae. Plin.
9, 35, 56. da ihnen die perlen aus dem rothen meer und Indien zu
gelangten und das skr. marakata, wenn es auch verwandt ist, /liuQuy-
Sog o/Lidgaydog bedeutet, in keiner andern spräche aber ein ähnlicher
name erscheint; so darf man vermuten, dasz er skythischen Ursprungs
war. nun aber ist das ahd. marigrioz, mhd. meregriez, ags. mere-
greot ein so verbreitetes wort einfacher bedeutung, dasz man darin
keine blosse assimilation des fremden ausdrucks für den deutschen be-
grif, wie sie sonst oft vorkommt, finden kann, sondern aufzustellen
hat, dasz ihn die Griechen aus skylhischem munde vernahmen und
beibehielten (vgl. mylhol. 1169); dafür leitet sich unser perle, ahd.
perala aus ß^vllog.
Scythis succinum sacrium. Plin. 37, 2, 40. Schafarik will sa-
trium lesen und das lett. sihters vergleichen, indessen lautet die ge-
wöhnliche lettische form dsinters, litth. gintaras, gentaras, russ. jantar.
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andere sprachen vermischen bernstein und perle*, und beide läszt der
mythus aus thränen entspringen; darum stimmt das fmn. merikiwi, est.
merrekiwwi d. i. meerstein, obschon bernstein ausdrückend, wieder
zu marigrioz.
Plinius, dem wir die kenntnis mehr als eines skythischen Wortes
zu danken haben, gibt 6, 17 auch den skythischen namen des Gau-234
Casus Groucasus an und deutet: nive candidus; man will darin finden
skr. Grävakäsas (glänzendes felsgebirg), nach Strabo 11, s. 501 hiesz
ein theil der nördlichen kaukasischen gebirge Kepavvta, gerade wie
unsere und die slavischen Donnerberge (mythol. s. 153 ff.)
Tanain ipsum Scylhae Silin vocant, Maeotin Temerinda, quo signi-
ficant matrem maris. Plin. 6, 7.** Silis hieszen, wie Ukert s. 194.
196. 238. 355 lehrt, mehrere skythische flüsse; einen see oder hach,
aus dem sich ein ström ergieszt, mutter zu nennen, war alten wie
neuen sprachen gewöhnlich: aaXetrai cT rj Xifxvrj uvttj 6qfrcog fxrjrriQ
cYnaviog. Her. 4, 52; die anwohner des Timavus nennen rov ronov
ni]yr\v aal f.a]TtQa &aXuzTi]g. Strabo 5, 214. Heinrich der Lette
ad a. 1210 p. 85: transeunt flumen quod dicitur mater aquarum, auf
estnisch emma jöggi, mutter des bachs, wie noch bei uns bachmutter
rinnsal bedeutet (Schmeller 2, 545); in Maiüng selbst liegt der be-
grif von /iiaTa. frage bleibt nur, wie das wort Temerinda zu verstehn
sei? läge in te mater, so könnte merinda für fortbildung von meri
mare*** gelten, und dies te gewinnt bestätigung aus dem zigeuneri-
schen dei, dai (Potts Zig. 2, 309) und gr. &eia amita. Böckh C.
I. 2, 112 vergleicht Teme mit Ou/.u/naoudag — Poseidon, welcher
name wie ’Oxzaf-iuaadyg Her. 4, 80 laute, findet also in teme mare,
in rinda mater, was keine mir bekannte spräche unterstützt.
In den skythischen stammnamen Aqnogdig ylino^aig Kola£ai'g
waltet deutlich dieselbe ableitung, der wir auch im getischen ZuX-
f.to£ig begegnen und dies OB musz golhischem AUS oder AHTS ent-
sprechen.
Herodot 4, 52 beschreibt eine bittre quelle, die sich im lande
der ackernden Skythen und Alazonen mit dem Ilypanis mische: aav- 235
\Xiozl fitv 'E'£a/Li7iuiog, aazu Öe v)]p ‘EXXrjvoiv yXüoaav IquI oöol.
beide Wörter haben manchen anklang: von ttgav oder i£,av, was plu-
ralform sein musz, läge wenig ab weder uyiog, ocsiog, skr. atschlschha,
svatschtschha purus, uyiog aber könnte fortleiten auf lat. sacer, san-
ctus, zend. spenta, litth. szwentas, lett. ^wehls, sl. svjal” und sogar
goth. veihs, finn. pyhä; wiederum wäre in naiog plural eines Wortes
zu suchen, das zu skr. patha via, gr. nuzog, ags. päd, ahd. pfad
gehörte.
Kcjl
* Schott in den abh. der Berl. acad. 1842 s. 361.
** zufällig ist die nhnlichkcit des Worts mit dem indischen bäum tamarinde.
*** eine ags. urkunde (späterer zeit) hat die formel ‘on land and on sirendae
terra marique, und sirende saerende scheint aus sae, wie merinda aus meri ge-
bildet.
11*
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Von den Larbaren her war den Griechen und Römern zugedrun-
gen das wort aaiQog aiQog sirus für getraidehöle, Varro de re rust.
I, 57 (vgl. 63) sagt: quidam granaria habent sub terris, speluncas,
quas vocant otiqovq, ut in Cappadocia ac Thracia, und danach Pli—
nius 18, 30: utilissime tarnen servantur in scrobibus, quos siros vo-
cant, ut in Cappadocia et in Thracia. Curtius 7, 4, 24 von Bactria-
nern redend: tritici nihil, aut admodum exiguum reperiebatur. siros
vocabant barbari, quos ita sollertes abscondunt, ut nisi qui defoderunt,
invenire non possint. in iis conditae fruges erant. Dasz auch die Ger-
manen ihr getraide in die erde gruben bezeugt Tacitus Germ. 16:
solent et subterraneos specus aperire eosque multo insuper fimo one-
rant, suflügium hiemi et receptaculum frugibus, ich denke dasz hier-
auf die ahd. namen wintarchasto und wintarhouc gehn, die in mehr
als einer gegend Vorkommen, es kann aber einfachere Wörter gege-
ben haben und ich will einmal rathen sisu in der bedeutung von grab
grübe hole, wovon noch übrig wäre ahd. sisesang grablied, carmen
lugubre, sisuwa neniae, alts. dädsisas todtenhügel? ja ahd. sisimüs
ags. sisemüs glis fügt sich auf ein in erdhölen hausendes tliier, sei
es Siebenschläfer oder ratte; sisu oder sisu gienge leicht über in siru.
sehr auffallend ist, dasz den Ungern sir grab, sfräsö lodtengräber,
siralmas luctuosus,, flebilis heiszt; darf das finn. liiiri mus mit siiri
verglichen werden? also
Ein andres oxo/ua ßaQßaQixov nennt uns Pollux 10, 165 oxaX/iitf
für %i(pog, altn. bedeutet skälm oder skälma geradezu framea und nach
Biörn vagina gladii, warum nicht gladius? ich unterstehe mich aber
236 auch das ahd. scalmo, scelmo, mhd. schelme pestis, pestilentia, lues
beizubringen, da der Würgengel speer und schwert schwingt oder sei-
nen pfeil entsendet (mythol. s. 1134. 1 135), vgl. altn. skelmis drep
pestis = frameae ictus. die wurzel ist skella tinnire, ahd. scellan,
scallan. u.'nVen ^o^-
Xenoplion (anab. IV. 7, 15. 16) indem er die skythischen Cha-
lybes (oben s. 225) schildert, deren auch Ilerodot gedenkt, hebt ihre
tapferkeit hervor, und dasz sie den überwundnen feinden die köpfe
abschnitten: xal dnozaf.ivövzag dv zdg xacpaXug l'/ovzag ztioqzvovzo.
dieses kriegerischen brauchs wurde schon s. 141 gedacht, dem Strabo
II, 14 p. 531 heiszen aber thrakische Völker, die an Medien und
Armenien grenzen, ^aycmdgai, was er änoxecpaXiozal oder xecpa-
Xazo/uoi übersetzt, ich weisz dies sarapara aus keiner mir bekann-
ten spräche zu erläutern, möchte aber para in pala verändern, wenn
ich das oeorpata der folgenden nachricht erwäge. Avico-t>
Tag da 14/zatyvug xaXlovai IZxvd'ai OloQnazu, dvvazai da zo
ovvo^ia zovzo xur TXXuda yXioooav dvdQoxzovoc oIoq ydy xa-
Xtovai zov uvdQa, zo da nazu xztivaiv. Iler. 4, 110. oioq wäre
dem skr. vira lieros, lat. vir, golh. vair, finn. uros und selbst mit
’’L4qrig vergleichbar; an pata das lat. batuere zu halten scheint unrath-
sam. eine Variante führt aorpata, wobei mir die Aorsi einfallen.
Man darf nicht darauf ausgehn, die wenigen uns überlieferten
Ai* i.v . v«. -v*. Ai+ Ai
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skythischen Wörter vorschnell nachzuweisen, und was ich hier versuchte
ist fern vom anspruch auf Sicherheit; blosz das recht sollte ihnen an-
geeignet werden, mit in den kreis unsrer urverwandten sprachen zu
gehören.
Im allgemeinen waren die Skythen, gleich den Germanen oder
Slaven der vorzeit, wilde aber edle nomaden, wie die Vergleichung
ihrer mythen und brauche zeigt. Lucians schöne sagen von skythischer
treue und tapferkeit scheinen echt und unerdichtet; die heisze Pflug-
schar der Skythen, das niedersilzen auf der rindshaut, das trinken aus
dem schädel, ihr leichengerüste, den hungergürtel, die werwölfe und
andres habe ich auch in unserm alterthum angetroflen. bemerkens-
werth dünkt mich, dasz Lucian den Skythen die lihation oder wein-
spende abspricht: ov yay l'd-og y/uTv ex/tiv tov oilvov, dXXd vßQigUl
ilvai SoxeT tovto elg rbv &ebv. Tox. 45. auch die germanischen
beiden tranken minne, ohne dabei auszugieszen, die Litthauer goszen
aber aus (mythol. s. 52. Haupt 1, 142. 145.)
Leichtes kaufs, wTie mit den Geten, hat die neuere forschung sich
auch mit den Skythen abfmden, sie als unfruchtbar für die geschichte
der Völker und sprachen beseitigen wollen, beide sind aber ansehn-
liche glieder einer groszen kette, aus welcher sie nicht losgebrochen,
wenn schon in ihrem vollen gehalt nicht mehr erkannt wrerden können.
ilimnait (Ötnnm.
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Von den barbaren her war den Griechen und Römern zugedrun-
gen das wort oeiQog oiqog sirus für getraidehöle, Varro de re rust.
I, 57 (vgl. 63) sagt: quidam granaria habent sub terris, speluncas,
quas vocant oeigovg, ut in Cappadocia ac Thracia, und danach Pli—
nius 18, 30: utilissime tarnen servantur in scrobibus, quos siros vo-
cant, ut in Cappadocia et in Thracia. Curtius 7, 4, 24 von Bactria-
nern redend: tritici nihil, aut admodum exiguum reperiebatur. siros
vocabant barbari, qvios ita sollertes abscondunt, ut nisi qui defoderunt,
invenire non possint. in iis conditae fruges erant. Dasz auch die Ger-
manen ihr getraide in die erde gruben bezeugt Tacitus Germ. 16:
solent et subterraneos specus aperire eosque multo insuper fimo one-
rant, suffugium hiemi et receptaculum frugibus, ich denke dasz hier-
auf die ahd. namen wintarchasto und wintarhouc gehn, die in mehr
als einer gegend Vorkommen, es kann aber einfachere Wörter gege-
ben haben und ich will einmal rathen sisu in der bedeutung von grab
grübe höle, wovon noch übrig wiire ahd. sisesang grablied, carmen
lugubre, sisuwa neniae, alts. dädsisas todtenhügel? ja ahd. sisimüs
ags. sisemüs glis fügt sich auf ein in erdhölen hausendes thier, sei
es Siebenschläfer oder ratte; sisu oder sisu gienge leicht über in siru.
sehr auffallend ist, dasz den Ungern sir grab, siräsö todtengräber,
siralmas luctuosus,. flebilis heiszt; darf das finn. lniri mus mit siiri
verglichen werden? aUovit/V
Ein andres ovo[.iu ßuQßaQixöv nennt uns Pollux 10, 165 axaX/utf
für §t<jf * ’ ■’ und nach
Biörn nich aber
236 auch i ntia, lues
beizubi oder sei-
nen p lmis drep
pestis I. scellan,
scallan
^ hen Cha-
lybes hebt ihre
tapferl die köpfe
abschi OQtvovro.
dieses em Slrabo
II, 14 p. 531 heiszen aber thrakische Völker, die an Medien und
Armenien grenzen, 2uQanuQou, was er unoxecpahorai oder xecpa-
hxTOf.ioi übersetzt, ich weisz dies sarapara aus keiner mir bekann-
ten spräche zu erläutern, möchte aber para in pala verändern, wenn
ich das oeorpata der folgenden nachricht erwäge. KöhtuAe* Arico- j» 52
Tug de 'Af-ioXflvag xoleovai ~xvdou OioQnara, dvvarui de ro
ovvof.iu tovto xar cEXXuda yXwooav uvdQoxxdvor oloq yuQ xa-
Xtovoi xov uvdQu, to de nuxu xxelveiv. Iler. 4, 110. oIoq wäre
dem skr. vira heros, lat. vir, goth. vair, finn. uros und selbst mit
Aqtjg vergleichbar; an pata das lat. batuere zu halten scheint unralh-
sam. eine Variante führt aorpala, wobei mir die Aorsi einfallen.
Man darf nicht darauf ausgehn, die wenigen uns überlieferten
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
SKYTHIEN
skythischen Wörter vorschnell nachzuweisen, und was ich hier versuchte
ist fern vom anspruch auf Sicherheit; blosz das recht sollte ihnen an-
geeignet werden, mit in den kreis unsrer urverwandten sprachen zu
gehören.
Im allgemeinen waren die Skythen, gleich den Germanen oder
Slaven der vorzeit, wilde aber edle nomaden, wie die Vergleichung
ihrer mythen und bräuche zeigt. Lucians schöne sagen von skythischer
treue und tapferkeit scheinen echt und unerdichtet; die heisze Pflug-
schar der Skythen, das niedersilzen auf der rindshaut, das trinken aus
dem schädel, ihr leichengerüste, den hungergilrtel, die werwölfe und
andres habe ich auch in unserm alterthum angetroflen. bemerkens-
werth dünkt mich, dasz Lucian den Skythen die libation oder wein-
spende abspricht: ov yuQ ifrog r^-uv tx/tlv tov otvov, «11« vßqig^yi
tlvou Soxtt tovto elg rov d-tov. Tox. 45. auch die germanischen
beiden tranken minne, ohne dabei auszugieszen, die Litthauer goszen
aber aus (mythol. s. 52. Haupt 1, 142. 145.)
Leichtes kaufs, wie mit den Geten, hat die neuere forschung sich
auch mit den Skythen abfinden, sie als unfruchtbar für die geschichle
der Völker und sprachen beseitigen wollen, beide sind aber ansehn-
liche glieder einer groszen kette, aus welcher sie nicht losgebrochen,
wenn schon in ihrem vollen gehalt nicht mehr erkannt werden können.
m
fei
%
XI.
UßYEßWANDTSCIIAFT.
238 Das worin die groszen und berschenden sprachen Europas unter-
einander und mit ihrer gemeinschaftlichen asiatischen quelle überein-
stimmen, gewahrt sich sowol an den wurzeln als an den hiegungen
ihrer Wörter, eine fülle von wurzeln reicht schichtenweise immer
durch einen beträchtlichen theil dieser sprachen und es zieht an den
einflusz der lautverhältnisse auf die bcibehaltung oder abänderung sol-
cher reihen nach manigfalligster stufe zu beobachten; beispiele sind
bei den metallen, dem vieh und getraide angeführt, aber noch manche
andere eingeflochten worden: wie wunderbar ist das aufblicken der
namen lovhog julius juleis geola joulo, oder des harlmänöt grodinnis
hruden grudzien, des du dubhlachd ilbalza, des namens crusta kregzde
und, wenn ich recht behalte, hruzdö hrodda. Dennoch steht diese
allenthalben reich entfaltete gleichheit oder ähnlichkeit der Wörter,
wobei es nicht selten unmöglich fällt Verwandtschaft von entlehnung
zu sondern, an heweiskraft dem viel innerlicheren einklang der gram-
matischen flexion nach, und man hat längst dem grundsatz gehuldigt,
dasz diese letztere vorzugsweise über die nähe oder ferne einzelner
sprachen zu entscheiden habe.
Bei der endlosen und erstaunenden manigfaltigkeit aller wurzeln
und Bildungen leuchtet aber ein, dasz kaum irgend einer verwandt-
239 schaft durch alle sprachen gefolgt werden könne, sondern sie hier
oder dort abbruch leiden und einem Wechsel raum gehen müsse, die
s. 153 mitgetheiltcn formen des Wortes name reichen ein fast durch-
greifendes beispiel dar und weisen gleichwol auf doppelte von einan-
der weichende wurzeln.
Mit recht hat. man drei kennzeichen ermittelt, welche in sämtli-
chen urverwandten sprachen, wo nicht unverändert, doch höchst deut-
lich und eigenthümlich anzutreffen sind, und füglich als symbol der-
selben aufgestellt werden dürfen, ich meine die schon s. 8 angegebne
Übereinkunft der zahlen, persönlichen pronomina und einzelner formen
des substantiven verbums, will aber noch ein viertes characteristisches
beispiel zufügen.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
A/SÄAAAAAAAAAAA'A A ’41tt
URVERWANDTSCHAFT
167
Alle Zahlwörter gehn aus von den fingern der hände, wie noch
jetzt Völker, bei welchen lebhaftes gebärdenspiel gilt, namentlich Ita-
liener, um zu zählen die finger auszustrecken pflegen, unser Sprich-
wort cer kann nicht einmal fünf zählen’, 'mehr als fünf zählen bezeich-
net die allerniedrigste oder eine höhere stufe der fähigkeit sich auszu-
drücken. es gibt Völker, die sich mit einer hand begnügend nur bis
zu fünf,zählen (die Griechen nennens ne^inu^tiv) und von sechs bis
zehn die nemlichen Wörter mit einem beisatz wiederholen, weit die
meisten rechnen aber nach den fingern beider hände und haben zehn
einfache unterschiedne Zahlwörter, auf welche dann zusammengesetzte,
jene einfachen in sich enthaltende folgen, aus solchen Wiederholungen
der fünf und zefin zahlen ergeben sich eigenthümliclie benennungen für
die begriffe 15, 20, 30, 60, 100 und 120, wovon noch späterhin*.
Hier ist blosz um die gleichheit der zehn ersten grundzahlen zu thun,
die in jeder spräche unentlehnt vorhanden sind.
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bl* J lat. sex lilth. szeszi lelt. seschi septem septyni septini octo aszlüni astoni novem dewyni dewini
* die transactions of the american ethnological society vol. 1
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pantschan
pendsch
Tiivxt
quinque
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
XI.
URVERWANDTSCHAFT.
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238 Das worin die groszen und berschenden spräche
einander und mit ihrer gemeinschaftlichen asiatische
stimmen, gewahrt sich sowol an den wurzeln als
ihrer Wörter, eine fülle von wurzeln reicht sei
durch einen beträchtlichen theil dieser sprachen i
einllusz der lautverhältnisse auf die beibehaltung
eher reihen nach manigfaltigster stufe zu beob.'
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andere eingeflochten worden: wie wunderbar
namen lovfoog julius Juleis geola joulo, oder
hruden grudzien, des du dubhlaclid ilbalza, c1
und, wenn ich recht behalte, hruzdö hro'
allenthalben reich entfaltete gleichlieit od
wobei es nicht selten unmöglich fällt ver
zu sondern, an beweiskraft dem viel inne
matischen llexion nach, und man hat lä;
dasz diese letztere vorzugsweise über
sprachen zu entscheiden habe.
bei der endlosen und erstaunen'
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239 schaft durch alle sprachen gefolgt werden
oder dort abbruch leiden und einem Wechsel raun,
s. 153 mitgetheilten formen des Wortes name reichen
greifendes beispiel dar und weisen gleichwol auf doppelte von t...
der weichende wurzeln.
Mit recht hat man drei kennzeichen ermittelt, welche in sämtli-
chen urverwandten sprachen, wo nicht unverändert, doch höchst deut-
lich und eigenthümlich anzutreffen sind, und füglich als symbol der-
selben aufgestellt werden dürfen, ich meine die schon s. 8 angegebne
Übereinkunft der zahlen, persönlichen pronomina und einzelner formen
des substantiven verbums, will aber noch ein viertes characteristisches
beispiel zufügen.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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URVERWANDTSCHAFT
167
Alle Zahlwörter gehn aus von den fingern der hände, wie noch
jetzt Völker, bei welchen lebhaftes gebärdenspiel gilt, namentlich Ita-
liener, um zu zählen die finger auszustrecken pflegen, unser Sprich-
wort cer kann nicht einmal fünf zählen3, cmehr als fünf zählen bezeich-
net die allerniedrigste oder eine höhere stufe der fähigkeit sich auszu-
drücken. es gibt Völker, die sich mit einer hand begnügend nur bis
zu fünfszählen (die Griechen nennens ntfxnaQtiv) und von sechs bis
zehn die nemlichen Wörter mit einem beisatz wiederholen, weit die
meisten rechnen aber nach den fingern beider hände und haben zehn
einfache unterschiedne Zahlwörter, auf welche dann zusammengesetzte,
jene einfachen in sich enthaltende folgen, aus solchen Wiederholungen
der fünf und zefin zahlen ergeben sich eigenthümliehe benennungen für
die begriffe 15, 20, 30, 60, 100 und 120, wovon noch späterhin*.
Hier ist hlosz um die gleichheit der zehn ersten grundzahlen zu thun,
die in jeder spräche unentlehnt vorhanden sind.
1 II III IV V
r- (ika dvav tri tschatvär pantschan
Ind. aöva dva thri tschathvAr pantschan
ßrs. jeki du sih tschehar pendsch
|r. eTg övo TQ£ Tg rtooaQtg ntv T£
/at. unus duo tres quatuor quinque 240
litth. ivienas du trys keturi penki
lett. weens diwi trihs tschetri peezi
sl. jedin dva tri tschetyri pjat’
poln. jeden dwa trzy cztery pieö
böhm. geden dwa «j ctvrj pet
goth. ains tvai jireis fidvör fimf
ahd. ein zuönö dri fior finf
ags. An tvegen j)ri feover fif,
engk one two three four five
altn. einn tveir jtrir fiorir fimm
sclnved. en tvä tre fyra lern
ir. aon do tri ceathair cuig
welsch un dau tri pedwar pump
armor. unan daou tri pevar pemp
VI VII VIII IX X
skr. schasch saptan aschlan na van dasan
zend. csvas haptan astan navan dasan
pers. schesch lieft hescht nuh deh
gr. n tnxä OXTIO tvvla ötxa
lat. sex septem octo novem decem
litth. szeszi septyni asztüni dewyni deszimt
lett. seschi septini astoni dewini desmit
* die transactions of the american ethnological society vol. 1 Newyork 1845
geben nach p. 114 eine lehrreiche tafel amerikanischer Zahlwörter.
© Hessisches Staatsarchiv M
<r- MM- •*** —- -V» ».v . v- ^ >.* ut+A
Bew£ö Isit
^ r,%zk.
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
ff
S.&Om
U%l-5T
4^6
VI VII VIII IX X
sl. sehest’ sedm’ osm’ devjat’ desjat
poln. szes6 siedm osm dziewied dziesi§6
böhm. sest sedm osm dewet deset
goth. saihs sibun ahtau niun taihun
ahd. sehs sipun ahtd niun zehan
ags. six seofon eahta nigon tyn
engl. six seven eight nine ten
altn. sex sjö ätta niu tiu
schwed. sex sju ätta nio tio
ir. se, sea seaebt ocht noi deich
welsch chwech saith wyth naw deg
armor. chouech seiz eiz nao dek
Wie nah sich alle diese formen stehn, fällt ins äuge, und man braucht
nur die abweichung der dialecte zu beobachten, so schwinden schein-
bare Verschiedenheiten.
Bei der einzahl zieht das N in unus (früher oenus oinus) än einn
aon un den blick auf sich; auch das preuszische ains, litth. wienas,
lett. weens stimmen (engl, one lautet wie uon, won.) die gr. zahl
zeigt es im neutr. tv und wöexu, folglich steht tJg für tTxg, wg, wie
der gen. wog bestätigt; dasz nun dies N überall der ableitung, nicht
der wurzel gehöre, scheint das sl. jedin zu lehren, dessen D dem in
sedm gleicht, also in andern sprachen labialis sein dürfte; es mag aber
dunkel bleiben, welcher consonant vor dem N in unus ains aon aus-
fiel. Benfey 1, 3 nimmt das zendische aeva öva für urgestalt und
nähert ihr das homerische let für /lda = Fia, wie 010g solus stam-
men soll aus oiFog; das skr. 6ka deutet Bopp s. 308 aus Verbindung
des demonstrativen 6 und interrogativen ka, sl. jedin aus skr. ädi pri—
mus, unus ains oiog = oivog skr. demonslrativum ena; Holtzmann
(über den ablaut s. 37) legt dem ena oino ain eine form wie asna
zum gründe, wofür lat. as assis als unio und bini aus bisni (wie terni
aus ter) geltend zu machen wäre, ich möchte über diese consonanz
wie das ihr folgende N den Spruch noch offen erhalten, es wird dabei
auch der anlaut S in semel simul singuli zu erwägen sein.
In II und III bewahren alle diese sprachen lingualanlaut; nur
fällt persisches sih für tri auf und scheint aus der zendischen aspirata
thri, wobei noch das R schwand, erklärbar*. Höchst merkwürdig
aber ist das adverbiale lat. bis für duis, skr. dvis, gr. ö/g, goth. tvis
tvizva, ahd. zuiro, mhd. zwir; dasselbe B zeigt sich in vielen Zusam-
mensetzungen, in higa biduus hinus bimus (vgl. triga triduus trinus
trimus) und in bellum für duellum zweikampf Zwietracht**, ähnlich
242 entsprang lat. viginti aus duiginti*** , gr. el'xooi, episch hixooi, dor.
* im hindostanischen lautet III tin, wo wieder ti fiir tri.
** dem zweiten wort in bellum duellum vergliche sich proelium aus provilium
produilium (Benfey 2, 223), vielleicht auch das goth. aljan Zrjhos, ahd. elian cllan,
certamen robur virtus.
*** vgl. vicessis und bicessis = viginti asses.
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URVERWANDTSCHAFT
*37
ZAHLEN
169
il'xaxi l'xuxi Ftixaxi Fixaxi (Ahrens p. 279) lakonisch bei Hesych
ßtixaxt aus övlxaxi, ir. fiche, gal. fichead aus duiche duichead, skr. c A
vinsati (pers. bist) aus dvasati dvisati; der abstand des XX von II ist vi«ah
demnach uralt, doch alle deutschen, litthauischen, slavischen formen
lassen dem XX seinen lingualanlaut.
Zu den zahlen IV—X wäre viel anzumerken. II statt S ist dem
zend. haptan, gr. und Inxd gemäsz, ein auch sonst unsellner Wech-
sel, dem noch welsches chwßch, arm. chouech angehört, dem P sind
ergeben skr. pantschan, gr. ntvxe, osk. pomtis*, kelt. pempe, litth.
penki, sl. pjat, und das lautverschobne fünf gegenüber dem K des lat.
quinque, franz. cinq, ir. cuig. etwas anders stellt sich das Verhältnis
in der vierzahl wo aeol. m'ovgeg nlovQtg ntoovgeg, osk. petora, wel-
sches pedwar, gotli. fidvör den lippenlaut hegen, lat. quatuor, albane-
sisehes xuxbq, litth. keturi, ir. ceathair, gal. ceithir den kehllaut, des-
sen aussprache leicht in das TSCH von tschatvär, tschehar, tschetri,
tschetyri, cztery Übertritt und im gr. xtooaQtg, jon. xtoaspeg, dor.
xtxxoQig xtxoQtg reine lingualtenuis annimmt, so dasz im IV alle con-
sonantorgane anlauten.
Was die inlaute betrift, so nähert sich aeol. ne/xne für nivxt
und überall das ordinale ntf.mxog dem keltischen pempe (in pempe-
dula, oben s. 210), welschen pump und gotli. fünf, während nivxe,
osk. pomtis näher stand zu sl. pjat’ pet, und skr. pantschan mitte hält
zwischen nivxe und litth. penki, dessen inlaut dem des lat. quinque
begegnet; das reine T in ntvxe stimmt zu dem in xexoQtg.
Gleich liegen sich in den zahlen V VII VIII IX X skr. pantschan
saptan aschtan navan dasan die ausgänge -an, deren stelle im gr. ntvxt
tnru oxrio ivvtu, dtxa überall vocal und zwar verschiedenartiger ein-
nimmt; die Zusammensetzungen oxxaddxxvlog ntvxuddxxv’kog u. s. w.
bewahren noch ntvxd oxxd; weil diese spräche kein auslautendes M, 243
wol aber N duldet, darf man auf kein älteres ntvxuv tnxdv schlieszen,
nur auf neyxü/.i tnxd[.i, wie es im ordinalen tßöofxog erscheint, dazu
stimmen auch die lat. septem novem decem und septimus decimus,
während nonus == novenus M in N schwächte und die cardinalen quin-
que und octo beider verlustig gehn **. die litth. septyni aszlüni de-
wyni behalten N, deszimt (preusz. dessimpls) sogar M, ebenso die sl.
sedin osm’ altes M, doch devjat desjat entrathen aller liquida. unsere
gotli. sibun niun tailmn behaupten den ausgang, in fimf und alitau ge-
bricht er, was bemerkenswerlh zum gr. und lat. ntvxB oxxio, quinque
octo stimmt; nicht zu übersehn die länge der ultima von oxxco und
ahtau, denn auch im lat. octo sollte der vocal lang auslauten. doch
die dichter corripieren schon und nur in oclodecim octoginta haftet
die länge; statt des letzteren auch ocluaginta. keine keltische zunge
* woher der samnitische mime Pontius = Quinctius.
** auch die adverbia septies novies decies legen das M ab und stehn wie
quinquies scxies octies; vgl. den mannsnamen Decius neben Septimius.
sches Staatsarchiv
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
JUk. w*. w» -.-w .v>. w*.
hat solchen ausgang*, wie er in allen urverwandten der sechszahl
abgeht, der er doch höchst wahrscheinlich anfangs gleichfalls zustand,
und die salischen chunnas liefern uns in der that neben VII septun
auch VI sexan. diesem merkwürdigen sexan steht demnach alterlhüm-
lichere form zu als selbst dem skr. schasch.
Der am sl. sehest devjat desjat, litth. dezimt zutretende auslaut
T gleicht dem der lat. ordinalien quarlus (f. qualuortus) quintus sex-
tus, der gr. reruQzog nif.inzog exzog evvazog dexazog, der goth.
fimfta saihsta sibunda ahtuda niunda taihunda und scheint superlativer
244 natur; sollte nicht das T in den cardinalen nevze pomtis pjat, in sap-
lan septem enzä septyni seacht und in aschtan octo oxxio asztüni ah-
tau ocht, die media in eßdo/.iog oydoog denselben grund haben? aber
auch das M oder N in septem decem, septimus decimus u. s. w. sind
superlativisch**, in septem und deszimt tauschen M und T die stelle.
Man hat sich bemüht in den sinn der wurzeln dieser zehn zah-
len einzudringen, und für pantschan die ausgestreckte hand mit fünf
fingern von patsch extendere (a digitis quinque extensis), für dasan
beide hände mit zehn fingern, von das monstrare gefunden, gleich-
wol scheidet eigentlich der Perser pentsch pugnus, pendsch quinque,
der Slave pjast pugnus, pjat quinque, der Pole piesc pugnus, piec
quinque, und noch weiter entfernen sich pugnus, nvy/iirj nv'tg, bist
faust von der fünfzahl; aber die Verwandtschaft der Wörter kann doch
gelten und im gemeinen leben wird faust durch fünf finger umschrie-
ben. noch unleugbarer stehn duxzvXog, digitus und zeha (digitus
pedis) mit dexa decem, deixvv^a und zeigen in Zusammenhang. Einige
andere zahlen enthalten vielleicht die begriffe des schichtens und häu-
fens (Pott 1, 276. 277), wie umgedreht die edda durch besondere
substantive den verein zweier, dreier u. s. w. menschen ausdrückt
(rechtsalt. s. 207.) so bezeichnet z. b. galisches ruta, engl, rout,
mlul. rotte (Trist. 6895. 9332) die zahl von vieren, ln der neun-
zahl scheint die Vorstellung der neuheit gelegen, da dem navan novem
evvea niun die adjective skr. navas, lat. novus, gr. veog, litth. naujas,
preusz. nauns, sl. novy, goth. niujis ganz nahe kommen, zählte man
nach tetraden, so hob mit neun die dritte telras an, und auf solcher
Wiederkehr beruhten die römischen nundinae = novendinae. befremd-
lich scheint die abweichung der sl. und litth. form, allein devjat de-
wyni dewini stehn sichtbar für nevjat newyni newini, wie das preusz.
245 newints — litth. dewintas zeigt. Mit diesen zehn grundzahlen werden
nun durch addition, multiplication, einigemal auch subtraction alle übri-
gen zusammengesetzt, wobei wieder die sprachen wunderbar überein-
treffen. Der häufige gebrauch solcher Wörter sucht jedoch vielsilbi-
* doch im irischen seachtmhogha = LXX, ochtmhogha = LXXX bricht das
uralte M durch und erweist ein seachtm, ochtm statt seacht, ocht. Bopp (über
die celt. spr. s. 23) schlieszt scharfsinnig aus der nach seacht ocht naoi und deich
stattfindenden eclipse, dasz diese zahlen früher nasalen ausgang hatten.
** vgl. die irischen ordinalien ceathramädh (quartus) seachtmhad (septimus)
naomhadh (nenus) deachmhadh (decimus) aonmhadhdeag (undecimus.)
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
171
gen formen auszuvveichen und gestattet sich von ältester zeit an starke
kürzungen, deren analogie dem beweis der Verwandtschaft nicht gering
zu statten kommt.
Die zahlen XI—XIX bilden sich auf dem wege der addition: skr.
ükädasan dvädasan trajödasan tschaturdasan; zend. aövandasan dvadasan
tschatrudasan; pers. jänzedeh duäzdeh sizdeh tschehardeh; gr. tv$txu
xa rQigxalötxa renouQegxuidexu (man merke von XIII an die
einschaltung des xa)); lat. undecim duodecim tredecim quatuordecim
(das von decem abweichende I der letzten silbe ist wie im ordinalen
decimus); ir. aondeag dodeag trideag ceathairddag (deag für deich.)*'
Die Slaven fügen die praep. na (auf, nach) zwischen beide zahlen:
jedinonadesjat’ dvanadesjat’ trinadesjat’, was wollautende aber vielsilbige
formen hervorbringt, die sich in neueren sprachen syncope gefallen
lassen, poln. jedenascie dwanascie trzynascie; böhm. gedenäct dwanäct
tfinact. unter den romanischen sprachen kürzt die franz. zumal ab:
onze douze treize quatorze quinze seize. Merkwürdig ist das analoge
verhalten deutscher und litth. zunge, nemlich schon die goth. verfährt
für XIII — XIX auf die eben dargestellte weise und setzt firitaihun (?)
fidvörtaihun fimftaihun zusammen, ahd. drizehan fiorzehan, nhd. drei-
zehn vierzehn* u. s. w., ags. fmeottyne feovertyne u. s. w., altn.
jirettan fiortän u. s. w., schwed. tretton fjorton, dän. tretten horten
u. s. w. **, nur bei XI und XII (den zahlen die griech. ohne xul
stehn, geschieht anderes. XI lautet goth. ainlif gen. ainlibö, ahd. einlif,
ags. endleofan, mhd. einlef, nhd. eilf, altn. ellifu, schwed. ellofva elfva, 246
dän. elleve; XII goth. tvalif gen. tvalibö, ahd. zvelif, ags. tvelf, mhd.
zwelef, nhd. zwölf, altn. tölf, schwed. tolf, dän. lolv. nicht anders
bilden die Litthauer und zwar sämmtliche zehner statt mit deszimt mit
angefügtem lika: wienolika dwylika trylika keturölika penkiolika szeszö-
lika septinölika aszlünölika dewinölika; doch die Letten gehn nach sl.
weise zu werke, in dem sie den gewöhnlichen cardinalien die praep.
pa einschalten: weenpadesmit diwipadesmit (gekürzt diwpazmit) trihs-
padesmit (trihspazmit.) Wie sind nun unser eilf und zwölf und die
litth. zehner zu erklären? früher hatte ich ans litth. likli superesse,
remanere, linqui und das goth. leiban gedacht, so dasz bei eilf zehn
und eins darüber,* bei zwölf zehn und zwei darüber gemeint wäre und
lika, lif den sl. und lett. praep. na, pa gliche, die zehnzahl selbst aber
der kürze wegen blosz in gedanken bliebe, eben die Verschiedenheit
von lika und lif, welche in beiden sprachen auf das überbleiben führt,
schien meiner deulung zuzusagen.*** Da indessen alle zahlbildung nur
* überall ohne und, das nur ausnahmsweise beigefügt wird: 'driu und zehen
jfn-5 Docens misc. 1, 103. so lieiszt es episch und jonisch SvoxaiSexa statt
SdSexa.
** diese nordischen -tän, -ton, -ten der zusammengesetzten zehner wahren
den alten N auslaut, während das einfache zehn tlu, tio, ti lautet.
*** Almqvists svensk spräklära s. 40 will bei ellofva und tolf an lofve, hole
band denken: man habe nach den zehn fingern für die ersten zahlen beide innere
handflächen für XI und XII verwendet, doch lofve, altn. löfi, ags. löfa fügt sich
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
B
172
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
mit zahlen selbst und (von jenen praep. abgesehn) nicht durch andere
Wörter bewerkstelligt wird, so gebe ich Bopps annahme den Vorzug,
dasz in ainlif tvalif und allen litth. Zusammensetzungen mit lika formen
einer uralten zehnzahl erhalten sind, auf welche die Schicksale des
gewöhnlichen Worts keinen einflusz ilbten. im präkrit gilt alleinstehend
daha für skr. dasan, in der composition aber -raha, z. b. XII lautet
väraha = skr. dvadasa, XVIII attcäraha == skr. aschtädasa, aus D in
L (dingua lingua) ist der Übergang noch leichter als in R, ja von Bopp
§.319 beigebrachte hindostanische formen schwanken geradezu zwi-
247 sehen D R L: XI igäreh, XII bäreh, XIII tireh, XIV tschandeh, XV
pandreh, XVI söleh, XVII setreh; hiernach führt litth. lika auf dika «==■
decem, dixu zurück und das F B in lif libö mag sich wie in fimf:
penki oder sibun: seacht verhalten. Nicht allein hat die entwickelte
theilweise analogie des deutschen und litth. zahlsystems, ihres hohen
alters wegen, für die nähe beider werlh, sondern die deutsche be-
schränkung dieser anomalie auf XI und XII bekundet zugleich duode-
cimalen einflusz, der noch anderwärts vorbriclit.
So viel von den zehnern; fragt sich um die decaden. das sans-
krit hat dazu die offenbar aus dasali gekürzte form sati, XX vinsati,
XXX trinsat, XL tschatvarinsat, L pantschasat, LX schaschli, LXX saptati,
LXXX asiti, XG navati statt der vollen dvidasati tridasati tschatvära-
dasati schaschdasati navadasati. analog sind el'xooi tl'xuxi ßtixaxi für
ßidexaxi, xQiaxovxa — xQiüdtxovxa, xtaoaQÜxovxa — xeaaaQÜÖt-
xovxa x. x. X. lat. viginti, triginta, quadraginta, quinquaginta u. s. w.
= hidecinti tridecinta quatuordecinta; G für G wird man leicht fas-
sen, da der altlat. schrift zur media und tenuis des kehllauts nur ein
huchstab diente und Geres Ceres ausgedrückt wurde; neben vigesimus
trigesimus erhielten sich vicesimus tricesimus. duodecim schied sich
deutlich von viginti und tredecim von triginta (tridecinta.) Noch stär-
kere kürzung leiden die franz. vingt, trente, quarante und sind gleich
bestimmt von douze treize quatorze verschieden. Die irischen-decaden
flehe (fichid), triochad, ceathrachad, caogad, seasgad, seaehtmhogha,
ochtmhogha, nochad müssen wiederum auf ein ursprüngliches dodei-
chad, triodeichad u. s. w. rückführbar sein; die armorischen ugent
tregont gleichen den lat. viginti, triginta. Die slavischen decaden son-
dern sich dadurch von den zehnern, dasz sie das additionale na ent-
behren: XX dvadesjat’, XXX tridesjat’ u. s. w. verschieden von XII
dvanadesjat’, XIII trinadesjat’. ebenso stehn poln. XX dwadziescia,
XXX trzydziesci gesondert von dwanascie trzynascie; die slavischen
decaden erfahren also keine kürzung.
248 Nicht zu tibersehn ist hier eine eigenheit der poln. und böhm.
spräche, Avelche ihre decaden von 50 — 90 anders bilden als die von
10 — 40, nemlich poln. dziesiqc dwadziescia trzydziesci czterdziesci,
böhm. deset dwadeet trideet ötyfideet, hingegen poln. pieedziesiat
schon nicht zum goth. ainlif tvalif, und wie sollte dadurch ein unterschied zwi-
schen XI und XII möglich werden?
Ikus
JAM. *aU. .. w. A4K -V». JU». Jl
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T T.TTTT
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN 173
szesödziesiat siedmdziesiat osmdziesiat dziewiecdziesiat, böhin. padesat
sedesat sedmdesat osmdesat devvadesat. von dieser feinen Unterscheidung
zwischen dziesci und dziesiat, deset und desat wissen die übrigen
mundarten nichts, selbst die altslavische nicht.
Auch unsere decaden leiden keine kürzung und bilden wiederum
XX XXX XL L LX anders als LXX LXXX XC, nemlich im goth. jene
mit dem masc. tigus, diese mit dem neutr. tehund; es heiszt dem-
nach tvaitigjus {ireistigjus fidvörtigjus fimftigjus, für LX mangelt leider
beleg, doch mutmasze ich saihstigjus. hingegen sibuntöhund ahtaute-
hund niuntehund. ahd. entsprechen dem goth. tigus zuc, dem goth.
tfehund zö, so dasz es hiesz zueinzuc drizuc fiorzuc fimfzuc sehszuc,
hingegen sibunzö ahtozö niunzö; doch gilt der unterschied nur für die
ältesten denkmäler, später verwischt er sich und auch den drei letzten
decaden wird sibunzuc ahtozuc niunzuc gegeben, wie mhd. überall
zweinzec bis niunzec, nhd. zwanzig bis neunzig, ohne unterschied ein-
treten. So viel ich sehe, hieng die alte zwiefache behandlung der
decaden wieder am duodecimalsystem; galt statt des hunderts ein groszes
hundert von 120, so war dessen hälfte 60, und wie nach 12 begann
nach 60 andere zahlweise, taihun und taihund töhund entsprechen
lautverschoben dem lat. decem, gr. dexa und ahd. zö scheint aus zöh
erwachsen; tigus aber und zuc glichen lat. deh, gr. de/, man erwäge
jenes lat. G in viginti triginta für C, wiederum aber verhalten sich tigus
und tölmnd, zuc und zö wie dziesci und dziesiat, deset und desat.
In der alts. mundart ist uns ein räthsel nicht vollständig gelöst,
das hier cingreift: während XX tuöntig, XXX thritig, XL fiartig, L fiftig,
LX sehstig lauten, wird Ilel. 5, 2 LXX durch antsibunta, 15, 19 LXXX
durch anlahtoda ausgedrückt und ebenso stellt die Freckenhorslcr ur-
kunde 9, 22 neben fiertig muddi gerston antahloda muddi havoron*;249
sibunta ahtoda erscheinen als offenbare Ordinalzahlen, ob auch cardi-
nales antsibuntig antahtig galt, weisz man nicht, aber aus solchem
antahlig ist ohne zweifei das plattdeutsche tachentig, mnl. tachtich,
bei Kilian tachtentich, nnl. tachtig übrig, wofür sogar in einem nicht
rein mhd. denkmal (Haupt 1, 16) zachzig gefunden wird, und nnl.
volksmundarten gewähren tzeventig, tnegentig für zeventig, negenlig.
Richthofen weist 952b aus urkunden bei Schwarzenberg tniogentich
tnogentich auf, wo sonst auch tsevenlich oft erscheint, man sieht klar,
dasz dies praeßx von t- und früher ant- wiederum auf die zahlen 70
80 90 eingeschränkt bleibt, und mit dem goth. tehund, ahd. zö zu-
sammenhängt, 20 — 60 aber kein praefix empfangen, wie ihnen goth.
tigus, ahd. zuc gebührt.
Völlig ins reine gebracht wird der unterschied durch die ags.
decaden, welche XX — LX durch tventig {iritlig feovertig fiftig sixtig
ausdrücken, von LXX an aber hund vorsetzen und (ursprünglich) die
Ordinalzahl' beifügen, hund bedeutet decas und die Ordinalzahl be-
achzig.
alitedeg ahtodoch in der Essener lieberolle ist nach hochdeutscher weise
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
A A -A'
1
174 URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
zeichnet den begrif der Vielheit: LXX hundseofode, LXXX hundeahlode,
XC hundnigode, entsprechend jenem alts. antsibunda antahtoda ant-
nigunda, und ins lat. decas septima, decas octava, decas nona zu über-
setzen. unorganisch bildeten sich aber aus solchen ordinalien cardinal-
formen, oder man gab den allmälich eingeführlen seofontig, eahtatig,
nigontig (die den späteren ahd. sibunzuc ahtozuc niunzuc statt der
älteren sibunzö ahtozö niunzö gleichen) dennoch das praefix, so dasz
nun in hundseofontig, hundeahlatig, hundnigontig die decas doppelt,
einmal im praefix und nochmals im suffix bezeichnet wurde, den nem-
liclien pleonasmus enthält das nl. lachtig und jene tzcventig tnegentig
der volksprache.
In den altn. decaden lultugu [>riätiu fiörutiu fimftiu sextiu sjötiu
ättatiu niutiu hat sich jene gotli. ahd. alts. ags. Unterscheidung zwi-
250sehen 20 — 60 und 70 — 90 zwar nicht bewahrt, doch soll hernach
ein anderer beweis für ihr Vorhandensein erbracht werden, auch stimmt
das tugu in tultugu deutlich zum gotli. tigjus, ahd. zuc, das tiu der
übrigen zum gotli. tähund, ahd. zö, und man darf vermuten, dasz ältere
strengere Sprachdenkmäler {irjatigir füjrligir fmiligir sexligir setzten und
erst mit sjötiu die andere form begannen, allen ordinalien wird -tugasta
gegeben, organisch sollte es nur bis 60 gelten. Die schwed. decaden
tjuge tretli förti femti sexti u. s. w., die dän. tive tredive fyrgetive
u. s. w. sind hernach leicht zu verstehn: das schwed. ti war gleich
dem altn. überall, auszer in XX, gedrungen, umgekehrt das dän. tive
in die übrigen, was sich rechtfertigt, weil diese spräche die zahlen
70—90 durch die multiplication halvlierdsindstive firesindstive halvfem-
sindstive schleppend ausdrückt, tredive für tretive ist ungebührend
weichlich, einigermaszen wie nhd. dreiszig für dreizig.
Nach diesen erörterungen allen wird sich die der hundertzalil
nicht verfehlen lassen, die multiplication zehnmalzehn liegt ihr zum
gründe und der ausdruck dafür leidet gewaltsame kürzung.
Das skr. satam, zend. satem, pers. szad entspringen aus dasan-
dasatam dasädasatam; das gr. txarov aus ötxadexazov, so dasz von
dtxazox nach abgestreiflem D das E noch übrig blieb und aspiration
empßeng; von tv läszt sie sich nicht herleiten, lat. centum gieng her-
vor aus decendecentum, litth. szimtas aus deszimdeszimtas, ebenso lett.
^ß/t>TYu4' simts. sl. sto für sjato soto seto (daher noch ordinal sotnja setny)
9. Bc'tjfmA" und dann für desjato, dies endlich für desjadesjato. ir. cead für deich-
deichad. Dasz dem satam txazöv centum szimtas sto cead nicht bloszes
desatam dtxarov decentum deszimlas desjato deichead unterliege, son-
dern die decas nochmals vorausgedacht werden müsse, folgt aus der
nothwendig multiplicierenden Vorstellung überhaupt, dann aber aus der
analogie der zahlen XX—XC: ergab sich trinsat aus tridasati, triginta
aus tridecinta, so können sich auch satam centum nur aus dasädasatam
decemdecentum ergehen. Jeden zweifei benehmen die deutschen formen,
neben der kürzung hund, die dem satam centum entspricht, gilt bei
251 Ulfilas zugleich das volle taihuntöhund, welches genau gebildet ist wie
sibuntöhund ahtautöhund niuntöhund und nach ihnen fortschreitet, nicht
[Jü
44*»«. » - V» «4M. Wt ».
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fs t
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
175
anders ahd. neben hunt das vollere zehanzö, analog dem sipunzö ahtözö
niunzö; allmälich ward aus zehanzö zehanzuc untl noch mhd. dauert
zehenzic zönzic für 100. jetzt kann ich erst den begrif des groszen
hunderts = 120 ganz klar machen, bis 60 wurde mit tigjus, von
70—120 mit tehund gebildet, folglich musz der Gothe nach taihuntö-
hund fortgezählt haben ainliftehund = 110, tvaliftöhund — 120 und
die absonderung der einfachen ainlif tvalif von jmtaihun erscheint völlig
angemessen, geradeso mutmasze ich ahd. einlifzö — 110, zuelifzö =
120 und weiter alts. anllegoda *= 100, anlellifta = 110, anttuelifta
120.* ags. folgt wirklich auf hundnigontig = 90 ein hundteonlig
= 100, hundendlufontig = 110, hundtvelftig = 120. altu. heiszt
es: niutiu 90, tiutiu 100, ellifutiu 110, tölftiu 120; gleichviel mit
tiutiu ist aber gekürztes hund, vgl. die Zusammensetzungen hundgamall,
hundmargr, und wiederum folgt aus dem hund der für die altn. laut-
lehre wichtige satz, dasz liu aus tihun = goth. taihun hervorgegangen
sei, hund = tilnind stehe, H und N also hier in der älteren spräche
gewesen sein müssen.
Erklärung begehrt aber noch der auslaut dieser offenbar substan-
tiven bildungen. das T in satam centum txuzov fand sich nicht in
dasan decem dexa, wol war das T von szimtas und sto bereits in de-
szimts und desjat vorhanden. M und T dieses deszimts erschienen vor-
hin superlativisch und identisch dem M in decem septem, dem T in
septem octo quartus sextus ne/unrog dexarog; denkbar wäre, dasz eine
frühere gestalt de« skr. dasan, lat. decem gelautet habe dasat, dasant,
iatam, centum folge, wie exaxöv stimmt, das -am,
gewöhnliche neulralausgang dieser drei sprachen,
des sl. sto; da die litth. ihr neutr. verloren hat,
ännlich. dem goth. neutr. hund oder töhund ist, 252
;in kennzeichen abgefallen, der pl. hat richtig
(für zöh, zöhunt?) scheint alle substantivkraft er-
bund gilt mir unbedenklich für neutral, und ihm
identisch sein, dessen T durch das nl. in tachtig
doch aus D verderbt oder das lat. T in cent ge-
e aphaerese des II in einem wort, wo lauter aphae-
c SJ f / nicht kefremflen: das n*- -t sogar noch AN
{k^Mder haut erklärt sich nur aus tehant, welches
an voraussetzt und zum ahd. zehan stimmt, wäh-
neben der zahl zehan hunt besteht, für die zah-
sich die goth. spräche des männlichen tigus, pl.
, zuc, zic, ags. tig, altn. lugr entspricht; im aus-
Dth. tvailigjus) ist entweder der acc. pl. von tugr,
verlorne nominativform.
ideres kommt in betracht, nicht in rein ahd., ge-
jrachdenkmälern erscheint eine fortbildung des wor-
W'Vn
SwVToV
(V^fl t.
nl. ttientig = 100, telftig =110, ttwalftig = 120 zu
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URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
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anders ahd. neben hunt das vollere zehanzö, analog dem sipunzö ahtözö
niunzö; allmälich ward aus zehanzö zehanzuc und noch mhd. dauert
zehenzic zenzic für 100. jetzt kann ich erst den hegrif des groszen
hunderts =120 ganz klar machen, bis 60 wurde mit tigjus, von
70—120 mit tehund gebildet, folglich musz der Gothe nach taihunte-
hund fortgezählt haben ainliftöhund = 110, tvaliftöhund = 120 und
die absonderung der einfachen ainlif tvalif von jmtaihun erscheint völlig
angemessen, geradeso mutmasze ich ahd. einlifzö = 110, zuelifzö =
120 und weiter alts. anltegoda = 100, anlellifta = 110, anttuelifta
120.* ags. folgt wirklich auf hundnigontig = 90 ein hundteontig
== 100, hundendlufonlig = 110, hundtvelftig = 120. altn. heiszt
es: niutiu 90, tiutiu 100, ellifutiu 110, tölftiu 120; gleichviel mit
tiutiu ist aber gekürztes hund, vgl. die Zusammensetzungen hundgamall,
hundmargr, und wiederum folgt aus dem hund der für die altn. laut-
lehre wichtige satz, dasz tiu aus tihun = goth. taihun hervorgegangen
sei, hund = tihund stehe, H und N also hier in der älteren spräche
gewesen sein müssen.
Erklärung begehrt aber noch der auslaut dieser offenbar substan-
tiven bildungen. das T in satam centum tyMzov fand sich nicht in
dasan decem dexa, wol war das T von szimtas und sto bereits in de-
szimts und desjat vorhanden. M und T dieses deszimts erschienen vor-
hin superlativisch und identisch dem M in decem septem, dem T in
septem octo quartus sextus ntf-inrog dlxarog; denkbar wäre, dasz eine
frühere gestalt des skr. dasan, lat. decem gelautet habe dasat, dasant,
decent und daraus satam, centum folge, wie exarox stimmt, das -am,
-um, -ov ist der gewöhnliche neutralausgang dieser drei sprachen,
gleiches gilt vom o des sl. sto; da die litth. ihr neutr. verloren hat,
faszt sie szimtas männlich, dem goth. neutr. hund oder töhund ist, 252
wie gewöhnlich, sein kennzeichen abgefallen, der pl. hat richtig
hunda; im ahd. zö (für zöh, zöhunt?) scheint alle substantivkraft er-
loschen. das ags. hund gilt mir unbedenklich für neutral, und ihm
musz das alts. ant identisch sein, dessen T durch das nl. in tachtig
bestätigt wird, und doch aus D verderbt oder das lat. T in cent ge-
blieben sein mag; die aphaerese des H in einem wort, wo lauter aphae-
resen walten, kann nicht befremden: das nl. -t hat sogar noch AN
weggeworfen, ant oder haut erklärt sich nur aus tehant, welches
tehan für tehun taihun voraussetzt und zum ahd. zehan stimmt, wäh-
rend umgekehrt ahd. neben der zahl zehan bunt besteht, für die zah-
len 20 — 60 bedient sich die goth. spräche des männlichen tigus, pl.
tigjus, welchem ahd. zuc, zic, ags. tig, altn. tugr entspricht; im aus-
gang von tuttugu (goth. tvaitigjus) ist entweder der acc. pl. von tugr,
oder eine alte sonst verlorne nominativform.
Allein etwas anderes kommt in betracht, nicht in rein ahd., ge-
schweige in goth. Sprachdenkmälern erscheint eine forlbildung des wor-
* wäre irgend ein nl. ttientig = 100, tclftig = 110, ttwalftig == 120 zu
spüren?
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
176 URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
tes hunt, so viel ich weisz liefern »«ns die glossen der Herrat zuerst
hundert für centum, nicht viel früher hat die Freckenhorsler urk.
hunderod, und schon im ältesten mlid. finde ich allenthalben hundert
an die stelle des einfachen hunt getreten, noch höher reicht in den
ags. gesetzen hundred centuria und alle fries. rechtsbücher zählen mit
hundred, wie im hd. hundert ist nl. honderd, engl, hundred allgemein
durchgedrungen, altn. hundrad begegnet bereits in der edda: fimm
hundrad, ätta hundrad, sjö hundrad, Saem. 43a 135 a; schwed. hun-
drade, dän. hundrede, wie zu deuten ist diese hildung? man denkt an
centuria und centurio aus centum, wofür ahd. huntari, hunteri gesagt
wurde*; aus huntari entspränge dann weiter huntaröt, anfänglich für
centuria, allmälich für centum.
Stutzig macht nur eine mit absicht noch unerwähnt gebliebne
253 altn. ausdrucksweise wiederum für die zahlen 70 —120: siraed ättraed
niraed tiraed ellefraed tölfraed (unter welchen ich jedoch siraed und ellef-
raed nach der analogic ansetze, nicht gelesen habe), wovon sich her-
nach die adjective ättraedr octogenarius, niraedr nonagenarius, tiraedr
centenarius bilden, dabei ist sichtbar die decas ausgelassen und ättraed
steht für attaliuraed, tiraed für tiutiuraed, tölfraed für tölfliuraed; da nun
tiutiu gleichviel mit hund war, liesze sich auch hundraed setzen, aus
welchem mit vocalkürzung hundrad pl. hundrud geworden sei. auf
gleiche weise wäre das ags. hundred eigentlich hundröd, hundraed, das
ahd. hunteröt aber huntarät und raed, ahd. rät, goth. röds enthielte
den begrif von ordo, ru^ig. **
In benennung der chilias zeigt sich von neuem die oft geprüfte
Ähnlichkeit deutscher, litthauischer und slavischer zunge. goth. jmsundi
fern. pl. jmsundjös, ahd. düsunla, auch fern, (denn T. 53, 10 zu atliu-
sunta), oft aber düsunt neutral und unflectiert, mit beigefügtem gen.
pl., und so mhd. durchgehends tüsent, unorganisch für düsent, nhd.
tausend für dausend; alts. thüsundig (auch ahd. bei N. ps. 67, 18
düsendig), mnl. dusentich, nnl. duizend; ags. [ifisend jiüsenda, engl,
thousand; altn. jiüsund neutr., schwed. lusende, tusen, dän. tusinde.
Biörn gibt auch ein isl. {»üsundrud an. altsl. t”isuschtscha, tysusch-
tscha fern., russ. tysjatscba, poln. tysiac, böhm. tisje. litth. tukslan-
tis fern., lett. tuhkstots, preusz. tusimtons. Um die herleilung küm-
merte sich schon N., indem er ps. 89, 5 düsent als Verderbnis des
roman. descent = decies centum auffaszte, wozu der begrif vollkom-
men stimmt, und das bretagn. dek kant ist auch so zu nehmen, aber
jene formen scheinen nicht leicht auf diesem wege zu entspringen,
denn wäre goth. hund =» taihuntähund, so raüste 10X 10X10 lau-
254 len taihunlaihuntöhund, sl. desjadesjadesjato, wovon sich schon die
* NN in hunno centurio ist wie malb. chunna.. für das ähnliche decuria
dccurio brauchte man aber zehaninc zehaningari.
** nach diesem tölfraed oder groszen hundert, welches 120 betrug, pflegte
man im Norden zu rechnen, zwei solcher hunderte machten 240, drei 360. so
lieiszt es in der Olaftryggv. saga: {mir liöfdu CC manna tölfraed = 240 männer,
und dem jahr gab man 300 und 5 tage — 365.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
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verschobnen und t in Jmsundi, tysuschtscha entfernen, oder man
hätte ihnen uralte, dem begrif nach natürliche Verstümmlung unlerzu-
legen; auch mahnt der auslaut fmsund an hund, wie preusz. lusimton
an litth. szimtas *. Sanskrit und zend geben dieser zahl den namen
sahasra **, hazanra worin ich noch unsichrer den stamm dasan spüren
würde; pers. hezära. Gleiches dunkel drückt den Ursprung des gr.
yJXioi, lesbisch yJXhoi, boeotisch ydXioi, dor. yrjXioi (Ahrens p. 281)
und lat. mille, mile, welches in allen romanischen sprachen dauert und
dem auch ir. gal. mile, welsches mil entspricht; wiederum stimmt der
ausgang -ile.
Über die chilias hinaus haben unsere und die meisten verwandten
sprachen keinen ausdruck entwickelt; auch das latein nicht für (.ivqioi,=z loooo
zendisch baövare.
Es ist zu bedauern, dasz für alle diese zahlvergleichungen uns
die getischen, thrakischen und skythischen zahlen beinahe ganz entgehn,
die dakische fünfzahl war durch Übersetzung des krautnamens nexrd-
(fvllov dargeboten, doch propedula scheint verschrieben oder eine
andere Vorstellung einzuschlieszen (s. 210). unbezweifelbar gewährt uns
Ilerodot das skythische arima für die einzahl: die Idgi/uaonoi sind ihm
/.tovvorfi&aX/xoi 3, 116. 4, 13 und 4, 27 wird ausdrücklich erklärt:
uQif.iu yuQ eV xaXlovoi 2xv&ou, onov öi tov dfp&aX/uov. in arima
erscheint nun das Superlative M der lat. ordinalien septimus decimus
wie der cardinalien septem novem decem; lag dem fina das gemut-
maszte asna zum gründe, wie leicht könnte auch asama, asima vorher- 255
gegangen sein, welchem arima entspräche; zunächst stände ihm sl. jedin.
vielleicht aber wäre arim-aspu zu sondern und in aspu das lat. oculus,
wie in asp equus enthalten ***.
Die kennlnis dieser einen skythischen zahl steigert also nur das
verlangen nach den übrigen, welche das Verhältnis der Urverwandt-
schaft mannigfach erläutern würden.
Den hohen grad des annäherns zwischen allen bisher betrachteten
sprachen wird ein abstand der übrigen desto deutlicher erkennen lassen,
welche ich darum aushebe.
* merkwürdig bezeichnet in der lex Visig. II. 1, 26. IX. 2, 1 thyuphadus
den millenarius oder chiliarch, der bei Ulfilas lmsundifa{)s heiszt, und der stufe
nach von dein centenarius (Ulf. hundafabs) absteht, in der ersten stelle II. t, 26
musz der ausdruck millenarius eingeklammert und als blosze glosse zu thyuphadus
angesehn werden, tliyu (Jiijus, Jiigus, wol zu unterscheiden von tigus decas) war
also wenigstens den Westgothen eine nochmalige kürzung von Jmsundi, und dem
hegrif nach taihuntaihuntaihun oder altn. tiutiutiu; die zusammenziehung könnte
auch das TH für T erklären.
** vgl. das oben s. 112 angeführte sahas vis, robur.
*** lat. heiszt der einäugige cocles (Plin. 11, 37, 55 coclites qui altero lumine
orbi nascuntur) wie goth. liaihs = coecus und verwandt scheinen sowol xvxXojys
als litth. aklatis. Bopps scharfsinniger deutung des C und H in coecus kailis aus
skr. Oka steht doch vieles entgegen, vgl. Haupts zeitschr. 6, 14.
12
. v*. -V*. «w»4
1Ä1A1
178 URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
I II III IV V
finn. yksi kaksi kolmi neljä wiisi
est. tits kals kolm nelli wiis
lapp. akt qwekte kolm nelje wit
n. lapp. äft guoft gälm njällja vit
syriän. ölik kyk kujm njolj vit
ungr. egy kettö härom negy öt
bask. bat bi, bic hiru lau bost
VI VII VIII IX X
finn. kuusi seitsen kahdeksa yhdeksä kymmen
est. kuus seitse kattesa üttesa kümme
lapp. kot, kut kietja kaktse akte lokke
n. lapp. gut ce66a gavttse äfttse läge
syriän. kvajt sizim kökjamys ökmys das
ungr. hat het nyoltz kilentz tl’Z
bask. sei zazpi zortzi bederatzi amar
Hier ist entschiedne ähnlichkeit zwischen den sechs erst ange-
führten sprachen erkennbar, deren nähere erläuterung mir nicht ob-
liegt; fast alles weicht aber von den urverwandten ah, es sei denn,
dasz seitsen sizim an seplem, das und tfz an dasan decem erinnern,
256 wichtiger egy yksi an skr. eka. allgemein betrachtet befinden wir
uns in einem ganz andern sprachgeschlecht, wenn auch einzelnes,
wahrscheinlich von undenklicher zeit her, anklingt. Noch abgeschiedner
stehn die baskischen zahlen und es scheint mir zufall, dasz sei dem
span, seis, hiru dem ungr. härom gleichen, für bedeutsamer halte
ich die analogie zwischen hi und dem lat. hi, bis, so wie die be-
zeichnung der begriffe XI, XII durch amaica, amabi, deren erster theil
aus amar X besteht; ica schiene demnach die einheit ausgedrückt zu
haben und unmittelbar an skr. eka sich zu schlieszen.
Wie die finnischen und estnischen decaden sehr eigepthümlich
gebildet werden, musz ich übergehn, kann aber nicht unterlassen
anzuführen, dasz wiederum die Syriänen zwischen 20 — 60 und
70 — 90 unterscheiden: 20 kyzj, 30 komyn, 40 neljamyn, 50 vitymyn,
60 kvajtymyn, hingegen 70 sizimdas, 80 kökjamysdas, 90 ökmysdas.
ohne zweifei hängen noch andere nordöstliche sprachen an diesem
unterschied, dessen grund also auch für die unsrigen ins tiefste alter-
thum reichen wird.
Hundert heiszt finn. sata, est. sadda, lapp, tjoute (sprich tsjoute),
norw. lapp, cuotte (spr. tschuolte), syriän. sjo, ungr. szäz; bask. eun.
Tausend finn. tuhansi (tuhasi, tuhat, gen. tuhannen) lett. tuhhat,
lapp, tusan, norw. lapp, duhat, syriän. sjurs, ungr. ezer; bask. milla.
Diese benennungen beider zahlen scheinen merkwürdig, sata wie
tschuolte und szäz geradezu dem skr. satam, sl. sto und tuhansi,
duhat unscrm tausend, dem litth. tukstantis, poln. tysiac zu begegnen,
denn im finn. tuhansi gleicht H unscrm S, wie sonst in vielen fällen,
z. b. hanhi, anser, gans. das ungr. ezer nähert sich dem zend. Iia-
zanra, pers. hezära. wie hat man, da fast alle niedern zahlen ab-
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URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
179
weichen, solche Übereinkunft der höchsten zu fassen? aus erborgüng,
weil sie im volk selbst nicht gangbar waren, so drücken auch wir,
eignen worts ermangelnd, myriaden griechisch, millionen, billionen ro-
manisch aus, und das bask. milla, vielleicht das ir. mile, welsche mil
mögen aus dem latein entlehnt sein, das altn. myr für myrias scheint 257
aus dem gr.; Finnen und Lappen holten ihr tausend und selbst hun-
dert bei slavischen und deutschen nachbarn. eigentümlich mag sich
jedoch das syriän. sjo hundert zu sjurs tausend verhalten und von
neuem den Zusammenhang zwischen beiden zahlen bestätigen.
Dies von den zahlen; ich schreite zum persönlichen pronomen,
das in allen urverwandten sprachen für die erste und zweite person,
wie für das reflexiv der dritten kein geschlecht unterscheidet, weil die
gegenwart des redenden und angeredeten das entbehrlich macht; eben
so deutlich wird das reflexiv durch seine beziehung. denkbar wäre
gleichwol ein geschlechtsunterschied für beide erste personen und der
ausdruck desto sinnlicher; bekanntlich hat ihn auch die hebräische
spräche der zweiten, nicht der ersten, verliehen; es musz als ein be-
deutsames Zeichen uralter abstraction gelten, dasz unsere sprachen das
■geschlecht der zweiten person ununterschieden lassen.
Meine betrachtung schränkt sich auf die analogien des unge-
schlechtigen pronomens ein, da die Verhältnisse der geschlechtigen
pronomina zu manigfach und verwickelt sind, als dasz aus ihnen die
Urverwandtschaft gleich durchgreifend dargethan werden könnte, auch
bedarf ich nur der vier in deutscher spräche entwickelten Casus im
sg., und lasse abl. instr. und loc. so wie alle dual und pluralformen
hier bei seite.
Höchst characleristisch ist nun alsbald, dasz ohne ausnahme der
nom. sg. erster person vocalisch, jeder oblique Casus dagegen conso-
nantisch anlautet; mag dieser consonant ursprünglich auch dem nom.
gebührt haben: er ist von uralters her abgefallen:
skr.
zend.
gr.
lat.
litth.
lett.
preusz.
sl.
poln.
böhm.
osset.
golh.
ahd.
ags.
engl.
altn.
aham mama mahjam mäm
azem mana möi manm
■> / (10V /
ayio (.101 l(iiv (ia
aycur tfxt&ev
ego mei mihi me
asz manes man mane
es mannis mannim man
as maisei mennei mien
az mene mnje mja
ia mnie mnie mi§
ga mne mne me
äz män mänän mä
ik meina mis mik
ih min mir mih
ic min me mec
I mine me me
ek min mer mik
12*
258
180 URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
ir.' (me) mo (damh) me
welsch (“0 V — — mi
alban. ov, owe fiova (.IOVU f.iova
Die formen zweiter person halten i durchgehends einen lingual-
anlaut aufrecht, gehn aber sonst der ersten ziemlich parallel:
skr. Ivam tava tubhjam tväm
zend. tüm tava thvöi thvanm
gr. ov oov, otd-ev ooi / oe
dor. tv, jvyu reog, reovg toi, tIv Tt
lat. tu tui tibi te
litth. tu tawqs taw tawe
lett. tu tewis tewim tew
preusz. tou < twaise tebbei tien
sl. tebe tebje tja
poln. ty ciebie tobie cie
hohm. ty tebe tobe te
osset. dü däu dävän dä
goth. frn fteina {ms jjuk
ahd. dü din dir dih
ags. H j)in jjec
engl. thou tliine thee thee
altn. H f)in |)er j>ik
ir. tu do (duit) thu
welsch. (ti) — — ti
alban. ri, rIve TOV TOV TOV
In der dritten reflexiv gedachten, darum keines nom. fähigen
1 person herscht der anlaut S oder H, welche sich auch sonst ver-
treten. merkwürdig gebricht dies reflexivum im sanskrit ganz, musz
daher aus dem prakrit angeführt werden:
prakr. — sß sß —
zend. — he, hoi hß, hoi —
gr. — ov, e&ev oF tt / e, o<pe
lat. — sui sibi se
litth. — sawes saw sawe
lett. — — sewim sew
preusz. — swaise ? sebbei sien
sl. — sebe sebje sja
poln. — siebie sobie si§
böhm. — sebe sobe se
goth. — seina sis sik
ahd. — sin — sih
altn. — sin ser sik
alban. — ßtn ßeti ßhe/e
auch die keltischen sprachen, unter den deutschen die ags. und engl.
entrathen des reflexivs und ersetzen es durch das geschlechlige pro-
nomen, wie die ahd. für den dat. thut, welchem nhd. die accusativ-
form verliehen wurde.
V-V* «VW**. *A»
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
181
Alles, bis aufs geringste, scheint in diesen pronominalformen ge-
heimnisvoll und betrachtenswerth; auszer heftigen, die ursprüngliche
wortgestalt verfinsternden kürzungen müssen auch unorganische einllüsse
der einen person auf die andere obgewaltet haben.
Einzelne reihen laufen durch und gewinnen das ansehn fester
regel, z. b. möi thvöi höi, f.iov aov ov, fioi aot oT, /ui ai t, me te
se, mja tja sja, meina frnina seina, min din sin, mih dih sih; so bald
man aber weiter geht, hört die gleichheit auf. man erwäge zu jenen
folgende: mei tui sui, mis Jms sis, mihi tibi sibi, manes tawes sawes.
beinahe sollte es scheinen, allzugrosze gleichheit sei erst allmälich
eingeführt, die Verschiedenheit vorangegangen.
Schon die älteste form des norainativs spaltet sich, wie bereits
angemerkt wurde, insofern das aham erster person vocalisch anlautet
und von allen obliquen formen absticht, während in tvam der conso-260
nantische anlaut auch den obliquen zusteht, diese auszeichnung des
nom. ‘ich’ reicht durch alle unsere Sprachverwandtschaft und musz
ihren tiefsten grund haben: es war unnöthiger das ‘ich’ hervorzuheben
als das ‘du’ und die spräche scheint sich von jeher in dieser abstrac-
tion zu gefallen; weil die obliquen bezöge gröszere deutlichkeit for-
dern, können sie des anlauts M nicht entrathen. Nach analogie der
zweiten person läszt sich mutmaszen, dasz ursprünglich auch in der
ersten das oblique M ebenwol dem nom. gebührte, folglich aham für
maham stehe; nachzuweisen aber ist es in der geschichte unsrer
sprachen nicht.
Das volle A in aham mama mahjam mam haftet nirgends treuer
als im litth. asz manes man mane; die sl. mnje stoszen den vocal
aus. dünnes E herscht in tyw ego, fxi me, es, mec me, ek mer, me,
me. deutsche zunge liebt I: ik mis mik (wie mikils — /ueyag maha,
ist *=* teil asti), allein schon die altpersische keilschrift zeigt mija,
das latein mihi für malijam.
SZ und Z der litth. und sl. asz az nähern sich aulfallend dem
zendischen azem, welches vermutlich der Übergang des A in E er-
zeugte. denn auch sl. G pflegt bei folgendem I sich in Z zu wandeln,
z. b. bog bildet den pl. bozi, also weist az auf azi, azi auf aga.
litth. SZ darf zu II gehalten werden: szis szü szalmas desziint «= his
hund hilms taihun, begegnet auch dem K: szaltas kalds. genauer als
dem II in aham entspricht dem G in ego eyvb unser goth. K, ahd. H
in ik ih.
Den ausgang -am in aham tvam, azem tüm entbehren alle jün-
geren sprachen. Überbleibsel sind die zweiten silben von tywv (für
lyöv) iyw ego, im ahd. ihhä egomet (Gralf 1, 118) und im vermuteten
sl. azi für aga. diese apocopen haben gewisse analogie mit der des
-am, -an in cardinalien.
Ergänzt man aham in jenes maham, so haftet unter allen obliquen
formen das II nur im dat. mahjam und lat. mihi, so wie entsprechen-
des K im goth. acc. mik, ahd. mih. um mahjam mit tubhjam aus-
zugleichen, hätte man, da in BH der offenbare dativcharacter liegt,
iiTH M M M VWVWWWJt!*
h-
E
E
CD
o
CO
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CD
CD
03
O
Xi
co
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©
182
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
261 anzunehmen, dasz mahjam aus mahbhjam oder mahabhjam, mihi aus
mihibi erwachsen, also das H wurzelhaft sei. unser deutsches mik
mec mih wäre dann höchst alterlhümlich und stände für mika mihha
= maham, wie ik ili ihha =* aham; im skr. mäm begriffe sich die
kürzung aus maham. aber nun wäre der folgerung nicht auszuweichen,
dasz die organische form mik unorganisch auf fmk und sik erstreckt
worden sei, in welchen der kehllaut nicht aus der Wurzel stammen kann.
In zweiter person sehen wir den lingualanlaut die obliquen casus
leich dem nom. einnehmen und sich nach dem gesetz der Verschie-
bung abstufen. T bewahrt unter den gr. dialecten der dorische; um
so zulässiger wird S, weil es Verwechslungen mit dem demonstrativen
T abschneidet, im reflexiv aber H berscht *.
Wurzelhaft scheinen in zweiter und dritter person nicht sowol T
und S, als vielmehr TV SV, und aus vocalisierung des V häufig U ent-
springend. tvam ist demnach tva-am und erweicht zend. tüm, mit
apocope des M aber tu fm dil, wobei die gr. und sl. neigung zu Y
und Y nicht übersehn werden darf: rv ov ty. Der skr. dat. tubhjam
gieng hervor aus tvabhjam und -bhjam ist deutlich casusflexion; lat.
tibi hat der analogie von mihi zu gefallen sein U geopfert und sollte
tubi lauten, und nicht anders wäre subi für sibi = skr. subhjam für
svabhjam zu behaupten; beide finden im sl. tobie sobie, tobe sobe
bestäligung. auch tebbei sebbei stehn für tobbei sobbei. das zen-
dische tlivöi <= tabhjam weist auf ein paralleles hvöi für hoi, wogegen
möi unmittelbar aus mahjam abllieszt. /not ooi oT sind beinah ebenso
zu fassen, mis fms sis gewähren wie mik fmk sik das U nur in
zweiter person, während ihm die ahd. mir dir, mih dih sih, wie die
lat. mihi tibi sibi, me te se auch in zweiter entsagen; der parallelis-
mus zwischen tobie sobie streitet für fms sus, fmk suk, tubi subi;
262 von dem goth. ausgang -s kann erst nachher die rede sein, geradeso
ist der Ellaut in meina fmina seina, min din sin durchgedrungen,
während mei tui sui organisch sondern.
Doch der wendepunct aller deutung liegt hier im genitiv und in
der frage, wie die formen mama tava (sava) auszugleichen sind?
Das erhellt leicht, dasz aus mama verdünntes mana manes mene
meina min liervorgiengen, aus tava tawes; tebe steht für tewe und
der dat. tebje mag die Verwechslung zwischen W und B herbeigeführt
haben, deren laut so nah an einander grenzt, da nun lateinischem
sui oskisches suveis entspricht, darf ich auch tuveis = tui rathen;
diese tuveis suveis gleichen dem litth. tawes sawes mit dem unter-
schied, dasz in jenen das V sich auch das A in U assimiliert hat;
wie den Osken mei lautete? möchte ich wissen, mei tui sui mag man
zu f-iov oov ov halten, aber in den gr. formen ist OY die gewöhn-
liche genitivflexion, also dem lat. I parallel, so dasz darin der lat.
Organismus mei tui sui nicht ganz erreicht wird.
* die gemeingriechische mundart hat den glücklichsten hang zur klarheit.
der dor. gen. xeov, dat. toi tritt dem demonstrativen rov xcö allzunahe.
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AA A ArfN A A A A
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
183
Die Schwierigkeit von raama und tava wage ich auf folgende weise
zu lösen, es ist bekannt, dasz die persönlichen pronomina reduplication
lieben und für lat. me se nachdrücklicher meine sese (warum nicht für
te tete?) gesetzt wird*, sollte mama entstehn aus wiederholtem ma
(für mah, mama = mahmah), so liesze sich auch tava begreifen aus
tvatva, svava aus svasva: der häufige gebrauch dieser Wörter hätte
mahmah in mama, tvatva in tvava tava, svasva in svava sava verdünnt,
die geschichte der verbalreduplication pflegt noch erheblichere kürzungen
aufzuzeigen. Zur bestäligung kann ich einiges besondere anführen,
der lat. gen. sui gemalmt an den gen. suis von sus; wie aber suis
dem goth. sveinis entspricht, würde sui dem goth. sveina entsprechen,
seina demnach aus sveina entsprungen sein, die lat. partikel si lautet
auf oskisch svai, was dem goth. sva oder svö nahe kommt; es pflegt
aber wiederum svasvö, ahd. sösö, ags. svasva gedoppelt zu werden:
weil nun diese parlikeln mit dem stamm des reflexivs unleugbar ver-263
wandt sind **, wäre die reduplication svasvö der des genitivs svasva
völlig analog, svasva verdünnte sich in svava sava suveis sui, aber
goth. seina = sveina nahm wie fteina aus dem stamm der ersten
person meina die unorganische endung an, ungefähr wie im prakrit
der gen. tuma für skr. tava dem mama der ersten person folgt.
Noch ein gröszeres räthsel als mama tava sava: meina |ieina seina
ist der dativ mahjam tubhjam subhjam: mis {)us sis; dieser ausgang -s
hat in der dativflexion j gar nicht seines gleichen. Bopp §. 174 erblickt j
darin ein pronominalsuffix, welches er aus dem skr. -sma leitet; gäbe
die reduplication der dritten person keine einfachere auskunft? ent-
weder wäre subhjam aus svasvabhjam entsprungen und davon im goth.
daliv nur sis für sus übrig, oder das genitivische svasva hätte den
goth. daliv eingenommen? in beiden fällen drang das nur der dritten
person gebührende -s vor in die erste und zweite, wie umgedreht das
-n in meina, das -k in mik aus der ersten in die zweite und dritte?
mir scheinen M in mama, V in tava, S in sis anspruch auf gleiche
deutung zu haben, dasz sich verschiedne casusformen mengen lehrt
eben das dem dat. und acc. gehörige hochd. sich, schwed. sig.
Auch die gr. genitive und dalive veranlassen noch bedenken,
statt des gewöhnlichen /uov oov ov entfaltet sich t/iit&ev ot&ev t&ev,
das dem correlativen ausgang no&tv jo&tv od-tv tato&tv avwd'tv xzrÄ.
gleicht und den begrif von mir, von dir, von sich zu enthalten scheint,
indessen hat auch das prakrit neben den einfachen gen. mama tuma
die weitere form madidiha tudidiha, die sich vielleicht an jene griechi-
schen schlieszen.
Der dorische dativ zeigt nach Ahrens p. 251. 252 if.uv n'v tV,
bei den Tarentinern Ttvrj, und für t/u/p auszerdem i^iivya; es
ist nichts anders anzunehmen, als dasz diese dem litth. man, sl. mnje 264
* vgl. lat. ipsipsus, ahd. selpselpo, mhd. selbeselbe.
** auch iva scheint verwandt mit 8 und lat. se, si, in der form aber den dori-
schen dativen 8/iivrj iivr\ iv. Ahrens p. 251. 252.
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184
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
gleichenden formen aus der ersten person in die beiden andern vor-
geschritten seien, welchen statt des N ein labiallaut gebührt hätte,
diese Übergriffe dienen also zur bestätigung der angenommnen andern.
Im keltischen haben sich blosz gen. und acc. erhalten und dazu
jener nur im irischen mo do, deren 0 uns wiederum einen Übergang
aus zweiter in erste person kund thut. die aus dem acc. in den nom.
vorgedrungnen m4, mi, ti sind als unorganisch eingeschlossen worden,
das haftende irische tu veranlaszte wahrscheinlich jenes me. Befremd-
lich scheinen auf den ersten blick die irischen damh und duit für
mihi tibi; man erkennt aber leicht, dasz sie aus praefigierten praepo-
sitionen erwachsen, also in do me, do the (oder td) aufzulösen sind
und den englischen to me, to thee gleichen; es steht ihnen keine
wahre flexionsnatur zu und ich habe sie eingeklammert.
Diese kurze Untersuchung wird hinreichen, um die grosze Über-
einkunft der persönlichen pronomina nicht nur an sich selbst, sondern
auch in der verschiednen aber analogen weise, wie sie aus einer
person in die andere übergreifen, darzulegen; ich stelle ihnen noch
die der übrigen europäischen sprachen zur seite, deren abstand zwar
ins äuge fällt, dennoch weit geringer als bei den Zahlwörtern erscheint,
der sg. erster person lautet:
265
finn. minä minun minulle minun
est. minna minno minnulle minno
lapp. mon mo munji mo
n. lapp. man muo munji muo
syriän. me menam menym menö
ungr. 4n enyfm en nekem engemet
bask. ni nizas niri ni
der zweiten finn. sinä sinun sinulle sinun
est. sinna sinno sinnulle sinno
lapp. todn to tunji to
n. lapp. dän du dunji du
syriän. te tenad tenyd tenö
ungr. te tied te neked tegedet
bask. hi hizas hiri hi
vocalanlaut erster person im nom. mangelt und das überall durch-
geführte M mag ursprünglicher sein, als in den urverwandten sprachen,
kann also das vermutete maham für aliam bestärken, das bask. N
ist aus M geschwächt, aber gleich durchberschend; das ungr. en
scheint einen vocal vorzuschieben und ebenfalls N für M zu enthalten *.
In der zweiten person stimmt der finnische character S für T ganz
zu dem griechischen und das bask. II erklärt sich leichter aus S als
aus T.
* die eigenthiimlichen Suffixe M und D, wodurch der Unger mein und dein
ausdriickt (z. b. atyäm mein vater, atyäd dein vater, hügom meine Schwester,
hügod deine Schwester) entsprechen den auslauten der genitive enyi'm und tied.
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STTTTTTTTT;
URVERWANDTSCHAFT. IST. VATER
185
r flexion läszt die finnische, lappische und baskische gleich-
beider personell wiederum Übergriffe aus der ersten in die
en; desto merkwürdiger ist die syriän. und ungr. abweichung
men menam und tenad, enyfm und tied, die ich aber nicht
leuten unternehme.
Ile diese zuletzt angeführten sprachen überhaupt kein ge-
schlecht unterscheiden, so musz sich auch das verhältnisz ihres pro-
nomens dritter person anders stellen, als bei uns; sie entfalten kein
reflexivum, können aber eine uns verwandte form schon als nominativ
setzen und in dieser beziehung darf das H des finnischen hän — is,
ille dem spiritus asper des griech. rellexivs und das S des lappischen
sodn, sän, des syriänischen sy = is, ille dem S des lat. oder deutschen
rellexivs an die seite gestellt werden, nicht anders verhalten sich im
geschlechtigen pronomen gr. 6 v\ und gotli. sa so. dies alles näher
zu begründen gehört nicht hierher.
Eine weitere durchgreifende gleichheit aller urverwandten sprachen
läszt sich mit wenigen Worten darlegen, die Übereinkunft der dritten
singularperson des substantiven verbums. während nemlich die beiden
ersten personen oft schon nicht mehr zusammenstimmen und wie die 266
personell des dualis und pluralis aus andern stammen gebildet wer-
den, bat sich das skr. asli, zendische asti, persische est, gr. iari,
lat. est, gotli. ahd. rnlid. nhd. ist, littli* esti, preusz. ast, altsl. iesti,
poln. jest, bölnn. gest von der ältesten zeit bis auf heute getreu er-
hallen, am getreusten in den zweisilbig gebliebnen formen, in meh-
reren neueren sprachen hat sich jedoch das T abgeschliffen und so
wird spanisch blosz gesagt es, alts. is (doch schwankt Heliand zwi-
schen ist und is), ags. engl, is, fries. is, mnl. es, is, nnl. is, irisch
is, welsch ys und dies S verhärtet sich in R: altn. er, schwed. är,
dän. er, wohin auch das lett. irr gerechnet werden darf, endlich
entsagen einzelne sogar dem S und begnügen sich mit dem bloszen
vocal, namentlich das ital. b und franz. est, worin die aussprache
das S nie, das T nur zuweilen hören läszt; ebenso gilt neben dem
serb. jest, böhni. gest zugleich ein abgenutztes je, ge.
Wie stechen davon ab die formen derselben person des substan-
tiven verbums in den unurverwandten sprachen: finn. est. on, ungr.
van, lapp, le oder lae, baskisch da! man kann einige derselben unter-
einander näher bringen, namentlich das finn. on auf olee zurück-
führen, und dem lapp, le das o durch aphaeresis entzogen finden.
Zum vierten beispiel, mit welcher wunderbaren kraft sich einzelne
wortreihen in den sprachen, trotz allen abwegen, den diese einschlugen,
dennoch fast einförmig erhalten haben, wähle ich fünf ausdrücke für
die einfachsten Verwandtschaftsverhältnisse, deren schöne gleichartigkeit
gewis nicht ohne tiefen grund ist.
skr. pitr mätr bhrätr svasr duhitä
zend. pata mäta bräta khanha duglidha
pers. pader mäder bräder khwäher dokhter
lat. pater mäter fräter soror (filia)
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
URVERWANDTSCHAFT PR
gleichenden formen aus der ersten persoi n vor-
geschritten seien, welchen statt des N ( hätte,
diese Übergriffe dienen also zur bestätigun indem.
Im keltischen haben sich blosz gen. d dazu
jener nur im irischen mo do, deren 0 ui »ergang
aus zweiter in erste person kund thut. me «us ucn. ... ...m nom.
vorgedrungnen me, mi, ti sind als unorganisch eingeschlossen worden,
das haftende irische tu veranlaszte wahrscheinlich jenes me. Befremd-
lich scheinen auf den ersten blick die irischen damli und duit für
mihi tibi; man erkennt aber leicht, dasz sie aus praefigierten praepo-
silionen erwachsen, also in do me, do the (oder tö) aufzulösen sind
und den englischen to me, to thee gleichen; es steht ihnen keine
wahre flexionsnatur zu und ich habe sie eingeklammert.
Diese kurze Untersuchung wird hinreichen, um die grosze Über-
einkunft der persönlichen pronomina nicht nur an sich selbst, sondern
auch in der verschiednen aber analogen weise, wie sie aus einer
person in die andere übergreifen, darzulegen; ich stelle ihnen noch
die der übrigen europäischen sprachen zur seite, deren abstand zwar
ins äuge fällt, dennoch weit geringer als bei den Zahlwörtern erscheint,
der sg. erster person lautet:
finn. minä minun minulle minun
est. minna minno minnulle minno
lapp. mon mo munji mo
n. lapp. man muo munji muo
syriän. me men am menym menö
ungr. £n enyim en nekem engemet
bask. ni nizas niri ni
der zweiten
finn. sinä sinun sinulle sinun
est. sinna sinno sinnulle sinno
lapp. todn to tunji to
n. lapp. dän du dunji du
syriän. te tenad tenyd tenö
ungr. te tied te neked tegedet
bask. hi hizas hiri hi
Der vocalanlaut erster person im nom. mangelt und das überall durcli-
geführte M mag ursprünglicher sein, als in den urverwandten sprachen,
kann also das vermutete maham für aham bestärken, das bask. N
ist aus M geschwächt, aber gleich durcbberschend; das ungr. cn
scheint einen vocal vorzuschieben und ebenfalls N für M zu enthalten *.
In der zweiten person stimmt der finnische character S für T ganz
zu dem griechischen und das bask. H erklärt sich leichter aus S als
aus T.
* die eigentlnimlichen Suffixe M und D, wodurch der Unger mein und dein
ausdrückt (z. b. atyäm mein vater, atyäd dein vater, hügom meine Schwester,
lnigod deine Schwester) entsprechen den auslauten der genitive enyim und tied.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
1 l
jH
In der flexion läszt die finnische, lappische und baskische gleich-
förmigkeit beider personell wiederum Übergriffe aus der ersten in die
zweite ahnen; desto merkwürdiger ist die syriän. und ungr. abweichung
in den formen menam und lenad, enyi'm und tied, die ich aber nicht
näher zu deuten unternehme.
Da alle diese zuletzt angeführten sprachen überhaupt kein ge-
schleckt unterscheiden, so musz sich auch das verhältnisz ihres pro-
nomens dritter person anders stellen, als bei uns; sie entfalten kein
reflexivum, können aber eine uns verwandle form schon als nominativ
setzen und in dieser beziehung darf das H des finnischen hän = is,
ille dem spiritus asper des griech. reflexivs und das S des lappischen
sodn, sän, des syriänisehen sy =- is, ille dem S des lat. oder deutschen
reflexivs an die seite gestellt werden, nicht anders verhalten sich im
geschlechtigen pronomen gr. 6 rj und gotli. sa so. dies alles näher
zu begründen gehört nicht hierher.
Eine weitere durchgreifende gleichheit aller urverwandten sprachen
läszt sich mit wenigen Worten darlegen, die Übereinkunft der dritten
singularperson des substantiven verbums. während nemlich die beiden
ersten personen oft schon nicht mehr zusammenstimmen und wie die 266
personell des dualis und pluralis aus andern stammen gebildet wer-
den, hat sich das skr. asli, zendische asti, persische est, gr. terrt,
lat. est, gotli. ahd. mlul. nhd. ist, littli. esti, preusz. ast, altsl. iesti,
poln. jest, böhm. gest von der ältesten zeit bis auf heute getreu er-
hallen, am getreusten in den zweisilbig gebliebnen formen, in meh-
reren neueren sprachen hat sich jedoch das T abgeschliffen und so
wird spanisch blosz gesagt es, alts. is (doch schwankt Heliand zwi-
schen ist und is), ags. engl, is, fries. is, mnl. es, is, nnl. is, irisch
is, welsch ys und dies S verhärtet sich in R: altn. er, schwed. är,
dän. er, wohin auch das lett. irr gerechnet werden darf, endlich
entsagen einzelne sogar dem S und begnügen sich mit dem bloszen
vocal, namentlich das ilal. b und franz. est, worin die aussprache
das S nie, das T nur zuweilen hören läszt; ebenso gilt neben dem
serb. jest, böhm. gest zugleich ein abgenutztes je, ge.
Wie stechen davon ab die formen derselben person des substan-
tiven verbums in den unurverwandten sprachen: finn. est. on, ungr.
van, lapp, le oder lae, baskisch da! man kann einige derselben unter-
einander näher bringen, namentlich das fmn. on auf olee zurück-
füliren, und dem lapp, le das o durch aphaeresis entzogen finden.
Zum vierten beispiel, mit welcher wunderbaren kraft sich einzelne
wortreihen in den sprachen, trotz allen abwegen, den diese einschlugen,
dennoch fast einförmig erhalten haben, wähle ich fünf ausdrücke für
die einfachsten Verwandtschaftsverhältnisse, deren schöne gleichartigkeit
gewis nicht ohne tiefen grund ist.
skr. pitr mätr bhrätr svasr duhitä.
zend. pata mäta bräta khanha dugbdha
pers. pader mäder bräder khwäher dokhter
lat. pater mäter fräter soror (filia)
URVERWANDTSCHAFT. IST. VATER
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
186 URVERWANDTSCHAFT VATER
ital. padre madre fratello sorella (figlia)
franz. pöre möre fröre soeur (fille)
gr. naTrjQ (pQaxrjQ {aÖt'kffrj) d'vyaxtjQ
goth. fadar (atta) (aifrni) brofiar svistar dauhtar
267 ahd. fatar muotar pruodar suestar tohtar
nhd. vater mutter bruder Schwester tochter
ags. fader mödor brödor sveostor dohtor
engl. father mother brother sister daughter
alts. fadar muodor bruodor suester dohtor
nnl. vader moeder broeder zuster dochter
altn. fadir mödir brödir systir döttir
schwed. fader moder broder syster dolter
ir. athair mathair brathair siur dear
welsch (tad) (mam) brodyr chwaer (merch)
litth. (tewas) mote brolis sessü dukte
lett. (tehws) mähte brahlis (mahse) (meita)
preusz. (täws) müti brätis . . . duckti
altsl. (ot’z”) mati brat” sestra d”schtschi
russ. (otetz”) mat’ brat” sestra dotsch
poln. (ojciec) matka brat siostra cora, corka
böhm. (otec) matka bratr sestra dci, dcera
finn. (isä) muori (weli) sisar tylär
(äiti, emä)
est. (issa) (emma) (welli) sössar tüttar
lapp. (attje) (edne) (välja) (äbba) daktar
n. lapp. (atzhje) (aedne) (velj) (oäbba) (nieid)
ungr. (atya) (anya) (bätya) (nöne) (leänyka)
Am anschaulichsten legen uns die deutschen sprachen den paral-
lelismus dieser Wörter vor, diesmal mit ausnahme der gothischen, welche,
so weit wir sie kennen, mödar gar nicht hat und auch fadar nur
selten gebraucht, dem latein entgeht ^vyäxrjQ, dem griechischen
soror, allen litth. und sl. sprachen der gleiche ausdruck für pater,
denn die annahme, dasz ot’z” otec ein ursprüngliches pot’z” potec ver-
treten scheint bedenklich, weil auch das characteristisclie R des Schlus-
ses abgeht und kaum durch Z ersetzt wird, anders verhält es sich
mit dem ir. athair, das viel deutlicher sich auf der linie mit mathair
und brathair hält, vielleicht also für pathair steht.
Alle diese Wörter zeichnen sich theils durch eine lingualis in der
268 mitte, theils durch das R am ende aus. wo der linguallaut mangelt,
scheint ihr ausfall anzunehmen, namentlich im skr. svasr, lat. soror
sosor = suesor und finn. sisar, die sich nach dem deutschen und
sl. maszstab in svastr, suestor, sistar vervollständigen, litth. sessü
steht für seslü. im franz. soeur, ir. siur ist nicht allein T, sondern
auch S syncopiert, pöre möre fröre entspringen aus padre madre fra-
dre, wie finn. muori aus muoteri und wie auch die nnl. mundart häu-
fig in vaer moer hroer, die schwed. in far mor bror kürzt, statt des
diminutiven sorella begegnet it. suora = suoslra für den begrif der
««*» « (K «Vfc «V». ^ «W» X
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nonne, wie statt fratello frate für den des mönchs. der zcndische,
persische und dazu merkwürdig stimmende welsche gutturalanlaut ver-
tritt, wie auch anderwärts, den lingualen und das zweite H in khanha
khwaher ersetzt, wie sonst in diesen dialecten, S, so dass khanha
offenbar = svansa, khwaher = swaser steht; nicht anders entspricht
welsches chwaer dem ir. siur. in khanha trat noch ein nasales N
dazwischen, nord. dötlir assimiliert dohtir, ir. dear ist zu ergänzen
deathair, im sl. dschtschi dotseh sind die ursprünglichen HT in einen
dickeren Zischlaut übergegangen, den das sl. organ lieht; die böhm.
und noch mehr polu. form verengen wieder das russ. dotseh in dei,
co; das -ka in corka ist diminutiv wie in matka für mati, so dasz
corka, böhm. deerka etwa unserm töchterchen gleicht, das serbische
wort lautet ktji (oder wie man es schreiben wolle), das slovenische
hzhi, in Steier hzher. auch die litth. lett. brolis brahlis geben sich
als diminutiva kund = bratelis brolelis.
Wo aber das schlieszende R dem nom. mangelt, pflegt es in der
obliquen flexion vorzubrechen, also bildet skr. duhitä den acc. duhita-
ram, welcher dann mit pitaram mätaram bhrälaram svasaram sich gleich-
stellt. ebenso empfangen die zend. nominative pata bräta u. s. w.
im acc. patarem brätarem = lat. patrem fratrem, ahd. fataran pruo-
daran. die litth. mote dukte haben den gen. moteriös dukteriös, acc.
moteri dukteri; sessü bildet sesseriös sesseri. wiederum sl. mati
dschtschi den gen. matere dschtschere, acc. mater’ dschtscher, böhm.
mati dei den gen. matere deere, acc. mater deer, und so in den neue-269
ren dialecten. nur dem sl. brat, geu. brata mangelt das organische
R durchaus in allen mundarten, auszer der böhmischen, die schon dem
nom. bratr verleiht und das R in der flexion aufrecht hält, ältere lit—
thauische denkmäler würden wahrscheinlich auch ein brotis gen. bro-
teries zeigen, wie das preusz. brätis in der Verkleinerung brätrikai fra-
terculi (nom. pl.) R einschaltet, bemerkenswert!! scheint, dasz ober-
deutsche volksmundarten das R im nom. voda muota bruoda unter-
drücken, oblique aber wieder herstellen.
Noch verdient der wurzelvocal rücksicht. im zend. pata, lat. pa-
ter, gr. narr'iQ, ahd. fatar dauert reines A, während hier schon skr.
pitr Verdünnung in I gestattet, wie sie in den lat. Zusammensetzungen
Jupiter Diespiter Marspiter gleichalt erscheint, umgekehrt hat skr.
svasr A, wo in svislar I, in sestra E gilt, wie auch lat. soror eher
aus suesor als suasor entspringt, in duhitä (prakr. duhidä) dughdha
$vyü.TrjQ dauhtar tohtar dukte behaupten alle U oder dessen Schwä-
chung 0 und auch das allsl. (von mir durch” bozeichnete) jerr in
d”schtschi führt auf U zurück*. Neben diesen drei kurzen vocalen in
vater Schwester tochter hcrsclit in mätr bhrätr langes A, welchem auch
* dreisilbig erscheinen nur skr. duhitä und gr. d'vyaTrjQ: es leuchtet ein,
dasz das I in -itä, das A in -arrjQ genau denen in.pitr und narr]Q gleichstehn;
über das verhalten des D und 0 im anlaut beider Wörter anderswo.
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in allen übrigen sprachen angemessene länge zur seite steht, erst das
nhd. vater und mutter stören diesen Organismus: man hätte umgedreht
vatter und muter annehmen sollen.
In diesen Wörtern ist nichts auszer acht zu lassen, wie geschieht
es doch, dasz skr. lat. gr. das T feststeht, im gotli. fadar gegen brö-
[>ar, im ags. fader mödor gegen hrödor media und asp. unterschieden
sind? und folgerichtig im ahd. fatar muotar gegen pruodar tenuis und
media? ohne Ursache kann das nicht sein, diese aber nicht im kur-
zen vocal von fadar und langen von bröfiar gesucht werden, da in
270mödor und muotar, ungeachtet des langen vocals gleichstellung mit
fadar fatar statt findet, im altn. fadir mödir brödir, engl, father mother
brolher, nl. vader moeder broeder, schwed. vader moder broder hat
sich der unterschied verwischt, wie auch ir. athair mathair brathair
gleichlauten; altirisch schrieb man atair matair bratair (O’Donovan
p. 46.)
In alts. urkunden erscheinen Fadar Bröthar Mödar Sustar nicht
selten als hlosze eigennamen.
Ohne zweifei gibt es neben den angeführten fünf Verwandtschafts-
wörtern noch andere mit derselben eigenthümlichkeit: sie lassen sich
nur nicht so durchgreifend durch die sprachen aufweisen.
Skr. sünu, gotli. sunus, ahd. sunu, ags. sunu, altn. sonr, engl,
son, litth. sunus, preusz. souns, sl. s”in”, russ. syn”, poln. böhm. svn
zeigen zwar groszen urverwandten einklarig, entbehren aber jenes R
in zweiter silbe. gehört gr. vtog derselben wurzel? die asp. stimmt
zu S, dann würde sich fidius und filius (vgl. span, liijo, syriän. pi
und ungr. fiü) nähern dürfen; auch alle diese entfalten kein R. Das
sanskrit liefert aber für sohn noch einen andern ausdruck, nemlich
putra, das zend. puthra, acc. pulhrem, welchen das lat. puer für
puter? und puella = puerula fiir puterula? gleichen, da die begriffe
sohn und knabe, tochter und mädchen in einander aufgehn; vgl. bre-
tagn. paotr = puer, finn. poika puer und filius. ohne zweifei stellt
sich putra unmittelbar zu pitr und pater.
Dem skr. svasura, das mit svasr sich berührt, entsprechen gr.
ty.vQog, lat. socer = svacer, gotli. svaihra, ahd. suehur.
dem skr. dschämätr, gr. ya/.ißQog, lat. gener, litth. Kenias, poln.
zieö, böhm. zet, russ. ziaf.
dem skr. devr gr. dcwfp, lat. levir = devir, litth. deweris, ags.
täcor, ahd. zeihur.
das böhm. neti neptis flectiert ganz wie mati oder dci und bildet
im gen. netere, im acc. netef. das verwandte gotli. nijijo, lat. nep-
tis, ahd. niftila bleiben ohne R.
271 Auch die neigung zu kosenden diminutiven bei allen diesen benen-
nungen verdient hervorgehoben zu werden, denn aUszer puella fra-
tello sorella brolis matka und corka ist das finn. siukku und sisko
anzuführen; die Serben sagen anrufend sele! bralel male! Schwester-
chen, brüderchen, mütterchen, und dies brale erreicht ganz das litth.
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URVERWANDTSCHAFT VATER
189
brolis. wie wenn in filius filia, figlio figlia, fils fille das L diminutiv
und das D in fidius zu nehmen wäre wie im gr. vldiov?*
Man darf nicht in ahrede stellen, dasz in diesen appellativen die
finnischen und lappischen sprachen den urverwandten näher treten, und
es ist nicht glaublich, dasz sisar und tytär, sössar und tüttar oder lapp,
daktar erst spät deutscher spräche abgeborgt wurden, denn andere ein-
stimmungen machen sich noch wichtiger: muori ist das schwed. mor
für moder, äiti das goth. aifiei, lapp, edne, und jenem goth. nifvjö
avyyevrjg, böhm. neti neptis oder filiola darf mit gutem fug das finn.
neito puella, virgo, est. neilo sponsa, lapp, neita filia zur seite stehn,
das finn. veli, lapp, välja begegnet auffallend dem albanesischen ßt'kd
frater, und wenn ich kühner vergleichen darf, vielleicht dem altn. göt-
ternamen Vili, welcher Odins bruder bezeichnet.
Goth. atta mag sich lieber zum ir. atair athair halten, als dasz
dies aus patair entspränge, vielleicht auch zum sl. otec, sicher zum
lapp, attje, ungr. atya; man weisz dasz der goth. name Attila, ahd.
Ezilo den Hunnen gerecht war oder ward, auch den Kirgisen gilt ata,
den Tataren atai, den Tschuwaschen atei und in weiter ferne den Bas-
ken aita für vater. diese form verknüpft also die ältesten und entle-
gensten Völker Europas, nach dem äuszersten nordosten neigt sich aber
die goth. zunge oft. Nicht geringer ist darum die Übereinkunft des
goth. aijiei mit finn. äiti; auch ahd. erhielt sich eidi, mhd. eide, ob-
gleich selten, iu der eingeschränkten bedeutung von amme, nulrix.
emä und emma klingt wieder an ahd. amma nutrix, altn. amma avia, 272
lat. amita, bask. ama mater, albanes. mater. Ob finn. isä sich
mit atta berühren könne, lasse ich unentschieden,
Den Syriänen heiszt der vater bati, auch den Russen in einigen
landslrichen batja, bat’ka, batjuschka, den alten Böhmen batja**, den
slavischen Bulgaren baschta, den karpathischen Slowaken batscha, wo-
gegen den Ungern bdtya einen bruder bezeichnet und auch böhm. batjk
batjtek für bruder, batek für mutlerbruder begegnet, weshalb Ilanka
jenes batja bruder, nicht vater auslegt, in diesem fall könnte das R
nach B ausgestoszen sein, batja = bratja. Schafarik (lesefr. s. 118)
hält aber batja zu pater nuTijQ, und eignet so diesen stamm auch
den Slaven an (B: P wäre wie in bl”cha pulex.)
Welschem tad läszt sich gr. tutu, homerisches Terra II. 4, 412,
poln. und böhm. tata, tatek, tatjk, alban. rare, litth. tetis, taitis, te-
taitis, zigeun. dad (Polt 2, 308), engl, dad, daddy und aus deutscher
volksprache bairisches tatt, tatta, tatte, westfäl. teite vergleichen, darf
bei solchen kosewörtern nach keiner laulverschiebung frage stehn, so
mag auch der ahd. mannsname Tato (Graff 5, 381), ja der goth. Tö-
* nach oft bemerktem Wechsel zwischen D und L, Ovidius wird nicht viel
anderes sein als Ovilius und aus Aegidius wird romanisches Giles, Gilles, bei
Dio 47, 35 Reim. s. 515 schwankt die lesart zwischen JetäSios und Jsxi^ios.
** batio, tv mluwi k niem oteckymi slowy (vater, sprich zu ihnen väterliches
wort.) ruk. kralodw. p. 72.
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Upl 6)5^0 l^a’ ^uozo, Zuozilo in betracht kommen, litth. tewas, preusz.
\ täws schlieszen sich leicht an.
Solchergestalt fanden, scheint es, die urverwandten Völker, wel-
chen die formel vater mutter hruder Schwester tochter zumal eigen
war, hei ihrem einzug in Europa schon andere ausdrücke vor, von
welchen sie einzelne annahmen, während umgekehrt auch ihre henen-
nungen hin und wieder zu den nachbarn drangen, unter den äuszer-
sten Gothen namentlich setzten sich alta und aijiei fest, so dasz fadar
beinahe, mödar vielleicht ganz zurilckwich; bei den ahd. stammen aber
konnten azo und eidi sich nur geringen eingang verschaffen, fatar muo-
tar blieben fast unbeeinträchtigt, die Slaven, obschon sich zu otec
273bequemend, behielten mati. auch hier, zu groszem nachtheil entgeht
uns wieder Vergleichung der getischen thrakischen skythischen Wör-
ter*. Eine schwierige Untersuchung der wurzeln, auf die ich mich
hier nicht einlasse, lTätte beweise dafür zu bringen, dasz jene fünf
Wörter aus unsern sprachen deutbar, die andern formen in ihnen dun-
kel seien.
Um geschlossenheit und gehalt der urverwandten sprachen zu be-
zeichnen scheinen die gewählten beispiele hinreichend; andere mögen
im verlauf des werks zutrelen. eigentlich, wenn sich der gegenständ
erschöpfen soll, müsten alle bedeutenden wortreihen dieser sprachen
in einem besonderen buch umfangen und unter den hier eröfneten
gesichtspunct gestellt werden.
* doch s. 234 temerinda mater niaris, und vielleicht im dakischen mozula
(s. 207) litth. motina, sl. mati.
•*»Ä. -Vfc. -•**. 4V»
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TTSrüTar
iifiiflfcijEiEK'flK
XII.
YOCALISMÜS.
Aller laute einfache grundlage erscheinen die vocale und erst 274
an ihnen entfaltet sich die macht der consonanten. der vocal tönt von
selbst, der consonant, um deutlich vernommen zu werden, bedarf einer
gemeinschaft mit dem vocal; es sind in der stimme alle ansätze zum
consonantlaut da, die an den vocal gefügt klarheit erlangen, der vocal
ruht, der consonant schwebt und ergreift jenen.
Wie in der spräche überall* waltet auch für den vocalismus tri—
logie. aus drei vocalen stammen alle übrigen.
Es ist ein gewaltiger satz, den uns sanskrit und gothische spräche
zur schau tragen, dasz es ursprünglich nur drei kurze vocale gibt:
A I U.
Auf dem Verhältnis dieser drei laute beruht nicht nur ihre eigne
erhaltung oder abänderung so wie die zeugung der längen und diph—
thonge, sondern auch bildsamkeit, flexion und wollaut aller Wörter.
Wiederum ist von den drei vocalen A der edelste, gleichsam die
mutter aller laute, aus dem zunächst I und U hervorgegangen sind, 275
so dasz diese dreiheil, gleich jeder andern, auf anfängliche einheit
zurückweist.
A wird mit ofnem vollem mund, I mit innerem halbem, U mit
schlieszendem gesprochen.
Nicht umsonst beginnt A in allen alphabeten, deren anordnung
überhaupt beachtenswerth scheint; es sei hier blosz bemerkt, dasz das
lateinische, wie mit A anhebt, mit U schlieszt (da v x y z unwesent-
liche jüngere zusätze), folglich I beinahe die mitte einnimmt, zwischen
A und I ist E, zwischen I und U ist 0 geschaltet, geradeso gelangt
das organ von A auf E zu I, von I auf 0 zu U.
* drei geschlechter: masculinum femininum neutrum, drei numeri: singula-
ris dualis pluralis, drei personen: erste zweite dritte, drei genera: activum me-
dium passivum, drei tempora: praesens praeteritum futurum, drei declinationen
durch A I U.
!
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• v*. wt.
192 VOCALISMUS
Die Veränderung, welcher die drei kürzen unterliegen, ist eine
dreifache, entweder wechseln sie rein bleibend, oder es zeugen sich
gemischte, gleichwol kurz verharrende laute, oder sie gehn über in
längen.
Als Ursache solches Wechsels musz entweder ein nachfolgender
vocal oder ein nachfolgender consonant betrachtet werden, oder endlich
die vocaländerung ergeht ohne äuszeren anlasz.
Sie kann sich zutragen entweder im Verhältnis zweier urver-
wandten sprachen nebeneinander, oder in einer und derselben spräche
zwischen zwei dialecten, oder in demselben dialect für verschiedne
Wörter und formen.
Bei dem Wechsel reiner kürzen scheint mir als oberster grund-
satz zu gelten, dasz A nach zwei seiten in 1 oder U überschlagen
könne, I und U untereinander aber sich nie vertreten, sondern immer
auf A zurückzuführen seien.
Das sanskrit reicht eine fülle von Alauten dar, die in den übri-
gen sprachen zu I und U geworden sind: skr. aham goth. ik, skr.
asti goth. ist, skr. santi goth. sind, skr. saptan goth. sibun, skr. madhu
goth. mi|ms, skr. mahat lat. magnus goth. mikils, skr. agnis lat. ignis,
skr. antas lat. intus; skr. agnis litth. ugnis goth. auhns, skr. dantas
litth. dantis goth. tunfms, skr. pari goth. faur ahd. furi, skr. -as lat.
-us, skr. saptan navan goth. sibun niun, skr. santi lat. sunt, skr.
dschan goth. kuni. zuweilen ist aber auch im skr. die geschwächte
276 form und in den andern sprachen A geblieben z. b. skr. pitr, lat.
pater gr. navrjQ goth. fadar, wie neben lat. pater die Verdünnungen
Jupiter Dispiter Marspiter gelten, deren laute gleichstehn denen in cano
concino, habeo inhibeo, capio incipio, caput occiput, salio resilio,
tango attingo. wie hier die ableilungen I für A, zeigen andere U für
A: calco conculco, taberna contubernium, salsus insulsus. dieser pa-
rallelismus zwischen I und U weist nothwendig auf A zurück, lat.
simul vergleicht sich dem goth. sama, gr. a/uu. im goth. stehn giba
nima brika truda, wahrscheinlich auch knuda struda, auf einer reihe;
im ahd. kipu nimu prihliu tritu chnitu stritu geht I durch, das goth.
nahts ahd. naht mindert sich in ags. niht engl, night, wie goth. mahts
ahd. mäht in ags. miht engl, might und goth. gahts (framgahts inna-
gahts) in ahd. giht (sungiht), ahd. witu altn. vidr steht neben ags.
vudu, lat. lingua = dingua neben goth. tuggö, doch die franz. spräche
hat sogar langue aufzuweisen, neben litth. naktis findet sich gr. vv'S,
lat. nox ir. nochd welsch, nos sl. noschtsch. einzelne Wörter laufen
durch alle drei vocale*, wie skr. ka ku ki (Bopp s. 558), ahd. ar
ur ir, anti unti inti, -nassi nussi nissi, oder in vcrschicdncn sprachen,
wie das privative gr. «- uv- lat. in-, goth. un- lautet, der goth. dat.
pl. -am in dagam fiskam wird ahd. zu -um in takum fiscum, aber der
goth. dat. pl. sunum zu ahd. sunim. die lat. Superlative -imus ent-
* beachtenswerth die Spaltung der goth. praep. ana und in, die beide das
gr. iv und lat. in ausdrückt.
X
X
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VOCALISMUS
193
sprechen den skr. -amas, doch neben optimus maximus galt früher
oplumus maxumus und die dat. pl. verubus currubus scheinen ursprüng-
licher als die sie ersetzenden veribus curribus. die rechte abstufung
ist AUI. oft will der zufall, dasz Verdünnung eintrat oder nicht,
z. b. während lat. caper ags. häfer altn. hafr, wahrscheinlich ahd.
habar blieb, wurde lat. aper zu goth. ibrs ibrus, welches aus ags.
eofor, altn. iöfur, ahd. epar zu folgern ist. Bahau/ii und ^a/u'ipwv
der LXX, Balaam und Samson der vulgata heiszen bei Luther Bileam
und Simson.
Ich erläutere diesen Wechsel reiner kürzen nicht länger, da mir 277
mehr anliegt der trüben vocale Ursprung, wie ihn unsere spräche deut-
lich enthüllt, ins äuge zu fassen.
E und 0 scheinen aus einer Verbindung zwischen A und I, A und
U dergestalt hervorgegangen, dasz das entspringende Al und AU, ge-
gen die natur des diphthongs, kürze festhielt und darum bald durch
das einfache Zeichen E und 0 ausgedrückt werden konnte.
Kurzes E und 0 kommen weder im sanskrit noch in der gothi-
schen spräche vor, gleichwol hat letztere zwar keinen umlaut entfal-
tet, dennoch Brechungen des I und U vor li und R in AI und AU
zugelassen. Viel weiter schreitet die ahd. spräche, ihr entsteht E auf
zweifache weise aus A durch I, aus I durch A, hingegen 0 nur ein-
mal aus U durch A. das erste E nenne ich das umgelautete, das
andere das gebrochene, und beide müssen in der aussprache merklich
abgestanden haben, da ihr unterschied mhd. und seihst nhd. noch nicht
verwischt ist. Von der goth. brechung kann die ahd. häufig abwei-
chen, indem zwar goth. saihvan fauhö bairan bauran zu abd. söhau
foliä peran poran stimmen, allein goth. faihu saihvis bairis j)aurneins
baurgs verschieden sind von ahd. fihu sihis piris durnin puruc und
wiederum goth. giban vigs itan von ahd. ke'pan wöc ezan.
Parallel dem umlaut des A durch I sollte ahd. auch einer des A
durch U entsprungen sein, diese lücke der theorie ist in altn. spräche
ausgefüllt, wo bei nachfolgendem U wurzelhaftes A in AU gewandelt
wird, z. b. maugr ■= goth. magus, daugum — ahd. tacum goth. da-
gam; die jetzt übliche Schreibung und aussprache setzt aber mügr dö-
gum für mogr dogum = maugr daugum ; altnorwegische handschrif-
ten, z. b. die nunmehr erwünscht herausgegebnen Gulajnngslog gewäh-
ren richtiges 0: ol oll horn monnom statt öl öll börn mönnum = alu
allu barnu mannum.
Mhd. und nhd. vervielfachen sich die umlaute, indem von den
längen abgesehn, neben A auch U und das gebrochne 0 in Ü und Ö
umlaulbar geworden sind, ich kenne keine spräche, die sich des um- 278
lauts in solcher masze bedient hätte, wie die hochdeutsche, mnl.
und nnl. ist er weit eingeschränkter geblieben, dagegen die brechung
des I und U Uber das hochdeutsche ziel hinausgegangen, so dasz alle
heutigen deutschen sprachen eine überlast von unreinen, sowol gebroch-
nen als umgelautelen vocalen an sich tragen.
AuSzerdem hat die reinheit des A und U noch in andern füllen
13
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
194
VOCALISMUS
einbusze gelitten, ohne dasz dabei irgend einflusz nachfolgender vocale
oder consonanzen wirksam erscheint, so gilt ahd. 0 für A in liolön
arcessere, fona de, giwon suetus, zumal häufig aber ags. Ä (fries. E)
in Wörtern wie däg dies, fät vas, gen. däges fätes, wo jedoch A er-
stattet wird, sobald die flexion A oder U zutreten läszt: dagas daga
dagum,* fatu fata fatum; solche dat. pl. dagum fatum stehn daher ab
von den altn. dögum fötum.
Hat man den getisehen dakischen eigen und pflanzennamen E und
0 einzuräumen oder, nach gothischem gesetz, abzusprechen? sie sind
uns nur in griechischer fassung überliefert, welcher E und 0 allgeläu-
fig waren. reßtheityg OvtUvug /JtxißaXog /JQOf.ayaix^g lassen sich
leicht zurückführen auf Gibaleisis Vasins Dakibalus Trumihaitis; man
erwäge, dasz für Dions ZtQ/.u^tytdovoa schon Ptolemaeus das bes-
sere Zu.QiiiCtyid'ovoa vorbringt; noch unverlegner wird auszerhalb
der wurzel 0 in ZuX/no'^ig machen, cs gleicht vollkommen dem in
Idqno^dig ylmolgdig (s. 234) und dem lat. in nox mox. irrt meine
deutung von ZuQ/utCe nicht, so hätte griechisch sogar Zdq^iiQ)] ge-
schrieben werden sollen. Im volksnamen I'txui selbst haftete bei den
Griechen von uralter zeit her E, welches aus A entsprungen sein musz,
da sich -ytxog -ytvog lat. -getes genus (oben s. 179) auf die skr.
wurzel dschan führen lassen, wofür dem goth. idiom U gemäsz war,
wie in kuni = genus, un- = u-, us = tx, so in Gujvai == Getae
rixui = Faxen. ob nun die mit Griechen verkehrenden Geten in
ihrem namen U oder I vernehmen lieszen, ist kaum zu sagen, A mö-
gen sie längst aufgegeben haben, doch aus dem 1 ist das goth. U
279 leichter als aus E zu begreifen, das freilich griechischem mund gerecht
war, wie später 0 in röx&oi, seitdem die form Gujuai oder Gujians
übertragen wurde, aus ytvog in yövog gelangte das organ der Grie-
chen ohne mühe. Dasz wir über den namen Bessi Btaool nicht im
reinen sind lehrt schon die herodotische- form Bi]oaoi (s. 198) und
sa mag anderwärts t ein tj oder o ein o) vertreten, die K^rjaxoivaloi
dürfen beides Kptoxcovcu'ot oder Kqogxmvuioi werden (vgl. s. 206.)
Ein ähnlicher gesichtspunct musz für die pflanzennamen gerecht sein,
das E in phthethela ist dem ersten in ntxalov gleich, das für ndxa-
\Xov steht, wie litth. patalas, federbett, bestätigt, in den endungen
-ela schwächte sich der vocal noch leichter, das -i]\a in tulbela pria-
dela mag vielmehr -ila sein, salisa setzte das gr. ohr leicht um in
oti~t, wie ihm skr. schasch saptan zu tnxu geworden waren, doch
seba scheint entsprungen aus siba. den vocallaut in pegrima halte ich
zu dem in /ntyag = lat. magnus, denn der Gothe behauptet A in
fagrs. reine vocale walten in salia dacina dacisca aprus radabida. die
0 in dochela kotiata prodiorna gonolita olma mozula sind entweder
aus A und U entstanden, oder langem 0 zu überweisen.
Viel weniger auf hegt es mir in einigen der angeführten skylhi-
schen Wörter E und 0 anzufechten oder zu verlheidigen, da der weile
umfang- und die manigfalligkeit skythischer idiome diese laute schon
gestattet haben kann, wie sie in benachbarten alten sprachen eintra-
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
VO CALISMUS
195
len, wobei es gar nicht auf eine besonderheit gelischer oder gothi-
scher zunge ankommt, in Temerinda mag das erste E lang, das an-
dere umgelautetes A sein und die xoquxoi lassen sich auch ohne dasz
man xu.qux.oi lese mit harugA zusammenslellen. in den meisten übrigen
skythischen eigennamen erklingt voller und unrebrochner vocal.
Aber schon dem alten zend waren auszer den buchstaben für A
I U noch zwei andere eigen, die, scheint es, den laut eines kurzen E
und 0 haben und ursprüngliches A und U ersetzen, z. b. in azem ego
skr. aham, puthrem filium skr. putram, hentem praesentem skr. san-
tam, erezata argentum skr. radshatam, mäo luna skr. inäs und ver-
flüchtigt mäu. vermutlich walten consonanteinflüsse. aber es tritt auch
bei nachfolgendem i i oder 6 den kurzen oder langen vocalen voraus- 280
gehender silben I zu, z. b. in nairja liomo, maidhja medium skr.
madlija, welches AI sowohl der goth. brechung AI — I als dem ahd.
umlaut E, den die älteste zeit noch mit AI EI bezeichnet, vergleich-
bar stände.
Noch weit häufiger sind lateinische und griechische E und 0 an
stelle der ursprünglichen A I U gerückt.
In vielen lat. Wörtern treten sich A und E zur seile: arma iner-
mis, barba imberbis, annus perennis, ars iners, aptus ineptus, captus
inccptus, faslus profestus, fallo refello, farcio confercio. nach den drei
ersten beispielen würde man, auf ahd. weise, umlaut annehmen, den
jedoch die übrigen widerlegen, in perennis lautet A nicht um, weil
es dann auch in anni annis umlauten würde, sondern die ableitung
schwächt den vocal, wie in ineptus, wo die endung des I ermangelt.
Gewähren nun aber andere ableilungen I neben dem E der Stämme,
z. b. in lego diligo, teneo retineo, tenax perlinax, so scheint die ab-
leitung bereits erfolgt, als der stamm noch ungeschwächtes A halte,
so dasz taneo zu retineo wie habeo zu cohibeo sich verhielten, diese
lat. E gleichen also nicht unserm gebrochnen E, weil sie nicht aus I
entspringen, und auch nicht unserm umgelauteten E, weil ihnen die
bedingung des umlauls unnölhig ist. die lat. ego est edo sedeo me-
dius sex septem dens führen unmittelbar auf skr. aham asli ad . .
sad . . madhja schasch saplan dantas und es liegt kein I oder U da-
zwischen, wie in den* golli. formen ik ist ita sita midjis saihs sibun
tunjjus. aber zuweilen ist auch lat. I für skr. A eingetreten, z. b.
mihi quinque skr. mahjam pantschan, weshalb E in me goth. mik eher
auf mi als ma zu bringen wäre, über gr. Iv tvrog (skr. anlas) kann
lat. in intus nicht entscheiden.
Unter den romanischen zungen hat zumal die italienische, nächst-
dem die spanische, am wenigsten die französische den laut der lat.
A I U ausgehalten; die letzte wimmelt von geschwächten und gebroch-
nen vocalen, ja sie entsagt sogar völlig der reinheit des U, welches
sie wie mhd. nhd. Ü ausspricht, und ihr einllusz scheint auch die nnl. 281
gleiche aussprachc des U nach sich gezogen zu haben. Hierin sticht
das nnl. idiom von allen deutschen, wie das franz. von allen romani-
schen ab, wiewol auch altn. U heutzutage auf Island wie Ü klingt.
8eA0v(citrt, a^tifoiWc) i öl^ ?YO
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13*
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VOCALISMUS
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Gleicherweise geht der Grieche des reinen U verlustig; da aber
in wurzeln und ableitungen sein Y dem U der lat. litth. und goth.
spräche gleichsteht, wird ihm ursprünglich auch deren ungetrübter
laut gebührt haben und ich zweifle nicht, dasz im höhern alter-
thum ov vno vntg nolv d-Quovg, was diesen vocal angeht, nicht
anders klangen als lat. tu sub super, goth. |>u uf ufar filu, litth.
drasus.
Den Ursprung der gr. E und 0 sollte man einmal ausführlich un-
tersuchen. uve^iog oxontlog stimmen zu lat. animus scopulus, deren
flexion us überall dem gr. og und skr. as begegnet und sich wie das
0 in ahd. hano zu goth. liana verhält, gieng nun animus aus anamas,
wie septimus aus skr. saptamas gr. fßöo/uog hervor? und hat sich
die folge A 1 U wie in unserm ablaut darin erzeugt? alle lat. Super-
lative haben -imus -umus statt des skr. -ama und zu anamas stimmt
noch das irische anam = anima. Jene lat. Schwächungen cano oc-
cino, calco conculco sind der gr. spräche fremd, eine menge gr. E
stellt sich unmittelbar neben skr. A: fyco toxi ntQi ntvxt tnxä
Stau jut'aog /utyag /.it&v neben aham asti pari pantschan schasch sap-
tan dasan madhja mahat madhu und in diesen hat auch das lat. dem
A entsagt, auszer in magnus und setzt I nur in quinque, der Gothe
aber in ik ist fimf saihs sibun taihun midja mikils und wahrscheinlich
mijms. sibun steht zu saplan wie animus zu einem älteren ana-
mas, also darf auch ahd. piru, goth. baira = fero <ptQio auf bhara
weisen.
0 für A entwickeln gr. und lat. spräche in novem novus ovis
big, folglich läszt sich auch E in vtog ontog lat. specus, vtxvg lat.
nex auf ursprüngliches A bringen, was uns goth. naus gen. navis be-
stätigt. anderemal schwanken beide zwischen 0 und A, z. b. in domo
da/iiuio, goth. tamja. wie lat. nox dem goth. nahts scheint mir auch
mox dem mahts verwandt, eigentlich potenter, hernach celeriter aus-
zudrücken.
282 Die litthauische, rein lautendes A I U noch genugsam besitzende
spräche hat gleichwol E und 0 auf eine unserer deutschen ähnliche
weise entwickelt, da sich nemlich aus E in den ableitungen I ergibt:
gemu nascor giminne genus, gerru bibo girrauju poto, so gleicht dies
E mehr dem I als A, und szirdis mehr dem goth. hairtö, als gr.
xaqdlu, wenn schon ich nicht wage zu entscheiden, ob esmi suni,
edmi edo, sedmi sedeo, medus /ue&v dem skr. A oder goth. I näher
treten, auch in den Zahlwörtern keturi penki szeszi septyni deszimt
waltet E, doch in asz ego A, und dem litth. esti steht preusz. ast
zur seite; errelis aquila ist sl. or’l”, poln. orzet, ahd. aro. wabalas
scarabaeus klingt voller als ahd. wibil, ugnis schwächer als agnis, vol-
ler als ignis und stimmt zum goth. auhns fornax, sl. ogn’ ignis. in
sunus begegnet lauteres U dem goth. sunus, ahd. ags. sunu, wie in
durrys porta dem ags. duru, ahd. turi; das goth. daur ist gebrochen,
wie goth. dauhtar ahd. tohtar neben dem reinen litth. dukle. für A
zieht diese spräche verschiedentlich 0 vor, z. b. in obolys, ahd. apfal
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epfili, welsch afall pl. efyll, sl. jabloko, rojus paradisus sl. rai, ponas
dominus sl. pan.
Aber viel öfter trübt sich der Slaven A zu 0 : nos” nasus lilth.
nosis, rosa lat. ros roris litth. rasa, os’l” goth. asilus, bos” nudipes
litth. basas, noschtsch’ goth. nahts poln. noc, moschtsch’ gotli. mahts
poln. moc, grob” sepulcrum litth. grabas, rog” cornu litth. ragas, oko
oculus litth. akis, orati arare litth. ärli, more raare litth. mares, gost’
hospes goth. gasts, vosk” cera litth. vaskas ahd. wahs, voda aqua goth.
vatö. einzelne dialecte, zumal der polnische, sind diesem 0 noch ge-
neigter: proch pulvis sl. prach” litth. parakas, prog limen sl. präg”,
chlop servus sl. chlap” litth. kalps, broda barba sl. brada litth. barzda,
krowa vacca sl. krava litth. karwe, mrowka formica sl. mravii, grod
urbs sl. grad” goth. gards, wohin auch die untrennbare partikel roz
gehört, die nur den Böhmen ebenso, allen übrigen Slaven raz lautet,
die Russen pflegen, nach ahd. art, den vocal durch zwei silben zu
führen: porog” cholop” boroda korowa gorod”.
Was nun I und U betrifl, so scheint in deren Verflüchtigung die 283
sl. spräche weiter gegangen als eine der übrigen urverwandten, in-
|m sie sie hiiufig ganz ausstöszt oder blosz jeriert, d. h. besondere
z^hen einlreten läszt, in welchen der alte vocal nachhallt, es gibt
zweierlei jer, ein dünnes oder mildes, welches ich hier durch ’ aus-
drücke, und ein dickes hartes, wofür ich ” setze; jenes, dünkt mich,
ist an die stelle von I, dieses an die von U getreten, wie auch im NUtdMauXj(i
russischen inlaul jenes durch E, dieses durch 0 bezeichnet zu werden
pllegt. st'klo vitrum poculum entspricht dem litth. stiklas, goth. stikls,
alln. stikill, ahd. stihhil aculeus apex, weil die alten trinkhörner spitz
waren; die Böhmen schreiben sklo, die Polen szklo. nicht anders ist
sr’d’tze, böhm. srdce das litth. szirdis,' goth. hairtö, ahd. herzä. pr’st”
digitus, böhm. prst, russ. perst”, litth. pirszlas, lett. pirksts. m’gla
nebula, poln. mgta, böhm. mhla, litth. migla, gr. o/.ii/'krj. vl”k” böhm.
wlk mildern die Polen in wilk, die Litthauer in wilkas, die Russen ha-
ben volk” hergestellt, es ist das gr. Xvxog, wie goth. vulfs das lat.
lupus; Miklosicli bringt zu vl”k” das skr. vrka (oben s. 56), welchem
noch genauer sl. vrag” = gotli. vargs antwortet. pl”k” acies agmen
ist das böhm. pluk, poln. polk putk, russ. polk”, litth. pulkas, ahd.
folh, ags. folc, altn. fölk. pl”n” böhm. plny, poln. pelny, russ. polnyi,
litth. pilnas, lat. plenus; ableitendes N erscheint erst im gotli. fulnan
fullnan impleri, nicht in den einfachen adj. fulls, ahd. fol, man wolle
denn LL aus NL leiten. Beide jer zeigen sich zumal auslautend am
platz des älteren U und I: osT gleicht genau dem goth. asilus, med”
dom altn. miödr, ags. medu, tr’n” dem goth. jiaurnus, s”in” dem litth.
goth. sunus, wogegen gost’ dem goth. gasts pl. gasteis, noschtsch’
dem goth. nahts, ogn’ dem lat. ignis, wenn schon, wie I und U tau-
schen, einzelne dieser jer die stelle gewechselt haben mögen. Von
beiden, dem dünnen wie dem dicken jer sind aber in den heutigen sl.
sprachen eindrücke auf die vorausgehenden, zumal liquiden consonan-
len übrig, z. b. poln. koii equus entspringt aus kon’, orzel aus orT,
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VOCALISMUS
Gleicherweise geht der Grieche des reinen U verlustig; da aber
in wurzeln und ableitungen sein Y dem U der lat. litth. und goth.
spräche gleichsteht, wird ihm ursprünglich auch deren ungetrübter
laut gebührt haben und ich zweifle nicht, dasz im höhern alter-
thum av vno vntQ noXv d'g/aovg, was diesen vocal angeht, nicht
anders klangen als lat. tu sub super, goth. fm uf ufar fdu, litth.
drasus.
Den Ursprung der gr. E und 0 sollte man einmal ausführliclj^un-
tersuchen. ave/.iog oxontkog stimmen zu lat. animus scopulus,
flexion us überall dem gr. og und skr. as begegnet und sich
0 in ahd. hano zu goth. hana verhält, gieng nun animus a
wie septimus aus skr. saptamas gr. tßSo/uog hervor?
die folge A 1 U wie in unserm ablaut darin erzeugt? alle
lative haben -imus -umus statt des skr. -ama und zu
noch das irische anam — anima. Jene lat. schwäch
cino, calco conculco sind der gr. spräche fremd, ein
stellt sich unmittelbar neben skr. A: tyco iari ntQi^Pvxt tM&ixü
Stxu /Litoog f.ityag {.it&v neben aham asti pari pant^Hm schafi sap-
tan dasan madhja mahat madhu und in diesen haMmch dasdem
A entsagt, auszer in magnus und setzt I nur iif^fuinque, ^HGothe
aber in ik ist fimf saihs sibun taihun midja mikils und wah^^Binlich
miftus. sibun steht zu saptan wie animus zu einem ana-
mas, also darf auch ahd. piru, goth. baira = fero (ftpmßlm bhara
weisen.
0 für A entwickeln gr. und lat. spräche in noveiÄhovus ovis
big, folglich läszt sich auch E in vtog ontog lat. specusM vtxvg lat.
nex auf ursprüngliches A bringen, was uns goth. naus gcwi. navis be-
stätigt. anderemal schwanken beide zwischen 0 und A, z. b. in domo
Sa/Auw, goth. tamja. wie lat. nox dem goth. nahts scheint mir auch
mox dem mahts verwandt, eigentlich potenter, hernach celeriter aus-
zudrücken.
282 Die litthauische, rein lautendes A I U noch genugsam besitzende
spräche hat gleichwol E und 0 auf eine unserer deutschen ähnliche
weise entwickelt, da sich nemlich aus E in den ableitungen I ergibt :
gemu nascor giminne genus, gerru bibo girrauju poto, so gleicht dies
E mehr dem I als A, und szirdis mehr dem goth. hairtö, als gr.
xuqSIu, wenn schon ich nicht wage zu entscheiden, ob esmi sum,
edmi edo, sedmi sedeo, medus /ui&v dem skr. A oder goth. I näher
treten, auch in den Zahlwörtern keturi penki szeszi septyni deszimt
waltet E, doch in asz ego A, und dem litth. esti steht preusz. ast
zur Seite; errelis aquila ist sl. or’l”, poln. orzel, ahd. aro. wabalas
scarabaeus klingt voller als ahd. wibil, ugnis schwächer als agnis, vol-
ler als ignis und stimmt zum goth. auhns fornax, sl. ogn’ ignis. in
sunus begegnet lauteres U dem goth. sunus, ahd. ags. sunu, wie in
durrys porta dem ags. duru, ahd. turi; das goth. daur ist gebrochen,
wie goth. dauhtar ahd. tohtar neben dem reinen litth. dukte. für A
zieht diese spräche verschiedentlich 0 vor, z. b. in obolys, ahd. apfal
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epfili, welsch afall pl. efyll, sl. jabloko, rojus paradisus sl. rai, ponas
dominus sl. pan.
Aber viel öfter trübt sich der Slaven A zu 0 : nos” nasus lilth.
nosis, rosa lat. ros roris litth. rasa, os’l” goth. asilus, bos” nudipes
litth. basas, noschtsch’ goth. nahts poln. noc, moschtsch’ goth. mahts
poln. moc, grob” sepulcrum litth. grabas, rog” cornu litth. ragas, oko
oculus litth. akis, orati arare litth. ärli, more mare litth. mares, gost’
hospes goth. gasts, vosk” cera litth. vaskas ahd. wahs, voda aqua goth.
vatö. einzelne dialecte, zumal der polnische, sind diesem 0 noch ge-
neigter: proch pulvis sl. prach” litth. parakas, prog limen sl. präg”,
chlop servus sl. clilap” litth. kalps, broda barba sl. brada litth. barzda,
krovva vacca sl. krava litth. karwe, mrowka formica sl. mravii, grod
urbs sl. grad” goth. gards, wohin auch die untrennbare partikel roz
gehört, die nur den Böhmen ebenso, allen übrigen Slaven raz lautet,
die Russen pflegen, nach ahd. art, den vocal durch zwei silben zu
führen: porog” cholop” boroda korowa gorod”.
Was nun I und U betrifl, so scheint in deren Verflüchtigung die 283
sl. spräche weiter gegangen als eine der übrigen urverwandten, in-
dem sie sie hiiufig ganz ausstöszt oder blosz jeriert, d. h. besondere
Zeichen eintreten läszt, in welchen der alte vocal nachhallt, es gibt
zweierlei jer, ein dünnes oder mildes, welches ich hier durch ’ aus-
drücke, und ein dickes hartes, wofür ich ” setze; jenes, dünkt mich,
ist an die stelle von I, dieses an die von U getreten, wie auch im NKk#iauAl "j\
russischen inlaul jenes durch E, dieses durch 0 bezeichnet zu werden
pflegt, st'klo vitrum poculum entspricht dem litth. stiklas, goth. slikls,
altn. stikill, ahd. stihhil aculeus apex, weil die alten trinkhörner spitz
waren; die Böhmen schreiben sklo, die Polen szklo. nicht anders ist
sr’d’tze, bölim. srdce das litth. szirdis,' goth. hairtö, ahd. herzä. pr’st”
digitus, bühm. prst, russ. perst”, litth. pirszlas, lett. pirksts. m’gia
nehula, poln. mgta, böhm. mhla, litth. migla, gr. djui/Xr/. vl”k” böhrn.
wlk mildern die Polen in wilk, die Litthauer in wilkas, die Russen ha-
ben volk” hergestellt, es ist das gr. Xvxog, wie goth. vulfs das lat.
lupus; Miklosich bringt zu vl”k” das skr. vrka (oben s. 56), welchem
noch genauer sl. vrag” = goth. vargs antwortet. pl”k” acies agmen
ist das böhm. pluk, poln. polk putk, russ. polk”, litth. pulkas, ahd.
folb, ags. folc, altn. fölk. pl”n” böhm. plny, poln. petny, russ. polnyi,
litth. pilnas, lat. plcnus; ableitendes N erscheint erst im goth. fulnan
fullnan impleri, nicht in den einfachen adj. fulls, ahd. fol, man wolle
denn LL aus NL leiten. Beide jer zeigen sich zumal auslautend am
platz des älteren U und I: osT gleicht genau dem goth. asilus, med”
dem altn. miödr, ags. medu, tr’n” dem goth. jmurnus, s”in” dem litth.
goth. sunus, wogegen gost’ dem goth. gasts pl. gasteis, noschtsch’
dem goLh. nahts, ogn’ dem lat. ignis, wenn schon, wie I und U tau-
schen, einzelne dieser jer die stelle gewechselt haben mögen. Von
beiden, dem dünnen wie dem dicken jer sind aber in den heutigen sl.
sprachen eindrücke auf die vorausgehenden, zumal liquiden consonan-
ten übrig, z. b. poln. kon equus entspringt aus kon’, orzet aus or’l”,
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> >/A. 'AVAVA' A ü
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VOCALISMUS
284wierzch vertex aus vr’cli” böhm. wrch, Iza lacrima aus sl”za böhm.
slza serb. suza, poln. sly malus aus z”1”. da nun den Slaven wur-
zelhaftes G vor I in Z übergeht (bog pl. bozi), so scheint mir auch
ieri. und az’ sanz dem zend. azem = skr. aham veredeiehhar. sn wie
az” ego, iz” ex = litth. asz, isz eigentlich az’ iz’ = azi izi für agi
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VO CALISMUS
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es gibt aber andere, die im nom. sg. kurzes U, im gen. sg. und pl.
kurzes 0 empfangen: ucht pectus gen. ochta, lus herba gen. losa, gul
ejulatio gen. gola. U wird in 0 gebrochen, 0 in UI. Die flexion der
langen vocale ergeht analog z. b. bärd poeta hat den gen. und pl.
bäird. Auszerhalb der flexion sind mir einzelne Schwächungen des A
in U aufgestoszen: abhal malus, ubhal malum, was dem litth. obolys
gleicht, wie ugh dem lat. 0 in ovum.
Auch die welschen plurale zeigen besonders hei einsilbigen Wör-
tern einen unserm deutschen ähnlichen umlaut, A pflegt EI, 0 aber Y
anzunehmen; mab filius pl. meib, bardd poeta beirdd, sarff serpens
seirff, gwalch falco gweilch, corf corpus cyrf, corn cornu cyrn, flon
baculus flyn, flord via ffyrd, welches Y dem irischen UI gleicht, naf
creator, talch fragmen bilden den pl. neifion teilchion. hen alt bildet
hyn hynach älter, ser stella den pl. syr. geht bei zweisilbigen der
vocal letzter silbe in Y über, so wandelt sich das A der ersten in E:
afall malum, aber refugium, maneg manica erhalten efyll ebyr menyg,
was zum ahd. umlaut des A in E stimmt, das zweisilbige dafad ovis
macht den pl. defaid. anderes weicht ab, von dant dens finde ich den 286
pl. daint (nicht deint) angesetzt, von maen lapis meini, von nain avia
neinoedd, von brän corvus brain, von troed pes (ir. troidh) traed, von
gwr vir gwyr, von dwfr aqua deifr, von croen cutis crwyn u. s. w.,
was genauere forschung wol erklären wird, ich bin im welschen der
quantität der vocale unsichrer als im irischen.
Aus diesem vortrag über die kurzen vocale der urverwandten spra-
chen ziehe ich,
t) dasz sich an die trilogie A I U nur die indische und gothi-
sche binden, da sie zwar A in I und U abstufen, nicht aber in trü-
ben laut schwächen, daraus erklärt sich der grosze umfang dieser
vocale in beiden sprachen.
2) I und U bricht die gothische, sobald ihnen II und R folgen,
indem sie dann A vorschiebt, so dasz aih auh air aur, ohne beeinträch-
tigung der kürze, entspringen, das skr. guna erscheint analog, es
schiebt gleichfalls A vor I und U und bewirkt Al AU, die jedoch länge
empfangen und 6 6 ausdrucken, dennoch lehren sie, wie der goth.
brechung die ahd. E und 0 gleichen, und kürze wahren.
3) recht im gegensatz zum skr. und goth. schädigt das zend den
Alaut, für skr. madhjas maidhjas, für skr. bhrätaram bhrätarem schrei-
bend. hierzu stimmt das lat. medius und fratrem, welche zugleich
zeigen, dasz AI und E Zusammentreffen, wie die goth. brechung des
I AI mit der Schreibung E. auch der ahd. umlaut des A in E wird
durch AI AE vermittelt, das man in den ältesten denkmälern noch an-
trift, z. b. caensincli f. gensincli, und das selbst unser nhd. ä ent-
hält. an der kürze dieser AI AE .E läszt sich so wenig zweifehl als
an der des gebrochnen goth. AI. das ags. fries. AE E in gräf fo-
vea stäf baculus däl vallis = fries. gref stef del vollenden den
beweis.
4) die goth. spräche geneigt skr. A in I abzustufen, die lat. in
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VOCAUSMUS
E zu schwächen, und aus aham asti madhjas dasan macht jene ik ist
midja taihun, diese ego est medius decem. da nun die hochdeutsche
und noch mehr die niederdeutsche spräche zendische und gothische
richtung vereinigt, d. i. sowol A umlautet als I bricht; so ergeben
287 sich in ihnen allzuviel E, die wenigstens durch die aussprache e und
g günstig von einander gehalten werden.
5) in der slav. spräche herscht die Wandlung des A in 0 vor,
obgleich sie nicht auf dem wege des altn. umlauls durch U ergeht;
I und U pflegen ihr aber häufig ganz zu entgleiten und nur jeriert
nachzuklingen, dies hängt mit feiner ausbildung des consonanlismus
zusammen.
6) die keltischen sprachen schlieszen sich in Vervielfältigung und
practischem gebrauch der brechungen oder umlaute auffallend an
die hochdeutsche, wozu auch die menge der diphthonge in beiden
stimmt, man sollte meinen, dasz in diesem betracht einfiusz des
keltischen idioms auf die benachbarten Angelsachsen, Friesen und
Franken stattgefunden haben könne, zumal die inneren Deutschen
(Altsachsen Alamannen Baiern) in Spaltung der laute enthaltsamer
scheinen.
7) vocalischer wollaut hängt von reinheit der drei kürzen und
vom gleichmasz der diphthonge ab. da in unsrer spräche das diph-
thongische Verhältnis hauptsächlich aus dem gesetz der ablaute erhellt,
welchem sich die betrachtung ein andermal zuwenden wird; so will
ich hier die einfachste , alle Schönheit des lauls bedingende grundlage
der trilogie A I U näher ins äuge fassen.
Jeglichem ohr wird aggvus, itan mehr behagen als enge, essen,
aber auch una, tulipa mehr als üne, tülipe und silva filu ufar mehr
als liülä polü hüper. unter allen europäischen sprachen, was die an-
mut der vocale betrift, scheinen mir die lateinische lilthauische und
gothische vorzuragen, und namentlich die griechische und slavisehe
hinter sich zu lassen; noch gröszere lautreinbeit gewährt in asiatischer
heimat das sanskrit.
Beispiele zweisilbiger und dreisilbiger Wörter, nach allen mögli-
chen combinationen, sollen zeugen, ich gestatte mir nur für die letzte,
d. h. die flexionssilbe, einigemal unsichere quantität; zugezogne com-
posita sind eingeklammert.
1) lat. ala mala alga talpa parca. litlh. galas labas badas sawas
sapnas alga banda tarnas wardas. golh. dvala mala sama ana hana fara
aba daga ahma ahva laglam valda barna marka.
288 2) lat. cinis sitis ignis piscis gliscit. litlh. didis iltis pikkis
smillis blindis szirdis. goth. divis Jnvi hilis milifv visijv blindis spin-
nis viljn.
3) lat. humus tubus lupus pullus currus mullus fundus murmur.
litth. sunus suwu gullu durru grubbus suntu mudrus. goth. sunus
munum skulum bundum tunfms huhrus.
4) lat. alit agit apis pandit scandit. litth. dalis szalis dravis akis
dalgis balsis angis naktis. goth. alis halis anis faris framis agis hatis
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VOCALISMUS
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basi nali vatin gavi havi gaggis lantlis fahsis ahmin batists balgis bagmis
vasti frastis.
5) lat. malus apud latus agunt pandunt. litth. alu malu laku
alias saldus dangus garsus aglus. goth. magu maguf) skadus valus
sakkus handu aglu aggvus.
6) lat. mina illa crista. litth. ilgas smilgas silpnas pilnas piktas
linklas dirwa kirnas dirzas pirsztas. goth. qima hina ina iha skipam
bida hita imma blinda trimpa vilva stibna mitaf) spinnand fiskam.
7) lat. pilus simul minus cicur liltus nimbus firmus circum. litth.
skinu immu skirru linnus iszkus kittur. goth. fdu miluks spivum divum
sibun sidus vitum kinlus hliftus.
8) lat. cuba cubant juglans bulla funda. litth. bludas rumba
dumblas durnas dugnas. goth. fula vula guma suman muna nuta ufar
dumba vulfa runsa fuglam.
9) lat. puppis pulvis dulcis turris. litth. krutis rukis ugnis usnis
bluznis eruszis. croth. kuni funin lubi trudis sutis fulli« "t"1*
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8700 ^Pfunb flctneö ©ifcnjeug,
2000 ^Jfunb ©ujietfen (©d)tenenflit&Ie),
19 ©tücf Socomoti»«Staber otyne
Helfen,
1 ?ocomotiü*2t(bfe ntü Stabern,
5 ©tücf £caber*8(c$fen mtt Stabern,
bimmas dangiszkas (atbirüa) äkstinnas. goth. alida valida arida varida
gramida tavida agida ragina lagida matida baliza Attila balvida aldiza
|nastif)a (andbindan).
18) lat. animus asinus agitur habitus tacitus madidus callidus
pallidus candidus marcidus ambitus malignus maximus tranquillus patri-
bus. litth. dabinu labinu gandinu garsinu (pagirra) (atimmu) addinczus.
goth. asilus aggilus andizuh.
19) lat. tabula facula macula matula glandula. litth. akrutas ra-
pukkas (apkunas) kalmusas baltummas gardummas. goth. magula har-
duba agluba handugans (gamunands).
20) lat. tabulis. litth. allutis. goth. magulin aftumist valdufni
fastubni.
21) lat. nitida, litth. bimbirras brinkinnu kibbirgs kiklikas (isz-
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200
VOCALISMUS
E zu schwächen, und aus aham asti madhjas dasan macht jene ik ist
midja taihun, diese ego est medius decem. da nun die hochdeutsche
und noch mehr die niederdeutsche spräche zendische und gothische
richtung vereinigt, d. i. sowol A umlautet als I hricht; so ergeben
287 sich in ihnen allzuviel E, die wenigstens durch die aussprache e und
e günstig von einander gehalten werden.
5) in der slav. spräche herscht die Wandlung des A in 0 vor,
obgleich sie nicht auf dem wege des alln. umlauts durch U ergeht;
I und U pflegen ihr aber häufig ganz zu entgleiten und nur jeriert
h‘inert mit feiner ausbildumr des consonanlismus
mut der vocale betrift, scheinen mir die lateinische littffauische und
gothische vorzuragen, und namentlich die griechische und slavische
hinter sich zu lassen; noch gröszere lautreinheit gewährt in asiatischer
heimat das sanskrit.
Beispiele zweisilbiger und dreisilbiger Wörter, nach allen mögli-
chen combinationen, sollen zeugen, ich gestatte mir nur für die letzte,
d. h. die flexionssilbe, einigemal unsichere quantität; zugezogne com-
posita sind eingeklammert.
1) lat. ala mala alga talpa parca. litlh. galas labas badas sawas
sapnas alga banda tarnas wardas. golh. dvala mala sama ana hana fara
aba daga ahma ahva laglam valda barna marka.
288 2) lat. cinis sitis ignis piscis gliscit. litlh. didis illis pikkis
smillis blindis szirdis. goth. divis jiivi hilis miliji visij) blindis spin-
nis viljn.
3) lat. humus tubus lupus pullus currus multus fundus murmur.
litth. sunus suwu gullu durru grubhus suntu mudrus. goth. sunus
munum skulum hundum tun[ms huhrus.
4) lat. alit agit apis pandit scandit. litth. dalis szalis dravis akis
dalgis balsis angis naktis. golh. alis halis anis faris framis agis hatis
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VOCALISMUS
basi nati vatin gavi havi gaggis landis fahsis ahmin batists balgis bagmis
vasti fraslis.
5) lat. malus apud latus agunt pandunt. litth. alu malu laku
allus saldus dangus garsus aglus. golh. magu magu{) skadus valus
sakkus liandu aglu aggvus.
6) lat. mina illa crista. litth. ilgas smilgas silpnas pilnas piktas
linklas dirwa kirnas dirzas pirsztas. goth. qima hina ina iha skipam
bida liita imma blinda trimpa vilva slibna mita{) spinnand fiskam.
7) lat. pilus simul minus cicur littus nimbus firmus circum. litth.
skinu immu skirru linnus iszkus kittur. goth. filu miluks spivum divum
sibun sidus vitum kintus hliftus.
8) lat. cuba cubant juglans bulla funda. litth. bludas rumba
dumblas durnas dugnas. goth. fula vula guma suman muna nuta ufar
dumba vulfa runsa fuglam.
9) lat. puppis pulvis dulcis turris. litth. krutis rukis ugnis usnis
bluznis guszis. goth. kuni funin lubi trudis sutis fullis ubils ugkis
runsis unsis.
10) litth. amaras parakas nagabas wabalas sakalas wakaras adata
patalas gatavvas asaba wasara aszara allasas sarniata. golh. dvalana
Amala Hanala managans allana grabada habandans abraba bal|)aba
Bastarna (andstandan). >
11) lat. nitidi hispidis. litth. kikillis kirminis pintinnis (didpilwis).
golh. minnizin himinis kindinis sliviti.
12) lat. cumulus tumulus lupulus tumultus nummulus cucullus.
litth. (nubundu) (sugruvvu). goth. (undrunnum).
13) litth. aklatis amalis. goth. Amalin Hanalin managists haban-
15) lat. animi habilis agilis. litth. dagillis arikis (atilsis) knab-
binnis. goth. agisis aqizi gadiliggs atiskis Altilin avistris barniski.
16) lat. annulus patulus angulus angustus. litth. (pabundu)
(pargruwu). goth. (andrunnun).
17) lat. maria anima aquila amita armilla pallida madila candida
habitans tranquilla mantissa. litth. barimas katilas arimmas asilas la-
bimmas dangiszkas (atbilda) akstinnas. goth. alida valida arida varida
gramida tavida agida ragina lagida matida batiza Attila balvida aldiza
|)vastij)a (andbindan).
18) lat. animus asinus agitur habitus tacitus madidus callidus
pallidus candidus marcidus ambitus malignus maximus tranquillus patri-
bus. litth. dabinu labinu gandinu garsinu (pagirra) (atimmu) addinczus.
goth. asilus aggilus andizuh.
19) lat. tabula facula macula matula glandula. litth. akrutas ra-
pukkas (apkunas) kalmusas baltummas gardummas. golh. magula har-
duba agluba handugans (gamunands).
21) lat. nitida, litth. bimbirras brinkinnu kibhirgs kiklikas (isz-
«lins (andbahti).
14) litth. (apkalbu) (apkassu).
20) lat. tabulis. litth. allulis. goth. magulin aftumist valdufni
fastubni.
VOCALISMUS
drimba). goth. himina mikila hrisida sivida kindina plinsida minniza
(invindans).
22) lat. igitur nitidus hispidus cincinnus tintinnum. litth. ilginu
kirkinu (iszrittu). golli. (invitum).
23) litth. dimZakas. goth. nimada stilada gibada vigana gibandan
sitandan izvara spinnada blindana.
24) lat. figulus circulus Stimulus vitulus titulus singulurn. litth.
(iszdumbu).
25) litth. pilnatis (didgalwis) (pirmkartis.) goth. gibandin silandin
sitandin rinnandin (iddaljin) igqaris.
26) lat. (incassum) (infantum).
27) lat. singulis circuli Stimuli, gotb. midumin glitmuni.
28) lat. pilula inula vilula fislula virgula singula. litth. didummas
itumpas ilgummas. goth. miduma hinduma (bibundans).
290 2 9) lat. lupula jugula. litth. surummas. goth. (unhulf>a).
30) lat. lupuli tutudi pupugi. goth. hulundi (unsuti) {msundi.
31) litth. ubbagas. goth. trudada huljada juggata vulf>aga unsara
sunjaba (unbarnahs).
32) lat. culmini stupidis ultimis.
33) goth. unsaris ugkaris.
34) goth. ulbandus.
35) lat. culmina fulmina. litth.
sudirgsta. gotli. hugida juhiza lulgida
(usqiman) (uslijia) (ussigvan).
36) lat. Studium cubitus mutilus stupidus cupidus lumbricus fun-
ditus ullimus. litth. suninku.
Alle diese formein sind wollautend, die schönsten aber welche
jeden der drei vocale aufzeigen, zumal 18, 20, 28, 33, 35; doch
scheinen auch 17, 19 und 13, 23 lieblich.
Das latein meidet in dreisilbigen A der penullima (auszer in
fremden Wörtern wie Palladis baccaris balsamum), darum mangeln ihm
10, 13, 14, 23, 25, 26, 31, 34. dem litthauischen gehn ab 12,
14, 16, 24, 26, 27, 30, 32, 33, 34, dem gothischen 12, 14, 16,
22, 26, 29, 36, woraus wieder grosze einstimmung dieser beiden
einleuchtet; vollständigere bekanntschaft würde noch einzelne formein
nachweisen, alle drei Sprachen entbehren 14 und 26. ich habe die
mangelnden wenigstens in Zusammensetzungen aufgezeigt.
Die viersilbigen zu sammeln, wäre bei ihrer manigfaltigkeit
schwer; es mag an wenigen genügen, lat. animula animitus manci-
pium carbunculus nitiditas nitibundus mutilandus cubiculum dulcissimum
luscinia; fünf silben haben calidissima, taciturnilas aliquantulum, sechs
silben hat curculiunculus. litth. dabinimmas drawininkas luddininkas
apatinnis. goth. ubilaba gadiliggans unsaramma managiza ufarassus
gudjinassus hafanana; nimmt man Zusammensetzungen mit, so ver-
gröszert sich die zahl: usagida insandida usvalida urrinnandin garunnana
bigitandans andhulida und man gelangt leicht auch auf fiinfsilbige:
291 anakumbida andhulidana lukarnastajta. Ulfilas bietet ganze Sätze dar,
goth. Vulfilins hulistris.
buwimmas lupikkas kuniszkas
suliza ubizva Vulfila (usfilma)
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55
in welchen nur die drei kurzen vocale walten, z. b. Joh. 7, 45
uslagida ana ina handuns; Joh. 7, 49: atiddja du imma in naht sums
visands.
Keine andere europäische zunge vermag diesen einfachsten wollaut
in solcher reinheit; aber die ahd. mundart kommt der goth. zunächst,
ja sie tiberbietet sie noch durch häufigere bewahrung des ableitenden
A, wogegen sie freilich das A der flexion oft in U oder 0 wandelt
und der brechung mehr umfang gestattet: ana sama, stilli miti, hugu
sunu, aki apuh, inan plintan pipar fdu ipu pirum sciluf, upar wuntar
sumar huinpal, upil chunni, adala danana wahtala sualawa, mihhilin
himilisc chisilinc silapar mittuli, kalilinc mammunti stantanti sagitun,
sumarum fugalum Fugalinc chuningis hugita wunscili jungirin tuttuli.
die formein 14, 22, 24, 26, 36 werden ahd. thunlich: hasalum adalum
Adalunc, acharum, himilum wibilum distilum digitum, hiruzum fmgarum
wintarum hugitum tumphilum; viersilbig: amisala nahtigala samanunca
: : n c - r c c c " c c c c c t'
sind alle Cf in Y getrübt und viele X in E oder
0 geschwächt, dennoch hat sie eine grosze zahl reinlautender A und I
bewahrt und die formein 1, 2, 6, 10, 13, 17 lassen sich im überflusz
nachweisen: uqu nagu /.iuXu xuxu xuxu uXXu FLuXXug uvSqu
luuxqu, tlai uol oytoi, xivu xivu (plXu, xuKuvxa uq/liuxu (puQ/iiuxu
uyXuü d/.iu£u, uruxxi uvÖqugi nuQÖuXig uyu&i'g, uyQiu danlÖu
naxqidu [luoxtyu [tuhoxu xu/iaxa xuXXioxa, seltner schon 11, 23,
35: xißtoig, hnugu oxißaqd, xidaqig xid-aQig.
Erwägt man nun ferner, dasz in der lat. lilth. und goth. spräche
zu jenen drei kürzen noch lange vocale und diphthonge treten und sich 292
nach schöner folge abstufen; so erreicht der vocalismus in ihnen
seinen gipfel.
Zugleich musz aber nicht verkannt werden, dasz es dem geistigen
fortschritt der spräche angemessen war, von solcher höhe herabzusteigen
und auf kosten des lauts eine noch gröszere manigfaltigkeit geschwäch-
ter, gebrochner, getrübter töne zu erzeugen, was hauptsächlich durch
E und 0, so wie durch vielfache umlaute und assimilationen bewirkt
wurde, indem die Wörter weniger in den sinn fallen, werden sie
anspruchloser und für die abstraction taugender.
Schon in dieser hinsicht ist der griechischen spräche eine höhere
Vollendung und Verfeinerung als der lateinischen beizulegen, sie hat
die glücklichste mitte getroffen und von dem ursprünglichen wollaut
nur so viel aufgegeben, als nöthig war, um die freiste beweglichkeit
zu entfalten.
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202
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drimba). goth. himina mikila hrisida sivida kindina plinsida minniza
(invindans).
22) lat. igitur nitidus hispidus cincinnus tintinnum. litlh. ilginu
kirkinu (iszritlu). goth. (invitum).
23) litth. dim£akas. goth. nimada stilada gibada vigana gibandan
sitandan izvara spinnada blindana.
24) lat. figulus circulus Stimulus vitulus titulus singulurn. litth.
(iszdumbu).
25) litth. pilnatis (didgalwis) (pirmkartis.) goth. gibandin silandin
sitandin rinnandin (iddaljin) igqaris.
26) lat. (incassum) (infantum).
27) lat. singulis circuli Stimuli, goth. midumin glitmuni.
28) lat. pilula inula vilula fistula virgula singula. litth. didummas
itumpas ilgummas. goth. miduma hinduma (bibundans).
290 2 9) lat. lupula jugula. litlh. surummas. goth. (unhulfna).
36) lat. Studium cubitus mutilus stupidus cupidus lumbricus fun-
ditus ultiinus. litth. suninku.
Alle diese formein sind wollautend, die schönsten aber welche
jeden der drei vocale aufzeigen, zumal 18, 20, 28, 33, 35; doch
scheinen auch 17, 19 und 13, 23 lieblich.
Das latein meidet in dreisilbigen A der penullima (auszer in
fremden Wörtern wie Palladis baccaris balsamum), darum mangeln ihm
10, 13, 14, 23, 25, 26, 31, 34. dem litthauischen gehn ab 12,
14, 16, 24, 26, 27, 30, 32, 33, 34, dem gothischen 12, 14, 16,
22, 26, 29, 36, woraus wieder grosze einstimmung dieser beiden
einleuchtet; vollständigere bekanntschaft würde noch einzelne formein
nachweisen, alle drei Sprachen entbehren 14 und 26. ich habe die
mangelnden wenigstens in Zusammensetzungen aufgezeigt.
Die viersilbigen zu sammeln, wäre bei ihrer manigfaltigkeit
schwer; es mag an wenigen genügen, lat. animula animitus manci-
pium carbunculus nitiditas nitibundus mutilandus cubiculum dulcissimum
luscinia; fünf silben haben calidissima, taciturnitas aliquantulum, sechs
silben hat curculiunculus. litth. dabinimmas drawininkas luddininkas
apatinnis. goth. ubilaba gadiliggans unsaramma managiza ufarassus
gudjinassus hafanana; nimmt man Zusammensetzungen mit, so ver-
gröszert sich die zahl: usagida insandida usvalida urrinnandin garunnana
bigitandans andhulida und man gelangt leicht auch auf fünfsilbige:
291 anakumbida andhulidana lukarnastajia. Ulfilas bietet ganze Sätze dar,
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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in welchen nur die drei kurzen vocale walten, z. b. Joh. 7, 45
uslagida ana ina handuns; Joh. 7, 49: atiddja du imma in naht sums
visands.
Keine andere europäische zunge vermag diesen einfachsten wollaut
in solcher reinheit; aber die ahd. mundart kommt der gotli. zunächst,
sie überbietet sie noch durch häufigere bewahrung des ableitenden
A, wogegen sie freilich das A der flexion oft in U oder 0 wandelt
und der brechung mehr umfang gestattet: ana sama, stilli miti, hugu
sunu, aki apuh, inan plintan pipar fdu ipu pirum sciluf, upar wuntar
sumar humpal, upil chunni, adala danana wahtala sualawa, mihhilin
himilisc chisilinc silapar mittuli, kalilinc mammunti stantanti sagitun,
sumarum fugalum Fugalinc chuningis hugita wunscili jungirin tuttuli.
die formein 14, 22, 24, 26, 36 werden ahd. thunlich: hasalum adalum
Adalunc, acharum, himilum wibilum distilum digitum, hiruzum fingarum
wintarum hugitum tumphilum; viersilbig: amisala nahtigala samanunca
und in Zusammensetzungen: gihugita ungimacha unfirslagan gitubili
intnagili antlingita. Die ahd. mundart liebt, in drei und mehrsilbigen
Wörtern, den vocal der vorletzten mit dem der letzten silbe auszu-
gleichen, z. b. aus pittar zu bilden pitturu pittiri oder für hungarita
zu schreiben hungirita. auf den wurzelvocal kann dies nur in so weit
einflieszen als dessen brechung aufgehoben wird: degan gidigini, wetar
giwitiri, fogal fugili; aber statt wunscili könnte nie gesagt werden
winscili, für hantilin nie hintilin.
Der gr. spräche sind alle U in Y getrübt und viele A in E oder
0 geschwächt, dennoch hat sie eine grosze zahl reinlautender A und I
bewahrt und die formein 1, 2, 6, 10, 13, 17 lassen sich im überflusz
nachweisen: «pa nuQu /.tdXu xuxu xaxd dXXd IIaXXdg uvÖQa
fxuxQ(i, xloi xioi ocpioi, TtVa tivd (flXa, xdXavxu uq/liutu cpay/naxu
uyXad dfxa'^a, dvuxxi dydgdai nugdaXig dya&ig, dygia donida
naxQidu (.idoxtyu, /udXiaxu xdyioxu. xdXXtaxa, seltner schon 11, 23,
35: xlßiaig, Xinuqd oxißagd, xlSaQig xi&aqig.
Erwägt man nun ferner, dasz in der lat. litth. und goth. spräche
zu jenen drei kürzen noch lange vocale und diphthonge treten und sich 292
nach schöner folge abstufen; so erreicht der vocalismus in ihnen
seinen gipfel.
Zugleich musz aber nicht verkannt werden, dasz es dem geistigen
fortschritt der spräche angemessen war, von solcher höhe herabzusteigen
und auf kosten des lauts eine noch gröszere manigfaltigkeit geschwäch-
ter, gebrochner, getrübter töne zu erzeugen, was hauptsächlich durch
E und 0, so wie durch vielfache umlaute und assimilationen bewirkt
wurde, indem die Wörter weniger in den sinn fallen, werden sie
anspruchloser und für die abstraction taugender.
Schon in dieser hinsicht ist der griechischen spräche eine höhere
Vollendung und Verfeinerung als der lateinischen beizulegen, sie hat
die glücklichste mitte getroffen und von dem ursprünglichen wollaut
nur so viel aufgegeben, als nöthig war, um die freiste beweglichkeit
zu entfalten.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
VOCALISMUS
Insofern kann auch die französische spräche gewandter und be-
hender als die italienische, die englische ausdrucksvoller als die
schwedische heiszen, obgleich unter allen romanischen und deutschen
zungen die italienische und schwedische meisten wollaut behielten,
darum die singbarsten blieben. Der keltische vocalismus trägt, neben
vortheilhafter anlage, deutliche spuren früher pflege an sich. Dem
litthauischen ist bis auf heute seine alte reinheit zuständig; diese
spräche hat sich auch geistig beinahe nicht geregt: wenig mehr
verarbeitet mag die lettische sein. Bei unvergleichbar stärkerer
ausbildung scheint den Slaven noch eine fülle vocalischen wol-
lauts eigen.
Der deutschen spräche aufsclnvung hat nicht die gunst der
griechischen erfahren, sondern ist langsam und mit Unterbrechungen
vorgeschritten. unsere errungenschaft würde zur althochdeutschen
anmut des lauts zurückkehren weder können noch wollen, so wenig
als die englische zur angelsächsischen, immer aber bricht, wenn
auch weniger in abgeleiteten als zusammengesetzten Wörtern, die alt-
hergebrachte trilogie durch, z. h. mittag schifmann umfang umfall mis-
gunst manigfalt dahinunter, selbst in anomalien wie* nachtigall und
bräutigam.
293 Aber in der geschichte dieser vocale, der ursprünglichen trilogie
und der allmälich hinzutretenden Brechung und beumlautung scheint
mir wieder ein zeugnis der Urgemeinschaft zu liegen. Auch die fin-
nische spräche ist klangreich und wollautig; auszer dem A I U hat
sie E 0 und daneben Ä Ö Y entwickelt, und trübe vocale stehn in
zwei drei und viersilbigen Wörtern immer zusammen, z. b. höylä
höylälän hörhöläinen nylkiä nytkimätöin, wie sich die reinen suchen:
matala matalus, matka matkustus matkustaminen; allein es findet kein
Übergang aus dem reinen in den trüben statt, keine rückkehr aus
dem trüben in den reinen, daher z. b. ranta littus räntä pluvia nivosa,
rastas turdus rästäs stillicidium, harma canus härmä pruina, harka
dictum mordax härkä taurus, rupen incipio rypen voluto me ganz un-
verwandt sind, weder ist also unser gewöhnlich fühlbarer umlaut,
noch jene ahd. assimilation der vocale in dreisilbigen Wörtern ver-
gleichbar, da diese nicht in die Wurzelsilbe dringt.
Zum Schluss will ich Voraussagen, wohin erst folgende Unter-
suchungen zielen, und was einen unverkennbaren zug unserer spräche
kund gibt, in den übrigen, zumal den älteren ist der vocalismus
manchem Wechsel und mancher Schwächung ausgesetzt; aber die
Wirkung bleibt eine blosz phonetische, die llexion begleitende, die
deutsche spräche hingegen strebt diesen vocaltausch dynamisch zu
verwenden, unser ablaut, an sich dem skr. guna höchst ähnlich,
wird dadurch ganz etwas anderes, dasz sich aus ihm ein wunder-
bares , die flexion aller starken verbalwurzeln beherschendes, und von
da aus in alle theile der spräche strömendes gesetz entfaltete. Brechung
und umlaut, die anfangs auch nur phonetische bedeulung hatten, sind
uns ebenfalls unerläszliche hebel der flexion geworden, unter allen
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VOCALISMUS
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unsern mundarten hat die hochdeutsche diese richtung am deutlichsten
an sich getragen. Solcher kraft und Wirksamkeit des deutschen vo-
calismus an die seite zu stellen wüste ich nur eine noch auffallendere
dynamische anwendung des keltischen consonantismus, dessen spur
sich anderwärts namentlich auch bei Slaven und Griechen, doch in
weit geringerem masze zeigt.
SH
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XIII.
DIE SPIRATION.
294 Auch der consonantismus bietet drei durchgreifende trilogien
dar, indem seine laute bald spirantes liquidae und mutae sind, die
mutae wiederum bald labiales gutturales linguales, bald tenues mediae
aspiralae.
Der Spiranten und liquiden unterscheiden sich jedesmal viererlei,
diese sind L M N R, jene H S J V: hauchende sausende jehende
wehende; ich wage für die bezeichnung des J unser ahd. mhd. jehan
jehen zu verwenden, welches ein sanftes gelindes sagen, lat. ajere,
goth. aikan ausdrückt.
Unter diesen vier lauten ist der saus der stärkste und vernehm-
lichste , zunächst an ihn reicht der hauch; gelinder ist der jehende
und wehende laut.
Für den sausenden haben daher alle sprachen einen buchstab,
und er tritt vor vocalen nie, vor consonanten einigemal zurück, die
drei andern bezeichnen einige sprachen gar nicht oder nur durch
halbe buchstaben, vor oder nachgesetzte und übergeschriebne haken
und puncte. so die irische das in und auslautende H durch über-
gesetzten punct, wie die hebräischen vocale unten punctiert werdeH.
hierher gehören auch die slavischen jer und jerr, das gelinde und
harte, welche gleichergestalt nur in und auslautend Vorkommen, aus
I und U erwachsen (s. 283), und dem J und V vergleichbar sind.
295J und V gehn unmittelbar aus den vocalen I und U hervor, unter-
scheiden sich also von S und H, die nicht aus vocalen entspringen,
diesem gegensatz zwischen S II: J V gleicht unter den liquiden der
zwischen LR: M N, denn auch L und R haben, wie J V halbvocalische
natur, während M N wie S II unvocalisch erscheinen. Mir scheint
die edlere art des A auch hierdurch bestätigung zu empfangen, dasz
es in keinen consonant übergeht, da I und U consonanliert werden
können, von dem Übergang des I und U in die Spiranten habe ich
eigens geschrieben; bald folgt der consonant aus dem vocal, bald
weicht er wieder in ihn zurück, sehr gewöhnlich ist, dasz aus
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V.Y.TXTaTX
SPIRATION
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anlautendem sva svi, hva hvi, cva cvi geschmolznes su hu cu ent-
springen: suestar süster, suella stille, schwirren surren u. s. w.
Die griechische spräche ermangelt der buchstahen, gewissermaszen
auch der laute H * J V, und ihr 2 ist von geringerm umfang als in
den übrigen sprachen, allein ihr stehn noch zwei Zeichen, der Spiritus
lenis und asper zu gebot, welche, jenem irischen punct und slavischen
jer entgegen, nur anlautend geschrieben werden, der lenis hat aber
jetzt gar keinen laut und drückt insofern nur die abwesenheit des
asper aus, so wie umgekehrt das sl. oder russische jerr unempfunden
ist und abwesenheit des gelinden jer anzeigt, weshalb auch die Serben
gar kein jerr schreiben, so könnte man den gr. spiritus lenis un-
geschrieben lassen.
Früherhin besasz indessen die gr. spräche das digamma, welches
durch F, das heiszt ein zweifaches F ausgedrückt und dem laut V **
oder vielmehr einer verdickung desselben entsprach, wie sie schon
unser W, noch deutlicher das romanische GU und welsche GW erkennen
läszt. Das latein, weil .es bereits V für die spirans hatte, verwandte F
für seine aspirata, welche griechischem 0 nahe kam, und die aus-296
spräche des lat. F steht ah von der des gr. digamma. wo die ro-
manische zunge anlautendes deutsches W übernahm, wandelte sie es,
auf welsche weise, in GU: guardare warten, guastare vastare wuostan,
guerra werra, guisa wisa, gualdana woldan, guanlo wantus; die franz.
Schreibung behält GU noch vor E, I guerre guise, läszt es aber vor A
in reines G übergehn: garder gant und schon Galli scheint für Gualli
gesetzt, wie es zu ahd. Walah wird, welsch finde ich den pl. Gwalwys
the Gauls, wie lautet der sg. ? Die Irländer pflegen F dem welschen
GW entgegenzustellen: fion gwin vinum, fear gwyrdd viridis, fear gwr
vir, fior gwir verus, faolchon gwalch falco, fionn albus gwen pulcher
altn. vamn, Gwener Venus Veneris. Welsches Gwydion Gwydien ent-
spricht dem ags. Vöden, gerade wie die longobardisclie Schreibung
aus Wodan Guodan machte, das niederrheinische, fränkische Godesberg
Gudensberg der franz. Schreibung gleicht, ein Irländer hätte zu schrei-
ben gehabt Faodhann. welsches gwydd kommt überein mit ir. fiadh,
altfranz. gaut, prov. gau gaus, ahd. wähl.
Dies welsche GW ist nicht zu übersehn, wenn man das gr.
digamma beurtheilen will, weil gleich nachher auch eine analogie der
hauchlaute zwischen welscher und griechischer spräche überraschen
wird, das digamma berschte zumal im aeolischen dialect (Ahrens s. 30 fl*.)
und für AioXtig selbst galt FuioXetg, d. h. die bunten; gleich Britten
und Picten führten Aeolier den namen der buntgekleideten, andere
beispiele sind Favaig, Fuklot, Ftontgog lat. vespera, FoTvog lat. vinum,
Fiötiv lat. videre, FoTdu goth. vait, FtTdog, FiQig, Fixvg lat. vitis
* davon hier abgeselin, dasz sie H fiir einen vocal gebraucht, wie die slavi-
schc H fiir I.
** den Vlaut gibt auch das iniorjfiov ßav, welches blosz als Zahlzeichen gilt,
zu erkennen; name und grund des digamma scheint mir aber älter als dies vau.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
XXI
208
SPIRATION
ahd. wida, FixaXog vitulus, Fiqyov ahd. werah, Fadtod'ai für fjöe-
o&cu, vielleicht lat. gaudere? Fio/vg für lo/vg, zumal auch die
pronominalformen dritter person Fifttv Foi Fi für t'iXtv oi e, vor
R in Fprfag, einigemal inlautend oFtg lat. ovis, wFov lat ovum ir.
ugh welsch wy f. gwy, ztaFog lat. Davus, das s. 192 vermutete
Dagus Dagvus bestärkend, wenn zuweilen r geschrieben wird: yuXXoi
yiXXai (Alirens s. 31), ist das kein fehler, sondern dem franz. G für
297 GU entsprechend, ebenso begreiflich entfaltet sich anderemal B oder
vocalisches Y aus dem digamma (Ahrens s. 34. 38). gewöhnlich
entspricht es dem lat. V golh. V, einigemal dem spiritus asper oder
lat. II, allmälich aber schwand es in der aussprache und wurde dann
blosz durch den lenis vertreten, dem inlautenden digamma darf auch
das goth. aus diphthongen aufsteigende GG in bliggva siggva oder das
altn. in egg ovum verglichen werden, es ist ein irthum Priscians,
dasz aeolisches digamma überall den spiritus asper vertrete, was es
nur ausnahmsweise thut, so wie diesem bin und wieder goth. V
entspricht.
Beispiele des dorischen digamma zählt Ahrens s. 40 — 59 auf,
darunter Fiaq und yiaQ lat. ver, Fif.if.iaxa iftuua, Feaxä yeaxid
lat. vestis goth. vasti, Fioxia Vesta, Fixaxi lat. viginti, Fi'§ für
lat. sex; inlautend xXiFog alFti für xXiog dti ahi golh. aiva, ÖdFiov
f. öij'ior ddiov.
Man sieht, dasz das digamma in der regel weht, zuweilen aber
auch hauchen und einigemal sausen kann.
Während die gr. Spiranten sich verdünnen und verflüchtigen,
verdichten und vergröbern sich die deutschen, das goth. V wird zu
ahd. W, fast nach englischer aussprache, S häufig zu SG SCII und J
zu G, oder entfaltet sich statt des früheren vocalanlauts. auch die
italienische Sprache hat jacere jucundus jüngere in giacere giocondo
giungere verwandelt.
Umgedreht pflegt der altn. dialect J durchgehends aufzugeben
und V vor u y ö ce 1 und r zu tilgen; es heiszt inn üngr ok är für
golh. jains juggs juk jör und vaka bildet im praet. ök, vinna vann im
pl. praet. unno; lita und rita stehn für goth. vleilan vreilan. aus
den eddischen allilerationen wie aus der homerischen scansion lassen
sich also verlornes V und digamma rathen. Saem. 60a werden ordi:
vinr, 61 a Viitarr: ülfs, 61 b reidr: vega, 62a reidir: vegiz, 63 b reidom :
vegit, 187a reidan: vega, 188a 190a reidir: vega gebunden, in wel-
chen Stellen vordi, vulfs und überall vreidr erforderlich ist, wie sie
dem ags. vord vulf und vräd entsprechen, aber die spätere aussprache
und Schreibung giengen Uber das V, wie bei Homer über das digamma
hinweg.
298 In der mitte von Zusammensetzungen schwindet der lenis ganz,
der asper aber wirkt nach, insofern er vorausgehende tenuis aspiriert:
ioxtu iffiaxiog c/arrjfu ucpiOTrjfu, tvöto xad-tvSa), uigito fitd~ui()iw,
auszerdem geht er auch unter, z. b. ulfia diuifiog, vnvog ivvnnov,
VOTrjfu iviovrjfii. 2 könnte so niemals wegfallen, und auch das
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SPIRATION S. H
209
digamma haftet, die dorischen neduFoixoi sind attische /uhoixoi
(Ahrens p. 43).
Deutsche Zusammensetzungen tilgen niemals S oder J, zuweilen
II und V. schrieb schon Slrabo QovovtlÖa (und wie hätte er Thursin-
hilda können anders hervorbringen?), so ist dem lornandes Svanielh
für Svaniliild, dem Saxo gr. Svavilda für Svanhilda, Grimilda für Grim-
hilda, dem scliwed. Volkslied Brynial für Brynhild einzuräumen, aus
der ags. Beadohild macht die edda Saem. 136 Büdvildr (das v gehört
zu böd gen. bödvar und entspricht dem ags. o.) nicht anders wandelt
sich in demselben liede der ags. name Nidhad in Nidadr, oder sonst
ahd. einherti in altn. einardr (vgl. s. 199), ahd. lihhamo in alln.
likami;^tveit öfter jedoch haftet II, seihst in den eigennamen Grimhildr
Alfhildr Lyngheidr oder in einheri vanheill föthvatr u. s. w. nur die
scheinbaren ableitungen männlicher namen auf -ar entspringen durch-
gehends aus der Zusammensetzung mit golh. haris, z. b. Vidar ist ahd.
Witheri, Lofar ahd. Lobaheri, Sigar ahd. Sigiheri, Giafar ahd. Gebaheri,
andere habe ich hei Haupt 3, 142. 143 gesammelt. Ausfallendes V
oder W liegt allen mannsnamen auf -ulf oder -olf (grarnm. 2, 330)
und vielen auf -old (2, 333) zum gründe; die lat. bildung -oaldus
-oarii bat V in 0 gewandelt, bekannt sind alln. dögurdr Sigurdr aus
dagverdr Sigverdr = Sigferd f. Sigfrid, ahd. iowilit niowiht wurden
bald in ieht nicht, iht niht gekürzt, ahd. mittawechun mlul. in milichun
milechon milichen Griesh. 2, 48. Tundal. 44, 27. MB. 27, 90.
Auslautendes S tilgen zwar viele sprachen, zumal in flexionen,
doch keine spräche ist mir bekannt, die inlautendes S mit solcher
leichtigkeit vor consonanten schwinden liesze, wie die französische:
ilc insula it. isola, Bäle Basel it. ßasilca, male masculus it. mascolo,
meler miscere it. mescolare, maitre magister it. maestro, äpre asper 299
it. aspro, frirne fresne fraxinus, guöpe vespa, vöpre vespera u. s. w.
wozu man das allröm. poesna coesna f. poena coena halte, anlauten-
dem ST SP schiebt der Franzose E vor, um dann das S fallen zu
lassen: 6tre Stare, ecrire scribere, eternuer sternutare, man könnte
sagen, der saus sei hier in den vocal aufgelöst: das erlöschen des S
gleicht dem des II in analogen fällen und bestätigt die verwandte natur
beider Spiranten.
Für diese musz ich nun noch näher ihren merkwürdigen Wechsel
unter einander geltend machen, der in einigen sprachen stark, in
andern gering vortritt, sanskrit latein deutsche slavische und irische
spräche pflegen S zu setzen, wo zendische persische griechische und
welsche II; im deutschen tauchen nur hin und wieder spuren des II
neben S auf, characteristisch wird aber der unterschied zwischen
sanskrit und zend, zwischen latein und griechisch, zwischen irisch
und welsch; der Übereinkunft griechischer und welscher spräche im
digannna begegnet vollkommen die im II, und wie dort dem G hängen
sie hier dem II an, d. h. gullurallauten, ebenso eigenthümlich ist es
Griechen und Welschen anlautendes 11 zu aspirieren und dem lat.
quinque, franz. cinq, ir. cuig entgegenzuselzen ntf-ine pump.
14
&
210
SPIRATION S. H
Es zieht mich an das Verhältnis von S und H in zahlreichen
beispielen auszuführen.
Das pronomen dritter person skr. sa sä lautet im zend lio hä,
gr. 6 rj, goth. sa so, ags. se seo, altn. sä sfl und dem ir. se steht
welsches e für he entgegen, nicht anders waltet im lat. goth. alul.
altn. litth. sl. reflexiv S, im gr. II; mit dem aussterben des ags. und
engl, reflexivs mag aber im Zusammenhang sein, dasz neben ags. de-
monstrativ se seo das eigentliche pron. dritter person he heo lautet,
dessen II durch alle Casus und geschlechter läuft, im alts. he lediglich
den nom. masc. ergreift, während das fern, siu behält und die obliquen
Casus II abslreifen. der niederländische dialect hat S blosz dem nom.
acc. sg. fern, gelassen, dem masc. II verliehen, der friesische gleich
dem ags. allenthalben II angenommen, auf demselben gründe ruht
300 das II des altn. bann hun und der neunord, sprachen, wo im deut-
schen pronomen II vortritt, begegnet es der welschen weise; in den
hochdeutschen mundarten ist es nicht der fall, auch Ihm. se ille.
Zum skr. saptan treffen lat. septem, goth. sibun, litth. septyni,
sl. sedm, ir. seacht; zum zend. haptan pers. lieft, gr. enzu. hier
hat auch das welsche saith skr. sahasra zend. hazanra pers. hezara
(s. 254).
Skr. sara, lat. sal, goth. salt, ahd. salz, ir. salan, sl. sol’, poln.
sol, böhm. sül, litth. surus salsus (sonst wird für sal gesagt druska)
suditi salire, lett. sahls, finn. suola, est. sool, lapp, salte. hingegen
gr. ulg, welsch hal halan; wenn in Deutschland Salzquellen den namen
Hall Halle führen, scheint das keltischer einflusz, den salzfliissen steht
S zu (mythol. s. 1000) und schon Strabo s. 291 gewährt 2ulag;
Leo (bei Haupt 5, 511) leitet das II von dem phonetischen Übertritt
des ir. S in S1I ab, welches SII wie II gesprochen werde;- doch
dieser der irischen spräche eigne lautwechsel braucht uns nicht die
nähe des S und H anderwärts zu deuten, wie der mythus den ge-
sclmiack des meerwassers aus hineingeworfnem salz erklärt und die
see überall die salzige flut heiszt, ist aus dem gr. masc. ulg das
fein, für den begrif des meers entsprungen und ir. bezeichnet saile
see oder seewasser, aber auch die bitterkeit der tliräne rührt aus
dem salz her (myth. s. 531), die thräne heiszt (duy.QV goth. tagr,
lat. lacryma verwandt mit duy.tiv) und unmittelbar das sl. sl”za, böhm.
slza zu sol’ salz, im poln. Iza ist einmal die spirans abgestreift und
nur aus der nachwirkung auf L erkennbar.
Skr. upa und upari entsprechen dem goth. uf und ufar, lat. sub
super, gr. vtio vntQ. man erklärt sich sub super aus dem vor upa
upari tretenden praefix sa (Benfey 1, 284), welchem der sp. asper
gleichgilt. ir. ist suas, welsch uwch, oder wie andere schreiben yucli
super, gr. vnziog lat. supinus.
Lat. simul, goth. sama, gr. «/<«, pefs. hem. im skr. sam und
saha für den begrif mit, aus welchem saha und einem vermuteten
sahum Benley 1, 386 das gr. '%vv avv und lat. cum leitet, woran
301 sich ahd. ham (gramin. 2, 752) schlösse, dies alles bleibt noch
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
SPIRATION S. H
211
zweifelhaft, offenbar aber lassen sich a^ia und ovv, cum und ga
nicht unmittelbar zusammenstellen.
Bei Homer überwiegl noch ovg dem vg, und er sagt ovßioTyg
ovßooior, allmälich aber drang vg durch, lat. sus, ahd. sü u. s. vv.
(s. 36. 37.) zu vg fügt sich pers. khük und welsches lnvch, woher
das engl, hog entlehnt scheint, man wolle denn das deutsche hakscli
(s. 36) anschlagen, vuiva eigentlich wilde sau, hernach hyaena.
Ir. seabhac falco, welsch hebog, wozu die deutschen s. 49 auf-
gezählten formen stimmen; doch scheinen mir jetzo seahhac wie hebog
urverwandt und unentlehnt. aber ich gehe nun weiter und verknüpfe
damit auch die namen des falken: sucelino sakalas sokol scheinen
das S und K von seabhac zu enthalten und ableitendes L anzuhängen,
während im lat. falco, ir. faolchon Übergang aus der gntturalis in
labialis stattfmdet, also ein gr. digammiertes FuXxwv zu gewarten
wäre, welchem das welsche gwalch, altn. valr gleichsteht, dies alles
wird durch das spätere (fdXxcov und span, halcon bestätigt; aus dem
alter der formen ergibt sich das der falkenjagd von neuem. Den be-
rühmten heldennamen Gwalchmai deutet Davies brit. mylhol. s. 199
the hawk of may, lady Guest im mabinog. 1, 118 Gwalchmai ap
gwyar the hawk of battle, aus Gwalchmai entsprang das romanische
Gavain Gauvain Galganus Walganus, Wolframs Gäwän, mnl. Walewein.
Ir. saileog, lat. salix, ags. sealh, ahd. salaha, altn. selja, dakisch
ouXiu (s. 210.) welsch helygen, gr. lXUr\ nicht blosz weide, sondern
auch epheu, wahrscheinlich noch auf andre kräuter ausgedehnt; wel-
sches helogan ist apium graveolens, helyglys epilobium Weiderich.
Skr. Silrjas golt des lichts (R : L wie in sara sal) vgl. svar
coelum, lat. sol, litth. saule lett. saule, sl. sl”nTze, goth. sauil, ags.
sigil, ahd. sugil, altn. söl, ir. solas lux. zendisch hvare, gr. rßuog,
welsch haul pl. heuliau, den Tschuwaschen khvel. zu den Ilformen
rechne ich auch das ags. hveol hveohl, altn. hiol, weil die sonne als
leuchtendes rad dargestellt wird (mylhol. s. 664) und wie im elrusk.
usil, sabin. ausel II und S mangeln, kann auch im altn. jol, goth. 302
jiuleis der begrif des rads oder der sonne liegen, jiuleis und lat. julius
den monat der (winter oder sommer) Sonnenwende meinen (oben
s. 107). auch der Übergang aus hveol, engl, wheel, nnl. wiel in
fries. Gal ist nach allen seiten gerecht, xvie wir eben in falco F II
und S wechseln sahen.
Marcellus burdegalensis (oder auch empiricus), leibarzt Theodos
des groszen, hat uns in seiner schrift de medicamentis cap. 3 den
keltischen namen des klees aufbehalten *: visumarus, was sichtbar zum
ir. seamar und seamrog stimmt, woraus die Engländer Shamrock
machen; es ist der dreibläLterige klee und bis auf heute symbol des
* medici antiqui. Venet. 1547 p. 90"; er führt, gleich Dioscorides, noch
andere (zwölf) gallische pllanzennamen an, cap. 10 p. 101* herba proserpinalis
quae gallice gigarus appellatur; radicem symphyti, quod haliun gallice dicunt;
cap. 11 p. 101 b serpillum herbam, quam Galli gilarum dicunt u. s. w.
14*
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm
H
212
SPIRATION S. H
irischen volks, das an die hüte geheftet wird *. aber auch altn. war
smäri trifolium album, in Jütland sagt man smäre. vi in visumarus
scheint bloszes praefix, dessen sinn ich nicht sicher nachweise, vgl.
ir. uis humilis, oi ovis. die welsche spräche kennt kein dem seamar
entsprechendes wort, sie nennt den Idee meillionen. ich vergleiche
aber das ahd. hemcra, welches versehiedne krüuter gentiana, helleborus,
aconitum glossiert und dem litth. czemerei, russ. tschemeritza (s. 213)
nahe kommt.
Lat. serpo gr. tQnto. skr. sarpa, lat. serpens gr. tQ-ruvog. Ver-
wandtschaft mit vermis vaurms krimi tscherv s. 172 vermutet.
Lat. sarpere pulare: csarpere apud antiquos purgare5 und csarpta
vinea5 hat Festus. sarmentum virgula putata. sl. sr’p”, böhm. srp,
poln. sierp falx. gr. a^ntj yoqnr\ (s. 105.) ebenso gehört unser
sichel zu secare, litth. piautuwas zu piauti und der achte monat heiszt
den Lillhaucrn piutis rugpiutis (s. 99) wie den Slaven srpcn sierpieii
303 (s. 95). läge der hauplbegrif in uqtu] srp, so dürfte man das krumitle
sich durch die lialme schlängelnde geräth zurückleiten auf tQntiv ser-
pere, vgl. aqnu^tiv rauhen, gleichsam abschneiden.
Litth. sarmata, sl. sramata ignominia, sl. sramiti IvxQtnuv, skr.
sri erubescere. ahd. harm contumelia injuria, ags. hearm calumnia
damnum, altn. liarmr damnum luctus, vgl. oben s. 172.
Skr. svapnas, lat. somnus f. sopnus svapnus, sopor f. svapor,
ahd. sveban, altn. svefn somnium, sofa = svefa dormire, mhd. entswehen
sopire, litth. sapnas lctt. sapnis somnium, ir. suan somnus, sl. s”n”
somnus, russ. son”, böhm. poln. sen, gen. snu, serh. san gen. sna,
sl. s”pati, böhm. spati, poln. spa6 dormire. gr. vnvog somnus, vnag
sopor, tvvnviov somnium, welsch hün somnus levis, hepian dormire
und aus beiden zusammengesetzt heplmn somnus, hunell somnus levis.
Skr. svädus fern, svädvi, lat. suavis f. suadvis, goth. sulis f. svßtis,
ags. svete engl, sweet, ahd. suozi, nhd. süsz. gr. -rjdvg. gehört das
ir. saimh hierher? dasz skr. svädus aus su bene und ad edere
stamme bezweifle ich. auf slad”k” dulcis yXvxvg werde ich hernach
kommen.
Lat. senex gen. senis, senior, senium, goth. sincigs, sinista, bürg,
sinistus, mlat. siniscalcus seniscalcus, famulorum senior, vgl. goth.
sinleins aeternus, lat. semper, ahd. sin-, ir. sean senex. welsch hen
senex, hyn senior.
Skr. sämi, lat. semi, ahd. sämi, ags. säm. gr. rji-u. im kelt.
sl. litth. entspricht nichts.
Lat. sedeo, goth. sita, ahd. sizu. sl. sjesti sjadu, poln. siedziec,
böhm. sedeti, litth. sedeti. gr. V£co tt^o/uou fut. töovf.iui, töog t'Jpa
sedes, goth. sitls.
Skr. svidjami lat. sudo. ags. svät, ahd. sveiz, altn. sveiti sudor.
gr. lÖQ(og.
Lat. sorex, gr. vqu£, finn. liiiri mus vgl. s. 235.
* Lappenberg über Irland (in der allg. encycl.) s. 11b.
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SPIRATION S. H
213
Lat. sulcus, ags^ sulh (oben s. 56. 57.) gr. oXxog von t’Xxio.
ohne spirans wXag uvXaS,.
Lat. sylva silva gr. vXrj, lat. saltus, finn. salo, vgl. mit gr. ttXoog. 304
II auch im ahd. holz lignum silva, ags. holt lucus, altn. holt aspretum,
saltus. andrer Wurzel als das folgende.
Lat. salio, salto, gr. äXXoftai, lat. saltus aXfta. ahd. salzön,
ags. saltian saltare, nach dem latein?
Lat. socer, goth. svaihra, ahd. suehor, gr. txvQog.
Goth. saian saisö, altn. sä, söa seri, ahd. säan sähan säwan, ags.
sävan, lat. serere f. sesere, litth. seju seti, sl. sjejati, poln. sia6, ir.
siolaim silim, welsch hau, hadu sero. lat. semen, ahd. sämo, sl.
sjemja, poln. siemie, litth. sekla, ir. siol, welsch hil progenies,
baden saat.
Ir. seisge carex, engl, sedge. welsch hesgen.
Ir. seile lat. saliva, gr. oiaXov, welsch haliw.
Ir. sealgam venari. welsch hei, lielg.
Ir. seafaid vaccula, scheint dem ags. heafor, engl, heifer (s. 32)
verwandt; das welsche wort finde ich nicht.
Ir. sior continuus. welsch hir continuus longus, vgl. vorhin hei
senex ahd. sin-.
Ir. sion tempestas. welsch hin, vgl. huan sol.
Ir. samhra sol, aestas. da sonst samh <=* sahh steht, fällt viel-
leicht das welsche haf hefin aestas in die Vergleichung, ahd. sumar
(oben s. 73).
Ir. sanas salutatio, nuncius. welsch hanes relatio.
Ir. saith examen apum. welsch haid, vgl. toftog und seihst
exanien, franz. essaim.
Diesen beispielen des anlautenden S : H lieszen sich manche an-
dere, bis auf die Sakae und Hakas (s. 227) zufügen; ich will auch
einige inlaule dafür beibringen.
Skr. asi lat. es, goth. is, zend. ahi. skr. asmai zend. ahmäi,
goth. imma f. isma. skr. asmi, zend. ahmi, gr. tf.if.ti aus tofti, litth.
esmi, sl. jesmi, goth. im f. ism. zu diesem H geneigt die finnische
spräche, indem sie von mesi vir den gen. miehen bildet und zwischen
mesi und mein mel, mesiläinen und mehiläinen (ungr. meh) apis, tisma
und tihma stillicidium schwankt, ihr hanhi anser entspricht dem lat.
wort, das für hanser steht und dem ahd. gans, skr. hamsa cignus, ihr
tuhansi unserm tausend (s. 256.) S und II verschieben sich aber in
otso fronto = ursus und ohto, in otsa ohta frons, in neitsy neihty virgo. 305
Man fühlt, wie leicht in solchen inlauten saus und hauch wech-
seln, aus goth. vaurhta entspringt vaurstv opus f. vaurhtv, finn. lehti
folium stelle ich unmittelbar zu sl. list, und ahd. mist geht hervor aus
mihst, goth. maihstus von der wurzel meihan, lat. mejere. ags. suhtria
fratruelis halte ich zu altn. systrüngr*. wie sich die gemination iftfii
* jüngerer Wechsel zwischen beiden Spiranten im mhd. tasten aus tahten?
testier und tchtier, forest und foreht. Haupt 6, 8.
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214
SPIRATION V. S
imma aus fGf.il isma ergab, scheint auch 'Innog aus l'onog (s. 30)
deutbar, die nord. immdart liebt mahts ahtau daubtar frnhtus zu
wandeln in mättr ätta dötlir fiötti. noch leichter rauste im inlaut das
digamma schwinden.
Wie im anlaut J und V schwanden, wurde schon s. 297 gesagt,
gleich oft fällt anlautendes II weg und der gr. asper wandelt sich in
lenis. die romanische spräche pflegt H in deutschen Wörtern meisten-
theils zu tilgen, umgekehrt es vor den reinen vocal zu schieben; dies
ist auch der mnl. mundart allenthalben eigen. Die von Busbek in
der Krim vernommnen Überbleibsel goth. spräche haben ael f. hallus,
sno f. hano, iel f. heil. Etwas länger widersteht S, doch ist das
goth. uf für suf ein altes beispiel der aphaeresis. wir sahen
poln. Iza aus slza entspringen. Die Finnen leiden im anlaut keine
doppelte consonanz und machen aus sclnved. skalk skön skepare
skräddare : kalki kaunis kippari kraatari u. s. w., wozu sich jene
französische tilgung des S vor mulis halten läszt. Alle II vor L NR V
sind der späteren deutschen spräche entfallen und die wurzeln dadurch
so entstellt, wie es diese finnischen Wörter nach abgelegtem S sein
können. Auch der welschen spräche entgeht verschiedentlich das
anlautende H oder S: uwcli superf. huwcli, elech, elestyr vexillum
mali, ir. silastar. schwankt aber schon die lateinische zwischen
haruspex aruspex, hepar und epar, Iledui und Aedui, so darf die
306 gänzliche aphaerese des H in der italienischen nicht verwundern.
Wir sahen, dasz in der regel Spiritus asper dem lat. S zur Seite
steht, wie der lenis, früheres digamma vertretend, lat. und goth. V
entspricht: uotv skr. västu, tag lat. ver, tgyov ahd. werah, fofhjg
lat. vestis goth. vasli, i'g lat. vis, halog vilulus, hta altn. vidja vimen,
vldir salix, ahd. wida, lat. vitis rebe, ohtta goth. veihs lat. vicus,
oivog vinum goth. vein, 3Evexoi Veneti. natürlich aber mengen sich
auch beide spiritus und tanigu taria vdwg sind vespera vesla vatö
wie t&og goth. sidus, ahd. situ. elg. und %v stehn liehen unus und
wienas (s. 241.) aus demselben grund pflegt zwar welsches GW
irisches F neben sich zu haben, ausnahmsweise kann aber auch wel-
sches H dem F entsprechen: hunan ipse, ir. feinn; darum mag vlog
sowol mit sunus als mit filius sp. hijo verwandt sein (vgl. s. 271.)
der asper in teegog findet im sl. vtoroi wehenden laut, sonst aber
reinen vocal neben sich (s. 138.) ein merkwürdiges beispiel der
Verwandtschaft zwischen anlaulendem S und V gewährt das lat. sinister
und ahd. winislar altn. vinstri. Inlautenden Wechsel zwischen wehen-
dem und hauchendem laut gewahre ich in ahd. mundartig verschiednen
denkmälern zuweilen, nicht häufig, für goth. saian saijan serere setzen
einige säwan, andere sähan, ebenso für goth. siujan suere einige
siuwan, andere siuhan; weitere beispiele sind gramm. 1, 885. 886
aufgezählt, die spirans könnte auch ganz wegbleiben, die Angelsachsen
neigen zu V: blävan sävan mävan f. ahd. plähan sähan mähan. anders
zu fassen ist wenn H und W im ahd. lihan 16h liwan, sihan söh
siwan, sehan sah sewan tauschen: hier zeigt die goth. form leihvan
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SP1RATION RH
laihv lihvan, saihvan sahv saihvan, dasz ahd. im praes. und praet. der
wehende, im part. der hauchende laut ausfiel, aber in sehr viel fällen
auszerdem wird inlautendes V unterdrückt.
Wie der Grieche jedem vocalanlaut einen spiritus lenis oder asper
vorausschickt, liebt der Slave jehenden und wehenden, statl des goth.
im is ist, lat. sum es est hat er jesm' jesi jest’, für ita itis itij) edo
edis edit aber jam jasi jast’, für ains unus jedin, und wenn ik ego307
altsl. noch az lautete, lautet es russ. poln. serb. ja, slovenisch jes jest.
oko oculus, ucho auris drückt der Slovene voko vuho aus. auch das
altn. jurt herba = urt, wurz und jastr ramus — goth. asts schlagen
hier ein.
Weder der griechische noch welsche anlaut ertragen naktes R,
sondern fügen ihm stets die spirans zu, in und auslautend bleibt R,
auszer wo es sich im griechischen verdoppelt: dann empfängt das erste
den lenis, das andere den asper: uQQTjv vir, noQQio porro; vor aspi-
raten hält sich R rein: uqS-qov, noQd'fiog, noQyvQa. Diesem RH
entspricht in andern zungen baares R, z. b. pad/£ radix; Qadiog goth.
ra{)iza facilior; racemus; welsch rhi, ir. riogh righ, lat. rex,
goth. reiks; Qedß lat. rheda, ahd. reit, altn. reid; qho goth. rinna
curro. Einigemal tritt ihm in andern mundarten B oder lat. F vor:
Qudtvog aeol. ßgadiv6g, QuxezQov und ßQ(ly.txqov, Qrjywf.ii goth.
brika, lat. frango, Qiyko lat. frigeo, goth. friusa. anderemal scheint
sich aus der spirans vorgesetztes E zu entfalten: Qvoficu und Iqvio,
pe£eo I'qÖcü, eQv&Qog goth. rauds, litth. ruddas, lat. rutilus, welsch
rhudd. Nur ausnahmsweise mag ihm ahd. HR gleichen: Qu/ig ahd.
lirucki altn. hryggr.
Denn in der regel ist goth. ahd. altn. ags. HR so wie überhaupt
II Verflüchtigung der aspirata CH, also CIIR dem gr. KP lat. CR an
die Seite zu stellen, wovon im verfolg näher zu handeln sein wird.
Dem welschen RH steht aber auch anlautendes LL zur seite,
dessen aussprache sp. 11 und poln. 1 erreicht und aus assimilation
oder Unterdrückung einer muta entspringt, vgl. llaeth lac neben blith
und ir. bleacht; lliw color species ags. bleo bleov; Hais vox ir. blacht
vgl. sl. glas; llaw llawf manus palma, ir. lamh manus, goth. löfa altn.
löfi manus, altn. glöfi chirotheca ags. glöfa engl, glove, ir. lamhan;
llawr llor pavimentum, ags. Hör engl, lloor; anderemal entspricht es
aber dem reinen L andrer sprachen: llaes liber solutus, goth. laus
ags. leas; llafn llefnyn folium goth. laubs ags. leäf; Hin linum llian
vestis lintea; llunio creare formare, ahd. liuni fere, mhd. lüne indoles, 308
altn. lund indoles, finn. luonto indoles natura, luon formo creo. Sp.
LL vergleicht sich dem lat. PL FL CL und it. PI FI CHI: llaga plaga,
llano planus, lleno plenus, llorar plorare, lluvia pluvia, llama flainma,
llamar clamare, llave clavis, zuweilen dem einfachen L: llosco luscus,
llevar it. levare. Das poln. 1 hat sich reine liquida gegenüber in den
übrigen sl. mundarten: lania cerva sl. lan’, litth. lone; lono sinus sl.
lono; laka pratum böhm. lauka, litth. lanka. Deutsche HL scheinen
mit allen diesen afleclionen des L nicht übereinzutreflen.
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P
Ui
216
SPIRA.TION
Die reine spirans S tritt über in H, H ins digamma, dies in V,
F. wie sich S in R vergröbere soll gleich gezeigt werden, unter
allen vier Spiranten hat S in flexion und Wortbildung der spräche die
gröszte bedeutung, es fällt stärker und fühlbarer ins gehör als H V
und J und tritt als R noch mehr hervor.
Höchst merkwürdig erzeigt sich die neigung der zcndischen grie-
chischen und welschen spräche zum II, "GG und GV gegenüber dem
S und V des sanskrits, lateins und aller andern deutschen slavischen
litthauisclien sprachen so wie der irischen, auch das finnische ver-
räth hang zu H.
Erwäge ich den einllusz des H und R auf die brechung, so
scheint mir auch die reinhaltung des A I U mit der dauer des S zu-
sammenzuhängen.
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XIV.
DIE LIQUATION.
Den namen der liquiden verdienen L R M N, weil sie noch 309
etwas von der natur des vocals an sich tragen und zwischen den stum-
men consonanlen üieszen, daher auch häufig die stelle wechseln. R
und L heiszen im sanskrit halbvocale und werden den Spiranten J und
V an die seite gesetzt, auch in unsern europäischen sprachen geht L
über in I und U, es wird gleichsam in den vocallaut geschmolzen; R
aber entspringt in der mitte von vocalen. M entfaltet sich vor labia-
len, N vor gutturalen und lingualen wiederum aus vocalen. im sanskrit
gehören hierher anusvära und visarga, NG und II. einzelne sprachen,
wie die chinesische, meiden den harten laut des R durchaus, umge-
kehrt die armenische und zendische das L.
Auch das ist ein Zeichen der flüssigen natur des R, dasz die Spi-
rans S zu R wird, der sausende laut zu einem summenden surrenden,
wie die Engländer sagen, buzzing sound. unsre spräche scheint den
allmälichen eintritt dieser Wandlung gut zu zeigen, im gothischen hat
sie noch gar nicht statt, bereitet sich aber dadurch vor, dasz S inlau-
tend bei zutretenden flexionen oder anhängen Schwächung in Z erfährt,
das nicht gleich dem ahd. Z, sondern als blöderes, dickeres schwir-
rendes S auszusprechen ist*. Niemals kann der anlaut S gefährdet
werden. Am seltensten erscheint dies Z nach A, auszer wo noch ein 310
consonant vorhergeht: ans anza, Jians jianzei, marzja, oder folgt:
gazds, razda, Azdiggs, auch wenn langer vocal drückt: usana uzön,
azfits; nicht aber würde für basi kasa geschrieben werden bazi kaza.
häufiger ist es nach I U, vor langen vocalen und consonanten: is izös
izai izö, {iis [>izei, im -iza der comparative, riqis riqiza, izvis, mizdö,
barizeins, visan vizön, [jus Jjuzei, jus juzei, us uzuh, tus tuzvörjan,
* in der sanskritgrammatik (Bopp §. 31) heiszt freilich S ein dumpfer, R,
folglich goth. Z, ein tönender laut, vgl. Pott 2, 17. mir tönen und flieszen Z
und R, aber summend, schwirrend, S saust rein und hell. Z bindet sich mit
media (razda), S mit tenuis (ist, lustus.)
I
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FLÜSSIGE R
huzd, in den gen. -aizös -aize, in ais aizis, hais haizis lampas (blosz
der dat. pl. haizam Joh. 18, 3), dius diuzis, slöpa saizlöp, in den
comparativen -öza, in airzja, fairzna. alle verba, deren wurzel auf
lesum, kiusa kaus kusum. R für S zeigt sich nur in den assimila-
tionen urruns urreisan für usruns usreisan, wo nicht uzruns uzreisan
geschrieben wird, als ältere spur des R zu erwägen bleibt vair{)a fio,
das zu visa gebürt wie fio zu fui, und vielleicht aus visada entsprang?
fio musz erwachsen aus facior ficior. ich habe den grund noch nicht
nimmt, es wäre von groszem werth, wenn wir die gestalt dieses
worts aus noch früherer zeit erfahren könnten; gewis aber musz die
abweichung vom gewöhnlichen passivum sehr alt sein, da das schein-
bare aclivum ablaut zeugte. Von dieser merkwürdigen ausnahme ab-
S ausgeht, halten es fest durch die tempora: visa vas vösum, lisa las
uertt> entdeckt, warum die übliche passivflexion -ada bei vair[)a ein ]pa an-
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FLÜSSIGE R
219
dem R am meisten nachgegeben hat. der einzige gen. sg. masc. und
neutr. erster decl. hält das -s der flexion: dags barns, doch männ-
liche gen. der zweiten und dritten empfangen, gleich allen weiblichen
-ar: belgr helgjar, sonr sonar = goth. balgs balgis, sunus sunaus.
Im verbum aber empfängt die II. III sg. praes. einförmiges -r, ja die
neunord, sprachen theilen es allen drei personen zu. lesa las läsum
risa reis risum, friosa fraus frusum, giosa gaus gusum, wahren S, doch 312
findet sich frurum und kiosa kaus kurum; überall bis ins prae-
sens vera var värum. einzelne ältere denkmäler zeigen noch es
für er, vas für var. der pl. hat erum erud ero (und zuweilen
blosz ro.)
Einigemal sprieszt ahd. und mild, solch ein R zwischen zwei voca-
len auf. pim pist ist bildet den pl. pirum pirut pirun und grian
scrian spian machen das praet. grei griri grei grirum, screi scriri screi
scrirum, spei spiri spei spirum. und hierher gehören auch die bei
Graff 2, 556 unverstandnen biruwis habitaveris 0. II. 7, 18 biruun
liabitaverunt 0. IV. 4, 59 praeterita von btian habitare, welches mit
bim bist birum nah verwandte verbum 0. stark flectiert haben musz,
etwa folgendermaszen: praes. büu büis büit, pl. büen büet büent,
praet. biru biruwi biru, pl. biruum biruut biruun. praet. conj. biruwi
biruwis biruwi, obgleich noch einzelnes unsicher bleibt, namentlich
könnte auch der pl. ind. biruwum biruwut biruwun lauten. 0. accon-
tuiert das i: bi'ruuuis biruun, wie sonst im diphthong lu: l'uih iuer
drmuon. gleich jenem birum scrirum aus bium scrium ergibt sich
biru biruwi biru aus bin biuvvi biu, welches starke praet. ich dem
vermutlichen goth. bauan baibö, alln. byggja biö an die seite setze,
mitten im diphthong 1U erhebt sich R, aus goth. speiva praet. spaiv
pl. spivum hätte sich vielleicht auch spizvum = ahd. spirum erheben
können.
Wie, liesze sich nun doch andrer aufschlusz über das goth. pro-_
nomen jus izvara izvis gewinnen, als ich mir einbildete, da ich dies
wort zuletzt untersuchte? izvara dem altn. idvar gleichzustellen hatte
guten schein; doch natürlicher kann aus dem norn. jus, der für ius
steht, mit zwischenkeimendem Z und Wandlung des U in V vor nach-
folgendem vocal, izvara izvis entspringen, izv gleicht dem ahd. iru in
biruwis spirun aufs haar, wie aber neben spirun andere spiwun spiu-
wan sagen, hat sich auch ahd. iuwar behauptet: es wüire nicht un-
möglich, dasz einzelne ahd. denkmäler dafür iruar irwar? gewährten,
der goth. nom. jus konnte kein Z entfalten, weil I zu J geworden war
und kein vocal nachfolgte, der U in V gewandelt und ZV erzeugt hätte, 313
welches demnach nur für die obliquen casus eintrat.
Da goth. Z auf reines S zurückweist, was auch ubizva = ahd.
opasa, ags. efesc bestätigt, so scheint mir Z in izvara izvis dem S
in unsara unsis identisch und beiden das lat. S in nostri vestri ver-
gleichbar. nicht anders begehrt das R in pirum scrirum ein ursprüng-
liches S, welches noch in dem imp. pis mhd. bis esto oder, um einen
kühneren satz auszusprechen, im ganzen verbum visan vas haften mag.
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FLÜSSIGE R
ich werde anderweit ausführen, dasz die wurzel visan aus der älteren
Wurzel entsprossen ist, die unser B in hin, das lat. F in fui fio her-
gegehen hat.
Z tragen an sich die goth. gazds Stimulus, razda loquela, mizdö
merces, huzds thesaurus und vielleicht das geinutmaszte hruzdö daki-
sche crusta hirundo, welchen ahd. kart rarta hört, vielleicht hrorta
gegenilher stehn, man begreift, dasz sich neben mizdö, ags. meord,
gr. f.uo9og, sl. mzda ahd. mieta, wie iuwar neben izvara, mit unent-
faltetem surrlaut, darhietet; ist doch den Slaven auszer mzda zugleich
m”ito eigen, altn. aber entspricht dem ZD DD in rödd (neben raust)
haddr oddr hroddr; vielleicht in hrodda hirundo? edda, die urmutter,
führt sie auf izdö (Vesta Cilcrr/a)? oder steht sic näher zu aijrni eids
(s. 271)? es könnte verwegen vom finn. isä auf izdö, von izdö sogar
auf air{»a, wie von visada auf vairfja gelangt werden, auf die mütter-
liche erda, und die doppelbildung edda und iörd vertrügen sich zusam-
men wie mizdö und mieta. hierher scheint auch die schwankende
gestalt der ahd. partikel edo eddo erdo (Gralf 1, 147) goth. ai[)J)au,
und vielleicht widar wirdar (Graft“ 1, 635) gehörig.
Man hat hei entwicklung des Z aus S immer die forthildung der
ursprünglichen wortform mit S in flexion, suffix und Zusammensetzung
anzuschlagen, welche von der schärfe des S die aufmerksamkeit des
redenden ablenkt und es vernachlässigen oder vergröbern läszt. aus
diesem grund kann kein anlautendes S in R verderbt werden, so ent-
springt aus is izös izai, aus jus juzei, aus {»ans jianzuh, aus ans anza
314(Luc. 6, 41. 42), aus mais maiza, aus mins minznan, aus us uzuh
uzeta uzön, während die schon im nom. sg. oder der ersten person
festgehaltnen zweisilbigen hansa oder [)insa auch vor jeder andern fle-
xion haften, einigemal mögen die Schreiber straucheln: so würde 1
Cor. 8, 13 mims carnem richtiger scheinen als mimz, Marc. 6, 8 ais
als aiz? doch heidemal folgt ein vocalanlautendes anderes wort, des-
sen einwirkung möglich wäre.
Jenem ahd. aufsteigen des R zwischen vocalen stehn in gewisser
weise tilgungen des R gegenüber, die jedoch verschiedner art sind,
ahd. waso cespes franz. gazon scheint entsprungen aus wraso, wie
noch heute in einigen gegenden wrase fräse vernommen wird, das nhd.
rasen geht umgekehrt aus aphaeresis des W, wie sie in der regel statt
hat, hervor, gerade so erwuchs ahd. hreigiro (Graff 4, 799) mlat.
hairo, franz. heron, mnl. heiger ardea aus hreigiro, ags. hrägra, nhd.
reiher (vgl. Graff 2, 443.) unser nhd. weit stammt aus mhd. werlt,
ahd. weralt; doch das fries. wrald wrauld rauld bestätigt den Über-
gang aus wrase in rase, war scollo gleha ursprünglich serollo, wie
nhd. auch schrolle gehört wird? ahd. spioz mhd. spiez altn. spiot ent-
behren das im ags. spreot nnl. spriet haftende R. bekannt sind nhd.
fodern (das einige auf lodern reimen), befödern f. fordern befördern
und köder f. kerder ahd. querdar esca; ähnlich ahd. skerdar und sko-
dar cardo (Graff 6, 543.) im ags. sprecan spräc wurde R schon
frühe getilgt und specan späc gesetzt (Kembles urk. 2, 133), was im
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FLÜSSIGE R
221
engl, speak speach durclidrang. im mnl. doghen pati, alts. adogean
ist R verschluckt, wie das ags. adreogan lehrt und die Verwandtschaft
mit tragen ertragen, alle bisher gegebnen beispiele der tilgung zeig-
ten jedoch genuines R, kein adulterines, aus S entsprungnes. ein sol-
ches aber wird ausgeworfen im alts. linön discere, das überall fiir lir—
nön, ahd. lirnen steht, lirndn entspringt aus leran docere golli. laisjan
und würde goth. lisnan, liznan (wie minznan minui) lauten.
Unter allen urverwandten sprachen zeigt in Wandlung des S zu
R keine grüszeren einklang als die lateinische. Cicero ad fam. 9, 21 315
sagt von Papirius Crassus, der 336 j. vor Chr. consul war: qui pri—
muin Papisius est vocari desitus, und Pomponius Digest. I. 2, 36 von
Appius Claudius (consul 307 und 296 vor Chr.): R literam invenit, ut
pro Valesiis Valerii essent et pro Fusiis Furii. mit dieser erlindung
wird es wenig mehr auf sich haben als mit der der monatsnamen Ju-
lius und Augustus durch Caesar und Octavius (s. 77); im vierten fünf-
ten jh. vor Chr. mochte man in einzelnen namen das R dem allen S
vorziehen, das die aussprachc gewis schon in andern Wörtern hatte.
Livius 3, 8 schwankt zwischen Velurius und Vetusius (schon 462 vor
Chr.), Festus s. v. Aureliam meldet, dasz auch die Aurelii früher Ause-
lii hieszen. folgende werter hatten altes S: asa für ara, ausum für
aurum, ausis für auris, sosor f. soror, fasena f. harena arena, hesi f.
heri, fesiae f. feriae, fusvus f. furvus, lases f. lares, muses f. mures,
nases f. nares, wie nasus blieb, quaeso f. quaero, ruse f. rure, spu-
sius f. spurius; dann die flexionen des comp, majoses f. majores, me-
liosibus f. melioribus, plusima f. plurima und wie noch jetzt arbos pig-
nus lepos gilt, fleclierte man arbosem pignosa leposes, belusa f. holera.
pasus f. parus aus passer zu folgern, auch in andern sprachen rühren
meise und Sperling aneinander, fesa f. fera durch goth. dius, flos
flosis durch das sabinische Flusa f. Flora (s. 113) bestätigt, mos mo-
sis analog zu folgern, die Übereinkunft mit der goth. weise folgt klar
aus aes aeris: ais aizis und magis major, minus minor: mais maiza,
mins minniza. im ags. blösma zeigt sich die spirans von flos flosis,
im goth. blöma, ahd. pluomo nicht, anderes lehrt auch die Zuziehung
der übrigen sprachen, z. b. ros rosis folgt aus litth. rasa, sl. rosa,
liausio hausi f. haurio aus altn. ausa haurire und vielleicht goth. haus-
jan audire. besonders zu achten ist auf die entfaltung des R in der
lat. conjugation. aus dem S in sum sumus sunt für esum esumus
esunt entspringt R in eram eras erat = esam esas esat, ero eris erit
= eso esis esit, und gerade so in amarem aus amasem. dieser Wech-
sel gleicht dem in was wärum, chös churum. das altn. R in erum
erud ero entspricht dem esumus esut esunt und die kürzung ro dem
sunt. Doch alle lat. R ergeben sich nur nach vocalen, nie wie das 316
goth. Z auch nach consonanten*.
* erwäge ich sum fiir esum, sunt für esunt, goth. sind fiir isind und das
goth. asans messis neben dem lat. aestas; so könnte ahd. sumar und kelt. samh
(s. 73) mit aphaeresis stehn für asumar, oder welchen vocal man ergänze, vgl.
visumarus s. 302.
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222
FLÜSSIGE R
Dagegen erscheint die gr. spräche, welche ihr anlautendes R noch
durch die spirans schärft, diesem inlautenden schwirrenden R ziemlich
abhold, wenn dgooog, wie es allen anschein hat, zu jenem ros rosa
rasa, aber auch zum goth. driusan cadere gehört, in welchem das DR
ausnahme von der lautverschiebung macht; so erhalten wir dadurch
einsicht in seine Wurzel: es ist der fallende, triefende, vgl. goth. drus
nziooig und ags. dreore, alln. dreyri gutta, zumal sanguinis. Doch
steht deutlich &rj() für tXtjg, wie goth. dius lehrt und yXwQog darf
sich mit flos floris vergleichen*. Öfter ist die gr. spirans getilgt, wie
in jenem ahd. bium scrium für hisum scrisum und hernach birum scri-
rum; so fasse ich gr. f.ivg /uvog f. /.ivoug, was lat. mus musis, ahd.
müs müsi erreicht: das thier heiszt so vom stehlen, mausen und {.ivoj
/.ivato blinzen**, vielleicht /uvtco und ^ivGxrjg (vom geheimen raunen)
fallen hinzu, in /nvl^co wäre der Übergang in summendes Z. Noch
mehr leuchtet die tilgung ein in den comparativen, deren superl. 2
behauptet, weil es an dem folgenden T stütze fand, nXtiov also steht
für nXiloov nhut/ov, superl. nXeioxog, welche dem lat. plus pluris ==
plusis und plurimus — plusimus, dem altn. fleira = Heisa, llestr ge-
nau entsprechen, nicht anders verhält sich pil^tov (hier deutlich Z)
zum goth. maiza, und erwuchs aus jutyiCcov, wie der superl. fxtyiGxog
= goth. maists behielt, das adv. /udXu ist f. /.laydXu und fituXXov
f. f.laXlov, dies f. fiayuXiov /tayaXiCov. oXi'Cov f. oXiyiQov hat das
317 comp. S, der superl. oXlyiGxog ist nicht unregelmäszig, sondern voll-
kommen. gleichergestalt beschallen ist cs um rjöiMv = goth. sutiza,
tjöiGrog = sutists, xaXXiwv xuXXiGzog, manche entfalten SS durch
assimilation des comp. S mit der Wurzel: x.Qaxvg xquggmv f. xqu-
rlfyov xydziGzog, ßQuSvg ßQÜootov f. ß(>adi%tov ßQuöioxog, ßu&vg
ßuootov f. ßaöi^toy ßu&tGzog, Ttuyvg ndoowv f. nayiQwv ndyiGXog,
yXvxvg yXvGGiov f. yXvx.Pßov yXvxiGzog, xayvg &uggiov f. xaylKtov
xuytGzog. statt des dor. xquogcov hat die attische form xqhggwv,
wo das EI sich verhält wie in f.iiiQlov f. /uayi^iov /ueyityov. Auszer
solchen comparativen enthalten die häufigen verha auf -t%w unser goth.
Z und vergleichen sich den deutschen auf -isön.
Bei Litthauern und Slaven offenbart sich geringe oder gar keine
neigung das reine S in R umzusetzen, litth. asa entspricht dem lat.
ansa und goth. ans, rasa dem ros, nosis dem nasus. auksas = aurum
ausum schiebt dem S einen kehllaut vor, den diese spräche insgemein
liebt und auch vor SZ verwendet in pauksztis avis, auksztas augustus,
anksztas angustus. erwägung fordert kregzde hirundo (s. 204.) basas
nudipes ist das sl. bos”, busu ero stimmt nicht nur zu diesem lat.
wort, sondern auch zu dem im ahd. pirum erwachsenden R. der gr.
comparation gleicht aber die sl. auf -ii: mini minor, bolii major, wo-
rüber noch viel zu sasen wäre, bemerkenswert!! wird das sl. nesu
* der lakonische dialect hat im auslaut P fiir 2. Ahrens dial. dor. p. 71 ff.
** vgl. blinzelmaus; das eddische miskorblindi Saem. 52* scheint zu ändern
in myskiblindi oder myslablindi.
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FLÜSSIGE R. L
223
fero, nesti nositi ferre zu litth. neszu neszti (sprich neschu neschti),
welches SZ einigermaszen an goth. Z mahnt; lett. nessu nest. in den
litth. flexionen, namentlich auch der Steigerung bleibt lauteres S ge-
hegt. Nicht anders im sl. klas” arista, glas” vox, nos” nasus, hos” nu-
dus, rosa ros, nositi nesti ferre. Häufig bei Polen und Böhmen (nicht
den übrigen Slaven) ist ein schwirrendes RZ, das seinem laut nach
zum goth. Z gehalten werden mag, aber ganz anders entspringt, nem-
lich aus einwirkung der dünnen vocale i e ie y auf echtes R: rzeka
fluvius, böhm. reka, sl. rjeka; rzezba bildwerk, böhm. rezba; grzyb
fungus böhm. hrib; trzmiel apis terrestris, böhm. cmel; krzywy cur-
vus böhm. kriwy; poln. trzy tres böhm. trj u. s. w. die aussprache
dieses rz r ist ein gelindes sch, dem franz. j nah, und r klingt nur
leise mit, den Polen beinahe gar nicht, es ist also ein in s oder sch 318
gemildertes r, das oft anlauten kann , während goth. z umgekehrt aus
reinem s entsprang und, wie lat. r aus s, niemals anlautet. Gieng ir.
siur (s. 267) hervor aus sisur?
Die s. 254 ausgesprochne mutmaszung, dasz skythisches arima für
asima stehn könne, ist viel zu unsicher, um daraus zu folgern, dasz
liquation des S in R unter Skythen im gang gewesen sei. Füglicher
darf man das inlautende dakische Z in Ovttyvaq und Zug/ui^e (s. 202)
zum goth. Z halten, vielleicht das in /noKovXa (s. 207), sichrer das
- in y.QovGTuv?] (s. 204.)
Indessen entfaltete sich auch schon im sanskril R vor V aus S,
was unserm goth. zv begegnet, man übersehe nicht das schwindende
U im hindostanischen ti (s. 241.)
Die Tschuwaschen setzen häufig R, wo in andern türkischen spra-
chen S wallet, ob das bask. nizas niri, hizas hiri (s. 264. 265) an-
gezogen werden darf, mögen andere entscheiden.
Dem rauhen R gegenüber ist L ein milder weicher laut, des-
sen halbvocalische natur gleichwol mit der des R grosze ähnlich-
keit hat, daher auch diese beiden liquiden oft untereinander tau-
schen.
Bei diesem Wechsel scheint bald R bald L der ursprüngliche laut,
jenes im ahd. grian gannire mhd. glien, im alts. fruobara solamen, ahd.
fluobara, im skr. sara lat. sal (s. 300), im skr. sarva lat. solum (s. 71),
im skr. sru ahd. ldosön, im skr. grdh cupere goth. gredus fames ahd.
krät avidilas sl. glad” fames russ. golod poln. glod böhm. blad; sl.
glas” vox gleicht dem litth. garsas fama. unsicher hin ich des ahd.,
chirihha ags. cyrice, sl. tzr’k’V, das bei N. chilecha und noch heute
in der Schweiz chilche lautet, wie dort bilacha f. birke gehört wird
(Tobler.) statt des lat. circus könnte auch goth. kelikn nvQyoq und
üvwyutov (hochgewölbter saal) verglichen werden, lat. fulvus und fur-
vus scheinen verwandt, obwol jenes dem fiavus, dies dem ater näher
ist; oder rührt furvus an fuscus? ahd. lirün glossiert furvus und ful-
vus. Sicher wurde aus Ulfilas Urfilas (s. 183) verderbt, wobei mir319
der heule in Frankreich bekannte name Orfila einfällt; berühren sich
vrka (s. 56) und )>vxog sl. vlk, so schiene R älter, und im deutschen
C:
CC
€
€
€
224
FLÜSSIGE R. L
beiderlei gestalt, vargs und vulfs, entwickelt, ich werde darauf zurück-
kommen. in silubr silapar srebro sirablas mag L älter sein, weil es
aus dem noch älteren D in sidabras leichter folgt (s. 9. 11.) velb-
ljud verbljud werbludas wechseln (s. 42.) vertagra scheint dem vel-
tagra vorauszugehn (s. 38) und auch Arrian de venat. cap. 3 schreibt
ovtQTQayog. s. 118 habe ich die Zusammenstellung harugä hörgar
xoquxoi und alces gewagt; jetzt ist es zeit hinzuzufügen, dasz golh.
alhs ahd. alah ags. ealh (mylhol. s. 58) dem lat. arx entsprechen
mögen, ja ags. ealgian genau bedeute arcere defendere tueri und für
homerisches tt'yyeiv i'pyeiv, sonst auch etQyeiv attisch gelte e'iQyeiv.
Da lat. lis litis aus sllis sllilis gekürzt ist, liegt es unfern das ags.
strid ahd. strit nhd. streit zu vergleichen, und ich weisz nicht, wel-
chem hier der rang gebührt, lat. coriandrum milderte ahd. aussprache
in chullantar (Graff 4, 389), dem Spanier ward lilio zu lirio. ahd.
finde ich nur smielan subridere, mhd. schwanken smielen und smieren,
in der lieldensage Kelche und Herche, docli echter scheint in diesem
namen R (rnythol. s. 232) und die edda hat Herkja, die Vilk. saga
Erka. Dasz in der wortableilung beide liquiden einander vertreten, be-
darf blosz weniger beispiele: ahd. murmurön und murmulön, mhd. mar-
termre und martelaere.
Italienischem organ schmilzt L in I vor a o u, es war ihm noch
nicht weich genug und wird aus halbem zu ganzem vocal: hianco
fiato fiamma piano liore fiume f. hianco llato flamma plano flore llume,
doch vor e i haftet es mit vortretendem g: egli meglio figlio moglie;
diese spräche wandelt auch anlautendes J in Gl: gia jam, giogo jugum,
giugno junius. Der Spanier liebt J: liijo filius, hija filia, mejor melior,
viejo veglio, espejo speculum. im anlaut wird L verdoppelt und die
muta weggeworfen: llama llamar llano = ital. fiamma chiamar piano
(s. 308.) der ncapol. dialect tauscht einigemal L mitR: frato f. llato,
prebba f. plebe.
320 Hieraus begreift man das schwinden oder zulreten des L vor I
im anlaut. lilium wird it. zu giglio, julius aber zu luglio, serbische
dialecte wandeln jelen cervus in Ijeljen und den frauennameu Jelena
in Ljeljena. Bei allen Slaven entspringt jaz”ik”, poln. jezyk, böhm.
gazyk aus ljaz”ik”, wie litth. liezuwis, lat. lingua, und die abkunft die-
ser Wörter aus lizati, litth. laizili, lat. lingere zeigt. Auf solche weise
scheint ahd. lepara, ags. lifer, altn. lifr erklärbar aus jepara, lat. epar
hepar, franz. lierre aus hedcra. Die heutige schwedische aussprache
läszt L vor I gar nicht vernehmen: ljus lautet jus, ljuf juf.
Der Schmelzung in U ist unter allen romanischen sprachen die
französische meist ergeben, so oft an das L ein consonant rührt: Gau-
lois chaume paume aune taupe chaud saut faux maux f. Gallus cala-
mus palma alna talpa calidus sallus falsus malus; eux ceux yeux mieux
vieux f. eis cels oeils miels viels; fou doux poux f. fols dolcs polcs.
rein auslautendes L bleibt: mal val cheval, die Verbindung der praep.
a mit dem L bringt nur dann au zu wege, wenn das folgende nomen
consonanlisch anlautet. Auch der neapolit. dialect hat meuza f. milza,
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smiuzo f. smilzo. In deutscher zunge bildet die niederländische mund-
art au aus al, ou aus al und ol, wie granim. 1, 292. 300. 321
erörtert, und dabei rnusz einflusz französischer nachbarschaft angeschla-
gen werden.
Von den slavischen sprachen ist es die südlichste und weichste,
die serbische, welche das L der übrigen vocalisiert. im auslaut macht
sie 0 daraus, läszt aber bei folgendem a der flexion das L aufwachen:
bijo fern, bijcla, mio fern, mila, kotao cacabus gen. kotla und häufig
in den parlicipien pisao f. pisal, fern, pisala, preo fern, prela. von
selo pagus bildet sich seoski paganus. da wo dem L schon o vor-
ausgieng, wird dies dann verlängert: vö bos, sokö falco für vol sokol,
sö sal, der gen. lautet vola sokola soli. Inlautendes L aber erweicht
sich vor anrührendem cons. in U: dug debitum, Bugarin Bulgarus,
munja fulgur, pun plenus, suntze sol, vuk lupus, stup columna, tu-
tschem tundo, muzem mulgeo, suza lacrima für dlg Blgarin inlnja pln
slntze vlk stlp tlzem (tl”ku) mlzem slza. das puno plenum gleicht dem 32t
it. piano planum und wie bei den Niederländern rnusz wieder in be-
tracht kommen, dasz die Serben an Italien grenzen, dubok profundus
führt Miklosich s. 17. 21 zurück auf dl”bu scalpo, das litth. dubbas
und selbst goth. diups fordern Vergleichung; die andern Slaven haben
gluhok, poln. gleboki, böhin. hluboky.
Dies Verhältnis des L : V leitet uns wieder in die deutschen und
älteren sprachen und gibt anlasz zu einigen aufschlüssen.
Es begegnet ein golli. slavan tacere, das keiner andern deutschen
zunge eigen offenbar dem lat. silere entspricht, dessen sil : sl sich
umgedreht verhält wie in lat. scire und goth. saihvan sc : sih. hin-
gegen stimmt das dem Gothen abgebende ahd. suigen mhd. swigen ags.
svigian sichtbar zum gr. oiyäv und dem damit zusammengesetzten
oitunuv = oiFconuv, wo recht deutlich das digamma GV zeigt, wie
aber, sollten nicht SL und SV in beiden formen sich ausgleichen? die
licpiation des L in V mag sogar auf Verlängerung des wurzelvocals ge-
wirkt haben, dasz das V in slavan der Wurzel fremd ist lehrt silere,
ob ihm G in suigen gleichsiehe, oder dies gar dem kehllaut in tacere
goth. Jiahan ahd. dagün vergleichbar sei ? soll hier dahingestellt
bleiben.
Nicht anders scheint SL im goth. slöpan dormire, ags. slaepan,
ahd. släfan identisch dem SV in skr. svap, altn. sofa = svefa und den
übrigen s. 303 angeführten Wörtern, freilich blieb die lautverschie-
bung des P in slepan släfan zurück, da sie doch in sueban svefa vor-
schritt. den Angelsachsen allein stehn beide verba slaepan slöp und
svefan sväf nebeneinander zu.
In der allböhmischen mater verborum bei Ilanka 8b findet sich
die glosse: feronia, dea paganorum, zuoba. die römische Feronia war
göllin der freigelassenen, in ihrem tempel empfiengen enlbundne knechte
den hut der freiheit. suoba, denn so musz genauer geschrieben wer-
den, bedeutet also freiheit und stimmt zu dem unter Russen, Polen
und Böhmen noch allgemein gangbaren sl. svobod’ über, svoboda über—
15
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226 FLÜSSIGE SL. SV
tas. in Böhmen hört man hin und wieder sloboda, die Slovenen
322 schwanken zwischen svoboda und sloboda, den Serben gilt nur slo-
boda für freimut, mut. richtig stellt Miklosich svoboda unter svoi
l'diog, sui juris, liber, B scheint entsprungen wie im gen. des re-
llexivs sehe *.
Mit einem mal geht hier licht auf über zwei berühmte, ich glaube
bisher unverstandne volksnamen, die in alle meine Untersuchungen grei-
fen. Sueven und Slaven scheinen ganz dasselbe wort. Caesar Strabo
Tacitus Ptolemaeus schreiben Suevi 2Zo>]ßoi 2ovi]ßoi. Doch ein haupt-
stamm der Germanen sollte gleich geheiszen haben mit den Slaven,
die uns zwar urverwandt, aber auch stets von uns verschieden sind?
ich will mich erklären, der name Suevi scheint allerdings slavisch und
bedeutet, wie wir eben sahen, freie; er wurde deutschen nachharn von
Sarmaten im osten beigelegt, wie im westen von Beigen oder Galliern
der name Germanen, späterhin mögen Slaven dieselbe schöne benen-
nung entweder für sich selbst gewählt oder von deutschen nachbarn
zurückempfangen haben, und nach einer seltsamen ironie gieng von
unterjochten Slaven begrif und name der knechtschaft aus (sclavi, ital.
schiavi), da im wort ursprünglich die der freiheit gelegen hatten**.
Umgekehrt wandten die Deutschen ihren volksnamen Vandali Vindili in
der form Veneli Vinidi Winidi allmälich auf slavische nachbarn an (s. 171),
die deutschen Sueven aber behielten diesen namen hei und verhärteten
ihn blosz in golh. Svöbös (?) ahd. Suäpä ags. Svaefas, wie schon gr.
Sojßoi für Suevi geschrieben wurde, unter südlichen Slaven scheint
die Benennung Sloveni hauptsächlich zu wurzeln, gerade wie sie slo-
323 boda dem svoboda vorziehen. Die Byzantiner Procop, Agathias u. s. w.
setzen 2xXäßoi 2xXaßi]vo( mit dem allmälich auch bei lat. Schrift-
stellern eingeschobnen C Sclavi Sclaveni, welches jedoch die sl. Schrei-
bung wieder ausstiesz. Unzulässig scheint es den namen Slovenen aus
slava gloria*** oder slovo verbum f, oder einem unbekannten Ortsna-
men, wie Schafarik meint, zu leiten, auch unsre Sueven hieszen nicht
- £3
O)
-Q
* die Finnen ihrer neigung nach anlautendes S vor V wie vor L und andern
consonanten tilgend, haben vapaa liber, sui juris, vapahdus liberatio, die Esten
wahba liber wabbedus libertas; einleuchtend entsprechen vapahdus wabbadus dem
sl. svoboda. den Finnen scheinen diese Wörter und begriffe durch die Slaven
zugeführt, wie den Lappen frije frijewuot durch die Scandinaven.
** man miiste denn svoi proprius im sinn von andern angehörig nehmen, wie
auch der sohn suus des vaters ist.
*** in den mit slav zusammengesetzten eigennamen böhm. Bohuslaw Miloslaw
Radoslaw tilgt der Serbe das L: Bogosav Milosav Radosav.
-f- Miklosich s. 10 setzt den Slovjentz als loyios, distincta loquela praeditus
dem Vlach” balbus und Njemetz mutus entgegen, wol mag ein volk den frem-
den nachbar sich als unredenden, seiner spräche unmächtigen darstellen, kaum
sich selbst als ein redendes, da ihm diese gäbe zu natürlich erscheinen musz um
liervorhebens zu bedürfen, auch bezeichnet Vlach” schwerlich den stammelnden,
sondern ist das deutsche Walali = Gallus; welschen heiszt uns fremd, unver-
ständlich reden. Im namen der Slaven ist a dem ahd. ä = goth. 6 gemäsz, was
mir die Zurücknahme des worts aus deutschem mund bestätigt, wenn schon nach-
her auch das ursprüngliche o von svob sich geltend machte.
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nach dem flusse Suevus, dieser vielmehr nach ihnen, i
det sich ein berg Sevo Suevo (mythol. s. 337), bei Pl
aovrjßu OQrj neben uXuvu oqt] genannt, wie er 6, 5
nen und Suovenen (jSotwßrjvoi) auf diese aovrjßa oqtj
FLÜSSIGE L. R
den Suovenen erkennt Schafarik gültig Slovenen, schlägt aber dabei
nicht die namen Suevi und Slovi an. die forlbildung -eni -ini ist wie
in Ftxyvol Gothini. Zugleich bestätigt dies Verhältnis überhaupt ural-
ten verkehr zwischen Germanen und Sarmaten. der von diesen auf
jene ausgegangne name kam ihnen im verlauf der zeit wieder und in
beide formen theilten sich beide Völker dergestalt, dasz der name Sue-
ven bei uns enger, der name Slaven unter unsern nachbarn allgemei-
ner wurde.
Noch ein beispiel des Wechsels zwischen SV und SL scheint svä-
dus rfivg suavis = suadvis (s. 303) abzugeben gegenüber sl. slad”k”,
böhm. slad’ky, poln. slodki. das litth. saldus lett. salds haben für L 324 •
andere stelle, wie dulcis neben yXvxvg, welche beide nah verwandt
sind (wie yXtvxog und dtvxog most und vorhin glubok und dlubok.)
schwerer einigen sich dulcis und slad”k”; dulcis aus udcis vudcis svu-
dcis sludcis?
Endlich entspricht das ags. svade vestigium, fries. swelhe swilhe
lerminus dem sl. sljed” vestigium, poln. slad, böhm. sied, vgl. altn.
slödi callis. kein zweifei, dasz sich noch andere SV : SL ergeben wer-
den (vgl. suovitaurilia mit solitaurilia.)
Welche von beiden formen ist aber für die ältere zu halten? da
sich im skr. svapnas und svadus zeigen, svoboda edler und dem svoi
näher ist als sloboda, auch Suevus dem Slavus der zeit nach voraus-
geht, gebe ich dem V das höhere alter, aus der spirans entspringt
die liquida, wje aus dem S das R. Umgekehrt ist L älter als
die romanische, niederländische und serbische auflüsung in I oder U.
Bisher wurde die bescbalfenbeit des L und R für sich erwogen ;
die folgenden belrachtungen gehn auf beide zusammen.
Beide haben in den sprachen für die Wortbildung grosze gewalt
und kommen fast den vocalen I und U gleich, aus welchen wir sie
oft hervorgelin sahen, während S und II auch hier wieder an A ge-
mahnen.
Die llexion scheinen L und ursprüngliches R wenig oder gar nicht
zu bestimmen, desto mehr einflusz auf sie üben M N und S, das in
R Übertritt, denn alle R der llexion sind aus S entsprungen. Für
die historische forschung bleibt es höchst wichtig, die echten oder
alten R von den aus S erwachsnen zu sondern.
Hervorstechende eigenthümlichkeit der slavischen zunge ist das L
der acliven participia praeteriti, welchem ich etwa das ableitende L
der deutschen oft aus verbis stammenden adjectiva vergleiche z. b. ahd.
ezzal ägezzal släfal sprangal u. s. w. doch mangelt ihnen die verbal-
kraft der sl. parlicipien.
Die auszerordentliche Flüssigkeit des L und R zeigt sich recht an
ihrer unstäten stelle zwischen den stummen consonanten und man musz 325
15 *
sches Staatsarchiv
m
228 FLÜSSIGE L. R
beachten, welche verschiedne neigung hierbei die verwandten sprachen
kund geben.
Unsere spräche liebt es diesen liquiden den wurzelvocal voran-
gehn, die slavische folgen zu lassen, die lat. litlh. und meisten übri-
gen halten es darin meist mit der deutschen, nicht mit der slavischen.
das ganze Verhältnis fordert reichliche heispiele.
Elbe poln. Laba böhm. Labe, das lat. Albis läszt ein goth. Albs
vermuten, ahd. Alp. ahd. alpiz mhd. elbez altn. älft ags. älfet, sl.
lebed’ poln. labedf böhm. labut. dem namen des flusses wie des Vo-
gels ist das lat. albus identisch, der see Ladoga in Ruszland heiszt
altn. Aldeiga (fornm. sög. 12, 259), vgl. finn. aalto, altn. alda unda,
sl. ladija navis.
heim altn. hiälmr goth. hilms, get. £aX/.iog öoqu, litth. szalmas,
sl. schljem” ntQixHpaXaiu, böhm. slem ornatus muliebris. halm altn.
hälmr, sl. slama poln. sloma. aus poln. tlomacz böhm. tlumac, wird
deutsches dolmetsch, goth. fulls, litth. pilnas, lat. plenus, gr. nXtog,
sl. pl”n”.
silber ags. scolfor altn. silfr, sl. srebro. darf man sich getrauen
goth. silba ahd. selpo ags. selfa altn. siälfr mit jenem svoj Suevus und
Slavus (s. 322) zu vergleichen?* bei Homer heiszen die Troer uvroi
gegenüber den bundsgenossen (II. 11, 220.) litlh. silpnas debilis, sl.
sljep” coecus. goth. vulfs ahd. wolf, lat. vulpes, sl. vl”k”. lett. kalps
servus, sl. chlap” poln. chlop. litlh. galwa caput, sl. glava poln. gtowa.
lett. zilweks homo, sl. tschlovjek” poln. cztowiek böhm. clowek. skr.
palita, gr. noXiog, lat. pallidus, ahd. falo falawes, ags. fealo, altn. fölr,
litth. palwas, sl. plav”, böhm. plawy, poln. plowy.
goth. dulgs debitum, sl. dl”g” poln. ding böhm. dluh, Miklosich
s. 25 leitet ab von dr’shati tenere, ich habe das ahd. tolc vulnus altn.
dölgr hostis und den volksnamen Dulgibini verglichen, andrer wurzel
scheint sl. dl”g” [.laxQog, poln. dlugi böhm. dlauhy, skr. dirghas lon-
gus, dem Miklosich s. 23 mit fug das litth. ilgas zur seite setzt, nun
326 gehe ich weiter und nehme lat. longus, goth. laggs ahd. lanc für tlon-
gus (wie latum f. tlatum) jdaggs dlanc, in welchen allen sich der na-
sallaut eingeschoben hat, tlogus tlagus würde dem dlug nahe treten,
ilgas für dilgas stehn, also reihen sich dirghas dilgas dlug tlongus
fdaggs, wobei ich die stufe des lat. und deutschen abgefallnen lingual-
lauts unentschieden lasse.
milch goth. miluks ahd. miluh ags. meolc altn. miölk, sl. mljeko
poln. böhm. mleko. dem lat. lac lactis scheint wieder aphaeresis zum
gründe zu liegen und nach mulgere sl. mfsti litth. milszti melken
wäre früheres mlac melac anzuselzen, oder weist gr. yuXa yuXaxrog
anderes? mulgere ist gr. a^dXytiv. ßenfey 2, 358 nimmt yaXuy
yXay ■= /uXay. das ir. bleacht bliocht, welsche blith f. blicht?
gehn leicht in die labialis über, aber daneben gilt welsches laelh,
ir. lacht.
* poln. böhm. sobek egoist, selbsüchtig.
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FLÜSSIGE L. R
goth. skalks ahd. scalh ags. scealc servus, altn. skälkr nequam
woher finn. kalki; vielleicht mit sl. slouga servus poln. sluga böhm.
sluha eins, welches Miklosich s. 82 zu slouti stellt, wie cliens cluens
zu cluere fällt, sichrer ist ahd. folh ags. folc altn. fölk agmen popu-
lus, litth. pulkas, sl. pl”k” acies, castra, poln. polk pulk, böhm. pluk
pik, gr. nol/og, aeol. oXyog st. des üblichen oyXog, dem wieder an-
laut fehlt, es könnte digamma stattgefunden haben, wozu lat. vulgus
stimmt.
gold, sl. zlato (oben s. 9.) goth. valdan ahd. waltan ags. vealdan
altn. välda, litth. waldyti, sl. vlasti vladjeti. goth. kalds ahd. cholt
ags. ceald altn. kaldr, lat. gelidus, sl. chlad”, poln. chlod kühle, serb.
mit aphaeresis lad, Miklosich s. 101 verzeichnet chlad aura (kühle
luft), was nichts zu thun hat mit skr. hräda strepitus. litth. saldus,
lat. dulcis wurden schon vorhin s. 323 zu sl. slad”k” gestellt, preusz.
maldas juvenis, sl. mlad” tener, poln. mlody böhm. mlady juvenis. zu
goth. lialts ags. healt ahd. halz fügt sich lat. claudus, diesmal mit sla-
vischcr lautstellung. poln. sledz böhm. sied’ halec entsprechen dem
altn. sild schvved. sill, das litth. silke lett. silkis aber dem lat. wort
nach dem Wechsel von S und H, denn der name des fisches stammt
von aXg.
Goth. arms brachium, ahd. arm altn. armr, das gleiche lat. armus 327
gr. uQ[.iog drücken oberarm und Schulter aus; sl. ramo ramja hume-
rus poln. ramie. da sich in der flexion ramene ramena (wie von imja
imene imena) entfallet, könnte litth. ranka armus, sl. ruka manus böhm.
ruka, poln. noch nasal reka, aus zusammenziehung des diminutiven
ramenka — ärmlein, hand herriihren, vgl. altn. ermi, ahd. ermilo ma-
nica, lat. armilla brachiale, gleichvvol läszt sich auch ranka auf das
litth. rinkti colligere zurückfuhren*.
altn. maur formica, schvved. myra dän. myre mnl. miere, pers.
mür, finn. muurainen, gr. /nvQ/.afi, sl. mravii, poln. mrowka böhm.
mravenec und brabenec, wie auch in gr. mundarten ßv()[.iu£ f. f.ivQf.0]'^.
skr. durva gramen cespes, ahd. zurba ags. turf altn. torf, sl. trava
gramen, litth. karwe vacca, sl. krava poln. krowa. ags. forma, litth.
pirmas, goth. fruma wie lat. primus, sl. prvii poln. pierwszy. ahd. liarm
ags. hearm altn. harrnr, sl. sramata poln. sromota (vgl. s. 172. 303)
zu erwägen auch nnl. schroom metus schromen metuere tremere, in-
sofern zittern und zagen mit sich schämen verwandt ist. ahd. car-
mula in der lex Bajuv. 2, 3 für seditio, sl. kramola. lat. dormire,
sl. drjemati dormitare, ahd. troum somnium ags. dreäm alts. dröm jubi—
lum, vgl. mythol. s. 1098. aus lat. marmor macht das böhmische
organ mramor, das mährische bramor.
goth. Jiaurnus ahd. dorn altn. [>orn, sl. tr’n” spina, poln. tarfi
und eiern, goth. qairnus ags. eveorn altn. qvern, litth. girnos, sl.
slirVv” (vgl. s. 67), böhm. zerna. goth. kaum ahd. chorn ags. corn,
sl. zr’no poln. ziarno, litth. zirnis, lat. granum, franz. grain. litth.
* ähnlich steht apyos aQyvQos argentnm zu skr. radschatam, zend. erezatam.
230
FLÜSSIGE L. R
Warnas corvus warna cornix lett. walirna, sl. vran” und gavran” cor-
vus, vrana cornix. böhm. wrana und hawran, poln. wrona und gawron.
welsch brän pl. brain cornix, ir. bran corvus. sowol sl. vran” als ir.
bran bedeuten im adj. zugleich niger, folglich geht auch mlat. bru-
328 nus fuscus, ahd. prün ags. brün furvus in Vergleichung, aus den la-
bialen wäre leichter Übergang in gutturale und im lat. corvus cornix
verhalten sich die liquiden zum ahd. hraban altn. hrafn ganz wie in
warna und wrana.
ahd. charl vir maritus, altn. karl vir senex, ags. carl cearl mas-
culus, zugleich war Karl häufiger eigenname und Karls des groszeii
macht drückte seinen nachfolgern und dem fränkischen reich die be-
nennung Karlinge und Kerlinger auf. wie aus Caesar der begrif des
kaisers gieng aus Karl den Slaven würde und name des künigs her-
vor: sl. kral poln. krol russ. korof, ungr. kiräly, litth. karalus (lett.
aber kehnihsch nach könig.)
golh. paurban parf paurbum egere, parbs egens parba egestas
parba mendicus, paurfts necessitas. ahd. durfan darf durfum (für dur-
pan darp durpum) egere, darpo egens darpa privatio, dürft opus ne-
cessitas. finn. tarvet gen. tarpeen opus necessitas, tarpeinen opus
habens, tarvitsen egeo; est. tarwis necessarius tarwidus necessitas tar-
witama egere. lapp, tarbahet indigere tarbo necesse tarbek opus tar-
baliet indigere. sl. trjebje jest’ opus est, trjebovati indigere trjebiti
purgare trjeba sacrilicium libalio templum. poln. trzeba böhm. treba
opus est, treba sacrificiura. poln. potrzeba böhm. potreba necessitas,
wozu man ahd. pidarpi pidirpi ulilis necessarius und unser bedarf egeo
halte. Miklosich s. 96 trennt die begriffe trjeba opus und trjeba sacri-
ficium, wie mich dünkt, unrichtig: opfer ist das heilige werk, die
höchste nothdurft und reinigung. gehört der litth. gott Potrimpos zu
potreba (s. 121) und liesze sich ein patrimpa — potrjeba aufweisen
oder als früher in der spräche vorräthig annelimen, so folgte daraus
auch das einfache trimpa = trjeba.
finn. varpulainen varpuinen passer, est. warblane, litth. zwirblis
lett. swirbulis, sl. vrabii russ. vorobei poln. wrobel böhm. wrabec,
serb. vrabatz, ungr. vereb. lat. sarpere, gr. uyni] falx, sl. sr’p” poln.
sierj) böhm. srp.
golli. vargs inimicus, condenmatus, vargjan damnare, ags. vearh
lupus, damnatus, vergan damnare, verlulo damnalio, ahd. warac dam-
nalus, exsul wargida damnalio, altn. vargr lupus, liomo sacer, skr.
329 vrka lupus, zend. vercka, sl. vrag” inimicus, serb. vrag diabolus, poln.
wrog inimicus, böhm. wrali inimicus, diabolus. beim teufel treffen
alle diese begriffe: wolf feind und verdammter, zusammen, mvthol.
s. 941. 948.
litth. turgus forum, lett. tirgus, schwed. torg, sl. tr”g”, poln.
targ, böhm. trh. altn. myrkr obscurus, sl. mrak” caligo, poln. mrok
böhm. mrak. litth. parakas pulvis, sl. prach”, poln. proch. ags. beorc
betula, ahd. piricha, altn. biörk, litth. berzas, russ. bereza, poln.
brzoza, böhm. briza. ahd. farah, ags. fearh, lat. porcus, litth. par-
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FLÜSSIGE L. R
231
szas, firm, porsas, poln. prosie böhm. prase (oben s. 37.) ahd. furicha,
nhd. furche, sl. brazda, poln. brozda, vielleicht für prazda, wie lat.
porca zu porcus stimmt (s. 57.)
ahd. part, ags. beard barba, altn. bard ala margo labrum, litth.
barzda barba, lelt. bahrsda, sl. brada poln. broda *. ahd. furt vadum,
ags. ford, sl. brod”. golli. gards domus, ahd. kart, sl. grad” urbs,
poln. grod. lat. merda stercus, eigentlich foetor, skr. mrd, sl. smrad”
russ. smerdeti foetere, litth. smirdeti foetere, smirdas homo foetidus.
rnlid. hartmänet (s. 85), sl. gruden, poln. grudzien (s. 95.) golh.
hairda grex ahd. herta, sl. tschrjeda, poln. trzoda. goth. liairtö ahd.
herzä, litth. szirdis, lelt. sirds, skr. hrd f. krd, ir. croidhe, lat. cor
cordis, gr. y.rjg, xaQÖia, sl. sr’d’lze, bühm. srdce, poln. serce. litth.
serrada mittwoche nach dem sl. srjeda sreda medium, poln. sroda, die
Russen unterscheiden sreda medium und sereda dies Mercurii.
mlat. curtus, it. corlo, franz. court, ahd. churz scurz, sl. krat”k”
poln. krotki brevis. verschieden aber golh. hardus, ahd. herti, nhd.
hart, gr. xqoltvq XQaTtQog. lat. mors mortis, mori morluus, golh.
maurjtr ahd. mordar homicidium, litth. mirli mori, sl. mrjeti mori, mor”
pestis, mr’tv” mortuus.
lat. vertere, nhd. wirtel verticillus, sl. vr’tjeli vratiti vertere, litth.
wirwe laqueus. golh. aurts herba aurtigards hortus, altn. urt und jurt
herba urtagardr hortus, schwed. ört und örtagärd, finn. yrtli herba
yrttilarha hortus, ags. vyrt herba vyrtgeard hortus, engl, wortyard und 330
ortyard orchard, ahd. wurz herba Wurzipurc Herbipolis, golh. vaurts
radix (vgl. finn. juuri altn. rot radix) ahd. wurza wurzala radix; sl.
vr’t” hortus und vr’tograd” hortus.
lat. porrum f. porsum, gr. tiquoov , serb. pras. ahd. hirsi mi-
lium sl. proso. litth. garsas fama, sl. glas” vox, gr. yXwoau lingua,
dialectus. litth. pirsztas digitus, sl. pr’st”, böhm. prst.
Die beispiele zeugen sattsam, einzelne sprachen treiben beider-
lei richtung weiter, namentlich liebt die ags. den wurzelvocal dem R
vorauszusenden, statt des golh. rinnan rann runnum setzt sie irnan
am urnon, statt brinnan brann brunnum birnan harn burnon, statt
brunna burna, wie noch heute bei uns born neben brunne gilt, statt
brunjö thorax ahd. prunnä altn. brvnja braucht sie byrne, vgl. sl. br’nija
thorax, russ. bronja, poln. broii arma. ebenso verhallen sich fruma
primus ags. forma, goth. gras gramen ags. gärs, ahd. hros equus ags.
hors, ahd. chresso nasturtium ags. cerse, goth. jiriskan triturare ags.
{icrscan, ahd. frisc recens ital. fresco ags. ferse, ahd. brestan rumpi
ags. bcrslan nhd. bersten , ahd. frist spatium temporis ags. first, ahd.
hrust ornatus bellicus ags. hyrst, ahd. frost algor ags. forst; ja das
englische ist hin und wieder auf diesem wege noch vorgeschritten,
indem es ags. brid pl. briddas pullus in bird, ags. ftridda in third, ags.
erät currus in cart wandelte, third stimmt zum lat. tertius, bird und
* B in barba zum D der andern Wörter scheint sich zu verhalten wie in ver-
buin : goth. vaurd, ahd. wort; litth. wardas, Jett, walirds.
FLÜSSIGE L. R
brid weisz ich aus keinem deutschen dialect zu erklären, von brut
fetus proles, ahd. pruot, ags. bröd engl, brood ist es verschieden. Dem
sächsischen organ scheint die Verschiebung des vocals überhaupt be-
haglich, wie bis auf heute in Niedersachsen bernen verde versch für
brennen fride frisch u. a. m. vernommen wird, aus sächsischer quelle
gieng in die altn. sage Sigurdr = Sigverdr Sigverd Sigferd f. Sigfrid;
Fertilia legt die Vilk. saga c. 13 aus Fridssela.
Umgekehrt stellt die altn. spräche einigemal das R voran: ragr
timidus f. argr, ras anus f. ahd. ars, ags. ears. käme altn. rot radix
jenem urt herba nahe, wie goth. aurts dem vaurts, fmn. juuri dem
331 yrtti ? ich treffe sogar ags. rot radix engl, root an auszer dem häu-
figeren vyrt herba; radix und aeol. ßgl^a, digamm. Fqi^cc
weisen auf skr. vridh und ridh crescere, ja auf viridis und virere.
Unter den romanischen sprachen finde ich nur die neapolitani-
sche zuweilen das R vorausschieben: fremmare f. fermare, vregara f.
vergara.
Diese gegensätze sind characteristisch und höchst beachtenswerlh.
lautverbindungen wie lat. almus palma culmus vulpes vulgus mulgeo
algeo armus serpo parcus porcus artus mortis, gr. dlyog ßaXßig
f.ioX7ii] uQTog UQTI1], littli. ilgas silpnas pirmas Warnas girnos parszas,
oder wie nhd. halm halb silber balg milch volle walten arm dann erbe
darf arg mark art bart und eine menge solcher, die unserm ohr wol
lauten, widerstehn dem Slaven, der in entsprechenden Wörtern die
liquida von dem folgenden consonant sondert und dem wurzelvocal vor-
setzt. er zieht formen wie slama ramo mleko vladjeti trjeba brada
vor, die ihre consonantische kraft dem anlaut der Wurzel zuwenden,
während sie jene in den auslaut legen, wie jene mehr dem reim,
würden die slavischen mehr der alliteration Zusagen. Oft aber deutet
bloszes jerr des geschwundnen vocals stelle an und die böhmische
Schreibung läszt ihn ganz unbezeichnet in pik wlk slza pln trn trh
srdce u. s. w., wo der Pole ihn unslavisch vor die liquida rückt:
pulk wilk pelny tarn eiern ziarno sieqi serce pierwszy.
Das noch weichere russische organ pflegt aber beide weisen zu
vereinigen und die liquida zwischen zwei vocale zu fügen, wodurch
das wort eine silbe mehr empfängt: soloma moloko molodoi boroda
gorod korova vorobei muravei. ebenso verfährt das zend in vereka
lupus, erezata argenlum, die lat. spräche in calamus gelidus, die gr.
in y.aXdf.17] naXuf.it], die littli. in karalus parakas, die lettische in swir-
bulis, vorzüglich aber die ahd. in silapar miluh (auch goth. silubr
miluks) walah charal aram daram haram darapa warac farah puruc
furicha piricha u. s. w. Lat. Hercules rückt die in ‘HgcocXfjg vorste-
hende liquida hinter den vocal.
332 Diese dreifache gestalt derselben Wörter klärt nicht selten am
besten über ihre bescliaffenheit auf. dem lat. lac lactis, franz. lait
scheint unser milch ferner zu liegen, aus moloko und mleko erhellt,
dasz ihm vornen etwas mangelt und das welsche blith neben laeth
weist auf das ir. bleacht (neben lacht), dessen B dem M nahverwandt
FLÜSSIGE L. R
ist (ßvQ[xrt£, (ivQiii/£), im gr. yXuxrog ydXaxrog aber mit G wechselt,
der nnm. yuXa büszt die auslautenden consonanten ein. unwahrschein-
lich also wird der s. 32 vermutete Zusammenhang des ga- mit der
wurzel gaus, wie denn auch yuXa für die milch jedes thiers gilt, nicht
blosz der kuh. hatte sich dem Griechen etwa digammiertes FuXa
gebildet, so war der Übergang in yuXa, leicht, und ßdXavog gleicht
dem lat. glans. in den keltischen sprachen tauschen B V und M
allenthalben gesetzmäszig.
Manigfalte Benennungen des wolfs lösen sich in einheit; dasz
einzelne auf verwandte thiere übergehn, verschlägt nichts, die liquida
schwankt zwischen R und L, die muta zwischen gutturalis und labialis,
die anlautende spirans wird zuweilen getilgt, wandle man Xvxog in
FoXvxog, lupus in vulupus; auf der stelle sind sie dem sl. vlk, poln.
wilk, litth. wilkas, goth. vulfs nahgerückt und altn. ülfr hat sich gerade
so seines V enläuszert. in der labialis stimmen lat. und deutsche, in
der gutturalis gr. litth. und sl. zunge. die lat. hat auszer lupus das
vollere vulpes =» vulupus für den fuchs behalten, wie die unsere neben
vulfs zugleich vargs für eine besondere beziehung des friedlosen ver-
urtheillen feindlichen wolfs, und dasselbe vrag drückt den Slaven,
neben vlk, den bösen feind aus, im hintergrund liegt der begrif des
grausamen thiers. vargs und vrag sind doch offenbar die echteste
älteste benennung des thiers, skr. vrka, zend. vereka und pers. wieder
mit Übergang ins verwandte G gürk. demselben kehllaut begegnen wir
aber auch in lat. spräche und sogar zweimal, in hirpus und hircus.
hirpus bezeichnet in sabinischer oskischer mundart den wolf, wie Festus
und Servius bewähren, ja ein sabinischer stamm hiesz Ilirpi, weil den
einwandernden ein wolf führer geworden war, oder nach andrer sage
sie Wölfe gejagt halten und gleich Wölfen raubten, d. h. im sinn des
deutschen ausdrucks friedlos waren, hircus hingegen drückte den 333
Sabinern, oder vielleicht andern, bock aus und geht in fircus = FtQxog
über, was unmittelbar an vrka rührt, da lat. caper im gr. xdnqog
den wilden eher bedeutet (s. 35. 36) und auf den teufel des mittel-
alters wolf, eher und bock angewandt werden (mythol. s. 947. 948);
so läszt sich die gleichheit der Wörter kaum in zweifei ziehen, die
ungr. benennung des wolfs lautet farkas, was sich freilich aus fark
cauda, vielleicht aber richtiger aus jenem gürk und vereka ableiten
läszt und nirgends den abstracten sinn des sl. vrag annimmt, den
welschen namen blaidd, bretagn. bleiz mag man zum sl. wlk bringen
und B : W wie in brän wrana Warna fassen; doch das ir. faolchu
liegt ab und ist zusammengesetzt aus faol wild und cu hund. unsere
thierfabel stellt vortrefflich das gebannte raubthier des waldes dar, und
lehrt die nähe des wolfs und fuchses.
Auszer dem erörterten beinahe regelmäszigen vorrücken des L
und R treten zuweilen noch auffallendere Wechsel ein, die sich aus
ihrer flüssigkcit begreifen, so wandelt der neapol. dialect clero in
crelo, febre in freve, dielro in reto, vetro vitro in vrito, petra pietra
in prcta, wo das der muta nachstehende R vor sie geschoben wird.
€
k
£
€
k
€
€
FLÜSSIGE M. N
s. 222 vermute ich, dasz skildus aus skidlus entsprungen sei, eben
weil unsere spräche liebt die liquida auf den wurzelvocal folgen zu
lassen, xecpulrj skr. kapäla ags. heafela leiden vielleicht Vergleichung
mit sl. glava golova litth. galvva; gr. oinuXög ouplog blinzelnd scheinen
mir das sl. sljep” coecus und litth. silpnas debilis. dasz auch sljep
zumal auf blinzen geht, ersehe ich aus böhm. slepice, einer poetischen
benennung der henne, denn die naturgetreue thierfabel nennt den hahn
Chanteclins, den mit blinzelndem äuge singenden, und Leo malb. gl.
1, 129 deutet schon chanaswido hiernach.
Soviel von L und R, kürzer sein kann ich über M und N, durch
deren beider unmittelbares nebeneinanderstehn im alphabet schon ihre
nahe Verwandtschaft vorbestimmt scheint; wie aber M den rang vor
N hat und ein stärkerer laut ist, der in N geschwächt zu werden
334pflegt, steht ihm schon graphisch ein strich mehr zu, und es bindet
sich mit labialen, N mit gutturalen und lingualen, die. wiederum den
labialen nachstehn.
Dasz in den endungen und llexionen N auf älteres ursprüngliches
M zuriickgeführt werden müsse, lehrt die geschichte unsrer spräche
allenthalben, den mlul. dichtem ist gestattet auslautendes M in N
zu wandeln, um es auf organisches N zu reimen (gramm. 1, 386);
niemals aber umgekehrt. viele llexionen erfahren bleibend diese
Schwächung, das goth. M aller dat. pl. beginnt schon ahd. N zu
werden, ebenso das 31 der prima pl.; aber alle acc. sg. masc. zeigen
bereits goth. -ana, ahd. an, ags. -ne statt des lat. -m, alle deutschen
subst. haben im acc. sg. -m eingebiiszt, es heiszt goth. sunu filium,
magu puerum, ahd. fateran patrem, wie gr. tiut^qu statt des skr.
pitaram. dem deutschen neutr. fehlt der ausgang des skr. -am, lat.
um allgemein, der gr. ist in -ov geschwächt, die goth. pronomina
bilden den acc. ina Jiana hvana, ahd. in den huen, ov tov, lat. eum
quem, statt des lat. acc. sg. fein, eam illam bonam zeigen die gr.
schon t/]v xah]v (.ilXaivav. in den zahlen septem novem decem
behauptet die lat., in sedm osm die sl. spräche den ausgang M, wo
im skr. schon saptan aschtan navan dasan steht; dagegen aham und
tvam, azem und tüm, mahjam und tubhjam (s. 257. 258) in den
übrigen sprachen 31 zu N schwächen oder völlig abslreifen. skr. mama
mei wird im zend zu mana u. s. w. im gr. ovo/ua, ir. ainm (s. 153)
steht N3I für 31N.
Anlautendes oder wurzelhaftes 31 scheint nur selten dem Über-
gang in N ausgesetzt, ein beispiel bietet die prohibitivnegalion skr.
mä, pers. me, gr. f.irj, die schon lat. zu n6 geworden ist, und sich
von der einfachen negation skr. na, pers. ne, goth. ni, sl. ni scheidet
(gramm. 3, 744.) da die prohibition ihrem begrif nach stärker ist
als die blosze Verneinung, so mag sie mit recht ein nachdrücklicheres
31 begehren. Im bask. pronomen sahen wir ni für mi, im ungr. 6n
für em eintreten (s. 265.) Bekanntlich heiszt die frucht /.itamkov
lat. mespilum schon ndat. nespila, it. nespola, sp. nispola ncspera,
335 franz. nefle, ahd. mespila und nespila, poln. nieszpulka, böhm. nvspule,
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FLÜSSIGE M. N
235
ungr. naszpolya, nhd. hat man mispel hergestellt, zu madidus hält
sich unser ahd. naz, goth. nals. Im böhm. mravv mos dauert M, die
übrigen sl. sprachen haben nrav, poln. narow, wäre das M ursprüng-
licher und lat. mos moris verwandt, so läge, wenn dies aus mosis
entspringt (s. 315), zugleich beleg für den Wechsel des sl. S und
R vor.
Für diese beiden liquiden ist nun der wichtige grundsatz aufzu-
stellen, dasz in wurzeln, die mit einer labialis schlieszen M, in solchen,
die auf gutturalis oder lingualis ausgehn, N vor der muta aufsteigen
könne, sie gleichen dem zwischen zwei vocalen entstehenden S, das
in R geschwächt wird.
Meine academische abhandlung, welche sich den entsprung von
diphlhongen an der stelle wegfallender stummer consonanten zum gegen-
ständ nimmt, ist auch auf beispiele jener MB NG NI) eingegangen, in-
sofern daneben zugleich diphthonge gezeugt wurden, häufig aber ergibt
sich liquida vor muta ohne dasz diphthonge im spiel sind oder auf-
gewiesen werden können.
Die sl. spräche musz diesen drei formein abspenstig sein aus der
vorhin bei L und R entwickellen Ursache: wie kein L und R mag sie
auch kein M und N hinter dem wurzelvocal entfalten, nur der poln.
dialect, aus welchem auch dort die meisten ausnahmen genommen
wurden (s. 331), gewährt hier oft einen nasallaut, der den vorstehenden
vocal afficiert und ohne M oder N geschrieben zu sein, diesen sehr
nahe kommt.
So ergeben sich poln. dab quercus, debina quercetum, zab dens,
babel liulla, beben tympanum, pepek umbilicus, glebia profunditas, hak
onocrotalus, laka pratum, meka martyrium, reka manus, trad lepra,
blad error, sad judicium, madry prudens, kat angulus, ges anser, gasie
anserculus, welche nach deutscher aussprache lauten domb dembina
bonk trond gcns u. s. w. den übrigen Slaven bleibt aber dies M und
N fremd und die böhmischen Wörter sind dub zub bubel buben pupek
blaubka bauk lauka muka ruka trud blud saud maudry kaut hus hause;
im schwanken zwischen U und AU könnte eine leise annäherung an 336
den flüssigen laut gefunden werden. In entsprechenden litlb. Wörtern
tritt aber dieser ollen auf, laka w'ird lanka, Lech Lenkas, reka ranka,
tysiac tukslantis; doch in einigen unterbleibt er*: muka cruciatus,
naudrus alacer, was dem ahd. muntar entspricht, wie ich gesucht habe
dab dub dem goth. timbr, ahd. zimpar zu vergleichen, die deutlich
das gr. devÖQOv sind, von de/uw — limrja. poln. wegiel böhm. uliel
ist unser winkel und lat. angulus. nicht anders stehn ges und hus
dem ahd. gans gegenüber, trad trud ist das goth. jiruts, welches aus
Jmilsfill cutis leprosa gefolgert werden kann; kat entspricht sowol
nhd. nnl. kant, als litlh. kampas und Mambas, auf ähnliche weise ver-
* auch der Leite pflegt N zu tilgen, für litth. ranka tinklas langas vvandu
szwcnlas liat er rolika tihkls lohgs uhdcns swehts.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
e
G
>
C
236
FLÜSSIGE M. N
mittein sich dantas dantis zant und sub zab (s. 115)*. M vor labialen
haben viele litlh. deutsche und lat. Wörter, litth. bamba umbilicus
(jenes poln. pepek), wambras labeo, gumbas colica, dumples follis,
tempiu extendo, kumpas curvus; sprachgemäsz wäre jenes patrimpa f.
poln. potrzeba (s. 328), aus dubus cavus entfaltet sich iszdumbu ex-
cavor, wie aus lat. cubo accumbo goth. anakumbja, aus Xaßuv 7ax/.i-
ßüvw. dem skr. abhi litth. api steht gr. uf.api lat. ambi abd. umpi
ags. ymbe zur seite. gr. y.o)(p6g ist alts. häb häf, abd. hamf, goth.
hanfs; zu welschem du niger gehört ir. dubh, altn. daufr obscurus
und surdus, abd-toup und tump, goth. dumbs, abd. timpar timbar
obscurus.
Für Tahiti Tanfana Tamfana und templum wurde s. 231 die Wurzel
tap angenommen, welcher auch altn. dampi vapor, abd. damf ent-
sprieszen. eben dahin gehörig scheinen das welsche tan ignis tanfa
explosio vapor, ir. teinn ignis; im welschen tanfaen Feuerstein erwächst
aber F aus Zusammensetzung von tan mit maen lapis.
Auffallend zeigt die goth. spräche neben NS in ans trabs, ansts
amor, bansts horreum, gansja praebeo, hansa cohors, Sansala (Waitz
337 Ulf. 43), mins minus, plinsjan saltare poln. plasac, |)insan trahere runs
cursus, suns stalim, hunsl sacrificium entschiedne neigung zu MS in
folgenden, groszenlheils schwierigen Wörtern, amsa Luc. 15, 5 w/uog
humerus, kein fehler für ahsa, da skr. ansa denselben begrif ausdrückt
und lat. ansa handhabe, zugleich axis. mims caro (vor aiv I Cor. 8, 13
mimz), poln. mieso, sl. mjaso, böhm. maso, litth. miesa, alban. mischa,
skr. mänsa; im begrif verschieden, der form nach ähnlich sind das
lat. mensa, goth. m6s, ahd. mias, sp. mesa. auszer svumsl piscina,
von svimman natare, kommt Joh. 9, 11 svumfsl vor, M scheint F
gelockt zu haben**; ebenso beurlheile ich ahd. amfsla amphsla für
amsla amisala (Graff 1, 254.) stände für gramsts festuca hramsts, so
liesze es sich deuten hramfsts — hrafsts = xapcpog yaqnig von
bramjan figere. jmamstei locusta führe ich auf {»rimman saltare zu-
rück: thes tliramm imu an innan möd, Hel. 152, 20 das herz hüpfte,
schlug ihm heftig; die heuschrecke wird aber in allen deutschen
sprachen die springende genannt, der erdwühlende hamster hiesz ahd*.
hamislro hamaslro, was die glossatoren mit dem kornschädigenden
curculio mengen; sollte dies wort entspringen aus hamfstro von hamf
= xeoepog und eigentlich auf den blind und taub geglaubten maulwurf
gehn? da hamf den fehler jedes sinnes auszudrUcken scheint; beide
thiere, talpa und cricetus, heiszen erdmaus, feldmaus. Aus alts. thimm
obscurus entfaltet sich ein gleichbedeutiges thimstar, mnl. dimster,
und nach ausgestosznem M diphthongisches thiustri, ags. jjyslre,
welchem jedoch dim (statt f>im) zur seite steht; dem thimstar aber
gleicht ahd. finstar. ahd. winistar sinister scheint ähnlich gebildet.
* Wechsel zwischen MP und NT im goth. sinteino, lat. semper, ahd. simplura,
alts. simbla simla; nsfine und nsvre (s. 242.)
** wie im franz. humble humilis, ensemble = insimul, sp. hambra fames,
hembra femina.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FLÜSSIGE M. N
237
Zu thim und dim halte man skr. tamas caligo, sl. t’ma, böhm.
tma, im adj. temny poln. ciemny, litlh. aber tamsus caliginosus und
tamsa caligo, die jenem dimster nahe treten, vgl. ahd. dunchal.
Der Ortsname Minden entspringt aus Mimidun Mimithun.
Unter allen deutschen sprachen ist die altn. dem ausstosz des 338
M und N vor P, K, T am geneigtesten und pflegt dann muta zu dop-
peln: kappi pugil, ags. cempa, ahd. chempho; slappa calcilrare, nhd.
stampfen; frakki vir fortis, ahd. Franeho; jiakka grates agcre, ahd.
danchön vgl. poln. dziek = dank; döckr obscurus, ahd. dunchal;
halt ligavi, ahd. pant; völtr chirotheca mlat. wantus, franz. gant. bei
NS unterbleibt die doppelung, aber der vocal wird verlängert: äs trabs
golli. ans; gäs anser ahd. kans; bäs horreum golh. bansls. MB NG
ND hingegen erhalten sich meistenlheils.
Da N im altn. auslaut häufig wegfällt, z. b. ä t für golh. ana
in steht, und der Infinitiv auf a, oder die tertia pl. praet. auf u statt
golh. an un ausgehn; so lag es nahe auch der tertia pl. praes., die
golh. -and, ahd. -ant, ags. -ad lautet, bloszes -a zu geben.
Ebenso meiden die Slaven M oder N vor stummem cons. in der
zweiten silbe. dem lat. columba entspricht sl. goljab, böhm. holub,
poln. golatb.
Das latein hat die fülle von M und N vor stummen consonanten
da, wo weder sanskrit noch slavische spräche sie entfalten, salam
und sto finden sich neben centum und hund (s. 251); sl. vjetr”, litlh.
wetra neben lat. venlus, golh. yinds; skr. asis neben lat. ensis; skr.
radschatam, zend. erezata neben argenlum. In der Bewegung lateini-
scher verbalflexion wird oft sichtbar, wie die liquida auflritt oder
schwindet, die praesenlia rumpo frango findo hegen, die praeterita
rupi fregi fidi lassen sie. in brika brak, breche brach mangelt sie
auch uns. da die reduplicationen der allen form anhängen, so folgt
aus tango pango pungo tundo scindo, letigi pepigi pupugi luludi scidi
f. sciscidi, dasz der unfliissige ausdruck dem flüssigen vorausgieng.
golh. töka tailök, slauta staistaut, fahan faifah, hahan haiha sind ganz
ohne N, standan stüj) bat es wieder nur im praesens, dem ahd.
slantan stuont gieng ein älteres stuot voraus, und fangan fiang, hangan
hiang sind jünger als fähan fio (?), hähan hio (?), welche praet. noch
durch die mhd. vie hie gewährt erscheinen, altn. föck nimmt im pl.
fengum an.
Wie die einzelnen mutae untereinander tauschen, können sie es 33t)
auch in Verbindung mit M und N, z. b. purnp fimf ist = ntvxt
penki; timbr = ötvÖQOv (s. 336); lambo, faimco Xtla(pa, ahd. lafu
luof berührt sich mit lingo, Xtr/w, ahd. lecchöm, sl. liziu, litth. laizau
und das aus dieser wurzel geleitete lingua liefuwis zeigt im poln. j^zyk
(s. 320) annäherung zu N. mit dingua stimmt luggö*.
Dies luggö lehrt in Schreibung und aussprache wie sich NG ent-
* it. conte, sp. conde entspringt aus comite nach Wegfall des vocals, conto
aus computo; franz. ante tante aus amita, it. sentiero franz. sentier aus semita.
238
FLÜSSIGE M. N
wickelte; auch das gr. iT musz ursprünglich dicker gelautet haben,
bevor es völlig NG wurde. Aber wie die goth. spräche GG aus G
zeugte, liesz sie auch DD aus D, und, die theorie musz es vorläufig
glauben, BB aus ß hervorgehn, welche GG DD BB allmälich übergiengen
in NG ND MP. goth. aggvu ist ahd. enki, goth. siggva ahd. sinku
singu, also darf fiir goth. manariggvs milis ahd. entweder manarinc
oder manariuwi (wie für triggvs triuwi) gesucht werden. Der Beispiele
für DD sind wenige, goth. vaddjus === ahd. want, für iddja machte ich
ital. andai geltend, dem BB entgeht jeder goth. beleg; die sich ebnende
weichende meerllut könnte ibba ibbö geheiszen haben, wie ags. ebba
ebbe, und ahd. rathe ich auf impo impä. das anklingende impi apis,
examen apum, zeigt uns ein der wurzel apis zugewachsnes M, vgl.
umpi aus skr. abhi.
Zusammensetzung kann N in M wandeln, wenn labiales, M in N,
wenn linguales und gutturales anrühren: lat. imberbis impubes, con-
cedo contendo; ahd. umpiderpi (Gralf 5, 217. 218) umbiruah (Gralf
2, 378) impiz pramlium (Graff 3, 231) nhd. ambosz f. ahd; anapöz;
ahd. spambette (Graff 3, 51) mhd. spanbette. Parz. 790, 21. aus
gleichem grund wechseln MP und NT in empfangen empfinden entgehn
entdecken. viel dergleichen gewähren verschrumpfle eigennamen:
Bamberg für Babenberc, Lampert Gumpert f. Lantperht Gunlperht,
Limburg f. Lintpurc.
340 In die abgründe der Wortforschung stürzt es aber dem Ursprung
solcher M und N nachzuspüren, die zwischen vocalen aufwachsen,
ohne dasz stumme consonanlen im spiel sind.
Wie verhält sich N im goth. meina [>eina seina neben mei tui
sui? ich habe es s. 262 aus dem M in mama gedeutet und die
abweichung des tava von mama, wie des tebe sehe von mene ange-
zogen, um die unorganische ausdelmung des N auf Jieina seina glaub-
lich zu machen, aber die analogie der deutschen und lat. formen
ist bedeutsam und gilt auch für die possessiva: das N der franz. mon
ton son stimmt ganz zum deutschen min din sin, während die it. mio
tuo suo sich noch ans lat. mens tuus suus schlieszen. Vom N in
unus ains wienas s. 241.
Aus sus suis, avg avög, sü süwi werden durch N sl. svinia,
goth. svein abgeleitet. Zum seltnen ortet axiov gehört das in deut-
scher zunge allgemein verbreitete stains stein, zum lat. apis, it. ape,
franz. abeille das ahd. pia, welchem pini entsprieszt; die aphaeresis in
pia scheint bestärkt durch die it. nebenform pecchia und das sl.
ptschela, poln. pszczola böhm. wöela. welchen goth. namen man
vermuten darf? bizva? nach dem ags. beo, altn. by und der analogie
von izvis zu eov, iu. litth. bitte, keins der übrigen Wörter kommt
dem wollaut des ahd. bei.
Fragt es sich nach dem slavlschen und deutschen gegensatz in
bezug auf voranstehn oder naehfolgen der liquida auch bei M und N,
so erscheint er hier weit seltner als vorhin bei L und R. entweder
stimmt in beiden sprachen die folge der laute z. b. in gnjezdo nest,
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FLÜSSIGE L. N 239
snjeg” snaivs nix, oder die sl. Wörter mangeln uns, z. b. zmi'i draco,
dno fundus. Zu gewahren ist aber der unterschied in tma caligo,
tamsus und dimster; poln. mnie bölim. mne, golh. meina mei; mnog”
golh. manags; rnnii minor, gotb. minniza. sollte nicht noga pes un-
mittelbar das alid. ancha crus sein, wovon anchala talus, altn. ökull
abstammt? auch enincbil enkel nepos, sl. vnouk”, poln. wnek zu er-
wägen. Eine merkwürdige ahd. Umstellung scheint Notkers neimen
für meinen.
Wechsel zwischen L und N im reinen anlaut der wurzel ist 341
schwer aufzuweisen, man führt nach Varro 7, 87 lympha und nympha
an; die vv/ucpri ist heilige wasserfrau, nicht das element. litlh.
lakstzingala scheint ahd. nahlicala. in Verbindung mit andern conso-
nanten findet der tausch statt: ahd. sliumo f. sniumo cito; snegilmelo
f. slegimelo (Graff 2, 713); nhd. knoblauch f. kloblauch; die Serben
sagen mlogi f. mnogi. das ags. cild, engl, child ist alts. kind* in
ableitungssilhen werden noch mehr beispiele Vorkommen: lat. asinus
golh. asilus, ahd. esil, ahd. organa und schon orgela, nhd. orgel
(Graff 1, 468); ahd. scarno scerninc cicula und scerilinc (Graff 6,
533. 550); ahd. chumin chumil (Graff 4, 399) nhd. kümmel. roma-
nische beispiele sammelt Diez 1, 235. Wichtiger ist das verhalten
der laute zwischen skr. anjalaras, litlh. antras, golh. anfiar, ahd. andar
und alis, ahd. ali eli-, lat. alius, gr. aXXog.
XV.
DIE STUMMEN.
342 Gegenüber den wehenden und flüssigen consonanten stehn die
stummen, welche den eigentlichen festen bestandlheil der spräche
bilden: auf ihnen beruht seinem wesen nach der consonanlismus.
in den Spiranten und liquiden liegt noch etwas von der vocalischen
natur; man kann sagen, dasz zu ihnen die mutae sich verhalten, wie
zu den vocalen überhaupt die consonanten. stumm heiszen sie, weil
sie für sich selbst nicht ertönen, erst durch Zutritt der vocale oder
wenigstens der Spiranten und liquiden vernehmbar werden, dann aber
einen sehr bestimmten und entschiednen laut von sich geben.
Nirgend waltet das trilogische geselz der spräche unverkennbarer
als in diesen stummen consonanten, da sie sich nach drei Organen
jedesmal dreifach abgesluft entfalten, es sind ihrer folglich neun, und
ihre anzahl tritt sowol den drei urvocalen als den je zu vier erschei-
nenden Spiranten und liquiden bedeutsam entgegen, die volle organi-
sche ausstatlung einer spräche beträgt hiernach gerade zwanzig laute.
Die drei in anschlag kommenden sprachwerkzeuge sind lippe
kehle und zunge, wie sie schon die Ordnung des gr. alphabets er-
kennen läszt, in welchem auf A unmittelbar B G 1) folgen, damit
anzuzeigen, dasz nach dem edelsten aller laute diese drei als die
wichtigsten der übrigen, gleichsam als die grundlage der consonanten
343anzusehn seien. Das im lat. alphabet die dritte stelle des G ein-
nehmende C war anfänglich kein andrer buchstab und empfieng erst
misbräuchlich die bedeutung des gr. K, nachdem für G ein abgeän-
de'rtes Zeichen eingeführt worden war. näheres gehört in die ge-
schichte der schrift. hier sei nur angemerkt, dasz auch das gotli.
alphabet die organische reihe des phönizischen hebräischen griechischen
für diese vier ersten laute festhält, das cyrillische und glagolitische
der Slaven durch einschaltung des V nach B stört, auszer acht lasse
ich hier die abweichende Ordnung des sanskrilalphabets *.
* das armenische läszt auf A statt B G D folgen PKT; es ist aber, wie
seine 36 buchstaben kundgeben, von der alten einfachen Ordnung gewichen.
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STUMME
241
Im sanskrit scheidet man aber auch zwischen guttural und palatal,
zwischen lingual und dentallaulen, insofern einzelne mehr vom gaumen
als der kehle, mehr von den zähnen als der zunge hervorgebracht
werden, spirantes und liquidae treten dann nicht gesondert vor, viel-
mehr sind sie theils den stummen zugeordnet, theils als halbvocale
aufgeführt, von welchen zuletzt noch Zischlaute getrennt werden. So
nothwendig diese gliedrung für das sanskrit selbst erscheint, enthalte
ich mich dennoch sie für meine zwecke zu verwenden, um so mehr,
da auch griechische grammaliker dentales linguales und palatinae zer-
legen und anders auslheilen. über die labiales kann kein zweifei
obwalten. Es ist vollkommen begründet, dasz sich ihnen M, den
andern stummen hingegen N näher anschliesze, wie die vorausgehende
Untersuchung dargethan hat; ebensowenig läszt sich verkennen, dasz
die zunge mit L, die zähne mit R und S zu schaffen haben, welche
laute von den sankritisten weder den dentalen noch lingualen über-
wiesen sind. Die Spiranten und liquiden vorweg und für sich abzu-
handeln fruchtete gleichfalls.
Bei jeder der angegebnen drei äuszerungen stummer consonanz
finden nun drei stufen statt, nach welchen man tenues mediae und
aspiratae zu unterscheiden pflegt, tenues, die den festesten und zugleich
dünnsten, mediae, die den weicheren, aspiratae, die den mit einer 344
spiions versetzten laut enthalten*, ich lasse die hergebrachten namen,
obschon sie mir nicht fügen, da die folge der stufen die unrichtige
ist. alles zeugt dafür, und der verfolg wird es bewähren, dasz
die mediae grundlage des stummen mitlauts seien, weshalb auf-
gestellt werden musz B D 0, P T K, PH TH CH. hiernach stehn die
mediae vornen, nicht in der mitte, und ihre benennung scheint un-
passend.
Wie einzelnen sprachen die jüngere entfallung der vocale E und
0 abgeht, andere L oder R entbehren oder ausschlieszlich eine spirans
begünstigen, die andere vernachlässigen; so gibt es auch solche, die
eine stufe der stummen consonanlen oder gar zwei derselben nicht
haben, dos griechische und deutsche besitzen alle drei, am vollkom-
mensten das griechische; einzelne unserer dialecte, namentlich der
niederländische und niederdeutsche überhaupt, gehn jedoch des T1I und
fast des ClI verlustig, hierzu stimmt merkwürdig das latein, welchem
gleichfalls CH und TII mangeln und F oder PII, so häufig es anlautet,
im inlaut nur geringen umfang hat: auszer scrofa sulfur und ofla
werden wenig Wörter aufzuweisen sein; scapha scyphus raphanus
orphanus amphora sind aus dem griechischen, suffio sufflo assimilieren
subfio subflo. Dem lilthauischen entgeht die aspirala ganz, dem sla-
vischen ist nur CII, nicht P1I und TII eigen, das finnische beschränkt
seine stummen consonanten auf PKT und zeigt weder media noch
asp., woraus grosze einfachheit des finn. consonanlismus hervorgeht;
* den Griechen heiszen die aspiratae aroixela Saosa, die tenues ipihx, und
zwischen solchen rauhen und kahlen liegen die fisaa.
16
ft
li
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
242
STUMME K. P. T
rechter gegensatz zur griechischen fülle *. im slavischen waltet ein
reichthum an zischern, dem des sanskrit vergleichbar, wundersam
ist aber die keltische manigfaltigkeit des Wechsels, welchem die con-
sonanzanlaute durch den vorangehenden auslaut unterworfen werden.
345 Der aspiration ist ein weiterer Spielraum zu gestatten, als ihn
die aufgestellte lautordnung angewiesen hat. warum sollten des Spi-
ritus blosz die tenues fähig erscheinen? auch die mediae fügen sich
ihm in der altsächsischen, theilweise noch der niederländischen spräche,
im keltischen nicht allein mediae, sondern auch die liquidae, was
beachtenswerthe analogie zwischen Kelten und Westdeutschen gründet.
Gleich den vocalen, Spiranten und liquiden unterliegen auch die
mutae einem manigfachen, für die geschichte der spräche lehrreichen
wechsele
Wiederum trägt er sich zu sowol zwischen verschiednen urver-
wandten sprachen, als auch in den mundarten einer und derselben
spräche, ja, gleich dem umlaut und der brechung (s. 275), innerhalb
der lautverhältnisse und flexionen einer einzelnen spräche. Und wie
der gebrochne, umgelautete, abgelautete vocal fühlbarer und reger
wirken, als die erst aus Vergleichung mehrerer sprachen erkennbare
Schwächung des A in U und I; so erscheinen auch die engeren ge-
setze des consonantischen wandeis für jede spräche eingreifender als
die, welche sich in dem weiteren kreis der alle sprachen umfassenden
Urgemeinschaft kundgeben.
Das gegenwärtige capitel wird diese letzteren voraussenden und
an die erörterung der Spiranten und liquiden reihen, lautabstufung
(so will ich den inneren consonantwechsel nennen) und lautverschiebung
bleiben den folgenden capiteln aufbehalten.
Vor allem angeregt findet sich die forschung zu untersuchen,
welche gunst einzelne sprachen bestimmten Organen des stummen
mitlauts erweisen? sei es in ganzen durchgreifenden richtungen oder
nur hier und da.
Das wichtigste Verhältnis in dieser beziehung, dünkt mich, ist das
der frage und antwort, wie es sich hauptsächlich in den correlativ-
partikeln darlegt.
Die frage will nicht nur durch den ton, sie musz auch durch
346bestimmte consonanten hervorgehoben sein, dasz sie nicht überhört
werde, gleich entschieden hat ihr die antwort mit dem anlaut eines
andern organs zu entsprechen.
Für beide, frage und antwort scheint ursprünglich die media
nicht gerecht; es bedarf dazu der regeren, unruhigeren tenuis.
Das sanskrit, zend, latein, lilthauische, slavische, irische und fin-
nische fragen mit K, antworten mit T, wogegen das griechische, oski-
sche, welsche zeigendem T der antwort fragendes P zur seite stellen.
' einzelne lat. und gr. fragwörter entbehren jedoch der characteristischen
* ausnalime macht das inlautend aus S entfaltete D: esi prior eden, susi
lupus suden, käsi manus käden.
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STUMME K. P. T
243
tenuis. auch die deutsche spräche fragt ursprünglich mit kehllaut und
antwortet mit Zungenlaut, aber beide sind von der stufe der tenuis
herabgetreten, was bald gänzlichen Wegfall der gutturalis nach sich zieht.
skr. kas kä kim? zend. kas kä kat? lat. quis quae quid (quod)?
litth. kas kä? ir. cia cä? goth. hvas (hvö) hva? ahd. huer (huiu)
huaz? später mit abgeworfnem kehllaut werwaz? finn. ku? und ver-
stärkt kuka? kunka? lapp, kä? und kutte? sl. k”to quis, gen. kogo,
im neutr. tsch’to quid? poln. kto quis? co quid? böhm. kdo? co?
das blosz im nom. sg. masc. neben K auftauchende T gilt fiir demon-
strativen zusatz, kto gleichsam wer das?
gr. rig xig xi für nig nig ni; wie in der vierzahl xtoßaQtg für
ntaauQtg (s. 242.) osk. pis? im neutr. pid? (Mommsen s. 114)
pidpid = quidquid, bei Festus pitpit, und pud = quod. welsch pwy?
quis, pa? quid.
skr. kataras? lat. uter? für cuter quuter? jon. xoxtQog; goth.
hvafjar? ahd. huedar, dann wedar? fmn. kumpi? gr. noxegog;
nicht anders verhalten sich die übrigen fragewörter, z. b. skr.
kutra? lat. ubi f. cubi quubi? litth. kur? goth. hvar? ahd. huar?
war? goth. hvaiva? ahd. huio? wio? sl. kako? litth. kaipo? lat.
cur? gr. nov; nüg;
Dieser richtung des K und P begegnet nun auch in der vierzahl
das lat. quatuor, litth. keturi, ir. ceathair und welsche pedwar, auszer
dasz sich hier goth. fidvör ahd. fior, osk. petora, aeol. ntovyeg dem
lippenlaut gesellen, xtocsaQtg dem Zungenlaut bequemt, skr. tschatvär, 347
sl. tschetyri, lett. tschetri hingegen den zwischen zunge und gaumen
liegenden laut TSCH annehmen.
ln der fünfzahl sehn wir lat. quinque, ir. cuig sich zu welschem
pump gr. ntj.iTU ntvre, osk. pomtis wie in den fragwörtern verhalten,
diesmal aber skr. pantschan, litth. penki, sl. pjat’, goth. fimf auf der
seile des lippenlauts. Auch im litth. dwylika gegenüber goth. tvalif,
und in ähnlichen Zusammensetzungen (s. 246) treten diese K und
F auf.
Am reinsten wahren also lat. irische und welsche spräche in diesen
beiden zahlen den durch die fragenden laute ihrem organ eingeprägten
unterschied; alle andern weichen hier oder dorthin aus.
Sonst aber, in manchen einzelnen Wörtern, verkehren sich diese
laulverhältnisse; es bleibt anziehend ihren Wechsel, wo er sich auch
finden möge, zu verfolgen.
Die gutturalis steht fest in vrka vrag vargs, vielleicht hircus,
dann in kvxog vlk wilkas, die labialis dagegen in vulpes lupus vulfs
und etwan in blaidd (s. 333); an der einen oder andern form hängen
sogar verschiedne und neben einander gültige bedeutungen. das P in
lupus vulpes, war es dem oskischen sabinischen element gemäsz, und
hätten andre Stämme der römischen spräche K zutragen können, die
ihr auch hircus brachten? hirpus war freilich oskisch, doch soll hircus
fircus, wenn die künde nicht triegt, zugleich sabinisch sein.
Bekannt ist der wechselnde kehl und lippenlaut im namen eines
16*
244
STUMME K. P
andern thiers. neben lat. equus, zu welchem goth. aihvus oder aihvs,
alts. ehu, altn. ior, ir. each stimmen, mutmaszt man ein oskisches
epus und gr. i'nog, wovon die rosgöttin Epona und ’Enuog, des tro-
janischen rosses schmied, genannt sein sollen, das finn. hepo hielt
ich s. 30 hinzu, die geminata in ‘innoq (und nach dem etym. magn.
474 auch l'xxog) scheint aber zunächst entsprungen aus l'anog, nach
dem pers. med. ispa, zend. aspa und so zum skr. asva, litth. aszwa,
welschen osw lenkend; die beiden letzten sprachen haben es blosz
348 für den begrif der Stute festgehalten, das deutsche IIV, lat. CV stände
folglich = SV (SHV); oder will man l'xxog aus l'xFog deuten?
Auch in goth. ahva, ahd. aha, lat. aqua, walach. apa und in
altdeutschen flusznamen -afa -apa scheinen gutt. und lab. zusammen-
zutreffen. hier weist die sanskritform ap, kein asv, vgl. 'Ani s. 233.
Dem verhalten der laute in equus und hepo epus gleicht aber
das in sequor und tnco tno/xui (S und spir. asp. nach dem s. 299
dargelegten gesetz) und nicht zu tibersehn sind die aoristformen tonov
antTv, onüv, weil sie jene berührung zwischen equus und ispa aspa
anschaulich machen.
Nur auf diesem wege mag gestattet sein vorzudringen in das
dunkel der Verwandtschaft zwischen lat. scire = secire * sequire,
(sequi), goth. saihvan, skyth. anov (s. 233) lat. spicere ahd. spehön
und skr. akschi oculus. selbst die lat. sagax und -spex rücken zu-
sammen.
Dem lat. jecur jecoris und (jecinus) jecinoris entspricht die skr.
doppelform jakrit und jakan, pers. dsheger; mit lippenlaut hat, die gr.
spräche rjnaQ rjnurog, was auch in lat. epar und hepar aufgenommen
ward, im litth. pl. kepenos mag K das J vertreten, und jepen dem
jecinus oder jakan gleichen; lett. aknis = jaknis. ahd. lepara, ags.
lifer, altn. lifr, wie es scheint, für jepara (s. 320); gerade so arme-
nisch leart für jeart? welsch afu oder blosz au. sl. jatra, böhm.
gatra, poln. watroba mit Vorschub des T in'jakrit und leart und
ausslosz des K oder P. Statt des welschen pasc ostern sagt man
ir. caisc.
Diesem Wechsel zwischen P und K sollte ein paralleler zwischen
B und G entsprechen, der aber selten wahrgenommen wird; ich hielt
s. 32G bleacht zu ylüxr und ßuXuvog zu glans.
Ungleich häufiger tauschen PH und CH, so wie das aus CH er-
weichte H. alllat. galten fasena, fircus, fostis, fostia, fordeum, foedus
für harena (arena), hircus hostis, liostia, hordeum, hoedus und zum
349kehllaut fügen goth. gasts ahd. käst, ahd. kersta gersta (s. 65) goth.
gaitsa gaitei ahd. keiz (s. 35. 36); vielleicht dultet harena Vergleichung
mit ags. ceosel, ahd. chisil. lat. fei ist gr. yohfj, ahd. kalla galla;
lat. fundo fudi gr. yko yvdtjv, goth. giuta ahd. kiuzu; lat. llos floreo
verwandt mit yXorj yXcogog, vielleicht mit lat. helvus, das R = S
sprieszt in diesen Wörtern wie im ags. blövan blösma, vgl. y^voog
* Haupts Zeitschrift 6, 2.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
STUMME CH. F. PH. TH
245
(s. 13.) dem sp. organ wandeln sich fast alle lat. F in H: fatum
liado, falco lialcon, farina harina, facere hacer, foenum heno, filius
liijo. Zu jenem flos und yloog schickt sich nun ganz, dasz in den
reali di Francia Fiovo für Chlovis Louis gesetzt wird* und seine söhne
Fiore und Fiorello heiszen, wie schon alte hss. Flodouechus Flotharius
filr Chlodouechus Chlotharius darbieten; Flodoardus remensis schrieb
sich so, und der Übergang in Frodoardus machte sich leicht, mit allem
fug hält Wackernagel mlat. floccus froccus, franz. froc und frac zum
ahd. hrocch, nhd. rock, it. fianco, franz. flaue zu ahd. hlancha lancha
lumbus, tadle, wo der leib gelenkt ist**, denn des Wortes eigentliche
bedeutung war catena articulus, altn. hleckr, schwed. länk. hiernach
gewinnt es allen schein, dasz zu fairguni der ‘Eyxvviog Sqvfiog (s. 177),
die Hercynia silva (s. 166) gehöre (Haupt 2, 558), ja Fairguneis und
Perkunas dürfen sich vielleicht dem Hercules nähern.
Inlautendes FT ist hochdeutscher zunge, CHT niederländischer
gemäsz: kraft kracht, schaft schacht, luft lucht, klafter lachter u. s. wr.,
obwol einzelne CHT jener aufgedrängt wurden, Schlucht f. schluft,
nichte f. niftel, sachte neben sanft.
Auch P und T ersetzen einander, ein beispiel gibt ntovQtg
ug, petora und TtroQzg (s. 242.) das finnische pimiä
ürt zum skr. tamas, sl. t’ma und deutschen dim thim
Häutend entspricht lat. nepos neptis ahd. nefo niftila, altn.
ftim. neli (s. 270) goth. nij^jis alt. nidr.
stehn sich sonst gegenüber PH und TH. ahd. finstar350
I thimstar dimstar. aeol. cp tjq lat. fera, gr. frr]Q goth. dius ahd.
.i^.< woneben sl. zvjer’ litth. 2weris (oben s. 28.) lat. fumus, gr.
d-v/.iog, litth. dumai, goth. dagms? (vgl. dauns) ahd. toum, womit
wieder sl. zv’njeti sonare, zvon’tz’ tintinnabulum, litth. zwanas lat.
sonus vergleichbar, da sich duft wie schall durch die luft schwingen,
lat. fores, gr. &vqu, goth. daurö ahd. turi tör, sl. dv’r’, litth. durrys,
lelt. durris und durwis, ir. doras dorus, skr. dvära. lat. fistulare
wahrscheinlich eins mit sl. zvizdati gvqi^hv. Merkwürdig schwankt in
einzelnen Wörtern die ags. und altn. mundart zwischen F [), ags. fengel
und jaengel rex: visa fengel Beov. 2800. hringa {aengel Beov. 3013.
manna fengel Caedm. 188, 24 und ebenso altn. fengill und {aengill;
altn. fön und Jaön lamina cornea; lat. facula, ahd. fachala fax, lampas,
ags. faäcele; ahd. fihala fila lima, ags. feol, altn. ftiöl, schwed. dän.
fil, litth. piela, pelyezia, poln. pilnik.
Alle diese lauten vor vocalen an. goth. j)L j)R entsprechen aber
auch ahd. alts. FL FR: jalaihan ahd. flöhan, j)liuhan ahd. fliohan
|>lauhs fuga; lat. flaccus goth. fdaqus; goth. j)rafstjan consolari,
Jirafsteins nuQuxXijatg, ags. frßfrian consolari, fröfor solalium, alts
fruobrian consolari, fruobra solamen, ahd. fluobiran consolari, fluobara
* Wackernagel bei Haupt 2, 556.
** irn gesäht nie ämeizen, diu bezzers gelenkes pflac, dan si was dä der gürtel
lac. Parz. 410, 2. als ein ämeize gelenket. 806, 26.
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STUMME K. P
andern thiers. neben lat. equus, zu welchem goth. aihvus oder aihvs,
alts. ehu, altn. ior, ir. eacli stimmen, mulmaszt man ein oskisches
epus und gr. i'noq, wovon die rosgdttin Epona und ’Eneiog, des tro-
janischen rosses Schmied, genannt sein sollen, das fmn. hepo hielt
ich s. 30 hinzu, die geminata in 'innoq (und nach dem etym. magn.
474 auch l'xxog) scheint aber zunächst entsprungen aus lanog, nach
dem pers. med. ispa, zend. aspa und so zum skr. asva, litth. aszwa,
welschen osw lenkend; die beiden letzten sprachen haben es blosz
348 für den begrif der stute festgehalten, das deutsche HV, lat. CV stände
folglich = SV (SHV); oder will man l'xxog aus l'xFog deuten?
Auch in goth. ahva, ahd. aha, lat. aqua, walach. apa und in
altdeutschen flusznamen -afa -apa scheinen gutt. und lab. zusammen-
zutreflen. hier weist die sanskritform ap, kein asv, vgl. ]Ani s. 233.
Dem verhalten der laute in equus und hepo epus gleicht aber
nach dem s. 299
nncn tonov
ffcnÄ ispa aspa
das in sequor und tnw tnofxai (S und spir,
dargelegten gesetz) und nicht zu tibersehn. #in
GTitly, gticöu, weil sie jene berühren
anschaulich machen.
Nur auf diesem wege mag ge!
dunkel der Verwandtschaft zwischen la
(sequi), goth. sailivan, skyth. anov (s.
und skr. akschi oculus. seihst die lat. sa
in das
* sequire,
'alul. spehön
rücken zu-
t die skr.
al, die gr.
genommen
jepen dem
sammen.
Dem lat. jecur jecoris und (jecinus) jecinoris
doppelform jakrit und jakan, pers. dsheger; mit lip
spräche rjnaQ ijnaTog, was auch in lat. epar und hep
ward, im litth. pl. kepenos mag K das J vertreten,
jecinus oder jakan gleichen; lett. aknis = jaknis. ahd. lepara, ags.
lifer, altn. lifr, wie es scheint, für jepara (s. 320); gerade so arme-
nisch leart für jeart? welsch afu. oder blosz au. sl. jatra, böhm.
gatra, poln. watroba mit Vorschub des T in'jakrit und leart und
ausslosz des I{ oder P. Statt des welschen pasc ostern sagt man
ir. caisc.
Diesem Wechsel zwischen P und K sollte ein paralleler zwischen
B und G entsprechen, der aber selten wahrgenommen wird; ich hielt
s. 326 bleacht zu yXäxx und ßdXuvog zu glans.
Ungleich häufiger tauschen Pli und CH, so wie das aus CII er-
weichte H. altlat. galten fasena, fircus, fostis, fostia, fordeum, foedus
für harena (arena), hircus hostis, hostia, hordeum, hoedus und zum
349kehllaut fügen goth. gasts ahd. käst, ahd. kersta gersta (s. 65) gotli.
gaitsa gaitei ahd. keiz (s. 35. 36); vielleicht dullet harena Vergleichung
mit ags. ceosel, ahd. chisil. lat. fei ist gr. /oXtf, ahd. kalla galla;
lat. fundo fudi gr. /ho yvdijv, goth. giuta ahd. kiuzu; lat. llos lloreo
verwandt mit /ßorj ylcoQog, vielleicht mit lat. helvus, das R = S
sprieszt in diesen Wörtern wie im ags. blövan blösma, vgl. yqvGoq
* Haupts Zeitschrift 6, 2.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
STUMME CH. F. PH. TH
245
(s. 13.) dem sp. organ wandeln sich fast alle lat. F in H: fatum
hado, falco halcon, farina harina, facere hacer, foenum heno, fdius
liijo. Zu jenem flos und yloog schickt sich nun ganz, dasz in den
reali di Francia Fiovo für Chlovis Louis gesetzt wird* und seine söhne
Fiore und Fiorello heiszen, wie schon alte hss. Flodouechus Flotharius
für Chlodouechus Ghlotharius darbieten; Flodoardus remensis schrieb
sich so, und der Übergang in Frodoardus machte sich leicht, mit allem
fug hält Wackernagel mlat. floccus froccus, franz. froc und frac zum
ahd. hrocch, nhd. rock, it. fianco, franz. flaue zu ahd. hlancha lancha
lumbus, tadle, wo der leib gelenkt ist**, denn des Wortes eigentliche
bedeutung war catena articulus, altn. ldeckr, schwed. länk. hiernach
gewinnt es allen schein, dasz zu fairguni der ‘Epxvviog dyv^ög (s. 177),
die Ilercynia silva (s. 166) gehöre (Haupt 2, 558), ja Fairguneis und
Perkunas dürfen sich vielleicht dem Hercules nähern.
Inlautendes FT ist hochdeutscher zunge, CHT niederländischer
gemäsz: kraft kracht, schaft schacht, luft lucht, klafter lachter u. s. w.,
obwol einzelne CHT jener aufgedrängt wurden, Schlucht f. schluft,
nichte f. niftel, sachte neben sanft.
Auch P und T ersetzen einander, ein beispiel gibt ntavqag
und rtoau^eg, petora und rtvogag (s. 242.) das finnische pimiä
obscurus gehört zum skr. tamas, sl. t’ma und deutschen dim thim
(s. 337.) Inlautend entspricht lat. nepos neptis ahd. nefo niftila, altn.
ließ dem böhm. neli (s. 270) goth. niftjis alt. nidr.
Eben so stehn sich sonst gegenüber PH und TH. ahd. (instar 350
jenem thimstar dimstar. aeol. cprjQ lat. fera, gr. goth. dius ahd.
lior, woneben sl. zvjer’ litth. zweris (oben s. 28.) lat. fumus, gr.
&v/.iog, litth. dumai, goth. dagms? (vgl. dauns) ahd. toum, womit
wieder sl. zv’njeti sonare, zvon’tz’ tintinnabulum, litth. zwanas lat.
sonüs vergleichbar, da sich duft wie schall durch die luft schwingen,
lat. fores, gr. &vqu, goth. daurö ahd. turi tör, sl. dv’r’, litth. durrys,
lett. durris und durwis, ir. doras dorus, skr. dvära. lat. fistulare
wahrscheinlich eins mit sl. zvizdati ovQi^atv. Merkwürdig schwankt in
einzelnen Wörtern die ags. und altn. mundart zwischen F j), ags. fengel
und fengel rex: visa fengel Beov. 2800. hringa {tengel Beov. 3013.
manna fengel Csedm. 188, 24 und ebenso altn. fengill und f>engill;
altn. fön und {iön lamina cornea; lat. facula, abd. fachala fax, lampas,
ags. {läcele; ahd. fihala fila lima, ags. feol, altn. |>iöl, schwed. dän.
fil, litth. piela, pelyezia, poln. pilnik.
Alle diese lauten vor vocalen an. goth. j)L |aR entsprechen aber
auch ahd. alts. FL FR: Jalaihan ahd. flöhan, fdiuhan ahd. fliohan
jdauhs fuga; lat. flaccus goth. Jplaqus; goth. jirafstjan consolari,
[irafsteins nayuxXrjoig, ags. frßfrian consolari, fröfor solalium, alts
fruobrian consolari, fruobra solamen, ahd. fluobiran consolari, fluobara
* Wackernagel bei Haupt 2, 556.
** irn gesäht nie ämeizen, diu bezzers gelenkes pflac, dan si was dä der giirtel
lac. Parz. 410, 2. als ein ämeize gelenket. 806, 26.
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246
STUMME DD. GG. T. S.
consolatio. Löbe stellt {irafstjan mit unserm trösten zusammen, welches
aber zu goth. trausti und trauan gehört, es bleibt auch im Verhältnis
von jirafstjan : fruobrian noch dunkelheit, und ich weisz aus andern
sprachen dies seltsame wort nicht aufzuhellen, ahd. fravali, ags. frävel
procax kann kaum verwandt sein.
Auch für den inlautenden Wechsel sind beispiele da. lat. rufus
ruber und rubere, skr. rudhira, gr. igvd-Qog, ir. ruadh, welsch rhudd,
lilth. ruddas, goth. rauds, ahd. röt, ags. reäd, vgl. lat. rutilus. lat.
über und ubertas, skr. udhas, gr. ov&ag, lilth. udroja, ahd. ütar
(drözinta ülir distenta ubera. Haupt 5, 329.) nhd. euter, ags. üder.
351 wie hier B : D scheinen sie auch in barba : hart, verbum : wort
(s. 329.) bis für duis bellum für duellum sind s. 241 angeführt.
Zuletzt in betracht kommt der Wechsel zwischen lingual und
gutturallauten. hierher würde das gr. xi'g zählen, wer es lieber aus
xig als aus m'g leiten will, auf gleiche weise verhält es sich mit
TtooaQtg xtxoqtg.
Anderwärts erläutert habe ich die merkwürdigen Übergänge des
goth. DD in altn. GG. tvaddje und wahrscheinlich baddjö entspricht
dem altn. tveggja beggja; vaddjus murus dem altn. veggr, so dasz
schon aus altn. egg ovum goth. addi, wenn ihm andere gewähr ent-
gienge, gefolgert werden darf.
Bisher wurde der Übergang der mutae aus einem organ in das
andere dargestellt; es bleibt noch ihr Wechsel mit Spiranten und
liquiden, ihr ausfall, zuletzt aber ihre abstufung in einem und dem-
selben organ zu betrachten.
Wie lat. P und B inlautend zu V erweiche zeigt die franz. spräche
allenthalben: rapa rave, ripa rive, faba fhve, faber fövre, habere avoir,
debere devoir; nach liquiden aber haftet muta: talpa taupe, alba aube,
herba herbe, umgekehrt pflegt die deutsche spräche W in B /zu ver-
stärken: mhd. fal falwes, gel gelwes, far farwe, garwe millefolium,
herwe; nhd. falb gelb färb färbe garbe herb. Tübingen hiesz mhd.
Tüwingen Wh. 381, 27, welcher name entweder aus Twingen (Stälin
1, 510. 2, 441) oder aus tuniwenga (Graff 5, 148) entsprang*,
ganz regclmäszig verhalten sich im finnischen liepo hewen, lipu liwun,
arpa arwan u. s. w.
Übergänge des T in S sind zumal griechischer spräche eigen,
nicht nur die anlaute gv oe otj/uegov, wo dem aeolischen und dori-
schen dialect noch xv xl x^f.UQOu blieb, bezeugen es, sondern auch
inlautend erscheint dies S in der ganzen tertia pl., wo dal (frjot aus
ivxi (tnvxl) (favxi hervorgehn und alle -«cr< aus -uvxi, alle ovai
aus ovxi. vuvolot, Seekrankheit, att. vavxia und auch lat. neben
nausea nautea. Inlautendes TT erweicht zu SS: nQuxxto S’dXaxTa
xtxxa xixxog f.it'kixxa rjxxa in uquoglo d-akuooa xloou xiooog /ut-
hooa rjaoa.
Cu
I *3
© 'S:
vgl. den unsichern ort Tivinwang Tiunang bei Stälin 1, 288. 344. 381.
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
STUMME S. D
247
Gleich wichtig ist S für D*. lat. medius golh. rnidja gr. fitoog. 352
skr. vöda vidmas, lat. vidi vidimus, goth. vait viturn, gr. olda l'd/utv
= Yofiey, vgl. Yoaoi Yorjf.ii und oöfitj oafirj. lat. esca für edca, wie
sl. iad cibus, iato esca von iasti edere. auch skr. asis, lat. ensis scheint
mir von der Wurzel ad edere, weil das Schwert, gleich der flamme,
zehrt und friszt, ahd. bizanti suert 0. IV. 13, 43. bizentön suerton
0.1. 19, 10; zwar bildet das lat. edo nur esum und estum f. editum,
wie aber von tundo umgekehrt tusum und tunsum, könnte auch ensum
gegolten haben. Nicht anders bezieht sich mensis skr. mäsa sl. mjesetz
auf metiri goth. mitan, weil der mond die zeit miszt; in fxrjv goth.
möna, ahd. mäno fiel das S ab. zugleich erhellt, dasz in mitan so
gut wie in itan die lingualis wurzelhaft sei.
Noch in deutlicherem Zusammenhang stehn lat. audio und auris
= ausis, goth. ausö, litth. ausis, aber auch goth. hausja, ahd. hörru
und lat. haurio hausi, weil das hören schöpfen, einschöpfen der worte.
wie dem auris ausö der kehlanlaut mangelt er gerade dem alln. ausa
haurire, ausa haustrum, ahd. ösan haurire und exhaurire vastare, womit
ödi vastus vacuus otiosus facilis unmittelbar verwandt ist, welchem
jedoch goth. und ags. aspirala zusteht: goth. auf)s au[)ja vastus, ags.
eäde facile forte, ahd. odo forte saltem aut, mit der nebenform edo
gddo, ags. odde, goth. aif)j)au, lat. aut, greifen hier wundersam ein
und ergeben noch andere berührungen, deren ich mich jetzt (iberhebe,
blosz das sei nicht vorbeigelassen, dasz im ahd. erdo = eddo, edo
das nemliche goth. Z auftaucht, dem wir in razda mizdö huzd begeg-
neten (s. 313), das folglich auf goth. aizdau izdau = ai[)jjau deutet
und wieder an das S oder R in ausö auris hausjan hörran klingt,
ohne zweifei gehört also das goth. azöts facilis, azötaba facile zu ahd.
ödi, ags. eöde, engl, easy, und wie mit facilis facultas hängt mit eäde
altn. audr opes und ags. eddig opulentus, ahd. ötac zusammen, goth.
audahafts.
Treffend bestätigen dies alles die romanischen zungen, besonders 353
die provenzalische. aus unserm ödi ösi edde aujis azels (aus welchem
derselben ist schwer zu sagen) haben sie das prov. ais aize, franz.
aise und andere bei Raynouard gesammelte Wörter, welche den begrif
des leichten angenehmen enthalten; nicht übersehn werden darf prov.
azaut placens gratiosus, wie goth. azöts fjdvg verdeutscht. Nicht anders
stehn lat. audire laudare alauda videre, it. udire lodare lodola vedere
gegenüber prov. auzir lauzar alauza vezer, und mit ausgestosznem cons.
franz. oir louer alouette (altfranz. aloe) voir, sp. oyr loar ver, für
alauda blieb aloda alondra. lat. fidelis it. fidele prov. fizels sp. fiel,
diese syncopen mahnen an pium pirum, iu izvis — altn. idur idr,
schwed. eder er.
Noch leichter fallen muste Umtausch von TH nnd S, da schon
einfaches H Übergang in S zeigte, anlautend steht dor. oiog oid o&w
otiv otjqiov für d~tog d~eu d-theo &etv fhjqiov, bei Thuc. 5, 77 rtu
* vgl. finn. esi mesi käsi susi: eden meden käden suden (s. 344.)
248
STUMME TH. D. L
gim ovfxarog f. rov &tov d-v/tiurog, und oft inlautend Aoavcc naQ-
oivog f. A&tfvr] naQfrtvog. oi]Qiov aber beleuchtet uns das sl. zvjer,
litth. £weris (s. 28. 350.) wie nabe reicht die aussprache des gr. 0
und ags. altn. TH an den sausenden laut.
Auflösungen stummer kehllaute in II tragen sich oft in allen
sprachen zu. eine menge H für C1I wird hernach die lautverschiebung
darlegen: unsere spräche hat fast allgemein der organischen asp. CH
entsagt und dafür II angenommen.
Den Böhmen mangelt der laut G. denn das ursprüngliche G der
übrigen Slaven wandeln sie in H, und wo sie G schreiben, sprechen
sie J. die Russen umgekehrt entbehren des H und drücken es in
deutschen namen durch G aus.
Mit flüssigen consonanten treten, so viel ich sehe, fast nur mediae
in Wechsel, keine tenues, selten aspiratae (abgesehn von der deutschen
lautverschiebung.)
Hauptsächlich in betracht kommt hier ein Übergang des D in L,
dessen meiste beispiele längst aufgefallen sind.
Aus älterem dingua, wozu golh. tuggö, ahd. zunkä stimmt, gieng
354 hervor lingua, welchem litth. liezuwis (s. 320) gleicht, aus däy.Qv
du,y.()V(.ia, golh. tagr, ahd. zahar, dacrima und lacrima. aus öu/jq,
sl. djever, poln. dziewierz, böhm. dewer, litth. deweris, skr. dßvr,
ags. täcor, ahd. zeichur das lat. levir. für däffvrj galt aeol. XoHpvt]
(Ahrens s. 85); man bringt jenes zu dtcfM, und sucht im netzen den
begrif des reinigens: dann könnte auch laurus zu lavare fallen, von
demselben lavare und lotus lautus leitet sich lautia, wofür nach Festus
dautia galt, feierliches mahl, wie lautus und lautitia auf pracht der
inahlzeiten gieng; mir fällt das goth. dauhts epulae und serb. dalja
convivium funebre ein, obschon das golh. wort unverschoben ist und
vielleicht dau{)s lauten sollte, was an dauf>s morluus reicht, goth.
addi adi ovum lettisch ola.
Zweifelhaft bleibt lat. lignum zur skr. wurzel dah brennen ge-
halten, da es von lego, wie tignum von tego rühren könnte, noch
mehr bedenken macht die vorgeschlagne ableitung des goth. leik Cor-
pus ahd. lih vom skr. döha (Graff 2, 2), des golh. lötan ahd. läzan
vom skr. da dare. auch cadaver bringt Bopp zu skr. kalßvara. bei
den Zahlwörtern sahen wir -lif und -lika dem -daha entsprechen
(s. 246.)
Inlautend begegnen einander lat. odor olor und olere: odefacit
dicebant antiqui ab odore pro olfacit. Festus. möglich wäre sogar
Verwandtschaft zwischen odor, welchem die gulluralis abgefallen sein
könnte, und ags. hvätan, ahd. huäzan llare spirare. dabei ist zu er-
wägen olus und holus, olesco adolesco adoleo suboles proles und die
gr. o^co od(oda odjttjy cxr/ntf. des duftens grünens und Wachsens be-
griffe treffen sich in unserm wurz, das herba olus und aroma (gewürz)
ausdrückt.
Kühn scheint es olor, den singenden schwan, aus uoidog wSoq
zu deuten, wie die singende lerche urjdcov hiesz. aus olda \öfxiv
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
t t y.a&y. ▼.’ir vY.cy.
STUMME D. L. N
oder der schwankenden quantilät von odwdu cododa begriffe sich etwa
das kurze 0. wenigstens müsle nachgewiesen werden, dasz ein gr.
dichter den xvxvog doedog nannte.
'Odvootvg 3OSvotvg wird lat. zu Ulysses Ulixes, tuskisch Uluxe.
die abkunft des namens von dövaoo(.icu (Od. 19, 409) lenkt wieder
auf odium, goth. hatis, ahd. haz.
Smielan (s. 319) scheint das gr. /ueiduv.
Skr. madhus, litth. medus, lett. meddus, ags. meodu, altn. miödr, 355
ahd. meto, mhd. mete, sl. med”, gr. /ut&v unterschieden von /.itki /utXi-
rog, lat. mel mellis. die begriffe von berauschendem getränk, meth
und honig flieszen in diesen Wörtern zusammen, auch finn. heiszt der
honig mesi gen. meden, die biene mesiläinen wie gr. jutXiooa und skr.
madhupa d. i. mel bibens.
Litth. sidabras, lett. sudrabs stehn gegenüber goth. silubr, ahd.
silapar, sl. srebro, preusz. sirablas (oben s. 9. 11.) fidius und filius,
Ovidius Ovilius, Decidius Decilius wurden s. 271 verglichen, aus Aegi-
dius ward Gilius, Gilles (Gilies Roth. 3945.)
Wenn in einzelnen dieser Wörter D organischer scheint als L,
z. b. in dacrima, wegen der s. 300 voigetragnen abkunft, oder in
Odysseus, dessen sage offenbar von Griechen oder Etruskern zu Römern
kam; so ist anderemal die Lform durchsichtiger, z. b. in lingua, das
doch zu lingere lambere Xeiyeiv laigön und lecken gehört, in madhus
und mel, /.ufrv und /LitXi ist der Wechsel von uralter zeit her be-
gründet *.
Ähnlich dem Übergang des D in L ist der des DD in LL: goth.
vaddjus ahd. wal walles, lat. vallum; vielleicht goth. iddja verwandt
mit ahd. illan, ilan? vgl. daddjan und frrjXv, wallön, wadalön und für
LL DL gleich lat. sella f. sedla, franz. seile f. ags. sadol, altn. milli
f. midli. Wie wenn sl. pasti oder padati, caderö, part. praet. padal,
sich berührte mit ahd. fallan, ags. feallan, altn. falla, welches der
goth. spräche völlig abgeht? noch näher steht dazu das litth. pulti,
lett. pult.
Höchst selten scheinen D und N zu tauschen, ein merkwürdiges
beispiel lieferte devjat, dewintas für nevjat newintas (s. 244); neben
perdice sagen die Italiener gewöhnlich pernice. beider consonanten
Verwandtschaft aber folgt schon daraus, dasz sich inlautend N vor
lingualen, wie M vor labialen einfindet (s. 339), weshalb auch der an-356
lautende Wechsel zwischen R und M ergeht: sl. brabenec : mravi,
bramor : marmor.
Dem ausfall sind unter allen stummen consonanten wiederum die
mediae zumeist ergeben, vorzugsweise dasselbe D, dessen Übergang in
die flüssigen S und L eben erörtert wurde, die harten und scharfen
tenues und aspiratae leisten stärkeren widerstand, pers. mei vinum
entsprang aus medi •= madhu. einzelne mundarlen begünstigen zusehends
* unterschieden von dem Wechsel ist die abgestreifte lingualis in Iongus =
sl. dlug (s. 325).
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
250
STUMME
die syncope des inlautenden D, namentlich die französische und nie-
derländische. beispiele aus der letzten sind gramm. 1, 308. 309 mit-
getheilt. eine menge lat. T erweichten sich in roinan. D und schwan-
den dann im franz. gänzlich; man wird sichrer dazu die ital. oder
span, form, als die lat. halten: pere möre fröre voir croire rire proie
soie soif louer muer, it. padre madre frate vedere credere ridere
preda seta sele lodare mutare. vedere ridere lodare lauten auch sp.
ver creer reir loar, und seta sete bereits seda sed, woraus sich die
franz. tilgung begreift, aber auch G ist getilgt in lire, sp. leer, it.
leggere und faire sp. hazer, it. far. Zuweilen fällt die lingualis nicht
weg, sondern assimiliert sich dem folgenden R : parrain sp. padrino,
marraine sp. madrina, larron sp. ladron, pierre sp. piedra, perron
acervus lapidum, mlat. petronus, lierre hedera, sp. yierro, altfranz.
ledro, verrons it. vedremo, fourrage mlat. fodragium. dies RR aus
DR ist ein gegensatz zum altn. DD aus RD (s. 313), gleicht aber dem
LL aus DL. der grund weshalb sich weder merre f. möre, noch ma-
raine f. marraine bildete, musz im gewicht der folgenden silbe liegen,
it. trovatore, sp. trovador wandelte sich in altfranz. trouverres. TR
wird nicht assimiliert, wie quatre autre u. a. zeigen.
Welchen ausfall in deutscher spräche R G D erfahren, welche
diphthonge aus zusammengerilckten vocalen dadurch entspringen und
wie sich M und N zu der labialis gutturalis und lingualis gesellen,
habe ich eigens abgehandelt, am seltensten scheint B unterdrückt,
doch wären reiche beispiele vorhanden, wenn die Vermutung, dasz ahd.
rehto aus goth. raihtaba erwachsen sei (gramm. 3, 110), sich histo-
risch bewähren liesze.
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XVI.
DIE LAOTABSTUFUNG.
Bis hieher hat sich gezeigt, wie einzelne stumme consonanten 357
der zeit oder mundart nach einander vertreten; solcher Wechsel be-
gründete nur ausnahmen, höchstens besondere richtungen, er fiel der
gewohnheit einer spräche oder ihrem Verhältnis zu benachbarten an-
heim. oh hixog oder lupus, ov oder tu, ntvxt oder quinque, da-
cryma oder lacrima gesprochen wurde, das war nun einmal dem idiom
durch seine anlage verliehen und hieng nicht weiter mit der innern
bewegiichkeit seiner laute zusammen. Wichtiger ist es, dynamisch,
gleich dem vocalumlaut, wirkende regeln zu erkennen, nach welchen
sich die consonanz einer jeden spräche stimmt und abstuft. Dort
schwankt der laut, wie hei vocalschwächung, gleichsam wild und ab-
sichtslos; hier erscheint die änderung des consonants, wie umlaut und
brechung, gezähmt und fruchtbar.
Dies spiel oder dieser Wechsel der consonanten kann schon durch
ihre stelle bedingt sein, anlaut hält die stufen jedes Organs am rein-
sten und treusten, inlaut ist geneigt es zu erweichen, auslaut zu er-
härten.
Oft aber walten einfliisse anderer laute, entweder vorausgehender
oder folgender, in diesem fall wirkt der bestimmende laut rückwärts,
in jenem vorwärts, hei rückwirkungen stimmt die kraft des folgenden
lauts den vorausgegangenen nach sich; bei vorwirkungen unterwirft
sich der folgende dem einflusz des vorstehenden lauts. rückgängiger 358
einflusz trägt sich ungleich häufiger zu als vorgängiger; im vocalismus
wurden umlaut und brechung nur rückwärts, nie vorwärts gewirkt, die-
ser rückgang läszt sich dem grundsatz des reims, der vom letzten aus-
laut an zurückdringt, vergleichen.
Vocalwechsel durch umlaut hieng blosz von andern vocalen, bre-
chung von vocalen und consonanten ah. consonantwechsel wird in
der regel durch anstoszende consonanten, zuweilen auch durch vocale
bewirkt, so durchdringen sich vocalismus und consonantismus. selbst
darin olfenbart sich analogie, dasz der den tausch verursachende conso-
■
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
6Kaft"ruJ
LAUTABSTUFUNG
nant weggefallen sein kann gleich dem vocal, von welchem umlaut und
Brechung abhiengen.
Das latein ist keusch und enthaltsam in seinen consonanten wie
in seinen vocalen. die aspiration ist ihm wenig entfaltet (s. 344),
media und tenuis stehn rein gesondert: rabidus und rapidus, nego und
neco, ad und at, cadus und catus weichen, der aussprache wie ihrem
Ursprung nach, ganz von einander, anlautende media und tenuis kön-
nen sich nie vertreten, und kein vorausgehender laut äuszert darauf
irgend cinflusz. sobald aber im inlaut media an eine folgende tenuis
oder spirans stöszt, wandelt sie sich selbst in die entsprechende tenuis
ihres organs; sobald im fortgang der flexion oder Wortbildung jene
tenuis wieder entfernt wird, kehrt ursprüngliche media zurück, nubo
nupsi nuptum, glubo (glupsi) gluptum, scribo scripsi scriptum, labor
lapsus; ago egi actum, lego legi lectum, rego rexi rectum, im lin—
gualorgan scheidet aber dann die media völlig, weil TT und TS noch
härter wäre als DT DS: edo edi esum, video vidi visum, ludo lusi
lusum, laedo laesi laesum, odi osum, rado rasi rasum, fundo fudi fu-
sum, mando mandi mansum, lundo tutudi tusum, mordeo momordi
morsum, statt ettum* vittum lutsi luttum u. s. w. Einigemal steht
die assimilation SS: cedo cessi cessum f. cetsi cettum, sedeo sedi ses-
359 sum f. settum, jubeo jussi jussum für jupsi juptum, wie aus iste ip-
sus ital. stesso ward, der analogie von grex gregis, rex regis, lex
legis gemäsz wäre zu schreiben aps, scrops scrobis, nups nubis, allein
es gilt abs scrobs nubes. in der lingualreihe verhalten sich praes
praedis, obses obsidis, incus incudis, pecus pecudis wie laesi laedo,
sessum sedeo; man fand wieder zu hart praets praedis , pecuts pecu-
dis*. in Zusammensetzung assimilieren sich die partikeln ob sub ad dem
folgenden anlaut. ex steht zu ec wie abs zu ab. statt apud findet
sich wol auslautend geschrieben aput.
Viel reicher entfaltet hat sich die griechische verstufung allein
schon dadurch, dasz alle aspiratae vollständig wirken. Hauptgesetz
ist, dasz media tenuis und asp. den anstoszenden consonant jedes an-
dern organs ihrer stufe gleich machen, folglich nur ßd nx <pd-, yS
xr neben einander gelitten sind und fein unter sich abwechseln:
enxu tßdo/uog tq>^rj[,uQog, ygucpw yQußörjv yQanxög yQayd'tlg,
rvnxio rvq)d'i]GOf.iai, xqvuxo) XQvßdtjv xpvnxög xQvp&tig, ovXXa/u-
ßüvw ovXXrjßdxjy, öxxto oySoog oxS'ijf.iaQog, Xtixw Xlydrjv, Xayio
XaXtxxcu XtxxQOv fXfx&rjv, nXlxio nXiydi]v nXtp^^Q- auch vor 2
entwickelt sich tenuis, für no xo gelten aber die eignen buchstaben
'ip und §: ygurpio ypuxpw, tvtitio rvxpco, Xtyco Xt§(o, ßQ^XS0 ß
wäre jenes lat. ps für bs zulässig geworden, so hätte sich auch das
Zeichen, wie x für cs, eingefunden. Es gibt viel gr. anlaute ßö nr
(pfr xx x&i die der lat. und deutschen spräche fremd sind: ßhtXXiov
ßötlvQog nxaiQO) nxa§ nxtQov <pd~av(x) (pd'iiQio (pd-ovog, xxdo/xou
* folglich steht esca f. etca = edicu, estur f. ettur — editur.
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LAUTABSTUFUNG
253
KTtivo) xzvnog yfhxfuxhog yßtg yßwv, für yd findet sich nur ydov-
nog. da aus den anlauten nz und yß die lingualis zuweilen wegfallt
und für nzohg nroltfiog yßafiulog nohg noXefiog yufifjXog gelten,
darf man auch zu den übrigen formeln Wörter anderer sprachen auf
blosze labialis und gulturalis, ohne dasz lingualis folgte, halten, mit
mtQov stimmt zwar ahd. fedara, aber auch sh pero, mit y&tg lat.
heri = hesi, hesternus, goth. gistra, mit yßafiaXog yafial lat. humi-
lis liumi und vielleicht goth. gavi. ßdtio ist das lat. pedo, die rück-
wirkung des D wandelte P in B.
Wie yguxpco yqanzog, 1tgco Xexzog zum lat. nupsi nuptus, rexi
rectus stimmen, entspringt auch heim anstosz einer lingualis an folgen- 360
des S und T vereinfachter Slaut, und die lingualis schwindet. Neben
ddtvai Idtlv oida (in zweiter person oto&a) erscheinen eiaofiai dauftrjv
und das abgeleitete larjfii, selbst das adj. ioog i'ioog aequalis, similis
ist der form nach völlig das lat. part. visus, da sich die begriffe des
sehens, scheinens und gleichens anrühren; von udofiai videor wird
II. 2, 791 doazo videbatur ganz für glich gebraucht, gerade so ver-
hält sich das goth. galeiks ofioiog ahd. gilih aequalis similis zu galei-
kan videri, placere und leik oidfia, ahd. lih corpus d. i. species,
visum, ahd. gilichi species, gillchnissa imago. wie visus aus vistus,
musz auch i'aog aus iozög oder io&og gedeutet werden. Nicht an-
ders beurtheile man folgende beispiele: udo) aoio aaoficu, dei'dio delao)
t'dtiaa dei'aoficu, rjdio rjdofiui rjOUfirjv ijo&ijv rjodijooftai, i'do l'do-
ficu to&i'ü), hei dichtem auch l'odio. für 2T zieht das gr. organ —0
vor, und da oio&u dem goth. vaist wie dem lat. vidisti entspricht,
to&rjg dem goth. vasti, lat. vestis; so hat man fug, in solchen —0
= 2T den beweis für das gemutmaszte lat. ettum villum lutsi — esum
visum lusi zu finden, in welchen fallen 2T von 22€) ahstehn, z. h.
in fori tozia, bedürfte noch eigner Untersuchung, fällt-durch a&
licht auf das goth. r(j in vairfm (s. 310)? die geminata 22 für 2T
ergibt sich oft (s. 317.) uttto
Die gr. spräche läszt aber diesen lautwechsel nicht blosz im in-
nern der Wörter, sondern auch bei der Zusammensetzung, ja zwischen
einzelnen in der rede aneinander gereihten Wörtern ergehn, wenn der
stumme consonant von einem mit dem spiritus asper beginnenden wort
berührt wird, der spiritus fliegt in die voranstehende muta über und
wandelt sie in aspirata. so entspringen tcpßttQOv icp&rjfitQog deyßie-
Qog av&rjfitQog wyßrjfUQOV icpiazrjfii ucpiozrjfu und viele andere,
die praepositionen uno ini dvzi werden auf diesem wege zu uq> tcp
urd- und die negation ovx wandelt sich in ovy. für vvxzu ohjv ent-
springt vvyß oXtjv, die zurückgreifendc aspiration kann sich nicht an
dem r begnügen, sondern musz auch das vorherstehende x ergreifen,
noch kühner ist, wenn sie sogar einen vocal überspringt: ftoifidziov 361
f. to ifiuaor, (pgovQog f. nQOOQÖg, (fQolfiiov f. nQOoifiiov.
Doppelte ten. und med. mag der Grieche, nicht asp., er bindet
dann ten. und asp. zusammen: 2un(fcd Bdxyog Tiz&iov, xazad'u'ipui
xuzßave kürzen die dichter in xaz&d'ipcu xuzfraxe. erst später und
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254
LAUTABSTUFUNG
^ttwn
in fremden namen steht Mu&&aTog Ma&$a f. Max&aiog Max&d.
hierher auch r6x&oi (s. 179.)*
Aus gleichem grund wird in der reduplication die asp. durch ten.
vertreten: (fuivto ntcpuyxu, (pvo) nicpvxa, yaiQto xtyaQtjxa, yQuofiou
xiygijfiui, &u\la) ttthjlu, d-vrjGxto xt&vrjxa, während lat. fallo fe-
felli, goth. faha faifah, wahrscheinlich auch jdaiha ]>ai|)laih zuläs-
sig ist.
Das gr. idiom, welches zwei asp. verschiednen Organs in einer
silbe gern hat, meidet sie in zwei aufeinanderfolgenden, und entzieht
" fl]' hei inlautender aspirata dem anlaut den spiritus, oder anders ausge-
drückl: es erlheilt Wörtern mit unaspiriertem anlaut und inlautender
aspirata den spiritus, so bald durch den Wechsel der Ilexion die in-
lautende asp. wegfällt, lyyo bildet das fut. fij-co und neben tyjia steht
t£ig, ebenso neben xQtyw 9-Qtgo/uou und d-Qtxxixog. der grundsatz
bezieht sich zumal auf Wörter, in welchen T und 0 lauschen: r«-
yvg d-daoiov f. xayj^wv, xacprj xufpog hucprju &u7ixo) xhiipco, ver-
schieden davon xdxpio (stupeo) l'xacpov xid-rjnu, xQerpco dgiipw, d-Qi%
XQiyög xqiytg d^Qi'gi, xid-rjf.ii drjoio &tod-ui S-tivai &tOfiog, aber dor.
rtd-fiog. in xQtyw läuft die wurzel durch alle drei stufen, da auch
öiÖQOfiu und ÖQafiovfiai gelten, wir sehn in allen diesen Wörtern
den abgeänderten laut (das 0) aus der mitte bis in die spitze, immer
aber rückwärts Vordringen, dasz die unaspirierte form hier die ur-
sprüngliche sei, folgt aus Vergleichung von iyuv mit goth. aigan,
xQtyyiv mit jaragjan und xdcpog mit tabiti (s. 23l.) die gehäufte
aspiration im dakischen cpid-oip&td't'kä (s. 212) ist griechischer weise
entgegen.
Bei der deutschen consonantverstufung müssen inlaut und auslaut
gesondert werden von dem anlaut.
302 Der inlaut hütet, wenn nicht andere consonanzen anrühren, die
echte form, der auslaut pflegt sie aber häufig aufzugeben, was einen
der lat. und gr. spräche unbekannten Wechsel begründet, doch betrift
er blosz die media; denn ten. und asp. bleiben, wo sie stattfinden,
p
ß
p
P
P
P
P
1
£
ungeändert.
Goth. B und D wandeln sich auslautend in die asp. F und Th:
giba gaf gif, graba gröf graf, hlaibis hlaif, f>iubis jiiuf; beida baija bei|),
biuda bauf) biu{), bidja ha{), fadis fa{), södais sö|)> liuhadis liuhaf), fö-
di{) födida. doch schwankt die Schreibung, und gestaltet auch B, D
in gröb baid u. s. w. media des kehllauts bleibt fast überall unver-
letzt: liga lag, steiga staig, biuga baug, vigis vig, dagis dag; ohne
zweifei, weil hier die eigentliche asp. ahgieng und durch die spirans
H vertreten wird; nur ausnahmsweise tritt diese im Wechsel ein bei
aih aigum.
Ähnlich, doch etwas abweichend gestaltet sich die goth. Verände-
rung der inlautenden muta, wenn sie an andere cons. rührt, von wel-
chen blosz S und T in betracht kommen.
* diesem T 6 vergleichbar scheint ahd. PPH, CCH und alts. PB, TD.
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LAUTABSTUFUNG
255
Das -s des nom. sg. wandelt vorausgehendes B und D bald um
in F und Th, bald nicht, man findet laufs laubis, blaifs blaibis, aber
auch hlai|)s und Jiiubs. fafis fadis, sö|)s sedais, frö|)s frödis, allein
schwankend saj)s und sads sadis, immer göds gödis. diese ten. und
asp. vor dem -s müssen also im laut schwer zu unterscheiden ge-
wesen sein. G unterliegt gar keinem Wechsel: dags dagis, mögs
megis.
Vor dem T der secunda praet. wandeln sich P und B in F; K
und G in H; T, D und TH in S-: scapja sköft, hlaupa hlaihlauft, graba
gröft, skaba sköft, skiuba skauft, brika braht, vaka vöht, gasaka gasöht,
teka taitöht, liga labt (?), biuga bauht, beila baist, giuta gaust, sita
säst, mita mast, haita haihaist, löta lailöst, vait vaist, möt möst, beida
baist, bidja hast, qif)a qast, leijia laist. für einzelne wurzeln entspringt
Zweideutigkeit, z. h. sköft kann rasisti oder creasti von skaba oder
skapja, baist momordisti und exspectavisli von beita oder beida aus-
drücken. oft mangeln belege, aber die theorie musz wallen, sich also
auch auf die fälle erstrecken, wo der muta noch eine liquida voraus-363
geht, für hilpa trimpa vairpa salta gastalda binda fal|>a vairfia ist die
II. praet. anzusetzen: halft tramft varft saisalst gaslaistalst banst fai—
falst varst. Möglich wären auch assimilationen des ST in SS, so dasz
von qijaa oder sita diese person qass und sass statt qast säst lauten
dürfte, ganz wie von vait vaist das schwache praet. vissa f. vista ge-
bildet wird; nur musz dann kurzer vocal vorhergehn, nach langem haf-
tet ST, wie mösta und vaist lehren.
Analog mit diesen formen laufen die substantiva auf -t: gifts von
giba, gaskafts von skapja, gagröfts f. gagreifts von greipa, mahts von
mag, slauhls von slaha, andbahds von bak (s. 133. 134), laists von
lais, gaviss junctura von gavida jungo, mijivissei conscientia von vait,
qiss von qi|ia, afstass von afstanda afstöf», dessen zweite person wol
nur afslöst lautete, mahts zeigt, dasz auch mäht für magt gelten
müsse, obschon wieder fragifts und fragibts schwanken, so dasz man
für liga auch lagt statt Iaht annehmeri dürfte. Wie geläufig aber dem
gotli. organ ST war, folgt daraus, dasz sich NST für NT entfaltete in
ansts und brunsts, weshalb auch die zweite person anst und branst für
ant, braut zu vermuten ist. dagegen kommen andanumts und qumjis
von niinan und qiman vor, nicht auf ahd. weise numfts qurnfts, wes-
halb denn die sec. praet. namt qamt gelten musz.
Es leuchtet ein, dasz diese gotli. FT IIT ST im grundsatz zu den
lat. PT CT und S (= ST), den gr. ITT KT 2 (20) stimmen, die
aus 11 G D entsprangen, goth. hafts raihts sind das lat. captus rec-
tus, und dasz visus l'oog aus vistus Igtoq stammen, wird durch das
goth. vissei eidrjatg = vistei bestätigt, viss certus — vists begegnet
nicht bei Ulf., darf aber aus ahd. wis, altn. viss sicher geschlossen
werden, mit sedeo sessum f. setsum kommt altn. sess sella f. sest
tiberein. ähnliche auflösungen des ST in SS und S sind allenthalben
wahrzunehmen: goth. ahd. ist, ags. is (s. 266); goth. svistar, sl. se-,
stra, litth. sessü, finn. sisar, lat. soror = sosor (s. 267); goth.
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256
LAUTABSTUFUNG
gistra, lat. heri f. hesi neben hesternus; gr. ooziov, sl. kost’, lat. os
364 ossis; warum sollten nicht visum osum von video odi auf vistum oslum
leiten? ahd. ist muosa aus muosta goth. mösta erwachsen und wista
westa wissa wessa schwanken.
Nun werden sich auch einzelne S fassen lassen, die aus andern
lingualen entsprungen sind, aber nur entspringen konnten, wenn man
annimmt, dasz hinter ihnen noch ein nachher ausfallendes T folgte,
von vleitan videre stammt andavleizns facies f. andavleistns. von biudan
mandare huzns mandatum f. buslns, ags. bysen, alts. amhusn = goth.
anabusns*. von usbeidan exspectare usbeisns longanimitas, f. usbeislns.
von vreiftan ags. vridan lorquere vräsen torques, ahd. reisan nodus f.
vrAslen, ahd. reistan; die goth. form hätte vraizns zu lauten.
Zu viel raum würde kosten, wollte ich diese goth. lautverstu-
fung auch durch die übrigen deutschen sprachen führen, so lehr-
reich einzelne abweichungen werden könnten, im ganzen herscht die-
selbe regel.
Weit mehr liegt es mir an eine andere aufzuweisen, die allen bis-
her erörterten entgegensteht und wovon weder in goth. noch gr. und
lat. spräche eine spur ist. statt des rückwärts gehenden einllusses
zeigt sie uns einen vorwärts greifenden.
Nicht alle ahd. dialecte geben ihn kund, sondern nur der aleman-
nische, wie er zu Sanctgallen durch Notkers und seiner genossen
sorgfältige, wenn schon nicht überall gleiche Schreibung verzeichnet
ist. dieser lautwechsel musz aber im Süden Deutschlands weiter aus-
gebreitet gewesen sein, da er hin und wieder noch bei mhd. dich-
tem vorbricht.
Das gesetz ist folgendes, von dem auslaut werden anlautende
liquidae spirantes und aspiratae niemals abgeändert, wol aber tenues
und mediae. lautet ein wort aul vocal und liquida aus, so musz ine-
365 dia, lautet es auf spirans oder muta aus, so musz tenuis folgen, der
vocalische und flüssige auslaut schont den nächsten anlaut, der hau-
chende und stumme greift ihn an.
Dem gemäsz wird gesagt: eina bindun, diu bluoma, du bist, dero
boumo, demo buoche, jungen boumes, min bruoder, er begrifet; aber
ih. pin, dingolih pinde, sih pergent, des poumes, sines pruoder, gab
pilde, liuf paldo, üf poume, sAlig pin, sündig pluot, chad pringen, nicht
pildes, sint pilde, daz puoch, üz prAhta.
eina geba, diu geba, du gibest, demo golde, dero gewalto, snel-
len ganges, din guot, er gehaltet; bingegen ih kesiho, sih kebe, noh
cnuhtig, ouh cnöto, des coldes, alles kähes, gab cold, üf kuldinemo,
üf kange, manig cot, ward keboten, waz kewallo, daz cold, üz kieng,
iz kerno.
* sollte das ags. byseg occupatus, engl, busy, mnl. beseelt, nnl. bezig eigent-
lich ausdrücken: qui mandatum exsequitur? so dasz bysegian, engl, busy hiesze
einen beschäftigen, einem etwas gebieten, auftragen, wie wenn das prov. be-
sonh, franz. besoin, it. bisogno, opus negotium necessitas gleichen Ursprung hätte?
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LAUTABSTUFUNG
Bei den lingualanlauten erscheint aber eine Schwierigkeit und ab-
weichung. die analogie der labialen und gutturalen fordert, dasz auch
in allen der golh. media D entsprechenden Wörtern derselbe Wechsel
zwischen med. und ten. eintrete, also demo dage, dil däte, der dag,
den deil, ein dier entgegengesetzt würde den formen ih tuon, des
tages, des teiles, manig tiure, daz tela. allein hier haftet immer die
tenuis, und es heiszt auch demo tage, du täte, der tag, der teil, ein
tier, einemo tiuren.
Wol aber wird der Wechsel angewendet auf die der goth. asp.
TII antwortenden anlaute, welche aus D in die tenuis T zurücksprin-
gen. man schreibt demnach: demo dritten, demo diele, dero dingo,
diu dierna, filo dürft, dü daz, in dih, er diccho.; dih trilten, ih tih,
eines trilten, wib tiu, sälig tiet, mag ter, mag taz, ward tanne, ist
turft, daz ting, waz tes. offenbar stehn diese letzten T den vorher an-
geführten K und P ungleich, denn cold und puoch haben die goth.
med. gulf), böka zur seite, tih und taz die goth. asp. fmk, Jiata. eben
so wenig läuft das D in dih dierna ding dem G und B in got gold
buoch bluomo parallel, da diese der golh. med. guf) gulf) böka blöma
gleichstehn, dritto daz der golh. asp. fwidja f>ala.
Mich dünkt, diese Störung des lautverhällnisses wurde hervorgeru-366
fen dadurch, dasz ahd., nach der strenge, keine media für das lippen
und kehlorgan vorhanden war, deren analogie das D hätte folgen kön-
nen. jener für die ten. gültige Wechsel warf sich darum bei den Zun-
genlauten auf die media.
Auszer den noch getrennt an einander stoszenden Wörtern wer-
den durch diese notkerische regel die inlaute vieler Zusammensetzun-
gen bestimmt, z. b. es heiszt ebenbilde und werltpilde, himilbüwo und
erdpüwo, foreboto und waltpoto, fiurgot und erdcot, sedelgang und
üfkang, Ebergör und Notker, sigegebo und spuotkebo, widemdiu und
gotestiu.
In den eingang des satzes pflegt N. immer tenuis, nicht media
zu stellen, die tenuis ist ihm also, nach ahd. weise, mit recht eigent-
licher laut, der sich nur vor vocalen und liquiden in die alte med.
erweicht, das gilt jedoch blosz für das verhallen seiner labial und
gutturallaute; bei den lingualen ist Notkers media der ahd. media
gemäsz.
Da der Wechsel unablässig durch die ganze rede fortgeht, so ge-
winnen dieselben Wörter bei veränderter Stellung stets verschiedne
gestalt, und die abweichenden auslaule können im anlaut media oder
tenuis häufen, z. b. der salz: smähes tinges kerönl turli lustsami
würde mit geringer änderung heiszen: smähero dingo gerötun durh
lustsami.
Dasz Notkers gesetz nicht aus der luft gegriffen war, sondern
auf feiner Beobachtung der wirklichen spräche ruhte, ergibt sich da-
her, dasz es noch zwei jahrhunderte später bei Wolfram, dem sprach-
gewalligsten aller mhd. dichter, also nicht einmal in Schwaben, son-
dern in Baiern unverkennbar ist. ohne zweifei wird es. schon vor
17
258
LAUTABSTUFUNG
Notkers zeit in landstrichen, wo die strenge ahd. lautregel gemildert
wurde, sogar reiner gewaltet haben; die gröberen aufzeichnungen der
Sprachdenkmäler wüsten es nur nicht zu fassen.
Es greift auch in den handschriften der wolframischen gedichte
nicht mehr durch und ist zumal in einigen texten des Parzival zu spü-
ren. Auszerdem beschränkt sich der Wechsel fast auf die labiallaute:
367 ob prünne 805, zwelf pröt 190, 10. 21. truoc pein 157, 27. lanc
prünez 252, 30. mac porgen 324, 9. ich pin 24, 25. 152, 4. 171,
14. 188, 29. 219, 15. 265, 26. 324, 19. 340, 17. 521, 1. 543,
1. 672, 23. ich pat 158, 19. ich pringe 218, 9. noch paz 241,
29. stet pi 253, 30. mit pägenden 247, 15. hundert pelte 229, 28.
verwüestet pürge 194, 17. ez prach 192, 2. daz pristet 172, 19.
daz pluotec 807, 21. des planken 811, 19. gleichwol folgt noch häu-
figer schon die media: ich hin 457, 3. fuoters bin 458, 18. häst
betwungen 198, 11. mich beliben 193, 28. des bleip 191, 5. reit
hi 189, 15 u. s. w.
Für den kehllaut gebricht es ganz an beispielen, wahrscheinlich
weil im anlaut auch die ahd. aspirata mhd. durch die tenuis vertreten
wird, diese also nicht ohne Verwirrung zugleich die media ersetzen
kann.
Überreste des notkerschen lingualwechsels haften nur in dem de-
monstrativpronomen und den ihm verwandten partikeln: vert tä 4, 1.
unt tes 161, 24. verlos ten 161, 4. daz tu 198, 11. daz ter 161,
17. 195, 29. erz tö 161, 8. hiez ter 162, 6. reitz ter 161, 17.
doch haben die meisten hss. media.
Mhd. Zusammensetzungen hegen P und K für B und G, niemals ,
aber T für D, und oft ist dann die sie verursachende vorausgegangne
tenuis ausgefallen, deren Wirkung dauert, wie wenn der umlaut zeu-
gende vocal abgestreift wurde, quecprunne, halsperc, amptere, enpran,
wiltpraüe, Hilprant, orpicke Rol. 180, 21 f. quecbrunne, halsberc, ant-
bsere, enlbran, wiltbraete, Hiltbranl f. Hildebrant, orlbicke. höchkezit
Parz. 216, 14, burcräve, enkän Nib. 880, 4, enkelten, enkiezen, en-
kurten, enkegen, Blicker, Stricker, stall höchgezit, burcgräve, entgän,
entgelten, entgiezen, entgurten, entgegen, Blitger, Stritger. nie habe
ich volctegen, swerllegen f. volcdegen swertdegen gelesen. In nhd.
eigennamen dauern formen wie Hilpert Bupert Elspet statt Ilildbert fc
- Rudbert Elsebet, oder in gemeiner spräche wilpert f. wildbrät wild- P
n\iMrcx.w r. bret. Analog scheint der Ursprung der formen enpfinden enpföhen
Kiv'tWiv. enpfarn enpfüeren f. entfinden entfallen u. s. w., wo das T eine ver-
368 Stärkung des folgenden F in PF wirkte; nhd. empfinden, empfangen
aber entfahren entführen.
Auch nnl. wird ein gewisser einflusz des auslauts auf den anlaut
wahrgenommen, der jedoch wirkliche anlehnung oder Zusammensetzung f
zweier Wörter begehrt, nicht von dem losen Worte her eintritt. eng-
anschlieszende tenuis asp. und spirans wandeln das folgende D in T:
aistu, dustaen, uplie, metter, enlie, entaer, nochtan f. als du, dus daen,
up die, mef der, ende die, ende daer, noch dan, zumal die anlehnung
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iTy.».y.«TnTT.yATlT,T„tar'TJ
LAUTABSTUFUNG
des vom artikel dat übrigen -t : torp = Tdorp, dat dorp, tac = tdac,
dat dac tectum, überall demnach, wo D dem goth. TH entspricht, so
dasz dieser wandel zwischen D und T ganz mit Notkers regel stimmt.
B und G erfahren keinen Umtausch in P und C; wol aber V in F:
tfolc, tfell, tfenin, ontfaen, mesfal f. dat volc, dat velt, dat venin, ont-
vaen, mesval, so dasz mnl. F härter als V gewesen sein musz.
Diese hochdeutschen und niederländischen einwirkungen auslau-
tender auf die anlautenden consonanlen bilden einen bedeutsamen Über-
gang zu dem ähnlichen, nur ungleich vollständiger entfalteten keltischen
laulsystem, das sich solches Wechsels in groszer fülle höchst eigen-
thümlich bemächtigt hat. alle seine scheinbaren rälhsel werden da-
durch gelöst, dasz man die änderung des anlauts von dem vorange-
henden oder vorangegangnen auslaut abhängig macht, in den meisten
fällen ist aber der laut, welchem die eigentliche kraft den Wechsel
hervorzubringen beiwohnte, längst geschwunden und nur mühsam auf
lustorischem wege zu ermitteln.
Dem keltischen consonantismus stehn alle stufen der media, lenuis
und aspirata zu gebot, ja die aspiralion noch weit voller als den mei-
sten übrigen urverwandten sprachen.
Der irische Wechsel stellt sich folgendermaszen dar:
P BP PH C GC CH T DT TH
B MB Bll G NG GH D ND DH
F BHF FH S TS SH
in der ersten reihe jedes Organs erscheint der wurzelhafte, in der
zweiten der durch eclipsis, in der dritten der durch aspiration verän-
derte laut, die aussprache der consonanten erster reihe hat kein be-
denken. in der dritten lautet PH etwas dicker als F, TH wie bloszes
II, dessen Verwandtschaft mit S uns vielfach auftaucht. BH|liat bei-
nahe den sanften laut unseres W, vielmehr den des alts. BII, dessen
Schreibung in V schwankt. GH und DII sind im anlaut nicht zu un-
n und gleichen unserm J. aber der laut von FI1 schwindet
H klingt wieder wie TU.
namen eclipsis haben die grammatiker gewählt, weil der
durch den vorgetretnen verdunkelt werde, in der that lau-
;|>: GC DT MB ND BHF TS völlig wie B G D M N BII T und es
ik/< pedantisch, das nicht ausgesprochne, oft dahinter unaussprech-
C T B D F S angeblicher klarheit halben beizufügen; einige
es noch dazu durch einen lästigen strich, den ich wenigstens
auch schreiben in gleichem fall die Welschen nur b g d
des irischen bp gc dt mb ml; der laut ist wirklich in b g
fflbergegangen, die irische Schreibung scheint blosz historisch
hlfertigen. für sie redet, dasz in NG das mit der liquida fest
iluc G beharrt, auf gleiche weise waren auch MB und ND ge-
D, die allmälich ihre muta abslieszen. bedeutsam mahnen diese
drei parallelen formen MB NG ND an die im deutschen inlaut aus B
G D hervorgehenden MB NG ND, an das poln. ab ad = amb and
(s. 335), und auch die irischen mögen als inlaute angesehn werden,
“V, viu.r <xr4iK<d2 unk t>—
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
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LAUTABSTUFUNG
Notkers zeit in landstrichen, wo die strenge ahd. lautregel gemildert
wurde, sogar reiner gewaltet haben; die gröberen aufzeichnungen der
Sprachdenkmäler wüsten es nur nicht zu fassen.
Es greift auch in den handschriften der wolframischen gediehte
nicht mehr durch und ist zumal in einigen texten des Parzival zu spü-
ren. Auszerdem beschränkt sich der Wechsel fast auf die labiallaute:
367 ob prünne 805, zwelf pröt 190, 10. 21. truoc pein 157, 27. lanc
prünez 252, 30. mac porgen 324, 9. ich pin 24, 25. 152, 4. 171,
14. 188, 29. 219, 15. 265, 26. 324, 19. 340, 17. 521, 1. 543,
1. 672, 23. ich pat 158, 19. ich pringe 218, 9. noch paz 241,
29. stet pi 253, 30. mit pägenden 247, 15. hundert pelte 229, 28.
verwüestet pürge 194, 17. ez prach 192, 2. daz pristet 172, 19.
daz pluotec 807, 21. des plankeu 811, 19. gleichwol folgt noch häu-
figer schon die media: ich bin 457, 3. fuoters bin 458, 18. häst
betwungen 198, 11. mich beliben 193, 28. des bleip 191, 5. reit
bi 189, 15 u. s. w.
Für den kehllaut gebricht es crm-z an beispielen, wahrscheinlich
weil im anlaut auch die ahd. aspirata
wird, diese also nicht ohne verwii,
kann. Jp
Überreste des notkerschen Irtuü:
monstrativpronomen und den ihm vo
unt tes 161, 24. verlos ten 161,,4
17. 195, 29. erz tö 161, 8.
doch haben die meisten hss.
Mhd. Zusammensetzungen I
aber T für D, und oft ist dann
tenuis ausgefallen, deren wirkun
gende vocal abgestreift wurde,
wiltpreete, Ililprant, orpicke Rol.
baere, entbran, wiltbraete, Hiltbranl
. durch die tenuis vertreten
leich die media ersetzen
haften nur in dem de-
partikeln: vert Ui 4, 1.
üu 198, 11. daz ter 161,
62, 6. reilz ter 161, 17.
nd K für B und G, niemals
verursachende vorausgegangne
r wie wenn der umlaut zeu-
e, halsperc, ampaere, enpran,
f. quecbrunne, halsberc, ant-
Hildebrant, orlbicke. höchkezit
\r»r‘YvV-a-v
Parz. 216, 14, burcräve, enkän Nib. 880, 4, enkelten, enkiezen, en-
kurten, enkegen, Blicker, Stricker, statt höchgezit, burcgräve, entgän,
entgelten, entgiezen, entgurten, entgegen, Blitger, Stritger. nie habe
ich volctegen, swerttegen f. volcdegen swertdegen gelesen. In nhd.
eigennamen dauern formen wie Hilpert Rupert Elspet statt Ilildbert
Rudbert Elsebet, oder in gemeiner spräche wilpert f. wildbrät wild-
F- bret. Analog scheint der Ursprung der formen enpfinden enpfähen
O-Y*. enpfarn enpfüeren f. enlfinden entfallen u. s. w., wo das T eine ver-
368 Stärkung des folgenden F in PF wirkte; nhd. empfinden, empfangen
aber entfahren entführen.
Auch nnl. wird ein gewisser einflusz des auslauts auf den anlaut
wahrgenommen, der jedoch wirkliche anlehnung oder Zusammensetzung
zweier Wörter begehrt, nicht von dem losen worte her eintritt. eng-
anschlieszende tenuis asp. und spirans wandeln das folgende D in T:
aistu, dustaen, uplie, metter, enlie, entaer, nochtan f. als du, dus daen,
up die, mef der, ende die, ende daer, noch dan, zumal die anlehnung
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LAUTABSTUFUNG
des vom artikel dat übrigen -t : torp = -tdorp, dat dorp, tac => tdac,
dat dac tectum, überall demnach, wo D dem gotli. TH entspricht, so
dasz dieser wandel zwischen D und T ganz mit Notkers regel stimmt.
B und G erfahren keinen Umtausch in P und C; wol aber V in F:
tfolc, tfell, tfentn, ontfaen, mesfal f. dat volc, dat velt, dat venin, ont-
vaen, mesval, so dasz mnl. F härter als V gewesen sein musz.
Diese hochdeutschen und niederländischen einwirkungen auslau-
tender auf die anlautenden consonanlen bilden einen bedeutsamen Über-
gang zu dem ähnlichen, nur ungleich vollständiger entfalteten keltischen
lautsystem, das sich solches Wechsels in groszer fülle höchst eigen-
thümlich bemächtigt hat. alle seine scheinbaren rälhsel werden da-
durch gelöst, dasz man die änderung des anlauts von dem vorange-
henden oder vorangegangnen auslaut abhängig macht, in den meisten
fällen ist aber der laut, welchem die eigentliche kraft den Wechsel
hervorzuhringen beiwohnte, längst geschwunden und nur mühsam auf
historischem wege zu ermitteln.
Dem keltischen consonantismus stehn alle stufen der media, tenuis
und aspirata zu gehot, ja die aspiration noch weit voller als den mei-
sten übrigen urverwandten sprachen.
Der irische Wechsel stellt sich folgendermaszen dar:
P BP PH C GC CH T DT TII
B MB BH G NG GH D ND DH
F BHF FH S TS SH
in der ersten reihe jedes organs erscheint der wurzelhafte, in der
zweiten der durch eclipsis, in der dritten der durch aspiration verän-
derte laut, die aussprache der consonanten erster reihe hat kein be-
denken. in der dritten lautet PH etwas dicker als F, TH wie bloszes
II, dessen Verwandtschaft mit S uns vielfach auflaucht. Bllfhat bei-
nahe den sanften laut unseres W, vielmehr den des alts. BH, dessen
Schreibung in V schwankt. GI1 und DH sind im anlaut nicht zu un-
terscheiden und gleichen unserm J. aber der laut von FI1 schwindet
ganz und SII klingt wieder wie TH.
Den namen eclipsis haben die grammatiker gewählt, weil der
wurzellaut durch den vorgetretnen verdunkelt werde, in der that lau-
ten BP GC DT MB ND BHF TS völlig wie B G D M N BII T und es
scheint pedantisch, das nicht ausgesprochne, oft dahinter unaussprech-
liche P C T B ü F S angeblicher klarheit halben beizufügen; einige
trennen es noch dazu durch einen lästigen strich, den ich wenigstens
hier spare, auch schreiben in gleichem fall die Welschen nur b g d
m n statt des irischen bp gc dt mb nd; der laut ist wirklich in b g
d m n übergegangen, die irische Schreibung scheint blosz historisch
zu rechtfertigen, für sie redet, dasz in NG das mit der liquida fest
verbundne G beharrt, auf gleiche wTeise waren auch MB und ND ge-
knüpft, die allmälich ihre muta abstieszen. bedeutsam mahnen diese
drei parallelen formen MB NG ND an die im deutschen inlaut aus B
G D hervorgehenden MB NG ND, an das poln. ab ad = amb and
(s. 335), und auch die irischen mögen als inlaute angesehn werden,
»uir rr\ Q-t4iK<J2 LinJr t>—
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bio +5 .
260
LAUTABSTUFUNG
CU
da sie durch vortritt anderer auslaute entspringen, für BP GC DT
setzen einige PP CG TT, was sich zum schweizerischen bbränte gga-
bla pfrau statt die briinte, die gäbe], die frau (Stalders dialect. s. 76)
halten liesze.
Alle diese consonantwechsel hängen ab von vorausgehenden Wör-
tern; fragt sich von welchen?
Der irische bestimmende artikel ist an, welcher dem litth. prono-
men ans ana, dem sl. on” ona, dem goth. jains jaina, dem ahd. enör
eniu, dem altn. inn in buchstäblich entspricht, seiner anwendung nach
dem franz. le la = lat. ille illa. durch seinen einflusz auf den anlaul
der folgenden nomina wird an zu einem behelf für Unterscheidung bei-
370 der geschlechter und zugleich des nom. vom gen.
Hier schlägt die einfache regel voll groszer Wirkung ein, dasz der
nom. sg. zum gen. pl., hingegen der nom. pl. zum gen. sg. analogie
zeige*, empfängt nun der nom. sg. masc. durch den artikel andern
anlaut als der weibliche, so scheiden sich auch ihre obliquen casus.
der artikel selbst ändert sein an im weiblichen gen. sg. und nom. pl.
beider geschl. in mj.
„ *7\ Yocalanlautenden männlichen subst. schiebt der artikel im nom.
ein T, weiblichen im gen. li vor, welches H beide, männliche und
weibliche auch im nom. pl. empfangen, iasg fisch, an tiasg der fisch,
an eisg des fisches, na heisg die fische; ean vogel, an tean der vogel,
an ein des vogels, na hein die vögel, na nean der vögel; aran brot,
an taran das brot, an aran des brots; easbha mangel, an easbha der
mangel, na heasbha des mangels, na heasbodha die rnängel, na neas-
bhadh der rnängel; oigh mädchen, na hoigh des mädchens, na hoigh
die mädchen, na nogh der mädchen. der gen. pl. vocalanlautender
subst. schaltet immer N vor.
2.^0 Allen männlichen subst. mit muta verleiht der artikel im gen.,
allen weiblichen im nom. sg. aspirata; in beiden geschlcchtern aber
371 hat der nom. pl. ursprünglichen, der gen. pl. eclipsierlen anlaut. pus
lippe, an pus die lippe, an phus der lippe, na pus die lippen, na bpus
der lippen; bard dichter, an bard der dichter, an bhaird des dichters,
na baird die dichter, na mbaird der dichter; fir mann, an fir der mann,
* das gesetz greift viel weiter und zeigt sich auch unabhängig vom artikel in
anlaut und umlaut:
nom. sg. bean frau nom. pl. mnä n. sg. bard pl. baird
gen. sg. mnä gen. bean gen. baird bard
und beherscht es nicht wunderbar die romanische flexion?
prov. nom. sg. amics pl. amic altfranz. amis ami
acc. amic acc. amics ami amis
prov. nom. sg. bels pl. bei altfranz. biaus biau
acc. bei bels biau biaus
diese romanischen formen entspringen allerdings aus lat.
amicus amici bellus belli
amicum amicos bellum beilos
doch wie herrlich nutzte der sprachgeist die erlöschende form zu neuer frischer
regel, und waltete dabei nicht keltisches gefiihl?
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
LAUTABSTUFUNG
261
an fliir des manns, na fear die männer, na bhfear der männer; cu
hund, an cu der hund, an cliuin des Bundes; cos fusz, an cos der
fusz, an chois des fuszes, na cos die füsze, na gcos der fiisze; gort
feld, an gort das feld, an ghort des feldes, na ngort der felder; trean
held, an trean der held, an threin des helden, na trein die beiden, na
dtrean der helden; tonn welle, an tonn die welle, an thonn der welle,
na tonntha die wellen, na dtonntha der wellen; drubh wagen, an drubh
der wagen, an dhrubh des wagens, na drubh die wagen, na ndrubh
der wagen.
Beispiele weiblicher: ploc wange, an ploc die wange, 11a pluice
der wange, na pluice die wangen, na bploc der wangen; bean frau,
an bhean die frau, na hean der frau, na bean die frauen, na mbean
der frauen; fearnog erle, an fheamog die erle, na fearnog der erle,
na fearnog die erlen, na bhfearnog der erlen; colam taube, an cholam
die taube, na colaime der taube; cailleach hexe, an chailleaeh die
hexe, na gcailleach der hexen; cluas ohr, an chluas das ohr, na clnas
des ohrs, na cluas die obren, na gcluas der ohren; glac hand, an ghlac
die hand, na glac der hand, na glac die hände, na nglac der bände-;
land = lat. terra, an lliir das land, 11a tire des landes, na tire
■hider, na dtire der länder; daif trank, an dhaif der trank, na daif
na daif die tränke, na ndaif der tränke,
lit S haben das eigne, dasz der artikel vor ihnen überall 0
^rt, wo sonst aspiration. männliche setzen demnach ihren
ferse = altn. hoell, ags. hei, an sal die ferse, an tsal
Ith gelehrter, an sruth der gelehrte, an tsruith des ge-
)iele weiblicher: sron nase, an tsron die nase, na srone
rulhe, an tslat die ruthe, na slaite der ruthe; suil äuge,
fange, na suile des auges. da der pl. in keinem ge-372
[■ation leidet, so bleibt das S im pl. unversehrt,
leicht erklärliche fortwirkung geht auch auf die den subst.
bn adjectiva die eclipse über: an fear trean der starke mann,
na bhfear<rean der starken männer; an aill ard die hohe klippe, nan
aill nartl der hohen klippen.
Üa mit dem gen. pl. die possessiva ar noster, bhar (bliur) vester
nahe Zusammenhängen, ist nicht zu verwundern, dasz nach ihnen und
nach dem gen, pl. a = eorum eclipse stattfindet: bad boot, armbad
unser boot; bard dichter, ar mbard unser dichter; cos fusz, bhur
gcosa eure füsze; dann nachkommen, ar gclann unsre nachkommen;
tir land, bhur tdir euer land; tonn welle, ar tdonna eure wellen;
doigh hofnung, a ndoigh deren hofnung. der gen. sg. a ejus (masc.
und fern.) wirkt dagegen aspiration: pian dolor, a phian ejus dolor;
bo vacca, a bho ejus vacca; fuil sanguis, a fhuil ejus sanguis; cos
pes, a chos ejus pes; ceann capul, a cheann ejus caput; toil volun-
tas, a thoil ejus voluntas; doras porta, a dhoras ejus porta; sal calx,
a shal ejus calx; suil oculus, a sliuil ejus oculus; mathair mater, a
nihathair ejus mater.
Auf die verbalform wirken verschiedne Vorgesetzte partikeln eclipse,
7°
Ud.'iM
LAUTABSTUFUNG
da sie durch vortritt anderer auslaute entspringen, für BP GC DT
setzen einige PP CC TT, was sich zum schweizerischen hbränte gga-
bla pfrau statt die briinte, die gäbe], die frau (Stalders dialect. s. 76)
halten liesze.
Alle diese consonantwechsel hängen ab von vorausgehenden Wör-
tern; fragt sich von welchen?
Der irische bestimmende artikel ist an, welcher dem litth. prono-
men ans ana, dem sl. on” ona, dem goth. jains jaina, dem ahd. enör
eniu, dem altn. inn in buchstäblich entspricht, seiner anwendung nach
dem franz. le la = lat. ille illa. durch seinen einflusz auf den anlaul
der folgenden nomina wird an zu einem behelf für Unterscheidung bei-
370 der geschlechter und zugleich des nom. vom gen.
Hier schlägt die einfache regel voll groszer Wirkung ein, dasz der
nom. sg. zum gen. pl., hingegen der nom. pl. zum gen. sg. analogie
zeige*, empfängt nun der nom. sg. masc. durch den artikel andern
anlaut als der weibliche, so scheiden sich auch ihre obliquen casus.
der artikel selbst ändert sein an im weiblichen gen. sg. und nom. pl.
beider geschl. in na.
Vocalanlautenden männlichen subst. schiebt der artikel im nom.
ein T, weiblichen im gen. H vor, welcl
weibliche auch im nom. pl. empfange
an eisg des fisches, na heisg die
an ein des vogels, na hein die
an taran das brot, an aran
mangel, na heasbha des man
bhadh der mängel; oigh mä
die mädchen, na nogh der
subst. schaltet immer N vor,
Allen männlichen subst.
allen weiblichen im nom. sg'
371 hat der nom. pl. ursprüngliche’
lippe, an pus die lippe, an ph
der lippen; bard dichter, an b
na baird die dichter, na mbaird de
beide, männliche und
an tiasg der fisch,
■el, an tean der vogel,
vögel; aran brot,
gel, an easbha der
mängel, na neas-
ädchens, na hoigh
pl. vocalanlautender
der artikel im gen.,
den geschlechtern aber
eclipsierlen anlaut. pus
pus die lippen, na bpus
dichter, an bhaird des dichters,
ichter; fir mann, an fir der mann,
pl. baird
bard
* das gesetz greift viel weiter und zeigt sich auch unabhängig vom artikel in
anlaut und umlaut:
nom. sg. bean frau nom. pl. mnä n. sg. bard
gen. sg. mnä gen. bean gen. baird
und beherscht es nicht wunderbar die romanische flexion?
prov. nom. sg. amics pl. amic
acc. amic acc. amics
prov. nom. sg. bels pl. bei
acc. bei bels
diese romanischen formen entspringen allerdings aus lat.
amicus amici bellus belli
amicum amicos bellum beilos
doch wie herrlich nutzte der sprachgeist die erlöschende form zu neuer frischer
regel, und waltete dabei nicht keltisches gefühl?
altfranz. amis ami
ami amis
altfranz. biaus biau
biau biaus
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« mm es m m **
LAUTABSTUFUNG
261
an fhir des manns, na fear die männer, na bhfear der männer; cu
hund, an cu der hund, an chuin des Bundes; cos fusz, an cos der
fusz, an chois des fuszes, na cos die füsze, na gcos der füsze; gort
feld, an gort das feld, an ghort des feldes, na ngort der felder; trean
held, an trean der held, an threin des helden, na trein die beiden, na
dtrean der helden; tonn welle, an tonn die welle, an thonn der welle,
na tonntha die wellen, na dtonntha der wellen; drubh wagen, an drubh
der wagen, an dhrubh des wagens, na drubh die wagen, na ndrubh
der wagen.
Beispiele weiblicher: ploc wrange, an ploc die wange, na pluice
der wange, na pluice die wangen, na bploc der wangen; bean frau,
an bhean die frau, na hean der frau, na bean die frauen, na mbean
der frauen; fearnog erle, an fhearnog die erle, na fearnog der erle,
na fearnog die erlen, na bhfearnog der erlen; colam taube, an cholam
die taube, na colaime der taube; cailleach hexe, an chailleaeh die
hexe, na gcailleach der hexen; cluas ohr, an chluas das ohr, na cluas
des ohrs, na cluas die obren, na gcluas der obren; glac hand, an ghlac
die hand, na glac der hand, na glac die bände, na nglac der hände-;
tir land = lat. terra, an thir das land, na tire des landes, na tire
die ländcr, na dlire der länder; daif trank, an dhaif der trank, 11a daif
des tranks, na daif die tränke, na ndaif der tränke.
Die mit S haben das eigne, dasz der artikel vor ihnen überall
eclipse fordert, -wo sonst aspiration. männliche setzen demnach ihren
artikel so: sal ferse = altn. hcell, ags. hd, an sal die ferse, an tsal
der ferse; srulh gelehrter, an sruth der gelehrte, an tsruith des ge-
lehrten. beispiele weiblicher: sron nase, an tsron die nase, na srone
der nase; slat ruthe, an tslat die ruthe, na slaite der ruthe; suil äuge,
an tsuil das äuge, na suile des auges. da der pl. in keinem ge-372
schlecht aspiration leidet, so bleibt das S im pl. unversehrt.
Durch leicht erklärliche fortvvirkung geht auch auf die den subst.
nachgesetzten adjectiva die eclipse über: an fear trean der starke mann,
na bhfear dtrean der starken männer; an aill ard die hohe klippe, nan
aill nard der hohen klippen.
Da mit dem gen. pl. die possessiva ar noster, bliar (bliur) vester
nahe Zusammenhängen, ist nicht zu verwundern, dasz nach ihnen und
nach dem gen, pl. a — eorum eclipse stattfindet: bad boot, ar mbad
unser boot; bard dichter, ar mbard unser dichter; cos fusz, bhur
gcosa eure füsze; dann nachkommen, ar gclann unsre nachkommen;
tir land, bhur tdir euer land; tonn welle, ar tdonna eure wellen;
doigh hofnung, a ndoigh deren hofnung. der gen, sg. a ejus (masc.
und fern.) wirkt dagegen aspiration: pian dolor, a phian ejus dolor;
bo vacca, a bho ejus vacca; fuil sanguis, a fhuil ejus sanguis; cos
pes, a chos ejus pes; ceann capul, a cheann ejus caput; toil volun-
tas, a thoil ejus voluntas; doras porta, a dhoras ejus porta; sal calx,
a shal ejus calx; suil oculus, a shuil ejus oculus; mathair mater, a
mhalhair ejus mater.
Auf die verbalform wirken verschiedne Vorgesetzte partikeln eclipse,
Ock
ü3.344
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LAUTABSTUFUNG
namentlich fragendes an ob, go dasz, da ob, iar nach, nocha nicht,
z. b. a bhfuil tu? bist du? an gceilir hehlst du? von ceilim celo;
go gceilir dasz du hehlest; da gceilfinn wenn ich hehlte; iar geeilt
nach dem hehlen; nocha gceilim ich hehle nicht; ba erat, da mbadh
si esset. •
Einzelne partikeln haben gleiche Wirkung vor substantiven: bliad
annus, a mbliadhna hoc anno; trasta huc usque, go dtrasta; cein pro-
cul, a gcein; cul tergum a geul a tergo; troid pes, a dtraide stante
pede; fior verus, lar bhfior verissimus; ceann caput, a gceann in ca-
pite; dail occursus, a ndail obviam; an tigh domum, a dtigh domi.
Merkwürdig ist, dasz die zahlen VII — X den folgenden conso-
Odo-n 345” nant verdunkeln, nicht I — VI. es heiszt aon chos, dha chois, tri
373 cosa, ceitre cosa, se cosa, hingegen seacht geosa, ocht geosa, noi
geosa, deich geosa. seacht gcaoirigh sieben schafe, ocht mbliadhna
acht jahre, von caor, bliadh.
welchen stellt sich der Wechsel so dar:
” P B PH MH C G CH NCH T D TH NH
BMF G NG W D N I)D
statt MH scheint die theorie zu fordern MPH, für NH NTH und P T
ausgefallen, wie neben M und N die media B und D. dem irischen
Übergang des F in BHF, des S in T gleicht hier nichts, wogegen
eclipse des M in F slattfindet, welches in der aussprache dem ir. BHF
gleichsteht.
Wurzelhaftes P kann also hier in drei laute überlaufen, in B PH
und MH (z. b. pen haupt in ben phen mhen), C in G CII NCH (cän
lied in gän chän nchän; cAr freund, in gär chär nchär), T in D TH
NH (tad vater in dad thad nhad); wogegen wurzelhafte media nur
zwei laute erreicht: B M und F (bara brot, mara fara; braich arm,
mraich fraich) G NG und W (gwr mann, ngwr wr) und D N DD (duw
gott, nuw dduw; dyn person, nyn ddyn.)
Hält man welsche zu den ir. formen, so ergibt sich beider ana-
logie. welsches braich mraich fraich = ir. brac mbrac bhrac; wel-
sches gwr ngwr wr — ir. fir bhfir fliir; welsches duw nuw dduw =
ir. dia ndia dhe. dasz ir. F dem welschen GW entspricht, wurde
schon s. 306 gesagt, dem GW schlosz sich vornen leicht N an. oft
aber verdeckt sich die gleichheit, wenn eine änderung des wurzellauts
das wort in andere reihen wirft; manche vocalanlautige irische haben
in welscher spräche consonanten empfangen, z. b. aran brot ist wel-
sches bara, iasg fisch welsches pysg, athair vater welsches tad; das
letzte läszt sich aus irischem an tathair der vater leiten.
Auch die bedingungen des welschen Wechsels weichen ab. der
artikel lautet vor consonanten y und hat keinen einflusz auf sie: y
brenin der könig (nicht y frenin.) desto stärkeren üben Vorgesetzte
possessiva: pen head, ei ben his head, ei phen her head, fy mhen
my head; bara bread, ei fara his bread, fy mara my bread; cAr friend,
ei gAr his friend, ei chär her friend, fy nchär my friend; can song,
374 ei gan his song, ei chan her song, fy nchan my song; garth a ridge,
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LAUTABSTUFUNG
263
ei ngarth his ridge, ei warth her ridge; gwas servant, ei ngwas his
servant, ei was her servant; tad falher, ei dad his father, ei thad
her fallier, fy nhad my father; duw god, ei dduw her god, fy nuw
my god. doch mag einiges schwanken, welch groszer unterschied
aber vom irischen brauch, wo das a his und her bedeutet, und in
beiden fällen aspiriert, während das welsche ei his eclipsiert, ei her
aspiriert.
Die Zahlwörter anlangend, so aspirieren tri und chwech: tri
chär drei freunde, chwech chär sechs freunde, pump und deg eclip—
sieren: pum mlynedd, fünf jahre, deng mlynedd zehn jahre statt pump
blynedd, deg blynedd. hier leiden die Zahlwörter rückwärts änderung,
dem pump wird sein auslaut genommen, in deg geht nasallaut ein.
Armorischer Wechsel:
PBF KG CH TDZ
B V G CH DZ
wobei vorzüglich das Z für welsches TH und DD wahrzunehmen ist.
M in V gilt gleichfalls.
Hier lautet der artikel ar (vor lingualen ann) und hat gleich dem
irischen kraft den cons. des subst. zu ändern, doch auf verschiedne
weise: peden priere, ar beden la pri&re; ker ville, ar ger la ville;
töen toit, ann döen le toit; bäz bäton, ar vaz le bäton; göz taupe,
ar chöz la taupe.
Einige possessiva wirken eclipse, andere aspiration: penn tele, da
benn ta töte; va fenn ma tete, hö fenn sa töte, hö fennou leurs tötes;
va breur mon fröre, hö preur volre fröre; da dreid tes pieds, va zreid
mes pieds; ki chien, va chi mon chien.
Partikeleinflüsse: deiz tag, pe zeiz? welcher tag?; kleiz link, a
gleiz links; deou recht, a zeou rechts; bäg boot, dre väg im boot;
glaz blau, peuz ehlaz ziemlich blau; mad gut, rd vad zu gut. beson-
ders in der conjugalion: bezinn ero, ra vezinn utsim; pedinn rogabo,
ra bedinn ut rogem; bezez esses, pä vezez cum esses; kär amat, ne
gär non amat.
Einflüsse der zahlen: bara brot, daou vara zwei hrote, derven 375
eiche, diou zerven zwei eichen, merch mädchen, diou verch zwei mäd-
chen, ki hund, tri chi drei hunde, li haus, tri zi drei häuser, penn
köpf, pevar fenn vier köpfe, plach mädchen, pecler flach vier mädchen,
bioch kuh, pemp pioch fünf kühe, ki hund, nao chi neun hunde, gad
hase, dök kad zehn hasen. aber ohne einflusz sind die zahlen chouech
seiz eiz (6. 7. 8.)
Gleich den irischen ändern auch die armorischen adjective neben
dem subst. ihren laut: ar belek mäd der gute priester, ar veleien väd
die guten priester; ar paotr bräz der grosze knabe, ar baotred vräz
die groszen knaben.
Von besondrer Wichtigkeit scheint die verschiedne behandlung des
zweiten worts der Zusammensetzungen in diesen drei sprachen*.
* zu diesem verhalten der Zusammensetzungen musz das tilgen des Spiritus
in der mitte von compositis genommen werden (s. 298.)
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....................................... >
264
LAUTABSTUFUNG
Die irische pflegt es zu aspirieren, nicht zu eclipsieren. sie aspi-
riert sogar nach liquidem auslaut des ersten worts: milbhior honig-
wasser, tiobarbhior brunnenwasser, beide von bior wasser; belbhinn
mundsiisz von binn dulcis; cammhuin krummriicke, name eines vogels;
camshuileach krummäugig, schielend; banfhile dichterin, von fde dich-
ter; morbheinn groszer berg, von beinn gipfel; morfhear groszer mann;
trenfhear mächtiger mann; muirbhran seerabe; muirgheilt meerweib,
von geilt; fionchaor Weintraube, von caor beere; dobharchu wasser-
hund, otter, von cu hund; fionghal geschlechtsmord, von gal mord.
um so mehr nach mutis: ardbheinn hoher gipfel, woher die silva ar-
duenna, die Ardennen; ardshagard hoherpriester; ardchios hauptabgabe,
von cios tributum; deigbhean gute frau; deighdhuine guter mann; coc-
bhran dohle; leathchos halbfusz d. i. einfilszig; glasmhuir grünes meer;
ceartmheadhon centrum; von meadhon mitte, doch die lingualen T
und D leiden nach liquidis keine aspiration, sondern bleiben unverän-
dert: brandubh rabenschwarz; glunndubh knieschwarz; ceanntrean
376 hauptslark; ceanndana von dana frech, ich finde auch mactire sohn
des landes, wie die dichter den wolf nennen, nicht macthire.
Das zweite welsche wort erfährt aber nach liquiden häufig eclipse,
nicht aspiration: coelbren losz, holz zum wahrsagen, von pren holz;
mangän feine blüte, von cän; mangoed feines holz, von coed; brenin-
hvcnr l//inirrficr»li unn nvcrr wrnltrcnlioinlinli rlor l/nnirrlmlinn tnfnl vnrlm-
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T ' T ^ ‘,r
LAUTABSTUFUNG
265
vis, gorthrwm pergravis; tywys dux, gorthywys sunimus dux; gwag377
vanus, gorwag vanissimus; gvvar mansuetus — goth. qairris, gorwar
valde mansuetus.
Auch die armorischen composita schwanken zwischen eclipse und
aspiration, z. b. dourgi Otter = welsch dwrgi; mörvran = morfran.
dies idiom läszt sogar lose, wenn nur im sinn verbundne Wörter auf
einander wirken, wenn das erste weiblich ist: pöan benn dolor capi-
tis, pöan galonn dolor cordis.
Mahnen diese keltischen composita an unser ahd. ebenbilde und
werltpilde (s. 366)? diese Verschiedenheit der anlaute, je nachdem
andere Wörter vorausgehn, an Notkers regel? auch er würde nach den
cardinalzahlen abwechseln, z. b. zwei bleter, driu bleter, fior bleter,
fünf pleter, sehs pleter, siben bleter, ahto bleter, niun bleter, zehen
bleter schreiben, der Wechsel zwischen na fear und na bhfear (spr.
na vear) gleicht er nicht dem mnl. zwischen tfolc und volc, tfelt und
velt (s. 368)?
Nur ist des deutschen Wechsels Ursache immer klar und in Ver-
schiedenheit der auslaute nachgewiesen, während der keltische zwar
auch vom anstosz vorhergehender Wörter abhängt, aber eigensinnig un-
ter scheinbar gleichen umständen bald einzutrelen, bald nicht einzutre-
ten pflegt, bei Notker tauschen die mutae rein phonetisch, überall
wo die bedingung dazu eintritt; die keltische spräche macht hingegen
von ihrer regel dynamischen gebrauch (s. 293) und weisz durch sie
wichtige unterschiede der casus und geschlechter zu verdeutlichen.
Wie der sprachgeist insgemein alle Willkür meidet und seine ge-
heimen triebe oft verbirgt; sollte nicht jener eigensinn blosz schein-
bar, und der vorangehende auslaut, wo er unbegreiflich wirkt, ver-
stümmelt sein, so dasz er in seine volle gestalt zurückgeführt leicht
begriffen würde? die praxis der spräche hielt an den Wirkungen fest
und liesz deren Ursache schwinden.
Aus dem einflusz der irischen zahlen seacht ocht naoi und deich
schöpfte Bopp die folgerung, dasz ihnen von haus aus die endung -n
gebühre (vgl. oben s. 243) und in diesem N ihre kraft beruhe, den378
nächsten anlaut zu ändern; weshalb die organisch vocalschlüssigen an-
dern zahlen solche Wirkung nicht äuszern. in den nicht ganz hierzu
stimmenden welschen und armor. zahlen scheint die ir. regel etwas
entstellt.
Anderes gestatteten die vocalanlautigen subst. zu folgern, das N
vor ihren gen. pl. scheint nicht sowol fiillung des hialus, sondern
dem artikel zuständig, na nean, na niasg, na nogh, na neasbhadh also
sind eigentlich nan ean, nan iasg, nan ogh, nan easbhadh, und da-
durch erklärt sich nun auch vor mutis die eclipse im gen. pl., na bpus
na bploc na gcluas na dtrein na dtire stehn für nam pus nam ploc
nan cluas nan trein nan tire, was aber na hus na bloc na gluas na
drein na dire gesprochen wird, bei wurzelhafter media konnte die
liquida des artikels sich noch enger an die muta des nomens schlieszen,
statt nan baird nan bean nan gort nan glac nan drubh nan daif ergab
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266
sich
LAUTABSTUFUNG
engeres nambaird nambean nangort nanglac nandrubh nandaif,
was man pedantisch schreibt na mbaird oder gar na m-baird, da »es
doch in der gleitenden aussprache zu namaird naniean nanrubh nanaif
wurden nangort nanglac blieben.
Dasz der männliche artikel im gen. sg., der weibliche im nom.
sg. aspiriert, der männliche im nom. sg., der weibliche im gen. un-
aspiriert läszt, leitet Bopp her aus früherem vocalischen ausgang der
aspirierenden, aus früherem -s der nicht aspirierenden form, dies
scheint das vermutlich aus S hervorgegangne H zu bestätigen, wel-
ches dem gen. sg. weiblicher nomina, die auf vocal anlaulen, und
dem nom. pl. beider geschlechter vorgeschoben wird, na heasbha ist
also nah easbha == nas easbha, und vor diesem nas haftet unverwan-
delte muta in na pluice na bean u. s. w. Den Vorschlag T in an
tiasg, an taran hat man wiederum zu fassen als ursprünglichen aus-
gang des männlichen artikels ant iasg, ant aran, welches ant Bopp
aus ans deutet, womit jedoch der Wechsel zwischen an sal und an
tsal, an tslat und na slaite (s. 371) nicht recht übereintrift.
379 Mir fällt ein, ob nicht ant aus häufung beider demonslrativstämme
an = lilth. anas, t = litth. tas zu leiten sei? wie die alln. spräche,
nur in umgedrehter folge sä inn, fiess inns (gramm. 4, 379. 431),
die mnl. de gone (4, 447) verknüpft, auch gliche das Vorgesetzte
T in taran tiasg dem vorstehenden D in derda dougen dandern dander
(4, 370. 372.) wo das T steht, oder hinter dem an früher gestan-
den haben musz, unterbleibt die aspiration, und muta ändert sich
nicht; ebenso könnte sie im gen. sg. fern, ein weggefallnes -s ge-
hindert haben, die auslaute T oder S hemmen also aspiration und
eclipse, vocalauslaut ruft aspiration und eclipse, der auslaut N eclipse
hervor. Man kann sagen, vocal und liquida wirken auf den folgenden
l cons. erweichend, muta erhält ihn unverändert, recht verstanden ist
das auch erfolg der nolkerschen regel, welche nach vocal und liq.
den folgenden cons. weich, nach muta hart verlangt, dem ahd. organ
ist freilich der harte laut regel, der weiche ausnahme und in sofern
kann angenommen werden, dasz auslautende muta den anlaut ändere,
vocal und liq. aber unangegriffen lasse, wo der keltische anlaut un-
geändert haftet, darf im auslaut muta, wenn sie mangelt, früher vor-
handen geglaubt werden.
Was man aber auch von diesen deutungen urtheile (und das Ver-
hältnis der welschen und armor. spräche zur irischen führt grosze
Schwierigkeit mit sich); das factische Vorhandensein der keltischen
lautwechsel ist in der geschichte unsrer urverwandten sprachen eine
der eigenthiimlichsten ersebeinungen, und fernerer forschung werth.
Zumal räthselhaft scheint der eintritt oder nichteintritt des Wechsels
nach denselben partikeln, wenn sich die bedeutung ändert, oder der
welsche unterschied zwischen gorben und gorphen. hier wird es fast
unmöglich die Verschiedenheit der Wirkung, dem buchstab und dem
sinn nach, von einem ausgefallnen laut abhängig zu machen.
Es verdient alle aufmerksamkeit, dasz der irische vortritt des T
HK r.nci
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LAUTABSTUFUNG
267
und H vor vocalen, so wie der Wechsel zwischen S und TS (sprich T)
den beiden übrigen sprachen mangelt, statt des ir. alhair aran und
iasg erscheint welsches tad bara und pysg, und wie athair dem atta380
(s. 271), aran dem gr. aQzog, begegnet pysg dem lat. piscis, goth.
fisks, tad dem lat. pater goth. fadar. tiasg aber vermittelt piscis, wie
tathair tad und pater, ir. tir = lat. terra könnten wiederum zu goth.
airfta ahd. erda stehn gleich dem tad zu alhair, man erwäge falle wie
oh/og TioXyog (s. 326) und ähnliche. Ir. sron nasus ist unverkenn-
bar das gr. qiv oder Qi'g nach dem Wechsel zwischen ’S und H *;
ich vergleiche ihm aber auch den sl. namen des elefanten slon” d. i.
nasutus, mit Wechsel des R und L. der artikulierten form an tsron
(spr. tron) entspricht offenbar das welsche trwyn, altn. triona rostrum,
schwed. dän. tryne und ich möchte auch das mhd. drüzzel, nhd.
rüssel hinzu und rostrum f. trostrum nehmen, ir. sreanga vergleicht
sich unserm sträng, ir. sreamh dem ags. stream, ahd. ström, die arti-
kulierte form tsreamh (spr. treamh) zugleich dem mhd. trän, so ma-
nigfach kreuzen sich diese laute. Was ist leichter als nach der kel-
tischen eclipse des B in M auch anderwärts den wandel zwischen lac
und mleko (bleacht mleacht) s. 326. 332, zwischen bramor und mramor,
ßv^iuS, und (s. 327) zu fassen?
Übrig bleibt nun den consonantismus der romanischen, slavischen
und litthauischen sprachen zu erwägen.
So verschieden diese selbst unter einander sein mögen, bilden sie
einen bedeutsamen gegensatz zu den deutschen, griechischen und kel-
tischen, welchen zu entwickeln mir hier anliegt.
Diesen drei letztgenannten ist der spiritus und die davon abhängende
aspiration in vollem und vollerem masze eigen, während sie den ersteren
fast entgehn. ,
Die Litthauer haben weder H noch aspirala, auch die Slaven in
heimischen Wörtern nicht, denn das böhm. II entspricht unserm laut
G und die Russen drücken sogar das H deutscher «namen durch ihr G
aus. beiden gebricht TII und selbst in fremden namen lassen sie es 381
durch F vertreten, auch den laut F und die damit anhebenden Wörter
haben sie aus der fremde. CII ist zwar bei Polen, Böhmen und Russen
vorhanden, die Serben schreiben es nicht, oder sprechen es mindestens
nicht aus.
Der lat. spräche fehlte H nicht, wol aber CH und TH, ihr F
hatte auszer dem anlaut (wo es bald gr. 00 bald X bald Q vertritt)
geringen umfang, unter ihren romanischen töchtern ist die spanische
dem hauch die geneigteste und hat ihn anlautend auch für lat. F
(haha habla hazer hada u. s. w.) oder G (hermano) und den laut CH
verleiht sie ihrem G J und X vor E und I. Italiener gleich Franzosen
schreiben lat. II, ohne es zu sprechen, und ihr CH, gleich dem span.,
hat nicht den laut der reinen aspiration.
* den beispiel#n s. 304 kann auch ir. -sal = altn. beeil, ags. hei, engl, heel
zulreten.
268
LAUTABSTUFUNG
Wie wir einzelne sprachen zum H, andere zum S geneigen sahen
(s. 299 ff.), aus dem ursprünglich gutturalen digamma F und F sich
entfalteten (s. 296); so scheint hier der hauchende laut zur Verfeinerung
der labialen, dort der sausende zu gesteigerter entwicklung der guttu-
ralen zu gereichen. Keiner spräche ist alles in allem verliehen, dem
nach einer seite hin voller ausgebildeten organ pflegt auf der andern
mangel und einfachheit gegenüber zu stehn. TH und DII schlagen um
in TS und DS, wofür der buchstab Z eingeführt wurde.
Die litlhauische und slavische zunge erlangen eigenlhümlichen und
gewaltigen ausdruck durch Verfeinerung ihrer lingualen und Verschmel-
zung derselben mit gutturalen, woraus zischende und palatale laute
hervorgehn, die neben ihrer kraft unleugbare härte an sich tragen, und
dem deutschen oder keltischen organ so schwer fallen wie dem slavi-
schen die abstufung oder Steigerung unserer aspirierten kehllaute. die
slavische schrift, zumal die cyrillische weisz sie durch eigne buchstaben
gefüger zu machen, deren ich mich hier, schon um den laut deutlicher
vorzuführen enthalte; doch folge ich überall der herkömmlichen litlh.
poln. und böhmischen bezeichnung.
Den Slaven steht auszer der tenuis T, media D und spirans S
3S2 zu ein Z (zemlja), das sie wie sanfteres S aussprechen und das wie
goth. Z lauten mag, ein SII (shivjete), das dem franz. J gleichkommt,
ein TZ (tzi) => unserm Z, ein SCH (scha) = unserm SCH, ein TSCH
(tscherv), eine Verbindung der beiden lelzlen SCHTSCH (schtscha). Die
Polen aber schreiben für sh £, für tz c, für sch sz, für tsch cz, für
schtsch szcz; den Böhmen gilt z c § C st (früher sc.) Nach der
polnischen hat sich gänzlich die litth. schrift geregelt; eigen ist das
poln. s (smier6 swiat) das die übrigen Slaven durch bloszes s aus-
drücken. jenes harte SCHTSCH, poln. szcz wird auch litth. SZCZ
geschrieben.
Das wichtigste ist nun den Ursprung und die abstufung dieser
Zischlaute zu gewahren, folgende regel gilt den Slaven:
G wird vor i je Z, vor e S1I
K TZ TSCH
CH S SCH
z. b. bog” vnouk” douch” haben den nom. pl. bozi vnoutzi dousi, den
voc. sg. boshe vnoutsche dousche. aus mogu valeo wird moshem
valemus, mozjete valete; az ego fordert ein früheres azi (s. 260. 284);
bjegu fugio curro steht neben bjeshu; metsch’ f.iu/atQa goth. mökeis
altn. maskir. dasselbe musz aber auch auf anlaute gerecht sein: zima
steht für gima und entspricht dem ir. geimhra, lat. hiems, gr. /ti/uiov.
tzjesar’ dem lat. caesar, sir” 0Q(fuvög dem gr. xriQog. shena dem
gr. yvvrj. tscheljost’ maxilla dem altn. kialki. sehest’ dem gr.
Offenbar tritt vor i der härtere laut ein und e übt wieder mihlerung
auf ihn aus.
Da CH wahrscheinlich wie II gesprochen wurde, begreift sich
der Übergang von hi in si leicht, nach der oft bemerkten Verwandt-
schaft zwischen II und S; gi und ki wandeln sich'analog in zi und
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
^ Ä w w w Ä A w Ä
LAUTABSTUFUNG
269
tzi; vor e tritt noch die spirans zu, ge ke che werden she tsche
sehe. Der Wechsel hat aber auch unmittelbar vor liquiden statt, z. b.
in zrno = granum, shr”n”v” = qairnus, wo demnach zirno sher”n”v”
ältere form gewesen sein musz. SCHTSCH pflegt dem lat. CT, goth.
HT gleich zu stehn: bjeschtschi fugere currere, peschlschi coquere,
nosehtsch’ nox nahts, moschtsch’ mahts (poln. böhm. noc moc), vgl. 3S3
lat. mactus = validus potens. doch für octo ahtau nicht oschtsch’,
sondern osm’ *= ochim?
Hin und wieder schwankt die rückwirkung des i und e auf die
vorausgehende consonanz. oko oculus und oucho auris bilden den
dual, otschi ouschi, nicht otzi ousi; darf man daraus folgern, dasz
die org. endung otsche ousche war? der pl. otschesa ouschesa ent-
spricht der regel.
Viele sl. Zischlaute sind auf diesem wege zu erläutern, man
erkennt dasz pisati scribere vollkommen das lat. pingere ist, dessen
nasallaut nicht zur Wurzel gehört, wie das part. pictus und noixi'Xog,
ahd. f£h, ags. fäh bezeugen, nicht anders zeigt goth. meljan, ahd.
mälön die gleichheit der begriffe schreiben und mahlen, um aber das
sl. S zu rechtfertigen, musz angenommen werden, dasz ihm früher
statt des a ein je folgte, pischjo scribo ist wie ouschi, pismja litera
wie osm’.
In den anlauten läszt sich nicht immer das einwirkende i oder e
bestimmt erkennen, auszer den vorhin beigebrachten vergleiche man
zemlja humus; zr’no granum; znati gnoscere; zlalo gulft; sbelud’glans
glandis; shiti shiv” vivere vivus — guivere guivus goth. qius qivis;
shr”n”v” qairnus; tschetyri quatuor (s. 347); Ischlo und kto (s. 346);
tschist” castus; tschrV vermis = evermis (s. 172) goth. vaurms ==
hvaurms; tschrjevo venter ags. hrif ahd. href (Gralf 4, 1153); tschrjeda
ags. corder ahd. chortar; tschjado ahd. chind; schlschen’tz’ poln.
szczenie catulus (oben s. 39); tzr’k’V kirche chiricha; tzjel sanus
goth. hails ahd. heil; tzjata denarius goth. kinlus; s”to centum hund;
darum schwanken auch die einzelnen laute. Bemerkenswert!] ist einige-
mal das haften der gutturalis bei Polen und Böhmen, wo die übrigen
Slaven zischen: tzvjet flos poln. kwiat böhm. kwel; zvjezda slella poln.
gwiazda böhm. kwezda und auch lilth. fwaigzde, lett. swaigsne; zvizdati
sibilare poln. gwizdac böhm. hwizdati *.
Die sl. Zischlaute dürfen aber auch aus wurzelhaften lingualen 384
unmittelbar entspringen, vedu duco hat den inf. vesti und vom gleich—
bedeuligen voshdjo lautet der inf. vodili, vgl. voshd’ dux. mazali ungere
macht mashjo ungo, maslo unguentum.
Von der sl. unterscheidet sich die litthauische spräche darin be-
* hierher gehört ein ähnlicher ahd. Wechsel zwischen ZUI und QUI: zuei
quei, zuifalt und quifalt, zuiro bis und quiro, zuivalön dubitare und quivalön,
zuioht frondosus und quioht, zuirnön lorquere und quirnön, zueön haesilare und
queön. ahd. zuisila furca ist altn. qvisl ramus, nhd. zwist dissidium ahn. qvistr
ramus alles das gleicht dem Übergang des S in H, des T in K. ist aber s. 350
Dir zvizdati richtig vermutet fistulare, so wechseln alle drei organe.
■ 1 IfpEfl
(9)
———
:^gy.y,y.?r.7r:
270
LAUTABSTUFUNG
deutend, einmal dasz sie den Zischlaut nicht vor einfachem i, sondern
blosz vor dem diphthongischen ia iau ie io iu, zuweilen vor ei, dann
dasz sie ihn hauptsächlich aus der lingualtenuis und media entfaltet.
T wird zu GZ, D zu DZ. marti sponsa gen. marcziös; zaltis serpens
gen. zalczio; smerlis mors gen. smerczio; relis crihrum gen. reczio;
pats ipse pacziam sibi ipsi, pati ipsa pacziös ipsius; butu esset bucziau
essem; pauksztis avis gen. paukszczio; sweczias hospes, voc. swetlie,
loc. swetije; naktis nox, nakczei nocti, alle weibl. participia praes. auf
-nti bekommen im gen. -ncziös. zodis verbum gen. zodzio; bredis
alce gen. bredzio; szirdis cor, szirdzei cordi, gen. pl. szirdziu; didis
magnus, gen. didzio, dat. didziam; pudas olla, pudzius figulus; heda
miseries, bedzius miser; edmi edo, edzia gluto.
K und G ändern sich in gleicher läge nicht, z. b. von akis ocu-
lus, zwake lux lautet der gen. pl. akiu 2wakiu, von roges traha der
gen. sg. rogiü, von £ogis inundatio zogio, von pusnogis seminudus
pusnogio, von begu curro begti eurrere stammt begioju das frequen-
tativum, und begti steht ab vom sl. bjeschtschi. Ebenso haften beide
im anlaut: kietas durus, kiezas caseus, wo die Leiten zeets durus
haben; gelezis ferrum, gellonas (lavus, girnos mola statt des sl. sheljezo,
shl”t, shr”n”v”, im lett. wiederum dselse, dseltens, dsirnus. auch statt
des litth. akis lett. azs.
Doch finden litth. ausnahmen platz, welche Zischlaute für kehl-
385 laute gewähren: berzas betula, russ. hereza, lett. behrse, ahd. piricha;
auzolas lett. ohsols quercus, ahd. eili und eichila glans; sluga servus
sluzili servire; meziu mingo, alln. mlg; laizau lingo, lezuwis lingua,
lizus finger woran man leckt; wezimmas, weszti (oben s. 60); ozis
caper oszka capra, gr. a«'§, lett. ohsis caper; macis mace macht, poln.
moc, pamaczius auxilium; peczus fornax, sl. peschtsch’. anlautend
czystas, sl. tschist”, lat. castus.
Aller\värts alter scheint sl. CH übergehend in S durch SZ, nicht
blosz vor jenen dünnen diphthongen, sondern selbst vor a o u ver-
treten, inlautend wie anlautend, es entspricht dann meistenlheils dem
ahd. H, zuweilen aber auch CH. dies ist der laut, den ich dem ge-
tischen Z beigelegt habe.
asz ego, skr. aham; isz ex; aszwa equa, skr. asva; aszara la-
crima, lett. assara, skr. asru, wahrscheinlich eins mit öuxqv tagr
zahar lind lacrima (s. 300); aszis axis, ahd. ahsa, lett. ass; dusze
anima, sl. douscha, poln. dusza, lett. dwehsele; deszimtis decem öty.a
skr. dasan golh. taihun; deszine dexlera, sl. des’n” dexter, gr. öt'^iü
goth. taihsvö ahd. zesawa; laszisz poln. losos ahd. lahs; waszkas sl.
vosk” ahd. wahs; szeszi sex goth. saihs; parszas porcus, ahd. farh,
poln. prosie; praszau lat. precor, it. prego, goth. fraihna, sl. prositi
poscere; wyszna, poln. wisnia, serb. vischnja Weichselkirsche; meszlas
fimus, goth. maihslus, ahd. mist; aszlüni oclo, golh. ahtau; laszlingala
ahd. nahtigala. anders verhalten sich aukszlas und anksztas, die den
kehllaut hegen, und dem lat. augustus, angustus genau entsprechen;
wie aber pauksztis avis zu fassen? sein K entspricht dem goth. G in fugls.
bKx . paACMw
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I....
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beispiele für den anlaut: szaltas goth. kalds, lat. gelidus, aber
sziltas calidus; szarma pruina, altn. hrim; szaurys nordwind, das lat.
caurus corus westwind; szenas lat. foenum, sp. lieno, finn. lieinä;
szimtas centum; szirdis cor, hairtö; szü canis, hunds.
Alle romanischen sprachen scheinen angesteckt von diesem trieb,
den kehl und Zungenlaut zu versehren, wenn die feinen oder dünnen
vocale nachfolgen. Im lalein behauptete sich reines CI CE (gesprochen
KI KE), Gl GE, TIA TIO TIU ungefähr bis zum sechsten, siebenten jh. 386
(Leop. Schneider 1, 244. Diez 1, 197. 198. 215. 224); die von
Gothen und andern Deutschen entlehnten lat. Wörter sind unverwerf-
liche zeugen für die vorher noch fortbeslandne alle aussprache.
Den Walachen wird anlautendes K vor e i ie io lingual: kedru
cedrus, kiklop cyclops lauten tjedru tjiklo; inlautend zu TSCH: ark
artsche, vak” vatschi. anlautendes G bleibt in gleicher läge rein, in-
lautendes wandelt sich in DSCIi: larg lardschi, merg merdschi. T er-
hält sich überall rein. SCI1T haben sie für sl. SCIITSCH in schtuk
liecht, schtire lat. scire.
Italienisches C und G wird vor e und i wie TSCH und DSCH
gesprochen, im anlaut und inlaut; soll die gulturalis aufrecht bestehn,
so tritt H zu: CHE CHI, GIIE GUI hauptsächlich da, wo lat. u und 1
nachfolgte, inlautende CC und GG vor den feinen vocalen wie TTSCII
DDSCH. T bleibt durch sie unangegriflen, auszer wo dem i noch ein
vocal folgt, d. h. lat. lia tio tiu wandeln sich in zia zio ziu. diese
gleichen also den litth. czia czio cziu (dem grundsatz, nicht der aus-
sprache nach), da^ auch im litth. T vor bloszem i haftet, dia dio die
bleiben im anlaut, mit ausnahme von giorno (diurnus); mlat. änderte
man gleichfalls diabolus diaconus in zabolus zaconus (Diez 1, 228.)
inlautend aber entspringen orzo mezzo razzo pranzo aus hordeum me-
dius radius prandium. anders oggi aus hodie d. i. hoc die, und neben
razzo gilt raggio, wie ragione für ratio, cagione für causa neben cosa.
lat. CT und PT assimiliert in TT: retto rectus, rettare reptare, atto
actus, atto aplus, latte lacte, cattare captare, otto oclo, ottimo opti-
mus. das zusammenfallen beider mahnt an den deutschen Wechsel
zwischen lucht und luft, kracht und kraft, wie an die altn. assimilation
mättr nättr ätta f. goth. mahls nahts ahtau.
Spanisches C vor den feinen vocalen empfängt den zischenden
laut des franz. C, einem verdickten S ähnlich; span. G aber bleibt
noch guttural mit zugefügter aspiralion, etwa GCIT, hauchender als
das it. GH, mit derselben aussprache, die dem .1 und X vor allen vo-
calen zu theil wird. CH lautet überall wie TSCH; merkwürdig ver-387
tritt es inlautend lat. CT = ital. TT: ocho octo, noclie nocte, pecho
pectus, leche lade, hecho fadus, cincho cinctus, Sancho Sanclius
(neber santo sanctus.) T und D, wo sie geschrieben stehn, werden
immer rein ausgesprochen, auch in tia tio (it. zia zio) dia dios, in-
lautend aber ist natio in nacion, ratio in razon übergetreten, und auszer
radio gilt rayo, für badius bayo.
Noch weiter vorgeschritten ist die französische spräche, indem
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272
LAUTABSTUFUNG
sie auch vor den starken vocalen den reinen laut C aufgegeben und
es in CH mit der aussprache SCH gewandelt hat: chaleur calor, champ
campus, chanter cantare, chose causa; nur in später aus dem latein
oder andern roman. dialecten aufgenommnen Wörtern haftet der Klaut,
wie in cause, oder statt des lat. QU, wie in casser quassare, quatre
(spr. catre) quatuor. Vor feinem vocal lautet C gleich dem span, wie
dickes S, CH aber gleichfalls SCH. altfranz. schwanken C und C1I
nach der mundart (Diez 1, 202.) G vor feinem vocal lautet wie sl.
SI1 (shivjele) und gleich dem J vor allen vocalen. C vor T wird aus-
gestoszen: droit toit lait fait nuit huit, wo früher noch droict toict
laict faict nuict huict geschrieben wurde, wie depte debte f. dette,
und noch heute sept. Im anlant bleiben TIE und DIE rein: tifede
tepidus, tiers tertia pars, dieu deus, inlautend wird T wie S gesprochen
oder auch geschrieben: nation, contemplation, raison, zuweilen geht
DI in Y auf: rayon radius, glayeul gladiolus (die pflanze schwertel.)
Solches zischenden, schmelzenden drangs haben endlich auch die
deutschen sprachen sich nicht ganz erwehren können, wie die hoch-
deutsche organisches S in SC und SCH und die aspiration TII in Z
= TS wandelte, wird im verfolg gezeigt werden; doch die anlaute
TSCH pSCH und vollends SCHTSCH widerstehn uns, inlautend dulten
wir fatschen klatschen patschen plätschern glitschen rutschen.
Am auffallendsten hat sich die schwedische tenuis K verändert,
sie lautet vor den dünnen vocalen ganz gleich dem T vor ie io iu,
und kek maxilla, kisel silex, här carus, kysk castus werden ausge-
388 sprochen wie tjena servire, tjäder tetrao, tjugu viginti, nemlich tschek
tschisel tschär tschysk tschena tschäder tschugu. die schwed. gram-
maliker lehren TJ auszusprechen, doch hört man TSCH. tschysk be-
gegnet dem sl. tschist”. Die media G lautet in gleicher läge wie J
und da auch D vor J kaum gehört wird, kommen gjuta und djup in
der aussprache juta jup zusammen; ja L, das wir dem D oft verwandt
sahen (s. 353), verstummt (s. 320): ljuf = juf.
Altn. und dän. K bleibt rein, doch nähert sich der schwed.
weise, dasz ihm zuweilen i oder j nachgesetzt wird, z. b. dän. kiär
carus, kiöbe emere, kiöd caro = schwed. kär köpa kött spr. tschär
tschöpa tschött.
Noch enlschiedner waltet hang zum Zischlaut bei den Friesen
und Engläntfern.
In den altfries. gesetzen findet sich statt K vor e i ia ie iu bald
SZ STH bald TZ TS geschrieben: kiasa eligere tziasa szesa; kerke
ecclesia sziurke tszurke sthereke; keke maxilla sziake ziake tzake
sthiake; ketel cacabus szelel stbill tsietel, unbeholfne ausdrucksweisen
des Zischlauts TSCH. Ebenso inlautend: resza bresza wfszing spßsze
f. reka breka Wiking spöke; thensza hlenszene skenszia f. thenkia
hlenkene skenkia; und für G: brensza aflerre, thinsza judicare, henszia
concedere, fenszen captus. später wird auch mit bloszem S ge-
schrieben fensen, brensa.
Das ags. organ verunstaltet noch kein C vor e und i, geschweige
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LAUTABSTUFUNG
273
vor den starken vocalen. im engl, aber finden wir statt des ags.
ceace cidan cild cyrice geschrieben cheek chide child church und
gesprochen tscheek tschide tschild tschurtsch. das CH scheint mit
romanischen Wörtern wie chariot, chase, chaste u. s. w. eingekehrt
und im laut vergröbert. Wörter sächsischen Ursprungs behaupten
reines C: cold, candle, ags. ceald cändel. ags. CG = altn. GG tritt
über in engl. DG (spr. DSCH) z. b. in edge hedge pledge.
Frei von der dargestellten affection der kehllaute, erscheinen dem-
nach die griechische, lateinische, keltische, golhische, überhaupt die
altdeutsche spräche; erst seit dem siebenten jh. beginnt sie in der
romanischen, von andrer seite her später aber auch in der schwedi- 389
sehen, friesischen und englischen aufzutauchen *. der slavischen musz
sie von uralter zeit an eigen'gewesen sein, wie sie in ihr am feinsten
ausgebildet scheint mit unlerschiedner eimvirkung des i und e, die in
den übrigen sprachen zusammen rinnt. Es ist bekannt, dasz sie auch
schon dem sanskrit beiwohnt.
Ihr ursprünglicher grund liegt in dem vocal I, dessen einflusz
auf consonanten und vocale gleich mächtig ist. wie dieser vocal selbst
unmittelbar in J (s. 294) und dann weiter in G und K aufsleigt; so
empfängt J alsbald einen anflug von S im sl. shivjete, der sich dann
noch im scha und tscherv’ steigert, man darl dies auch so aus-
drücken: vom J an entfallet sich ein palatales organ DSCHA TSCHA,
das mit gutturalen und lingualen sich zu binden fähig wird, aus majus
gieng madius (Ducange s. v.) und it. maggio, wie aus major maggiore,
aus pejor peggiore hervor; lat. medius aber ward zu it. mezzo, it.
mediano zu franz. moyen.
Die entfalteten slavischen und romanischen laulverhältnisse em-
pfangen ihr volles licht durch den schon im sanskrit begründeten ur-
alten Übertritt gutturaler huchslaben in palatale, worauf ich nicht
einzugehn brauche. Noch näher ein schlägt die eigenlhümliche läge
des lat. und deutschen J zum gr. Z und zu andern lingualen: Jovis
entsprang aus Dijovis Djovis gleich ital. giorno aus diurnus und jenem
zabulus aus diaholus; das gr. Zevg gen. Zhog steht neben djaus und
Tius ahd. Zio (mythol. s. 175), tjvyov neben jugum und juk**, ^evyvv/.a
neben jungo u. s. w., eine menge der sl. und lilth. Zischlaute ent-390
spricht den skr. palatalen, wie die heispiele des folgenden capilels
darlhun.
Diez 1, 203 nimmt wahr, der ausfall des C vor e i in dire fare
* etwas anders ist, dasz bei dem uralten Wechsel gutturaler und palataler
zischender laute einzelne spuren schon seit frühster zeit auch im deutschen
haften mögen, als ausnahmen, nicht als richtung der lebendigen spräche, ein
merkwürdiges beispiel gibt das durch alle unsere dialecte reichende lisan im
Verhältnis zum lat. legere (it. Ieggere) und gr. htyeiv, mit dem doppelten sinn
des sammelns und Schrift lesens; für den anlaut aber das ahd. sliozan claudere
sluzil clavis, wo sich S und K verhalten wie im sl. slouti und lat. cluere. man
kann auch die form scliozan nhd. schlieszen anschlagen.
** vgl. Platons Cratylus 418 über &yov f. Svoyov, f. Sa/m'a damnum.
18
faire luire taire müsse statt gefunden haben, als dem C noch Klaut
beiwohnte, da der schärfere Zischlaut nicht so leicht unterdrückt wor-
den wäre.
Hier sei diesen Untersuchungen, die sich noch auf andere puncte
richten könnten, ein ziel gesteckt.
Wie sicli vocale und consonanten oft in einander spiegeln ist auch
die analogie des abgestuflen consonantlauts mit den Störungen des
vocalismus durch umlaut und brechung nicht zu verkennen.
Diese hiengen von vocal und consonant ab, wie die consonanli-
sche stufe von vocal und consonant.
Kurzer vocal gleicht einfacher consonanz, das gewicht langer
vocale dem verdoppelter consonanz, Zusammentritt verschiedner conso-
nanten den diphthongen und triphthongen.
Gemination und häufung des consonants hegt kurzen vocal, wie
umgekehrt langem vocal gern einfache consonanten folgen, aus Ver-
bindung eines vocals mit consonant kann gemination, aus der eines
consonants mit vocal diphthong entspringen.
Der lat. spräche enthaltsamkeit in consonantveränderungen hängt
gewis mit der ungemeinen lauterkeit ihres vocalismus zusammen,
in den romanischen idiomen erscheinen beide vielfach verletzt, diese
sprachen sind rühriger als das latein, lange nicht mehr so gewaltig.
Die bildsame manigfaltigkeit der griechischen vocale entspricht der
gelenken ausbildung gr. consonanten. in der vorwaltenden neigung zu
hauch und aspiration trift sie bedeutungsvoll überein mit welscher und
deutscher spräche, wo sich die irische mehr dem latein anschlieszt.
An der gesamten keltischen spräche fällt nichts so sehr auf wie
der geschilderte Wechsel stummer consonanten zu eingang der Wörter
391 und inmitten der Zusammensetzungen, er bekundet feines lautgefühl
und verbürgt uns die geistige anlage dieses volks.
Ein zeuge kräftiger natur ist das slavische gepräge der zisch-
laute, die auch manche andere spräche ergreifen und mit halb weichem
halb hartem ausdruck versehn.
Zwischen diesen hält die deutsche spräche eine gewisse mitte,
sie kam ehmals der lautreinheit des lateins unter allen am nächsten
und hat mit ihm den Wechsel des S in R gemein, mit den Griechen
und Kelten aspiration; jene keltische vorwärts gehende einwirkung
des auslauts auf denn ächsten anlaut ist nur noch im deutschen schwach
zu spüren; wie aber den Kelten die consonanten, wurden uns im
System der ablaute die vocale dynamisch, von einer andern eigen-
thümlichkeit, die zwischen uns und den übrigen verwandten Völkern
eine scheide aufwirft, soll alsbald die rede sein.
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XVII.
DIE LAUTVERSCHIEBUNG.
Endlich sind wir da angelangt, wo die deutsche spräche von den 392
andern ab tritt und für sich geht, ja wo sie seihst unter ihren eignen
Stämmen wesentlichen unterschied gründet.
Warum haben, wenn man urverwandte Wörter vergleicht, zwischen
ihnen und dem entsprechenden deutschen ausdruck jedesmal ab-
weichungen der stufe stummer consonanten statt? alle übrigen stim-
men, das deutsche wort entfernt sich. skr. pitr lat. pater gr. nar^Q
golh. fadar; skr. prathamas gr. nQwxog lat. primus goth. fruma; gr.
(ptQW lat. fero goth. baira; gr. xvcov lat. canis ir. cu goth. hunds;
gr. ytrog lat. genus goth. kuni; gr. yoQrog lat. hortus goth. gards;
skr. tvam lat. tu litlh. tu golh. jm; skr. tri gr. TQug lat. tres litth.
trys goth. Jrneis; skr. dantas lat. dens litth. danlis goth. tunjms; gr.
thyuT7]() goth. dauhtar.
Wer auch nur engl. Wörter zu nhd. hält und des gesetzes un-
kundig ist, musz befremdet sein wahrzunehmen, dasz dem ten, tooth,
day, deep, thief, tharm, thick nhd. zehn, zahn, tag, tief, dieh, darm,
dick gegenüber stehn, woher solcher Zwiespalt?
Einzelne heispiele würden nichts beweisen, sondern für überall
zulässige ausnähmen gelten; aber die abweichung tritt als feste regel auf.
Wir haben vorhin erkannt, dasz in allen sprachen die stufen der 393
muta eines und desselben worts abwechseln, je nachdem ein voraus-
gehender oder folgender buchstab es erfordert, der Wechsel half die
ilexion unterstützen. Bei der Verschiedenheit, von welcher jetzt zu
handeln ist, weichen aber die mutae im Verhältnis einer spräche oder
einer mundart zur andern ab, und sind weder durch andere buch-
staben hervorgerufen noch grammatische formen zu begleiten bestimmt,
wo sie eintreten haben sie einen ständigen character, der als ein kenn-
zeichen entschiedner spräche oder mundart zu betrachten ist.
Jene, man könnte sagen, formelle lautabstufung hat es blosz mit
der einzelnen stufe eines Organs zu schaffen; diejenige, deren gesetz
nunmehr zu entwickeln ist, greift gleichmäszig in alle stufen jedes
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LAUTVERSCHIEBUNG
Organs, und verrückt sie sämtlich, sie ändert nicht einen laut zu
besonderem zweck, vielmehr alle auf einmal, ohne dasz im innern der
spräche etwas dadurch erreicht wird, es ist eine gleichsam auszer-
halb der spräche gelegne gewalt, die diese wunderbare Wirkung her-
vorgebracht hat.
Man mag die lautverschiebung passend wagen vergleichen, die in
einem kreise umlaufen: sobald ein rad die stelle des vorangehenden
erreicht ist seine eigne bereits von einem folgenden eingenommen,
aber keins ereilt das andere, bei ihrer bewegung kann nirgend raum
bleiben, der nicht alsbald ausgefüllt würde.
Das gesetz lautet einfach so: die media jedes der drei organe
geht über in tenuis, die tenuis in aspirata und die aspirata wieder in
media. damit ist der kreislauf beendet und müste von neuem auf
gleiche weise anheben. Deutlich aber wird die media als grundlage
des consonantlauts (s. 344) bestätigt; von der tenuis könnte nicht auf
media, von der media nicht auf aspirata, von der aspirata nicht auf
tenuis ohne sprung gelangt werden.
Unter dem ersten wagen denke man sich eine, gleichviel welche,
der urverwandten sprachen, unter dem zweiten die gothische, unter
dem dritten die althochdeutsche.
394 Hiernach entspringen neun gleichungen, welche in vollständiger
theorie so aufzustellen wären:
griech. B P PH. G K CH. D T Th
goth. P PH B. K CH G. T TII D
ahd. PII B P. CH G K. TH D T
wirklich aber verhält es sich nicht ganz so, und wie schon die oberste
griechische reihe im latein folgendermaszen bestimmt wird:
B P F. G C H. DT (F)
empfangen auch die goth. und ahd. einige änderung:
goth. P F B. K H G. T TH D
ahd. PH F P. CH H K. Z D T
und überhaupt gilt die regel, dasz die Ordnung des verschiebens am
strengsten im anlaut zu erkennen sei, der in und auslaut leichter ab-
weichung gestatte.
Vor allem fragt es sich nach der Ursache des hierbei eingetretnen
Unterschieds und diese ist vorzüglich in beschaflenheit der aspiralion
zu suchen.
Das latein hat der gr. aspirata PH ein F, dem CH und TH aber
nichts an die Seite zu setzen, was ihnen genau entspräche, statt CH
verwendet es also die hlosze spirans oder gibt auch diese auf und
begnügt sich mit vocalischem anlaut. TH aber ersetzt es durch die
labialaspirata oder braucht die tenuis T, d. h. es geht auf den laut
zurück, aus welchem TH entsprungen war. lat. F ist aber so un-
bestimmt, dasz es auch an die stelle von CH und zumal oft von
TH tritt.
Auch die deutsche spräche entbehrt der kehlaspirata und musz
sie wiederum durch H vertreten lassen, das dann still steht und nicht
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LAUTVERSCHIEBUNG
weiter verschoben werden kann. ahd. H entspricht darum dem goth.
II, in beiden dialecten hat dieser laut sowol gr. tenuis als spirans zu
ersetzen, nur die fränkische mundart scheint die organische asp. CH
besessen und von der spirans geschieden zu haben, so dasz z. b. dem
gr. KP fränk. CHR, dem gr. cP fränk. HR entsprach, goth. und ahd.
fallen beide zusammen in HR.
Etwas ähnliches hat sich in den labialen zugetragen, nemlich 395
schon das lat. F musz als Verdünnung der eigentlichen asp. PH und
hinneigung zu der spirans V angesehn werden, und das aus dem di-
gamma entspringende F verdeutlicht uns die Verwandtschaft zum V.
zwar bleiben goth. F und V geschieden, ahd. aber begegnen sich beide
laute und schwanken; ja die ahd. spirans verdickt sich in W «= GV,
und V wird dem hochdeutschen dialect bis auf heute ein mit F in den
meisten fällen gleich bedeutender laut, die Verschiebung blieb im goth.
F wie im goth. H stecken, und wenn schon unter den gutturalen ahd.
H und CH nahe aneinander rühren, thun es auch ahd. F und PH.
hieraus folgt, wie der anblick lehrt, dasz nach streng ahd. weise die
media B und G erlischt.
Besser als labiales und gutturales haben die linguales stand ge-
halten. hier treten med. len. und asp. reinlich von einander, während
unter jenen die goth. asp. und ahd. med. beeinträchtigt wurden. Nur
eine änderung hat sich im ahd. dialect ereignet: an die stelle der
aspiration TH ist Z =* TS eingelreten.
Dieser letzte wandel darf bei der nähe beider Spiranten H und S
nicht verwundern, in der aussprache wird hauchendes TH leicht zu
lispelndem, und der spirans S tritt TS wirklich näher als TII. unter
den keltischen sprachen setzt der armorische dialect überall Z an den
platz des irischen und welschen TH (s. 374) und wir sahen s. 368
die ir. spirans S in TS überschlagen.
Dasz ahd. Z in der tliat mit TH entspringe und diesem gleich-
stehe läszt sich aus einzelnen beispielen darthun. das in der Nähe
von Göttingen liegende Nörten heiszt in des klosters stiftungsurkunde
von 1055 Northuna, in einer späteren von 1155 hochdeutsch aufgefaszt
Norzun, was man allmälich nach dem gegensatz zwischen hochd. Z
und sächs. T in Nörten wandelte *. In einem Reichenauer necrolog
des 9 jh. werden nordische pilgrime jrnr jmrgils eingetragen zor
zurgils.
Nunmehr kann ich beispiele für den anlaut aller neun gleichungen
I. BP PH. dies ist die einzige wirklich mangelnde und nur 396
für den inlaut nachzuweisende, alle goth. anlaute P, alle ahd. anlaute
PH oder PF verrathen aufgenommne fremde Wörter, welche sich in
diese lücke des deutschen lautsystems geworfen haben.
II. P F F. skr. pitr lat. pater gr. narrjQ goth. fadar ahd.
fatar. skr. pantschan gr. nevxe nt [.ine litth. penki sl. pjat’ welsch
* Gudenus 1, 223 und Wolfs buch über Nörten p. 5.
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LAUTVERSCHIEBUNG
pump golh. fimf ahd. fünf. lat. piscis welsch pysg goth. fisks ahd.
fisc. skr. padas lat. pes pedis gr. novg nodog litlh. pedas goth.
fötus ahd. fuoz. lat. pedica gr. ntdrj poln. peto böhm. pauto altn.
fetill ahd. fezzil. lat. porcus litth. parszas finn. porsas russ. porosja
böhm. prase ags. fearh ahd. farah. lat. porca ahd. furicha. skr. palis
gr. nuoig = noxig goth. fa{)s. skr. pasu gr. nwv lat. pecu goth.
faihu ahd. fihu. gr. nvQ ags. fyre altn. fyr engl, fire ahd. fiuri. lat.
pauci gr. uuvqoi goth. favai ahd. foliö vgl. parum paulum. gr. naXu/urj
lat. palma ags. folma ahd. folma. gr. nvy/urj lat. pugnus (woher
pugnare) sl. pjast’ ags. fyst engl, fist ahd. füst nhd. faust. sl. postili
jejunare aus dem goth. fastan. gr. nioXog lat. pullus golh. fula ahd.
folo. lat. pellis franz. peau goth. fill ahd. fei. gr. nXtog lat. plenus
sl. pl”n” litth. pilnas goth. fulls ahd. fol. gr. noXv goth. fdu ahd.
filo ags. fela altn. fiöl. gr. nXtov nltiov nltioxog lat. plus plurimus
f. plusimus, altn. fleiri flöstr. gr. noixilog sl. pjeg (vgl. pjega pega
sommerllecken) goth. faihs ahd. föh ags. fah. gr. nty.og lana pexa
ntxio pecto ags. feax ahd. falls, vielleicht crinis pexus? wie flahs
plcxus? gr. nevxrj lat. pinus f. pienus ahd. fiehta. gr. noXtog lat.
pallidus franz. pale litth. palwas ahd. falo altn. fölr, vgl. litth. pellcnai
cinis ahd. falawisca. litth. paukszlis goth. fugls ahd. focal skr. pakscha
ala, lett. putns sl. ptitza poln. ptak gr. ntxi]vög nxrpog ntxtivog.
gr. nxfQov lat. penna f. pesna = petna, ahd. fedara und lettah.
gr. ntÖQHv lat. pedere litlh. persli ahd. lerzan. gr. nrjvog lat. panus
pannus goth. fana ahd. fano. lat. pax pacis ruhe friede franz. paix,
pacare zufrieden stellen, it. pagare franz. payer, litlh. pakajus friede
sl. pokoi ruhe friede (von Miklosich s. 11 zur Wurzel koi quies ge-
bracht) golh. fahejis gaudium altn. fagna gaudere feginn conlentus.
397 gr. noQog iter goth. ahd. faran ire. gr. 7iuqu ntQi lat. per prae
pro goth. far fair faura fra, ahd. far fir furi fora. skr. prathamas gr.
nQioxog f. rcQoxaxog, sl. prV’i poln. pierwszy litth. pirmas lat. primus
goth. fruma ags. forma, lat. prudens golh. fröds ahd. fruot. skr.
prischni calx goth. fairzna ahd. fersana. lat. precari it. pregare sl.
prositi goth. fraihnan ahd. frägen vgl. flehön. lat. praeco ags. fricca.
skr. pri böhm. prjti serb. prijati goth. frijön amare, sl. prijatel poln.
przyjacicl litlh. prielelus ahd. fnudil mhd. friedel amicus. sl. Prije
golh. Fraujö? altn. Freyja ags. Frige ahd. Frouwa. litth. Perkunas
goth. Fairguneis? altn. Fiörgyn. pers. pil elephas altn. fill. skr.
pliöna sl. pjena spuma litlh. pienas lac ahd. feim spuma (für puma
wie ahd. spellt = picus) ags. fäm engl, foam; die deutschen Wörter
und das lat. spuma haben M statt N, wie porlug. hum liuma f.
un una, em für in. gr. nö^QCo lat. porro goth. fairra ahd. ferro,
sl. poljc finn. peldo oder pelto ahd. fehl campus ags. folde terra
(vgl. s. 60.) lat. pulex ahd. flö. lat. plangere goth. flekan, vgl.
ahd. fluochön imprecari devovere. lat. plectere und plicare gr.
nXfy.eiy golh. flaihlan ahd. flehtan vgl. flahs linum plexum?; aber
pectere und pectus einigen sich schwer mit der bedeutung von
fehtan pugnare, man müste denn an pugnis und fusti pectere
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LAUTVERSCHIEBUNG
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denken *; fahs s. vorhin ntxog. skr. plu gr. nXiw nltiv navigare
nXoiov navis lat. pluere pluvia sl. plouti plovu, litth. plaukti sind nah
verwandt mit ahd. fliozan ags. fleotan altn. fliota und golh. flödus ahd.
fluot und floza pinnula. planus aus placnus? wie Danus aus Dacnus
(s. 192), pinus aus picnus, vergleicht sich dem ahd. flah flahhes und
litth. plasztaka flache hand**; umgekehrt ist im ahd. flado gegenüber
placenta die gutturalis ausgefallen, litth. plaukas crinis ahd. floccho
lanugo und mit aphaeresis loccho cincinnus ags. loc. gr. ntlog lat. 398
pileus höhnt, plst coactile poln. pilsrx ahd. filz ags. feit rnlal. feltrum
filtrum. gr. nvko nvtiv nvtv/nu ahd. fnehan fnah anhelare fnäst
anhelitus.
III. PII B P. gr. cprjyog lat. fagus goth. höka ahd. puocha.
gr. (povog ags. bana altn. bani ahd. pano; die Zusammensetzungen
A^yeicpovrrjg ßQOTOcpövrrjg gleichen den altn. Fäfnisbani Hundingsbani.
lat. fiber goth. biprus- oder bibrus? ags. beofor ahd. pipar. gr. (f vo)
lat. fuo fio golh. baua ags. beo sum ahd. pim nhd. bin; ich schlage
zu dieser weit greifenden wurzel das lat. facere, goth. bagms materies
ahd. poum u. s. w. (feget) lat. fero goth. baira ahd. piru, dahin auch
lat. far farris und farina, goth. baris hordeum, ags. bere, weiter gr.
(fOQrog ags. byrden onus ahd. purdin. lat. forare altn. bora ahd.
porön. lat. follis goth. balgs altn. belgr ahd. pale. lat. faba welsch
ffaen golh. bauna? f. babuna? ags. beän ahd. pöna. gr. (fvXXov lat.
folium alts. blad ahd. plat vgl. oben s. 213. lat. fulica ital. follega
franz. foulque mhd. belche Ls. 3, 564 nhd. beleb bölelie. lat. flare
goth. blcsan altn. bläsa ahd. pldsan; lat. flatus ahd. pläst. lat. florere
ags. hlövan ahd. pluojan pluohan; lat. flos goth. blöma ags. blösma
ahd. pluomo. lat. flavus und lividus für flividus? scheinen im Zu-
sammenhang mit golh. bliggvan ahd. pliuwan und pläo goth. blaggvs?
lat. laetus f. flaetus? goth. bleijis mitis ags. bilde laetus ahd. plidi.
lat. fervere ferbere mit goth. hriggvan? ahd. priuwan, wobei noch
ahd. pröd jus und vielleicht pröt panis zu erwägen, lat. fratcr gr.
(fQUtriQ goth. bröfiar ahd. pruodar. gr. (pQtaQ rpQtuTog mahnt an
goth. brunna ahd. prunno von brinnan urere fervere, das ir. fuaran
fons führt zunächst auf fuar frigidus; wie aber aus svelan ardere svalr
subfrigidus stammt und gelidus doch mit calidus verwandt scheint
(s. 385 szaltas sziltas), dürfen sich jene berühren; zur form halte man
XQtug y.Qturog und cpgtaQ f. epgeag, xvaq f. xvug, (s. 316 nachzu-
holen.) lat. fremo ahd. primmu. lat. frango goth. brika ahd. prichu.
lat. frui goth. brukjan uti (wie sich uti frui verbinden) ahd. prüchan;
unser frucht ist der lat. form fructus entnommen, gr. (fQ^v urspr.
praecordia, dann mens, animus; vergleicht sich ags. bregen cerebrum,
* unser kämmen und kämpfen scheinen sich zwar zu berühren, sind aber
geschieden: ahd. chempan und chemphan.
** in ahd. Schrift sind h und z verwechselbar und doch wäre unrathsam für
flazza, flazziu hant bei Graff 3, 777 zu vermuten flahha flahhiu, da sich auch
altn. Hatr dän. flad für planus findet und ahd. flezzi area mhd. Hetze altn. fiel
eben stratum planities ausdriieken.
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LAUTVERSCHIEBUNG
399 engl, brain? gr. ocpQvg sl. br”v’ alts. bräwa ags. brsev abd. präwa,
vgl. goth. in brahva augins altn. i auga bragdi (mythol. s. 751. 752.)
IV. G K CH. skr. gaus ags. cü ahd. chuo (s. 32.) gr. ytvo/xai
ytiaof-iai lat. gusto goth. kiusa ahd. chiusu, lat. gustus goth. kustus
abd. chust. gr. ytvog lat. genus goth. kuni ahd. chunni. gr. yovog
altn. konr alts. kind ahd. chint sl. tschjado. gr. yvvrj sl. shena goth.
qinö altn. kona ahd. chena chona. gr. yovv lat. genu, goth. kniu
altn. knö ahd. chniu. gr. yiyvwoxuv yivcooxtiv lat. gnoscere noscere
sl. znati (vgl. tschouti) litlh. zinoti novisse scire ags. cnävan ahd.
chnähan, nahvervvandt goth. kunnan ahd. chunnan, vgl. litlh. £inne
scientia ahd. chunst, goth. kun|)s notus ahd. chund altn. kunnr, altn.
knä posse. lat. nodus für gnodus altn. knütr ahd. chnodo f. chnozo?
lat. gula ags. ceol ahd. chela. lat. gelare altn. kala frigide spirare,
lat. gelidus goth. kalds ahd. chalt. lat. gaudere altn. kätr laetus.
gr. ytQavog lat. grus ags. crän ahd. chränoh. sl. gnesli depsere goth.
knudan? altn. knoda ahd. chnetan. grex gregis rührt es an ags.
corder ahd. chortar? lat. glubere goth. kliuban ags. cleofan ahd.
chliopan findere. lat. granum sl. zr'no litth. Firnis goth. kaum ahd.
chorn und cherno. lat. vivus f. gvivus litth. gywas goth. qius ags.
cvic ahd. chech. sl. gljadati videre goth. vleilan f. qleitan?
V. K H If. gr. xciXa/nog lat. calamus sl. slama litth. zelmü
* ahd. halam altn. hälmr. lat. celare ahd. helan goth. huljan altn.
liylja. gr. xoiXog cavus lat. coelum das gevvölbe des himmels goth.
huls ahd. hol. gr. xuXy x^Xrj hernia böhra. kyla keyla litth. kuilotas
herniosus ahd. holoht. lat. calx ags. h61 (womit das einfache hö gen.
hös zu vgl.) altn. hcell ir. sal. lat. collum goth. ahd. hals. gr. xfjQ
aus xf«p? xuÖQia lat. cor cordis goth. hairtö ags. heort ahd. herza
skr. hrd litth. szirdis lett. sirds sl. sr’d’tze. litth. kardas goth. hairus
altn. hiör alts. heru. lat. curia, das Pott 1, 123 comviria deutet,
liesze sich für cusia nehmen und auf goth. hus ahd. hüs nhd. haus
aedes templum beziehen, gr. xtQug xtgaxog und xtQuvyvfXL wein
aus dem horn geben; wie auch unser schenken ags. scencan zu sceanc
400 til)ia, röhre der kanne gehört und das goth. stikls poculum von der
spitze des trinkhorns entnommen ist. das N in xiqävvviu scheint
aber das im lat. cornu goth. haurn ahd. horn. lat. cerebrum ahd.
hirni altn. hiarni, wieder mit zutretendein N. gr. xuQTiog verwandt
mit ags. hearfest ahd. herpist ernte? gr. xuQxog xuQxtQÖg goth.
hardus ahd. herti, das adv. xuqxu steht wie ahd. harto valde; um-
gestellt wird xuQTog xuyxtQog xyaxvg xQuxtQog, wie vielleicht altn.
hardr zu hradr celer, ahd. herti zu hrat agilis, da sich begriffe der
tapferkeit und schnelle begegnen, lat. curo f. cuso? custos =» litth.
kerdzus goth. hairdeis ahd. hirti; zugleich folgt, dasz auch schon goth.
R für S, neben Z in liuzd, vorhanden war. lat. cervus gehört deut-
lich zu xtQug, wie auch der t'Xcupog xiguog genannt wird, goth.
hiruts? ags. heorot ahd. liiruz. sl. litth. kurwa meretrix goth. hörs
adulter ahd. lmora ags. höre meretrix. sl. kam”i und kamen’ lapis
litth. akmü lett. akmins skr. asman altn. hamar saxum malleus ahd.
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LAUTVERSCHIEBUNG 281
liamar tudes. gr. xw/xrj vicus litth. kaimynas vicinus goth. liaims vicus
ahd. heim domus, patria. zu lat. cano bringe ich goth. hana ahd.
liano, den tagansingenden vogel, der auch in der thierfabel Cantaert
und Chanteclins mit blinzelndem äuge singend heiszt (s. 333.) gr.
uxovrj uxoviov skr. sdna altn. hein Sn. 85. 109. schwed. hen ags.
hän engl, hone; die skr. Wurzel ist so acuere, woraus sich auch lat.
cos cotis deutet, gr. xvcov ir. cu lat. canis skr. svä litth. szü goth.
hunds ahd. hunt, vgl. oben s. 37. 38. gr. xoviSeg lendes ags. hnitu
ahd. knizi nlul. nisse. gr. xdvvaßig lat. cannabis altn. hanpr ahd.
hanf. deutungen des sl. kon’ wurden s. 30 mitgetheilt und sicher
gehört hestr hengist dazu; das verhalten von asman akmü zu kamen’
hamar gestattet vielleicht kon’ unmittelbar zu asva aszwa, also auch
zu equus aihvus zu stellen; K und H sind sein wurzelhafter consonant.
lat. capere captus goth. hafjan hafts ahd. heflan haft. lat. caput gr.
nyalrj goth. haubi|) ahd. haupit ags. heafod vgl. heafela hauptbinde,
lat. caper gr. xunyog ags. häfer altn. hafr (vgl. s. 35. 36.) lat. ac-
cipiter ir. seabliac ahd. hapuh ags. heafoc (s. 49. 50); sollte der
heldenname Capys gr. Kduvg dahin fallen und für Künvig stehn?
vgl. ddnvE, s. 202. gr. xrjnog altn. ags. ahd. hof, eigentlich ein-401
geschloszner raum, garten, welcher begrif in der nl. mundart haftet,
lat. copia altn. höpr turma ahd. hüfo acervus. litth. kupra ahd. hovar
nhd. höcker. gr. xwcpog alts. häb goth. hanfs. lat. coecus goth. haihs,
vgl. litth. aklas und lat. Codes, skr. köka goth. höha ahd. huoho
(s. 56.) gr. xöxxv'% os coccygis xo/tovt] lat. coxa ooxendix goth.
hups ags. hype ahd. huf, mit Übertritt des inlautenden cons. aus der
gutt. in lab. lat. cogito {das nicht aus coagito stammt) goth. hugja
ahd. hukku und hokazu meditor. lat. cutis ags. hüd ahd. hiit nhd.
haut. lat. cautus von cavere, ags. hedan ahd. huotan. gr. xad-cgog
ags. hädor ahd. heilar. gr. dxovco uxovao/aai goth. hausja ahd. hörru.
gr. xdffig ags. hise mas. lat. corylus f. cosylus? ahd. hasal. litth.
kiauszia cranium lett. kauss altn. haus. gr. x\aUiv Here goth. hlahan
ridere ahd. hlahhan. gr. xaktiv xlrjrog xXrjTeveiv goth. lafmn f. hla|)ön ahd.
ladön. lat. claudere ags. hlidan? vgl. ahd. sliozan für scliozan? lat. claudus
goth. halts ahd. halz. lat. clamor altn. hliomr. gr. x\vuv lat. cluere ir.
cluais skr. sru ahd. hlosfin gr. xlvrog lat. inclytus ahd. hlüt nhd. laut,
lat. currere skr. sri ire goth. erweitert in hlaupan ahd. hloufan. gr.
xlivtiv lat. ebnere ahd. hlinan. lat. elypeus altn. hilf. gr. x'kemtiv goth.
hlifan gr. x^tnrrjg goth. hliftus. gr. xqio^ü) lat. crocio crocito
goth. hrukja. lat. crinis ahd. här. gr. xQv/.iog altn. ags. hrim pruina.
lat. crusta litth. grodas sl. gruda ahd. hart (s. 98), die litth. sl. spräche
haben hier und in grodinnis grudzien (s. 97. 105) G für K. lat.
crudus ags. hreav altn. hrär. russ. poln. knut scutica goth. hnuj)ö.
skr. svßtas candidus purus pers. sipid armen, sbidag zend. spenta purus
litth. szwentas sanctus sl. svjat” sanctus goth. hveits albus ags. hvite
ahd. huizi. litth. kwetys triticum goth. hvaiteis ahd. hueizi. lat. quis
goth. hvas ahd. huer.
VI. CH G K. das latein hat hier H, wie in der dritten gleichung
LAUTVERSCHIEBUNG
F, und einigemal F satt H, einigemal bloszen vocalanlaut. gr. yalvio
lat. hio altn. gin gein ahd. kinßm, lat. hiatus yuo/uu altn. giä, gr.
yavööv hiando vgl. altn. gandr lupus ob rictum oris. gr. yjw yvxog
402 goth. giuta ahd. kiuzu, vgl. lat. fundo. gr. yoXrj lat. fei für hei,
altn. galla ahd. kalla. gr. yeiQ altl. hir, ich weisz nicht ob das litth.
kaire manus sinistra und das finn. käsi in vergleich kommt, gr. yr(Q
lat. herinaceus erinaceus litth. elys poln. jez höhm. gez, herinaceus
also f. hesinaceus? gr. xgi&tf f. yjfi&rj'l lat. hordeum ags. gerst
ahd. kersta. gr. yoigog altn. gris. gr. ybqxog lat. hortus goth. gards
y&wv lat. humus yafiai humi, litth. zeme sl. zemlja, vgl. goth. gavi
ahd. kouvvi. gr. ylfiuQog ylfiaiQa altn. gimhill gimbur. gr. yeificov
lat. hiems sl. zima litth. ziema, oben s. 7 3 habe ich das ir. geimhra
verglichen und für vintrus gemutmaszt qintrus. gr. yjjv lat. anser für
hanser skr. hamsa altn. gäs ags. gös ahd. kans russ. gus’ poln. ges
böhm. lius litth. zazis lelt. sohss. pers. choda goth. guf) ahd. kot.
lat. hoedus goth. gaitei ags. gät altn. geit schwed. get ahd. keiz.
hostis fostis sl. gost’ hospes goth. gasts ahd. käst. gr. y&eg lat.
heri f. hesi und hesternus goth. gistra altn. gser schwed. gär dän.
gaar ahd. kestre. skr. hiranja zend. zara gr. yjivoog sl. zlalo goth.
guljj ahd. kold; diese Verwandtschaft ist s. 13 zu sehr erschwert,
der Übergang des R in L hat kein bedenken und die consonanten
stimmen untereinander.
Vll. D T Z. skr. djaus divas gr. Zevg z1iog lat. deus divus
goth. Tius Tivis? ags. Tiv altn. Tyr Tys ahd. Zio Ziowes. gr. doXog
lat. dolus altn. täl ahd. zäla, doch zwingt die abweichende quantität
auf lilan tal ahd. zelan zal zurückzugehn, deren Verhältnis zum gr.
dtXco StleaQ noch dunkel bleibt, skr. dar dr Andere gr. Stgeiv
cutem detrahere dtQfiu corium goth. tairan solvere lacerare ahd. zeran.
skr. durva cespes ags. turf altn. torf ahd. zorba. gr. dtQxw dtdoyxa
tÖQuxoy ags^torht splendens ahd. zoraht. gr. d'af.idio lat. domo goth.
tamja ahd. zemiu. gr. def.no aedifico dofiog aedes ÖtvÖQOv materies
arbor lat. domus sl. dom” aedes duh” poln. dab arhor quercus goth.
timr timbr aedificium altn. timbr ahd. zimpar; die hedeutung timan
ziman aptare decere könnte diese wurzel mit der vorigen ausgleichen.
lat. dingua f. lingua goth. tuggo ags. tunge altn. tünga ahd. zunka.
403 skr. dantas lat. dens litth. dantis goth. tun{)us ahd. zand (oben s. 155);
das sl. zub verhält sich zu dantas fast wie dub zu ÖtvÖQOv. skr.
devr gr. datjQ lat. levir litth. deweris ags. täcor ahd. zeichur. gr.
ahd. karto, gehört zu gairdan cingere einzäunen, lat. homo goth.
guma ahd. komo litth. zmogus pl. zmones = homines gumans. gr.
. w V KJ
oaxxvXog lat. digitus goth. taihö? dig. pedis ags. tä engl, toe ahd.
-W zBhä. gr. dtixvvio öeixyvfn lat. dico indico goth. teiha nunlio ahd.
»zeigiu monstro, verwandt das vorangehende gleich dem folgenden wort.
die zeigende band heiszt skr. dakschina litth. deszine sl. des’nia gr.
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LAUTVERSCHIEBUNG
lat. duco goth. tiuha ahd. ziuhu. gr. ödx.Qv duxQv/iiu lat. lacryma
(s. 354) goth. tagr altn. tär ags. tear ahd. zahar, die wurzel öuxvw
(s. 300.) gr. dyvg und Öoqv sl. drjevo welsch derwen ir. dair goth. faie-ro
triu ags. treov engl, tree altn. trö. skr. dva gr. Övo lat. duo litth.
du sl. dva ir. do goth. tva ahd. zuei und so weitere bildungen wie
lat. dubiura f. duibium goth. tveifls ahd. zuival u. s. w. der untrenn-
baren gr. partikel dvg entspricht altn. tor ahd. zur.
VIII. T TII D. skr. tvam lat. tu goth. ahd. dü (vgl. s. 258.)
skr. tad gr. x6 f. xod goth. |)ata ags. |)ät ahd. daz. gr. zoTog zoiov-
rog lat. talis litth. toks ags. |}yllic f>ylc altn. fwilikr. gr. xwg ags.
|)us (gramm. 3, 196.) fgr. zXrjvou ixdXuau lat. tuli f. tetuli latum f.
tlatum (tAt/tov) tolero goth. [lula altn. |>oli und |>yl ahd. dolem und
dultu. gr. ruvQog lat. taurus sl. tour altn. f>ior (s. 32), nicht zu
mischen mit dyr goth. dius (s. 28.) sl. tr’n” spina goth. [taurnus ahd.
dorn. gr. xtQ[.ia zog/uog lat. terminus altn. ftröm ahd. drum, vgl. lat.
turnia ags. jirym. lat. torreo f. torseo gr. xagoo/ucu goth. jmirsa Jaaur-
sus altn. fmrr jiyrrinn ahd. durri. lat. tergeo tersi altn. {jerri. lat.
torquere ags. [rrävan ahd. dräjan dräta. skr. tamas caligo litth. tam-
sus obscurus lat. tenebrae f. temebrae alts. thimm thimstar ahd. demar
crepusculum dunchal. skr. tanus lat. tenuis altn. Jmnnr ahd. dunni.
gr. xtivto lat. tendo litth. tempiu goth. [>anja ahd. dennu, hierher auch
ahd. dono lendicula und donar tonitru, sonus nubis ictae und das lat.
tenus (Haupt 5, 182.) lat. tacere goth. frahan alts. fiegia ahd. dagön.
gr. rtxvov goth. jngns ags. [regen ahd. dekan, von xaxeiv xixxhv, 404
goth. fjeihan crescere, wozu auch goth. [iius und {)ivi, ahd. dionön
servire altn. |)iona ahd. diorna ancilla virgo, litth. tarnas servus tar-
naite ancilla. lat. tegere tectum altn. [>ak ags. [)äc ahd. dah tectum
decchan tegere. litth. Tauta Germania goth. f)iuda gens ags. {teod altn.
|)iod ahd. diot. gr. TQtig lat. tres goth. |)reis ahd. dri (s. 240);
ebenso lat. tremissis ags. {irimse ahd. drimisa und xQirog tertius ftridja
drilto. gr. xQf/jiv goth. |)ragjan ags. {irage cursus; sollte das altn.
{jroell servus nicht eigentlich besagen Cursor, der des herrn befehl
eilends ausrichtet? dann wäre auch im ahd. eigennamen Wolfdregil
Wolfdrigil dregil Cursor enthalten, lat. triturare goth. Joriskan ags.
Jierscan altn. [»reskja ahd. drescan. lat. letrao böhm. tetrew poln.
cielrzew altn. Jiidr schwed. tjäder. goth. Jiruts vgl. jjriutan molestare
sl. trud molestia labor poln. trad lepra. sl. tvr’d” durus firmus poln.
dvvardy scheint das goth. jovasts und ahd. fesli ags. fast.
IX. TII D T. das aeol. idiom läszt 0 durch <Z>, wie das lat.
durch F ersetzen (s. 350); einige merkwürdige spuren des labialen
statt lingualen lauts hat auch unsre spräche. skr. dhü spirare flare, % oben 35o
erweitert in dhma flare, dhüma vapor litth. dumai sl. d”mu flo duti
flare d”im” fumus poln. dym, gr. S-vaiv flare spirare, dann räuchern
opfern, d'vpog Spiritus mens, lat. fire für fyre fure noch übrig in suf-
fire räuchern, fumus vapor ahd. loum vapor, wofür ich s. 350 goth. ^
dagms inutmasze. war auch goth. divan dau und d^jan ursprünglich O
flare halare, so gieng es in die bedeutung exspirare exhalare und mori
284
LAUTVERSCHIEBUNG
über (vgl. usanan oben s. 26) und gleiches musz vom altn. deyja dö,
ahd. touwan töta und gr. fravtiv ^yrjGXHv gelten. &itvarog goth.
daujius ahd. töd ist demnach txnvtvotg exspiratio. funus gehört zu
fumus (funebris wie tenebrae von tamas) und bezeichnet entweder den
entseelten leib oder leichenbrand leichenopfer. gr. fhuw d-rjoui mam-
mam praebere, sl. doili poln. doic böhm. dogiti, goth. daddjan alt—
schwed. döggja f. dia, ahd. taan (Graff 5, 462); gr. &rjXrj mamma
d'rj'kü^w — &uü), t6 frfjkv das weibliche geschlecht, ahd. tila tili
405 tilli mamma (Graff 5, 397), das L scheint aus D entsprungen (s. 355)
zu daddjan aber fügt sich ahd. tutto mamilla. gr. 0-rjQ aeol. (prjQ lat.
fera goth. dius diuzis ags. deor altn. dyr ahd. lior, sl. zvjer’ litth.
zweris (s. 350.) gr. d-vQu lat. fores litth. durrys sl. dv’r’ goth. daurö
ahd. turi. gr. d-aQOiiv und d-a^QUv audere d'ü.QOog &u(jQog audacia
S-Quavg audax litth. drasus goth. gadaursan audere gadars audeo ahd.
turran audere tar audeo; ich halte s. 195 zu &Qu,ovg die ver-
glichnen deutschen Wörter stimmen aber nicht zur laulverschiebung.
gr. calefacere &t(tog aeslas, calor fraQ/nog calidus aeol.
/u6g altlat. formus (Festus s. v. forma) ferveo und fervidus, an welche
sichtbar das goth. varms ags. vearm altn. varmr ahd. waram, nhd.
warm sich schlieszt. varms entspringt mir aus qarms wie vintrus und
vaurms aus qintrus qaurms (s. 73) wozu skr. gharma stimmt, in den
persischen keilschriften heiszt ein Sommermonat garmapada; Übergänge
des GV in V und aus dem digamma V in lat. F lehrt die welsche und
irische spräche sattsam (s; 296. 373.) in diesem d~t^fx6g formus varms
und gharma läuft der laut durch alle consonanzorgane*. kann &i/ua
d-tf-ug (von Tifh][.ii) unserm goth. döms ags. döm ahd. tuom recht-
spruch verwandt sein? skr. dhan schlagen gr. d-uvtiv und &tvu.Q die
flache hand, womit geschlagen wird, ags. denu vallis? ahd. tenni area,
wo körn gedroschen wird, tenar vola manus; das lat. fanum an tenni
zu halten hat bedenken, gr. &vyuxrjQ goth. dauhlar ahd. tohlar; zu
dieser ordentlichen Lautverschiebung stimmt nicht-das D andrer spra-
chen (s. 266 vgl. aber unten.) im lat. trällere litth. traukti scheint
T für TH zu stehn, goth. dragan trahere ags. dragan engl, draw ahd.
trakan ferre.
Auf solche beispiele der anlaulenden lautverschiebung müssen die
der inlautenden oder auslautenden folgen, wobei von der strenge eher
abgewichen wird.
406 I. B P PH. russ. obezjnna simia, litth. bezd^enka f. obezdzenka,
ags. apa altn. api ahd. affo; doch anderes stimmt nicht, altböhm. op
und opec, heule opice, altpoln. opica, ir. apa welsch epa und diese
tenuis kommt Bopps herleitung vom skr. kapi (gl. skr. 65b) zu stat-
* könnte auf solche weise d’dXco (oeXco s. 353) efriXa) unserm goth. viljau
ahd. williu gleichstehn? doch reicht dies V viel weiter, ins lat. volo und veile,
ins litth. weliju malo wale voluntas, sl. volili veile volja voluntas und selbst ßov-
Xofiai fordert nicksicht, auch erscheint hier kein F und G, vielmehr T im ir.
toil voluntas.
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LAUTVERSCHIEBUNG
285
ten, der sieh auch das gr. xetnog xrjnog fügt. ir. abhal malura und
malus, welsch afal malum afall pl. efyll malus, litth. obolys malum
obelis malus lett. ahbols malum, sl. jabl”ko pomum poln. jablko böhm.
gablo gablko; ags. äpl äppel alln. epli malum apaldr malus ahd. apfal
ephili malum und aflaltera malus (vgl. gramm. 2, 530.) lat. labium
ags. lippa engl, lip ahd. lefs nhd. lel'ze, daneben lippe wie auch litth.
lupa. derselben wurzel sind lat. lambere ags. lapian altn. lepja ahd.
lafan luof und leffan leffita, altn. lepill cochlear abd. lepfd leffil nhd.
lölTel. das alln. sleif cochlear dän. slev plattd. sleef schieben S vor
und verschieben die labialis; lingere ist mit lambere gleichviel, folg-
lich lecken mit lepja, wo wiederum S vortritt in slecken. aus mnl.
slecke limax erhellt die Verwandtschaft zwischen cochlea und cochlear,
xöyßog xoyXlug xo/hÜQiov. sl. slabiti debilitare poln. staby debilis
alln. slapa flaccere ahd. slaph slaf remissus, und wiederum mit Über-
gang in gutt. slah (Graff 6, 783.) gleichen Wechsel zwischen lab.
und gutt. zeigt das lat. faber und facio, ich möchte zu faher auch
fibra (nervus vena) und fiher, den hauenden schlagen; wie nun zu
facere goth. bauan und bagms gehört, scheint für fiber sl. bohr litth.
bebrus die lautverschiebung goth. biprus zu begehren, doch ist bibrus
wahrscheinlicher nach dem ags. beofor ahd. pipar. lat. faba sl. hob”
bask. baba span, haha vergleiche ich ahd. pöna ags. beän und leite
ein goth. bauna aus babuna; doch ist auch gr. nvavog mit xva/nog
zu erwägen, zwischen sl. dobr” bonus und ahd. taphar gravis nhd.
tapfer fortis musz ein goth. daprs alts. dapar liegen, das nicht aufzu-
weisen steht, ags. Stapel stepel basis columna turris alln. slöpull ahd.
staphol staphil entsprechen dem lat. stabulum, das von stare wie vena-
bulum von venari geleitet fulcrum und veslibulum ausdrückt; von
stamla ist altn. stödull ahd. stadal horreum stabulum. gr. xävvußig
lat. cannabis altn. hanpr dän. hamp ags. hänep henep engl, hemp abd. 407
hanof nhd. hanf; P haben wieder litth. kannapes lett. kannepes poln.
konop böhm. konope. lat. turba goth. j)aurp alln. jaorp ahd. dorf.
litth. gelbmi goth. hilpa ahd. hilfu.
II. P F F. aus dem das organische PH vertretenden F schwankt
die goth. mundart in B, die alts. in BH, und die ahd., welcher hier
eigentlich B angemessen wäre, hat dafür entw. P (nach goth. B) oder
V (nach alts. BII.) geht liquida voraus, so steht immer F, wie im
anlaut. die ags. und altn. mundart halten F auch in und auslautend
fest, goth. B == ahd. P treten zur dritten gleichung über. gr. Afi'nco
goth. leiba laif ags. life altn. lif ahd. lipu; gr. Xotnog reliquus Xoi-
nüg reliquiae goth. laibös altn. leifar; im lat. linquo liqui waltet gutt.
lat. caper ags. häfer alln. hafr, ein goth. habrs ahd. hapar zu vermu-
ten. lat. aper ags. eofor altn. iöfur ahd. epar, goth. ibrs? gr. vnö
lat. sub für sup goth. uf; gr. vntQ lat. super goth. ufar ags. yfer
altn. yfir ahd. upar. gr. tnru lat. septem goth. sibun ags. seofon altn.
sjö abd. sipun. lat. nepos ags. nefa engl, nephew altn. nefi ahd. nevo;
lat. neptis ahd. niftila; das goth. nijijis nij)jä böhm. neti (s. 270) ha-
ben blosze lingualis. lat. capio goth. hafja altn. hef ahd. hefiii huop-
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1
LAUTVERSCHIEBUNG
hapan; lat. captus ahd. haft. lat. sapio goth. safja? ahd. seffu suop ,
sapan. lat. rumpo rupi ags. ryfe reäf altn. ryf rauf, rof ruptura, die
goth. form riuba rauf folgt aus raubön eflringere spoliare, ags. reafjan
ahd. raupon, vgl. raupa spolia; wie aber ist lat. rapio und rapina mit
rumpo zu einigen? rapio stimmt zu capio sapio, die skr. wurzel lau-
tet rup, erweiterung in MP zeigt auch das folgende wort. skr. sva-
pnas lat. sompnus soinnus gr. vnvog alts. suebhan altn. svefn, an-
dere formen oben s. 303. gr. onojQa auctumnus und poma darf wol
zu ahd. obaz nhd. obst ags. ofät und sl. ovosch fructus gestellt wer-
den. gr. xijnog ahd. hof hoves. lat. copia ahd. hüfo; hier aber auch
ags. hedp alts. höp altn. hop, was die zulässigkeit der Vergleichung j
von copia verdächtigt, sl. kop”ito poln. kopyto ungula altn. höfr ags. B
höf ahd. huof huoves; stellt gr. onXrj für xonXtf? otiXov goth. vöpn
408 ahd. wäfan ist davon zu trennen, litth. kupra gibbus ags. liofer ahd.
hovar nhd. höcker. lat. vulpes goth. vulfs ahd. wolf.
III. PII B P. hier stehn nur gr. Wörter in vergleich, da in- .
lautendes lat. PH oder F fast nicht vorkommt, doch entspricht einige-
mal lat. und sl. B. die ags. und altn. mundart haben wiederum F.
gr. tltcpag goth. ulbandus camelus ahd. olpenta ags. olfend (s. 42.)
gr. y.tcpaXrj goth. haubi[> ahd. houpit ags. hedfod vgl. heäfola. gr.
vtcpog vicptkr/ lat. nebula goth. nibls? altn. nifl alul. nepal. gr. xiocpog
alts. häf goth. hanfs ahd. hanf, wo die liquida das F zu fesseln scheint,
gr. yQufptiv goth. graban altn. grafa ahd. krapan; nur stimmt der
anlaut nicht, gr. ä/ucfi alts. umbi ags. ymbe ahd. umpi. gr. u/ucfio
lat. ambo skr. ubhäu sl. oba litth. abbu goth. bai ba bajöjis ahd. pedö,
auch den deutschen Wörtern scheint früher ein vocal vorausgegangen,
litth. sidubras sl. srebro goth. silubr ahd. silapar.
IV. G K GH. gr. iyw lat. ego sl. az” für az’ = agi goth. ik
ags. ic ahd. ih. gr. uyeiv lat. agere altn. aka; gr. uygog lat. ager
goth. akrs ags. äcer altn. akr ahd. achar. lat. vigere vigil vigilare
goth. vakan vigilare vökains vigilia vökrs xoxog vahtvö excubiae ags.
vacor vigil vöcor proles foenus altn. vaka vigilare ökr foenus ahd. wa-
chön wachar wuochar. gr. "Qvyöv lat. jugum litth. jungas lett. juhgs
goth. juk ags. geoc engl, yoke altn. ok ahd. joh. skr. mahan gr.
f-ityug /utyaXog lat. magnus goth. mikils ags. micel altn. mikill ahd.
michil goth. maists f. makists ? gr. /utyiaxog. lat. rex regis regnum
skr. rädscha goth. reiks ags. rice altn. riki ahd. richi. skr. radschani
nox goth. riqis ags. racu altn. rök caligo. lat. augere, gr. uv^uvtiv
litth. augti goth. aukan altn. auka ags. edcan ahd. auchön. skr. nagna
sl. nag” litth. nogas goth. naqajas ags. nacod ahd. nachut, im lat.
nudus ist ein cons. ausgefallen, es steht für navidus oder nugdus?
russ. bereza f. berezja? poln. brzoza böhm. briza litth. berzas ags.
beorc altn. biörk ahd. piricha. litth. sluga sl. slouga vergleichbar mit
goth. skalks ahd. scalli? vgl. oben s. 326. lat. mulgcre gr. ü/utX-
Afäytiv goth. miluks altn. miolk ags. meolc ahd. miluh, K haben schon
sl. mleko lat. lac u. s. w. (s. 326.)
V. K II H. goth. II, wie s. 394 gesagt wurde, steht für CH,
co kJi
co '
CD
X 12.
^ ••
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LAUTVERSCHIEBUNG
287
ahd. H für G, welches nicht selten, auch schon im goth. erscheint,
regel aber ist H. lat. pecu goth. faihu ags. feoh ahd. fihu. gr. noi-
xilog goth. faihs ags. fäh ahd. föh mhd. vöch. lat. coecus goth. liaihs.
lat. nec neque goth. nih ahd. noh; das lat. suffix -que ist goth.-uh.
lat. scire = secire sequire (s. 348) vgl. sequi secus und secundus,
goth. saihvan ahd. sehan. lat. locus ronog locare in loco ponere goth.
leihvan ahd. lihan, woraus auch ein verlornes goth. leilivs locus ahd.
lih geschlossen werden könnte, lat. precari procus sl. prositi goth.
fraihnan ahd. fragen, lat. secare securis ahd. salis culter seh vomer
segansa und sihila falx. ?£ lat. sex goth. saihs ahd. sehs. gr. dtxa
lat. decem goth. taihun ahd. zehan (vgl. s. 240.) lat. decus decorus
ahd. ziori nhd. zier. lat. dicere goth. teihan ahd. zihan. lat. ducere
goth. tiuhan ahd. ziohan lat. ductus goth. tauhts ahd. zuht. lat. lux
lucis goth. liuhaj) ahd. lioht mliiL lieht, lat. lucus sl. lug” goth. lauhs?
ags. leäh ahd. loh. lat. equus Alu aihvus. alts. ehu. lat. aqua goth.
ahva ahd. aha. gr. txvQog lal.^^Hbr goth. svaihra ahd. suehor. gr.
ahd!
oly.og lat. vicus goth. veihs
wereh fereh in wereheih ilex (
flea altn. flö ahd. flöh. lat.
'gr. oXxog. lat. acus palea
agana. lat. acer ags. ahd
klen’ vielleicht fiir aklon
klawa. sollte mit äl
dem lat. ac
octo goth.
lat. macte!
altn. fax ah
goth. mail f. mä
necesse stelle
nagvajis? ags. neä
G, wie wir schon ne
nan ahd. dagen freginön
oculus goth. augö ahd. a
xqv lat. lacrima goth.^/tfigr
entsp
hd.
Tiil
n;
5. lat.
wo noi
lat. quercus scheint das ahd.
!7.) lat. pulex pulicis ags.
ahd. suloh? (oben s. 56)
pna goth. ahana ahd.
das poln. klon russ.
^s. 380), auch lett.
► haro harewes asper
fiahan ahd. dagön. lat.
goth. nahts ahd. naht.
*xus ags. feax
lat. macula
lat. nex necis und
f. nahus nagus nahuj>s
Jien II und 410
)ahan fraih-
gr. oxog lat.
1. lagu. gr. dtt-
liar. gr. /.iijxov papaver
lett. maggons litth. agona f. magona poln. höhm. mak ahd. mägo mhd.
mäge nhd. mohn. gr. tixvov ags. jjegen ahd. degan mhd. degen. lat.
macer ags. mager engl, meager ahd. magar. lat. aequor altn. oegir.
lat. acuo und acies ags. ecg engl, edge altn. egg ahd. eccha (vgl. cos
und hän hein s. 400, mit haftendem II); mlat. aciarium it. acciaio
franz. acier chalybs entspricht dem ahd. ecchil. gr. ixrlv milvus (gebildet
wie uxiiv radius und pecten) scheint das altn. egdir igdir aquila, dessen
fern, igda lautet und Saein. 190a steht, wo es einige für hirundo nehmen.
VI. CII G K. das latein ersetzt die mangelnde asp. durch H
oder wirft auch dies weg. gr. l'/tiu goth. aigan ahd. eikan. gr. tqI-
%tiv goth. {»ragjan altn. fjraell servus ahd. drikil? (s. 404.) mit ßQt-
yjiv rigare pluere das ahd. prieken ora torquere (Graff 3, 364) schwei-
zerische brieggen brieken flennen weinen (Stald. 1, 225) zu verglei-
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286
LAUTVERSCHIEBUNG
liapan; lat. captus ahd. haft. lat. sapio goth. salja? ahd. seffu suop
sapan. lat. rumpo rupi ags. ryfe reäf altn. ryf rauf, rof ruptura, die
goth. form riuba rauf folgt aus raubön effringere spoliare, ags. reäfjan
ahd. raupön, vgl. raupa spolia; wie aber ist lat. rapio und rapina mit
rumpo zu einigen? rapio stimmt zu capio sapio, die skr. wurzel lau-
tet rup, erweiterung in MP zeigt auch das folgende wort. skr. sva-
pnas lat. sompnus somnus gr. vWos^ilts. suebhan altn. svefn, an-
dere formen oben s. 303. gr. d7rcd^«^^umnus und poma darf wol
zu ahd. ohaz nhd. obst ags. ofät und
den. gr. xfjnog ahd. hof hoves. lat.
ags. hedp alts. höp altn. hop, was dil
von copia verdächtigt, sl. kop”ito poln.(
höf ahd, huof huoves; steht gr. onXrj
408 ahd. wäfan ist davon,zu trennt
hovar nhd. höcker. »Alt. vulpe^
ier stehr
III. PII B P,
lautendes lat. PII
mal lat. und
gr. fXtcpag
gr. y.tcpuXrj
vetpog v
alts. häf
gr. yq
anlaut
lat
auch den deTT
litth.
vosch fructus gestellt wer-
ahd. hüfo; hier aber auch
lässigkeit der Vergleichung
yto ungula altn. höfr ags.
onlrj? ouXov goth. v£pn
ra gibbus ags. hofer ahd.
ahd. wolf.
Ivörter in vergleich, da in-
F fast AhJ^tffEommt, doch entspricht einige-
ags. und^Ä. mundart haben wiederum F.
camelus aW. olpenta ags. olfend (s. 42.)
ahd. houpit ags. heäfod vgl. heäfola. gr.
nibls? altn. nifl ahd. nepal. gr. xwcpög
lie liquida das F zu fesseln scheint.
rapan; nur stimmt der
Jhd. umpi. gr. u/ucpoi
ii ba bajö{)S ahd. pedö,
vocal vorausgegangen,
rapar.
für az’ == agi goth. ik
aka; gr. äyyog lat. ager
Tar. lat. vigere vigil vigilare
Toxog vahtvö excubiae ags.
vaka vigilare okr foenus ahd. wa-
jugum litth. jungas lett. juhgs
?k ahd. joh. skr. mahan gr.
iagnus goth. mikils ags. micel altn. mikill ahd.
michil goth. maists f. makists ? gr. /utyiarog. lat. rex regis regnum
skr. rädscha goth. reiks ags. rice altn. riki ahd. richi. skr. radschani
nox goth. riqis ags. racu altn. rük caligo. lat. augere, gr. uviguvetv
litth. augti goth. aukan altn. auka ags. eäcan ahd. auchön. skr. nagna
sl. nag” litth. nogas goth. naqa|>s ags. nacod ahd. nachut, im lat.
nudus ist ein cons. ausgefallen, es steht für navidus oder nugdus?
russ. bereza f. berezja? poln. brzoza böhm. briza litth. berzas ags.
beorc altn. biörk ahd. piricha. litth. sluga sl. slouga vergleichbar mit
goth. skalks ahd. scalh? vgl. oben s. 326. lat. mulgere gr. u/itk-
409 ytiv goth. miluks altn. miolk ags. meolc ahd. miluh, K haben schon
sl. mleko lat. lac u. s. w. (s. 326.)
V. K H H. goth. II, wie s. 394 gesagt wurde, steht für CH,
ags.
goth. akrs ags.
go
va
chön
goth. ju _______
f-ityug f.dya'kog
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LAUTVERSCHIEBUNG
287
ahd. H für G, welches nicht selten, auch schon im goth. erscheint,
regel aber ist H. lat. pecu goth. faihu ags. feoh ahd. lihu. gr. noi-
xiXog goth. faihs ags. fäh ahd. feh mhd. vßch. lat. coecus goth. haihs.
lat. nec neque goth. nih ahd. noh; das lat. suffix -que ist goth. -uh.
lat. scire = secire sequire (s. 348) vgl. sequi secus und secundus,
goth. saihvan ahd. sehan. lat. locus ronog locare in loco ponere goth.
leihvan ahd. lihan, woraus auch ein verlornes goth. leilivs locus ahd.
lih geschlossen werden könnte, lat. precari procus sl. prositi goth.
fraihnan ahd. fragen, lat. secare securis ahd. salis culter seh vomer
segansa und sihila falx. lat. sex goth. saihs ahd. sehs. gr. dexa
lat. decem goth. taihun ahd. zehan (vgl. s. 240.) lat. decus decorus
ahd. ziori nhd. zier. lat. dicere goth. teihan ahd. zihan. lat. ducere
goth. tiuhan ahd. ziohan lat. ductus goth. tauhts ahd. zuht. lat. lux
lucis goth. liuha|) ahd. lioht mhd. lieht, lat. lucus sl. lug” gotli. lauhs?
ags. ledh ahd. 16h. lat. equus gotli. aihvus. alts. ehu. lat. aqua goth.
ahva ahd. aha. gr. txvQog lat. socer goth. svaihra ahd. suehor. gr.
oiy.og lat. vicus goth. veilis ahd. wih. lat. quercus scheint das ahd.
wereli fereli in wereheih ilex (GrafT 1, 127.) lat. pulex pulicis ags.
flea altn. flö ahd. floh. lat. sulcus ags. sulh ahd. suloh? (oben s. 56)
gr. oXxog. lat. acus palea gr. a/vg finn. akana goth. ahana ahd.
agana. lat. acer ags. ahd. aliorn litlh. aornas; das poln. klon russ.
klen’ vielleicht fiir aklon akron? vgl. slon f. sron (s. 380), auch lett.
klawa. sollte mit ähnlicher aphaeresis das ahd. haro harcwes asper
dem lat. acerhus entsprechen? lat. tacere gotli. Jiahan alul. dagen. lat.
octo gotli. alitau ahd. alilö. lat. nox noctis goth. nahts ahd. naht,
lat. macte! gotli. mahts ahd. mäht, gehört zu pecto pexus ags. feax
altn. fax ahd. fahs? lat. rectus goth. raihts ahd. reht. lat. macula
goth. mail f. mahil? ahd. meil ags. mal. gr. vtxvg lat. nex necis und
necesse stelle ich zu goth. naus und nau|is f. nahus nagus nahu|is
nagvafis? ags. nedd ahd. not. hier ist also zweifei zwischen II und 410
G, wie wir schon neben ahd. salis segansa, neben goth. jiahan fraih-
nan ahd. dagen freginön fanden; folgende haben alle G. gr. oxog lat.
oculus gotli. augö ahd. augä. lat. lacus altn. lögr ahd. lagu. gr. öcx-
xqv lat. lacrima goth. tagr, wo noch ahd. zahar. gr. /iiijxoy papaver
lett. maggons litth. agona f. magona poln. böhrn. mak ahd. mägo mhd.
mäge nhd. molin. gr. Ttx.vov ags. liegen ahd. degan mhd. degen. lat.
macer ags. mager engl, meager ahd. magar. lat. aequor altn. oegir.
lat. acuo und acies ags. ecg engl, edge altn. egg ahd. eccha (vgl. cos
und hän hein s. 400, mit haftendem II); mlat. aciarium it. acciaio
franz. acier chalybs entspricht dem ahd. ecchil. gr. Ixriv milvus (gebildet
wie uxriy radius und pecten) scheint das altn. egdir igdir aquila, dessen
fern, igda lautet und Saem. 190a stellt, wo es einige für hirundo nehmen.
VI. CII G K. das latein ersetzt die mangelnde asp. durch H
oder wirft auch dies weg. gr. tytiv goth. aigan ahd. eikan. gr. TQt-
ynv goth. {iragjan altn. jiradl servus ahd. drikil? (s. 404.) mit ßQt-
yuv rigare pluere das ahd. prieken ora torquere (Graff 3, 364) schwei-
zerische brieggen brieken flennen weinen (Stahl, i, 225) zu verglei-
I ö
o
« B
0
00
LAUTVERSCHIEBUNG
chen hat bedenken, da der anlaut nicht genau stimmt, skr. lih gr.
\tlytiv lingere Xtyavog leckefinger (s. 385) Xiyvog lecker golh. laigön
ahd. lecchön litth. laifyti sl. lizati. gr. hf'yog lat. leclus goth. ligr ahd,
lekar, gr. hoyog insidiae goth. 16ga ? ahd. läka; die golh. wurzel ist
ligan, deren G von dem des gr. Xtyecr&ou nicht verschoben erscheint;
sl. leschtschi decumbere ljagu decumbo poln. lefec lege, sl. leshati
jacere loshe lectus. lat. trahere f. thrahere goth. dragan ahd. trakan.
gr. oytiod'cu lat. vehi vehere gr. oyog lat. veha goth. vigan vehi vagns ?
vehiculum ahd. wakan; lat. via f. viha goth. vigs ahd. wec; die sl.
litth. formen schon s. 60 angeführt, ob auch lat. dies goth. dags
ahd. tac hierher fällt? in dies ist ein cons. ausgestoszen, ich wagte
s. 192 dacies, vielleicht dahies? gr. loyga von (uygog pallidus vul-
vus goth. ögr? ahd. ögar Graft' 1, 134 nhd. ocker, poln. ugier
böhm. ogr.
411 VII. D T Z. lat. id skr. it (Bopp vgl. gr. 185) goth. ita ahd.
iz. gr. rd für rod oder tot skr. tat zend. tat (Bopp s. 183, 184)
goth. j)ata ahd. daz. lat. ad goth. at ahd. az. skr. ad. skr. ad lat.
edere gr. i'deiv goth. itan ahd. ezan sl. jasti ederc jad’ cibus. lat.
ador adoreum trilicum far goth. alisks seges ahd. ezisc; sl. jatsch’men’
hordeum ir. joth welsch yd granum altn. aeti (s. 65.) finn. ilu idun
germen syriän. id hordeum. skr. svädus gr. rjdvg goth. sulis f. svö-
tis ags. svete ahd. suozi. skr. sad lat. sedere gr. ffyo&cu goth. sitan
ahd. sizan, lat. sedes gr. t'dog goth. sitls ahd. sez. skr. mä f. mad
lat. metiri f. mediri, wie aus meditari erhellt, goth. mitan ahd. mezau,
goth. mitön meditari, lat. modus modius ahd. mez und mäza. lat. odium
f. codium (wie os ossis f. cos cossis, cost costis wovon noch costa
rippe) goth. hatis ahd. haz. lat. madere goth. natjan madefacere ahd.
nezan, lat. madidus ahd. naz. sl. bodu hosti pungere cornu pelere
poln. bos6 ags. beätan caedere altn. bauta ahd. pözan; vgl. lat. ba-
tuere franz. battre. gr. tlÖtvou iduv lat. videre golh. vitan ahd. wizan.
skr. uda f. vada gr. vöcoq f. Fvöcoq? sl. voda lett. uhdens litth.
wandü gen. wandens goth. vatö vatins ags. väter alls. watar ahd. wa-
zar altn. vatn schwed. vatten dän. vand. gr. tdpcoc; lat. sudor f. sva-
dor goth. svai^ts? ags. svät altn. sveiti ahd. sueiz. skr. svöta und
svid goth. hveits ags. hvite ahd. huizi. lat. hoedus goth. gaits ahd.
keiz. skr. padas lat. pes pedis gr. novg nodög litth. pedas goth.
fotus ags. föt ahd. fuoz. mlat. radius mellis für favus? wie noch franz.
rayon de miel sp. rayo, dann mnl. rate favus mhd. räz. lat. radix
ags. altn. rot. gr. xovig y.oviSog ags. hnit ahd. liniz. lat. gaudere
altn. kätr laetus. sl. trud poln. trad goth. |)ruts von j)riutan altn.
|)riota. das altdeutsche recht nennt einen hörigen lidus litus und laz,
in welchem namen alle drei stufen des lauts wiederkehren; lidus wäre
dem lat. laedere, litus dem goth. lötan, laz dem ahd. läzan vergleich-
bar, es kommt darauf an die bedeutungen zu einigen, in litus scheint
goth. lats piger, ahd. laz gelegen, latjan ahd. lezan bedeutet retardarc
impedire und erreicht so das lat. laedere. 16tan sinere relinquere ist
das litth. leidmi leisti. lat. claudere mnl. sluten ahd. sliozan mhd.
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LAUTVERSCHIEBUNG
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sliezen; lat. clavis mnl. slutel ahd. sluzil mhd. slüzzel. lat. claudus412
goth. lialts ags. healt ahd. halz. sl. gljadati ßXintiv goth. vleitan f.
qleitan? ags. vlitan altn. lita goth. andavleizns ags. andvlite altn. and-
lit ahd. antluzi vultus nhd. antlitz. gr. /utXSio ags. smilte altn.
smelti ahd. smilzu. lat. cor cordis gr. xuqSi'u litth. szirdis goth. hairtö
ags. heorte ahd. herza. lat. surdus gilt von dem tauben und stum-
men, wird aber auch für hebes überhaupt gesagt, surda tellus un-
fruchtbares land, wie es bei uns heiszt taubes land, surdus color dunkle
trübe färbe führt unmittelbar auf den rechten begrif: surdus ist das
goth. svarts altn. svartr ags. sveart ahd. suarz, genau wie goth. daubs
und dumbs, ags. deäf und dumb, abd. toup und tump zum ir. dubh
welschen du ater niger fallen, lat. nidus f. nisdus gnisdus wie nosco
f. gnosco? sl. gniezdo litth. lizdas f. nizdas (wie lakstingala s. 341)
ags. nest ahd. nest, vgl. altn. nist fibula ahd. neosta. das skr. nidha
deutet man aber aus nischada, vom niedersitzen (Pott 1, 89), was
jenen gutturalvorschlag wieder zweifelhaft macht, lat. nodus für gno-
dus? altn. knütr ahd. chnodo chnoto. sl. tvrd goth. fwasts ahd. festi.
sl. lebed’ ags. älfet altn. Alpt ahd. alpiz (s. 325.)
VIII. T TU D. in der ableitung entsprechen dem lat. -it -ut
-itum -itas goth. -if> -if)a, ahd. -id -ida, z. b. goth. haubift dem lat.
caput, niujifm diupifia daubifta dem lat. novitas profunditas stupiditas,
ahd. chüskida epanida dem lat. castitas aequitas. nur sind manche
goth. fi schon zu d, folglich ahd. d zu t geworden, namentlich im
part. praet. und im schwachen praet., was die Ilexionslehre zu erör-
tern hat; wie haubifi in haubid übergieng und der gen. immer haubi-
dis empfieng, berscht im ags. heäfod das d, wie im ahd. houpit das
t. andere beispiele sind: lat. ratio goth. rafijö abd. rediä. lat. mate-
ria materies vXr\ litth. medis arbor f. metis? altn. meidr arbor, in
langob. glossen mudula modula robur quercus (vgl. mudspilli muspilli
perditio ligni = ignis); materia: meidr wie bauan zu bagms, timrjan
zu 8£vöqov. fmn. m^ta vermis goth. mafia ahd. mado. finn. äiti raa-
ter goth. aifiei ahd. eidi. lat. frater goth. bröfiar ahd. pruodar. patis
fafts (s. 396.) gr. /utru goth. mifi ahd. geschwächt in miti. lat. 413
iterum goth. vifira ahd. widar gr. irtu (vgl. t'rvg s. 296.) lat. vitis
und vitex geschieden, ags. vidig salix engl, witby ahd. wida nh. weide,
lat. lituus genus tubae altn. ludr (kaum lüdr) tuba. lat. tetrao altn.
fudr. gr. nrtQov f. ntnqöv goth. fifira? ags. feder engl, feather altn.
fiödur dän. fier ahd. fedara. osk. petora lat. quatuor goth. schon
fidvör f. fithvör ahd. fior. lat. satur goth. safis sadis, söfijan saturare
ags. sadian, ahd. sat sates und satten saturare. gr. trog goth. afm
und atafmi, woher noch der name Athanagildus; von der ahd. form
adan keine spur mehr. sl. knut flagellum goth. bnufiö vgl. ahd. hno-
tön tundere quassare. litth. prietelus sl. prijatel goth. friafwils? ahd.
friudil mhd. friedel. lat. laetus f. flaetus goth. bleifts ags. blide altn.
blidr ahd. plidi. lat. rota f. crota, zu curro currus gehörig? dann
auch ahd. rad f. hrad, vgl. hrat velox ags. hräd; aus rotundus it. ro-
tondo sp. redondo franz. rond das mhd. nhd. rund; von rota unter-
19
290
LAUTVERSCHIEBUNG
scheide man das verwandte rheda currus ags. räd iter altn. reid equi-
tatio und currus. gr. xuXtiv xXrjrtvttv gotli. lajnm f. hlajiön ahd.
ladön f. hladön. sl. zlato gotli. gul{) ahd. kohl. lat. vultus facies
species läszt sich halten zu goth. vuljius 8oS,u ansehn glanz und dem
erweiterten vuljir ahd. woldar splendor. lat. verto versus goth. vair[>s
ags. veard für veard ahd. wart f. ward; anders zu nehmen vairfia fio
aus visada? (s. 310. 360.) skr. dantas litth. dantis goth. tunjms
ahd. zand. skr. anjataras litth. anlras goth. anjiar ahd. andar; we-
gen trtQoq und haiQog vgl. oben s. 138. lat. martes ags. meard
ahd. mardar. gr. lf.ioi.Tiov vestis, vielleicht ahd. hemidi, welchem goth.
hama[)i entsprechen würde, gr. IxtIv milvus altn. igdir aquila. von
partikeln wäre lat. aut zum goth. aijifiau ags. odde ahd. odo, lat. atta-
men zum goth. ai{)[ian vergleichbar.
IX. TH D T. solcher inlaule sind nur wenige, da sich keine
lat., nur einzelne gr. Wörter darbieten, skr. inadhu gr. fit&v litth.
medus ags. meodo alts. mcdo ahd. metu mhd. mete. gr. l'&og jon.
rjß-og goth. sidus alts. sido ahd. situ mhd. site. gr. xud'a.QÖg purus
ags. hädor serenus alts. hödar ahd. heitar. gr. fuofrög goth. mizdö
ags. meord ahd. mieta.
414 Nach dieser vollständigen, wenn auch lange noch nicht alle bei-
spiele erschöpfenden darlegung eines hauptgesetzes in der geschichte
unsrer spräche gehe ich daran es zu erörtern und auszulcgen.
1) Nur die stummen consonanten unterliegen ihm, weder liqui-
den noch Spiranten so wenig als vocale. der flüssigen und hauchen-
den consonanz ist beinahe die freiheit und ungebundenheit der vocale
gewährt; alle können sich abändern, schwächen oder untereinander
vertreten, aber sie thun es nicht nach einem allgemeinen durchgrei-
fenden grundsalz, wie sehr sie schwanken mögen, es ist kein hin-
dernis vorhanden, dasz sie von jeher in allen zweigen der urver-
wandten spräche unwandelbar geblieben seien, ich will dafür nur
wenige zeugen aufrufen. vom skr. sünus an bis zum goth. sunus
(s. 270), vom skr. näman an bis zum goth. namö (s. 153), vom skr.
krimi an bis zum goth. vaurms pflanzen sich die flüssigen laute fort,
ohne Wechsel zu erleiden, wie weit erstrecken sich RN in körn (s. 67)
ML in malan (s. 68)! darum gleicht die litth. Laime oder Laume der
röm. Lamia , darum haftet das L des litth. lapas im goth. laufs ags.
leäf ahd. loup, während die rauta daneben schwankt, das ahd. nusca
fdmla monile begegnet im ir. nasc, das ahd. lennes cortum (Graff 2, 218)
mhd. lcenelin (Frid. 103, 17) altschwed. länia im ir. leanan leanuan.
2) Die Verschiebung der stummen consonanten im deutschen er-
scheint nicht als zufällige ausnahmc, sondern als wirkliche fest in ein-
ander greifende gegliederte regel. am stärksten.waltet sie im anlaut,
d. h. dem empfindlichsten theil der wurzel, der ihre eigenheit vorzüg-
lich begründet; inlautend'treten häufig ableitende neue und der Wur-
zel an sich fremde bestandlheile zu, welche aufrecht zu erhalten min-
der wichtig scheint, am auffallendsten wirkt die lautverschiebung frei-
lich, wenn sie auszer dem anlaut zugleich auch in und auslautend
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LAUTVERSCHIEBUNG
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wahrgenommen wird z. b. gr. tad goth. |)at ahd. daz; skr. dantas
goth. tunjms ahd. zand; lat. lioedus goth. gait ahd. keiz; gr. TQiyuvWo
goth. jiragjan ahd. drekan (?); gr. xrf&eiv ags. gnidan ahd. chnetan.
3) Um die neun gleichungen darzustellen, sind immer Wörter ge-
wählt worden, die alle drei stufen des verschobnen lauts zeigen, viele
andere wären mitzutheilen, die nur in zwei stufen vorliegen; die dritte
mangelnde kann dann theoretisch alsbald gefolgert werden, z. b. aus
dem gegebnen altn. vödvi torus ahd. wado flieszt, dasz die muta des
urverwandten Worts T sein müsse, aus dem goth. diups und ahd. tiof,
dasz im entsprechenden gr. wort die erste muta 0, die andere B zu
lauten habe, uns entgeht der lat. ausdruck, der dem altn. aed, ahd.
ädara vena gleich stände; ihm würde T gebühren *. aus dem gr. i'rog
und goth. afm schlossen wir ein ahd. adan. altn. dvergr, ahd. tuere
nanus machen höchst wahrscheinlich, dasz ihnen &eovpy6g entspreche
und zauberer, weiser mann der ursprüngliche begrif dieses Wor-
tes sei.
4) Das lautverschiebungsgesetz hilft also wilde etymologie bändi-
gen und ist für sie zum prüfstein geworden, in unverschobnen spra-
chen, z. b. der griechischen und slavischen hat der wortforscher leich-
teres spiel und ist geringerer teuschung bloszgestellt, als wenn grie-
chische oder slavische zu deutschen Wörtern gehalten werden sollen,
steht die muta eines urverwandten worts zu dem deutschen auf un-
rechter stufe, so entspringt verdacht gegen ihre Vergleichung, stimmen
beide völlig, so ist ihre Verwandtschaft sogar abzulehnen, z. b. das lat.
calidus und goth. kalds sind einander allzugleich, um verwandt zu schei-
nen, was auch ihre abweichende sogar entgegengesetzte bedeutung
zeigt, lautverschoben gehört also zu kalds nach der vierten gleichung
lat. gelidus, und für calidus wäre nach fünfter ein uns abgehendes
goth. halds oder halts zu gewarten. halts findet sich wirklich, ent-
spricht aber dem lat. claudus, in welchem C L D enthalten sind wie
in calidus. es müsten demnach künste vorgekehrt werden, um in ge-
lidus und calidus, ihres gegensatzes unerachtet, höhere berührung zu
erkennen, worauf das litth. szaltas und sziltas hinweisen. zugleich416
lehren diese Wörter, wie viel minder streng der inlautende consonant
die regel der lautverschiebung hält.
5) Wir haben media als grundlage des consonantismus erkannt,
media wird im sanskrit, gleich liquiden, halbvocalen und vocalen zu
den tönenden buchstaben gerechnet, während tenues und aspiratae
dumpf (den Griechen kahl und rauch) heiszen. darum hebt die Ver-
schiebung auch mit der media an, von ihr senkt sich der laut zur
tenuis, von der tenuis zur aspirata: in der media liegt gleichsam seine
natürliche kraft, die sich zur tenuis verdünnt und hernach wieder zur
aspirata verdickt, aus der aspirata musz darauf die einfache media
abtropfen und dann der umlauf neu beginnen, widernatürlich und ein
sprung, den auch die spräche meidet, wäre (ich wiederhole das schon
* sollte es das gr. aQrrjQia oder aoQrrj sein, mit ausgefallnem R?
19*
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LAUTVERSCHIEBUNG
s. 393 gesagte) wenn media in asp., asp. in tenuis, tenuis in media
gewandelt werden sollte*.
417 6) Als die spräche einmal den ersten schritt gethan und sich von
ihrer organischen lautstufe losgesagt d. h. die zweite betreten hatte,
war es beinahe unvermeidlich dem andern schritt auszuweichen und
nicht auch auf die dritte stufe zu gelangen, womit sich diese ent-
wicklung vollendet abschlosz. Beide schritte brauchten jedoch weder
gleichzeitig noch in demselben umfang zu geschehn. so wie nemlich
von dieser gewaltsamen erschütterung keine der urverwandten sprachen
ergriffen ward, sondern erst die deutsche, also ein geringer theil jener
groszen Urgemeinschaft sich plötzlich dafür entschied; so that auch
nur ein ast des deutschen sprachstamms, der hochdeutsche, was zu
thun übrig war, und erst in späterer zeit, alle andern deutschen dia-
lecte blieben von der zweiten Verschiebung, wie die urverwandten
sprachen von der ersten unberührt, im verfolg werde ich zu ermit-
teln haben, zu welcher zeit beidemal dieser durchbruch des alten laut-
dannnes eingetreten ist.
7) Dem instinct, mit welchem ihn der sprachgeist vollführte, kann
man bewunderung nicht versagen, eine menge von lauten geriethen
aus ihrer fuge, allein sie wüsten immer wieder an andrer stelle sich
folgerichtig zu ordnen und von dem alten gesetz die neue anwendung
zu finden. Damit behaupte ich keineswegs dasz der Wechsel ohne
nachtheil ergieng, ja in gewissem betracht erscheint mir das lautver-
schieben als eine barbarei und Verwilderung, der sich andere ruhigere
Völker enthielten, die aber mit dem gewaltigen das miltelalter eröfnen-
den vorschritt und freiheitsdrang der Deutschen zusammenhängt, von
welchen Europas Umgestaltung ausgehn sollte, bis in die innersten
laute ihrer spräche strebten sie vorwärts, und ich wage sogar die
gunst der dem hochdeutschen stamme vorzugsweise beschiednen her-
schaft in anschlag zu bringen, um daraus den eintrilt der zweiten,
gleich unbewust erfolgenden lautverschiebung herzuleiten, bei der ge-
schichte der bildung aller sprachen darf die der Völker selbst niemals
* die Etrusker, deren spräche media fehlte, lassen die media gr. eigenna-
men immer in tenuis, die tenuis oft in aspirata übergehn: ^S^aaros ward ihnen
Atresthe, TvSevs Tute, üolvSevxrjs Pultuke, MeXiayooi Melakre, IleQosvs Pherse,
JJokvveixrjs Phulnike, Gens Thethis, Trjlecpos Thelaphe. 0. Müllers Etr. 1, 59.
Eine andere gleich merkwürdige lautverschiebung ist zwischen finnischer und ungri-
scher spräche wahrnehmbar, finn. P wird zu ungr. F, finn. K zu ungr. H, vgl.
die finn. puu arbor, pelto ager, puoli dimidium, pakkainen frigus mit ungr. fa,
föld, fei, fagy; die finn. kuu luna und mensis, kala piscis, kuolen morior, kolmi
tres, kuulen ausculto mit ungr. hö mensis, hold luna, hal piscis, holt mortuus,
hdrom tres (R für L), hallani audirc. hiernach ist gr. nöa = ungr. fü herba.
auch finn. T sollte einen verschobnen ungr. laut zur Seite haben und wirklich
scheint ihm SZ zu entsprechen in tuuli ventus ungr. szel, tahko angulus ungr.
szöglet; doch steht auch für talvi hiems ungr. tel. Diese beiden auszerhalb des
gebiets deutscher spräche wahrnehmbaren fälle der lautsenkung bewähren uns wie
tief sie dem sprachgeist eingeprägt war, begründen aber keine ausnahme von dem,
was s. 392 aufgestellt wurde, da sie nicht einmal in urverwandten sprachen vor-
tauchen.
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LAUTVERSCHIEBUNG
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auszer acht gelassen werden und es ist leicht wahrzunehmen, dasz der
rede geistiger Fortschritt überhaupt abzuweichen scheint von der älteren
spräche leiblicher Vollendung; nicht umsonst sehen wir siegenden und418
berschenden Völkern eben den dialect einer spräche eigen, der sich
von ihrem früheren standpunct am weitesten entfernt hat. welcher
schaden ihnen daraus hervorgehn mag, sie wissen dafür andern ersatz
zu bereiten.
8) Zu den durch die erste und zweite lautverschiebung herbeige-
führten nachtheilen rechne ich einen empfindlichen misstand. Man
musz annehmen, und die urverwandten sprachen lassen keinen zwei-
fei darüber, dasz anfänglich mediae tenues und aspiratae nach einem
weisen und gefälligen masz in der spräche ausgetheilt waren und da-
bei durchaus nicht der grundsalz völliger gleichheit obwaltete, viel-
mehr scheint es, wie unter den vocalen A das I und U, alle kurzen
vocale die langen an zahl hinter sich lassen, dasz auch von den stum-
men consonanten mediae und tenues den aspiraten überlegen sind, da
nun hei der ersten lautverschiebung die aspirata an den platz der tenuis,
bei der zweiten an den platz der ursprünglichen media tritt; so ergibt
sich in beiden fällen ein Übergewicht der aspiration, das unvermeid-
liche härte mit sich führt, um ein offenbares beispiel anzugeben: wie
günstig gestaltet das Verhältnis der gr. spräche in der tenuis T des
häufig wiederkehrenden artikels gegenüber der goth. ags. oder altn.,
deren dem redenden schwierigeres TH gleich oft angewandt werden
musz. ähnliche rauheit an andrer stelle entspringt der hochd. mund-
art durch häufungen des Z. das wolberechnete gleichgewicht der drei
stufen jedes organs in dem alten sprachhaushalt wird durch die laut-
verschiebung beeinträchtigt.
9) Ich gelange zu den ausnalnnen, die man von allen gesetzen
der spräche gewahrt, also auch von dem der lautverschiebung im vor-
aus zu erwarten berechtigt ist. man darf sie nur nicht selbst zu
regeln erheben: Graff, der insgemein mehr zu lexicalischen als gram-
matischen Forschungen aufgelegt und gerüstet war, hat nichts von sei-
ner seite unterlassen um das gesetz der lautverschiebung als ein nich-
tiges darzustellen, d. h. den ihm zu gründe liegenden erscheinungen
die wahrgenommnen ausnahmen gleich zu setzen.
Alle hierher einsclilagenden ausnahmen sind begreiflich doppelter 419
art. entweder tauchen sie schon in den urverwandten sprachen als
Vorläufer des neuen brauchs auf, oder sie haften noch in den deut-
schen aus dem alten lautstand und wandeln unter der menge neuge-
stalteter Wörter gleichsam als nachzügler des alten heers um. jene
verletzen den Organismus, diese stellen ihn her, beides aber erfolgt
nur im einzelnen ohne einflusz auf das ganze. Eine dritte, unter kei-
nen dieser gesichtspuncte reihe von ausnahmen kann sich auf vollstän-
digere, feinere Zerlegung einzelner lautreihen gründen, wie sie zumal das
sanskrit darlegt, welche auf das eingeschränkte lautverhältnis andrer
sprachen keine unmittelbare anwendung leidet, sondern scheinbar es
verwirrt.
■ i IV A
294
LAUTVERSCHIEBUNG
10) Burnouf und Bopp lehren, wie T im zend schon zuweilen
TII, D zu DII wird: es sind vorhoten gothischer Verschiebung, von
tüm bildet sich der dat. thvöi = skr. tubhjam, der acc. thvanm =
skr. tväm (s. 258.) statt des skr. tri heiszt es tliri (s. 239); ätars
feuer flectiert äthrö igni und von diesem TH herzustammen scheint das
weiter geschobne ags. D ahd. T in Ad eit; vermutlich lautete die goth.
form gleichfalls aids oder aidrs. skr. päda pes lautet zend. pädha,
skr. dadämi di'dio/ui zend. dadhämi. aber auch im skr. prathama pri-
mus wandelt sich das T der gewöhnlichen superlativendung tama zu
TII um, in adliama infimus zu DH. (Bopps vocalism. s. 169.) Ana-
log diesem T und TH ist ein zendischer Wechsel zwischen P und F,
skr. pra lautet zend. fra «= goth. fra und äfs aqua, kerefs — Cor-
pus haben den acc. äpem, kerepem sich zur seite. von der wurzel
tap (s. 231) entspringt tafnu ardens, wie pers. täften accendere gilt
und gr. rdupog rtcpga neben framco. die zendische aspirata in den
angeführten fällen leitet man aus einflüsscn nachfolgender halbvocale,
so wie des S und N ab (Bopps vergl. gramm. s. 39. 46. 83), wo-
durch sie sich von der goth. viel allgemeiner wirkenden Lautverschie-
bung unterscheiden, unser verschobner laut findet immer statt, nicht
schwankend in den formen einzelner Wörter, mit dem zendischen
liesze sich daher der gr. Wechsel vergleichen, dessen s. 359. 361
erwähnung geschah.
420 11) Beihenweise scheint die anlautende media vieler zendischer
persischer litthauischer slavischer und keltischer Wörter mit der golhi-
schen einzustimmen, während ten. und asp. abweichen, man halte
bräta brat” brolis brathair brodyr (s. 267) zum goth. bröjiar; sl. bohr
litth. bebrus zu ags. beofor altn. bifr; sl. hob” bask. baba zu ags.
beän altn. baun; sl. b”iti bijo litth. huti busu zu ags. beon beo; sl.
boukva zu goth. böka; sl. hrali heru zu goth. hairan haira ags. heran
bire. liier aber gewähren sanskrit, latein und griechisch aufschlusz,
welche keine media, vielmehr BH O und F weisen: bhrälr (pQUTrß
frater, fiher, faha, bhü fui fio <pvio, fagus (prjyog. ohne zweifei hat
sich von der stufe dieser asp. ah das goth. B geschoben und zwischen
sanskrit gr. lat. und goth. ist alles regelrecht, jene B erscheinen ge-
stört und abgewichen. Nicht anders steht es in denselben sprachen
um die zur goth. media treffenden G und D, denen sanskr. GH DII,
gr. 0 und ein mangelnder aspirierter kehllaut entsprechen sollte, so
erscheint sl. gost’ neben goth. gasts, die skr. wurzel ist ghas edere,
das latein aber, welchem gulturalaspiralion gebricht, setzt hostis oder
fostis. sl. gadanije aenigma poln. gadka böhm. hadka ist das altn.
gäta; sl. grabili litth. graibyti das goth. greipan lat. rapere f. hra-
pere; sl. grob” sepulcrum litth. grabas das goth. graf? oder gröba
fovea; sl. gniezdo das ags. nest f. gnest, lat. nidus f. nisdus hnisdus?
sollte das litth. gramczdai schrapsel nicht dem goth. gramst fesluca
entsprechen? (anders s. 337.) am schwersten scheint hier das Ver-
hältnis der gr. laute, doch ist rapere sichtbar agnüCtiv und bestätigt
hrapere, wenn auch an sarpere mahnend, wie repere an serpere (s. 302.
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LAUTVERSCHIEBUNG
295
303.) Bei den lingualen ist alles deutlicher, zum goth. dails fügt sich
wiederum litth. dalis sl. dijel; zum golh. dal vallis sl. dol; zum goth.
dauhtar litth. dukte sl. d”schlschi, aber gr. &vyuri](); zum goth. daur
sl. dver’ litth. durrys, aber gr. &vqu janua; zum litth. duma dumai
goth. döms und dauns, gr. &v/.iog und &v/nog; zum sl. dojiti golh.
daddjan gr. d'dw; zum sl. djeva virgo gr. \HjXvg; dem litth. drasus
audax ist das gr. d-Qaavg gleich und das goth. gadars audeo ahd. tar
(s. 405), nicht das s. 195 hinzugenommne jrnäsa. das ir. dubh wel- 421
sehe du niger ist das goth. dauhs ags. deäf surdus. Hiernach sind
die sl. litth. mediae überall zweierlei, theils der goth. tenuis, theils
der goth. media, oder theils der gr. media, theils der gr. asp. zur
seite stehend, z. b. sl. dva desjat dub — gr. övo dexa öevdQov goth.
tva taihun timbr, hingegen sl. dver’ d”schtschi = &vqu ^vyuzrjQ goth.
daur dauhtar. Es scheint aber, dasz bereits im skr. einzelne Wörter
media zeigen statt der asp. z. b. duhita f. dhuhita, giri f. ghiri ■== sl.
gora mons. Dieser Zwiespalt zwischen skr. gr. und lat. muta auf
einer, sl. litth. auf der andern seite kann allenfalls auch Lautverschie-
bung heiszen, nur eine unvollkommnere als unsere deutsche, da sie
nicht jede media, die tenuis überhaupt nicht angeht, an sich aber
bleibt es merkwürdig und bedeutsam, dasz die B G D in brat gost
und dver = bröfrnr gasts daur vollen ansatz zur goth. lautverschie-
bung enthalten, die dabei still stand und nicht weiter umgrif. sanskrit,
gr. und lat. spräche erfuhren in diesen Wörtern noch nichts davon,
wol aber das skr. in jenem der goth. media begegnenden duhita und
giri. in dieser beziehung ist noch viel zu untersuchen und z. b. aus
dem zum golh. bindan ligare stimmenden skr. badh oder bandh kein
einwand gegen unser lautverschiebungsgeselz zu entnehmen, vielmehr
zu schlieszen, dasz auch im skr. organischer weise bhadh bhandh zu
stehn hätte, wie lat. fdum für fidlum, funis für fudnis (Bopps gl. skr.
237 a) bestärken, dem goth. baujjs surdus mutus entsprechen skr.
bidhar (Bopp 236 b), ir. bodhar, welsches byddar, armor. byzar, und
die goth. form räth ihnen gleichfalls BH zuzutrauen.
12) Jetzt komme ich auf die nachzügler. nur selten verirrt sich
muta alleinstehend, das merkwürdigste mir erinnerliche beispiel ge-
währt die goth. praeposition du, welche ganz dem sl. do entspricht
und von der lautverschiebung abweicht, denn nach dem ags. tö alts.
te ahd. za zi sollte sie tu lauten, was sich ordnungsmäszig aus dem
sl. do senkt, eben so verhält sich die verwandte partikel dis, die auf
der stufe des lat. dis beliarrt, da doch, wie ahd. zar zir lehrt, auch
goth. tis zu gelten hätte, ferner goth. dags ags. däg hält sich zu 422
lat. dies und sl. diena, folglich auch Danus zu Dacus (s. 192. 193);
höchst merkwürdig aber hat sich golh. taujan ahd. zouwan verscho-
ben, da doch döds dödum ahd. tat tätum der alten stufe treu blei-
ben*. Das sl. D in do ist keins wie in dol, sonst würde ihm ahd. T
* näher gewiesen in meiner abhandlung über diphthonge s. 12. 14; zu vgl.
sl. tvoriti facere tvar res creata. Mild. 18. 93.
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LAUTVERSCHIEBUNG
zur seite stehn, vielmehr wie in dva = goth. tva ahd. zuei. Schon
s. 269 hob ich aus, dasz gegenüber lat. pater mater frater goth. fa-
dar (ags. mödor) bröpar, ahd. fatar muotar pruodar stehn, folglich
nur bröpar und pruodar regelrecht verschoben ist. fadar und mödar
setzen ein vorangegangnes TH voraus, wie es ir. athair mathair, frei-
lich auch brathair (s. 270) zeigen, das engl, fallier mother brother
unterstützt. Goth. baitrs tiixqoq stammt doch von heitan mordere ahd.
pizan; ahd. pitar oder pittar verharrt in goth. stufe, ags. biter altn.
bitr. ebenso steht es um ahd. otar ottar lutra ags. oter altn. otr,
deren T zum litth. udra, poln. böhm. wydra stimmt, so dasz ahd. ozar
in der regel wäre, nochmals dasselbe Verhältnis im goth. hlutrs pu-
rus ags. hlötor ahd. hlütar hluttar nhd. lauter, dessen Zusammenhang
mit ags. hlüd sonorus ahd. hlüt gr. xXvrog ich nicht verrede, weil
licht und schall oft einer wurzel sind. Wie lat. modus modius medi-
tor und metior schwanken, hält im goth. mita met mitö ahd. mizzu
mäz mez die muta fest und entspricht dem lat. D; gerade so verhält
sich zu lat. sedeo sedile goth. sita sills, doch neben ahd. sizan und
sezal findet sich sedal kisidili, deren D die lat. stufe behauptet, und
aus dem ags. sedel neben setel, wie jenes fadar aus father zu fassen
ist. mitten in den ausnahmen blickt immer die regel des verschie-
bens durch.
13) Alle bisher angeführten wie die zunächst folgenden ausnah-
men fallen in die lingualreihe, welche sonst den grundsatz der laut-
verschiebung am deutlichsten darstellt, man begreift, dasz ein festes
423 band der lingualis mit andern consonanten sie im früheren, der Ver-
schiebung vorausgegangenen zusland erhalten kann; beide consonan-
ten verschmelzen und widerstehn dem Wechsel, hierher gehören zu-
mal die formein FT HT ST, deren T völlig auf der stufe des gc. und
lat. in PT KT ST bleibt, obschon die vorstehenden F und II verscho-
ben sind, vgl. goth. hafts raihts kustus mit caplus rectus guslus. die
goth. hafts raihts kustus müssen aber auch ahd. unverändert beharren
liaft reht chust. auf die günstige beweglichkeit des gr. nr in ßd
(s. 359) u. s. w. läszt sich weder lat. noch deutsche spräche ein.
Urverwandtes TR verschob sich in goth. THR ahd. DR, wie tres preis
dri, trud pruts priutan und driozan zeigen; urverwandtes DR in goth.
TR*, hier aber stockte die Verschiebung und blieb auch ahd. TR; es
zeugte sich kein ahd. ZR, das unserm idiom widersteht, beispiele:
sl. drevo gr. dyvg goth. triu ags. treov, ahd. -tra -tera in zusam-
mengesetzten baumnamen; goth. traua ahd. triuwu nhd. treue; goth.
triggvs ags. treove altn. tryggr ahd. triuwi nhd. treu; goth. trigö
’kvn'i] altn. tregi moeror tregr invitus segnis, ahd. träki ignavus nhd.
träge; goth. trudan calcare altn. troda ahd. tretan vgl. kelt. troed troid
pes; alts. trahni lacrimae ahd. -trahan mhd. traben lacrima. Wie goth.
* wohin auch Joouixah?]s (s. 202) und goth. trums? ags. trum, finn. tyr-
miä firmus, ir. trorn gravis, welsch trwm. das lat. firmus scheint fiir firmus
thirmus zu stehn.
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LAUTVERSCHIEBUNG
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THR ahd. DR verhalten sich goth. THV ahd. DU: {wairhs transversus
ahd. duerah, ags. {wingan cogere ahd. duingan; hier aber hat die spä-
tere spräche unorganisch fortgeschoben: mhd. twerh nhd. zwerch,
mhd. twingen nhd. zwingen, man unterscheide goth. DV = ahd. TU
in dvairgs? nanus ags. dveorg altn. dvergr durgr ahd. tuerc, die s. 415
dem gr. d-aovgyog verglichen wurden, auch mhd. twerc, nhd. aber
fälschlich zwerg.
14) Dem stockenden ST parallel ist SK in lat. piscis goth. fisks
ahd. fisc; lat. discus ags. disc ahd. tisc; altn. taska pera ahd. tasca;
ags. flaesc ahd. (leise; bald aber beginnt hier SCH einzudringen, die
sich im mhd. fisch tisch tasche schon gesetzt haben, nicht zu über- 424
sehn das abweichende goth. ZG in azgö ahd. ascä altn. aska ags. asce.
goth. KR wird ahd. CHR. goth. SP begegnet inlautend nicht, doch
nach ags. altn. SP zu urtheilen, bliebe es auch ahd. vgl. ags. äspe
altn. espi ahd. aspa nhd. espe. PS aber wird ahd. zu FS: lat. capsa
ahd. chefsa mhd. kefse (s. 149.)
15) Weit gröszerer einlrag geschieht der lautverschiebung da-
durch, dasz unter ahd. mundarten die, welche an niederdeutsche
spräche grenzen, mehr oder weniger sich auf der zweiten stufe der
lautverschiebung halten, überhaupt also wird die dritte stufe, wie sie
folgerecht durchgreifend der zweiten gegenüber steht, nur da angetrof-
fen, wo ich strengallhochdeutsche mundart annehme, deren weise bis-
her als reiner gegensatz zur gothischen oder sächsischen aufgeführt
worden ist. von den landstrichen, in welchen sie zu haus ist, soll
später rechenschaft gegeben werden, über sie aber hat allmälich, und
entschieden mhd. und nhd. jene weichere mundart den sieg davon ge-
tragen, in welcher nun der gothische und strengahd. lautstand eigen-
thümlich gemischt erscheinen. Es genügt hier die etwas verwickelte
abweichung der drei bedeutendsten ahd. denkmäler dieser art (Isidors,
Otfrieds und Tatians) anzugeben, wobei anlaut, inlaut und auslaut un-
terschieden werden musz; ich stelle die goth. und strengahd. weise
zur Vergleichung voraus.
goth. B P F G K II D T TH
strengahd. P PII F K CH II T Z D
I. anl. B F G CH H D Z DII
inl. B F V G Hli II D ZS DII
ausl. P PH F C H H T ZS DH
0. anl. B PH F G K II D Z TII
inl. B F F G CII H T Z D
ausl. B F F G H II T Z D
T. anl. B PII F G K II T Z TII
inl. B PH V G IlH H T Z D
ausl. B PH F G H H T Z D
doch ist einiges näher zu bestimmen z. b. dasz bei I das G, sobald 425
die dünnen vocale e oder i folgen, in GI1 übergeht, was dem s. 386
entwickelten einflusz dieser vocale auf gutturale gleicht; ferner dasz die
298 LAUTVERSCHIEBUNG
in und auslaute, denen ein anderer consonant voraussteht, gern wie
anlaute behandelt werden, z. b. 0. skalk skrank skalkes skrankes
sagt, aber lih liches. viele einzelne Wörter lauten in diesen drei
denkmälern verschieden: I. und 0. hat druhtin, T. truhtin; I. duon
deda, 0. duan deta, T. tuan teta; I. leidan, 0. T. leitan; I. leididh
dux, T. leitid; I. chunt chundes, T. cund cundes; I. dac daghes, 0.
dag dages, T. tag tages; I. chuninc, 0. T. kuning u. s. w. Die
goth. spräche setzt die consonanz in daujis mortuus und dauftus mors
auf gleichen fusz; wie aber ags. zwischen deäd mortuus und deäd
mors (engl, dead und death) geschieden wird, finden wir auch bei
1. död und dödh, bei T. tot und töd, bei 0. döt und töd; mit T.
stimmt hier N. und die strengahd. weise, ohne zweifei ist es das
in dau[)us dem {) folgende u welches in deäd auf erhaltung der asp.
nachwirkte, die dann richtig in alul. media übertrat.
Unter diesen drei Schreibungen ist die im I. offenbar die aller-
thiimlichste und feinste, auch im auslaut die hochdeutscheste; sie hat
grosze vorneigung zum aspirierten laut, am weichsten erscheint 0.,
doch trifft er in den labialen und gutturalen fast ganz mit T überein,
bei welchem nur die lingualen etwas härter sind, sämtlich häufen
sie im lingualorgan zischenden und hauchenden laut, 0. und T. nur
aulautend, I. auch inlautend; sein DU mag dem D nahe kommen,
eigentlich hat diese zweifache aspirata Z und TII etwas paralleles mit
dem PII und F, CII und II der beiden andern Organe, nur dasz bei
0. und T. im gutturalanlaut Iv haftet.
Ich will auch die mhd. und nhd. art angeben, die sich zumeist
an T. scldieszt, nur dasz die linguales ganz die streng-ahd. bleiben
und auch das anlautende TH nicht kennen.
mhd. anl. B PF F,V G K II T Z D
inl. B F V G CH II T Z D
ausl. P F F C CH CII T Z T
426 nhd. anl. B PF F,V G K H T Z 1)
inl. B F F G CH II T Z,SS D
ausl. B F F G C1I II T Z,SZ ü
für mortuus gilt mhd. tot totes, für mors tot tödes, nhd. aber todt
todtes und tod todes. das verhalten der nhd. in und auslaute Z,SS;
Z,SZ bleibt hier unerörtert und die unorganische Schreibung TII für
T in thal thun thor mulh rath, die wir längst verwerfen sollten, un-
berücksichtigt.
An diese manigfaltigkeit des schwankenden hochdeutschen lauts
lieszen sich noch andere betrachtungen knüpfen, worauf ich es hier
nicht absehe *. wer sie gehörig erwägt, wird zur einsicht gelangen,
dasz sie den grundsatz der lautverschiebung nicht Umstürzen kann,
sondern erst aus ihm verständlich wird, es sind widerspenstige aus-
* es versteht sich von selbst, dasz einzelne ausnahmen der ausnahme nicht
beachtet werden konnten, welche in einer besonders dargestellten notkerschen
oder otfriedischen lautlehre vortreten mästen.
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LAUTVERSCHIEBUNG
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nahmen von der regel, die scheinbar an der alten stufe, aber nicht
folgerecht und durchdringend festhangen, ersten keim der Verwirrung
suche ich darin, dasz schon unter den Gothen statt der labial und
gutturalaspirata blosze spirans eintrat, bei den lingualen unterblieb
solche Störung, darum hat sich in ihrer reihe der laut fast ganz auf-
recht erhalten, bei den andern reihen wirkte der unfug in der aspi-
ration auch nachlheilig ein auf mödia und tenuis. So rechtfertigt sich
meine ansicht von der hochdeutschen lautverschiebung.
16) Ich habe gesagt, dasz die dritte stufe des verschobnen lauts
den kreislauf abschliesze und nach ihr ein neuer ansatz zur abweichung
wieder von vorn anheben müsse *. doch eben weil der sprachgeist
seinen lauf vollbracht hat, scheint er nicht wieder neu beginnen zu
wollen und es finden sich nur einzelne spuren, keine durchgreifende
reihen, so wurde das mhd. twingen und twerh (s. 423) namhaft
gemacht, deren tenuis der urverwandten zu begegnen hätte, die wir427
dem ahd. duingan duerah und goth. jivairhs an die seite setzen dürfen,
unser nhd. hagestolz schiebt den laut, des ahd. hagastalt ags. häg-
steald unorganisch weiter auf die stelle einer urverwandten aspiration.
Wenn die dänische spräche in und auslautend schwedisches P K T zu
B G D verweichlicht, so ist das nicht im geiste der lautverschiebung,
welche von ten. zu asp. fortschreitet, sondern ein rückschrilt, der den
laut wieder auf die urverwandte stufe bringt, vgl. abe russ. obezjana,
äble litth. obolys, abild litth. obelis, age lat. agere, ager lat. ager,
äde lat. edere, sad lat. sedit, fod franz. pied. dies verletzt aber das
gleichgewicht mit den anlauten, welche PKT festhalten. auch darum
ist es keine echte lautverschiebung, weil die Dänen keine tenuis an
andere stelle des in und auslauts bekommen: ihr organ vermag sie
überhaupt da nicht auszusprechen, ihre media gleicht also der bei
Otfried statt strengahd. tenuis und auch hiermit bestätigt sich mir,
dasz die otfriedische media der lautverschiebung nicht widerspreche,
sondern sie voraussetze, doch darin unterscheiden sich beide, dasz
die otfriedische auch anlautend eintritt.
17) Da die lautverschiebung als festes merkmal deutscher spräche
erkannt worden ist, so folgt, dasz in Wörtern wo die muta urver-
wandter sprachen zu denen der unsrigen genau stimmt, wahrscheinlich
entlehnung stattfand, d. h. eine dem innern gang der spräche wider-
strebende form äuszerlich vermittelt wurde, das gilt zumal für den
anlaut und der wichtigste fall bezieht sich auf das gothische, im
deutschen anlaut mangelnde P; wo ihm nun ahd. PII zur seite steht,
bezeichnet das die forlschiebung eines schon lange zeit eingebürgerten
lauts: paida ynwv nach dem finn. paita indusium alts. peda ahd.
plieit; man vergleicht auch skr. pata vestis. peikabagms (poivi£ Joh.
12, 13 kann weder ficus sein noch ntvxrj pechbaum, da die heilige
* das ahd. ih hat nicht wieder die rückkelir gefunden zum skr. aham (s. 257.
258), da es für CH steht, und das H in aham vom G in ego anders geschieden
ist als durch Verschiebung, s. anm. 20.
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HÄ
300 LAUTVERSCHIEBUNG
anwendung der palme in der textstelle zu bekannt war; der Gothe
musz es aus einer spräche entlehnen, welche das gr. cpoivi£, schon
zu peiks oder peika gekürzt hatte, den gr. namen ahmte er nicht
428 nach, wie aus dem cp allein folgt, paurpaura nach lat. purpura.
pund, nach lat. pondo, ahd. phunt. puggs ags. pung ahd. phunc
walach. punga, aus dem byzantinischen novyyi. plapja platea nXaTiia
kommt nur einmal Matth. 6, 5 vor und könnte, wenn für platja ver-
schrieben, aus dem lat. oder gr. wort entnommen sein; indessen be-
gegnet in mlat. urkunden ein plebium plebeium für platea, conventus
plebis (Pertz 3,12 Ducange s. v.) und scheint aus plebs gebildet,
was eine zwischenliegende spräche in plape entstellt haben könnte,
plats ahd. plez aus dem sl. plat” Quxog. plinsjan saltare aus sl.
pljasati poln. platsac. praggan premere ahd. phrenkan mhd. pfrengen
nnl. prangen; ags. pranga cavernamen, pars navis, wo man gedrängt
sitzt? nhd. pranger, an den der Sträfling gedrückt ist? das nhd.
prangen prunken ist ganz verschieden; ich weisz aber die quelle des
goth. praggan noch nicht. Entlehnte Wörter mit Iv sind kaisar ahd.
cheisar; kapillön, des haars berauben; katils lat. catillus ahd. chezil
sl. kotl” litth. katilas; anakumbjan lat. accumbere. kfilikn s. 318 läszt
sich zu cella halten und dem ir. ceall cill kirche, und auch chilecha
wäre dann von hibernischen mönchen überliefert? beispiele des in-
lautenden K: akeit alts. ekid ags. äced eced aus acetum; das altn.
etik schwed. ättikja dän. edike ahd. ezih ist entw. Umstellung von
acetum oder nach dem sl. otz’t” poln. ocet; das litth. uksosas ent-
spricht dem gr. o'£og. hätte unsere spräche das wort seihst gezogen,
so würde statt K darin II zu finden sein (vgl. s. 400 über aeuo und
cos.) smakka ovxov aus sl. smokva; das gr. wort wäre alsbald
ähnlich, wenn es nach S M ausgeworfen hätte: af.ivxov, oder schaltet
dies der Slave ein? ahd. figä altn. fikja ags. fic litth. pyga stammen
aus ficus, das sich vielleicht mit ovxov und smakka in Verwandtschaft
bringen liesze. Erborgte Wörter mit T anlaut scheinen minder gewis,
denn kühn wäre es tekan taitök für undeutsch zu erklären, dessen
einstimmung mit tangere tetigi auf andere deutung wartet.
18) Auf die fremden Wörter des ahd. und ags. dialects, deren
muta nicht verschoben oder nicht nach der regel verschoben ward,
429 kann ich hier nur mit wenigem eingehn. ahd. finde ich sie auf dop-
pelten fusz behandelt; entweder, und das geschieht meistens, ver-
schieben sie den laut, gleich goth. und sächs. Wörtern: phalanza pa-
latium, phorta porta, phefar piper, phifa pipa; chazzä catus, chamara
camera, chezil catinus, chellari cellnrium, chäsi caseus; zol ags. toi
telonium, zin ags. tin stannum, zins ags. tins census. oder sie be-
halten den lat. und roman. laut: purpura, palma, pina, pira; kirsa
cerasum; torcul torcular, taraka scutum it. targa (Graff 5, 455.) dies
geschieht auch inlautend bei phorta, wofür jedoch mhd. zuweilen
pforze porze erscheint, wie sonst ahd. winzuril nhd. winzer aus vinitor
entspringt, mhd. und nhd. tritt für den anlaut CH überall K ein,
und wie sonst statt des ahd. P die media R auch in bir pirum, berle
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'1* A A A A A A A A A A A A A A A A A A ih
Hlffl
LAUTVERSCHIEBUNG
301
ahd. perala, belliz ahd. pellez. solche mhd. B erklären sich nur aus
dem ahd. P, nicht aus dem lat. P. das mhd. höre fischernetz setzt
ein ahd. pöri oder pfira voraus, welches aus mlat. pera hervorgieng.
19) Wir sahen die lautverschiehung gehemmt auf dem punct wo
sich statt der aspirata PH und CH bloszes F und II entfalteten, und
so wird sich auch dem nhd. S, das in und auslautend für Z eintrilt, eine
neue seite abgewinnen lassen, worauf ich jetzt nicht eingehe. Hier
liegt mir an, einige merkwürdige Übergänge zwischen der media B
und spirans V hervorzuheben. Suevi und 2orjßoi wurde s. 322 an-
geführt. lat. wird zu ferveo das praet. ferbui gebildet, neben altn.
Loli litth. bullus steht sl. vol” (s. 32); die span, spräche schrieb sonst
biuda bolver und ähnliches f. viuda volver; umgedreht setzen nhd.
volksmundarlen ber bas f. wer was und schon mhd. steht wase f.
base bei Herbort 2568. 3712. der bair. und österr. mundart ist B
für W und W für B geläufig, beides im an und inlaut, inlautend ver-
tritt nhd. LB RB mhd. LW RW. Den Byzantinern ward aus goth.
Valisaharis Behodgtog, aus Vandali Bavölloi, aus Vigilius Verona
Ravenna Biyihog c.Pußtvvu Begrün], ahd. wisunt wisant ags. vesend
urus, bubalus ist das lat. bison, gr. ßlawv bos ferus, und der daraus
gebildete heldenname lautet Wisunt, später Wirant mhd. Wirnt, byzant.
Ovlauvdog, was lat. in Spanien aufgesetzte urkunden ausdrücken Ubi-430
sandus (wie ahd. uv = uu, w.) aus episcopus erweichte biscopus,
span, obispo und endlich it. vescovo *. Nach so viel beispielen wird
sich ein schon oben s. 313 aufgestellter satz durchführen lassen, der
einen der wichtigsten Stämme unsrer spräche aufklärt und mit dem
gesetz der Verschiebung aussöhnt, den zusammenklang von visan esse
mit dem lat. fuisse gr. (fvtiv (pvoeir thut uns diesmal nicht die goth.
sondern die ahd. mundart kund. Ulfilas gewährt keinen imp. des
baaren substantiven verbums, aus jiairhvis permane 1 Tim. 4, 16 steht
aber zu folgern, dasz er vis esto, visiji estote sagen würde; Luc. 5,
13 ist mundare vairji hrains, I Cor. 15, 58 stabiles estote tulgjai
vair[>i[) (oder fiatis vairjiaij).) ahd. quellen geben aber auszer wis!
esto 0. I. 3, 29. III. 1, 43. auch pis! Diut. 1, 510b und mhd.
schwanken zwischen wis! Iw. 6566. frauend. 128, 13. Waith. 23, t.
35, 26. 55, 20. 91, 17. Freid. 149, 12 (var. s. 298 bis!) Winsbeke
20, 2 (vgl. var. s. 57) und bis! En. 9607. MS. 1, 15b 19a. 2, 233a.
Gudr. 220, 4. Frib. Trist. 3636. Pfeiff. myst. 135, 11. 226, 15.
282, 30 und auch nhd. taucht dies bis! hin und wieder auf (Schm.
1, 209 und dial. s. 356. Stald. dial. 137.) alts. gilt nur wis! Hel.
8, 6. 10, 3. 100, 19. 109, 10. wes! 167, 22; mnl. wes! Jesus 36.
ags. beo! Marc. 10, 49. Luc. 12, 40. Joh. 20, 27. engl, be! ags.
* setzt auch inlautender Wechsel zwischen P und V die Zwischenstufe B
voraus? mir liegen nicht deutsche fälle im sinn, sondern das verhalten des zend.
spenta zu litth. szwentas sanctus, des zend. aspa zu^ skr. asva litth. aszwa wel-
schem osw (s. 30), des zend. vispa omnis zu skr. visva, litth. wissas lett. wess
sl. ves vsa, des zend. spä canis zu skr. svä, litth. szu, sl. pes psa (s. 38) med.
(s. 228.)
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302
LAUTVERSCHIEBUNG
pl. beod! der ahd. pl. lautet wesat! Diut. 1, 496b weset T. 44, 16
alts. wesat! Hel. 56, 6. 76, 8. 173, 16. mhd. west! Parz. 305, 28,
bald aber ttberwog dafür der conjunctive ausdruck sit! d. h. sitis Nib.
173, 1. 517, 1. Iw. 1254. 1857. 2909. Waith. 28, 13. 19. 31, 23.
431 24. 29 . 36, 12. 15. 86, 28. 106, 29 und Parz. 305, 28 weicht
auch die lesart in sit ab, 172, 7 das aufgenorarane sit in weset!
nhd. dehnte sich der conj. in den sg. imp. aus und sei! für seist
(schon bei Luther und II. Sachs) verdrängte sowol wis als bis! Un-
möglich ist zu verkennen, dasz jenes ahd. pis! mhd. bis! die echte
organische, dem praesens pim und piruin = pisum (s. 313) ange-
messene form war, aus pirut estis aber aucli ein verschollner pl. imp.
pirut! estote geschlossen werden darf, das S oder R in pis piruin
scheint nun dem in visan altn. vera gleichzusetzen, und vairjia entsprang
aus visada (s. 310), wie hairdeis custos aus liizdeis (s. 400); das
gr. 2 in (pvao) cpvaig (= goth. vists, ahd. wist), das lat. S in fuero
= fueso haben denselben grund, und ich übersehe nicht dasz bei Iv.
40a 45a wisit fuerit, bei T. 98, 3 wesent fient; Diut 1, 497a wesen
fiant, wesant forent, 491a 492a wisis eris, wisit erit verdeutschen,
denn das ineinandergreifen der formen fore fieri zeigt sich hier allent-
halben. Ohne S ist sow,ol pim bin, als ags. beo beod und beo be-
deutet zumal ero. während die ags. formen zwischen B und V, die
ahd. zwischen P und \V vertheilt sind, war den Gothen hier alles B
erloschen. B aber klingt ein nicht nur mit dem gr. O und lat. F,
sondern auch mit dem B des ir. bi! esto, biodhidh! estote (Odonovan
169); litth. buk! esto, bukite! estote, sl. budi! esto budjete! estote,
nur dasz ich nach anm. 11 das recht habe, diesen allen für B orga-
nisches BII zuzutrauen, welches erst nach der lautverschiebung des
ags. B abd. P erreicht. Was aber läszt sich aus dem nebeneinander-
walten des ahd. P und W in pis und wis ahnen? mich dünkt das,
dasz die ahd. stufe kein hohes alter hat, da schwer zu begreifen
scheint, wie auf ihrem grund und boden P in W gewandelt worden
wäre; folglich setzt sie den goth. oder sächs. lautstand voraus, nach
welchem der Wechsel zwischen B und V ungemein faszlich wird,
folglich waren beiderlei formen bereits da, als sich die ahd. stufe
entfaltete, und wurden blosz einzeln, nicht in der beziehung aufein-
der, in sie übersetzt. Man erwäge wie nah sich keltisches B und BII
432 untereinander liegen und Bll den laut unseres V und W erreicht
(s. 368. 369.) wahrscheinlich ist das alts. BH noch ein nachzilgler
aus dem vor der Verschiebung stattfindenden Verhältnis der laute.
20) Nicht ungleich den eben geschilderten Übertritten des B in
V sind die der media G in die spirans II. den ältesten fall lehrt uns
das skr. aham für agam (s. 257), wo lat. ego, gr. f/to, und das
lautverschobne goth. ik an der echtheit des G nicht zweifeln lassen,
dem oft geschilderten Wechsel zwischen H und S gemäsz ist es nun,
dasz im litth. asz SZ auftritt, das hier dem sl. aus G hervorgehenden
Z (s. 382), anderemal dem sl. S für GH (s. 385) zur seite steht,
so begreifen wir, dasz litth. szendien szenakcze (serb. sinotsch) dem
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ÄÄuÖiAftÄfiÄÄÄÄÄ'ÄÄ ^ Ä' A
LAUTVERSCHIEBUNG
303
goth. ungekürzten himmadaga, ahd. hiutü und hinalit, rnlid. hiute hint
entsprechen, lat. aber und welsch wiederum dasselbe H in hodie
hacnocte, in heddi und heno erscheint, das lat. II in hic hoc ist
zugleich das goth. in bis hita und enthält keinen Widerspruch gegen
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Breslau, den 26. April 1862. (Ein seltener Hand Schrif-
ten-Fund.) Der als Sammler literarischer Schätze bereits rühm-
lichst bekannte hiesige Buchhändler Skutsch hat eine der grössten
Seltenheiten erworben: eine Sprüchwörtersammlung in eigen-
händiger Handschrift von Dr. Martin Luther, welche
auf 33 Seiten in Octav-Format mehr als 500 Sprichwörter umfasst
und, so viel bekannt, bis jetzt noch nicht im Druck erschienen ist.
Die Aechtheit ist unzweifelhaft, wie dies auch die von uns einge-
sehenen Zeugnisse literarischer Capacitäten begutachten. Wie wir
hören, sind bereits aus England bedeutende Angebote auf diesen
Autographenschatz eingetroffen, es wäre aber wünschenswerth,
wenn derselbe in Deutschland verbliebe. (Schles. Ztg.)
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LAUTVERSCHIEBUNG
pl. beod! der ahd. pl. lautet wesatl Diut. 1, 496b weset T. 44, 16
alts. wesat! Hel. 56, 6. 76, 8. 173, 16. mhd. west! Parz. 305, 28,
bald aber überwog dafür der conjunctive ausdruck sit! d. h. sitis Nil).
173, 1. 517, 1. Iw. 1254. 1857. 2909. Waith. 28, 13. 19. 31, 23.
431 24. 20. 36. 12 16 «6 OS lOfi oo i)™.. oak no
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LAUTVERSCHIEBUNG
303
golh. ungekürzten himmadaga, ahd. hiutü und hinaht, mhd. hiute hint
entsprechen, lat. aber und welsch wiederum dasselbe II in hodie
hacnocte, in heddi und heno erscheint, das lat. H in hic hoc ist
zugleich das goth. in his hita und enthält keinen Widerspruch gegen
die lautverschiebung, blosz eine ausnahme von ihr: darum durfte lat.
haurio zu goth. hausja (s. 315) gestellt werden und mlat. humulus
(hopfe) finn. humala ist sl. ehmel. Die geschichte der partikeln cum
ovv %vv uf.iu und unsrer sama ham ga cha leitet auf viele hier ein-
schlagende Verhältnisse.
21) Es seien noch einzelne ausnahmen von dem wallenden ge-
setz der Verschiebung namhaft gemacht, die als solche nicht befremden
dürfen und deren Ursache sich vielleicht allmälich entdecken wird,
der lat. name des erdwühlenden talpa musz gehören zu ags. delfan,
alts. delban, ahd. telpan fodere; doch die ahd. consonanz erreicht
ganz die lateinische und irgendwo mag die folge der laute aus ihrer
fuge gerathen sein. s. 206 führte dakisches rovXßrßd zur nemlichen
wurzel, aber die Schwierigkeiten bleiben ungelöst, /.id/uiya lat. ma-
chaera stimmt nicht zu goth. mekis altn. maekir ags. möce, ahd. mächi?
vgl. mhd. msecheninc Ben. 361; mitzuerwägen sind sl. metsch poln.
miecz litth. mdczus gladius, aber auch lat. mucro macellum und raa-
ctare. mit gr. dy.vXog vergleichbar scheint ahd. eichila, doch wieder
nicht genau, weil ahd. eili puercus ags. äc goth. aiks? im gr. wort433
media voraussetzen, nach der weise von /ueyuXog mikils michil. dasz
dem sl. vjetr” uvi/tiog lat. ventus kein goth. vinfts ags. vut altn. vinnr,
sondern vinds vind vindr zur seite stehn, folglich ahd. wint wintes
(doch bei N. wint windes), gibt sich ohne mühe zu. mehr gequält
hat mich die schwankende lingualis im ags. invit dolus und dolosus,
alts. inwid dolus, ahd. inwitte dolo (f. inwitie) inwitter dolosus (GrafT
1, 769.) dem alts. invidiesgern inwideasgern Hel. 141, 16. 154, 12
entspricht altn. ividgiarn Saun. 138a und auch ags. wird neben invit
gefunden invid, Jud. 132, 4 se invidda dolosus; ich möchte das lat.
invidia (p&övog hinzuhalten, dessen bedeutung unfern liegt der von
iniquitas dolus, denn invidia invidere stammen von vidcre *, wie litth.
pawidis pawydejimas invidia von weizdmi, böhm. zawist von zawideti,
poln. zawisö von widziec. dann aber wäre das ags. invit dem invid
vorzuziehn und auch ahd. inwiz für inwit zu gcwarten. mir ist ein-
gefallen, ob nicht goth. neiji ags. nid ahd. nid nhd. neid ursprünglich
hervorgehn aus inveij) oder niveif) (wie ahd. neiz ags. nät aus niweiz
nevät)? böhm. besteht auszer zawist ein nenawist poln. nienawisc
odium, weil der hassende das äuge abwendet, der günstige zuwendet
(s. 173.) wiederum wäre in so uraltem wort die lingualis der stufe
nicht treu geblieben, die sie im einfachen goth. vitan === videre ein-
* invidiae nomen dictum a nimis intuendo fortunam alterius (Cic.); insita
mortalibus natura recentem aliorum felicitatem aegris oculis introspicere. Tac.
last. 2, 20. das in- läszt sich positiv als zuschauen, oder negativ den blick ab-
wenden deuten.
304 LAUTVERSCHIEBUNG
nimmt, man vgl. das lett. naids odium neben eenaid (von ee- in-?)
und vielleicht das gr. oveidog.
22) Dies ebengenannte wort gemahnt an eine hauptsächlich griech.
eigenheit, die aber auch in andern sprachen wahrgenommen wird, dem
anlautenden consonant einen vocal vorzusetzen, gr. zumal o und e, aber
auch a, selten i, Pott 2, 166—168 hat beispiele gesammelt und
gezeigt, dasz dazu immer phonetischer oder noch tieferer anlasz war,
434 wie überhaupt die spräche nichts umsonst thut. mit ovo/xa sahen
wir (s. 153) imja emnes ainm enw stimmen, dem ocpQvg, skr. bliril
ahd. präwa altn. brä begegnet ir. abhra und odovg wird gerechtfertigt,
wenn dantas f. adantas, dens für edens steht, zählte man mit aus-
schlusz der daumen acht finger an den händen (s. 244), so könnte
neues anheben mit tv via ausgedrückt sein; den übrigen sprachen war
die praeposition entbehrlich, uxovrj scheint nach dxig acies acuo
vollständiger als cos und hein, wie aszwa vollständiger als kon’, wenn
sich die s. 400 geäuszerte ansicht bestätigt.
23) Graff ist mit den consonanten übel verfahren, statt in einem
ahd. Wörterbuch ahd. richtschnur streng zu handhaben hat er die
reihen der drei organe verwirrt, und zwar tac unter T gestellt, aber
pintan dem B, käst dem G zugetheilt. käst verhält sich nicht anders
zu goth. gasts, pintan zu golh. bindan als tac zu dags, und weder
die mhd. noch nhd. weise konnten einen grund abgeben um die ahd.
zu entstellen, sollte nach goth. brauch B und G wallen, so hätte
auch D bleiben müssen, weil 0. dag schreibt wie bintan und gast.
Jetzt hat man die fremden pina und kirsa nicht in gesellschaft von
pintan und käst aufzuschlagen, das fremde tempal aber neben tac.
mitten unter den fremden P, die gewöhnlich PH sein sollten, sind
aber auch die besten deutschen Wörter wie pigo acervus, piunt clau-
sura, pröz gemma gelassen, die unbedenklichen gothischem B zufallen,
das salische chunna ist 4, 443 unter K gebracht, da es doch dem
lat. centum und goth. liunda entsprechend so gut unter II gehört,
wie 4, 1066 hiwo — goth. heiva = lat. civis nach der fünften
gleichung.
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XVIII.
DIE GOTHEN.
Da wo, nach thrakischer sage, Haemus und Rhodope zu bergen 435
erstarrt waren, scholl die frühste von der schrift uns aufbewahrle
deutsche rede, hätte nicht Ulfilas in sich den trieb empfunden die
heiligen worte des neuen glaubens gothisch auszudrücken; so wäre
es um die grundlage der geschickte unsrer spräche geschehn gewesen,
sein unvergängliches werk hat sich nur zum geringsten theil erhalten
und gar nicht zu berechnen ist, welch groszer schade uns durch den
verlast des übrigen erwachsen sei; doch ein glücklicher fund fügte es
in unsern tagen, dasz eine beträchtliche lücke ausgefüllt werden konnte,
und fast aus jeder zeile des geretteten textes neue gewinne hervor-
giengen. eines denkmals von gleich hohem alter und werlh kann
sich keine andere der fortlebenden europäischen sprachen rühmen.
Unter demselben himmelsstrich, den Ulfilas und seine Gothen be-
wohnten, hauste lange Zeiten hindurch vorher (s. 186) das volk der
Geten. halten nun meine im neunten capitel für beider Völker gleich—
heit gelieferten beweise stich, so hat uns vor allem zu beschäftigen,
dasz die als merkmal aller deutschen stamme anerkannte lautverschiebung
dem getischen abgegangen zu sein scheint (s. 216), und bedeutsamer
weise läszt der schritt, den wir von den Geten auf die Gothen thun,
jenes sich zuerst entfaltende verrücken stummer consonanten gewahren. 436
Ein in der geschickte europäischer sprachen so wichtiges ereignis
musz einmal bestimmt erfolgt sein, wenn es auch lange zugerüstet
gleichsam im voraus angeschlagen hatte, solche anklänge fanden sich
bereits im zend (s. 419) und auszerhalb der Urverwandtschaft bei
Etruskern und Ungern (s. 416.) sie waren Vorboten oder nacli-
zuckungen einer ausnahme von dem urgesetz, die sich irgendwo in
voller breite geltend zu machen nicht ermangeln konnte.
Dennoch nehme ich jene abwesenheit der Verschiebung bei den
Gelen, von deren spräche uns so wenig unter äugen liegt, nur vor-
sichtig an. sie folgt aus Übereinkunft des dakischen krustane mit
litlh. kregzdyne (s. 204), des dak. aprus mit lat. aper (s. 209), des
20 ■
GOTHEN
dyn mit welschem dynad (s. 211. 217) wie aus dem abstand zwischen
priadila und friudila, pegrina und fagreina (s. 215), dochela und tagl
(s. 209); auf die ungewisseren Vergleichungen von not'E, mit fahs
(s. 207), prodiorna mit fraf)jarna (s. 213), koliata mit hatjata, yovoq
mit kuni (s. 208) soll weniger gebaut werden. Dasz aber einzelne
mutae noch zu den gothischen treffen erklärt sich aus der nicht
allenthalben durchgedrungnen neuerung, und wie auch wir golh. du
für tu = ahd. zi wahrnehmen (s. 421), darf mil jenem övv noch
goth. deina oder deinö stimmen, ja in Dacus und dakina (s. 209)
erscheint die auch in goth. dags, altn. dagr und dem volksnamen
Danir fortdauernde media, wie sie der weiter geschobne ahd. laut in
tac und Teni voraussetzt, habe ichs aber nicht verfehlt in Decehalus
und Taiphalus (s. 194), so zeigt sich hier die ahd. Verschiebung des
D in T nach neunter, und eines vorauszusetzenden goth. P in PH
oder F nach erster gleichung.
Freilich bleibt in einzelnen namen anstosz zurück; doch wie un-
regelmäszig sind eigennamen überhaupt? die s. 199 versuchte deu-
tung von Ava^xoi wird bedenklich, wenn hardus aus xagrog (s. 400)
437 entspringt, und man musz für Bessi und Bastarnae, auf welche ich
hernach noch zu sprechen kommen werde, ein andres gesetz suchen,
als ihnen die .erste gleichung anweist.
Immerhin glaube ich schon jetzt den satz verantworten zu kön-
nen, der bei fortgepflogner prüfung kaum wieder fallen wird, dasz
unter den ostdeutschen stammen Lautverschiebung ungefähr in der
zweiten hälfte des ersten jh. einzureiszen begann, und sich im zweiten
und dritten festgesetzt hatte, westlich vorgedrungnen könnte sie aber
schon früher eingetreten sein, und darum reifte sie dort zu einer
neuen stufe heran, deren beginn schwerer zu bestimmen fällt; im
siebenten jh. scheint auch diese entfaltet, also etwa in der zeit, wo
sich die romanische änderung der kchllaute zugeiragen hatte (s. 388.)
So natürlich das steigern des lauts in der ganzen sprachanlage
erscheinen mag, kann man es doch zugleich unter den schon s. 417
eröfneten gesichtspunct fassen und nach einer Ursache fragen, die
dazu in der geschichte unsers volks vorhanden war.
Seit dem schlusz des ersten jh. halte sich die Ohnmacht des
römischen reichs, wrenn auch seine flamme einigemal noch aufleuchtete,
entschieden, und in den unbesiegbaren Germanen war das gefiihl
ihres unaufhaltsamen vorrückens in alle theile von Europa immer
wacher geworden; jetzt erhob sich statt des langsamen und ver-
weilenden zugs, den sie von Asien her unvordenkliche jahrhunderte
hindurch eingehallen hatten, ein rascherer sturm, den die geschichte
vorzugsweise Völkerwanderung nennt. nur die wenigsten Stämme
blieben in ihrem sitz haften.
Wie sollte es anders sein, als dasz ein so heftiger aufbrucli des
volks nicht auch seine spräche erregt hätte, sie zugleich aus herge-
brachter fuge rückend und erhöhend? liegt nicht ein gewisser mut
und stolz darin, media in tenuis, tenuis in aspirala zu verstärken?
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
GOTHEN
Die vordersten und rührigsten in der groszen bewegung, Franken,
Alamannen und die übrigen Hochdeutschen, wird es nicht erklärlich,
warum sie alle von der zweiten auf die dritte stufe schritten?
Wer diese deutung als eingebildet ablehnen oder durch einzelne 438
anstände, die ich nicht verhehlen werde, stören will, kann sich von
der vorstechendsten eigenheit unsrer spräche keine rechenschaft geben.
Als ruhe und gesittung wiederkehrten, blieben die laute stehn, und
es darf ein zeugnis für die überlegne milde und händigung des golhi-
schen, sächsischen und nordischen Stamms gehen, dasz sie bei der
ersten Verschiebung beharrten, während die wildere kraft der Hoch-
deutschen noch zur zweiten getrieben wurde, das schlieszt mir auch
auf, warum die hochdeutsche spräche hei manchem empfindlichen
nachtheil, in dem sie zu den übrigen steht, lebendiger geblieben ist
und ihren sieg behauptet.
Ich wende mich zu den Gothen und gothischen stammen.
Trajan hatte Dacien unterjocht, aber die getische macht so wenig
gebrochen, dasz sie verjüngt in derselben gegend auftrat und von nun
an als gothische die weit mit ihrem rühm erfüllte. Wer blosz den
ausgedehnten raum erwägt, in dem die Gothen auftreten, und die fülle
ihrer beere, der musz sich schon überzeugen, dasz in ihnen ein
haupttheil des deutschen volks gelegen war. Nachdem nordöstlich von
der Donau bis zum Pontus hin Ermanarichs Gothenreich erblüht war,
das im hintergrund finnische Stämme, neben sich Slaven und Lilthauer
sah, von dieser seite verkehr mit dem fernen norden, im Süden und
westen mit Byzanz unterhielt, so dasz die Gothen durch ganz Thrakien
nach Makedonien und Griechenland streiften; drangen sie, von den
Hünen selbst erschüttert allmälich weiter vor und erreichten, während
noch ein kern von ihnen an der Maeotis stand hielt, in zwei strömen
durch Gallien über die Pyrenaeen die spanische, über die Alpen die
italische halbinsel. von den hier gestifteten beiden reichen unterlag
aber, nach kurzem glanz, zuerst das ostgothische den letzten an-
strengungen der Byzantiner und dem nachdrang der Langobarden und
Franken, das weslgothiscbe später vor dem einbruch der Araber.
Wäre die gothische stärke unzerspliltert gebliehen und hätte sich ihre
herschaft im osten gleich der fränkischen im westen gefestigt; die
Schicksale Deutschlands und der deutschen spräche würden eine ganz
andere gestalt gewonnen haben. Alles was in der geistigen anlage439
und bildsamkeit der gothischen natur enthalten war, ist uns verloren
worden.
An dieser stelle liegt es mir oh, den namen der Gothen genauer
als es bisher geschehn konnte zu erörtern.
Den Griechen und Römern galt für die thrakische form dieses
namens Ftiai, Getae, nach der schon s. 200 beigebrachten wichtigen
und entscheidenden stelle des Plinius daneben aber auch Gaudae. beide
gestalten gemahnen augenblicklich an die composilion skythischer völker-
namen, MuooaytTcu und ^arruyvdui (s. 226); zugleich beleuchten
sie uns eine Verschiedenheit und Verwandtschaft gothischer völkernamen.
20 *
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308
GOTHEN
Jetzt nach enthüllter lautverschiebung kann es nicht anders sein,
als dasz das T des ersten namens gothisch zu TII, ahd. zu D, das
D des zweiten hingegen gothisch zu T, ahd. zu Z werde; und so
ist es bis auf einen einzigen fehler. Die Getae werden goth. Gufians,
die Gaudae Gautös, alln. Gautar, ags. Geätas, .ahd. Közä. wer in
diesem gleichlaufen der thrakischen Getae und Gaudae, der deutschen
Gujians und Gautös die identität beider Völker nicht erwiesen sieht,
ist geschlagen mit blindheit. unter Geten und Gothen sollte sich
zwiefache namensbildung hervorgethan haben, wenn zweimal beide
nicht dasselbe volk wären?
Nur darin mangelt etwas dasz der name Getae nicht ganz zu
recht verschoben wird, dasz die anlautende media haften blieb, wie
in dags du (s. 421. 422), darüber habe ich mich genugsam ausge-
sprochen; warum sollte der an sich nachgibigere inlaut nicht auch
Unregelmäßigkeit zulassen? vom verhalten des T und D in Getae
Gaudae soll nachher die rede sein. Wie Tacitus eigentlich schreiben
^,244- wollte, ob Gothones oder Gotones, das mögen die hss. der annalen
1 J 2, 62 schlichten; eins wie das andre taugt in meine Vorstellung.
das unlateinische TH durfte er inlautend wie anlautend (in Teuloni)
meiden, man wird dann auch Germ. 45 Sitonis dem Silhones, und
Nerlus dem Nerthus vorziehen müssen, liesz er aber in fremden namen
dem TII sein recht, wie Plinius Sithonii, Scylhae u. s. w. schrieb,
440 so übte er genauigkeit. Unter den Byzantinern setzte sich ror&oi
fest, mit doppelter lingualis, nach griech. brauch ausgedrückt (s. 179.
361); was im mittelalter die lat. Schreibung Gotthi zuweilen nach-
ahmt, obschon die bessere Gothi behält.
Vielleicht blieb dies gr. jFot&oi nicht ohne einflusz auf den
Schreiber des goth. calenders, wenn er das dem alln. Goddiod (oder
Gofifiiod) entsprechende Gutjmula so ausdrückt, daraus ein Guts als
echte gothische bezeichnung des namens folgern möchte ich nicht,
glaube vielmehr dasz Ulfdas den namen seines volks mit f) schrieb,
wie es auch bei Cassiodor vorauszusetzen ist. in den von VVaitz be-
kannt gemachten bruchstücken des Auxentius liest man s. 13. 19
lingua gotica, daneben aber s. 14. 15. 20 gens Gothorum. das T
steht nach lateinischer weise*, freilich schreiben die Angelsachsen im-
mer Gotan mit T wie Geätas und auch in der edda steht, neben jenem
Goddiod, 177b 272a 273a gotna (heroum, virorum), 233a golnesk
kona, bei Snorri 146 Gotland, wie sonst Gautar und Gautland. Ahd.
sollte man nach der lautverschiebung im namen Gothi D erwarten,
und wirklich begegnet in einer alten glosse Diut. 1, 236a (Gralf 4,
173) guti : gudi. ahd. Schriftsteller des 8. 9 jh. wüsten von den
Gothen nichts lebendig, und nur aus lat. quelle; N. Bth. 4. 122 be-
hält sogar das lat. Gothi bei und wagt kein deutsches wort. Desto
häufiger tritt in zusammengesetzten eigennamen das ahd. Köz oder
* Ammians Fritigernus führt zurück auf goth. Frijiugaims oder ahd. Fri-
dokern.
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GOTHEN 309
Göz auf, das dem ags. Geät, altn. Gautr und jenem Gauda des Plinius
entspricht, man vgl. die von Graff 4, 280. 281 gesammelten beispiele,
denen ich hier ein einziges beifügen will: Wuotilgöz = ags. Vödelgeät
(Haupt 1, 577.) nichts anders scheint im passional 64, 41 wuotegöz,
wie zur Herabwürdigung des alten göttlichen namens sonst wüeterich
(mythol. 121) gesagt wird, den ahd. namen Madalgöz drückt eine
lat. form Madalgaudus, und den frauennamen Wuldargöza (trad. fuld.
2, 43) Venantius Fortunatus Ultrogotho (= Vuljaragujtö, wie Childeberts 441
gemahlin hiesz) aus. so schwanken wiederum beide formen.
Fassen wir nun die vocale der doppelgestalt näher ins äuge,
in Gelae steht E auszer bezug zum AU in Gaudae, welches deutschem
ohr offenbarer ablaut des U in Gujrnns erscheinen musz. wie dies U
nach der form 2urTuyvdai höchstes alter verräth, stellt es sich auch
wegen jenes bezugs zu AU organischer als E dar. Gutae und Gaudae
stehn sich also vocalisch zur seite, wie im sanskrit Drupadas und seine
tochter Draupadi, Bhimas und seine tochter Bhaimi, Visravas und sein
sohn Vaisravanas, oder der thüringische könig Bisinus und seine ge-
mahlin Basina: in hindern und nachkommen wiederholen sich die
namen der Vorfahren mit ablaut. hiernach können Gaudae nichts an-
ders sein als spröszlinge der Gutae. Was aber der ablautende vocal
andeulet, den fortwuchs des Stamms, soll gewis auch der sich ab-
stufende consonant * ausdrücken: die Gaudae sind nicht mehr die alten
Getae seihst, stammen aber von ihnen ab. in den ags. und altn.
namen haben sich die T wieder ausgeglichen und nur die Verschieden-
heit des vocallauts thut kund, dasz die Geatas abkömmlinge der Gotan
sind, beide namensgestalten verknüpft merkwürdig der gothische volks-
name Gautigolh bei Iornandes cap. 3 **.
Ich bin so ausführlich, als es die bedeutsamkeit dieser unbeach-442
tetelen sinnigen namensverhältnisse heischt; es wird nicht an ferneren
beispielen mangeln.
Den eigentlichen begrif des Wortes Gothen verhüllt noch dunkel,
für sich allein betrachtet dürfte Gaut oder Geät mit giutan fundere
zusaminengehalten werden; als abstufung von Gu[m sträubt es sich
dagegen. Musz man Gujia für ursprünglicher halten als Geta (wie das
U in [ius Jmk für echter als I, E in tibi te, s. 261); jene wurzel-
hafte berührung des volksnamens mit -getes -yerog (s. 179. 278)
wäre dabei noch nicht ausgeschlossen, da sich auch in kuni yövog U
* man vgl. ahd. werdan ward wurtun; ags. veordan veard vurdon; midan
mitd midon; seodan seäd sudon.
** Zeusz s. 505 nimmt Gautigoth für einen pl., TH = S; das ist scharf-
sichtig, aber in goth. spräche nicht recht statthaft (ahd. sahen wir s. 394 TH zu Z
werden, nicht zu S) und was wäre aus Gautigös zu machen? adjectivisches
gauteigs würde den pl. gauteigai fordern; eine ähnliche deutung von Massagetae
wurde oben s. 224 abgelehnt, eben so wenig erläutert sich der analoge name
Vagoth durch VagOs aus altn. Yagar, denn in der beigebrachten Olafssaga sind
Vigar insein, kein volk, vgl. fornm. sög. 12, 365. endlich, und das entscheidet,
schreibt Iornandes cap. 11 bellagines, cap. 13 Anses, cap. 23 Thiudos Rocas
mit S.
arburg, Best. 340
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310
GOTHEN
zeigt, an guji deus zu denken wird man gehindert, weil dieses laut-
verschoben dem pers. kliodä entspricht, in Guf>a Golhus aber urver-
wandtes G beharrt; gleichwol läszt sich der anstand vielleicht beseitigen
und ein Zusammenhang des volksnamens mit der benennung des höch-
sten wesens (s. 447) hat sonst vieles für sich.
Könnten wir alle bei lornandes cap. 3 aufgeführten benennungen
der richtigen lesart überweisen und verstehn, die geschichte der Gothen
würde sich mehr aufhellen.
Es verdient als eigenheit deutscher volksnamen insgemein hervor-
gehoben zu werden, dasz sie schon in ältester zeit den himmelsstrich
auszudrücken pflegen, meines Wissens geschah das weder bei Grie-
chen, Römern, Slaven noch Kelten; hängt es mit einer beschaulichen
ruhe deutscher niederlassungen zusammen? noch bis auf heute gibt
es bei uns zahllose Ortsnamen, die durch ein vorgesetztes ost west
süd und nord unterschieden werden, vorzugsweise findet sich aber
die richtung von osten nach westen, gleichsam im uralten trieb des
groszen völkerzugs (s. 162) angegeben, und so stehn einander Ost-
gothen und Westgolhen, Oslfranken und Westfranken, Ostfalen und
Westfalen, Ostfriesen und Westfriesen gegenüber.
Den namen Ostrogothae und Wesegolhae hatte schon, wie lor-
nandes cap. 14 hervorhebt, Ablavius von den am Pontus nieder-
sitzenden Gothen nach ihrer damaligen läge geleitet; weil aber im
stamm der Amali zugleich ein könig Ostrogotha auftritt, so meinen
beide schriftsteiler oder doch einer von ihnen, dasz vielleicht nach
443 ihm das volk geheiszen sein könne, was jedoch vorausselzen würde,
dasz auch die Balllii einen eponymus Wesegotha gehabt hätten, rich-
tiger wird man also die namen von dem örtlichen sitz der Stämme
herleiten und sie für desto älter halten müssen, da schon einer der
heldenahnen nach dem volk benannt war. Procop versteht unter dem
bloszen namen rör&oi allemal die Ostgolhen, während er die seinem
bericht ferneren Westgothen Ovtoi'yoT&oi nennt (de b. vand. 1, 2.
de b. goth. 4, 5.)
Diese form Visigujians, ohne T, erlaubt an das goth. vis yahjvj]
und an visan mauere zu denken: abend und westen fuhren den begrif
der stille und ruhe mit sich; auch in osten scheint, wenn man oriens
und litth. auszra, lat. aurora hinzu nimmt, das T erst beigefügt,
litth. auszra aurora, auszrinnis orientalis steht aber dem wakaras oc-
cidens, wakarinnis occidentalis entgegen, und wakaras ist (wie ixxog
equus mit aspa s. 30) verwandt mit tontQa lat. vespera, ir. feascor,
gal. feasgar, sl. vetseher, poln. wieczor, folglich auch mit westen*.
Jener könig Ostrogotha musz, da sein nachfolger Cniva in des
kaisers Decius zeit fällt, bald nach dem beginn des dritten jh. ge-
berscht haben, und wenn man der jornandischen Stammtafel von den
* da littli. wakar, lett. wakkar zugleich gestern (d. i. gestern abend) aus-
drückt, mag auch heri = hesi und hesternus, goth. gistra (für gvistra?) gehalten
werden zu vespera und vis, westan.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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GOTHEN
311
Ansen überhaupt historisch nachzählen kann, so reicht sie nicht hoch,
nicht einmal bis in den anfang unsrer Zeitrechnung hinauf, zwischen
Ostrogotha und Amala ist nur ein glied, nemlich Isarna (Eisarna),
zwischen Amala und Gapt (oder Gaut), dem an die spitze gestellten
ahnen, liegen noch zwei andere, Gaut würde also höchstens in das
erste jh. reichen, so dasz diese geschlechter an die Daken und Geten
unter Domitian und Trajan nicht einmal zu stoszen brauchen, gewis
aber ist einer aus gothischen liedern und sagen geschöpften königs-
reihe nichts als mythische grundlage zuzutrauen.
Ostrogotha soll nach lornandes cap. 16. 17 über beide stamme,
die Ostgothen und Westgothen zusammen geherscht haben, unter Er- 444
manaricus, der nach drei Zwischengliedern auf ihn folgte, erlangte das
gothische reich, also ungefähr im lauf des vierten jh. groszen glanz,
den aber der Hünen einbruch trübte. Um das j. 364 begannen die
Westgothen sich mehr nach westen zu wenden und sitz in Thrakien
und Dakien zu fassen; sie waren mit Byzanz unter kaiser Valens in
näheren verband getreten und hatten sich zum christenthum bekehrt:
Thracias Daciamque ripensem tanquam solo genitali potiti coeperunt
incolere, sagt lornandes cap. 26 *, was nicht ausschlieszt, dasz sie
früher als Geten schon an derselben stätte heimisch waren: jetzt er-
langten sie vertragsmäszig aus der hand der Römer zurück, was diese
eine zeitlang besetzt gehalten hatten, unter solchen Westgothen lebte
und schrieb Ulfilas. Als Attila gegen Gallien vorrückle standen die
christlichen Westgolhen auf römischer seite, während die noch heid-
nischen Ostgothen den Hünen verbündet waren. Es ist bekannt, dasz
um diese zeit die Westgothen durch Gallien nach Spanien vordrangen
und dort ein reich stifteten, die Ostgothen aber etwas später ihre
herschaft in Italien gründeten, deren blüte Cassiodor geschildert haben
musz, deren ausgang wir bei Procop beschrieben lesen **. Unter
beiden volksstämmen mag, mit geringen abweichungen, dieselbe gothi-
sche spräche gewaltet haben; gelangte, wie es scheint, die silberne
hs. aus Spanien, vielleicht bei Vermählung einer königstochter, nach
Ripuarien, so waren die zu Bobbio aufbewahrten lnicher vermutlich
ostgothischen Ursprungs.
Vidsides lied im cod. exoniensis, das uns so viele bedeutsame 445
stammsagen aufbewahrt, nennt den Eormanric 324, 3 einfach Gotena
cyning (wie es 319, 27 heiszt Eormanric veold Gotum); 325, 18 wird
auch neben Emerca und Fridla Eästgota, d. i. jener Ostrogotha des
lornandes aufgeführt, das lied bezeichnet ihn als verständig, gut, und
als vater Unvöns, während ihm bei lornandes ein sohn Unilt beigelegt
* vgl. Procop de b. goth. 4, 5 (2, 477.)
** auszer diesen nach westen vordringenden beiden hauptstämmen blieb ein
dritter, der schon zum christenthum bekehrt war, durch die Hünen abgerissen,
tief im osten an der Maeotis sitzen, das sind die Tetraxiten, deren künde
Procop de b. goth. 4, 4 und 5 aufbewahrt, deren spätere geschickte aber, bis
auf geringe spuren bei reisebeschreibern erloschen ist. im namen TetQa^lxai
scheint der begrif vier und einer tetrarcbie gelegen.
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312 GOTHEN
wird: dieser UnvÄn (ahd. Unwän, praeter spem genitus) und Unilt
müssen zusammen fallen, und wahrscheinlich ist die ags. form richtig
überliefert. Emerca und Fridla heiszen in den ann. quedlinb. (Pertz
5, 31) Embrica und Pritla, und nefleri des Ermanaricus. In noch
einer andern stelle 322, 3. 4 unterscheidet das ags. lied wiederum
Hredgotan und Geätas neben Sveon (Suionen.) das ßeovulflied aber
liiszt nirgend Gotan, desto häufiger Geätas, und zwar daneben Dene
wie Sveon auftreten. diese Geätas werden noch näher durch den
beisatz Ssegeätas (3696. 3967) und Vedergeätas (2984. 3224. 4753.
5098) bestimmt, gleichbedeutig mit den letztem aber auch blosz
Vederas oder Vedere? denn es steht immer nur der gen. pl. Vedera
(448. 991. 1388. 4666. 4920. 5406. 5569. 5796. 6069. 6307)
genannt.
Wie jene Westgothen und Ostgothen von der untern Donau sich
in Spanien und Italien ergossen, werden wir hier ganz auf die andere
seite nach dem Norden gewiesen, dabin setzte schon Iornandes cap. 3,
auszer Gauligotli, Vagoth und andern dunkeln völkernamen auch Ostro-
gothae neben Raumaricae, unter welchen doch sicher die norwegischen
Raumar gemeint sind. Raumariki aber grenzt noch heute an schwe-
disches Vermeland, auf welches Gautland folgt, diese Ostrogothae
können demnach keine andern sein, als bewohner des heutigen Üster-
gölland, dem wieder ein Vestergötland zur seite steht, die altn. be-
nennung lautet Eystragautland, Vestragautland; es sind also Gautar,
schwed. Götar, des Ptolemaeus Tavxoi in Scandia * gemeint, keine
446 Gotar, oder anders ausgedrückt ags. Geätas, keine Gotan, und dazu
stimmen die Ssegeätas und Vedergeätas des Bcovulflieds. ags. veder
bedeutet aer, tempestas, ahd. wetar, altn. vedr, und ich finde auch
ags. veder, wie engl, weather geschrieben; könnte Vedergeätas aus
Vestergeätas verderbt sein? denn der Wettersee in Vestgötland, an
welchen Zeusz denkt, wird heute mit TT, im Vestgötalag Vaetur ge-
schrieben. Endlich jenen Hredgotan bei Vidsid begegnen genau die
altn. Reidgotar und es wird weder ags. Ilredgeätas, noch altn. Reid-
gautar angetroflen, mit festhaltung des uralten Unterschieds zwischen
Getae und Gaudae. unter Reidgotaland versteht man entweder Jüt-
land ** oder das feste land von Dänemark, im gegensalz zu den insein
(Eygotaland.)
So merkwürdig spiegelt sich der gothische volksname nach zwei
fernen seiten hin, in seiner hergebrachten doppelgestalt und in einer
alten Zusammensetzung, ab. Auszerdem tauchen aber noch einige
besondere, erwägenswerthe benennungen auf.
Dasz alle Gothen ihren hehlen den namen Anses (goth. Anseis
Anzeis) beilegten, wurde schon angeführt, und Iornandes deutet ihn
ausdrücklich durch halbgölter, die über blosze menschennatur erhaben
* auch Procop scheidet rörd'oi und ravroi, welche letzteren er zu den
nordischen Thuliten rechnet.
** dem Finnen lieiszt der Däne überhaupt Juuti.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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GOTHEN 313
sind, hierin liegt ein unabweisbares zeugnis für den Zusammenhang
der Gothen und aller übrigen Deutschen, unter welchen gleichfalls der
name ans für divus bekannt war, mit den Scandinaven, die ihre hel-
dengötter gerade so Aesir nannten und aus östlicher gegend, wie es
die geschichle mit sich bringt, eingewandert schilderten. Schon da-
durch wird die durch Iornandes und seine Vorgänger verdrehte sage,
dasz die Gothen aus dem Norden nach der Weichsel und Donau hin-
gezogen seien, widerlegt.
Diese Anseis und Aesir gewinnen aber noch höhere Wichtigkeit
durch zwei andere, trügt mich nicht alles, in einander greifende um-
stände. wir fanden (s. 191) bei Thucydides schwerttragenden Thra-
kern den zunamen z/tb* überwiesen und auch Diobessi werden von
Plinius 4, 11 in Thrakien aufgeführl, Bessi aber galten für einen hei-447
ligen göttlichen stamm (s. 198), zJToi scheint sich an den volksnamen
Jüoi zu schlieszen (s. 192.) hierdurch wird mir nun, allen beden-
ken zum trotz, immer wahrscheinlicher, dasz auch der name Guftans
unmittelbar aus dem worte guji deus zu leiten sei, und die alten for-
men rvdai und Getae ebendahin zielen, wie in Getae und Gujaans
wäre das G in guf), diesmal höchst begreiflich, keiner lautverschiebung
verfallen, und warum sich im pers. cliodä khodä aspirata zeige, müste
auf anderm wege, wenn es mit unserm gujt wirklich ein und dasselbe
ist, ermittelt werden. Scheinen die zläoi zlioi, nun so stammen
auch die Gufians her von guj) und sind eingeständlich Anses*.
Der westgothische stamm führte den beinamen Balthae, der ost-
gotliische Amalae, wie Iornandes cap. 5. 29 meldet**, baltha deu-
tet er sprachgemäsz audax, balfiaba ist bei Ulf. audacter, das alul. pald
über, liberalis, confidens. da aber das entsprechende littli. baltas, lett.
balts, sl. hjel albus ausdrückt (lautverschiebung mangelt, nach s. 420.
421) und Baldr Bäldäg name des lichtgottes war (mythol. s. 202);
so erscheinen auch die Ballhen als lichte und göttliche***. In Amala
liegt der begrif von amal, altn. aml lahor, strenuitas und die Amalae
sind wiederum die tapfern geschäftigen mühevollen beiden. Spätem A-me.lunge.
Es sind aber noch andere, gleich alte und wichtige benennungen
golhischer Stämme anzuführen. Iornandes cap. 16 führt uns aus des 448
königs Üstrogotha zeit Thaiphalen und Astinge auf, neben Carpen und
Peucenen, welche letzteren schon aus Tac. Germ. c. 46 bekannt sind.
Ammianus schreibt Taifali 17, 13. 31, 9 und setzt ihnen in der ersten
________________ ^OSirrmA, TWptioXc
* der FcoSas, iv rols re/.iuEQOs Sov/.ois, Pord'os ro yevos, bei Procop de
b. vand. J, 10 ist, wie vocal und consonant zeigen, von dem urverwandten worte
göds bonus abzuleiten.
** anderemal zieht er die lat. endung Balthi und Amali vor, welche auch
Cassiodor hat.
*** in der unter dem titel fuero juzgo erschienenen ausgabe der lex Visigotho-
rum, Madr. 1815 wird eine sonst fehlende nachricht von westgothischen münzen
ertheilt, und da erscheint auch die benennung baldres\ hängt sie mit dem
stammnamen zusammen, so zeigte sich hier das R des altn. Baldr, ahd. Paltar.
vgl. Davoud-Oghlou 1, 6. 8.
%
314 GOTHEN
stelle Liberi und Sarmalae zur seite. Liberi halte ich für Verdeut-
schung von ßalthi, welche, wie gezeigt wurde, liberi ausdrücklen. in
Taifalus kann das lautversehobne Decebalus (s. 194) geselm werden,
also bezug auf den dakischen stamm; die Schreibung Thaifalus scheint
verwerflich, eines litth. eigennamens Taifal geschieht meldung in Ade-
lungs Mithr. 2, 700. oxtyyoi treten schon bei Dio Gassius p. 1185
in des zweiten jh. zweiter hälfte auf, auch cap. 22 schreibt lornan-
des Astingi, die echte goth. form wäre Ilazdiggös = capillati, und
dasz dieser sinn dem altn. Haddingjar, ahd. Hertingä, ags. lleardingas
unterliege, ist mvthol. s. 316. 317 gewiesen*, diese Astingi könn-
ten, da die haartracht Zeichen der freien uhd edeln geschlechter war,
ebenwol jene Liberi sein. Endlich führen die Westgothen bei Ammia-
nus 31, 4. 5 den namen Thervingi, die Ostgothen Greuthungi, wofür
Idatius Greothingi, Claudianus de IV. cons. Hon. 623. 635 Gruthungi
schreibt, bei Zosimus 4, 38 hat man mit recht Prothingi in Gro-
thingi gebessert. Steckt in Greothungi das goth. griut, altn. griol ags.
greot, ahd. kreoz arena, glarea, saxum (vgl. oben s. 233); so könn-
ten stamme gemeint sein, die in berg oder sandgcgend wohnen, Snorri
nennt in der edda s. 108. 109 Griotunagardr, als aufenthalt der im-
mer an felsen hausenden riesen**. Zeusz s. 407 deutet Griutuggös
449 Steppenbewohner und weist den ahd. mannsnamen Griuzing nach, wie
auch heute Griesinger üblich ist; Thervingi nimmt er für Tervingi Tri-
vingi waldbewolmer, von triu arbor, welches gleichwol immer nur
holz, bäum, nicht wald auszudrücken pflegt, ich möchte Vergleichung
mit den sl. Drevanen oder Drevljanen, die solche lioltsaten sein sollen,
lieber ablehnen und der früheren ansicht treu bleiben, dasz die Ther-
vingi mit den Thüringen ahd. Düringen Zusammenhängen, wie schon
das walten der eigennamen Amala und Erman im thüringischen kö-
nigshaus bestätigt, selbst der heldenname Iring scheint nichts als
starke kiirzung von Epurdurinc.
Wie man annehmen darf, dasz schon im höchsten alterthum zwi-
schen Römern, Galliern und Germanen nach kriegen bündnisse und
gefolgschaften eintraten und kampflustige Deutsche als Söldner und am-
bacti (s. 132. 135) nach Welschland zogen; so wird sich dies Ver-
hältnis auch unter den östlichen Germanen und ihren naclibarn aus-
gebildet haben, ja die getische dienerschaft bei den Griechen war in
andrer weise etwas ähnliches. uiy/nuXwrot oder uQyvQiövrjToi (s. 190)
standen sie im griechischen hause zur hand und kehrten oft wieder in
ihre heimat zurück, wie Zalmoxis selbst seine weisbeit als diener des
* den Böhmen heiszt hrdina, den Polen hardzina held.
** wenn in der verderbten stelle des Iornandes cap. 3: 'dehinc mixti Evagerae
Othingis (wo nach Zeusz cod. ambr. Evagreo Tingis, cod. monac. Euagreotingin,
cod. vindob. Evagrae Otingis) Greotingis enthalten scheint, so schwer der voraus-
stehende noin. zu bessern wäre, würden die folgenden worte: hi omnes exesis
rupibus quasi castellis inhabitant, ritu beluino3 unmittelbar der auslegung felsen-
bewohner zu statten kommen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
A Ä A Vs A A
Hi
GOTHEN
315
Pythagoras erlernt haben sollte (s. 187.) Den älteren Römern hieszen
verbündete nachbarn socii und sogar fratres oder consanguinei. Als
sich die stärke ihres reichs allmälich zu neigen begann, bildeten ein-
zelne kaiser zu Rom germanische leibwachen und cohorten aus gefang-
nen oder Überläufern. Caligula hatte einen häufen Rataver um sich*
und Caracalla pflegte tracht und haarschmuck seiner germanischen
Söldner nachzuahmen**. Seitdem aber der sitz des reichs von Rom
auf Byzanz übergegangen war und die Germanen nach jedem schein-
bar über sie davon getragnen sieg heftiger andrängten; suchte man
ihrer eben dadurch sich zu erwehren, dasz mit einzelnen Stämmen bund
und freundschaft geschlossen und aus ihnen zahlreiche Söldner gewon-450
nen wurden, die nun gegen die noch fernen und unbearbeiteten Deut-
schen beistand gewähren sollten. Hier greifen auch, was einer andern
Untersuchung Vorbehalten bleibt, die Verhältnisse römischer colonen ein,
die unter dem namen laeli bekannt sind, und denen grundstücke zum
anbau überwiesen waren, so dasz kriegsdienst und landbestellung mit
einander verbunden sein konnten.
Kein deutsches volk erlangte nun am byzantinischen hof höheres
gewicht als die Gothen und alle ihnen näher angeschlossepen stamme,
sie hauptsächlich führten den namen foederati, (poideguxoi, in wel-
chem man den germanischen begrif der antrustionen, von trustis, goth.
trausti fides und foedus wieder erkennen möchte. Iornandes gedenkt
ihrer cap. 21, zur zeit Constanlins, dem sie gegen Licinius hilfe ge-
leistet hatten: qui foedere inilo cum imperatore XL suorum millia illi
in solatia contra gentes varias obtulere; quorum et numerus et mili—
tia usque ad praesens in republica nominantur, id est foederati. Als
später Theodosius den Athanarich nach Constantinopel gerufen hatte,
heiszt es cap. 28: defuncto ergo Athanarico cunctus exercitus in ser-
vitio imperatoris perdurans, romano se imperio subdens, cum milite
velut unum corpus efficit, militiaque illa dudum sub Conslantino prin-
cipe foederatorum renovata, et ipsi dicti sunt foederati. Procop de b.
goth. 4, 5 scheint den namen (potdtgäxoi erst von den unter Valens
in Thrakien eingerückten Westgothen zu leiten, aus Justinians zeit
nennt er 3, 31 und 33 erulische foederati, de b. vand. 1, 11 äuszert
er sich über diese benennung wie folgt: iv di dt] cpoidtgdxoig tcqo-
Ttyov f.iiv /novoi ßdqßaqoi y.axtXtyovxo, oooi ovx inl xd dovXoi
tivui, uxt /.n) 7iqog '’Ptof.iauov rjoorj/ntyoi, dXP inl xfj i'orj y.al xfj
o/xoia ig rijv noXixttav ufpixoivxo. (poidtQU ydg nQog xovg noXt-
fiiovg OTtovdug xuXovai lP(.o[xatoi xd di vvv unaoi xov ovo/uaxog
tovxov imßaxtvtiv ovx iv xtoXv/urj toxi. Dasz aber schon lange
vor Constantin einzelnen Gothen römischer jahrsold (den sie anno, nach
dem lat. annus nannten) gezahlt wurde, lehren die excerpte aus Petrus
Palricius; dieser meldet es bereits aus der zeit des Tullius Menophilus, 451
* Suetonius in Cajo cap. 45. 47.
** Herodianus 4, 7.
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der ungefähr in den jahren 237 — 240 vor Chr. als dux Moesiae auf-
geführt wird.
Niemand kann bezweifeln, dasz schon gleichzeitig mit den Gothen,
und noch mehr nach ihrem abzug aus Thrakien andere deutsche oder
sarmatische stamme in ähnliche läge zu dem byzantinischen reich ge-
treten seien, für den uralten und ununterbroclmen verband aber, den
ich zwischen Gelen, Daken und Scandinaven behaupte, wird es zumal
bedeutsam, dasz seit dem neunten jh., oder vielleicht noch früher, die
nordischen vaeringjar genau den platz jener gothischen foederati zu
Byzanz einnehmen, dieser name Vaeringjar, der in altn. sagen so oft
wiederkehrt und von den Griechen BÜQuyyoi gesprochen wurde, ist
gleich dem foederati aus foedus aus einem altn. vaeri, ags. vaere fides,
foedus zu deuten.
Zu welchen ehren und ämtern in krieg und frieden gothische
männer sich emporschwangen, lehrt die byzantinische geschichte des
vierten, fünften und sechsten jh.; selbst Belisarius, der dem Justi-
nian Gothen und Vandalen zu paaren trieb, zeigt durch seinen namen
gothische abkunft an.
Waren aber Gothen so lange zeit unter diesen Byzantinern hei-
misch, wen kann es befremden, sie auch in das öffentliche schauge-
pränge des kaiserreichs verflochten zu sehn? Conslantinus porphyrogen-
neta, in seinem werke de ceremoniis aulae byzantinae 2, 83 gibt uns
künde von einem spiel, welches er zb yoz&ixöv nennt und das am
neunten tag nach Weihnachten aufgeführt zu werden pflegte*, an die
abendtafel des kaiserlichen hofs traten zwei schaaren ein, Prasiner und
Veneter, die zum waffentanz in ihrer spräche sangen; bei jeder schaar
fanden sich aber zwei, in pelz gehüllte Gothen, die mit ruthen auf
Schilde schlugen, zu dieses Constanlinus tagen, der von 912 — 944
herschte, waren keine eigentlichen Gothen mehr vorhanden, und es
bleibt nur eine doppelte annahme möglich, entweder dasz man die da-
452 mals anwesenden Väringe, wie die alten foederati, Gothen zu heiszen
fortfuhr und das spiel durch sie verrichten liesz, oder dasz es auch
ohne zwischenkunft der Nordländer, in hergebrachter weise, darge-
stellt wurde, da der text des gesangs keinen nordischen anklang ent-
hält, so ist mir letzteres wahrscheinlicher, vielleicht bestand die feier
schon seit Theodos oder Justinian, die worte waren aufgezeichnet und
wurden nun jahrhunderte lang, bald unverstanden hergesagt und darum
vielfach entstellt. Der waffentanz unter gesang und das schlagen an
die schilde scheint deutscher und darum gothischer silte gemäsz; die
pelze gemahnen an Ovids worte von den Geten:
pellibus et laxis arcent male frigora braceis. Trist. V. 7, 49.
und an die Claudians von den Gothen:
crinigeri sedere patres, pellita Getarum curia, de b. get. 481.
* die gesamte stelle ist ausgehoben in Haupts zeitscbr. 1, 366—373. man
erinnere sich an den von Claudian VI. cons. Hon. 622 ff. geschilderten ludus Tro-
jae, vgl. Donatus ad Aen. 5, 602.
X
(§)
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Das wichtigste wäre in dem überlieferten gesang noch die gothische
spur zu erkennen; schon byzantinische ausleger scheinen auf ahwegen
geralhen, so wenig die zwischen fremde ausdrücke einlaufenden lateini-
schen und griechischen zu bezweifeln sind, mich zog die Übereinkunft
des vorkommenden Wortes rovXßtXe mit dem dakischen pflanzennamen
rovXßrjXu (s. 206) an, und sogar oeßaxfßa vergliche sich in erster
hälfte zu der pflanze Gtßa (s. 213.)* doch mag dabei hloszer zufall
wallen, da sich gar keine anwendung von blumen oder kräutern ergibt
oder im gesang eines bewafneten wahrscheinlich ist. bei dem sich
wiederholenden yvßiXovg yvßtluQeg läge zwar lat. jubilum jubilaris
nah und die glosse hat es auch xQuvytf aufgefaszt; doch gestattet ein
gothisches weihnachtslied unmittelbar an das goth. jiuleis, ags. giuli,
alln. jul (s. 106) zu denken und einen ausruf iov sogar mit jubilo in
Verbindung zu setzen. Varro 6, 68 leitet jubilare aus dem gemeinen 453
volksruf: io bucco 1 quis me juhilat? wie unser jauchzen, ahd. juwan
juwizan (Graff 1, 578) von ju, juch! stammt, alle diese interjectio—
nen könnten ursprünglich eine anrufung der sonne gewesen sein, die
nachher gekürzt wurde. Beim anschlagen der Schilde sollen beide
Gothen rovX rovl gerufen haben, wo ein yovX oder yvßik völlig an
seiner stelle gewesen wäre; denn kaum gehört zu tovX das golh. tul-
gus fortis, firmus, alts. tulgo valde, forliler, und wie leicht verwech-
selten sicli L und T.
Bei so lebhaftem und vielfachem verkehr der Gothen mit Griechen
und Römern von frühster zeit an hätten, sollte man glauben, der auf-
bewahrung golhischer Sprachdenkmäler genug wege zu gebot gestan-
den, und es ist auch wol die möglichkeit, dasz unmittelbar nach dem
Übergang der Westgolhen zum chrislenthum Ulfilas mit solchem erfolg
die Verdeutschung der heiligen schrift unternehmen konnte, einer höhe-
ren bildsamkeit des gothischen volles beizumessen, wie sie durch jene
nachbarschaft des römischen reichs gefördert war. Dennoch sind, gleich
den von Ovid versuchten getischen gedichten, auch, was noch weit
mehr zu bedauern ist, die lebendigen heldenlieder des gothischen volles,
deren dasein Iornandes bezeugt, untergegangen; niemand hat sie jemals
niedergeschrieben. Iornandds cap. 11, oder sein gewährsmann, ver-
sichert uns, dasz wenigstens der Gothen gesetze in schrift gebracht
worden seien: quas (proprias leges) usque nunc conscriptas bellagines
liuncupant; bellagines scheint bilageineis Satzungen von bilagjan, wie
analageineis faurlageineis von analagjan faurlagjan. mit diesen gesetzen
könnte er, obwol unter Ostgothen lebend, auf die westgothische un-
ter könig Eurich, also zwischen 466—484 begonnene samlung zielen,
Isidors chronik sagt ausdrücklich: sub hoc rege Golhi legum instituta
scriptis habere coeperunt, antea tantum moribus et consuetudine tene-
* sollte der glossator bei oeßavdßa: eavrovs svoxoXovvxss das slaviscbe
sebe = selbst im sinn gehabt haben? die andere glosse deutet aus dem hebräi-
schen asßa durch xa&ioov, y.ißa durch cos naQsyävov, was ich dahin gestellt
sein lasse.
GOTHEN
bantur. im fünften jh. mochten die westgotliischen rechte auch noch
heimische spräche reden und bilageineis überschrieben sein; die uns
erhabnen gesetze des 7 und 8. jh. sind lateinisch abgefaszt. aber der
454ausdruck liber translatus, dessen sich Recesuindus (f 672) II. 1, 10
bedient, scheint dem Zusammenhang nach abschrift, nicht Übersetzung
zu bedeuten; von jenen älteren gothischen texten hat sich leider nicht
das geringste erhalten.
In der lateinischen anlhologie befindet sich ein cde conviviis bar-
baris’* überschriebnes gedieht, das, weil schon die hss. ins siebente
jh. reichen, dem sechsten oder fünften angehören mag, und dessen
erster vers fast ganz aus gothischen Worten gebildet ist**, es heiszt
gleich eingangs:
inter eils goticum scapiamatziaia drincan
non audet quisqnam dignos educere versus.
das gothische scheint ganz in Ordnung und nur einen schwierigen
ausdruck zu enthalten, ich lese:
inter hails gothicum skapjam atzja jah drigkam.
hails! war der hergebrachte anruf, wie hails Jtiudanl Marc. 15. 18 (da
die gotli. adj. dem voc. das -s lassen, dem subst. entziehen) lehrt,
und das ahd. heil! ags. häl! bestätigen, dasz zu diesem feststehenden
ein lat. adj. im neutr. construiert wird, läszt sich vertheidigen und wir
würden heute noch sagen: das gothische hails. skapjam und drigkam
sind imperative erster person pl. und den lat. conjunctiven paremus,
bibamus entsprechend, anstand bringt atzia und darin das TZ, gleich-
455 sam ein vorbote ahd. aspiralion. man kann aber nicht erklären matzja
cibos, wäre auch für matins cibos ein acc. sg. fern, oder pl. neutr.
matja von mati, mit derselben bedeutung zu gestatten, und gilt schon
ein altn. skepja ser mat, ordinäre cibum. denn das Z würde uner-
laubt beseitigt und ich weisz nicht, ob ein paremus cibos trinkern in
den mund gelegt werden darf, auf die es hier abgesehn ist, wie aus
dem madido Baccho und der ebria musa der folgenden zeilen hervor-
geht. ich dachte also erst, mit blosz umgeslelllem TZ, zu lesen az£t-
jam gaudeamus, da, wie von audags mikils valugs audagjan mikiljan
valugjan, auch von azöts azßtjan jucunde vivere gebildet sein könnte
* wie den Römern galten auch den späteren Romanen die Gothen und alle
Deutschen beständig für barbaren, und mit ihrem namen wurde gescholten. Franc.
Michel in seiner histoire des races maudites de la France et de l’Espagne, Paris
1847 1, 284. 286. 311. 355 macht wahrscheinlich, dasz cagot aus cams gotlms
stamme; ich zeige mythol. s. 1198. 1199, wie man hunden götter und völkerna-
men, zur herabwiirdigung beilegte, schelte war auch ostrogot (Michel 1, 357.
2, 145) und bigot (= bisigot, visigot. 1, 235. 360.) noch zur zeit des 11 jli.
erscheinen in Poitou fremdlinge unter dem namen der alten Teifalen, die aus j
Scythien, wie zigeuner aus dem morgenland, eingewandert sein sollten und ver- I
achtet wurden (Michel 2, 1.) aber eines Reatus Senoch, gente Theifalus, pic- I
tavi pagi, quem Theiphaliam vocant, oriundus gedenkt schon früher Gregor von
Tours vit. patr. cap. 15 und hist. Franc. 4, 18. 5, 7.
** wiederholt in Haupts zeitschr. 1, 379—684 mit Maszmanns deutung.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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** wiederholt in Haupts zeitschr. 1, 379—684 mit Maszmanns deutung.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
GOTHEN
ßS ds ä Äy ^ *a*
319
o^Atiam n-nnrrAav verdeutscht. indessen
verden, noch besser
;. pl. von atsi pocu-
M von skapjam, zu
lid. azasi, alts. atasi
>42), hier trinkgefäsz
bk sra*H* i: paremus pocu,a et
»htselde schaffen, ge-
?
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in einander giencnu
die, so unvollständig
rigen deutschen zun-
rmitteln, was diesen
gewesen sein konnte,
e ags. und ahd. denk-
l haben musz. diese
1 der gothischen sich
ich der annahme nicht
>e vor ihnen manches
f eingeschlagen haben
e so einfach und fest
dl bestehn nur die drei
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jh. reich
erster ve
gleich ei:
GOTHEN
319
und I Tim. 5, 6 vizön in azßtjam onaxuXav verdeutscht, indessen
müste hier auch M zwischen A und I ergänzt werden, noch besser
gefällt mir daher atzja zu lassen und für den acc. pl. von atsi pocu-
lum zu nehmen, oder, im fall einer elision des M von skapjam, zu
setzen atazja. atsi atazi aber entspräche dem ahd. azasi, alts. atasi
oder atusi utensile instrumenlum, vas (Gratf 1, 542), hier trinkgefäsz
(roman. tassa ?) des Spruches sinn wäre demnach: paremus pocula et
bibamus. mhd. sagte man: den sedel schallen, nahtselde schaffen, ge-
mach schaffen, warum nicht golli. skapjan atazja?
Es ist leicht das, worin die gothische spräche, so unvollständig
wir ihren reichthum und gelialt kennen, allen übrigen deutschen Zun-
gen voran geht, darzulegen; aber schwer zu ermitteln, was diesen
davon zur zeit des vierten jh. auch noch eigen gewesen sein konnte,
weil von da bis zum siebenten achten jh., wo die ags. und ahd. denk-
mäler beginnen, grosze Veränderung stattgefunden haben musz. diese
sprachen würden also in ihrem älteren zusland der gothischen sich
beträchtlich genähert haben; dennoch darf man sich der annahme nicht
erwehren, dasz auch schon in frühster zeit diese vor ihnen manches
wesentliche vorausgehabt und ihren eignen weg eingeschlagen haben
werde (s. 185.)
Nirgend sonst erscheint das gesetz der laute so einfach und fest
in einander greifend wie bei den Gothen, überall bestehn nur die drei
kurzen vocale, mit schönem vorgewicht des ursprünglichen A, wie im 456
zwölften cap. gezeigt wurde; keine dieser drei kürzen kann durch Ver-
doppelung zur länge erhoben werden, vielmehr ist die länge gerade
den lauten beschieden, die als kürzen unstatthaft sind, dem E und 0.
während diese E und 0 im gleich rein entfalteten Verhältnis der ab-
laute sich zu kurzem A binden, erblühen aus kurzem I und U vier
parallele diphlhonge, deren zutrilt den vocalismus erschöpft, aus dem
1 EI und AI, aus dem U IU und AU. eine enneas hält in ihrem
kreise alle gothischen vocale geschlossen, umlaut hat sich noch gar
nicht, brechung des I und U nur durch einflüsse zweier scharf hau-
chenden consonanten, des H und R entwickelt.
Solchen neun vocalen gegenüber steht nun ein dreimaldrei stum-
mer consonanten, wie es sich eben, nach dem ereignis der Verschie-
bung, frisch gestaltet hat, dem vocalischen grundsatz durch vier liqui-
den und vier Spiranten manigfach vermittelt.
Auf vier und zwanzig lauten beruht also die gothische spräche;
denn das als beginnende Verhärtung des S auftretende Z, als Verdich-
tung des PII erscheinende F und das anheben der brechungen AI AU
sind nur ausnahmen, wie sie jede grosze regel mit sich führt und
wodurch sich der fortschritt im voraus ankündigt, den die andern deut-
schen sprachen unaufhaltsam kundgeben. So bildet zwar das gothi-
sche den hintergrund des gesamten deutschen lautsystems, und enthält
zugleich die keime neuer und künftiger gestaltungen.
Da ich beabsichtige die eigenlhümlichkeit der gothischen flexion
und deren einklang mit dem vocalismus im verfolg näher zu behan-
h- *
E £
I fe
CO
_ H
0
CD
0
0
i^TT.y^yY
GOTHEN
dein; so genügt es mir liier anzumerken, dasz das gotli. S in den
nominal und verbalendungen noch so bedeutsam erscheint, wie in litth.
lat. und gr. spräche, in allen übrigen deutschen mundarten aber nur
engeren Spielraum hat. offenbar wirkte dabei seine verdickung in Z
und erhärtung in R, die sich leichter unterdrücken und abschleifen
lieszen als die lebendigere spirans. dies alte S allein verleiht der
gotli. syntax grosze Überlegenheit.
457 Keine andere deutsche spräche hat die dualform in pronomen und
verbum besser erhalten als die gothische, obgleich sie ihrer bei dem
subst. und adj. ebenfalls schon ermangelt.
Passivum und medium vermag unter allen deutschen zungen nur
die gothische, freilich in schwächerer form als die übrigen urver-
wandten. in vairjia sah ich ein älteres visada (s. 310. 360. 413.
431); da nun auch ags. veorde, ahd. wirdu fortbesteht und der ein-
tretende ahlaut ein hohes alter dieser bildung zuzutrauen nöthigt, so
ergibt sich, wie frühe schon das eigentliche passivum dem ahd. oder
ags. verbum abgegangen sein kann.
lleduplication ist wiederum nur in golhischer spräche deutlich zu
erkennen; an dem, wodurch sie ahd. vertreten ist, würde man ohne
das goth. zur hand zu haben, irre geworden sein, und Graff möchte
ahd. hialt lieber aus einem (hier ganz undenkbaren) ablautsprocess, als
aus goth. haihald herleiten, glücklicherweise benehmen die ags. prae-
terita hebt leolc leort reord jeden zweifei und machen den Übergang
aus haihait lailaik lailöt rairöji in hßt löc löt röd allen äugen anschau-
lich. nirgend nutzten sich consonanten leichter ab, als wenn eine
flexion ihre Wiederkehr im geleit von andern, vor denen sie überhört
werden, gebietet, die flexion hängt dann an dem was haftet.
Das in unserer spräche schmerzlich vermiste part. praet. act.
scheint die gothische wenigstens in einzelnen Substantivableitungen noch
a_zu verrathen. nach dem masc. beruseis und fern, jukuzi wäre es auf
-useis -uzi gebildet worden, von bairan parere böruseis parens, d. i.
pariens, qui peperit, von jiukan vincere, subigere jukuzi jugum, quod
subegit, und beidemal wird der ablaut des pl. dazu genommen: bar
\)qI <^0- börum, jauk jukum. Zunächst steht die litth. bildung derselben par-
. n • .. ticipien auf -es -usi: huwes-der gewesen ist, sukgs der gedreht hat,
ovLo p penejeg der genährt hat, laikes der gehalten hat, und im fern, buvvusi
sukusi penejusi laikusi; es ist eine der merkwürdigen beriihrungen
zwischen goth. und litth. zunge, auf welche ich später noch zu spre-
458chen kommen werde. Von den activen part. beruseis böruzi, juku-
seis jukuzi scheiden sich die passiven baurans baurana, jükans jukana.
Höchst günstig weisz der Gothe nach den drei adjectivdeclina-
tionen adverbia auf -aba -iba -uba zu erzeugen. Da der ahd. adver-
bialausgang auf -o von keiner flexion herzuleiten ist, so habe ich ge-
wagt in rehto noch das goth. raihtaba zu erblicken (s. 356); welchen
vortheil gewährt aber statt des einförmigen -o der wechselnde gothi-
sche ausgang.
Eine ganze reihe anderer östlicher Völker, die groszcnlheils schon
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VH Ä A A A A Ä A A1
BASTARNEN
321
in hohes alterthum hinaufreichen, scheint den Gothen nah und unmit-
telbar verwandt, so dasz sie vielleicht nur unter alter oder neuer
Stammbenennung aus der masse des gothischen volks vortreten, vollen
beweis könnte freilich erst ihre spräche führen, die uns entgeht. Einige
derselben sind aber so verflochten mit der geschichte der Geten wie
der Gothen, dasz sich für die gleichheit dieser auch aus ihnen will-
kommenste bcstätigung gewinnen läszt.
Kaum gibt es ein älteres volk, für dessen deutschheit die gründe
überwiegen, als das der Bastarnen, Slrabo der mehrmals Geten und
Bastarnen, Tyrigeten und Bastarnen verbindet, redet s. 305. 306, da
wo er die Geten und ihren aufenthalt in Peuke behandelt, auch von
den ßastarnen: iv di xfj [.itooyaiq BuoxaQvai /lliv xoTg TvQiytxaig
(oben s. 225) o/uoqoi xal rtQ^iavotg, oyjäov xi xal avxol xov ytQ-
f.ianxov yivovg ovxeg, eig nXetQ) qvXa Sn^q/utyoi. xal yuq '’lAx-
Iuovoi Xtyovxat xiveg, xal ^idoveg, ol di xijv Jltvxtjv xaxaayov-
ng, xtjv iv xio ’Ioxqio vrjoov lltvxivol. lPtoS,oXavol d‘ äqxxixioxa-
roi xu /utxa'l-v xov Tavaidog xal xov BoqvoS'tvovg ve/uo/utvoi nt-
$(a. Dem Plinius bilden Peucini und Basternae contermini Dacis den
fünften germanischen hauptstamm. Tacilus, mit dem germanischen
osten minder vertraut, kommt auf die östlichsten Völker zuletzt zu
sprechen: Peucinorum Venetorumque et Fennorum naliones Germanis
an Sarmatis adscribam dubito, quanquam Peucini, quos quidam Bastar-
nas vocant, sermone, cullu, sede ac domiciliis ut Germani agunt. seine
annalen berichten 2, 65 dasz zu Tibers zeit ein Rhescuporis in Thra-
kien waltete und sich gegen Bastarnen und Skythen rüstete, d. h. ganz 459
auf getischem gebiet. Auf dem grabmal eines T. Tlautius, der unter
Vespasian gedient hatte, liest man: regibus Bastarnarum et Rhoxolano-
rum filios Dacorum ereptos remisit. Scylharum quoque rege a chcro-
nensi, quae est ultra Borusthenem, obsidione summoto. Tanais und
Borysthenes leiten nach Skylhien, kein wunder dasz dem Dio Cassius
Bastarnen Skythen erscheinen und nun gar dem späteren Zosimus 4,
61. Dions worte 51, 23 (Reim. 656), als er des kriegs gegen Da-
ken und Bastarnen erwähnt, lauten ganz bestimmt: Baoxäqvai di
Sxvftai xt dxQißüg vtvof.iidaxai, und schon 38, 10 (Reim. 156)
hiesz es: nqog xwv 2xv&wv xwv Bugxuqvwv. 51, 24 nennt er ih-
ren könig AiXdwv. Strabo aber ahnt und Tacitus bewährt der Bastar-
nen germanisches blut, auf Peuke saszen Gelen. Sidonen dürfen den
suionischen Sitonen oder Silhonen verglichen werden, 'Ax^iovoi, wenn
der lesart zu trauen ist, gemahnen an ags. aedm, ahd. ädum, Utam
spiritus, halitus, wobei einem die getische Verehrung des ’Ave/xog
(s. 222) einfallen dürfte.
Aber viel frühere händel von den Bastarnen berichtet Livius 40,
5. 57. 58 aus des makedonischen Perseus tagen (180 j. vor Chr.)
damals hatte man sich mit ihnen und ihrem anführer Clondicus ver-
tragen, sie sollten durch Thrakien nach Dardanien gelassen werden,
in der nähe des bergs Donuca überfiel sie stürmendes Unwetter, dasz
sie flüchtig wurden: ipsi deos auctores fugae esse, coelumque in se
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322
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BASTARNEN
ruere ajebant. dennoch drang ihrer ein tlieil (triginta ferme millia
hominum) vor nach Dardanien, den andern gefiel heimkehr über die
Donau. Seltsam ist, dasz Arrian, der es gewis nicht aus Livius ent-
4 nimmt, anab. 1, $ von Kelten, die am jonischen meerbusen angeses-
sen waren und um Alexanders Freundschaft warben, ähnliches meldet;
auf des königs frage, was ihnen furcht einflösze? antworteten sie:
dtdilvtu /.irjnore 6 ovQavog avroig tf-ineooi. des himmels einsturz
fürchten war eine bei den verschiedensten Völkern haftende vorslel-
460lung*, makedonische sage musz sie aber solchen fremden zugeschrie-
ben haben, unter denen wir uns Kelten oder Germanen denken dür-
fen und darauf kommt es hier an. 41, 18. 19 verfolgt Livius die
Vorgänge zwischen Dardanern und Bastarnen, und läszt auf thrakischer
seite Skordisker stehn, deren oben s. 143 gedacht wurde. 44, 26. 27
heiszen ihm ganz dieselben Bastarnen Gallier, wie bei Polybius 26,
9 Galater, bei Plutarch im Aemil. Paul. eap. 9. 12. 13 ebenso**.
Justinus mehlet von einem krieg der Baken, die er suboles Getarum
nennt, gegen Bastarnen (oben s. 202.) mit vollem recht aber bezeich-
net Appian (Maeed. 1, 531. 532) jene Bastarnen unter Perseus ge-
rade zu als Geten.
Anderthalb jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung sehn wir also
schon an der Donau und in Thrakien bei Geten und Daken die Bastar-
nen auftreten, welche Strabo und Tacitus für germanisch erkennen,
Plinius aber 4, 14, 28 mit den Peucinern sogar den fünften germa-
nischen hauptstamm bilden läszt. ihre getische natur verbürgt Strabo,
ihre deutschheit ist sonst nicht zu bezweifeln; was anders können sie
sein als ein getischer und gothischer zweig, der sich bald besonders
vorhebt, bald wieder im allgemeinen namen untergeht? und dazu ist
das wort Bastarna oder Basterna vollkommen golhisch gebildet, vidu-
vairna (Joh. 14, 18) bedeutet viduus, orbus, aus ahd. diornä darf ein
goth. [nvairnö ancilla, jnvairna servus gefolgert werden, für ahn. norn
parca mutmasze ich goth. navairnö. aus getischer oder dakisclier
461 spräche in die lat. übernommen scheint mir basterna (goth. bastairnö?)
vehiculum, lectica, bastgellochlne bahre oder fuhrwerk, und dem krie-
gerischen stamm, der bastgewirkten schild trug, konnte der narae
bastairna zustehn. Valerius Flaccus Arg. 6, 96, welcher dem vers zu
gefallen Baternas für Basternas schreibt, fährt fort:
quos, duce Teutagono, crudi mora corticis armat
aequaque nec ferro brevior nec nunpia ligno,
(iTme//
vuer\m dtr hiwez. * q^d äj recie0 at\ juos qUj ajunt 'quid si nunc coelum ruat?’ Terent. heaut.
kgII^^o CrL&h Kei*>4, 2. ‘Paoväxrjs avros fiev ev aSeia rov tceöeZv rrjv yrjv son. Plut. de facie
aCJtfc'Y Dow °rb. lunae 6. in der edda heiszt es: aldar rof, mundi ruplura, ruina (mytli.
° 774.) Fischart in der gescliichtskl. cap. 33: warumb legst nicht auch, wie das
. . zaunschlupferlin die klölin auf das häuptlin, das nicht der himmel auf dich fall?
trvWi ** ein besondrer zug bei Livius 44, 26 redet für dieser Gallier deutschheit:
veniebant decem millia equitum, par numerus peditum et ipsorum jungcntiuin cur-
sum equis et in vicem prolapsorum equitum vaeuos eapientium ad pugnam equos.
völlig was Caesar 1, 48 von den Sueven und Tacitus cap. 6 von allen Germanen
meldet.
KJ£ .TTu). 190^7
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
BASTARNEN
323
da haben wir den Schild aus rohem hast (cortex) und einen deutschen
heldennamen Teutagonus, welcher bei Diefenbach celt. 2, 211. 229
zum keltischen gestempelt wird, leicht aber aus einer unzusammenge-
setzten golh. form Thiutheiga, gen. Thiutheigins erklärlich wäre*,
rumpia ist po/u(peia, nach Gellius 10, 25 wiederum genus teli thra-
cicae nationis. Zeusz s. 127 denkt bei BasLarna an hazdairna barbi-
ger, von bazd barba = ags. beard, ahd. part (gramm. 1, 116), wel-
ches bazd doch verdächtig ist, weil kein altn. baddr, vielmehr bard
margo, rostrum gilt, lilth. barzda, sl. brada. wer sich an die lat.
bedeutung von basterna halten will, könnte dem volksnamen auch den
sinn uf.ia<;6ßtos (s. 16. 230) unterlegen.
Jornandes nennt Bastarnen blosz als er Gothiens grenze angibt
(cap. 12): hanc Gothiam, quam Daciam appellavere majores (quae
nunc ut diximus Gepidia dicitur) tune ab Oriente Roxolani, ab occasu
Tamazites, a septentrione Sarmatae et Bastarnae, a meridie amnis Da-
nubii fluenta terminant.
Die Peuciner, welche von einigen nach Tacitus Bastarnen genannt
werden, müssen entweder dasselbe volk, oder ein nah verwandtes ge-
wesen sein, wie auch Plinius beide unmittelbar zu einander stellt.
Peucini aber, bei Strabo 306 JTivxivot ist örtliche, von der insei
Peuke an den Donaumündungen hergenommne benennung; da waren
schon zu Alexanders zeit Geten niedergesessen (s. 186), da hausten
noch im ersten jh. nach Chr. Peuciner und Bastarnen, die mit bes-
serm fug Gothen als Kelten heiszen. Den namen Peuce darf man aus
dem gr. nevx?] und von den fichten deuten, die den Donaustrand be-462
wuchsen. Martial 7, 7 sagt crudis Peuce’ und 7, 84:
i über ad geticam Peucen Histrumque tacentem!
Appians Geten = Bastarnen und Claudians (de laud. Stilich. 1 , 96)
Bastarnen = Gothen sind also wieder ein wichtiges zeugnis für der
Geten und Gothen gleichheit, und die vermuthung hei Zeusz s. 129,
der Baslarnen doch für Deutsche hält, dasz sie vom obern weichsel-
lande hergestammt seien, musz in nichts zerfallen. Was kann es nun
gar bedeuten, wenn Vopiscus in Probo cap. 18 aufslellt, dieser kaiser
habe centum millia Bastarnarum auf römischen grund und boden ver-
pflanzt? es waren leibhafte Gothen, und wenn ein ast des groszen
volks in solcher zahl erscheint, welchen hegrif zu bilden hat man
sich von der im dritten jh. ungeschwächten macht der Geten oder
Gothen?
Jene zuletzt angeführte jornandische stelle über die grenze des
späteren Gothiens führt auf den namen eines andern, den Gothen un-
mittelbar verwandten volks, der bei Strabo, Plinius und Tacitus noch
nicht erschallt, ich will die sage vorausgehn lassen, deren aufbewah-
rung wir dem Iornandes cap. 17 verdanken: quomodo vero Getae Ge-
pulaeque sint parentes si quaeris, paucis absolvam. meminisse debes
me initio (cap. 4) de Scanziae insulae gremio Gothos dixisse egressos
* Liv. 40, 57 nennt auch noch Cotto Cottonis.
21 *
Üj,
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324
GEPIDEN
cum Berich suo rege, tribus tantum navibus vectos ad citerioris oceani
ripam, quarum trium una navis, ut assolet, tardius vecta nomen genti
P fertur dedisse: nam lingua eorum pigra ‘g^panta’ dicitur. hinc factum
est, ut paulatim et corrupte nomen eis ex convitio nasceretur. Gepi-
dae namque sine dubio ex Gothorum prosapia ducunt origincm, sed
quia, ut dixi, ‘gepanta3 pigrum aliquid tardumque signat, pro gratuito
convitio Gepidarum nomen exortum est, quod nec ipsum credo falsis-
simum. sunt enim tardioris ingenii, graviores corporum velocitate. hi
ergo Gepidae tacti invidia, dudum sprela provincia, commanebant in
insula Visclae amnis vadis circumacta, quam pro patrio sermone dice-
bant Gepidos (al. Gepidojos, Gepedojos.) ojös oder zusammengezogen
463 ös ist goth. aujös, pl. von avi insula, wie altn. eyjar von ey. Die
sage aber hat keinen anspruch auf wahrbeit: denn ist es schon undenk-
bar, dasz der ganze gepidiscbe stamm auf einem schiffe gesessen war,
’ so läszt sich der 'name Gepida nicht aus gfpanta leiten, das einem
neutralen part. praes. auf -andö ähnlich scheint und vom goth. worte
skip abhängt, mag es auch ein goth. verbum göpan, geipan tardare
gegeben haben, dem altn. geipa hiarc, nugari zunächst träte.
Dieser volksname erscheint seit dem vierten jh. hei den Verfas-
sern der historia augusta. Vopiscus berichtet von der fruchtlosen mühe
des kaisers Probus, gepidiscbe, grautungische und vandalische häufen
auf römischen boden zu verpflanzen; Mamertinus läszt Tervinge ‘adver-
sum Vandalos Gepitlesque3 auftreten. heim Capitolinus werden Sicobo-
tes schon als theilnehmend am markomannischen kriege geschildert,
hei Trehellius Pollio Sigipedes unter gothischen Völkern genannt; Zeusz
s. 436 schlieszt daraus mit recht auf eine Zusammensetzung Sigugi-
pedes, Sigigipedes, wie Sigambri f. Sigugambri und noch später Sifrid
f. Sigefrid stehn. Sie rühren also nah an die frühe zeit, wo Geten
und Gothen in einander laufen. Lateinische dichter, wie Corippus,
scandieren in Gepides die erste silbe kurz, Sidonius 7, 322 in ‘Ge-
pida trux3 lang. Paulus diac. 1, 21. 27 schreibt Gepidi, der anonyme
Langobarde bei Ritter Gibedi Gebedi Gibidi und Gebeti Gibites. Isidor
9, 2 etymologisiert: Gipedes pedestri proelio magis quam equestri sunt
usi et ex hac causa ita vocati. Die Byzantiner, zumal Procop, aber
behandeln den volksnamen als Zusammensetzung mit naig und schrei-
ben rrjnaideg r^nuidtoy P-)]7iuioi, (auch im nom. sg. rrjuaig, de l>.
goth. 3, l) und hierher gehört eine auf allen fall merkwürdige deu-
tung des etymol. magn. 230: rrjnuiStg, olovtl rtrinaideg, ol TtTiov
natdeg. das ist den Worten nach falsch, trift aber in der sache zu
allen meinen ergebnissen.
Jetzt kann ich auch eine andere, auf jenes kurze l und B statt
P gestützte deutung vorschlagen. Gibi|>a (ahd. Kipido?) von giban ab-
464 geleitet wäre datus, concessus, wie Fastij)a, der name eines Gepiden-
königs (ahd. Fastido?) von faslan servare, servatus, oder wie altn.
Lofdi (ahd. Lopido?) von lofa laudatus; nah liegt ein ags. adj. gifede,
alts. gibhidhi gibedig concessus, felix. nicht umsonst aber heiszen die
Gepidcn im ags. lied des cod. exon. 322, 2 Gcfdas. nun würde sich
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SKIREN
325
Si<U£*ei'cIn, Ojibicli IjevoJC
auch Sigugibijaa trefflich erklären: victoria concessus, ganz wie man
sagte sigegifu victoriae donum und ahd. sigegeha victoriae largitrix.
warum jedoch schrieben Römer und Griechen gewöhnlich P für B in
diesem namen? lag ihnen ihr pes und naig im ohr? oder war es ein
vorbote ahd. lautverschiebung? die sich so früh kaum noch entwickelt
hatte. Nicht verschwiegen bleibe, dasz die trad. corbeienses 195 einen
alts. mannsnamen Kippid (vgl. 108 Heppid) liefern, der wenn dem
volksnamen verwandt sich nur durch die Voraussetzung rechtfertigen
liesze, dasz er mit ahd. form übernommen wurde.
Bei Procop de b. vand. 1, 2 heiszen Gothen (d. i. Ostgothen),
Vandalen, Westgothen und Gepiden yoxfh/.u oder yexixa td-vrj und
vor andern die mächtigsten, zahlreichsten, alle weiszer haut, blonder
haare, schlank, wolgestaltet, dieselbe gothische spräche redend und
arianischem glauben zugethan. vor alters wohnten sie alle jenseits der
Donau (vnfQ noxa{.iov "’Igxqov) d. h. in Thrakien, jetzt (im 6 jh.)
hausen die Gepiden um Singedunum und Sirmium, da wo Moesien und
Pannonien zusammengrenzen, im alten Dakien, das auch Iornandes als
späteres Gepidien bezeichnet; vgl. Procop de b. goth. 3, 33. 34 und
geogr. rav. 1, 11. oft kämpften sie auf seile der Ostgothen, Hünen
und Römer gegen Heruler und Langobarden, wie sie zuletzt diesen
erlagen schildern Procop 4, 27 und Paulus 1, 27. Noch ums j. 600
sliesz der römische feldherr Priscus jenseits der Theisz auf drei Gepi-
dendörfer (Theophylact. 8, 3) und der anonymus salisb. von 863 (Ivo-
pilars glagol. LXXIII) bemerkt: Huni expulerunt Romanos et Gothos
atque Gepidos; de Gepidis autem quidam adhuc ibi resident. Sp ver-
siegen die fliisse gleich dem groszen ström der Gothen.
Einen andern, wo nicht gothischen, doch mit den Gothen in viel-
facher berührung stehenden stamm darf man wieder höher hinauf lei-465
ten. Plinius 4, 13, 27 nachdem er von Scandinavia und den Hille—
vionen geredet hat, fährt fort: nee est minor opinione Eningia. qui-
darn haec habitari ad Vistulam usque fluvium a Sarmatis, Venedis,
Sciris, Hirris tradunt. Hirris wird für eine zu Sciris übergeschriebne,
in den lexl gerathne lesart gehalten; warum sollte es nicht echt sein
und nicht, neben den Sciri, Hirri bestanden haben? wäre dabei an die
Heruler zu denken? Aber schon früher nennt die olbische inschrift
(aus dem ersten oder zweiten jh. vor Chr. im C. I. n° 2058) skythi-
sche Fulaxag y.ul ^y.iQovg, und noch beim Stephanus byzantinus s.
v. Sy.iyog heiszt es ^y.Tgoi yaXaxixov i'&vog. jene Galater sollen
Bastarnen sein, da die bisherige critik kein älteres deutsches volk
weisz; warum wären es nicht auch Geten und ein gelischer stamm?
wie in späterer zeit bei Priscus p. 160 y.al rbx&oi zusam-
men genannt sind. Procop de b. goth. 1, 1 läszt unter Zeno und
Augustulus ^yJ^jQOvg y.ul AXavovg y.al uXXu uxxa yoxxhy.u tfrvi]
als den Römern verbündet auftreten und in Italien festen fusz fassen:
ihr anführer war Odoaker. der anonymus Valesii p. 662 schreibt
Scyri. Iornandes de regn. succ. p. 59 nennt den Odoacer genere Ru-
gus, Thurcilingorum (1. Thurilingorum), Scirorum Herculorumque (1.
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SKIREN
Herulorum) turbis munitus, ira buch de reb. get. cap. 46 aber Odo-
vacer Turcilingorum (1. Thurdingorum) rex, habens secum Scyros, Heru-
los, diversarumque gentium auxiliarios. Odoaker waltete in Italien von
476—493, wo er den Ostgothen unter Theoderich erlag; sein ende
beschreibt Procop a. a. o. Seltsam ist die in den Quedlinburger an-
nalen (Pertz 5, 31) aufbewahrte sage von einer ihm widerfahrnen
Schonung: Theodericus Altilae regis auxilio in regnum Gothorum redu-
ctus, suum patruelem Odoacrum in Ravenna civitate expugnatum, inter-
veniente Attila ne occideretur, exilio deputatum paucis villis* juxta
466 confluentiam Albiae et Salae fluminum donavit. so etwas nnisz in einem
verlornen deutschen liede gestanden haben und ist ganz unhistorisch,
da Attila schon im j. 453 starb. Dasz sich Sciri in Attilas heer be-
funden hatten, meldet Sidonius 7, 322. Iornandes cap. 49* 50, nach-
dem er Attilas tod und die Zersplitterung des hunischen reichs be-
schrieben hat und im begrif steht seine eigne abstammung vorzutra-
gen, schaltet die nachricht ein: Scyri vero et Salagarii (vgl. Satagae
cap. 53) et ceteri Alanorum, cum duce suo nomine Candax, Scythiam
minorem inferioremque Moesiam accepere.» dieses Candax notarius war
Peria, des Iornandes groszvaler, und Candax musz zu ausgang des 5 jh.
gelebt haben; aus der Donaugegend waren Skiren dem Odoaker nach
Italien gefolgt, doch nicht alle, denn cap. 53 wird von dem sohn des
suevischen Ilunimundus gemeldet: sed ille immemor paternae gratiae
Scyrorum gentem incitavit, qui tune supra Danubium considebant et
cum Gothis pacifice morabantur, quatenus scissi ab corum foedere se-
cumque juncti in arma prosilirent, gentemque Gothorum invaderent.
der ausgang aber sei gewesen dasz die Gothen den sieg davon getra-
gen und das scyrische geschlecht ausgeroltet hätten bis auf wenige
Überbleibsel, die sich in gemeinschaft mit Sueven, Gepiden und Rugiern
nochmals den Gothen entgegensetzten und dann in Pannonien besiegt
wurden.
Diese skythischen, früher nordöstlich** aber später in Moesien,
Fannonien und Italien hausenden Skiren gewähren also ein treffendes
gegenbild zu den Geten und Gothen überhaupt, ihren namen darf man
aus goth. skeirs clarus, ags. scir, engl, sheer, alln. skirr ableiten, die
Angelsachsen setzen andere eigennamen damit zusammen, z. b. Scir-
beald (Pertz 2, 349.) Die stammsage der Skiren hat merkwürdige an-
klänge. czip-
467 Iornandes macht unter ihren anfiihrern einen Edica und Wulfus
namhaft, des Odovacar vater hiesz aber nach dem anon. Valesii Acdico,
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* zielen konnte ein Quedlinburger damit leicht auf Ottersleben unweit Magde-
burg, wenn dies früher Otachresleba hiesz. schon in ottonischen urk. von 939
und 973 steht Otteresleba (Hofers zeitschr. für archivkunde 2, 338. 349.)
** aus dem Scir kurländischer und samogitischer Ortsnamen folgert Schafarik
s. 351 alten sitz der Skiren in diesen landstrichen. cs könnte sein; doch in
Deutschland zeigen eine menge von örtern ein solches Schir- Schier-, das wie
lauter-, klar-, hell- in andern namen aus der sache und läge, nicht aus personen
herzuleiten ist.
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SKIREN. RUGIER
327
was nicht nur mit Edica eins, sondern auch mit Odovacar im begrif
verwandt scheint. Aonulf war nach Eugippius des letztem bruder.
Nun zeigt die altschwäbische oder bairische sage, wie sie bis ins
neunte jh. reicht, gewis aber schon in älterer zeit, die wiederkehren-
den namen Welf und Eticho (Pertz 8, 764); dieser Eticho in seinen
alten tagen zieht sich in den cScerenzere wahr, das ist nemus Scy- V-Oeßfl
rorum, im gebirg an der Isar (Schmeller 3, 403), heute die Schar- '
nitz; auch ein altbairisches geschlecht im Huosigau liiesz die Schyren,
Scheiren, Scheirer (Saem. 3, 390.) es ist ganz glaublich, dasz skiri-
sche geschlechter aus Pannonien und Noricum nach Baiern gesprengt
wurden*.
Bringt die geschichte den Odoaker und Theoderich erst in Ra-
venna zusammen, so bestand nach jener Quedlinburger sage und nach
unserm Iliklebrandslied ältere feindschaft zwischen beiden; Theoderich
war auf Otachers neidisches anstiften aus Verona verwiesen worden 468
und zürnte ihm heftig. Nun fällt mir auf, dasz an dieses feindlichen
Otachers stelle die nordischen und sächsischen erzählungen einen Bikki,
Sifeca, Sibeche setzen, die skirische genealogie Edica Wulf und Odo-
vacar, die suevische Wolf (oder Welf) und Eticho verbindet. Will
man gedultig anhören, dasz alle diese namen den begrif hund enthal-
ten? ohne grund geschehn sein kann das kaum, da die alten stamm-
sagen ihre namen, oft mit andern Worten, zu wiederholen pflegen, für
Bikki und Sibeche habe ich es schon s. 39 gewiesen. Odovacar, ags.
Eädvacer (cod. exon. 380, 30) ist zusammengesetzt aus goth. aud,
ahd. 6t, ags. eäd opes, facultas, und goth. vakrs, ahd. wachar, ags.
vacor vigil, der alte hovewart (s. 37) bewacht des herrn gut; noch
heute nennen wir einen hund wacker, Wächter, munter. Edica, Et-
ticho sind ein aller ausdruck für heiszhunger, appetitus caninus geblie-
ben; wenn der magen bellt (stomachus latrat), so kann der hunger
(alts. hungar höli grim) als hund gedacht werden, wie das gr. ßovXi/nia
auf ein gefräsziges rind führt, auch die Polen sagen psi glod und
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* SC und ST werden von den Schreibern oft verwechselt, z. b. in Tuisco
Tuisto, Iscaevones Istaevones, ein bairischer Wernher von Scira (Scheiern), der
die Ungern auf das Lechfeld geführt haben soll, heiszt bei Gotfried von Viterbo
ad a. 955 comes de Stira in Bavaria, und ein ganz anderes oppidum Stira (Pertz
7, 59) schwankt in Scira. Da nun auch unser skirischer Odovacer in der kai-
serchronik (cod. pal. 85 “)fÖtacker von Stire genannt wird und unter steirischen P/fl.
markgrafen gerade der geschlechtsname Otakar, Ottokar herscht; dürfte man* J
mutmaszen, dasz sich für Scira Scheier von frühe an Stira, Stiria, Steier einge-
drängt habe, zumal weder aus deutscher noch slaviscber wurzel Steier deutbar
ist. Seit Ottokar im j. 974 oder 975 zum markgraf erhoben ward, erscheint
Stiria, Stire in urkunden und mhd. lic-dern oft; nach dem gedieht Biterolf 13276.
13331 wurde dieser schon von Etzel mit dem jagdhof Stire belehnt und liesz
eine bürg auferbauen. Von desselben landes grenze rinnt ein fliiszchen Steier nach
Oesterreich in die Ens, wo die Stadt Steier steht und an jener grenze hat be-
reits die peutingersebe tafel ein Stiriate, wodurch des ST echtheit bestätigt wird,
war der name illyrisch, so läszt sich das gr. xa JJxeiQia in Attika, und 2xIqis
in Phokis vergleichen.
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SKIREN. RUGIER
glod wilka, hunds oder Wolfshunger, die Böhmen psi hlad. in Mones
anz. 6, 459 ist ein segen cfür den ettikheri* mitgetheilt, das meint,
glaub ich, nicht hectica Schwindsucht, sondern heiszhunger, man sehe
Stalder 1, 117 ättig, eilig, der fressende ettika. um es völlig zu
verstehn, möchte man auch in der goth. genealogie bei Iornandes
cap. 14 den namen Ediulf auslegen können. Beim anonymus Yalesii
p. 663 heiszt Odoachars sohn Thel oder Thela (acc. Thelane): das
scheint wiederum canicula, nhd. thöle, sclnved. tillika (Nemnich
s. 809.)* Guten beitrag zu unsrer heldensage liefern also die Skiren.
In gleiches alterthum steigen die ihnen verbündeten und ver-
feindeten Rugier. Tacitus, nachdem er cap. 43 Lygier und Gothonen
angegeben hat, fährt fort: protinus deinde ab oceano Rugii et Lemovii.
469 omniumque harum gentium insigne rotunda scuta, breves gladii et
erga reges obsequium. von Ptolemaeus wird ein ort cPovyiov ge-
nannt, im gebiet der Oder. Iornandes aber cap. 3. 4 unterscheidet
Ethelrugi und Ulmerugi, und sagt von den Gothen: unde mox ad
sedes Ulmerugorum, qui tune oceani ripas insidebant, castrametati
sunt, eosque commisso praelio propriis sedibus pepulerunt. in Ul-
merugi könnte Lemovii anklingen = Ulmovii, Ulmerugi sind aber
deutlich (Zeusz s. 484) die spätem altn. Hölmrygir auf insein des
norwegischen Rogaland (fornmannasögur 1, 7. 10, 195), Ethelrugi
stehn ihnen als bewohner des innern lands (ags. edel, ahd. uodil pa-
tria) entgegen, wie Gothen und Götar in Scandinavien und an der
Donau, erscheinen Rugier dort und hier. Iornandes cap. 50 kennt
auch Rugier zu Attilas zeit an der untern Donau, die nicht aus dem
Norden eingewandert zu sein brauchen, sondern gleich Geten und
Gothen immer südöstlich gewohnt haben mögen. Etwas später sehn
wir westlich vorgerückte Rugier, Noricum gegenüber, im heutigen
Österreich niedergesessen, wo sie Odoaker überfällt und vernichtet:
in dies Rugiland zogen dann Langobarden ein, und was vom rugischen
volk übrig blieb, verlor sich allmälich unter Gothen, Skiren, Herulern,
Langobarden, die Vorgänge schildern Eugippius im leben Severins,
Procop uud Paulus diac. 1, 29. Procop de b. goth. 2, 14 meldet,
dasz ''Poyoi mit den Ostgothen nach Italien gezogen waren, vielleicht
um sich an Odoaker zu rächen; 3, 2 nennt er sie ausdrücklich l'd-yog
yorfhxov, das sich abgesondert bewahrt und nach Ildebads lod aus
eigner mitte Erarich zum könig aufgeworfen habe, dem jedoch Totila
schnell nachfolgte. Bei solcher mischung der Stämme kann nicht
befremden, dasz in Iornandes huch de succ. p. 59 Odoacer selbst
genere Rugus5 heiszt.
Nun ziehen noch stellen des ags. Vidsides lied an,
319, 22 (veold) Hagena Holmrycum and Henden Glommum,
322, 26 mid Rugum ic väs and mid Glommum.
liest man Ilolmrygum f. Holmrycum, so bestätigen sich jene Ulmerugi
f. Ilulmerugi und die altn. Hölmrygir. räthselhaft bleiben uns die
* ags. Thyle cod. exon. 320, 5 scheint altn. }mlr.
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RUGIER. HERULER
329
Glommas, welchen hier zweimal Rugas und Holmrygeas zur seite 470
treten. Hagena darf dem Hagene des Gudrunliedes, Heoden (so ver-
mute ich für Henden) =» ahd. Iletan dem Hettel verglichen werden,
wie Skiren greifen auch Rugier ein in unsre heldensage.
Den namen Rugii Rugi cPoyoi, ags. Rugas, all». Rygir (nicht
Rygir) zu deuten hält schwer; die bruchstücke des Ulf. helfen nicht
aus. anzuschlagen wäre altn. roga moliri und rygr mulier opulenla,
vielleicht ahd. rucchan movere, und so liesze sich neben Rugas zugleich
Hohnrycgas rechtfertigen. Auch der insei Rügen und den späteren
slavischen bewohnern haben die Rugier ihren namen eingeprägt und
aus dieser Örtlichkeit begreift sich die Verbindung zwischen scandinavi-
schen und deutschen ästen des stamms am leichtesten, den Slaven
kürzte sich Rojani in Roani Rani.
Traf die Vermutung s. 465, dasz des Plinius Hirri und die spä-
teren Heruler zusammenfallen, so wird uns damit aufgeschlossen, warum
Skiren und Heruler politisch verknüpft erscheinen, zumal unter Odoakers 163
herschaft. selbst das RR in Procops begegnet dem in Hirri,
und wie 2xi'qoi scheint Hiri und weiter abgeleitet Ileruli rechtfertig,
gotliisch wäre zu schreiben Ilairulös, oder wenn das procopische un-
aspirierte ’EqovXoi gelten soll, Airulös; Ammian hat Aeruli oder Eruli,
doch setzen Iornandes und Paulus immer Ileruli. jener, oder sein
gewährsmann Ablavius, will den namen des volles aus dem gr. Ilele,
d. i. iXvg, eiXvg, einer benennung der maeotischen sümpfe ableiten,
wo der alte sitz der Heruler gewesen sein solle, diese etymologie
beruht auf umkehrung des Wortes vEqovXoi in 5EXovqoi "EXovqoi (wie etAßa u-etiY«/
crelo und clero, oinaXog und sljep s. 333) und schon das etymol.
magn. hat nach Dexippus: dno tmv txeToe tXüv '’EXovqoi xly.Xrjvrai.
Zosimus und Procop schreiben’SpovAo/, der spätere Syncellus Ä’iqovXoi.
Der name ’EgovXog AYqovXog liesze an alts. er], ags. eorl, altn. iarl
denken, Herulus aber und Hirnis (für Ilirius?) an goth. hairus, alts.
heru, altn. hiörr ensis, so dasz es bedeutete /nu/ui^orfo^og (s. 191),
wie noch andere Germanen hieszen und gerade die Suardones des
Tacitus, die (ßagadeivoi (für JScpuQadtivoi 2ovuQdtivoi) des Ptole-471
maeus, wenn man ein goth. svaird = altlid. suert ensis dabei zum
grund legen darf, die Suardones hält Zeusz s. 476 ganz für dasselbe
volk mit den Herulern; beide namen zeigen sich gleich alt, ja den
Suardonen des Tacitus gehn noch die Hirri des Plinius voraus.
Wie alle Ostgermanen vom Pontus nach der Ostsee streifen, kann
es nicht befremden, Suardonen und Hirren nordwestlicher, die späteren
Heruler wieder östlicher anzutreflen. nach der mitte des dritten jh.
unter Gallienus und Claudius sollen sie zwischen Maeotis und Pontus
aus skythischem boden hervorbrechen; sie werden an der untern
Donau so wenig neulinge gewesen sein als die Gothen, welche criti—
scher zweifei auch erst um dieselbe zeit dahin einführt. Unter Er-
manaricus waren Heruler den Gothen diensthaft, Iornandes cap. 23
legt ihnen behendigkeit und leichte. w7affen bei, die doch dem stand-
haften und bedachten mut der Gothen gewichen seien; solche tarditas
-
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03
HERULER. AVIONEN
ingenfi hatte er cap. 17 gerade den Gepiden gegenüber Gothen zu-
erkannt. die herulische levis armatura, die breves gladii omnium harum
gentium bei Tac. Germ. 43 und selbst die bcnennung der Heruler
nach dem kurzen schwort (bairus) scheinen in vollem einklang. Procop
aber de b. pers. 2, 25 beschreibt näher, wie noch unter Narses die
Heruler leicht bewafnet und beinahe nackt fochten, was auch Paulus
diac. 1, 20 wiederholt. Sie erscheinen oft als römische Söldner,
und bei Ammian neben Bataven, Hieronymus nennt sie neben Sachsen
unter den Völkern, die Gallien verheerten. Doch nicht blosz im westen
sind Heruler anzutrellen, aucli an der Donau, in Illyrien und Italien,
neben Skiren, Rugiern, Ostgolhen und Langobarden. Nach einer nieder-
lage, die sie durch letztere litten, scheint sich ihre macht zu zer-
sprengen, ein theil liesz sich auf römischem gebiet nieder, ein anderer
zog nordwärts nach Scandinavien, wie Procop de b. goth. 2, 15 er-
zählt, und von da beriefen sich später die südlichen Heruler einen
könig ihres geschlechts. Die ausgedehnten strecken, in denen sich
dies volk nach allen seiten bewegt, zeigen anschaulich, in wie leben-
472 digem verband alle deutschen Völker, der Verschiedenheit und feind-
schaft einzelner Stämme ungeachtet, zu einander standen; vorragenden
helden wie Arminius, Maroboduus, Ermanarich, Odovacar, Theoderich
gelang es jederzeit einen kranz von Völkern an sich zu ziehen und
zu vereinigen, der sich hernach wieder auflösle. Wir sahen, auszer
Gothen, in die heldensage Gepiden, Sciren und Rugier aufgenommen;
Paulus diac. 1, 20 erzählt von den Herulern den weit verbreiteten
mythus, wie sie durch blühenden flachs zu schwimmen meinten; ich
bin der meinung, dasz die llerelingas des cod. exon. 325, 16 Heruler
sein müssen, da sie offenbar mit Ermanrich und Theoderich, also der
altgothischen sage Zusammenhängen, das a des mhd. Ilarlunge steht
für ö, wie in Suardones. Procop de b. goth. 2, 15. 4, 25 führt
einen vornehmen Heruler ^ova^rovag an, dessen name dem der
Suardonen begegnet, man billige die gegebne deutung des worts, oder
finde .darin ein uraltes svardas, goth. svarts, ags. sveart, alln. svartr
niger, wozu der mythische Surlr verglichen werden könnte.
Das kostbare ags. lied gewährt uns 320, 8 auch ein Osvine
(ahd. Answini) veold Eovum; liest man nur Edvas (oder richtiger
Eävan, da der dat. pl. -um ebenwol schwacher form gehört); so ent-
sprechen die alten Aviones. in einem athem cap. 40 nennt Tacitus
Reudigni deinde et Aviones et Anglii et Varini ct Eudoses et Suar-
dones et Vithones als die Stämme, bei denen Nerthus verehrt wurde,
ich will diese nicht alle behandeln, sondern hier nur anführen, dasz
die Varini Procops Ovuqvoi sind, durch deren gebiet (de b. goth. 2,
15) die Heruler in das der Dänen ziehen, die Suardonen aber mit
den Herulern, nach dem was eben angeführt wurde, eins waren.
Aviones oder Eävan scheinen nun ursprünglich goth. aujans, ahd.
ouwon, die auf der aue, goth. avi, ags. ed wohnenden*, und ihrem
* schwerer wäre dabei an die skythischen oder thrakischen uäßioi und an
das goth. abans viri zu denken.
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AVIONEN. ALANEN
331
namen scheint unorganische aspiration vorzutrelen bei Mamertinus im 473
ganegyricus Maximiniano dictus cap. 5, wenn er Chaviones Erulique
(statt Aviones Herulique) gesellt und zusammen ins römische reich
einfallen läszt. wie bei Tacitus Aviones und Suardones zeigen sich
hier Chaviones und Ernli verbunden und gleichheit der Suardonen und
Heruler ist kaum zu bezweifeln, gothische Stämme werden aber die
Avionen im sinn der Rugier und Heruler heiszen dürfen, wenn auch
die geringe uns von ihnen überlieferte künde sie nicht in der Donau-
gegend, geschweige auf skythischem boden weisz.
Ganz nach diesem zurück und in höheres alterthum wenden musz
ich mich, wenn von Alanen die rede sein soll. Schon s. 223. 224
wurde gezeigt, wie Alanen mit Massageten und Geten Zusammenhängen:
sie vermitteln gleichsam skythisches und gothisches volk. nachharn
gothischer Greutungen und mit Sciren verbündet treten sie auf in
Moesien. daselbst behersehte sie im fünften jh. Candax *, hei welchem
Peria, des Iornandes groszvater notarius oder vnoyQuytvg war; des
Peria sohn und Iornandes vater hiesz aber Alanowamulh. des Peria
Schwester, wenn ich die stelle recht verstehe, war mit Andags einem
sohn des Andala von amalischem geschlecht vermählt, und aus ihrer
ehe Gunthigis mit dem beinamen Baza geboren, ein magister militum
und des Iornandes vetter. Alanowamuth ist gebildet wie ahd. Walah-
mund oder Sahsmund, um die gemischte ahkunft auszudrücken, und
Iornandes hielt sich selbst für einen Gothen oder halben Gothen (quasi
ex ipsa gente trahentem originem, cap. 60); man ersieht aus diesem
beispiel, dasz Gothen und Alanen unter einander heirateten, so war
in älterer zeit der Alane Macentes blutsbruder der Skythen Arsacomas
und Lonchates (Lucians Tox. 51); Skythen aber und Geten werden
oft einander gleichgestellt. Bei dem weiten und unbestimmten hegrif,
den die Griechen mit den Skythen verbinden, kann es mir nicht ein-474
fallen, alle oder die meisten Skythen für Deutsche zu erklären; ich
will nur die möglichkeit eröfnen, dasz in einzelnen fällen da wo sich
Skythen vor dem beginn unsrer Zeitrechnung oder während der ersten
jhh. in landstrichen bewegen, aus welchen unsre Vorfahren eingerückt
sind, wirklich an deutsche stamme gedacht werden darf, man soll
den unbestimmten Sprachgebrauch der alten ebensowenig überall be-
stimmen, als ihn überall unbestimmt lassen. In späterer zeit erscheinen
Alanen, zu Vandalen und Sueven gesellt, in Gallien und Spanien, und
auch diese nennt Procop de b. vand 1, 3 ausdrücklich yoT&ixöv i'd-vog.
An die stelle der Skythen Massageten und Alanen im Verhältnis
zu den östlichsten Deutschen treten ungefähr um das vierte jh. Hunnen,
die schon früher aus Nordasien eingebrochen waren und sich gegen
Europa wälzten, bereits im zweiten jh. nennt Ptolemaeus zwischen
Baslarnen und llhoxolanen auch Xovvoi, Chuni, mit deren namen
* Caridax, Kandags, gleicht dem folgenden goth. Andags, das Iorn. auch cap. 40
hat. Gregor von Tours 2, 9 führt aus Frigeridus zwei andere alanische namen
an, Respendial und Goar (s. 478.)
HÜNEN. VANDALEN
wenigstens die späteren Huni sich berühren. Ammian führt sie neben
Alanen auf, bei Procop scheinen JMaoouytrcu und Övvvoi zu ver7
flieszen, de b. goth. 4, 4 und 5 behauptet er gar, vor alters hätten
sie Kif.i/utQioi geheiszen, so dasz sie noch in den gleich sagenhaften
und unsichern begrif der Kimbern aufgehn. Wie auch ihr zusammen-
stosz mit Skythen, Geten und Gothen erfaszt und in allen seinen
folgen entfaltet werde, wobei zumal die gothischen Tetraxiten (s. 444)
nicht auszer acht zu lassen sind; mir liegt hier ob wahrzunehmen,
dasz ihre berührung mit Ermanarich sie zugleich unauflöslich in die
heldensage verwoben hat.
Ätla veold Hanum, Eormanric Gotum
singt der angelsächsische Wanderer 319, 26 und 322, 2
ic väs mid Hunum and mid Hredgotum
mid Sveum and mid Geatum and mid Suddenum,
sie haben sich unsern alten geschlechtern angeschlossen in der edda
wie im liede von den Nibelungen, wenn schon auf verscbiedne
475 weise, der eddische Alli erscheint als Brynhilds bruder und Godruns
gemahl, der nibelungische nur als Chriemhilds gemahl. Attila,
Etzel wird kein hunischer name gewesen sein, vielmehr gothischer
(s. 271.) zu seinem vater macht die edda den Budli, nach wel-
chem das ganze geschlecht Budlungar heiszt; die goth. form wäre
Budila, der gebietende, und das ahd. Pulilo (Graff 3, 82) entspricht;
das geschlecht würde den goth. namen Budiliggös, ahd. Potilungä
führen, wie sich aber, mit trajectio liquidarum, ainaXog und silpnas
in sl. sljep wandelten, mag Budila zu Bleda bei .Iornandes und Priscus,
und aus dem vater zum bruder Attilas verschoben sein; mit beiderlei
änderung stimmt Blcedelin in den Nibelungen, anderwärts wird auch
ein solm Etzels Blödele genannt. Budlis reich oder Hünland ist aber
in der nord. sage viel näher an die Franken und Sachsen gerückt;
in unsern volkssagen behaupten die Hunnen oder Hünen den platz
mythischer riesen, von welchen uralte Steingräber und felscnbauten
hergeleitet werden (mythol. s. 490, vorr. zu Andr. und Sl. s. XXII.)
Mich dünkt, wenn diese Ilunen weder aus gothischer noch skythischer
geschickte losgerissen werden können, dasz sie zugleich für den Zu-
sammenhang zwischen Gothen Geten und Skythen mitbeweisen.
Der letzte golhische stamm, dessen ich erwähnen will, sind die
Vandalen, deren name eben so ungerecht zur allgemeinen bezeiclmung
von barbaren verwandt worden ist, als der golhische für den character
einer schrift und baukunst, die nichts mit Gothen gemein hat. Plinius
nennt als erstes geschlecht der Germanen die Vindili, quorum pars
Burgundiones, Varini, Carini, Gultones; Tacilus, auszer des göttlichen
Mannus drei ersten söhnen: plures deo orlos, pluresque gentis appel-
lationes Marsos, Gambrivios, Suevos, Vandilios, so dasz diese auf einen
ahnherrn Vandil (Cassiod. var. 3, 58 ahd. Wentil) zurückweisen, in
dem namen aber darf man kaum die Vorstellung des wandelns oder
wanderns (welche damals für alle Völker bezeichnend gewesen wäre),
sondern irgend eine andere suchen, die dem begriffe wenden, wandel,
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
wind angemessen ist; das letzte wort könnte sogar jenem sinn von
Arf-iovoi (s. 459) Zusagen, und Zeusz s. 57 will auch das keltische 476
Gaoidhal vom ir. gaoth ventus leiten, die langobardischen Winili
nehme ich nicht für Windili, da Paulus 1, 1. 2 Wandali und Winili
unterscheidet, und cod. exon. 322, 6 Venlas und Vsernas zusammen-
stellt; verwandt aber scheinen die Vindelici, bei Strabo Ovivdahxot
an südöstlichen alpen, und noch bedeutsamer die von Tacitus cap. 46
neben Peucinern, d. i. Bastarnen angegebnen Veneti, welche er wie
die ihm sonst geläufigen gallischen (Strabons Ovtvtroi, lEvtroi) schrieb;
vielleicht auch ist Veneti aus Vandali cnlsprungeu (s. 322.) Iornandes
cap. 23 hält gothische Vandali und Veneti Antes Sclavi mit recht
voneinander; ahd. glossen deuten verworren Vandali durch Huni und
Scythae, aber Winida durch Vandali und Avari. in alul. eigennamen
Wandalberht, Wandalgisil, Wandalmär u. s. w. hat sich die Benennung
des volks erhalten.
Während nach der hergebrachten ansicht Gothen erst mit beginn
des dritten jh. in der geschichte auftreten, läszt man Vandalen schon
unter Marcus Antoninus neben Marcomannen und Quaden kämpfen,
ihr damaliger sitz mag in der gegend gewesen sein, wo die Elbe ent-
springt, denn Dio Cassius sagt 55, 1 von diesem flusz: Qti de ix rüv
tvavduhxwv byiöv, Tacitus hingegen läszt ihn Germ. 41 in Hermun-
duris entspringen. Später aber erscheinen sie südlicher in Pannonien,
und ostwärts an der seite von Gothen und Gepiden in Dakien; viel-
leicht w’olmten theile ihres volks immer im osten, wenigstens Procop
de b. vand. 1, 3 sagt ausdrücklich: Bavdiloi u/.npl vr/v Mentoriv
ii)xiy.itvot Xi/Liyrjv und läszt auf ihrem heerzug nach dem Rhein ihnen
Alanen zurücken. Iornandes cap. 22. 31 nennt sie in Pannonien auch
neben Alanen. Beide, Vandalen und Alanen, brechen allmälich über
den Rhein in Gallien, über die Alpen in Spanien ein, wo sie eigne
reiche gründen; zuletzt dringen die Vandalen nach Africa, und im alten
Carthago dauerte ihre herschaft von 429 bis 534 nicht ohne gewissen
glanz, der nur durch glaubensverfolgungen getrübt wurde.
Procop de b. vand. 1, 2 sagt, unter den vielen golhischen völ-477
kern seien Ostgothen, Vandalen, Visigolhen und Gepiden die gröszten
und würdigsten, alle der arianischen lehre zugethan und alle golhisch
redend. Engere gemeinschaft der Vandalen und Gothen erhellt klar
aus dem beiden eignen geschlechlsnamen Astingi oder Azdingi bei
Iornandes cap. 16, 22, dessen schon s. 448 meldung geschah. Dio
Cassius p. 1185 schreibt Aanyyoi. bei Lydus de magistrat. p. 248
heiszt es: reh^iega avrov ovv roTg ivdoE,oig rov t&t'ovg, ovg ixa-
low Aaxiyyovg ot ßuqßaQoi, wichtig ist mir Cassiodors Schreibung
Ilasdingi, weil sie bestätigt was ich mylhol. s. 316. 317 erörtere,
dasz die golh. form Ilazdiggös war, wodurch ihr Zusammenhang mit
den Iladdingjar der altn., den Hartungä der ahd. heldensage auszer
zweifei gesetzt wird, für verschieden halte ich die westgoth. gardingi,
golh. gardiggös, d. i. höflinge.
Von vandalischer spräche ist uns nichts übrig als eigennamen.
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334
VANDALEN
Procop schreibt FoSiyi'axXog, r6v&a.Qig, Fi^tQiyog, ‘OvtoQiyog,
varnischen lEQf.uyiaxXog (b. goth. 4, 20) und bei Marcellinus comes
in Arnegisclus K, nach gr. brauch, eingeschaltet, während sonst Ovi-
Xiyi'aaXog und 3IXdiyiouX geschrieben ist, vgl. ^xXußrjxog f. Slaßrjvög.
das X für K in Fi^tQiyog FkötQiyog, ‘OvwQiyog klingt ungothisch,
doch ist auch im goth. namen immer Qtvöiqiyog, AXuQiyog gesetzt,
statt des E in FeXi'/ueQ ^Oäf.itQ (und Fißif.uQ b. goth. 2, 11) schiene
H richtiger, es ist aber gothisches 6 gemeint, Iornandes drückt den
vandalischen königsnamen Wisumär cap. 22 auf hochdeutsche art aus.
ViLi-nr/nr lipi«7V Dpi Viptni* vilpnsis Gpispricns. hei Idntius Ga is Priens.
I'tvQiüv, rovvda/uovvdog, Tquoa/uovrdog, 'IXdtQiyog, ‘Outiey, I V-
luQtg, reMfitß, ’A/u/nuTug, Evuyerjg, Fißu(.iovvÖog, T£a(,W, und
dabei scheint einiges ungenau, nach rov&aQig sollte auch Fovy&u-
/uovy&og (goth. Gun|>amun[)s) stehn, in FodiyioxXog wird wie im
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
AA A A A A A fS A A ^
VANDALEN. GOTHEN 335
das alts. Tato Tatto, obwol Paulus diac. 6, 19 Toto et Tazo, 6, 40
Tato et Taso verbindet, also das inlautende Z für S genommen werden 479
dürfte (wie sonst bei Procop de b. pers. 1, 15 2üvoi f. Ttuvoi
de aedif. 3, 6 steht.) vorhin ist gewiesen worden, dasz auch
Qi'/og und TtvLaov wirklich Tiotqtyoq und Ttvotov ausdrücke *.
In des Corippus um 570 gedichteter Johannis linden sich, auszer
Guntarieh, Geisirich und Geilamir, die namen Ariarith, Fronimulh und
fiecinari (goth. Raginharjis.) bekannt ist Slilico aus Claudian und
Orosius 7, 38, ein diminutiv wie Gibika.
So anziehend Procop der Ostgothen letzte thaten berichtet, seine
erzählung der Schicksale Gelimers ergreift noch stärker, und kaum
darf man zweifeln, dasz sie auch im lied gesungen wurden. In unsrer
heldensage ist aber keine spur mehr von den Vandalen, es müste denn
dahin genommen werden, was sich im Ruodlieb 10, 42. 47 15, 5
auf Africa bezieht, und das vollständige gedieht ausführlicher enthalten
haben könnte.
Alle hier abgehandelten deutschen Völker, für welche mir Procops
benennung gothischer treffend erscheint, gleichen sich auch darin, dasz
sie sämtlich erloschen sind, und nicht einmal unter gewechselten
namen fortdauern. sie sind aus dem hintergrund unsers volks und
unsrer spräche verschwunden und in weiter ferne erlegen, zwischen
Pontus und Ostsee, an Weichsel und Donau, wo ehmals ihre statte
war, haben sich Slaven und Ungern eingedrängt; dessen was von
Gothen und Daken der Norden noch in sich faszt, soll später meldung
geschehn. Im nordöstlichen Spanien und südöstlichen Frankreich (da
wo der name Gothia, hernach Seplimania, Occitania haftete) mag sich
das meiste golhische blut unter romanisches gemischt haben, gewisser-
maszen könnte die provenzalische poesie gothische, die nordfranzösische
fränkische heiszen; den auffallenden unterschied zwischen andai und 480
allai versuchte ich einmal aus goth. iddja und ahd. wallöta zu deuten.
Aber welchen ganz andern und höheren werlli würde in unsern
äugen die fülle altgothischer lieder empfangen, wenn sie sich erhalten
hätten, ihr dasein darf nicht in zweifei gezogen werden nach den
zerrissenen faden, die in der heldensage aller dieser Stämme schweben,
und nach des Iornandes bestimmtem zeugnis. ich will diesem noch
einen augenblick die betrachtung zuwenden. Nachdem er der Ralthen
und Amalen kriegsruhm hervorgehoben hat, fügt er ausdrücklich hinzu,
dasz sie auch die thaten ihrer Vorfahren gern im lied vernahmen:
ante quos etiam cantu majorum facta modulationibus citharisque **
* JIiT^ae, rorO’os avrjQ bei Procop de b. goth. 1, 15. 16 heiszt bei Cas-
siodor 5, 29 Pithia, so dasz TZ blosz den aspirierten laut TH (vgl. s. 395) dem
Griechen schärfer bezeichnete ; aber der ganze name klingt sonst ungothisch.
** wie auch den Geten citharae beigelegt werden (oben s. 140) und Gelimer
von Pliaras cither, brot und schwamm heischt (Procop de b. vand. 2, 6.) wahr-
scheinlich hatten die Gothen die gr. xid'txQa früh kennen gelernt und schon bei
Vandalen und Westgothen konnte sie so beliebt sein, wie sie es bis auf heute
in Spanien geblieben ist, oder bei den Serben gusle, den alten Böhmen warito
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336
GOTHEN
canebant, Ethespamarae, Hanalae, Fridigerni, Vidiculae et aliorum,
quorum in hac gente magno opinio est, quales vix heroas fuisse mi-
randa jactat antiquitas. statt Ethespamara lesen andere hss. Elher-
pamara, Eterpamara, was mich an den slrtno/uuQog rüXXtov ßaoiXtvg
bei Plutarch (Reiske 7, 242) und den galatischen IdrtnÖQi^ im Pontus
bei Strabo p. 560 gemahnt; von einem solchen könnte Dio Chrysosto-
mus geredet haben. Hanala (ahd. Hanalo, Henilo?) klingt deutsch,
ist aber verschollen, in Fridigern erkennt man Ammians Fritigernus.
auf Vidicula kommt Iornandes cap. 34, des Priscus worte aushebend:
ingentia flumina id est Tysiam Tibisiamque et Driccam (deutlich ist
481 nur der Theisz) transeuntes venimus in locum illum ubi dudum Vidicula
Gothorum fortissimus Sarmatum dolo occubuit. das stimmt nicht zur
sage von Wiltich, der von Dietrich verfolgt in einen see sprengt.
Allein durch diesen Vidicula, durch Sarus, Ammius, Sanielh, Ilcrman-
ricus, Bleda und Attila bängt die gothische Überlieferung mit allem zu-
sammen, was auch für das süddeutsche und nordische epos die haupt-
triebfedern abgegeben hat.
(vgl. ßägßirov) und den Finnen kantelet. 1 Cor. 14, 7 können wir leider bei
Ulfilas nicht nachsehn, da wäre das goth. wort vorgekommen. xv/ußaXov ver-
deutscht er 13, 1 durch klismö. ahd. galt cithara, zitera (Graff 4, 368.)
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XIX.
DIE HOCHDEUTSCHEN.
In den gothischen stammen lagerte die erste Schicht des deutschen 482
Volks, wodurch es von alters her mit Skythien, Thrakien und Sarma-
tien so zusammenhängt, dasz auf einzelnen puncten die grenze unsicher
wird; als die Gothen fern entrückt waren und jener östliche wall sich
selbst gesprengt hatte, wurden andere bisher von ihm umschlossene
deutsche stamme hlosz gegeben und den gegen unsers landes herz
drängenden Slaven benachbart, zur zeit solcher lostrennung des gothi-
schen sprachastes scheint auch die zweite stufe der Lautverschiebung
eingetreten, welche kennzeichen der südlichen Deutschen gegenüber
den nördlichen geblieben ist.
Ich bedarf aber eines allgemeinen alle Völker der zweiten laut-
verschiebung umfassenden namens, welcher kein andrer als der ge-
wählte sein kann, denn die benennung Süddeutscher, seitdem sie sich
auch in den westen verbreiten, reicht nicht mehr hin, und durch den
gegensatz des Hochdeutschen zum Niederdeutschen wird das gebirgs-
land des Südens und die niederung des Nordens, zugleich die, man
sage was man wolle, zur höheren Schriftsprache gediehene Veredlung
unseres herschenden dialects und der niedere stand einer bloszen
volksmundart ausgedrückt, nur in bezug auf den niederländischen
dialect kann ein solcher Sprachgebrauch seiner zweiten anwendung
nach ungerecht scheinen.
Wie ich gestrebt habe der ersten lautverschiebung eintritt hislo- 483
risch zu ermitteln (s. 437), musz es auch für die zweite geschehn.
Was uns von deutschen eigennamen hei Caesar, Plinius, Tacilus
überliefert worden ist, hält in der regel den gothischen consonantis-
mus nach der ersten lautverschiebung fest, wie die anlaule Baduhenna,
Bacenis, Bastarnae, Batavi, Boji, Bructeri, bürg in Asciburgium, Teuto-
burgium, Daci, Dulgibini, Gelduba, Gothones, Canninefates, Cimbri,
Quadi, Tolbiacum, Tudrus, Fosi, Frisii, fates in Canninefates, Harii,
Ilerminones lehren, nicht anders verhalten sich inlautend Tolbiacum,
Tubantes, Ubii, Cimbri, -burgium, Dulgibini, Suardones, Tudrus, Badu-
22
kl
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
HOCHDEUTSCHE
henna, Quadi, Maroboduus, Arpus, Marcomanni, Batavi, Chatti, Mat-
tiacum. das K in marka ist nach vierter gleichung das lat. G in
raargo.
Ausnahmsweise aber vertritt T das der lat. spräche mangelnde TH
in den anlaulen Teutoni, Triboci, Tanfana (falls ich s. 232 recht
habe); ebenso inlautend in Canninefales, und wenn man diese lesarten
vorzieht in Nertus, Gotones, Gotini, wo jedoch die Variante Nerthus,
Gothones, Gothini vorkommt, das T solcher namen ist darum vor-
sichtig zu erwägen, weil es zwei gothischen lauten, dem T und TH
entsprechen kann, in der caesia silva (ann. 1, 50) scheint auch C
für golli. H gesetzt, weil die deutsche form Ileisi darbielet.
Niemals aber, und darauf ist es hier abgesehn, erscheinen die
laute der zweiten, d. i. ahd. Verschiebung, die also im ersten jh.
sicher nicht entfaltet war, und in den nächstfolgenden, allem anschein
nach, ebensowenig.
Mich bediinkt, diese ahd. Verschiebung hat sich, so viel beim
abgang der Sprachdenkmäler gefolgert werden kann, kaum vor dem
fünften, sechsten jh. hervorgethan. stände im gotli. trinkspruch (s. 455)
TZ für T, und drückte Procop den vandalischen Gento Ftv^cov, Tato
Ttut,o)v aus (s. 478); so Läge hier eine spur der aspirata für tenuis
selbst unter Gothen vor, die uns ahnen liesze, was um dieselbe zeit
oder später vollständig unter den ahd. Stämmen ausgebrochen wäre.
484 es ist aber wahrscheinlicher, dasz in allen diesen Wörtern Z ein S,
nicht ein T vertrete *.
Hier darf nähere erwägung eines worts nicht unterbleiben, auf
das schon s. 411 gewiesen wurde, lidus litus und laz zeigen alle
drei stufen der muta D T Z, es musz Zusammenhang obwalten sovvol
mit goth. lals, ahd. laz piger, segnis, als mit letan ahd. läzan siliere,
aus der Vorstellung mittere remitiere dimittere scheint natürlich die
von remissus und tardus entfaltet, litan lat lölum zeugte ein letan
lailöt, folglich gleicht der litus einmal dem goth. unselja skalk jah
lata novrjQe dovXe Luc. 19, 22, dann dem fralöts uneXev&iQog
1 Cor. 7, 22. in der altfränkischen form lidus lido haftet das D aus
urverwandter stufe, die uns litth. laidmi sino (inf. laisti, lett. laist)
und atlaida remissio zeigen, während im laetus der notitia dignitatum
des byzantinischen reichs das verschobne goth. T angenommen ward,
vgl. letus bei Ammian 20, 8. Wie aber die salischen Franken das
D in lidus neben lätan sinere, wahrten die Alamannen das T in litus
neben läzan; für eine bestimmte anwendung des begrifs hielt man die
* Ammian, ein Schriftsteller aus der zweiten hälfte des vierten jh., dem
auszer gothischen auch quadische und alamannische namen zu ohr kamen,
schreibt Fritigernus, Sintila für Frithigcrnus Sinthila, ich glaube nicht Taifali fiir
Thaifali. denn hat das s. 193. 194 vorgetragne grund, so lägen hier entweder
schon ahd. formen vor statt der goth. Dagapali oder das T wäre zu fassen wie
in taujan neben döds. in dags und Dagalaiphus (24, 1. 4), der den Römern
diente, haftete das urverwandte D von dies und dey.eßalos. dagegen wäre F in
falus ein Vorläufer des ahd. F (nach erster gleichung.)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
HOCHDEUTSCHE
339
alte lautstufe fest und das D in lidus ist beschaffen wie das im gotli.
du (s. 421), das T im alamannisclien litus wie das im gleich anzu-
führenden churt.
Um den schlusz des siebenten jh. eröfnen sich die quellen ahd.
spräche und lassen an der zweiten lautverschiehung keinen zweifel;
doch hängen im achten, neunten jh. fortwährend einzelne Wörter
(auszer den s. 423. 424 vorgetragnen reihen) der ersten Verschiebung
an, zum deutlichen beweis, dasz jene zweite noch ziemlich frisch und 485
nicht allenthalben durchgedrungen war. So ergibt das in Baiern nieder-
geschriebne sonst beinahe strengahd. Wessobrunner gebet, neben za
und firiwizzo, dat für daz, und im Hildebrandslied, dessen mundart
der thüringischen oder fränkischen näher steht, findet sich neben ahd.
tot taoc truhtin, auf alts. weise dat at it liuitte und anlautend to ti
sehstic geschrieben. Die exliortatio zeigt churtnassi f. churznassi,
hymn. 20, 3 churteru f. churzeru, 0. II. 3, 28 kurt I. 4, 22 kurti
neben kurzit IV. 7, 33 und kurzlichaz II. 21, 15 und so hat sich
noch mhd. bei thüringisch-hessischen dichtem kurt f. kurz behauptet,
dies wort aber ist dem lat. curtus nachgebildet und sein linguallaut
schwankt wie phorta, phorza, phorzih für lat. porta, porticus. ge-
wöhnlich trägt bei Übertragung fremder eigennamen das ahd. Z den
sieg davon; aus Tarodunum wurde Zartuna nhd. Zarten (im Breisgau),
aus Campiduna Champiz, aus Tolbiacum Zulpih, Zulpah und aus jenem
Tudrus Zotari *, wie aus moneta muniza, aus atramentum atarminza,
d. h. nicht blosz goth. und sächs. T verschoben sich in Z, sondern
auch lat. T, die, wenn alles nach der regel verlaufen wäre, goth. TU
und ahd. D hätten werden sollen.
Wichtiger ist es wahrzunehmen, dasz in der zweiten person ano-
maler verba, die ihr praet. ins praesens rücken, das auslautende T
der Verschiebung entgieng, mithin ahd. scalt chanst darft tarst mäht
töht weist muost wie im goth. skalt kaut jiarft darst mäht dauht vaist
möst gesagt wird, ja im goth. alle starken praet. in dieser person den
uralten ausgang T behalten, denn es leuchtet ein, dasz auch im goth.
solches T der lautverschiehung nicht folgte und urverwandtem T gleich-
steht, welches in der flexion den begrif zweiter person bestimmt,
kann etwas den ursprünglichen character der lautverschiehung ins
licht setzen, so ist es die beschaflenheit dieser flexion.
S. 431 habe ich auch den ahd. Wechsel zwischen pis und wis486
in anspruch genommen, um daraus der ahd. lautverschiehung unur-
sprünglichkeit zu folgern, denn es läszt sich einsehn, wie aus bis wis
und überhaupt wesan hervorgieng, während beide letztere niemals aus
pis zu erklären ständen.
Ob um die zeit der ahd. lautverschiehung auch der wandel des
S in R, oder schon früher begann? ist bei abgang der denkmäler
jrüraranrzrp
— V
* so liest der Wirzburger grenzbegang bei Maszmann 183, nicht Zotan, wie
Graff 5, 640 (aus Eccard p. 674) aufnimmt; vgl. bei Graff das (nach zwei andern
Wörtern) folgende Zuter.
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340
HOCHDEUTSCHE
nicht zu ermitteln *. die neigung dazu hob sich bereits im gotli. Z,
und ihr R theilt die ahd. spräche überdies mit der sächs. und nor-
dischen, ja der lateinischen (s. 314), so dasz daraus lange kein rein
hochdeutsches kennzeichen erwächst, wie schwankend und allmälich
dies R um sich grif, ist s. 311 gewiesen; der ström, den die Römer
Yisurgis nannten, hiesz auch ahd. Wisuraha, Wisura und noch heute
gilt Weser, nur der kleine flusz, aus dem die Weser erwächst, führt
den ursprünglich gleichen namen Werre, Werraha, und es käme darauf
an zu ermitteln, wann hier das R zuerst eintrat, oder wann aus dem
mannsnamen Wisunt (s. 429) zuerst Wirant wurde.
Rei der ahd. flexion ist einzelnes in acht zu nehmen was sie
vor der gothischen auszeichnet, dahin gehört hauptsächlich, doch nur
im frühsten Zeitraum, die prima pl. auf -mös, wie sie zum lat. -mus
stimmt, während alle übrigen deutschen sprachen bloszes -m haben,
und auch die litth. -me, die sl. -m aufweisen.
Eine andere eigenheit theilt die ahd. mit der sächs. spräche und
sie beide stehn darin der golh. wie der nord. entgegen, diese nem-
lieh zeigen keine spur der ahd. gerundien auf -annes und -anna, mhd.
Mim ) H
au
anwon
4
ennes -enne (-enes -ene), altwestfäl. -anias -ania; ags. kenne ich nur
den dat. -anne; vgl. gramm. 1, 1021. 4, 105. auch hier ist die
487 Übereinkunft des lat. -andi -ando bedeutsam; aures audiendi wird ver-
deutscht örun hörannes, ad amandum za minnönna. zusammen damit
hängt, dasz im hochdeutschen die Verwendung des infinitivs zu einem
neutralen substantiv (gramm. 3, 537. 4, 259) um sich gegriffen hat,
die dem golh. und nord. dialect ganz fremd bleibt, dagegen allen
keltischen und roman. sprachen geläufig ist; weil diese letztem des
neutrums verlustig gehn, behandeln sie den inf. wie ein masculinum.
Auch das ist ahd. mhd. alts. und ags. besonderheit, dasz die
secunda praet. sg. ind. in der starken conjugation vocalisch auf -i
oder -e lautet, im gegensatz zu dem vorhin s. 485 besprochnen -l
der goth. und nordischen spräche, dieser vocal kündet hier Über-
griffe der flexion des conjunctivs in den indicativ an; dasz sie aber
unursprünglich und unorganisch seien, lehrt das in scalt mäht u. s. w.
haftende -t.
Den ahd. formen des substantiven verbums pim pist pirum pirut
pirun, imp. pisl (s. 312. 430) entspricht nichts golhisches, wol aber
einigermaszen das ags. heo (beom) hist bid, pl. heod. wiederum
treffen das goth. im is ist und altn. em ert er, obschon der pl.
sijum sijuj) sind von erum erud eru weicht, und sich an mhd. sin
sit sint schlieszt. in dritter person begegnen sich goth. ist und sind
und ahd. ist, sint (neben sintun.) gleichen sich gotli. is ist, sijum
sind und lat. es est, sum sumus sunt; so sind offenbar alle mit S
anlautenden formen aus aphaeresis des vocals entsprungen, und man
hat im latein blosz esum esumus esunt, im gothischen isijum isjuj)
*) zu Caesars zeit erscheint der Sueve Nasua (de b. gall. 1, 37) = altn.
Narvi (Ssem. 69 Sn. 32) Neri (Saem. 149b), vgl. ahd. Neribert Nerihilt.
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.
HOCHDEUTSCHE
341
isind zu ergänzen, um die Verschiedenheit auszugleichen; altn. erum
erud eru stehn für esum esud esu. hiernach sind auch pirum pirut
pirun und erum erud eru inwendig parallel, folglich musz der sg. pim
aus pirm pism, goth. im aus ism entsprungen sein wie sl. jesm (s. 306)
bestätigt, s. 312 deute ich den ausgefallnen spirant etwas anders und
gerathe auf bizvum = pirum; entscheiden müste volle bekanntschaft
mit den formen, welche die verflieszenden begriffe des seins und bauens
ausdrücken.
In der declination sind ein paar vortheile, einmal, dasz die 488
alid. spräche für lebendige substantiva, zumal personennamen den ad-
jectivischen männlichen ausgang -an bewahrt, was wieder an das sla-
vische gemahnt; dann, dasz sie den instrumentalis, der im goth. auf
einige pronominalparlikeln beschränkt ist, und auch im ags. und altn.
geringeren umfang hat, an subst. und adj. noch vollständiger entfaltet,
doch blosz am männlichen und neutralen, nicht mehr am weiblichen.
Da der instr. dem lat. ahl. gleicht, und die griech. spräche wie die
goth. mit dem dativ ausreicht, so bricht in diesem punct, und in den
meisten übrigen, berührung des ahd. mit dem latein, des goth. mit
dem gr. hervor.
Einen auffallenden gegensatz zur goth. schwachen form zeigt die
ahd. in beiden geschlechtern. denn das goth. masc. geht auf -a, das
fern, auf -ö aus, ahd. aber jenes auf -o, dieses auf -ä, so dasz goth.
ara hana ahd. aro hano, goth. tuggö azgö ahd. zunkä ascä lauten und
dem goth. adj. blinda blindö ahd. plinto plintä zur Seite steht, auf
gleiche weise unterscheiden sich goth. mannsnamen Vamba Tulga Attila
Amala von den ahd. Rando Ileimo Kero Ezilo und die goth. frauen-
namen Tulgilö Sifilö von den ahd. Uotä Helispä. Nun wird auch auszer
der flexion goth. A in ahd. 0 abgeschwächt (s. 278), aber jene Unter-
scheidung mag schon hohes aller haben, Tacitus theilt uns die namen
Tuisco Vangio Sido mit, während er einem Gothen Catualda beilegt,
und die pl. Ingaevones Herminones Semnones Gothones setzen einen
sg. ahd. form auf -o voraus *. Nicht anders und noch mehr beein-
trächtigt die lat. spräche A durch 0 (s. 281) und homo hominis
kommt überein mit ahd. komo komin, weicht ab von goth. guma
gumins. das lat. fern, hat wie das masc. virgo virginis. eigennamen
beider geschleckter pflegen aber dem gen. -onis mit langem 0 zu
verleihen: Otho, Plato, Juno, Dido wie temo temonis, semo semonis.
Die stamme, aus welchen, der hochdeutsche dialect herzuleiten489
ist, müssen irgend einmal, in unvordenklicher zeit dem, was die
grundlagc des lateins bildet, näher gestanden haben als dem griechi-
schen allerthum, wofür dies und gothische Stämme zusammenzutreffen
scheinen, man schlage auch die abwesenheit des dualis im latein und
hochd. an, der sich im goth. wie im slav. und gr. besser bewahrte
(s. 457.)
* der suevische Nasua bei Caesar widerspricht; man hätte Nasuus (wie Ma-
roboduus) erwartet, was ein nachher zu vermutendes Näavos bestärkt.
E >g
I h
342
SUEVEN
Welche volkstämme sind es nun aber, die den hochdeutschen
dialcct erzeugten?
Ich glaube behaupten zu dürfen, von Schwaben, Baiern und den
übrigen Völkern, die sich an diese schlossen, ist er ausgegangen.
Die Sueven treten bei Caesar und Tacitus als ein germanischer
hauptstamm auf, und nach Germ. cap. 3 könnte man sie gleich den
Herminonen und Vandiliern von einem sohn des Mannus ableiten.
Plinius rechnet zu den Herminonen zunächst Sueven und Hermunduren,
dann Chatten und Cherusker.
Wie uns die Gothen in den Geten nach Skythien führen, greifen
auch noch die Sueven dahin zurück, ja der Ursprung ihres namens,
wenn ich ihn s. 322 richtig fasse, läszt sich nur aus dort gepflogner
naclibarschaft mit den Sarmaten begreifen, zwar haben sich Sarmaten,
unter welchen ich mir keine andern als Slaven denken kann, lange
schon zwischen Östliche Deutsche eingeschoben und mögen auch im
ersten und zweiten jh. neben Sueven wohnen; Strabo setzt Sueven
an der Geten grenze (s. 177) und von Gelen wie Gothen erscheinen
slavische nachbarn untrennbar, wir werden sehn, dasz die Quaden,
ein den Sueven nahes volk, häufig mit Sarmaten im bund standen.
Ptolemaeus 6, 14 hat aber noch merkwürdige künde von Sueven in
r Asien und Skythien, von Suobenen und Syeben neben Alanorsen, von
Und OccAoia^p «suevischem neben alanischem gebirg (oovrjßu oqtj, uXuvu oqi]) in
Skythien. da und wahrscheinlich noch vor dem einrücken in euro-
päische landstriche wurde einem deutschen hervorragenden volk von
490 Sarmaten ein name beigelegt, der nur auf slavisch sinn gibt, und end-
lich mit dialectischer Veränderung den Slaven selbst zurückkehrte.
Die Suevi sind demnach freie, selbständige; jede ableitung von
schweben, schweifen oder svefan (das zufällig auch mit stepan sich
zu berühren scheint, s. 321) musz zu boden fallen, war die golhi-
sche form Svöbös? man darf es nach dem ahd. Suäpä, dem mhd.
Swäbe mutmaszen; das B für V konnte wie in sebe und svoboda
(s. 322) erwachsen oder dem gr. B in 2ovrjßot (vgl. s. 429) ent-
sprechen. das lat. V in Suevi ist aber dem slavischen in Suoveni
Sloveni gemäsz.
Gleichwie vom westen her der name Germanen, verbreitete sich
vom osten her der name Sueven fast als allgemeine benennung deut-
scher Völker. Strabo s. 290: [leyiorov (.itv rd twv 2ovyßcov t9-vog'
di^xei yuQ und rov Brjyov fie/Qi rov AXßiog’ fitQog de ti uvxwv
xui TitQuv rov AXßtog vexier ui, und unter den letzten mag er die
meinen, welche an Geten stoszen. Dio Cassius 51, 22: ol f.dv
(2ovrjßoi) neQuv rov lPrtvov, wg ye ruxgtßeg elneiv' nolXol yup
xul uXXot rovrwv rov 2Zovrjßwv dvö^iurog uvxinoiovvrui. Tacitus
sagt: Suevorum non una, ut Challorum Tencterorumve gens. majorem
enim Germaniae partem obtinent, propriis adhuc nationibus nominibus-
que discreti, quamquam in commune Suevi vocantur. Aber ungefähr
72 jahre vor Chr. hatte Ariovist, nach Gallien gerufen, im land der
Sequaner, dessen dritter theil ihm für den beistand gegen die Aeduer
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SUEVEN
343
zugestanden war, festen fusz gefaszt; aus der ferne her begrilszten
ihn die Römer als freund und könig. beim zusammenstosz mit dem
römischen feldherrn dauchten sich diese Sueven: invicti Germani, exer-
citatissimi in armis, qui intra annos XIV tectum non subissent, und
andere germanische häufen brannten vor begierde ihnen über den
Rhein nachzufolgen, pagos centum Suevorum ad ripam Rheni conse-
disse, meldeten Trevirer dem Caesar. Dieser selbst drückt sich 4, 1
im allgemeinen so ans: Suevorum gens est longe maxima et bellico-
sissima Germanorum omnium. ii centum pagos habere dicuntur, ex 491
quibus quotannis singula millia armatorum, bellandi causa, suis ex
finibus educunt, reliqui domi manent et se atque illos alunt. Als Caesar
späterhin den Niederrhein überschritt, hatten sich Sueven, des feindes
erwartend, im walde Bacenis gesetzt (6, 10): Suevos omnes, poslquam
certiores nuntii de exercitu Romanorum venerint, cum omnibus suis
sociorumque copiis, quas coegissent, penitus ad extremos fines sese
recepisse. silvam esse ibi infmitae magnitudinis, quae adpellatur
Bacenis, ac longe introrsus pertinere et pro nativo muro objectam,
Cheruscos a Suevis, Suevosque a Chcruscis injuriis incursionibusque
prohibere: ad ejus initium silvae Suevos adventum Romanorum exspe-
ctare constituisse. Sei diese Bacenis südwärts der Buchenwald oder
ostwärts schon des Harzes beginn (und damals reichten ungeheure
Wälder noch nah zusammen); unter solchen Sueven müssen chattische,
hinten an Cherusker grenzende verstanden werden, von jenen süd-
westlichen des Ariovist verschieden. Offenbar aber sind die centum
pagi Suevorum dieselben, welche Tacitus Germ. 39 den noch im osten
gedachten Semnonen beilegt: centum pagi iis habitantur, wozu man
die allgemeine Schilderung germanischer Schlachtordnung cap. 6 nehmen
musz: in Universum aestimanti plus penes peditem roboris, eoque
mixli proeliantur apta et congruente ad equestrem pugnam velocitate
peditum, quos ex omni juventute deleclos ante aciem locant; definitur
et numerus: centeni ex singulis pagis sunt idque ipsum inter suos
vocantur, et quod primo numerus fuit, jam nomen et honor est. es
kann kaum gezweifelt werden, dasz hier ein deutscher ausdruck die
Römer leitete, huntari, dessen bildung aus hunt centum (s. 251)
ihnen nicht entgehn konnte, bezeichnet gerade noch ahd. beides, sowol
pagus als centurio (Graff 4, 976.) Mit der landeintheilung hieng nun
die suevische heerfolge genau zusammen und eine bedingte die andere,
aus jedem der hundert gaue zog man ein heer von hundert raschen
jänglingen zu fuszgängern, so dasz ihrer das gesamte volk überhaupt
zehntausend stellte, und mit steter rücksicht auf den krieg war das
ganze land in hundert gaue zerlegt *. auch im norden begrif der 492
name ‘her hundert männer (Sn. 197) und cheradJ oder chundari\ bei
* es war natürlich den landeintheilungen Zahlverhältnisse zum grund zu
legen. Die Galater bei Strabo p. 567 sonderten in vier theile, andere wieder
anders, auch die sortes für sieger und besiegte wurden auf diesem weg er-
mittelt.
344
SEMNONEN
Saxo 'centurionatus1 ein hundert güter oder weder in sich fassendes
gebiet, mochte nun ein Führer, der über hundert gesetzt ist, centurio,
huntari, hunno (goth. hundafajis, tyaTOvraQ/og) heiszen, oder, was
man aus Tacitus Worten zu entnehmen hat, jeder einzelne, gehobne
pedes; immer spiegeln sich darin die hundert gaue des landes *.
Zu dem geschilderten Verhältnis des fuszvolks und der reiterei musz
Caesar 1, 48 und die stelle des Livius von den Bastarnen (s. 460)
gehalten werden.
Ptolemaeus 2, 11 zählt uns dreierlei Suevenvölker auf, die sich
vom Rhein bis über die Elbe erstreckten, 2ovrjßoi ^layyoßaQSoi,
2ovrjßoi ^IdyytiXoi, 2ovrjßot 2fyivovtg. unter ihnen hebt Tacitus
zumal die letztem heraus: vetustissimos se nobilissimosque Suevorum
Semnones memorant, und fährt, nachdem er von ihrem heiligen hain
berichtet hat, fort: adjicit auctoritatem fortuna Semnonum, centum
pagi iis habitantur, magnoque corpore efficitur, ut se Suevorum caput
credant; was hier der hundertgauigen menge (das ist magnum Cor-
pus) der Semnonen heigelegt wird, hatte Caesar den westlichen schon
zum Rhein gelangten Sueven zugeschrieben, nicht unglaublich ist,
dasz hei jeder niederlassung an neuer Stätte sie die volksmäszige ab-
theilung wiederholten.
Wer sind diese Semnonen und wonach heiszen sie? im monu-
mentum ancyranum erscheinen Semnones et ejusdem tractus alii Ger-
manorum populi, um August gnade werbend. Tacitus ann. 2, 45
493 sagt uns, dasz sie zum reich des Maroboduus gehörten, von ihm auf
Arminius seite abfielen: e regno eliam Marobodui suevae gentes,
Semnones ac Langohardi, defecere ad eum. ebenso zählt Strabo
p. 290 unter die von Maroboduus bewältigten Stämme to tcou 2oij-
ßwv avzcüv /.itya td-yog, 2t/iiviovag. Dio Cassius p. 1105 Reim,
meldet, zu Domitians zeit seien Muovog o 2e/.iv6vwv ßaaiXevg y.a\
Fdvra nuQ&ivog nach Rom gekommen; ich möchte Ndavog lesen
und jenen älteren Sueven Nasua bei Caesar (s. 488) vergleichen,
wegen Ganna beziehe ich mich auf mythol. s. 85 **.
Mit den gallischen Senonen, deren namen auch das M fehlt,
haben unsere Semnonen nichts zu schaffen; eher hören liesze sich,
dasz mit Suevi Suebi selbst Semnones, wie mit sopor somnium, mit
svöfn sömn, mit Sahini Samnites verwandt sei. doch ich glaube, die
nur von Ptolemaeus hinter dem Melibocus genannte 2iynavu vhr\ hat
allen anspruch darauf, nichts anders zu sein als die bei Tacitus im
hexameter
auguriis patrum et prisca formidine sacra
gemeinte silva, oder was Strabo p. 292 zwischen der v\rj ruß^tjra
* ich würde 'centeni ex singulis pagis’ gern deuten: aus jedem der hundert
gauen einen führer, überhaupt also hundert, wozu das folgende 'nornen et honor
sich besser fügte; wäre etwas von fiihrern vorausgegangen.
** Zosimus nennt einen üefivcav könig der Logionen; die Lygier müssen
aber, so dunkel sie uns bleiben, nachbarn der Sueven, wo nicht selbst Sueven
gewesen sein.
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SEMNONEN. SUEVEN
345
und dem 'Eqxvvioq Syv/iiog durch tu tiov 2orjßcov hezeichnete. der
silva Semana und silva Semnonum verschiedne stellen und gar in der
nähe von einander, anzuweisen heiszt die allereinfachste Verbindung
ableugnen, wie aus goth. razn garazna, aus alul. hagan Hagano, wird
aus Semana Semna geleitet Semano Semno, bewolmer der Semana
und die schwache flexion Semnones musz zwei N zeigen. Dasz Ptole-
maeus sein aus andrer nachricht geschöpftes 2rj{.tuyu mit H, 2f/uyo-
vtg, wie Strabo 2f(.ivtovtg, mit E schreibe, hat kein gewicht; mir
scheint langer vocal und auch bei Tacitus Sömnones (gleich Suevi)
anzunehmen nöthig, weil er überhaupt kein umgelautetes A, und kaum
gebrochnes I vor M kennt; Strabo licsz sich durch lat. E verleiten,
oder schwebte ihm omvög vor? 2i]/.iuvu Sfimana könnten nun auf
ahd. sämo, sl. sjemja, böhm. semeno, lat. semen und die Vorstellung 494
eines theilweise urbaren Waldgebirges führen, was jedoch unverlässig
bleibt, da niemand weisz was ein so altes wort sonst bedeutet haben
kann, auch Zeusz s. 9 verfiel auf semen mit dem gedanken an Ta-
citus worte: tampiam inde initia gentis, wobei, wer es mag, sogar
zum mythus vom Ursprung aus bäumen lenken dürfte, bestätigte sich
ein suevisches sömo = ahd. sämo, so könnte das zugleich für hoch-
deutsche art und slavische nachbarschaft des volks zeugen, da den
Gothen Sachsen und Scandinaven das entsprechende wort abgeht (goth.
fraiv, altn. friof, ags. srnd.)
Nichts aber ist schwerer als die ptolemaeisehe angabe über die
sitze der Langobarden, Angeln und Semnonen mit älteren und späteren
nachrichten von den Sueven in einklang zu bringen, er stellt Angeln
fast in die mitte Deutschlands, Langobarden zwischen sie und den
Rhein, Semnonen weiter nach osten, neben jenen Avionen und Suar-
donen, die ich (s. 473) gothisch zu nennen wagte, erscheinen Anglii
bei Tacitus. immer ist zu beachten, dasz auch von ihm Semnones,
Langobardi und Anglii hinter einander aufgezählt werden, wie noch
dem ags. scöp 321, 10. 322, 10 Engle und Svaefe zusammenstehn,
dieser Sueven Überrest sind die nördlichen Schwaben unsers mittel-
alters zwischen Bode und Saale (vgl. oben s. 465.) ihnen aber dürfen
in früher zeit die westlicher gelegnen Chatten, auf welche im verfolg
die betrachtung zurückkehren soll, nicht allzu fern gedacht werden.
Die eigentliche kraft der Sueven ruhte in den südwestlich zum
Rhein und über den Rhein vorgedrungnen.
Aus welcher heimat war denn Ariovist, der mit 120,000 kriegern
in der heutigen Franchecomtd boden erobert hatte, gezogen? gewis
aus einem oberrheinischen land, das neben Helvetien lag; wo anders
her hätten ihn Sequaner gegen Aeduer (im heutigen Burgund) zu hilfe
rufen können? zwischen Helvetiern und Germanen machte damals der
Rhein grenze (Caes. 1, 2. 28), folglich bewohnten Germanen und
wahrscheinlich Sueven das heutige gebiet von Baden, denn dasz Hel-
vetier sich bis zum Main erstreckt hätten (s. 166), war entweder
blosze sage, oder kann nur von noch älterer zeit gelten. Durch Caesars 495
sieg über Ariovist, durch die hartnäckigen kriege seit August wurden
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SUEVEN. TRIBOKEN. NEMETEN. VANGIONEN
nun seine Sueven zurückgedrängt und alles was Römer in Süddeutsch-
land erobert hatten vertheidigte ein künstlich angelegter pfahlgraben.
Strabo, Tacitus und Ptolemaeus gedenken also keiner Sueven am
rechten Oberrhein noch im südwestlichen Deutschland überhaupt, wo
zu ihrer zeit die römische macht waltete und decumates agri (Germ,
cap. 29) mit gemischter bevölkerung bestanden: römische und galli-
sche ansiedler neben zurückgebliebnen Germanen, die ihren ununter-
worfnen hrüdern jcnseit des pfals fortwährend zu anhalt und stütze
dienten. Aus dieser zeit der drei ersten jhh. müssen starke eindrücke
der lat. spräche in Oberdeutschland herrühren.
Angelegen ist es mir für die westliche ausdehnung des suevi-
schen oder alamannischen volks richtigen maszstah zu gewinnen, folgt
man dem eindruck der heutigen spräche, so kann nicht zweifelhaft
sein, dasz die alemannische mundart keineswegs durch den Rhein ab-
geschnitten werde, sondern sich üher den ström aus Schwaben in den
Elsasz strecke, und die Pfalz diesseits wie jenseits einen und denselben
menschenschlag auszeichne, vom Bodensee bis zur Mosel an beiden
ufern des Rheins, zwischen Rhein und Vogesen waltet hochdeutsche
zunge und wenn noch im mittelalter Bingen die scheide macht unter
Franken und Sachsen (Lohengrin s. 104. 105), so drückt das gerade
die alte grenze zwischen Alamannen und Franken aus, weil späterhin
Lothringen zu Franken gerechnet wird und in die altniederrheinischen
sitze der Franken Westfalen oder Sachsen vordrangen.
Am Oberrhein scheinen sogar die Deutschen zuerst in Gallien
eingebrochen zu sein und es geschah hernach am Niederrhein nur mit
gröszerer macht und mit entscheidenderem erfolg, schon geraume
zeit vor Caesar müssen deutsche Stämme auf der linken Seite des
oberen Rheins festen fusz gefaszt haben und eben sie gaben dem
Ariovist anhalt oder reizten ihn zur nachfolge. Caesar 1, 51 führt
496 uns Ariovists Germanen in folgender reihe auf: Ilarudes, Marcomannos,
Triboccos, Vangiones, Nemetes, Sedusios, Suevos. seines hecres kern
bildeten die letztgenannten Sueven, den Sedusiern, gleichen die von
Tacitus Germ. 40 in ganz andrer gegend genannten Eudoses und beider
name scheint analog dem goth. berusjös (s. 457) abgeleitet; vermut-
lich waren sie und Ilarudes und Marcomanni im geleite der Sueven,
die Trihoq,ci, Vangiones, Nemetes aber schon früher eingesessen. Als
die Sueven zurückgeschlagen wurden behaupteten diese drei Stämme
ihren alten sitz am linken Rhein. Strabo s. 193. 194 nennt nach
den keltischen Helvetiern, Sequanern und Mediomatriken, die sich
gegen den Rhein erstrecken, Trevirer und Tribocken: tv oTg 'Iöqvxui
ytQfxavixbv i'd-vog neQauo&tv tv. rrjg olxeiag Tgißox/oi, und kein
zweifei, dasz sie nordwärts an Menapier, Ubier und Sigambern grenz-
ten. Genauer Plinius und Tacitus. jener sagt 4, 17: Rhenum ac-
colentes Germaniae gentium in eadem provincia Nemetes, Tribochi,
Vangiones und darauf Ubii; Tacitus cap. 28: ipsam Rheni ripam haud
dubie Germanorum populi colunt Vangiones, Triboci, Nemetes; ann. 12,
27 im j. 50 nach Chr. erwähnt er auxiliäres Vangionas ac Nemetas.
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TRIBOKEN. NEMETEN. VANGIONEN 347
auf einer insehrift bei Steiner n° 43 erscheinen cexpIoratores Triboci
et Boi2, auf einem bei Brumat gefuntlnen wegzeiger bei Steiner n° 134
liest man Ccivitas Tribocorum\ offenbar waren im ersten und zweiten
jli. diese drei Völker den Römern unterwürfig, während ihnen gegen-
über am rechten Rhein decumatisches land, nach dem zurückweichen
der Sueven forlbestand. Als sich im dritten und vierten die Alaman-
nen wieder näherten, wird auch ihr deutsches hlut erwacht sein und
stellen bei Lihanius de nece Jul. p. 238. 273 zeigen, welche gülti-
gen ansprüche damals rege wurden; sobald sich die Überlegenheit der
Alamannen entscheidet, verllieszen auch diese drei Stämme wieder mit
ihnen und die besonderen namen gehn unter.
Aus Ptolemaeus 2, 9 ersieht man die Örter der Nef.irjrcou, Ovuy-
ywviov und TQißöxxiov, dem gebiet der Vangionen entspricht der
spätere pagus wormatiensis, dem der Nemeten der pagus spirensis, 497
dem der Triboken der pagus alsacinsis; in ihnen ragten die Städte
Worms (Borhetomagus), Speier (Noviomagus) und Brumat (Brocomagus)
hervor, welches letztere aber bald von Straszburg verdunkelt wurde,
die slädte Nemetas und Vangionas nennt Ammian 16, 2, und Wa(n)gione
civitate ist noch eine caroling. urkunde (trad. wizenh. n° 60) unter-
schrieben.
An jenen drei namen hat sich keltische deutung umsonst versucht,
die deutschheit von Vangiones liegt vor äugen, es ist vom goth. vaggs,
ahd. wanc, ags. vong altn. v:\ngr campus gebildet, s. 488 sahen wir
den suevischen mannsnamen Vangio. Wangen heiszen Städte im EI-
sasz und Algau, eine menge von Ortsnamen auf -wang und -wangen
ist vorzugsweise in Schwaben verbreitet. In Triboci finde ich ganz
einfach die dreizahl, mit der so viele Ortsnamen zusammengefügt wer-
den: Dribur, Driwiggi, Drieih, und wie von einer heiligen zahl der
eichen die Örter Dreieichen, Siebeneichen benannt sind, mag es ein
Dribuochi gegeben haben, wonach dieses Stammes hauptort und dann
er selbst hiesz. Schiller, der zu Königshofen s. 1064 schon die rich-
tige auslegung gibt, bemerkt, dasz noch ein städtlein czun dreien bu-
chen übrig sei; unweit Hagenau war das ganze mittelalter hindurch
ein ‘heiliger forst’ gelegen (mythol. s. 65.) Zur bestätigung gereicht
unmittelbar der name Nemetes, welchem ich mythol. s. 614 die ‘sacra
silvarum, quae nimidas vocant’ und alts. Ortsnamen an die seite stelle.
Bezeichnete nun auch wang einen gehegten platz im hain (RA. s. 499),
ein heiliges feld (mythol. s. 781); so scheint die trilogie der namen
Vangiones Nemetes und Triboci auf einen diesen Stämmen gemeinsa-
men heidnischen waldcultus hinzudeuten und einander wechselseitig zu
erläutern, dabei vermöchte sogar ein keltisches nemet templum und
die einstimmung des lat. nemus, gr. vff.iog zu bestehn; das T in Ne-
metes, wie D in nimidas lehrt, scheint unverschoben. Die Wahrneh-
mung dieses waldcultus bestätigt uns also die suevische natur dreier
Völker, die wir schon unter Ariovist den Sueven verbündet erblicken,
im gegensatz zu den mittelrheinischen Usipeten und Tencterern, die 498
gedrängt von den Sueven zu den Sigambern flüchteten. Agathias, ein
SUEVEN. ALAMANNEN
weit späterer Schriftsteller, legt gerade Alamannen, gegenüber den Fran-
ken anbelung der bäume und llüsse bei (mythol. s. 89.)
Seit dem dritten jh. begannen nun die Germanen über den römi-
schen limes einzubrechen und behaupteten, nach mehrern wechselfäl-
len, im laufe des vierten allmälich wieder festen fusz bis zum Ober-
rhein. um diese zeit pflegt an die stelle des alten Suevennamens die
benennung Alamannen (s. 495. 496) einzutreten; neu gebildetes wort
enthält sie nicht, blosz neue anwendung eines schon längst in der
spräche vorhandnen ausdrucks. denn auch die Gothen sagten, ohne
bezug auf ein bestimmtes volk cin allaim alamannam’ für inter omnes
homines (skeir. VIIIb) und wie in den eigennamen Alareiks Alamöds
der begrif durch das Vorgesetzte ala- (gleichsam omnium, inter omnes)
verstärkt wurde, geschah es in Alaman, das ebenso als ahd. manns-
name erscheint und einen ausgezeichneten mann oder beiden bezeich-
nen musz*). ich kann in diesem schönen und wohlklingenden namen,
der von unserm südlichsten stamm entnommen Franzosen und Spaniern
passend alle Deutschen bezeichnet, keinen bezug auf einen jetzt ent-
sprungnen bund einzelner Völker, noch auf gemeinschaft des grundbe-
sitzes finden, obschon das altn. almenningr und noch näher der aus-
druck allra manna mörk, allra Gauta mörk (RA. s. 497) diesen be-
grif enthält. Zeusz s. 305 erblickt in den Tencterern und Usipiern den
kern dieses alamannischen Völkervereins und man mag die bei Tacitus
cap. 32 hervorgehobne tenktrische reiterei zu dem hallen was Caesar
1, 48 von der suevischen, 4, 12 von der usipetischen sagt; doch
reden Tacitus cap. 6 und Caesar 7, 65 allgemein und s. 460 sahen
wir ähnliches den baslarnischen reitern nachgerühmt, während umge-
kehrt den suevischen Chatten vorzugsweise kraft des fuszvolks beige-
499 messen wird. Warum sollten die am Oberrhein niedersitzenden sieg-
reichen Alamannen nicht überhaupt als nachkommen jener alten Sueven
betrachtet werden, zu welchen schon Ariovist gehörte?
Wenn aber die peutingersche, unter Alexander Severus verfaszte
tafel die silva marciana , d. h. den Schwarzwald (marki musz bedeu-
tet haben was ags. myrce, altn. myrkr tenebrosus) zwischen Suevia
und Alemannia scheiden läszt und noch bis auf heute dies Waldgebirge
schwäbischen und alemannischen volksschlag trennt; so schadet das
der alten gemeinschaft beider stamme nichts, der alemannische narae
haftete am Oberrhein und im westen, der schwäbische tiefer im osten,
jener in der französischen nähe, dieser mehr nach deutschem Sprach-
gebrauch. Otfried, ein Aleman, sendet sein buch ausdrücklich cin Suä-
borichi' nach Sanctgallen, das doch in Alemannien lag, also zogen da-
mals die Deutschen den schwäbischen namen vor, wie noch lange
nachher Alemannien zum schwäbischen herzogthum und kreis gerech-
net wurde, niemand darf die lex Alamannorum auf den alemannischen
landstrich einschränken, noch umgekehrt ihm den Schwabenspiegel ent-
* bekannt ist die einfältige, durch Isidor verbreitete etymologie: Alemanni a
fluvio Lemano (dem lacus Lemanus.)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
«ramm-
SUEVEN. ALAMANNEN. ARMILAUSI
349
500
ziehen. Es ist ein und dasselbe volk, in dessen spräche und gebrau-
chen* nach den gegenden die mundart abweichen kann. Durcli das
ganze mittelalter bis auf heute hat sich der glanz und rühm der Schwa-
ben behauptet.
Noch einen andern längst erloschnen, allem anschein nach alten
und echten volksnamen überliefert Peutingers tafel, zwischen Aleman-
nen und Marcomannen die Armalausi, die auch bei Aethicus als Arma-
lausini aufgeführt werden, eine offenbar deutsche, von der tracht her-
genommne benennung: sie trugen kleider ohne ermel, oder nakte arme,
während alle ihre nachbarn diese verhüllten, solch ein gewand hiesz
armilausia, weil es nur die Schulter, nicht den arm deckte; Isidor 19,
22 sagt: armelausa vulgo vocata, quod ante et retro divisa atque
aperta est; in armos tantum clausa, quasi armiclausa, C litera ablata,
gevvis eine falsche deutung. man hat aber das wort eher zu einem
keltischen machen wollen, als seine deutsche abkunft anerkennen, ent-
scheidend ist das altn. ermalaus sine manicis, und ermalaust fat =
f%(ü(jilg oder xoloßiov. Bekanntlich entblöszten die Deutschen groszen-
theils ihren leib: pellibus aut parvis renonum tegumentis utuntur, magna
corporis parte nuda. Caes. 6, 21. tegumen omnibus sagum, fibula
aut si desit spina consertum; cetera intecti totos dies juxta focum at-
que ignem agunt. Tac. 17, ein bild des in die härenhaut gehüllten,
sonst nakten kriegers.
Weiter im osten wohnten die suevischen Iuthungi, deren Ammian
17, 6, Idatius und Prosper beim j. 429 meldung thun. bei Eume-
nius cap. 10 und Sidonius 7, 233 wird Vithungos in Iuthungos leicht
zu bessern. Byzantiner schreiben ’lov&ovyyoi. ich verweise auf die
fleiszige forschung bei Zeusz s. 312—314 und füge blosz hinzu, dasz
man auch bei Tacilus cap. 40, wenn er Reudigni, Aviones, Anglii, Va-
rini, Eudoses, Suardones und zuletzt Vithones aufzählt, aus diesen
Iulhontes machen möchte, als mannsname dauert Iuthungus noch in
spätem ahd. und mhd. denkmälern fort, urkunden bei Meichelbeck 19.
88. 117 liefern Eodunc und bei Neidhart (Ben. 328) liest man Iedunc. 10,56£
alle diese namen leiten sich wol von dem altn. iod proles, wozu das
part. audinn genitus, concessus, ags. eäden, alts. ödan gehört, mit D
für T11 (wie im ags. vorden, alts. wordan factus von veordan, werthan
fieri), was einen inf. ags. eädan, alts. ödan vermuten läszt. ahd. ent-
spräche ödan gignere, ötan genitus. Sollte aus dem unbegreiflichen
Idumingum im cod. exon. 323, 32, die neben Edstftyringum und Istum
stehn, Idungum, Eodingum gebessert werden dürfen? auch eine östreich.
urk. von 1241 MB 29 b, 289 hat einen<Marquardus plebanus de Idun-
IßweU
ya.
13
* für suevisch oder älamannisch, auf allen fall heidnisch hat man die neu-
lich am Lupfen bei Oberflacht ausgegrabnen und durch den würtembergischen
alterthumsverein hekannt gemachten todtenbäume (oben s. 5) zu halten; wer aber
entscheidet schon, ob sie dem vierten jh. oder noch älterer zeit angehören? be-
merkenswerth sind unter dem hölzernen geräth die todtenschuhe, die symbolischen
künde und das geigenartige instrument; gleich den Gothen (s. 480) übten also
die Alamannen musik.
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350
SUEVEN. AHMILAUSI. IUTHUNGE
501 gespiuge, ich denke für Iedungespiuge. Diese Juthunge waren eigent-
liche Sueven, die noch neben den Alamannen ihren alten namcn be-
haupteten und deren einfälle in Rhätien und Italien die geschichte
kennt: unter den Suevis und Alamannis hei Iornandes cap. 55, den
2ovußoig xal 3AXa^iavoig bei Procop b. goth. 1, 12 müssen sie
gemeint sein und es kann nicht auffallen, dasz bei den Langobarden,
wie schon früher, auch in Italien Sueven genannt werden. Paulus
diac. 3, 18 sagt von einem Droctulfus: iste ex Suavorum, hoc est
Alamannorum genere oriundus inter Langobardos creverat et, quia erat
forma idoneus, ducatus honorem meruerat, worauf sich auch seine 3,
19 folgende grabschrift bezieht.
Berühmt sind die Sueven, welche im fünften jh. mit Alanen und
Vandalen nach Gallien und über die Pyrenaeen nach Spanien zogen,
wo sie (zumal in Gallicien und Lusitanien) ein suevisches reich stifte-
ten , das bis zum j. 583 neben dem westgothischen und vandalischen
fortbestand. in diesen Sueven erblickt Zeusz s. 457 nachkommen der
alten Semnonen, wofür doch der grund, dasz sie nichts mit den
Iuthungen gemein zu haben scheinen, schwerlich ausreicht, ihre bei
Idatius und Isidor überlieferten königsnamen Rechila Masdra Audica
haben goth. -a statt des suevischen -o, was aber der auffassung durch
schriftsteiler, die an goth. form gewöhnt waren, beigemessen werden
dürfte, und es erscheint daneben auch Miro. Frantanes mag aus Fran-
canes d. i. der lat. form für Franca entstellt sein, und dem Maldra
bei Idatius ziehe ich Isidors Masdra vor, wozu sich altn. Mördr und
ahd. mardaro caro viva vergleichen, im fünften jh. hätte dies wort
also noch S und kein R gehabt. Remismundus enthält das goth. rimis
rjav/Ju, das wir nur aus der einzigen stelle II Thess. 3, 12 schöpfen
können und das ohne zweifei auch andern deutschen Stämmen zustand.
Es ist gleichwol möglich, dasz diese Sueven, von denen wir sonst
gar nicht unterrichtet sind, sich mehr zu der gothischen als ahd.
spräche neigten, wie auch ihre gemcinschaft mit Alanen uud Vandaleu
anzuzeigen scheint.
502 So viel hier von den Sueven. über die Baiern, nachdem Zeusz
durch gründliche forschung den meisten Schwierigkeiten abgeholfen hat,
kann ich mich kürzer fassen.
Die Baiern sind ein deutsches volk mit keltischem namen. in
den drei oder vier ersten jhh. unsrer Zeitrechnung heiszen sie nur
Markomannen und erscheinen zwischen Gothen, Hermunduren und Sue-
ätw6wven im gebiet, das sich von den Sudeten und der Elbe an bis zur
6w> i*Ka*vD°nau erstreckt, d. h. im heutigen Böhmen, früher Böheim, Bojolie-
Dmus, woraus sie den keltischen stamm der Bojen vertrieben hatten*,
i Juxta Ilermunduros, sagt Tacitus cap. 42, Narisci ac deinde Marco-
* Zeusz über die Herkunft der Baiern s. 25 — 31 (vgl. sein gröszeres werk
s. 366) tliut aus berichtigten stellen des geogr. rav. dar, dasz in verlornen, die-
sem noch vorliegenden nachrichten des Gothen Markomir fränkische d. i. germa-
nische Baiern aus dem Elbland (Bajas) stammen.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
MARKOMANNEN
mani et Quadi agunt. praecipua Marcomanorum gloria viresque, atque
ipsa etiam sedes, pulsis olim Bojis, virtute parta, nec Narisci Quadive
degenerant. eaque Germaniae velut frons est, quatenus Danubio pera-
gitur. Sie bilden südwärts die vorderseile Deutschlands.
Gleich dem der suevisehen Alamannen ist ihr name mit einem
allgemein in deutscher zunge erklingenden und an den mythischen ahn-
herrn erinnernden worte gebildet. Tacitus schreibt Marcomani, wobei
ihn entweder Germani oder rücksicht auf die gallischen Cenomani und
Paemani leitete; doch steht bei Caesar 1, 51 seihst Marcomanni, ich
weisz nicht, oh den besten hss. gemäsz. hei Florus und Vellejns
wird Marcomanni, hei Strabo, Dio Cassius und Ptölemaeus Magxo-
(.luvoi geschrieben*. ohne zweifei drückt der name aus grenzbe-503
wohner, grenzmänner, von marka limes, wobei dahin gestellt bleiben
darf, oh der urbegrif des Wortes wald war, weil im alterthum grosze
Wälder (z. h. jene silva marciana) die Völkerscheide machten, jeden-
falls reicht die Vorstellung der grenze und des Zeichens in diesem worte
hoch hinauf und über die zeit, in welcher die Zusammensetzung Mar-
comanni das erstemal begegnet**, hei Helmold 1, 66. 67 heiszen
noch später die gegen Dänen und Wenden aufgestellten Deutschen Mar-
comanni, im Ruodlieb Ib, 52 aber die fremden nachbarn: alterius
regni Marhmanni valde benigni nostris, also deutlich: auf der grenze
hausende. Marcman ist darum gangbarer mannsname (z. h. in Dron-
kes trad. fühl. 6, 48), ohne dasz man sich darunter einen Marcoman-
nen oder marcomannischen abkömmling zu denken hat. wenn aber
auch Rüedeger, der sonst marcgräve lieiszt, klage 1359 noch mit dem
einfacheren ausdruck cder markman1 (Roseng. 679. 691. 855. 920.
1013 cder milte marcman1) belegt wird, so übersehe man nicht, dasz
er und der dichter des Ruodlieb beide altmarkomannischem boden an-
gehören, auf welchem diese benennung lebendiger als in andern deut-
schen strichen eingewurzelt war.
Gegen wen hüteten nun die Markomannen der Deutschen mark?
im osten, norden, westen stieszen sie selbst an andre deutsche Stämme,
und es legt wichtiges zeugnis ah für die uralte einheit aller deutschen
Völker, dasz zwischen ihnen keine eigentliche grenze, sondern erst
wider den fremden feind galt, also davon, dasz sie an der Donau im
Süden die grosze mark zu bewachen hatten führen Markomannen ihren
namen, sei es schon von der zeit her, wo in Noricum noch unabhän-
* Arrian, der unter Hadrian schrieb, anab. 1, 3 den lauf der Donau schil-
dernd gibt an, dasz sie bei keltischen (d. i. germanischen) Völkern entspringe,
deren hinterste Quaden und Markomannen seien, darauf folgen sarmatische Iazy-
gen, dann Geten (ol aTta^avari^ovres) und wieder Sarmaten, zuletzt beim aus-
flusz in den Euxinus Skythen, ihm sind die Geten keine Kelten, wie dem Taci-
tus die Daci keine Germanen, die vorgeschobnen Sarmaten, wie sie wirklich das
band zwischen Geten und Sueven, Daken und Quaden theilweise unterbrachen,
scheinen auch die römische ansicht von den Geten befangen zu machen.
** Marcodurum bei Tac. hist. 4, 28 ein vicus Ubiorum (Düren an der Ruhr),
auf der peuting. tafel Marcomagus.
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MARKOMANNEN
gige Kelten wohnten, oder erst seit es, unter August, in der Römer
504 hand gefallen war. zwar scheinen die bei Caesar in Ariovists lieer
genannten Markomannen für jenen älteren Ursprung des namens zu
streiten; sie könnten aber der grenze auf anderm punct wahrgenom-
men haben. Kelten gegenüber siedelten sich die Germanen sorglos an;
im angesicht kriegskundiger und eroberungslustiger Römer war ihnen
stärkere Vorsicht geboten.
In den tagen Augusts und Tibers war ein markomannisches reich,
das suevische und gothische Völker an sich gezogen hatte, emporge-
blüht. Slrabo s. 290. Maroboduus (ahd. Meripoto, mild. Merbote?)
an edelmut und Vaterlandsliebe dem Arminius weichend, unterlag römi-
scher macht und gewandtheit. Eine zeillang scheinen dann die Marko-
mannen abhängig von den Römern oder auszuruhen, hernach aber er-
mannen sie sich und die folgenden jahrhunderte sehn wir sie ihre
Streifereien ins norische, vindelicische und rhätische gebiet so lange
wiederholen, bis endlich, von nachrückenden Slaven selbst gedrängt,
sie auf demselben weg südwestlich fortschreiten, den ehmals die Bojen
vor ihnen eingeschlagen hatten, und ein beträchtlicher theil des landes
jenseits der Donau bis ins Tirol eigenlhum deutscher Völker wurde,
fürder war auf sie der markomannische name nicht mehr gerecht und
ein neuer tauchte auf: Bojovarii Bojoarii Bajoarii Bagoarii, ahd. Pai-
girä Peigirä Peiarä, mhd. Beier Beiger, nhd. Baiern*, d. h. die aus
Bojohem, jenem Baja (s. 502) stammenden, vielleicht auch die im
bojischen Noricum niedergesessenen, was aber schon Tacilus gesagt
habe (s. 166): manet adhuc Boihemi nomen, significatque loci vele-
rem memoriam quamvis mutatis cultoribus, ist bis auf heute wahr ge-
blieben, das bojische gebiet von der Elbe bis zur Donau behauptete
seinen namen unter deutschen Markomannen wie unter slavischen
Tschechen, ungefähr wie der name Helvetien fortdauerte, auch nach-
dem Alamannen und Burgunden das land überzogen hatten.
So undenkbar es ist, dasz die Gelen spurlos untergegangen und
nicht in den Gothen fortgesetzt sein sollten; eben so wenig läszt sich
505 annehmen, dasz der mächtige markomannische stamm im vierten jh.
versiegt sei ohne innern Zusammenhang mit dem neu aufquellenden
der Baiern. wie die Alamannen Sueven sind die Baiern Markomannen.
Da wir aber davon angehoben haben, dasz hochdeutsche spräche und
hochdeutsches volk wesentlich auf grundlage der Schwaben und Baiern
beruhe; kann es mit allem, was erörtert wurde, nur im einklang
stehn, dasz Tacitus in den annalen 2, 26. 62. 63 Maroboduus als
Suevenkönig darstellt und dasz der aussterbende Markomannenname sich
wieder in den der Sueven verliert (Zeusz s. 365.)
Glaublich erscheint, dasz des Tacitus Narisci, des Dio Cass. p.
1189 Nugiaral mit richtigem anlaut bei Plolemaeus OvuqigtoI für
OvaQiGxot genannt und dem namen nach die späteren Warasci sind,
welche zu anfang des siebenten jh. in Burgund, am Vosagus auftre-
* wer noch eyer, may schreibt, kann auch Bayern und laye (laicus.)
MARKOMANNEN. BAIERN. QUADEN 353
ten, vgl. Zeusz s. 117. 584 und mylliol. s. 73. Von den Sudeten
und aus dem Gabretawald, wo sie vor alters auftreten, können sie
im lauf der zeit in den fernen Süd wes ten gewandert sein, -asc oder
-isc pflegt nur persönlichen oder örtlichen Wörtern zuzutreten, ich
weisz aber den namen Var noch nicht auszulegen; vielleicht waren auch
die Varini oder Warni verwandt. Plin. 4, 13. Tac. cap. 40.
Berühmter und oft genannt sind die Quaden, deren Wohnsitz un-
ter allen suevischen Völkern der südöstlichste ins heutige Mähren und
den westlichen rand von Ungern fällt; hier mögen sie vor alters an
Sarmaten Geten und Daken gereicht sein, bei Strabo 290 ist rd rwv
KoXöovtov augenscheinlich verlesen und verschrieben für Kovddcov
(aus A ward A und Y verschob sich.) Marcus Aurelius Ant. setzt
am schlusz seines ersten buchs flg tavrov die worte : rd Iv Kovd-
Soig nQog reo r^arova (wie zu ende des zweiten: rd Iv Kuq-
vovvtio.) r^avovag ist der heutige Granflusz. bei Tac. stehn cap.
42. 43 Marconiani und Quadi immer zusammen, ann. 2, 63 wird ein
f[uadisches reich des Vannius gesetzt Danubium ultra inter flumina Ma-
rum et Cusum. Alarus ist March (sl. Morava), wovon Mähren seinen
namen führt, möglicherweise in bezug zu jenem marka grenze stehend,
Cusus entweder ein andres wort für Gran, oder die heutige Waag, 5CG
zwischen beiden, die Kovaöoi des Ptolemaeus erslreckei sich im
Marchgebiet von der Donau bis ins Waldgebirge und die 1 una silva
oder Manhart ist darin begriffen; in dieser gegend müslen früher Cae-
sars Tectosagen (oben s. 166. 167) gehaust haben. Capilolin in M.
Anton, c. 22 nennt neben einander Quadi Suevi Sarmatae und auch
bei Eutrop. 9, 6, Ammian 16, 10. 26, 4. 29, 6 erscheinen sie in
solcher gesellschaft Moesien und Pannonien verheerend. Wie das vierte
jh. sah schon das erste und zweite Marcomannen und Quaden in dem-
selben landstrich; Dio Cassius versichert uns, dasz beide zu Domitians
zeit mit den Geten oder Daken im blind standen, zu anfang des drit-
ten jh. treten BavÖiXoi Ma(jy.o[iavoi Kovddoi auf. Dio Cassius
p. 1305. Dem Ammian ist die Quadorum nalio parum nunc formi-
danda, sed immensnm quanlum antehac bellatrix. Seit dem fünften
jh. verlieren sie sich unter suevischem namen und man kann anneli-
men, dasz sie sich gleich den Markomannen und andern Sueven zwar
südwärts bewegten, allein auch Überbleibsel in Mähren, Österreich und
dem deutschen theile Ungerns hinterlieszen.
Des Vannius name begegnet genau dem alts. Wenni der trad.
corb. s. 344 (Falke 120), wird aber auch ahd. gewesen sein. Taio-
ßö/.iu()og bei Dio Cass. 1305 darf im zweiten theil an gotli. Eterpa-
mara (s. 480) erinnern. Vitrodorus Viduarii filius, und Agilimundus
bei Ammmian 17, 12, letzteres ist das langob. Agelmund.
Doch am merkwürdigsten ist des volfcs name selbst, und wie man
ihn auch fasse und deute, das wird unbestreitbar bleiben, dasz er noch
in dem eigennamen Kadolt oder Chadoldus, den wir bei mehrern ge-
rade österreichischen, mährischen oder deutschböhmischen gesclilech-
tern wahrnehmen, fortlebe, in Ulrichs von Lichtenstein frauendienst
23
QUADEN
erscheint von Velsperc Radolt, und der weise (orphanus) Sifrit Kadolt,
vgl. Helbl. 6, 129. 13, 72 und Chadoldus orphanus MB. 28 b, 103.
260, 429 (a. 1137. 1188. 1280.) ferner musz es ein verwandtes,
507 wie adal gebildetes subst. gegeben haben, mit welchem der mannsname
Chadalhöh (wie Adalhöh) Kadalöh zusammengesetzt wurde, alle ge-
schlechter, in denen solche eigennamen walten, scheinen mir altqua-
discher abkunft.
Ich bin aber unschlüssig wie diese namen erklären und es wird
darauf ankommen, ob ihnen kurzer oder langer vocal zustehe? für jenen
scheint zu streiten, dasz die Römer und Griechen nicht Quedi Kovrj-
doi wie Suevi 2ovtfßoi schreiben, obschon zuletzt auch 2ovdßoi auf-
taucht. quadus mit kurzem vocal wäre goth. qajas, auf welches die
wurzel qijtan qaf) nächsten anspruch hätte; wie von lat. dicere dig-
nus (f. dicnus) liesze sich von qijnan ahd. chuelan ein ähnlicher begrif
leiten; allein ein adj. qajts, ahd. chuad ist bisher nicht aufzuweisen.
Umgekehrt, für den langen vocal goth. qcfts, ahd! chuäd, chäd
böte sich gerade ein, wenigstens einzelnen dialecten zuständiges adj.
mhd. kät, mnl. qwaet, altfries. quid, das aus dem ablaul derselben
wurzel gezeugt die ungünstige bedeutung malus überkommen hätte,
und dem urverwandten welschen gwaeth malus, pejor entspricht, mhd.
heiszt Iveie der kAtspreche Er. 4663 d. i. lästerer, Verleumder, ganz
was mnl. quaetspreker. Rose 7634, vgl. quät spreken im hamburg.
Statut von 1270 s. 56; quädige galle ist Morolt 1379 schelte und
dem mnl. goeder töre steht häufig quader töre gegenüber*. Wie sich
nun im 14 jh. ein lierzog von Braunschweig, den man sonst den
tobenden hund nannte, gefallen lassen muste, Olto de quade zu heiszen,
könnten auch die alten Quaden diesen ihnen von nachbarn, wer weisz
bei welchem anlasz, gegebnen namen ertragen haben, dann wäre zu
schreiben Quädi und Kädolt, Chädalhöh.
Auf andere Völker, die sich Sueven oder Markomannen anzuschlieszen
scheinen, wird die betrachtung künftig zurücklenken; hier hat sie bei
508 der jetzt gewonnenen grundlage zu verweilen und das schwäbischbai-
rische element des hochdeutschen volks und seiner spräche noch unter
andere gesichtspuncte zu stellen.
Wüsten wir mehr von dem heidnischen glauben beider Stämme,
unser blick würde sich wesentlich erweitern, gleich den Thrakern
Geten Daken waren sie Verehrer des kriegsgottes, d'tQdnovTtg A^rjo;
wie Homer sagt, Aqtwg xe &eQU7itvxa(, wie es in Platons Phaedrus
heiszt. von Ares, als Hefästs fessel gelöst war, wird Od. 8, 361
gesagt: Qgfjxyvde ßtßtjxei, und der scholiast fügt hinzu; (filonoh-
j-ioi. (.itv ol Qgdxeg xal dcpcoQiajiitxoi rw Aqu. Akinakes war bei
Skythen und Geten gefeiert (s. 120. 187), Daken galten für Aresdie-
* abgeleitet ist ahd. chfät, chot stercus, ags. cva;d, mhd. kät Helbl. 5, 24.
95. quät Morolf 385, nhd. koth, ein euphemismus, der eigentlich aussagt: das
schlimme, schlechte, vgl. chwätchever mistkäfer Sumerl. 38, 28 und quätsac
Renn. 6974.
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7
'................................. ■"
SUEVEN. BAIERJ*
355
ner (s. 188. 221), auch den Tencterern läszt Tac. hist. 4, 64 Mars
praecipuus deorum sein, kriegerischen Völkern und namentlich allen
Deutschen wird dieser schwertcultus jzum allgemeinen kennzeichen (my-
thol. s. 179); auf die Suardones und Sveordveras ist schon hingewie-
sen worden (mythol. s. 839) und selbst im namen der den Marko-
mannen benachbarten Cherusken scheint die Vorstellung des schwerts
enthalten. Wie die Quaden eductis mucronibus eid schwuren (RA.
166) galt nach der lex Alam. 44 (vgl. addit. 22) ein Ccum tracta
spata se idoneare\ Bedeutsam bleibt es, dasz die alten Schwaben
geradezu Ziuvari genannt werden, d. i. Martern colentes (mythol. s. 180)
und vielleicht in dem mhd. ausruf: ziu dar näher! Parz. 651, 11,
woraus das spätere ziether! MS. 2, 17a und zeter, zetter! (RA. 877.
gramm. 3, 303) entstanden sein könnte, des gottes name fortgeführt
wurde; dann brauchen wir keiner keltischen auslegung (Haupt 5, 513.)
Zio und Er, Eor waren aber nur verschiedne namen desselben gottes
und wenn bei Er an heru, goth. hairus wie an und uoq ge-
dacht werden darf (mythol. s. 184), so öfnet sich hier ein merkwür-
diger gegensatz. Markomannen und Cherusker scheinen den kriegs-
gott Cheru Heru Eru, Sueven aber Tiu Zio genannt zu haben, wozu
stimmt, dasz bis auf heute der dritte Wochentag in bairischer Volks-
sprache ertag iertag erchtag (mit umgestelltem H?), in schwäbischer
ziestag zistag heiszt (mythol. s. 183.)
Auch Berhtacultus, insofern wir seiner noch aus dem letzten nie-509
derschlag in volkssagen habhaft werden, erstreckt sich augenschein- •
lieh über markomannische und bairische landstriche und in Schwaben
bricht ein männlicher Berhtolt vor; thüringische und hessische gegen-
den weisen Berhtas amt an Ilolda, elbische an Freke, und dieselbe
mütterliche gottheit musz vor alters Nerthus gewesen sein, es ist für
Völker und Sprachgeschichte von groszem werth noch mehr solcher
faden zu festigen.
Wie unsre mythologie streben musz das eigne eines jeden Stamms
zu ermitteln und festzusetzen, damit die richtung des ganzen desto
deutlicher erkannt werde; kann auch die geschichte der spräche und
des rechts ihr ziel nicht erreichen, bevor die einzelnen und besonde-
ren triebe und schichten aller theile des volks entwirrt sind, wir
haben bis in alle laute, flexionen und Wörter zu forschen, wo sich
schwäbische und bairische mundart begegnen oder abstoszen, wiederum
wo sie zusammen oder einzeln mit der gothischen und sächsischen
stimmen oder von ihnen abweichen, ein beispiel solches einklangs war
dul|)s und tuld (s. 72) und vielleicht kölikn chilecha (s. 318); andere
sollen im verfolg angeführt werden.
Ähnliche züge der Übereinkunft und Verschiedenheit gewähren uns
die gesammelten volksrechte beider Stämme, gemeinsam ist ihnen
das wergeld von 160 sol., gemeinsam der ausdruck saiga oder saica
für denar, gemeinsam das technische taudragil (RA. 94), dessen deu-
tung sich mythol. s. 746. 1026 bestätigte, eigentümlich aber war
das bairische, noch spät ins mittelalter fortgesetzte ohrzupfen (RA.
23*
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HOCHDEUTSCHE
144. 145) das stapfsaken (RA. 927) und der alamannische nasteid,
wobei frauen die band auf ihre haarflechte legten (Haupt 4, 472) oder
das aufhängen des hunds über der thür (RA. 665, vgl. halt. stud. 7,
2, 14.) Aus dem was die lex Alam. 80 und add. 42 über den con-
cubitus mit puella geneciaria und das alterius puellam de genicio ra-
pere verordnet, schlieszt Davoud 1, 337 nicht unbefugt, dasz bei den
Alamannen noch 600, 700 jahre nach Tacitus Vielweiberei als concu-
510binat häufig war (vgl. oben s. 189); Ducange s. v. gynaeceum bat
viele stellen gesammelt welche darlegen, dasz zwar dieser ausdruck
ein haus oder gemach bezeichnete, worin mägde webten oder wirkten
(wercgadem Iw. 6187), dasz aber die herrn an solchen orten frauen
zu unterhalten pflegten.
Das bairische gesetz 2, 20 zählt edle geschlechter auf: Hösi,
Draozä, Faganä, Hahilingä, Aennienä, isti sunt quasi primi post Agi-
lolfingos, qui sunt de genere ducali, unter welchen Hahilingä an die
Hegelinge des Gudrunlieds, Aennienä aber an die Aenenas des ags.
Vidsidlieds mahnen, wo es 322 heiszt
'mid Englum ic väs and mid Svaefum and mid ^nenum’;
wieder ein zeugnis für der Angeln Schwaben und Baiern Zusammen-
hang. Rabenschlacht 491 wird ein hehl Enenum namhaft gemacht,
über die Hösi oder Huösi, Draozä (oder Thrözzä) und Faganä (exsul-
tantes, von fagan altn. feginn gaudens, vgl. golh. faginön yalqtiv)
weisz ich sonst nichts*.
Berühmt ist die schwäbischbairische heldensage von Welf und
den Welfen, deren berührung mit der skirischen schon s. 468 ange-
deutet wurde und worauf ich bei den Chatten nochmals zurückkom-
men will. Auch wird die gothische mythe von Attila, den Hünen und
Theoderich diesen hochdeutschen nachbarn, zumal Markomannen und
Quaden, nicht vorenthalten geblieben sein, da wir noch am schlusz
des zwölften jh. das epos von den Nibelungen in Österreich wurzeln
sehn. Mir fiel auf, dasz im Waltharius 1009 die beiden Guntharius
von Worms, Tanastus von Speier, Trogus von Straszburg gewisser-
maszen noch als Vertreter der alten Vangionen, Nemeten und Tribokcn
angesehn werden dürfen. So tief wurzelt in der heldensage alter
stammunterschied.
Es kann kein zufall dabei walten, dasz sich in Schwaben und
Baiern, wie die ganze natur und gewalt der hochdeutschen spräche,
511 so auch unsrer alten poesie kund gegeben hat. alles was die grund-
lage der deutschen literatur macht, geht von diesen beiden Stämmen
aus, wie Otfried und Notker bezeugen. Otfrieds gedieht, wenn man
es zu dem fast gleichzeitigen eines namenlosen Sachsen hält, musz das
lebendigere scheinen, weil es von eigner, obschon mäsziger kraft ge-
tragen wird, im Heliand nur überlieferte alte weise, ohne alle eigen-
thümlichkeit nachhallt, dieser Sachse weisz nichts von seinem vater-
München 1834
1
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* Huschberg in dem buche: Scheiern und Wittelsbach.
$. 55 — 61 soll von diesen geschlechtern handeln.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
HOCHDEUTSCHE
357
land noch von sich zu singen, Olfried ist des fränkischen namens voll;
dasz er von gebürt ein Schwab war, wie er alamannisch dichtete,
wurde s. 499 gesagt. Über dreihundert jahre nach ihm hob sich die
hochdeutsche poesie und spräche, und auszer den Nibelungen, deren
bester theil wahrscheinlich Österreich angehört, ist Wolfram in Baiern,
Hartmann und Gotfried in Schwaben auferstanden.
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DIE FRANKEN.
512 Was den Sueven am obern Rhein mislungen war vollbrachten
später andere Deutsche am untern, den auch die Römer nicht so kräf-
tig schützen konnten wie jenen, seit dem dritten und vierten jh. strö-
men deutsche häufen unaufhaltsam durch die Niederlande nach Gallien,
bis es ihnen zuletzt als beute erliegt, schon in vorausgehenden zeiten
waren Deutsche unter besonderem und allgemeinem namen dort er-
schienen, oder gewaltsam dahin verpflanzt worden; vom dritten jh. an
treten sie mit dem vorher unerhörten, vielleicht aber lange bestandnen
gesamtnamen der Franken auf, dessen rühm noch heute die geschickte
erfüllt, bevor ich die nur scheinbar älteren einzelnamen anführe, for-
dert er selbst erklärung.
Franci Francorum, ahd. Franchon Franchönö, ags. Francan Fran-
cena, aber altn. Frakkar Frakka führt sich auf den begrif frank und
frei zurück, welche Wörter (mhd. frech und fri, nnl. vrij en vrank)
wir gern in eine formel binden, im prolog des salischen gesetzes
nennt sich die gens Francorum selbst inclyta, audax, velox et aspera.
aus der goth. Wurzel freis liber entspringt sowol friks audax, avidus*,
513 als ein fraggs entspringen dürfte, die götternamen Fria Fricka Fricco
sind wie Libera Liber und der ausdruck fri femina unmittelbar ver-
wandt. N tritt zu wie in jiakka danchön, hlekkr hlancha, liqui lin-
quo, \uioq link, und vielen andern, nennt Libanius (ed. Reiske 3,
317) in der mitte des vierten jh. die rheinischen (ÜQayxoi (bei Julian
und Procop Oqüyyoi) immer Oquxtol mit der deutung td-vog nt-
(fQay(.uvov 7iQog tu twv noXe/Liwv tQyu, so könnten auch des Pto-
* Sigebertus gembl. bei Pertz 8, 300: Valentinianus Francos attica lingua
appellavit, quod in latina lingua interpretatur feroces (das tpQaxrös bei Libanius
meint aber bewafnet.) diese herleitung hat auch Ermoldus Nigellus im sinn
1, 344:
Francus habet nomen a feritate sua
vgl. 359 France ferox! Man könnte den namen auch aus der von Valentinian
verliehnen abgabenfreiheit deuten, vgl. Pertz 8, 115.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FRANKEN
359
lemaeus sivuQToepQcuaoi} auf ganz anderm boden, schon cpQayxoi
heiszen; das ist besser als ein s. 199 herbeigeholtes präht*.
Gleich den Sueven oder gothischen Balthen (s. 447) führen also
die Franken den namen der freien; um so bedeutsamer klingt z. b. in
der marchia ad Wirziburg das lfrierö Franchönö erbi\
Es ist eine andere ableitung vorgeschlagen worden: aus goth.
hramjan figere stamme fränkisches adchramire und (nach Wechsel zwi-
schen CH und PH s. 349) adframire, die mishandelte framea, das ags.
diminutivum franca (für frameca), daher der name Franken**.
Dasz mit ihm framea Zusammenhänge leuchtet mir sehr ein, und 514
baarer angabe des Tacitus zufolge war es ein deutsches wort: rari
gladiis, sagt er cap. 6, aut majoribus lanceis utuntur, hastas vel cip-
sorum vocabulo’ frameas gerunt angusto et brevi ferro, sed ita acri
et ad usum habili, ut eodem telo, prout ratio poscit, vel cominus vel
eminus pugnent, et eques quidem scuto frameaque contentus est. auszer-
dem heiszt es cap. 11 frameas concutiunt, cap. 13 scuto frameaque
ornare, cap. 14 cruentam victricemque frameam, cap. 18 scutum cum
framea gladioque, cap. 24 inter gladios atque infestas frameas. zwi-
schen gladius und framea tritt deutlicher unterschied hervor, framea
ist hasta oder minor lancea. weder in den annalen noch historien ^ TYleiji
begegnet der ausdruck. n ., ]r
kurz ^ Ku/Wtt
et
Auch keiner der älteren classiker beinahe gewährt ihn, nur
vor Tacitus hatte Juvenal gesungen 13, 78
per solis radios tarpejaque fulmina jurat,
et Martis frameam et cirrhaei spicula vatis,
welche stelle nachher eine bei Marc. Capelia 5, 425
Gradivi frameam non ausus poscere
im sinn hat. unter den telorum et jaculorum vocabulis bei Gellius 10,
25 fehlen nicht frameae, catejae, rumpiae (vgl. oben s. 461); aber
dasz die beiden folgenden kirchenväter den von Tacitus aufgestellten
begrif des worts nicht mehr vor äugen hatten, zeigen ihre erklärun-
gen. Augustinus epist. 120, 16. 140, 41. serm. 314, 4. 5 stellt
framea mit gladius gleich, enarratio in ps. 9, 8 hat er diaholi frameae
und in ps. 149, 12 frameae bis acutae in manibus eorum, framea für
6, m.
* überall erscheint Francus <pQayyos schon lautverschoben; urverwandtes P
(wie noch heute die Litthauer Franzose durch Prancus ausdriicken) würde nur in
der verderbten stelle der peutingerschen tafel Chamavi qui Elpranci aufzuweisen
sein, wo gebessert werden musz: qui et Pranci, oder Franci.
** Wackernagel bei Haupt 2, 558, vgl. Diut. 1, 330. Ducange s. v. adframire
und adramire; Waitz sal. ges. 243. 256. 276 hat nur adramire adchramire ad-
cramire achramire agramire. Bei Irmino erscheinen die eigennamen Frannus 68 b
Framninga 248* Framnoldus 260b Framhardus 216* Framengarius 12b Framne-
garius 225b 234b Framnoinus 63* Framoinus 34b Frambertus 94* Framberta 29 *
Framengildis 1* 12b 37* Framnehildis 223b Framnildis 162b 269“ Frainneil-
dis 272b Framnedrudis 274* Framnetrudis 94* Framtrudis 26* 93b Framen-
gaudia93", deren einzelne sicher mit Hram oderHramn zusammenfallen dürften,
z. b. Frannus Framningus mit Hrannus Hranningus, so dasz Framengaudia f.
Chramnegaudia und ahd. Hramköza stände, Framnoldus = Chramnoaldus.
inra-mpr
Krei>cfe-i^e>v -
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360
FRANKEM
spata. Isidorus orig. 18. 6, 3 sagt geradezu: framea gladius ex utra-
que parte acutus, quam vulgo spatham vocant. framea autem dicta
515 quia ferrea est, nam sicut ferramentum sic framea dicitur, ac proinde
omnis gladius framea. in der vulgala ps. 35, 3 wird das i'xytov
Qo/ucpaiav der LXX effunde frameam richtig übertragen, von Notker
aber verdeutscht: kebreite din suert. nach Augustins und Isidors
Sprachgebrauch verwendet der dichter des Wallharius 1016. 1376 fra-
mea für schwert*, nicht für speer, und ohne dasz ihm irgend ein
deutsches wort im hintergrund schwebt.
Wie sollte auch elwan aus der partikel fram porro, ultra oder
dem mhd. masc. frame für entfernung (Servat. 332) die Vorstellung
einer waffe folgen? allenfalls wäre framea projectio, projectura, pro-
jectibile? Man hat unpassend das nhd. pfrieme, nnl. priem, d. i. ags.
preon, altn. prion, dän. preen spinther, filum ferreum verglichen, wo-
rin PR unter der Voraussetzung stimmen könnte, dasz dem framea ein
unverschobnes pramea vorhergieng, der diphthong aber abweicht und
der begrif noch mehr. In framea das alul. rama (nicht räma) instru-
mentum textorium (Graff 2, 205) mhd. rame (Iw. 6199. Trist. 4692)
wenn gleich ein spannendes, heftendes Werkzeug zu sehn, Francho
aus Hramicho zu deuten fällt mir doch schwer, in jenen eigennamen
(s. 513. 514) erschien Framne- als jüngere, Chramne- als ältere form,
da doch im lat. framea gerade FR das höchste alter für sich hat, und
im dritten jh. sogleich Franci 0Qayxoi, niemals Chranci Xpctyxol,
noch später Ranci vorkomml. die ganze Zusammenstellung zwischen
frank und frei, die doch tief begründet scheint, gienge verloren.
Lieber möchte ich diesmal den volksnamen nicht aus der waffe
leiten, sondern die waffe aus ihm; wie wenn framea nichts als ent-
stellung aus franca wäre? dem siebenmal wiederholten framea bei
Tacitus wird freilich nichts anzuhaben sein, doch im juvenalischen
verse könnte schon Martis francain gestanden haben und daraus fra-
meam verlesen sein, bei der alten uncialschrift mischen sich nc und
516m öfter, für nunc wurde num, für tune tum gesetzt**; nicht weisz
ich ob römischem ohr framea mehr zusagte als franca, da ihm manca
ancus sancus geläufig waren, das e nach c durfte der abschreiber
oder Juvenal selbst nicht entrathen, framam und franceam (obschon
analog dem lancea ^oyyjtf) hätten beide dem verse nicht getaugt***,
aber auch dem Juvenal dürfte framea bereits festgestanden haben,
wenn es nur in einer wenig älteren uns abgehenden stelle, ich will
einmal sagen des Plinius aus franca verderbt war, wie aus dem ad
sua tutanda des Tacitus ein sia tutanda und bei Ptolemaeus ein ort
J5’iaxovrüvöa hervorgieng.
* Ademar (Pertz 6, 125): diverberatum cadaver frameis = gladiis; vgl. fra-
mea nccari (Pertz 5, 247.) Q-udu Gvo^.+cay. 3,
** Drakenb. zu Liv. II. 12, 15. Cortius zu Lucan 1, 60. 167. III. 197. 443.
Spalding zu Quinct. V. 10, 102; erwäge man etiam nunc und etiam num.
*** Saxo gramm. ed. Müller 72 scandiert framea — für w w w.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FRANKEN
361
Meiner Vermutung stark zu statten kommt nun, dasz in der ags.
spräche sich genau ein solches france (nicht franca) Caedmon 119, 20
und Byrhtnod bei Thorpe 123, 29. 125, 19, in der altn. aber frakka
Sn. 216a erbalten hat, und zwar nicht in der bedeutung von gladius,
sondern der echten alten von jaeulum oder missile; bei Sachsen und
Scandinaven sollte france, frakka, bei andern Germanen (und unmit-
telbaren Vorfahren der Franken) framea, nicht franca gegolten haben?
Isidor trat der Wahrheit ganz nahe, hätte ihm nicht sein einfältiges
ferramentum den weg verschlagen, da er am schlusz des capitels auf
die secures zu reden kam und hinzufügen konnte: quas et Ilispani
ab usu Francorum per derivationem franciscas vocant. nannten aber
die Westgothen noch im siebenten jh. ein wurfbeil francisca (goth.
fragkiskö?) so musz die franca eigenthümliche waffe der jüngeren Fran-
ken geblieben sein und das jaeulum verträgt sich mit dem eminus fe-
rire. eine alte glosse in Nyerups symbolae 355a nachdem sie die isi—
dorische erklärung gegeben hat, lährt fort: est etiam framea hasta
longissima, und Papias und Joannes de Janua deuten franciscae durch
secures oder signa quaedam instar securium quae Romae ante consu-517
les ferebantur. Bei Gregor von Tours, meines Wissens, kommt fran-
cisca nicht vor, wol aber 2, 27 bipennis, 9, 35 projecta securis;
bei Flodoardus 1, 13 hinter einander: franciscam projecit in terram
und dann bipennem, in derselben erzählung, wo Gregor 2, 27 beide-
mal securis gebraucht hatte. Aimoin aber 1, 12 hat gladius und fran-
cisca mit dem zusatz quae spata dicitur, also Isidors deutung von fra-
mea. Hincmarus in vita Remigii: francisca quae vocatur bipenna*.
Dasz kein zweifei übrig bleibe an der fränkischen eigenthümlichkeit
der framea führe ich noch eine stelle aus Procops b. goth. 2, 25 an,
der sie ntXexvg nennt; zu seinen tagen waren Franken mit Theode-
bert nach Italien gekommen: inntag /.tiy oXlyovg xivdg ä/ucpl xbv
fjyov/.ieyoy iyoyxtg, oV drj xal /liovoi doQaxa i'cptQOv. oi Xoinol di
nityl anuvxtg ovxt ro£« ovxe boQaxu i'yoyxeg, uXXd tycpog xe xal
uanlÖa q>tqwv txaaxog xal niXtxvv tva. und 2, 28 prahlen vor
Vitigis der Germanen d. i. Franken gesandte: xb /uiy ovv oxQaxone-
bov ävÖQcov juayj/LUOv ovy xjaooy ij ig [.ivQiäöag ntvxi]xovra ijdrj
nov xagAXntig VTUqßeßrjxivai oio/ue&u, ovg ntXtxtai xrjy ‘Pw/uatcoy
gxqutiuv %vf.inaaav iv xfj nQCoxr] oQuij xaxuytbotiv avyovf-itv. Noch
damals lag, wie früher bei Chatten, ihres heeres kraft in den fusz-
gängern, aber diese und reiter waren nur mit schihl und franke be-
wafnet, deren angustum, breve und acre ferrum wol sicher zweischnei-
dig war, was von selbst auf bipennis und gladius ex utraque parte
acutus führte. Sogar die doppelform franca und francisca wird durch
den volksnamen Franciscani gerechtfertigt, die des Aethicus cosmo-
graphie deutlich an der Franken stelle setzt.
* bemerkenswerth sind vielleicht noch die ahd. glossen ploh framea (Graff 3,
359), pflüg, weil er wie der speer den acker aufreiszt? stapasuert framea (Graff
6, 612) vgl. oben s. 235 skälm framea.
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FRANKEN
Wer diesen erörterungen gefolgt ist wird sich davon überzeugt
haben, dasz franca und francisca dieselbe, den Franken eigne und
nach ihnen benannte walle waren, wiederum aber mit beiden die bei
Tacitus als germanisch, d. h. zunächst fränkisch geschilderte framea
Zusammenfalle, selbst abgesehn von dem herstellbaren gleichlaut des
518 namens, dem ferrum acre et ad usum habile gleicht immer der
gladius ex utraque parte acutus, bis acutus, die bipennis oder ntXtxvg,
mag dem berichterstatter die Vorstellung des speers übergegangen sein
in die des wurfbeils und schwerts, da sich im laufe langer Jahrhun-
derte natürlich auch das geräth umgestaltete, im ags. lied von
Byrhtnod heiszt es deutlich cmid his francan ofsceAt1 mit seiner franke
schosz, und speer oder heil, nicht Schwert waren waffe zum schieszen
oder werfen, wie im Hildebrandslied sperü werpan und breton billiü
vorkommt, was zur beschreibung hei Tacitus stimmt *.
Rührt nun, wie ich annehme, framea aus franca, franca aus dem
volksnamen Franci her, so ist nothwendig dasz ein solcher schon
im ersten jh. wenigstens unter Germanen gangbar war und Römern
vor dem dritten bekannt geworden sein konnte, wenn ihn auch keine
erhabne schrift bewahrt, man müste denn in jenem AvuQTO(fQuxxoi
des Ptolemaeus eine spur entdecken.
Die gewöhnliche ansicht, der auf Peutingers tafel ** zuerst er-
scheinende Frankenname sei ums dritte jh. durch einen bund nieder-
rheinischer, vorher unter andern Benennungen gekannter Germanen
neu hervorgebracht worden, hat in meinen äugen geringen werth.
an uraltem, ununterbrochnem Zusammenhang deutscher stamme, in
festerem oder loserem verband, wird keiner zweifeln; aber ein frän-
kischer, alamannischer oder suevischer verein erklären mir nichts,
wenn sie nicht in ihrem beginn oder erfolg von der geschichte selbst
- deutlich hervorgehoben werden. Hatten die' Römer gerade nieder-
deutschen Stämmen schon geraume zeit hindurch den umfassenden
namen der Germanen heigelegt, so war ihnen ein andrer entbehrlich,
519 der wenigstens im unverstandnen ausdruck für eine germanische waffe
unter ihnen umlief. Auf dem boden, den die Deutschen des ersten
jh. einnahmen, mochten ihre nachkommen im dritten sich dasselbe
recht, warum nicht denselben namen? aneignen, nichts ist dawider,
dasz nicht auch schon zu Caesars tagen die benennung Franken, d. i.
freie männer erschollen sein sollte.
Vopiscus im Probus cap. 12 hat Franci inviis strati paludibus,
etwa ums j. 280, offenbar in gegenden, wo der Rhein sich dem meere
nähert, und noch Sidonius apollin. epist. 4, 1 nennt paludicolas Si-
cambros. deutlich Procop de b. golh. 1, 12: ‘Prjvog ig xbv loxiu-
* vergebliche arbeit scheint es, wenn II. Schreiber im taschenbuch 1, 152.
153 die schlanke, leichte und scharfe framea von der schweren francisca schei-
den und beide eisenwaffen dem ehernen, gallischen celt entgegensetzen will,
während Lisch die framea für einen speer und ehernen celt erklärt, Worsaae
den celt für eine axt. auf den celt lasse ich mich hier nicht ein.
** vgl. auch Vopiscus in Aureliano cap. 7.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FRANKEN. SIGAMBERN
vov xug txßoXug noitixou. Xl/nvcu re ivxavd-a, ov dz) rep/uuvol xo
nuXuiov wxrjvxo, ßd^ßaQoy i'&vog, ov noXXov \byov xo xux* uqydg
u£iov, o(i vvv (Dqdyyoi xahovrxcu; nur darüber schwebt er im ir-
thum, dasz diese jetzt gefürchteten Franken vor ,aRprc J^ein aufsehn
gemacht hätten, da doch Germanen unter ihrem ö“ ä 1 wie unter
besondern namen schon jahrhunderte lang der § «’ recken ge-
wesen waren und z. b. Julian im j. 356 mit d< en königen
in der gegend von Cöln zu schaffen hatte (Amn| l-J-ljf' pj 3.)
Die beginne der fränkischen geschichte 13.-®» § g ä wieder in
das Zwielicht der sage zurück. Gregor von '1 ijgji'rr * 8. weisz aufs
höchste anzuheben mit Genobaudes, MarcomertS^ §;° ^ *
der zweiten hälfte des vierten jh. zur zeit des SS'
io, die in
und Maxi-
: S g iamen der
-e § nd zweiten
g" ig prorupere,
mus in Gallien einbrachen. So wenig Valentin
Franken erfunden hat, werden auch die Franken c|
jh. unthätig geblieben sein. Gregor sagt: in
und versteht darunter das belgische Gallien; jfg-Sonnoque*
sind schon bei Claudian (de laud. Stilich 1, 24IF \ g ^ ^ und völlig
historisch, aber Sigebertus gembl. (Pertz 8, 3C>fjg'^!^_S' nach den
gestis Francorum: Francis post Priamum Priami §'§• 3 ^ :omirus et
Sunno filius Antenoris principantur annis XXXVI, w atu Franci
Sicambria egressi consedere secus Rhenum ins glermaniae;
unter diesem Sicambrien wird aber kein landstric? o en Rhein-
ufers, sondern geradezu Pannonie
davon musz das gerücht bereits z
er nicht unbemerkt läszt: trad
fuisse digressos. Rei Sigeber
namhaft gemacht, auf welche
werden kann. Unter alle,
einwanderung aus Asie
bald an Troja, Priamu
wandtnis es mit dem'
wird nachher erhellen.'
schon zu Tacitus zei
Laertes bezogen wurd
unter Germanen des
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wohnende sinn gesia
sondern benennung
und gar di < g, g-g-gemeint *. 520
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in Pann
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Asciburgium auf Ulysses und
Te Überlieferungen der Franken bereits
Wurzel geschlagen hatten,
namen der Franken wie der Sueven bei-
eiden höheres alter zuzutrauen, als die be-
elner Stämme anzeigen, die man unter ihnen
zu begreifen hat.
Am sichersten und unmittelbarsten auf die Franken zu beziehen
ist das volk der Sigambern, dessen die Römer von frühe an oft ge-
denken. Bei Plinius, wenn er die fünf germanischen hauptstämme
aufzählt und den dritten nennt, heiszt es: proximi autem Rheno Istae-
vones (f. Iscaevones), quorum pars Sicambri; die gewöhnliche lesart:
* man vgl. Ekkebardi chronicon bei Pertz 8, 115 und Heriger (Pertz 9, 176)
mit einzelnen abweicbungen.
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etwa ums j. 280, offenbar in Wegenden, wo der Rhein sich dem meere
nähert, und noch Sidonius apollin. epist. 4, 1 nennt paludicolas Si-
cambros. deutlich Procop de b. goth. 1, 12: lPtjvog tg xov wxea-
* vergebliche arbeit scheint es, wenn H. Schreiber im taschenbuch 1, 152.
153 die schlanke, leichte und scharfe framea von der schweren francisca schei-
den und beide eisenwaffen dem ehernen, gallischen celt entgegensetzen will,
während Lisch die framea für einen speer und ehernen celt erklärt, Worsaae
den celt fiir eine axt. auf den celt lasse ich mich hier nicht ein.
** vgl. auch Vopiscus in Aureliano cap. 7.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FRANKEN. SIGAMBERN
363
vbv rüg htßolag nottirai. Xi/uvai rt ivravd-a, ov Srj TtQ^iavol ro
nu'kuibv ojxrjvro, ßuQßaQov td-vog, ov noXXov Xoyov ro xax äg/äg
uE,iov, o(i vvv (DQayyoi xuXovvrcu; nur darüber schwebt er im ir-
thum, dasz diese jetzt gefürchteten Franken vor alters kein aufsehn
gemacht hätten, da doch Germanen unter ihrem allgemeinen wie unter
besondern namen schon jahrhunderte lang der Gallier schrecken ge-
wesen waren und z. b. Julian im j. 356 mit den fränkischen königen
in der gegend von Cöln zu schaffen hatte (Ammianus 16, 3.)
Die beginne der fränkischen geschichte treten gleich wieder in
das Zwielicht der sage zurück. Gregor von Tours 2, 9 weisz aufs
höchste anzuheben mit Genobaudes, Marcomeres und Sunno, die in
der zweiten hälfte des vierten jh. zur zeit des Valentinianus und Maxi-
mus in Gallien einbrachen. So wenig Valentinian den namen der
Franken erfunden hat, werden auch die Franken des dritten und zweiten
jh. unthätig geblieben sein. Gregor sagt: in Germaniam prorupere,
und versteht darunter das belgische Gallien; ‘Marcomeres Sonnoque*
sind schon bei Claudian (de laud. Stilich 1, 241) genannt und völlig
historisch, aber Sigebertus gembl. (Pertz 8, 302) meldet, nach den
gestis Francorum: Francis post Priamum Priami filius Marcomirus et
Sunno Filius Antenoris principantur annis XXXVI, quorum ducatu Franci
Sicambria egressi consedere secus Rhenum in oppidis Germaniae;
unter diesem Sicambrien wird aber kein landstrich des rechten Rhein-
ufers, sondern geradezu Pannonien und gar die Maeotis gemeint *. 520
davon musz das gerücht bereits zu Gregors künde gelangt sein, weil
er nicht unbemerkt läszt: tradunt enim multi eosdem de Pannonia
fuisse digressos. Bei Sigebert und Fredegar wird auch ein Francio
namhaft gemacht, auf welchen der volksname unmittelbar zurückgeführt
werden kann. Unter allen Deutschen scheinen gerückte von uralter
einwanderung aus Asien nachzuzucken, die sich bald an Alexander,
bald an Troja, Priamus und Aeneas zu knüpfen suchten; welche be-
wandtnis es mit dem sitz der Franken in Pannonien haben könne,
wird nachher erhellen. Gleichwol darf man nicht übersehn, dasz
schon zu Tacitus zeit das rheinische Asciburgium auf Ulysses und
Laertes bezogen wurde, also die Überlieferungen der Franken bereits
unter Germanen des ersten jh. Wurzel geschlagen hatten.
Der allgemeine dem namen der Franken wie der Sueven bei-
wohnende sinn gestattet beiden höheres alter zuzutrauen, als die be-
sondern benennungen einzelner Stämme anzeigen, die man unter ihnen
zu begreifen hat.
Am sichersten und unmittelbarsten auf die Franken zu beziehen
ist das volk der Sigambern, dessen die Römer von frühe an oft ge-
denken. Bei Plinius, wenn er die fünf germanischen hauptslämme
aufzählt und den dritten nennt, heiszt es: proximi autem Rheno Istae-
vones (f. Iscaevones), quorum pars Sicambri; die gewöhnliche lesart:
* man vgl. Ekkehardi chronicon bei Pertz 8, 115 und Heriger (Pertz 9, 176)
mit einzelnen abweichungen.
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364
SIGAMBERN
quorum pars Cimbri entsprang durch Vereinfachung des doppelt zu
lesenden S, worauf das folgende I getilgt und cambri in Cimbri ge-
ändert wurde, denn auch bei Caesar 6, 35 werden Sicambri bezeich-
net: qui sunt proximi Rheno, ihr gebiet lag dem der Eburonen gegen-
über, am Rhein zwischen Lippe und Sieg und erstreckte sich ostwärts
bis in das spätere Sauerland oder herzogthum Westfalen, fast zur
Weser hin.
Als Caesar den Rhein zu überschreiten trachtete und von den
521 Sigambern auslieferung geflüchteter Usipeten und Tenchtherer begehrte,
antworteten sie kühn: populi R. imperium Rhenum finire; si se invito
Germanos in Galliam transire non aequum aeslimaret, cur sui quidquam
esse imperii aut potestatis trans Rhenum postularet? doch nachdem
er die brücke zu schlagen begann, wichen sie auf jener flüchllinge
rath in die Wälder und lieszen den feind ihre dörfer und äcker ver-
wüsten. Nicht lange darauf erwiderten die Sicambern diesen angrif
durch einen zug über den Rhein ins land der Eburonen. b. gall. 4,
46. 18. 6, 35 — 42. Im j. 12 vor Chr. gieng aber Drusus über den
Rhein und besiegte die niederrheinischen und tiefer wohnenden Ger-
manen, bei FJorus 4, 12 heiszt es: inde validissimas nationes Cheruscos
Suevosque et Sicambros pariter aggressus est, qui viginti centurionibus
incrematis hoc velut sacramento sumpserant bellum, adeo certa victoriae
spe, ut praedam in antecessum pactione diviserint. Cherusci equos,
Suevi aurum et argentum, Sicambri captivos elegerant *. hier ragen
sie neben Cherusken und Sueven als germanischer hauptstamm hervor,
die schiacht mit den Römern hatte apud Arbalonem statt (Plin. 11,
18), wozu sich irgend ein westfälisches Arpeln oder Erpeln, vielleicht
der chattische Arpus vergleichen läszt. Auf diesen sieg des Drusus
gehn des Ovidius oder Pedo verse (consol. ad Liviam 13. 311)
ille genus Suevos acre indomitosque Sigambros
contudit inque fugam barbara terga dedit; —
nec tibi deletos poterit narrare Sigambros,
ensibus et Suevos terga dedisse suis.
Raid hernach lieszen die siegreichen Römer, wie sie schon früher die
Ubier vom rechten Rheinufer auf das linke versetzt hatten, auch einen
theil der Sigambern hinüberziehen (Sueton Aug. 21. Tac. ann. 12, 39)
was die Germanen augenblicklich schwächte, eben so sicher aber zu
späteren erfolgen auf gallischem boden, den jene im voraus eingenom-
men hatten, stärkte. Man darf nur nicht wähnen, dasz keine Sigambern
522 auf der rechten seite in der alten heimat zurückgeblieben seien, Strabo,
der s. 194 die Sugambern neben Trevirern, Nerviern und Menapiern
weisz, redet s. 290 ausdrücklich noch von einem solchen theil, nennt
auch sigambrische, in den aufstand der Cherusken verflochtne fürsten,
Ptolemaeus aber läszt sie später zwischen Bructerern und Langobarden
ungefähr den landstrich einnehmen, den sie zu Caesars zeit besessen
* wie in der heldensage oft wiederkebrt, dasz vor dem angrif die beute bis
ins einzelne getheilt wird.
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SIGAMBERN
365
hatten, nur dasz sie, wie es scheint, nicht mehr unmittelbar an den
Rhein stieszen.
Wenn es hei Horatius od. IV. 2, 33 heiszt:
concines majore poeta plectro
caesarem, quandoque trahet feroces
per sacrum clivum, merita decorus
fronde, Sygambros,
so könnte ihnen feroces schon beigelegt sein, weil zu dem römischen
ohr ein epithet dieser germanischen Stämme gedrungen war, das nach-
her ihren allgemeinen namen bildete; nannten suevische oder gallische
nachbarn den Römern diese Sigamhern feri oder feroces, wie nah lag
das dem deutschen ausdruck freie oder franke? Auch Juvenals (4, 147)
torvi Sigambri entsprechen dem germanischen bilde: Omnibus truces
et coerulei oculi bei Tacitus, wie die rulilae comae, obgleich allge-
meines kennzeichen aller Deutschen, noch ganz besonders zu Ovids
Worten (amor. I. 14, 39) stimmen
nunc tibi captivos mittet Germania crines,
culta triumphutae munere gentis eris,
o quam saepe comas aliquo mirante rubebis
et dices: empta nunc ego merce probor!
nescio quam pro me laudat nunc iste Sygambram;
fama tarnen, memini, quum fuit ista mei;
oder zu Claudians (de IV cons. Hon. 446)
ante ducem nostrum tlavam sparsere Sygambri
caesariem pavidoque orantes murmure Franci
procubuere solo,
wo zwar Sigambri und Franci geschieden, doch unmittelbar zusammen
genannt erscheinen. Martials ausspruch (de spect. 3, 9)
crinibus in nodum tortis venere Sicambri
mag zur Schilderung der Sueven bei Tacitus gehalten werden: insigne523
gentis obliquare crinem nodoque substringere. Gleich den blonden
locken wüsten die Römer aber auch die leibliche kraft deutscher krieger
in ihren vortheil zu verwenden, wie sich Claudian (in Eutrop. 1, 383)
ausdrückt:
militet ut nostris detonsa Sicambria signis *.
Von jenen unter August übergeführten Sigamhern hatten sie eine
sugambra cohors gebildet, die prompta ad pericula, cantuum et armo-
rum tumultu trux ihnen gegen die Thraker am Ilaemus (und vielleicht
gegen Geten) im j. 26 nach Chr. kriegen half. Tac. ann. 4, 47.
Diese legion soll nun in Pannonien gestanden, am Ister, da wo später
Buda gegründet wurde, eine Stadt erbaut und nach ihrem namen
Sicambria benannt haben, ungrische Chroniken melden ausdrücklich,
dasz von den Franken ein solches Sicambria an der stelle von Buda
gestiftet wurde **. Wie es sich immer damit verhalte, Zusammenhang
* Gratius cyneg. 202 liebt unter den jagdhunden die volucres Sycambros
hervor.
** z. b. Heinrichs von Miiglein ebronik cap. 3 und 8, vgl. Lazius de gent.
migrat. p. 52. Schwandtner script. 1, 43. 331. Bel notitia 3, 165. Zuerst in
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SIGAMBERN
rausz walten zwischen diesem pannonischen Sicambria und jener alt-
fränkischen sage, dasz die Franken aus Pannonien an den Rhein ge-
wandert seien. Sigeberts worte (Perlz 8, 300) lauten so: originem
gentis nostrae, regni scilicet Francorum, notificemus aliis ex relatu
524 fideli majorum. post illud famosuni trojanae civitatis excidium victo-
ribus graecis cedentes reliquiae Trojanorum cum Aenea ad fundandum
romanum imperium ad Italium perrexit, pars una scilicet duodecim
milia, duce Antenore, in fmitimas Pannoniae partes secus Maeotidas
paludes pervenit, ibique civitatem aedificaverunt, quam ob sui memo-
riam Sicambriam vocaverunt. in qua multis annis habitaverunt et in
magnam gentem coaluerunt, et crebris incursibus romanum solum in-
cessentes usque ad Gallias ferocitatis suae vestigia dilataverunt. Gesetzt
auch, dasz aus den fränkischen annalisten die ungrische sage geflossen
und jene inschrift geschmiedet sei; so überrascht mich doch, wie
dem von Attila erbauten und nacli ihm Elzelburc genannten Buda die
läge von Sicambria beigemessen wird, in unsrer Vilkinasage aber At-
tilas sitz nach Susat gelegt ist, wohin die Nibelunge entboten werden
und der wurmgarten (s. 126) liegt, in welchem Günther das leben
liesz. Susat kann nun nichts anders sein als das westfälische Soest
(alts. Sösat, ahd. Suosaz), gerade die älteste stadt in dem bezirk,
den wir Sigambern zur römischen zeit anweisen müssen, aus dem sie
über den Rhein in Gallien einfielen, dasz sie sich aus Pannonien er-
hoben hätten wäre sinnlos; schwebte fränkischen annalisten schon eine
sage vor, worin sich fränkisches und pannonisches Sicambrien misch-
ten? ein mythus, wie ihn die der Vilkinasaga zum grund gelegnen
lieder entfaltet haben mögen, nach welchem Franken, Ilunen, Friesen
dicht nebeneinander auftreten?**
Es wäre anziehend dem Ursprung der niederrheinischen oder
fränkischen heldensage näher auf die spur zu kommen, die sich gleich
dem groszen Rheinstrom zuletzt in den sand verliert, ich möchte sie
weder den nach Gallien versetzten Sigambern noch den zurückgeblieb-
nen ausschlieszlich, sondern beiden gemeinschaftlich aneignen, wie
525 auch das merovingische königsgeschlecht mit beiden zusammengehangen
haben musz; unter ihnen haftete noch lange der sigambrische name.
cum sis progenitus clara de gente Sygamber,
Apiani inscriptiones sacrosanctae vetustatis, Ingoist. 1534 p. 492 findet sich fol-
gende darauf bezügliche inschrift: 'legio Sicambrorum hic praesidio collocata ci-
vitatem aedificaverunt, quam ex suo nomine Sicambriam vocaverunt’, mit der an-
merkung: in Buda veteri lapis effossus Matthiae regis Ungariae tempore dum
fundamenta jacerentur aedium Beatrieis reginae. aus Apianus ist sie in Bonfinii
rer. hung. decad. 1 libr. 1 p. 25 und in Lazius comment. reip. rom. in exteris
provinciis constitutae, Francof. p. 603 und 951 aufgenommen, zuletzt in der to-
pographia magna Hungariae, Viennae 1750 p. 175 verbessert: legio S. hic prae-
sidio collocato civitatem condidit, quam ex suo nomine Sicambriam dixit. als
verdächtig und unecht fehlt sie ganz bei Gruter.
** Adam von Bremen 1, 3 (Pertz 9, 146) nennt Sicambri und Huni neben
einander, vgl. oben s. 475.
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SIGAMBERN. GUGERNEN
367
redet Venantius Fortunatus 6, 4 den könig Charibert an und dem
getauften Chlodoveus ruft Remigius die berühmten worte zu:
mitis depone colla Sicamber,
adora quod incendisti, incende quod adorasti! *
Wie den Römern ferox den Sicamber poetisch bezeichnete, mag um-
gekehrt in der fränkischen hofsprache die sicambrische benennung als
feine und feierliche fortgedauert haben. Klingen nicht auch die edel-
sten gestalten des fränkischen epos Sigi, Sigmund und Sigfried un-
mittelbar an den namen der Sigambern an? kann Sicamber entsprungen
sein aus vollerem Sigigambar? wir haben s. 463 ein ähnliches
Sigigipedes und Sigugibi{)a vermutet, es gibt ein ahd. kambar gambar
strenuus, sagax (Gratf 4, 208) und Tacitus, von den deutschen Stämmen
allgemein redend führt zwischen Marsen und Sueven Gambrivii auf, wie
auch Strabo s. 291 XrjQovaxoi Xclttoi ra/nußQiovioi zusammen
nennt, Paulus Diac. eine langohardische Stammutter Gambara angibt,
diesem gambar tritt das verstärkende sigu vor, mit welchem viele
andere eigennainen gebildet werden, Sigigambri sind die siegreichen,
siegstarken, in der Schreibung Sugambri 2vyaf.ißQOi 2ovyuf.iß()Oi litt
es entstellung ** ***.
Zwar in urkunden bin ich noch keines eigennamens Sigigambar
habhaft geworden und auch das scheint entgegen, dasz die zusammen-
ziehungen Siboto Sifrid kaum vor dem 10 jh. auftauchen und überall
das I verlängern, während es in Sicamber bei römischen dichtem bis
auf Remigs anrede herab kurz bleibt. Gleichwol könnte es damit die
fränkische spräche anders gehalten haben, was Segestes für Sigigast 526
zu bestätigen scheint, wie auch, wenn ich nicht irre, hei Saxo gramm.
Sivardus Sivaldus Siritha **'■*; mit kurzem I gebraucht sind.
Von sigambrischen mannsnamen überliefert Strabo s. 291. 292
Mtlcov, /ItvdoQL^ und BcutoqiS, oder Buitoqit. Milo ist ahd. (GralT
2, 719) und alts. (tr. corb. 354. 456. 458. 476. im dativ Milon 33.)
dtvöoQil- zeigt anlautend ahd. D, die goth. form forderte OtvÖoQi^.
mit -rit sind viele ahd. namen gebildet, z. b. Folcrit, Fruorit, Landarit,
Gibarit, das erste wort der Zusammensetzung mahnt an die cohors
Baetorum (Steiner n° 965), wenn die lesart richtig ist. vielleicht sind
auch die Barroi und 2ovßarroi dabei zu erwägen und letztere, wie
2ovya[xß()oi, in Sugibatti Sigibatti aufzulösen.
Man will die aufs linke Rheinufer gesetzten Sigambern in den
Gugernen (Tac. hist. 4, 26. 5, 16. 18) wieder finden, die auch Plin.
4, 17 zwischen Ubiern und Rataven kennt, aber Guberni nennt; das
* vgl. Sidon. apoll. carm. 23, 244.
** Sigigambar nehmen Zeusz s. 83 und Hermann Müller s. 108 an, jener als
das rechte, dieser, den die Sieg und Sequana irren, mistrauisch. an den flusz
Sieg zu denken hindert aber sowol das Verhältnis zwischen Sigambri und Gam-
brivii, als die Schwierigkeit, welche einer deutung von -ambri entgegensteht.
*** = altn. Sigridr, wonach die mythol. s. 281 angeführte mutmaszung zu
verwerfen; bei Saxo steht bald Syritha, Siritha, bald Sygrutha. auch bei lrmino
17 * Sigrida.
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368
UBIER. RIPUARIER
mag für Gugerni verschrieben sein. Gugern wäre möglicherweise aus
Gibigern munificus, largus gekürzt, wie Sugamber aus Sigigamber. in
ihrem bezirk lag Gelduba, das heutige Gellep, in einer urk. von 904
hei Lacomhlet n° 83 Geldapa genannt, woher sich Tiberius leckere
möhren kommen liesz: siser et ipsum Tiberius princeps nobilitavit,
flagitans omnibus annis e Germania. Gelduba appellatur castellum
Rheno impositum, uhi generositas praecipua. Plin. 19, 5. das B in
Gelduba, P in Geldapa fügt sich der ersten gleichung (s. 406) und
bewiese, dasz bei diesem namen zur zeit des ersten jh. noch nichts
verschoben war; man halte dazu Danubius.
Wie wenn wir damit auch den namen der unmittelbar anstoszen-
den Ubier deuten lernen? in Geldapa Lerf'apa Olepa = ahd. Geldafa,
527 Lenafa, Olefa bedeutet apa was sonst aha, aqua fluvius. Ubii* schei-
nen also fluszbewohner, Rheinbewohner, wie sie schon bei Caesar 1,
54 heiszen: qui proximi Rhenum incolunt; 4, 3 nennt er ihr land
civitas ampla atque Hörens; damals lag es noch auf der rechten
Rheinseite, unter August aber scheinen die Ubier nach der linken ge-
zogen zu sein. Strabo 4, 3 s. 194, als er von Trevirern geredet
hat, berichtet ausdrücklich: ntqav di wxovv Ovßioi y.uxu xovxov
xov ronov' ovg /nextjyaytv Ayqmnag ixovrag eig xi]v ivxbg xov
‘Ptfvov, Tacitus Germ. 28 sagt: ne Ubii quidem quanquam romana
colonia esse meruerint ac libentius Agrippinensis conditoris sui nomine
vocentur, origine erubescunt, transgressi olim et experimento fidei
super ipsam Rheni ripam collocati, ut arcerent, non ut custodirentur,
vgl. ann. 12, 27. Aus ihrem hauptort, Ubiorum ara oder civitas ent-
faltete sich später das mächtige Cöln, Colonia agrippinensis, entweder
erst nach Agrippina des Germanicus tochter, oder schon nach jenem
Agrippa ihrem groszvater geheiszen, der sie römischem reich ver-
pflichtete. davon rührt sogar noch in unserm heldenbuch der name
Grippigenland.
Keinen stamm unter allen Germanen gab es, der sich den Römern
so nah angeschlossen hätte, wie diese Ubier, und darum waren sie
allen übrigen Deutschen, zumal den Sueven verfeindet.
Die gegebne deutung ihres namens und zugleich ihr fränkisches
blut bestätigt sich aber durch den der ripuarischen Franken, aus
dem romanischen ripa, das den lateinischen begrif des ufers allmälich
mit dem des flusses tauschte, franz. riviöre, it. riviera, span, ribera,
ribeira, entsprang Riparii, Ripuarii, Ribuarii, altfranz. Rivers, Ruiers,
qui ad Rheni ripas, circa fluvium consederanl, deutlich dasselbe was
Ubii ausdrückte, gewann das ripuarische gebiet gröszern umfang als
man den alten Ubiern einräumt, so werden auch diese bald in engerer
528 schranke, bald in gröszerer ausdehnung zu denken sein. Im mittel-
alter war der name Ubier längst verschollen und die kaiserchronik
verdeutscht Ripuarien durch Riflant. mit nlul. ufer ripa, mhd. uover,
* mit kurzem U, wie in Danubius und Gelduba; das OT im gr. Aavovßioi,
Ovßioi, 2ovyafißQoi entspringt blosz, weil dem Ylaut ausgewicben werden sollte.
*
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
11»tv
SALIER
369
welche langen vocal und ableitendes R haben, wage ich
14j4s 44V zu verknUPfen*
1' egen oder zur seite den ripuarischen Franken stehn die sa-
^ ^2 md beider stamme namen haben zwei alte rechtsbiicher für
n
t
14^
l befestigt.
sich Sigambern und Ubier vom rechten Rhein auf den linken
müssen auch die Salier von osten nach westen vorgerückt
er ihrem namen sind ältere Franken, zumal Sigambern zu
la sich die Merovinge auf Salier wie auf Sigambern zurtlck-
ischen Saliern und den unter August nach Gallien versetzten
mag genauer Zusammenhang obwalten, wenn schon Clau-
i s. 522) beide dichterisch unterscheidet (de laud. Slilich.
ut Salius jam rura colat, flexosque Sigambri
in falcem curvent gladios.
uederrhein der mächtige ström sich spaltet und versumpft,
do, an der Issel (Isula), die vielleicht selbst Sala hiesz, wo
te ein landstrich den namen des Sallands führt, scheint im
. ihr sitz, daher waren sie südwärts nach Toxandrien ge-
Ammian 17, 8 meldet von Julian (im j. 358): petit primos
rancos, eos videlicet quos consuetudo Salios appellavit, ausos
•omano solo apud Toxandriam locum habilacula sibi figere
3r. die alten belgischen Toxandri lagen zwischen Maas und
und colim’ geht auf den von Eutropius 9, 13 geschilderten
n einbruch zur zeit des Probus, wohin auch Vopiscus (s. 519)
ren nun diese Franken unter Constantius und Constantin zu-
sen oder in gewisse abhängigkeit von den Römern gebracht
Julian hatte sie neuerdings im westen der Schelde zu be-
und nennt sie, gleich Ammian, 2ah'wv l'&vog (opp. ed.
opaini. p. 279.) *
Im rechtsbuch kommt nur der ausdruck Francus Salicus (oder 529
Saligus) vor, nicht Salius, was aber keinen wesentlichen unterschied
zwischen beiden gründen kann, salicus trägt die lat. ableitung -icus
(nicht die deutsche -lg) an sich, führt also wie geticus golhicus fran-
cicus auf den einfachen volksnamen Geta Gothus Francus und Salius,
welcher aus sa] domus, oder einem llusse Sala, oder jenem gau Salo
stammen darf, und ahd. Sali, goth. Saljis lauten mochte.** mit dem
langen A des ahd. sälic beatus, mhd. saelec, nhd. selig, die zum golli.
sels bonus gehören, findet, glaube ich, keine Verwandtschaft statt, da
auch aus Claudians scansion das kurze A erhellt. Der prolog des
gesetzes nennt einen Salogast aus Saloheim, was ohne zweifei mit
dem volksnamen in Verbindung steht; Gregor von Tours, meines Wis-
sens, braucht von den Franken weder Salius noch Salicus. bekanntlich
* in der notitia imperii erscheinen auch Salii unter den auxiliären.
** als mannsnamen Salecus und Salius bei Irmino 163b 201b, Salih, Sa-
lucho bei Schannat n° 245. 251.
24
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. 2.-?t.
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368 UBIER. RIPUARIER
mag für Gugerni verschrieben sein. Gugern wäre möglichen'7'-'
Gibigern munificus, largus gekürzt, wie Sugamber aus Sigiga
ihrem bezirk lag Gelduba, das heutige Gellep, in einer urk.
bei Lacomblet n° 83 Geldapa genannt, woher sich Tiberii
mcihren kommen liesz: siser et ipsum Tiberius princeps
flagitans omnihus annis e Germania. Gelduba appellatur
Rheno impositum, ubi generositas praecipua. Plin. 19, 5.
Gelduba, P in Geldapa fügt sich der ersten gleichung (s.
bewiese, dasz bei diesem namen zur zeit des ersten jh. n
verschoben war; man halte dazu Danubius.
Wie wenn wir damit auch den namen der unmittelbar
den Ubier deuten lernen? in Geldapa Lerfapa Olepa = ah
527 Lenafa, Olefa bedeutet apa was sonst aha, aqua fluvius. Ul
nen also fluszbewohner, Rheinbewohner, wie sie schon bei
54 heiszen: qui proximi Rhenum incolunt; 4, 3 nennt e
civitas ampla atque florens; damals lag es noch auf d(
Rheinseite, unter August aber scheinen die Ubier nach der
zogen zu sein. Strabo 4, 3 s. 194, als er von Trevirei
hat, berichtet ausdrücklich: naqav da ujy.ovv Ovßioi ym
tov zdnov ' ovg (.itTrjyaytv AyQinnug ay-ovzug eig zi]v
lPrjvov, Tacitus Germ. 28 sagt: ne Ubii quidem quanqua:
colonia esse meruerint ac libentius Agrippinensis condiloris i
vocentur, origine erubescunt, transgressi olim et experin
super ipsam Rheni ripam collocati, ut arcerent, non ut cus
vgl. ann. 12, 27. Aus ihrem hauptort, Ubiorum ara oder c
faltete sich später das mächtige Cöln, Colonia agrippinensis,
erst nach Agrippina des Germanicus tocliter, oder schon n
Agrippa ihrem groszvater geheiszen, der sie römischem
pflichtete, davon rührt sogar noch in unserm heldenbuch
Grippigenland.
Keinen stamm unter allen Germanen gab es, der sich den Römern
so nah angeschlossen hätte, wie diese Ubier, und darum waren sie
allen übrigen Deutschen, zumal den Sueven verfeindet.
Die gegebne dcutung ihres namens und zugleich ihr fränkisches
blut bestätigt sich aber durch den der ripuarischen Franken, aus
dem romanischen ripa, das den lateinischen begrif des ufers allmälich
mit dem des flusses tauschte, franz. rivifere, it. riviera, span, ribera,
ribeira, entsprang Riparii, Ripuarii, Ribuarii, allfranz. Rivers, Ruiers,
qui ad Rheni ripas, circa fluvium consederant, deutlich dasselbe was
Ubii ausdrückte, gewann das ripuarische gebiet gröszern umfang als
man den alten Ubiern einräumt, so werden auch diese bald in engerer
528 schranke, bald in gröszerer ausdehnung zu denken sein. Im mittel-
alter war der name Ubier längst verschollen und die kaiserchronik
verdeutscht Ripuarien durch Riflant. mit nhd. ufer ripa, mhd. uover, *
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* mit kurzem U, wie in Danubius und Gelduba; das OT im gr. Javovßios,
Ovßioi, 2ovyanß()(n entspringt blosz, weil dem Ylaut ausgewicben werden sollte.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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SALIER
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ags. öfer, welche langen vocal und ableitendes R haben, wage ich
Ubii nicht zu verknüpfen.
Entgegen oder zur seite den ripuarischen Franken stehn die sa-
lischen, und beider stamme namen haben zwei alte rechtsbiicher fiir
alle Zeiten befestigt.
Wie sich Sigambern und Ubier vom rechten Rhein auf den linken
wandten, müssen auch die Salier von osten nach westen vorgerückt
sein, unter ihrem namen sind altere Franken, zumal Sigambern zu
suchen, da sich die Merovinge auf Salier wie auf Sigambern zurück-
leiten; zwischen Saliern und den unter August nach Gallien versetzten
Sigambern mag genauer Zusammenhang obwalten, wenn schon Clau-
dian (oben s. 522) beide dichterisch unterscheidet (de laud. Stilich.
1, 222):
ut Salius jam rura colat, flexosque Sigambri
in falcem curvent gladios.
Wo am Niederrhein der mächtige ström sich spaltet und versumpft,
im gau Salo, an der Issel (Isula), die vielleicht selbst Sala hiesz, wo
noch heute ein landstrich den namen des Sallands führt, scheint im
dritten jh. ihr sitz, daher waren sie südwärts nach Toxandrien ge-
drungen, Ammian 17, 8 meldet von Julian (im j. 358): petit primos
omnium Francos, eos videlicet quos consuetudo Salios appellavit, ausos
olim in romano solo apud Toxandriam locum habitacula sibi figere
praelicenter. die alten belgischen Toxandri lagen zwischen Maas und
Schelde, und colim5 geht auf den von Eutropius 9, 13 geschilderten
fränkischen einbruch zur zeit des Probus, wohin auch Vopiscus (s. 519)
zielt, waren nun diese Franken unter Constantius und Constantin zu-
rückgewiesen oder in gewisse abhängigkeit von den Römern gebracht
worden; Julian hatte sie neuerdings im westen der Schelde zu be-
kämpfen, und nennt sie, gleich Ammian, 2uh'iov l'&rog (opp. ed.
Spanh. p. 279.) *
Im rechtsbuch kommt nur der ausdruck Francus Salicus (oder 529
Saligus) vor, nicht Salius, was aber keinen wesentlichen unterschied
zwischen beiden gründen kann, salicus trägt die lat. ableitung -icus
(nicht die deutsche -ig) an sich, führt also wie geticus golhicus fran-
cicus auf den einfachen volksnamen Geta Gothus Francus und Salius,
welcher aus sal domus, oder einem flusse Sala, oder jenem gau Salo
stammen darf, und ahd. Sali, goth. Saljis lauten mochte.** mit dem
langen A des ahd. sälic beatus, mhd. saelec, nhd. selig, die zum goth.
sels bonus gehören, findet, glaube ich, keine Verwandtschaft statt, da
auch aus Claudians scansion das kurze A erhellt. Der prolog des
gesetzes nennt einen Salogast aus Saloheim, was ohne zweifei mit
dem volksnamen in Verbindung steht; Gregor von Tours, meines Wis-
sens, braucht von den Franken weder Salius noch Salicus. bekanntlich
* in der notitia imperii erscheinen auch Salii unter den auxiliären.
** als mannsnamen Salecus und Salius bei Irrnino 163b 201b, Salih, Sa-
lucho bei Schannat n° 245. 251.
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370
FRANKEN. CHAMAVEN
führten noch in späterer zeit fränkische herzogen, aus deren geschlecht
könig Conrad hervorgieng, den beinamen Salier, und nach Ducange
s. v. Salicus wandte man dies epitheton selbst auf Christus an.
Von Toxandrien aus hebt sich der Franken Siegeslauf nach süd-
westen, und Chlojo oder Chlodio hatte schon das ganze land bis zur
Somme erobert; in dem gesetzbuch, das zu seiner zeit abgefaszt wurde,
erscheint das salische gebiet durch die Carbonaria und Liger d. i.
Leie begrenzt, auch noch späterhin bildet der Kohlenwald die scheide
zwischen Neustrien und Austrasien, d. h. dem westlichen* und öst-
lichen, oder romanischen und deutschen Frankenland, gleich Dispar-
530 gum ** und Tornacum (Tournai) mag dann der berg von Laudunum
(Laon) fränkischer königssitz geworden sein, den immer noch alt-
französische lieder nennen, wo sogar die thierfahel, mit nahliegender
änderung des Monlaon in Monleon den löwen hofhalten läszt ***. Zu
ausgang des fünften jh. besasz aber Chlodowech ein viel ausgedehn-
teres mächtiges Frankenreich, das durch die annahme des christen-
thums fest gegründet wurde. Hatte den Franken schon die ältere
niederlassung von Ubiern, Sigambern, Saliern und Bataven unter rö-
mischer herschaft festen fusz in Belgien und Gallien gemacht, und den
weg gebahnt; so vollendete und sicherte ihren sieg, dasz sie der
catholischen kirche zugefallen waren und von ihr gegen die ariani-
schen Burgunder und Gothen emporgehalten wurden.
Noch ist einiger, allem anschein nach, den Franken nahverwandter
Völker zu gedenken, die gleich jenem tlieil der Sigambern meist auf
rechter Rheinseite verblieben.
Tacilus nennt ungefähr der batavischen insei gegenüber zwischen
Friesen und Bructerern und neben Angrivariern auch Chamaven, Strabo
s. 291 zwischen Sugambern und Brukterern Xavßoi, was zu bessern
ist in Xufxußoi. eben da hat Peutingers tafel Chamavi mit dem bei-
satz cqui et Francf (s. 513), in derselben gegend erscheint später
der ihren namen tragende gau Hamaland, mit Unterscheidung eines
franconicus und saxonicus. Unter Constantius wurden auch chamavi-
sehe abtheilungen nach Gallien versetzt, und Eumenius (paneg. 4, 9)
konnte sagen: arat ergo nunc mihi Chamavus et Frisius; im alten
gebiet der Lingonen bildete sich ein pagus Chamaviorum oder Ama-
viorum (Zeusz s. 582. 584.) doch ihr kern hielt in der alten heimat
stand, Julian stiesz auf Xa/^iaßoi am Niederrhein (vgl. Ammianus 17, 8),
Ausonius nennt Chamaves neben Franken und noch Sulpicius Alexander
* eigentlich scheint Neustria Niustria entsprungen aus Niuwestria Niwestria
(Bouquet 2, 405), fast wie neiz aus niweiz, ags. nät aus nevät , und es musz
anlasz gewesen sein altes und neues Westerland zu unterscheiden; allmälicb
aber gilt Neustria geradezu für Westria oder Westrasia im gegensatz zu Austria,
Austrasia. in solchem sinn hat auch der prolog zu Liutprands gesetzen ein
langobardisches Austria und Neustria.
** fanum Martis, Famars (myth. s. 1209), templum Martis in den stat. von
Corbie (Guerards Irmino p. 325. 335) pagus fanummartinse, w'oraus man später
fanomarcensis machte (Pertz 9, 412.)
*** Reinhart fuchs s. CXLII.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
CHAMAVEN. BRÜCTERER
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bei Greg. tur. 2, 9 in bructrischer nachbarschaft den pagus, quem
Chamavi incolunt. Jenes zwiefache Hamaland zeigt uns einen landstrich
auf fränkischsächsischer grenze, wie auch Ptolemaeus Ku/j.uvoi neben 531
Cherusken aufstellt; allein ihre Verbindung mit den Franken, durch
alle übrigen Zeugnisse bestätigt, überwiegt. Chamavi scheint gebildet
wie Batavi, wenn nun Baxaova Buzußi'a, später Batua, Betuwe den
begrif aue, ahd. ouwa enthält, werden auch Chamavi fluszanwohner
sein dürfen, wozu die Ubii, Ripuarii und vielleicht Salii stimmen,
ham cutis iporuen hat aber zu allgemeinen sinn, als dasz es leicht
id Tencteri liegen sich nicht nur benachbart, sondern
l scheinen ähnlicher bildung. bei Tacitus ann. 13, 56.
stehn sie immer zusammen. Caesar nennt nur die
reibt Tenchtheri, nach griechischer weise, würde also
geschrieben haben, umgedreht führt Strabo s. 291.
'ixxtqoi an.
seine Germania abfaszte, schienen ihm die Bructeri,
in andern Schriften berührt, vertilgt: Bructeri olirn
occurrebant, nunc Chamavos et Angrivarios immigrasse narratur, pulsis
Bructeris ac penitus excisis vicinarum consensu nationum. Allein der
jüngere Plinius meldet schon wieder von einem bructerisehen könig,
und zu des Ptolemaeus zeit erscheinen BovaüxxtQOi oi /uetCovtg und
/uxpot, wie bei Strabo Bqovxxxqoi tlüxxovtg, beider hauptsilze fallen
zwischen Ems und Lippe, die peutingersche tafel gibt Bructuri an,
die nolitia imperii Bructerii, Claudian de IV cons. Hon. 450: venit ac-
cola sylvae Bructerus Ilercyniae. noch Beda 5, 9. 12 nennt sie ßo-
ructuarii (ags. Boructvare, Boruchlvare) und läszt ihnen durch Suidbert
predigen; viele aber müssen beiden geblieben sein, da nach Gregor
des dritten ausschreiben von 738 auch die ßorthari dem Bonifacius
zu bekehren übertragen werden, in den untern Lippegegenden erhielt
ein gau Borahlra, Boroctra, BorlUergo (Zeusz s. 353) lange ihren
namen, als mannsname dauert Borhter, trad. corb. 311. man erwäge
die Bortrini bei Pertz 3, 76.
Gründen sieb des Ptolemaeus BovaüxxtQOi auf ältere nachricht,
als Strabons Bqovxxxqoi, so läge hier ein Übergang des S in R vor
(s. 311) und wäre allenfalls ein adj. busaht oder participium busagot 532
dem ags. byseg, bysgod, engl, busy busied, mnl. besieh (vgl. s. 364)
an die seite zu setzen, allein ich vermag kein ahd. poraht oder puric
mit gleicher bedeulung aufzuweisen. Hat aber das R gröszeres recht
und ist BovaüxxtQOi fehler für BovQÜxxtQoi, so erschiene boraht
poraht gebildet wie beraht peraht lueidus, ags. beorht, altn. biartr,
oder wie ahd. zoraht, alts. toroht splendidus; da nun aus beraht altn.
biartr der eigenname Berahtheri mhd. Berhter f. Berhther altn. Biartar
entspringt, konnte auch aus boraht, Borahtheri Borhtheri =**■ lat. Bructer
(wie liber, teuer) entsprungen sein, man erwäge die gleichfalls mit
adj. zusammengesetzten ahd. mannsnamen Paldheri, Fastheri, Witheri
(altn. Vidar) Kuotheri. beraht und boraht dürften aber der wurzel
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FRANKEN. CHAMAVEN
führten noch in späterer zeit fränkische herzogen, aus deren geschlecht
könig Conrad hervorgieng, den beinamen Salier, und nach Ducange
s. v. Salicus wandte man dies epitheton selbst auf Christus an.
Von Toxandrien aus hebt sich der Franken Siegeslauf nach süd-
westen, und Chlojo oder Chlodio hatte schon das ganze land bis zur
Somme erobert; in dem gesetzbuch, das zu seiner zeit abgefaszt wurde,
erscheint das salische gebiet durch die Carbonaria und Liger d. i.
Leie begrenzt, auch noch späterhin bildet der Kohlenwald die scheide
zwischen Neustrien und Austrasien, d. h. dem westlichen* und öst-
lichen, oder romanischen und deutschen Frankenland.
530 gum ** *** und Tornacum (Tournai) mag dann der berj.
(Laon) fränkischer königssitz geworden sein, den i
französische lieder nennen, wo sogar die thierfahel,
änderung des Monlaon in Monleon den löwen hofhaltc
ausgang des fünften jh. besasz aber Chlodowech ein
teres mächtiges Frankenreich, das durch die annahm
thums fest gegründet wurde. Hatte den Franken s
niederlassung von Ubiern, Sigambern, Saliern und Bi ________rö-
mischer herschaft festen fusz in Belgien und Gallien gemacht, und den
weg gebahnt; so vollendete und sicherte ihren sieg, dasz sie der
catholischen kirclie zugefallen waren und von ihr gegen die ariani-
schen Burgunder und Gothen emporgehalten wurden.
Noch ist einiger, allem anschein nach, den Franken nahverwandter
Völker zu gedenken, die gleich jenem tlieil der Sigambern meist auf
rechter Rheinseite verblieben.
Tacilus nennt ungefähr der batavischen insei gegenüber zwischen
Friesen und Bructerern und neben Angrivariern auch Chamaven, Strabo
s. 291 zwischen Sugambern und Brukterern Xuvßoi, was zu bessern
ist in Xufxußoi. eben da hat Peutingers tafel Chamavi mit dem bei-
satz cqui et Franci’ (s. 513), in derselben gegend erscheint später
der ihren namen tragende gau Hamaland, mit Unterscheidung eines
franconicus und saxonicus. Unter Constantius wurden auch chamavi-
selie abtheilungen nach Gallien versetzt, und Eumenius (paneg. 4, 9)
konnte sagen: arat ergo nunc mihi Chamavus et Frisius; im alten
gebiet der Lingonen bildete sich ein pagus Chamaviorum oder Araa-
viorum (Zeusz s. 582. 584.) doch ihr kern hielt in der alten heimat
stand, Julian stiesz auf Xa/.iußoi am Niederrhein (vgl. Ammianus 17, 8),
Ausonius nennt Chamaves neben Franken und noch Sulpicius Alexander
* eigentlich scheint Neustria Ninstria entsprungen aus Niuwestria Niwcstria
(Bouquet 2, 405), fast wie neiz aus niweiz, ags. nät aus nevät, und es musz
anlasz gewesen sein altes und neues Westerland zu unterscheiden; allmülich
aber gilt Neustria geradezu für Westria oder Westrasia im gegensatz zu Austria,
Austrasia. in solchem sinn hat auch der prolog zu Liutprands gesetzen ein
langobardisches Austria und Neustria.
** fanum Martis, Famars (myth. s. 1209), templum Martis in den stat. von
Corbie (Guerards Irmino p. 325. 335) pagus fanummartinse, woraus man später
fanomarcensis machte (Pertz 9, 412.)
*** Reinhart fuchs s. CXLII.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
CHAMAVEN. BRÜCTERER
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bei Greg. tur. 2, 9 in bructrischer nachbarschaft den pagus, quem
Chamavi incolunt. Jenes zwiefache Ilamaland zeigt uns einen landstrich
auf fränkisch sächsisch er grenze, wie auch Ptolemaeus Ka/xavoi neben 531
Cherusken aufstellt; allein ihre Verbindung mit den Franken, durch
alle übrigen Zeugnisse bestätigt, überwiegt. Chamavi scheint gebildet
wie Batavi, wenn nun Buraovu Barußi'a, später Batua, Betuwe den
begrif aue, ahd. ouwa enthält, werden auch Chamavi fluszanwohner
sein dürfen, wozu die Ubii, Ripuarii und vielleicht Salii stimmen,
liam cutis, tegmen hat aber zu allgemeinen sinn, als dasz es leicht
zu deuten wäre.
Bructeri und Tencteri liegen sich nicht nur benachbart, sondern
auch ihre namen scheinen ähnlicher bildung. bei Tacitus ann. 13, 56.
hist. 4, 21. 77 stehn sie immer zusammen. Caesar nennt nur die
letztem und schreibt Tenchtheri, nach griechischer weise, würde also
auch Bruchtheri geschrieben haben, umgedreht führt Strabo s. 291.
292 blosz BgovxTtQOi an.
Als Tacitus seine Germania abfaszte, schienen ihm die Bructeri,
H deren thaten er in andern Schriften berührt, vertilgt: Bructeri oliin
’ occurrebant, nunc Chamavos et Angrivarios immigrasse narralur, pulsis
Bructeris ac penitus excisis vicinarum consensu nationum. Allein der
jüngere Plinius meldet schon wieder von einem bructerischen könig,
und zu des Ptolemaeus zeit erscheinen BovauxrtQoi ol /nei^oreg und
/«xpot, wie bei Strabo Bqovxhqoi fIdrrovtg, beider hauptsilze fallen
zwischen Ems und Lippe, die peutingersche tafel gibt Brucluri an,
die notilia imperii Bructerii, Claudian de IV cons. Hon. 450: venit ac-
cola sylvae Bructerus Ilercyniae. noch Beda 5, 9. 12 nennt sie ßo-
ructuarii (ags. Boructvare, Boruchlvare) und läszt ihnen durch Suidbert
predigen; viele aber müssen beiden geblieben sein, da nach Gregor
des dritten ausschreiben von 738 auch die ßorlhari dem Bonifacius
zu bekehren übertragen werden, in den untern Lippegegenden erhielt
ein gau Borahtra, Boroctra, Borlitergo (Zeusz s. 353) lange ihren
namen, als mannsname dauert Borhler, trad. corb. 311. man erwäge
die Bortrini bei Pertz 3, 76.
Gründen sich des Ptolemaeus BovodxrtQoi auf ältere nachricht,
als Slrabons Bqovx.tiqoi , so läge hier ein Übergang des S in R vor
(s. 311) und wäre allenfalls ein adj. busaht oder participium busagot532
dem ags. byseg, bysgod, engl, busy busied, mnl. besieh (vgl. s. 364)
an die seite zu setzen, allein ich vermag kein ahd. poraht oder puric
mit gleicher bedeutung aufzuweisen. Hat aber das R gröszeres recht
und ist BovoäxTiQOi fehler für Bovquxtsqoi , so erschiene boraht
poraht gebildet wie beraht peraht lucidus, ags. beorlit, altn. biartr,
oder wie ahd. zoraht, alts. toroht splendidus; da nun aus beraht altn.
biartr der eigenname Berahtheri mhd. Börhter f. Berhther altn. Biartar
entspringt, könnte auch aus boraht, Borahlheri Borhtheri =*■ lat. Bructer
(wie liber, teuer) entsprungen sein, man erwäge die gleichfalls mit
adj. zusammengesetzten ahd. mannsnamen Paldheri, Fastheri, Witheri
(altn. Vidar) Kuolheri. beraht und boraht dürften aber der wurzel
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und dem sinne nach zusammenfallen, folglich Berahlheri, Borahtheri
clarus, illustris ausdrücken. bürg urbs, civitas, ahd. puruc, goth.
baurgs wird, obgleich es natürlich wäre hier an die rheinischen Bur-
gunder zu denken, ganz aus dem spiel müssen bleiben, ebensowenig
haben die Bructerer etwas gemein mit dem Brocken (mythol. s. 1004.)
den Bructerern aber gehörte Yeleda an, deren thurm unfern der
Lippe stand.
Wie Brucler scheint mir auch Tender im zweiten theil ahd. heri,
goth. haris zu enthalten, so dasz die volle form Tengtheri lauten
würde, wodurch sich Caesars Schreibung Tenclither rechtfertigt, den
ersten theil des namens erklärt zumal das alln. tengdr junctus, affinis,
consanguineus, sichtbar part. von tengja jüngere, woher auch tengsl
retinaculum nexus stammt; vorgesetztes tengda bezeichnet Verschwä-
gerung: tengdafadir socer, tengdamödir socrus. ags. ist getenge re-
cumbens, procumbens, eordan gelenge humi prostratus, gründe getenge
solo proximus, affixus Beov. 5513 vgl. anmerk, zu Andr. s. 100, wo
ich auch getingan getang urgere, incumbere und getengan getengde
nachweise. dem getenge entspricht das alts. bitengi und ahd. gizengi
proximus, sibbeon bitengea Hel. 43, 11 bezieht sich wieder auf nahe
verwandten, unmittelbar gehört zu der Wurzel ags. tange, altn. töng,
ahd. zanga forceps, die festhaltende, zwängende, das feierliche tanga-
533 nare des salischen und ripuar. gesetzes, welches urgere bedeutet (RA.
s. 5), vielleicht das prov. tensar, altfranz. tencier disputare, queri.
für Tencter gewännen wir hiernach ein alts. Tengdheri, altn. Tengdar,
goth. Taggidaharis, ahd. Zenlitheri Zanhtheri, mit dem sinn propinquus,
auf verbündete wie benachbarte Stämme bezüglich. Kann aber T für
fränk. TH stehn, so würde ags. funede dignilas, honor, geftingd digni-
tas, gelungen gravis, altn. fulngr vergleichbar und ein goth. Taggjm-
haris, ahd. Denctheri möglich; Schannat n° 164 bietet den frauen-
namen Thenctula. Dio Cassius schreibt TeyxijQol, Ptolemaeus Ttyxegoi,
die inlautende lingualis scheint jedoch beiden namen Tencteri wie
Bructeri unentbehrlich und musz in allen erklärungsversuchen beachtet
bleiben.
Den Bructerern lagen die Tencterer südwärts, doch mag sich ihr
sitz mit der zeit verschoben haben. Caesar 54 j. vor Chr. stiesz auf
sie jenseit des Rheins: Usipetes Germani et item Tenchlheri magna
cum multitudine hominum Humen Rheni transierunt, non longe a mari
quo Rhenus influit. causa transeundi fuit, quod ab Suevis complures
annos exagilati bello premebantur et agricultura prohibebantur. b. gall.
4, 1. sie waren im landstrich der Menapier angelangt und gedachten
sich da niederzulassen, wurden von Caesar zurückgeworfen und flüch-
teten ins sigambrische gebiet, vielleicht aber war dieser ausgezogne
häufe nur ein theil ihres volks; er mochte ostwärts gewichen sein,
da Drusus auf seinem feldzug zuerst mit Usipeten, dann mit Tencterern
zu kämpfen hatte (Florus 4, 12), bevor er die Chatten erreichte.
Tacitus kennt sie südlicher; nicht weisz ich, ob jene sich von neuem
an den Rhein bewegt hatten oder andere dort geblieben waren: pro-
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USIPETEN 373
ximi Chattis certum jam alveo Rhenum, quique terminus esse suffi-
ciat, Usipi ac Tencleri colunt, und nun rühmt er tenctrische reiterei
(Germ. 32.) Ptolemaeus setzt sie nördlich der im späteren Engersgau
wohnenden Ingrionen, wieder also in sigambrische gegend; nach dem
zweiten jh. schwindet ihr name aus der geschichte. dasz mit ihm
jener Engersgau, Ingerisgowe zu verbinden, T ein vorgeschobner artikel
sei, kann ich nicht glauben, da Ptolemaeus deutlich ’lyyQi'coveg und534
TtyxtQoi unterscheidet.
Wie bei Caesar Usipetes und Tenchtheri treten bei Tacitus Usipi
und Tencteri nebeneinander als unzertrennliche gefährten auf. Strabo
292 hat Novoinoi für Ovoinoi (das N wurde aus voranstehendem
BQovxTegcov wiederholt), Plutarch Caes. 22 Ovoinui, Dio Cass. 39,
47. 54, 20 OvointTui, Ptolemaeus Ovionoi für Ovoinoi. Usipetes
könnte an die Sicobotes Sigipedes und Gipedes (s. 463) mahnen, oder
an des Paulus diac. 1, 11 Assipitti, welche sich den Langobarden in
den weg stellten, man möchte wissen, wie der name im sg. lautete;
warum nicht Usipes (wie indiges indigetes, seges segetes)? Von Usipes
ward ein Übergang leicht auf Usipus pl. Usipi, davon auf Usipii; Martial
6, 60 macht den leoninischen vers
sic leve flavorum valeat genus Usipiorum.
Man hat in dem -etes keltische pluralflexion gesucht (wie in Venones
Venonetes, Ilelvii Ilelvetii, Nemetes) und freilich schalten keltische Wörter
im pl. manchmal T ein, oder vielleicht richtiger, ihr sg. hat es aus-
gestoszen, wie der lat. nom. sg. in seges, teres; auch slavische pl.
zeigen die epenthesis -et oder -es (ahd. -ir). ihre annahme für Usi-
petes würde zwingen das -ip für derivativ zu erklären, ungefähr wie
das -ap in Menapii.
Mir ist eine andere auslegung eingefallen, die ich freilich nicht
zur gewisheit bringen kann, wonach Usipetes als zusammengesetzt er-
scheint, so dasz der zweite tlieil von Usipes (= Usipets) dem goth.
fa[)s vergleichbar würde, also dem skr. patis, litth. pats, gr. ndvig
entspräche, zwar befremdete die Verdünnung des A in E und noch
mehr das unverschobne P für F, der name müste sich früher festge-
setzt haben, bevor lautverschiebung einlrat; in dem ganz analogen
namen Canninefas pl. Canninefates erscheint sowol A als F. das ganze
compositum Usipes f. Usipats gewänne den anschein des litth. wiesz-
patis wieszpats dominus, die Usipetes wären wieszpacziei herren, goth.
visifadeis? usi liesze sich aber auch aus goth. ius bonus, facilis deu-535
ten, oder aus jenem visi (s. 443), falls es ursprünglich den westlichen
sitz bezeichnet hätte.
Mögen nun die Usipeten, gleich den Tencterern, ihren sitz am
Mittelrhein geändert haben; da sie zuletzt genannt werden, erstreckt
er sich etwas weiter südwärts als der tenctrische, zwischen Rhein und
Main ins gebiet von Nassau neben den Mattiaken. selbst der name
Wisbaden liesze sich ohne zwang Usipetum civitas auslegen und könnte
das A in pats fa[)s bestärken, eine inschrift bei Steiner n° 36f hat j
cives Wsinobates. ahzt »ucr, ■ TP.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
Als volk werden Usipeten und Tencterer nach dem zweiten jh.
nicht, mehr vorgeführt, wie Zeusz s. 90 glaubt, haben sie sich unter
den Alamannen verloren, und die von Tacitus cap. 32 hervorgehobne
equestris disciplina stimmte zur Schilderung der Sueven bei Caesar 1,
48 (vgl. oben s. 460.) Mir macht die althergebrachte feindschaft
zwischen Sueven und diesen stammen wahrscheinlicher, dasz sie, wenn
schon ihr name erlosch, sei es auf der rechten oder linken seite des
mittleren Rheins dem fränkischen reich zugethan blieben.
Wir haben gesehn, dasz der kern der Franken auf Sigambern
und Saliern beruhte, von deren näheren gemeinsehaft die Ubier nicht
ausgeschlossen werden können, diese drei stamme haben vollsten
anspruch auf den umfassenden, vorzugsweise den westlichen Deutschen
beigelegten namen der Germanen, welcher in mehr als einem betracht
zusammenfällt mit dem der Franken, in Verwandtschaft der Sigambern
schlagen aber auch Usipeten, Tencterer und ßruclerer, wie schon
äuszerlich der beiden letzteren gleichförmige namenbildung bestätigt.
Alles was von diesen Völkern, nachdem der Franken hauptmacht sieg-
reich in Gallien vorgedrungen war, zu beiden seiten des mittleren und
niederen Rheins haftet, bildet den ripuarischen oder rheinfränkischen
theil des groszen reicbs; am oberen aber waltete von frühauf suevisch-
alamannische, d. i. hochdeutsche bevölkerung. Die annahme, dasz
Usipeten und Tencterer in den Alamannen aufgegangen seien wird sich
schwerlich behaupten, vollen erweis für diese Verhältnisse könnte
536 blosz die spräche liefern, und wir wissen von der der Usipeten,
Tencterer, ßructerer, wie der Vangionen, Nemeten und Triboken so
gut wie nichts.
Im osten hebt uns die gothische spräche ihren schieier auf, im
Süden gewähren die ahd., wenn schon jüngeren, denkmäler hin-
reichenden anhalt. gegen westen aber haben die bis ins herz von
Gallien eindringenden eroberungen der Franken zuletzt unaufhaltsam
ihre angestammte spräche untergraben, wie auch das gothische, lango-
bardische und burgundische idiom in Spanien, Italien und Gallien er-
losch. Hätte ein fränkischer bischof von Chlodwigs bis zu Carls tagen
seiner spräche gleichen dienst, wie Ulfdas der golhischen geleistet,
oder wären uns die auf Carls veranstalten gesammelten gedichte über-
liefert worden; das wahre, eigentliche Verhältnis der fränkischen zur
schwäbischen und sächsischen mundart würde vor unsern äugen offen-
bar sein.
Zwischen Chlodwigs zeit und Caesars liegt aber schon eine kluft,
und selbst zu der des Cimbernzugs müssen berührungen westlicher
Germanen mit Galliern und Römern stattgefunden haben. Wann das
erstemal erschollen die deutschen Wörter ambactus (s. 133) und fra-
mea, oder wenn ich nicht zu kühn geurtheilt habe, franca gallischem
und römischem ohr? auch Valerius maximus 5, 4 nennt einen deut-
schen Antabagius der wirklich Tibers andbahts gewesen zu sein scheint;
altn. bedeutet bakiarl comes pedisequus. ist bak lautverschoben gleich
Triboci, so forderte es gr. cpay, lat. fag, wie dem böka (p^yog fagus
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FRANKEN
375
entsprechen; doch nur gezwungen wäre cpayitv edere mit hak zu
einigen, cpuyaiv ist der essende kauende backe, maxilla mandibula,
und backe mag rühren an bak. In Usipetes wie Nemetes zeigen sich
unverschobne consonanten, in framea ambactus Bructeri Harudes ver-
schobne.
Geringe einsicht in die lautverhältnisse der altfränkischen spräche
schaffen uns wol die wenigen jedem der beiden rechtsbücher einge-
schalteten oft entstellten Wörter; einzelne in den decreten Chlodowigs
und Childeberts (Pertz 4, 1 — 11) sind noch ärger mishandelt. über
die berühmte malbergische glosse werde ich mich am schlusz des
capitels äuszern. die dem capitulare Karolomanni von 743 (Pertz 3, 537
19. 20) angehängte abrenuntiatio mit dem indiculus paganiarum musz
allem anschein nach für altfränkisch gelten, ist aber von allzu be-
schränktem umfang.
Bei den annalisten wie in urkunden reichlich erhaltne eigennamen
geben manchen aufschlusz über Wörter und lautverhältnisse. Schon
im allgemeinen ist es merkwürdig daraus zu ersehn, wie tief die frän-
kischen sieger in das gallische land eingriffen, obgleich erst auf ein-
zelne provinzen erstreckte Untersuchungen es möglich machen werden,
fränkische namen mit Sicherheit nicht allein von romanischen, sondern
auch angrenzenden burgundischen, alamannischen und gothischen zu
unterscheiden, das ziel musz aber hier noch unerreicht bleiben, so
lange uns nicht eine vollständige samlung altdeutscher eigennamen
vorliegt, weil für jedwede einzelne forschung den zerstreuten unge-
heuren vorrath zu durchlaufen allen fleisz und alle kräfle übersteigt.
Irminons zugänglich gewordner polyptych schaff uns jetzt schon das
überraschende ergebnis, dasz auf dem ansehnlichen bezirk der abtei
Saint Germain des Prds, im umkreis von Paris selbst gelegen, zu Carl
des groszen zeit fast lauter fränkische colonen wohnten, und einer
geringen anzahl romanischer weit überwogen, dasz aber diesem boden
fast gar keine gallischen eigner verblieben scheinen, längst musten
von ihm alle Kelten gewichen sein; denn wie hätten sie ihre namen
aufgegeben und mit deutschen vertauscht? *
ln bezug auf die vocale habe ich folgendes wahrgenommen, bei
Irmino erscheinen die namen Electeo 1661’ Electeus 28 a 121a 161a
167a 174a Electulfus 23a Electrudis 187 a Electardus 165a, welchen
allen elec «= goth. alhs, ahd. alah, ags. ealh (oben s. 118. mythol.
s. 57. 58) zum gründe liegt, wie die gleichheit des ahd. Alahtrüd 538
mit Electrudis darthut, folglich wäre Electeo ahd. Alahdio oder goth.
Alh{)ius (tempeldiener); dies E für A klingt ans ags. EA in ealh. nicht
anders scheint mir Serlus 134b für Sarins, Dedla 139b für Dadla
* ich widerspreche den ansichten Leos, der (ferienschr. 1, 88—116) gerade
aus demselben polyptych wirklich auf keltische lautverhältnisse und worte in
diesen namen sinnt, und in Chrothild Chlothild Grimhild Herlind Berta keltische
grundlage, höchstens deutsche assimilation erblickt, dahin verleitet keltisches
forschen.
376 FRANKEN
stehend, gebrochnes E hat statt nicht nur in Ebero sondern auch
in fredus und Segenandus, Segemundus, neben I.
Wie E und I schwanken kurzes 0 und U. die lex sal. 58 hat
duropellis, durpilus limen, nnl. dorpel, wörtlich thürpfal; dagegen
schreibt Gregor Thcflbingus Thoringia für Thuringus Thuringia. sunnis
legitimum impedimentum ist altn. syn, goth. sunjöns. Cuppa bei
Gregor 5, 39. 7, 39 kündet sich schon durch seinen ausgang -a als
fremd und unfränkisch an; ich vergleiche den alts. namen Cobbo.
Ollo Greg. 7, 38 scheint das altn. Ulli. Thunar, rachineburgius und
mundeburde halten U fest, trustis/antrustio entspricht gothischem trausti.
Langes A erscheint gleich ahd. ä neben g, in der abrenuntiatio
aber auch für ai (wie ags. ä): gäst (ahd. keist) hälog (ahd. heilac.)
unsicher bleibt in den paganien das a von dadsisas.
Langes E gilt in zwei ganz verschiednen fällen, in den männ-
lichen mit -rnöres, den weiblichen mit -flgdis gebildeten namen ent-
spricht es dem lat. und goth. g, folglich ahd. -ä. so schon bei
Tacitus Inguiomgrus Segimgrus, bei Gregor Chlodomgres Charimgres 9,
23 Ballomgres 7, 36. 38 Ricimgres Marcomgres Theodomgres, wo-
gegen bei Irmino, nach ahd. weise, langes A eintritt: Gausmärus
145a 210b Marcomärus 82b Sigemärus 116a Gislemärus 204a Ursmä-
rus 87a. hei Gregor Alboflgdis Mgroflgdis Berteflgdis Fameroflgdis,
welches flgdis dem ahd. flät gleich ist. Wie schon dies goth. g in i
schwankt (gramm. 1, 59) begegnen bei Irmino Gislemirus 206b Fröt-
mirus 262a Acmirus 16b und Bertefledis 181a neben Gerflidis (ahd.
Kgrfldt) Hercanflidis Baltaflidis.
Ein andres langes E erscheint aber statt des diphthongs AI und
mit ihm wechselnd, so im sal. gesetz 46 laisus und lesus sinus;
chrgnecruda für chrainecruda herba pura; chrgo für goth. hraiv;
539 Salohaim und Salohgm wie schon bei Tacitus Boihgmum (s. 166.)
hierher nun auch alle mit ggne- zusammengesetzten eigennamen, wobei
mir der goth. Gaina comes bei Marcellinus p. 11. 12 (a. 399. 400)
zum anhalt dient, welchem ich den fränkischen Chaino Chaeno Haino
(bei Mabillon n° 9. 14. 16. 21) gleichslelle, da die fränkische spräche
auch G durch CII ausdrückt, composita sind: Gainoaldus Mabill.
n° 4; Ggnobaudes bei Mamertinus paneg. 1, 10, Ggnobaudus im test.
Remigii, b. Gregor de glor. conf. 91 und Irmino 7b 21 a 224a 226a;
Ggnedrudis Irm. 146 -' 233a; Ggnebolda Inn. 144b (gencbolda ist
fehler) 150a; Ggnefüs trad. fuld. 1, 122; Ggnardus* 146a, vgl. auch
Ggnismus 67b Ggnisma 229a 238b. bei der Schwierigkeit aller for-
mein AIN AUN (Haupt 3, 145) dürfte gain oder ggn noch dunkel
bleiben, ich möchte es, wie ain aus agin, maist aus magist, aus gagan
gagin (gramm. 4, 795) hervorgehn lassen, worin mich bestärkt, dasz
jenem Ggnardus ein ahd. Gaganhart, Ivaganhart (bei Neugart n° 118.
724) zu entsprechen scheint. Ggnhart Geinhart verhält sich zu Gagin-
hart wie Einhart zu Aginhart, Meinhart zu Maginhart, und in der
composition mag hier gagan ausdrücken was widar in dem ahd.
eigennamen Widarolt (nhd. Wiederhold.)
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Ä Ä Ä
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nfiiui
FRANKEN
377
Verschieden von beiden arten des diphthongs AI ist ein bei Ir-
mino unseltnes, aus Versetzung entspringendes: Hairbertus Ilairhardus
f. Haribertus Harihardus; vgl. in der abren. Thunaer f. Thunare.
Langes 0 kommt wiederum dem gotli. ö gleich und steht ah
vom ahd. uo. so in der ahrenuntiation Wöden, und in den eigen-
liainen Dömigisilus (ahd. Tuomgisal) Chrödhildis (ahd. Hruodhilt) Fröt-
bertus (ahd. Fruotperaht) Böbo (ahd. Puopo) Gödelindis (ahd. Kuotlint.)
wie aber ai in e, schwankt auch au in 6 und die abren. zeigt Saxnöt
(ags. SaxneAt) genötas (ags. geneätas) geldbis (ahd. giloupis.) schon
bei Gregor wird neben Rauchingus Röchingus und bei Irmino neben
Austrevaldus Ostrevaldus angetroffen.
Gewöhnlich aber schlieszen sich die diphthonge AI und AU den
gothischen an und stehn ab von den ahd. EI und OU. Faileuba
Staißoldus Laipingus Chochilaicus Witlaicus Gailesuinda laisus Gaiso. 540
Audinus Baudinus Greg. 4, 3. 5, 14 Baudegisilus 7, 15 Gaudus Rauchin-
gus Austrapius Austregisil.
EI in reipus (vinculum, circulus) scheint nach ahd. brauch für
AI, in veifa = feifa aber, auf goth. oder nhd. weise, für langes I
gesetzt: Aurovefa Marini n° 76; Genovöfa; Marcovöfa Greg. 4, 26.
Marcoveifa Greg. 5, 47; Sonnoveifa und Vinofeifa im test. Remigii,
wozu man altn. Alftfa fornald. sog. 3, 579 ff. halte, fifa bedeutet
nach Biörn einen gefiederten pfeil und eine gefiederte wollige pflanze,
eriophorum, wonach mir auch Gönofeifa ursprünglich nichts als name
einer blume zu sein scheint, deren blütter auf der linken seite (was
gagan meint) mit wolle besetzt sind.
EU entspricht dem goth. und ahd. IU IO, ags. EO: beudus lex
sal. 46, 2 goth. hiuds ahd. piot mensa; leudis ahd. liut ags. Icod;
canis seusius lex sah 6, 1. alam. 82, ahd. sinso (Graff 6, 282) mhd.
süse Lanz. 1545, wie Müllenhoff hei Wailz s. 293 richtig deutet,
von sausen stridere, womit Leos keltische herleitung (malb. gl. 1, 111)
fällt, deus in den eigennamen Ansedeus Sigedeus scheint altn. lyr,
ahd. zio, hingegen teus = Iheus in Electeus Raganteus altn. f)yr, ahd.
dio servus zu bedeuten. Teudo, bei Gregor noch Theodo, ist ahd.
Diolo, Dielo, und Teutlindis mhd. Dietlint.
Was die fränkischen consonanlen angeht, so mangelt es nicht
an spuren des urverwandten, der lautverschiebung entgangnen D. dahin
gehört auszer lidus, das schon in litus schwankt (s. 484), auch das
bei Irmino häufige gaudus für gaulus, ahd. köz; man sehe die weib-
lichen namen Gauda 27 4 b Ermengauda 7a Teutgaudia 210a Framen-
gaudia 93a Gaudalindis 229b und die männlichen Adalgaudus 275a
Amalgaudus 11a Ansegaudus 13a Baldegaudus 138b Bernegaudus 82a
265b Ilildegaudus 94a 120b Isengaudus 268b Leulgaudus 19b RAt-
gaudus 85b 287 a Teutgaudus 210a Trutgaudus 83b 120b Waldegaudus
17b Waltcaudus 45a Vulfegaudus 73a. statt dieses Gauda Gaudus
begegnet ags. GeAte GeAt, ahd. KözA Köz (Adalköz Hiltköz Liutköz
Wolfköz), folglich erläutern und bestätigen uns eigennamen das oft
besprochne Verhältnis der Gaudae Gautös Közä (s. 429.) Solch ein D 541
378
FRANKEN
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5 H
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S g
CO
findet sich auch anlautend in Gregors Dispargum (s. 529), falls darin
wirklich das ags. Tivis, ahd. Ziowes steckt, und erläutert sich noch
am nl. disdag, disendag, mnl. dissendach, dies Martis (mythol, s. 114.)
dahin rechne ich die mannsnamen Agedeus Inn. 85a Ansedeus 78b
Sigedeus 79 b, worin deus ganz der lat. form entspricht und für teus
steht, wie sich aus dem altn. Sigtyr ergibt, welches eins ist mit Sige-
deus. Ansedeus wäre altn. Astyr, und liefert eine auch sonst merk-
würdige Zusammensetzung.
Von diesen ausnahmen abgesehn findet sich der fränkische conso-
nantismus auf gleicher stufe der Verschiebung mit dem gothischen und
sächsischen, also im gegensatz zum ahd.
Häufig in jedem der drei organe erscheinen die mediae. B in
beudus burgius mundeburde bainberga Basinus Baudinus Böbo Blalhil-
dis Leuba Ebero Arboastes. G in Gaiso Gisilus Gamalbertus Gönovöfa
Görtrudis Gundoldus Hildegardis Dagoricus tangano vargus. D in Dago-
bertus Üömgisilus Adalsind Madalbert Segenandus Segefredus. eigen-
thümlich schwindet das G von gast in der Zusammensetzung mit an-
dern Wörtern. Gregor schreibt Arboastes de gl. conf. 93, während
er den gleichnamigen römischen Söldner hist. 2, 9 Arbogastes nennt;
ferner Leudastes hist. 5, 14. 47 == ahd. Liutkast Liudigast, mhd.
Liudgast; Leubastes 4, 9 = ahd. Liopkast; Leonastes 5, 6; Blada-
stes 7, 28. 34; Blandastes 6, 12; Vedastes 7, 3 vielleicht eins mit
Widogast im prolog des sal. gesetzes; Flidastus Irm. 113b. selbst
Tanastus oder Thanastus (Waltharius 1010. 1048. 1053) wobei mir
ce£A. - wol das ir. lanaiste dominus terrae, oder pini ramus eingefallen war,
' liesze sich Tangast, Dangast deuten, man wird zugleich an Segestes
bei Tacitus gemahnt, das für Segegast gesetzt scheint und an Sigambri
für Sigegambri (s. 225.) G musz den Franken äuszerst weich ge-
klungen haben; man erwäge das fries. j in jelda jerda jet (foramen,
sächs. gat) und den ahd. Wechsel in jehan gihu.
Anlautendes P, überhaupt in unsrer zunge selten und fremdartig,
542 erscheint in duropellis duropalus der lex sal. und seit der kerlingi-
schen zeit in dem namen Pippinus, franz. Püpin, wobei man ans lat.
pepo, pepunculus denkt, it. popone, ntmov, f.irj’koneTKjov, es schiene
ein von der gestalt des Pipinus brcvis enlnommner beiname *. warum
wol gern Plectrudis geschrieben steht, z. b. Irm. 96a und Pertz 1,
114. 289 nach ahd. weise? vgl. Plihtrud Pertz 1, 114; die fränki-
sche mundart forderte Blicdrudis von blic fulmen; verschieden ist der
ähnliche frauenname Biidthrüt, von blidi lactus. inlautendes P in rei-
pus, nach einigen reibus, wie Riboarii f. Ripuarii. Gutluraltenuis lau-
ZeuW-
* wie die sage Carls mutter Bertha den groszen fusz beilegt, scheint sie auch
seines vaters Pippin kleine gestalt hervorzuheben:
cinq pie's ot et demi, de long plus nen ot mie,
mais plus hardie chose ne fut onques choisie
beiszt es im roman de Berte p. 4, wogegen Carl sieben fusz bocli war. jener
sage grund ist aber schon in Pippins ahnen zu suchen, die denselben namen
führten, Pippin von Heristal und dessen mütterlichem groszvater Pippin von Landi.
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afar.rriy
FRANKEN
tet an im namen Karl Carolus, ahd. Charal, der aber auch bei den
Merowingen unüblich war, in Cuppa (s. 538) und in crüd von chr£-
necruda; inlautend sacebaro, gasacio ahd. gisachio von saka causa,
ahd. sacha, -ricus, ercan- und Francus Marcomöres und Tanculfus
Irm. 110a ahd. Danchwolf*. Lingualtenuis anlaulend in tangano
taxaga und tertussus, inlautend in Strataburgum Greg. 9, 36. 10, 19
und Witunburg Irm. 299.
Auffallend wird in einzelnen namen bei Irmino ein ungehöriger
linguallaut mitten in der Zusammensetzung eingeschaltet, z. b. in Elec-
tardus 165a Electulfus 23a Electelmus 19a Ermentildis 18b Erbedil-
dis 103 Ercadramna 203b Ansedramnus 221 b, wie die Vergleichung
der entsprechenden ahd. Alaholf, Ermanhilt darlhut.
Für labialaspirata findet sich geschrieben Pharamundus statt Fara-
mundus, sonst aber nur F, kein PH: Faro Francus, fredus flödis,
welcher weichere laut sich auch an Übergängen in V bestätigt: Geno-543
vßfa für G£nof6fa. PH würde gerade dem CH und TH der beiden an-
dern organe Zusagen. Im CI1 aber offenbart sich ein wahrer Vorzug
der fränkischen vor allen übrigen bekannten deutschen sprachen, welche,
wie s. 394 gezeigt wurde, diesen aspirierten laut in II verdünnen,
so entspricht den golhischen reihen
P F B. K II G. T TH D
fränkisches P F B. C CH G. T TH D
und hätte sich dies CH, wie es aus lat. tenuis verschoben ist auch
bei den Gothen erhalten, würde es leicht in ahd. G weiter geschoben
worden sein, während nun das goth. H gleichergestalt im ahd.
haftete.
Ich will vorerst beispiele dieses fränkischen CH geben und dann
aus seiner merkwürdigen erscheinung noch einiges folgern, von den
Wörtern chunna, eharoena, chrfinecruda chervioburgus und machalum
des salischen gesetzes soll gehandelt werden sobald die rede auf die
malbergische glosse kommt. Viele eigennamen geben dies CH kund.
Charibertus Childebertus Chilpericus Chlodoveus Chochilaicus Chramnus
Chrödobertus Chedinus sind deutlich die ahd. Heriperaht Hiltiperaht
Helfrih Hludowic Hukileih Hramnus Ilruodperaht Hedin. Nandechildis
ist Nanthilt. Chillo Greg, mirac. 1, 60 ist ags. Hilla. dies fränkische
CH findet sich schon in der römischen auffassung germanischer namen
wie Chamavi Chauchi Chatti Chasuarii Cherusci und Chariovalda bei
Tacitus, Cherusci hat bereits Caesar, Xr^ovoxoi Xdxroi Strabo, ein
zeugnis für den frühen eintritt des lautverschiebens. Man darf sich
noch eine menge fränkischer Wörter denken, deren CII dem lat. C
entsprochen haben musz, z. b. chorn cornu, chalt claudus, techan
deceni, teochan ducere, acha aqua; nun aber ist wahrzunehmen, _
1) dasz beim anschluss des kehllauts an ein folgendes T oder S
das urverwandte C beharrt und nicht in CH übergeht, hierher gehört
* oder Wolfdanch, benennung eines undankbaren, gleich dem wolf in der
thiersage dankenden, goth. launavargs. die trad. corb. 388 geben Dangwelp.
FRANKEN
das uralte ambactus, goth. andbahts, ahd. ampaht (s. 133. 536) und
dructis lex sal. 14 = goth. drauhts, ahd. trübt, womit die eigennamen
544 Droctulfus Greg. 9, 38 Droctara Irm. 91b Droctarnus 147a Dructoi-
nus 26lb gebildet werden. Boracla Irm. 90a malmt an die Bructe-
rer und Borhter (s. 531), berct für goth. bairhts, ahd. peraht scheint
der ältesten Schreibung der namen Childeberctus, Berctoaldus angemes-
sen. Plectrudis (vorhin s. 542) ist ahd. Plihtrut. noch in den spä-
teren capitularien häufig wacta für goth. vahtvö, ahd. wahta. Das
X = CS bestätigen die scramasaxi cultri validi hei Greg. 4, 51 und
Saxnöt in der ahrenuntiatio.
2) dasz das CH ungefähr mit der merowingischen zeit aufhörte
und in der karolingischen, wo sich insgemein die fränkische spräche
der ahd. näherte, das ahd. H an dessen stelle trat, bei Irmino er-
scheinen gar keine CH CIIL CHR mehr, sondern überall H HL HR
und viele hss. des salischen gesetzes gehen für CH bloszes II, roma-
nische Schreiber geneigen aber sich auch dieser spirans zu entäuszern,
so dasz z. b. für charoena cheristaduna erst haroena heristato, endlich
arowena eristato eintrat, wie auch lex rip. 64 für hariraida ariragida
= ariraida steht und den Langobarden aus harimanni arimanni hervor-
geht. so erklärt sich die Schreibung Aribertus für Haribertus Chari-
bertus, oder Ilpericus Elbericus (Pertz 2, 239) für Chilpericus. auch
in der mitte von Zusammensetzungen schwindet der kehllant: Marcoil-
dis Irm. 98. Erboildis Irm. 106, wie schon Chrodieldis bei Gregor
9, 39. 10, 15 und Nantildis sonst für Nanlhildis Nandechildis, wozu
man die s. 298 gelieferten beispiele, und das in der composition von
gast abfallende G (s. 541) halte.
3) begreiflich schwanken auch CII und G, welche media nach
dem naturgang der laulverschiebung aus CH hervorgehn sollte (s. 394.)
für ragineburgius steht rachineburgius; soll hier CII älteste form sein,
wie MüllenhofT s. 291 glaubt, so wäre es nacbziigler des früheren
noch unverscholmen lauts, da freilich dem goth. ragin, ahd. rekin ein
gr. Qa/iy zur seite zu stehn hätte, aus bacchinon paterae bei Greg.
9, 28 läszt sich nichts ähnliches folgern, da ihm mlat. bacca, baci-
nus, ahd. pecchi entspricht.
545 4) von diesem fränk. CII und daraus entspringenden ahd. 11 un-
terschieden ist eine echte, in die lautverschiebung gar nicht fallende
spirans H, die durch das lat. fränk. und ahd. idiom unverändert fort-
läuft und weder in CII noch G Übertritt, wol aber wegfallen kann,
dahin zähle ich das II in Herminones, Ilermunduri, Hermanfrid, Ilec-
cynia, Ilercanbert, woneben Arminius, Ermanaricus, Irminfrid, Ercan-
bert, niemals aber anlautendes CII erscheint.
5) nicht selten wird nach lateinischer weise C für CH geschrie-
ben, Catti, für Chatti, Caribertus für Charibertus Haribertus, im gegen-
§atz zu der auch auftretenden form desselben namens Aripertus.
Das CII hat uns lange aufgehalten; weniger zu sagen bleibt von
TH, das sich zu lat. T wie jenes zu C verhält, die lex sal. hat es
richtig in theuda 46, 2 und thigiu peto 50, 2, vielleicht auch, wenn
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HP
FRANKEN
381
die Schreibung vorzuziehen ist, in thunginus; inlautend in adfathamire
von fatham sinus, ags. fädm, ahd. fadum, wozu man lat. pater und
patere vergleiche. Auch die ahren. liefert Thunar und thöm illis; Gre-
gor schreibt Theodomeres Theodoricus Theodohertus Theodegisilus; bei
Irmino hingegen sind diese TII erloschen und auf romanische weise
durch bloszes T vertreten: Teutbertus Teullindis u. s. w. analog jenem
Caribertus für Charibertus. den bekannten namen Turpinus Irm. 17 6b
möchte ich deuten Therpwinus (freund in der notli.)
Nicht darf übergangen werden, dasz die fränkische mundart in ND
NS das N, gleich der ahd. und goth. behauptet, nicht ausstöszt wie
die sächsische und nordische; es heiszt Gund Segenand Chlodosindis
Ansbertus Ansovaldus Transobadus Childefunsus.
Dies scheinen die wichtigsten ergebnisse für die fränkische laut-
regel; von der flexion läszt sich nur weniges melden, statt des goth.
nom. pl. masc. auf -ös liefert die abrenuntiatio -as in genötas und
die paganien haben nimidas dadsisas yrias. nimidas sind sacra silva-
rum (s. 497), dadsisas, wie es scheint, leichengesänge, doch hätte
man daud oder död für dad zu schreiben; yrias soll einen cursus pa-
ganus, scissis pannis vel calceis ausdrücken, läse man yrnas und er-546
wöge das ags. yrnan currere = goth. rinnan, so würde ein subst.
yrne oder yrn cursus möglich, dessen pl. yrnas oder yrneas lautete,
gerade die pluralflexion -as begegnet auch in der ags. mundart, zwi-
schen welcher und der fränkischen also hier Verwandtschaft waltete,
ebendahin wiese der völlig sächsische gen. pl. hira statt des ahd. iro
eorum, und dat. sg. allum, wogegen der dat. pl. allem them (ags. eal-
lum jaäm) der ahd. form allOm döm gliche, den acc. suno ersetzt
sowol ags. als ahd. sunu. schade, dasz die ahren. kein schwaches
masc. darbielet, nach den übrigen quellen darf nicht gezweifelt wer-
den, dasz es den Franken wie den Hochdeutschen auf -o ausgieng,
während ihm Gothen und Angelsachsen -a verleihen, auszer baro grä-
fio gasacio in den gesetzen bestätigen es eine menge eigennamen. Gre-
gor hat Amalo 9, 27 Avo 7, 3 Böso Becco mirac. 2, 16 Chillo Chlo-
gio 2, 9 Ghundo 10, 10 Dacco 5, 25 Dudo Ebero 7, 13 Faro Gaiso
9, 30 Gögo Grimo Macco 10, 15. 21 Olo 10, 3 Ollo 7, 38 Saxo
Sunno Warado 11, 98 Waddo Winlrio 8, 11, wofür Vinthrio 10, 3,
hingegen 11, 18 (d. h. hei Fredegar) die merkwürdige form Quintrio,
was meiner oben s. 73 ausgesprochnen Vermutung zu statten kommt.
Aus Irmino ersehe ich Allo (hypocoristisch für Adalhard oder Adalgis,
wie mallum für madal) 135a Bodo Badilo 163b Dado Grimo Ileddo
Hugo Marso 158a 165b Walapo 226a und viele andere wie Irmino
selbst. Ihnen zur seite stehn dann weibliche auf -a, wie bei Gregor
Ascila Böbila 4, 25 Basina Amaloberga Ingoberga Leuba 8, 28 Fai-
leuba 9, 20; bei Irmino Dada 262a Elianta 24a Gaugia 10a 168 b
Grama 20a Momma 169b Stadia 80a Warna 146a 150b Wilia 215a
u. s. w. der mannsname Cuppa oder Chuppa Greg. 5, 39. 7, 39.
10, 5 zeigt einen fremden an, keinen Franken.
In die conjugation ist kaum ein blick zu werfen, für die erste
h- 0
—i r:
■
2 H
E >5
o
ro rj
co fr
+- r<3
co
CO
0
382
FRANKEN
person trift der ausgang -o in forsacho gelöbo und in tangano der
lex sal. (wenn es nicht lat. flexion sein soll) zu jenem in suno;
die ahd. form ist -u, iu, die goth. -a. ein gerundium will ich nach-
her vermuten.
547 So viel alle diese forschungen einzusehn gestalten, hielt die frän-
kische spräche eine gewisse mitte zwischen der hochdeutschen und
sächsischen, indem sie sich bald zu jener bald zu dieser wendet, die
hochdeutsche lautverschiebung aber noch nicht kennt; eigenthümlich
ist ihr CI1.
Als im verlauf der zeit die fränkische spräche abzunehmen be-
gann, d. h. das deutsche element schwächer im innern Gallien, stär-
ker am Rhein waltete, wird zweierlei, nur scheinbar sich entgegen-
gesetztes erklärlich, einmal, dasz die fränkische mundart von innen
verlassen und ohne hall sich entschiedner nach auszen wandte und der
ahd. näherte, wie es aus Vergleichung der karolingischen mit mero-
wingischen urkunden, der eigennamen bei Irmino mit denen bei Gre-
gor erhellt; dann dasz die dem fränkischen reich unterworfnen Ala-
mannen ihre spräche selbst eine fränkische nannten, was der Fran-
kenkönig Karl im j. 842 deutsch schwur (Pertz 2, 666) klingt fast
ganz alamannisch und hat namentlich ahd. Z und UO, nur dasz noch
D in godes und dag, TH und DH hehalten sind, wie wir sie in Ot-
fried und Isidor vorfinden (s. 224.) will man dies etwas weichere
hochdeutsch, im gegensatz zur strengahd. mundart der Schwaben und
Baiern, fränkisch nennen, so habe ich nichts dawider, da Olfried selbst,
den ich für einen Alamannen halte, cin frenkisga zungiin dichtete, und
sein deutsch für fränkisch gibt; wie vermochte er auch anders? sein
künig, dem er das lied zueignet, war ein fränkischer und der Franken
preis schwebt auf des dichters#lippen. auch das Ludwigslied hält so
ziemlich den dialect des eidschwurs, und sicher wurde es jenseit des
Rheins gesungen, wie mir Isidor und Tati’an auf der linken seite, nicht
auf der rechten verdeutscht scheinen, so schwer es fällt die landschaft
548 näher zu bezeichnen*. Fränkisch aber, im sinne des altfränkischen zur
zeit der Merowinge können diese denkmäler nicht heiszen und es wird
sichrer sein sie den ahd. beizuzählen.
Wie sich das fränkische epos zum schwäbischen und gothischen
verhielt, hätten uns die verlornen lieder in reicher fülle erschlossen.
Siegfried und die Nibelungen sind von den niederländischen Franken
* man musz auf einzelne Wörter achten, die jedem Schriftsteller besonder«
eigen sind, z. b. dem Übersetzer Tatians: asni asneri mercenarius; berd geni-
men ; bruogo terror; beresboto zizania; eidbust jusjurandum; fluobar solatium;
annuzi facies; manzo über; leitido dux; pasto altile; salzön saltare; speihaltra
sputum; gestriunen lucrari; wabarsiuni spectaculum; zuomig vacuus u. s. w.
worunter viel dem alts. und ags. ähnliches. 0. zeichnet sich aus durch: arunü
bigonöto biruwis drof ßrachar ßragrehti fiara fultar witufina gelbön görag grün
urgilo ketti liwit leidunt miaren muari rentön spunön gizengi thuesben u. a. ra.
genaue idiotica aus dem Elsasz, der Rheinpfalz und Lothringen sind fühlbares
bediirfnis.
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FRANKEN 383
ausgegangen gegenüber den suevisch-gothischen Wülfingen und Amelun-
gen. auch die tliiersage von Reinhart entsprang unter Franken.
Auslauf über die malbergische glosse.
In alten, wenn gleich nicht den ältesten hss. des salischen gesetzes finden
sich, wie es auch in einigen andern volksrechten sparsamer der fall ist, dem la-
teinischen text Wörter aus der landesspracke eingestreut, welche den begrif wo-
rauf es ankommt mit einem in den gerichten hergebrachten ausdruck erklären
und sichern sollen, lieiszt es z. b. im alam. gesetz 10: si.quis in curte epis-
copi armatus contra legem intraverit, quod Alamanni kaistera bandi’ dicunt,
59, 1: si quis alium per iram percusserit, quod Alamanni 'pulislac’ dicunt, oder
65, 31: si quis in geniculo transpunctus fuerit aut plagatus, ita ut claudus per-
maneat, ut pes ejus ros (d. i. rorem) tangat, quod Alamanni tautragil’ dicunt;
so machen hier die beigefiigten deutschen worte jedem Alamannen auf der stelle
klar, bis zu welchem grad die verletzende handlung eingetreten sein müsse, deren
busze hier festgestellt wird. Nicht anders verfährt auch das ripuarische gesetz,
1z. b. tit. 18: quod si ingenuus sonesti’ id est duodecim equas cum admissario,
aut sex scrovas cum verre vel duodecim vaccas cum tauro furatus fuerit; sonesti
ist hier das schlagende wort für den begrif der herde, worunter man sich zwölf
Stuten mit dem beschäler, sechs säue mit dem eher, zwölf kiihe mit dem stier
zu denken hat. tit. 19: si ingenuus servum ictu percusserit, ut sanguis non
exeat, usque ternos colpos, quod nos dicimus 'bulislegi’ (es steht fehlerhaft buni-
slegi); mit demselben ausdruck, den die Alamannen kannten, wird auch bei den 549
Ripuariern hervorgehoben woran es gelegen ist. Dasz die sächsischen, friesischen
und nordischen gesetze, ja spätere Statuten und urkunden in gleicher absicht dem
lat. text den deutschen terminus einschalten, habe ich RA. s. 3. 4 gewiesen.
Nun steht sogar mit jenem technischen wort des ripuarischen gesetzes auch im
| salischen 2, 13: si quis viginti et quinque porcos furaverit, ubi amplius in grege
illo non fuerint, 'malb. sunesta’, und wiederholentlich 37, 3: si quis admissa-
rium cum grege, hoc est VII aut XII equabus furaverit 'malb. sonistha’; wird
hier nicht offenbar durch die malbergische glosse der nemliche rechtsausdruck
vorgeführt, den Ripuarier und Alamannen mit ihrem id est oder nos dicimus an-
geben? zeigen folglich nicht alle und jede malbergische glossen das an, quod
Franci Salii dicunt? enthalten sie nicht notlnvendig fränkische, d. i. deutsche
Wörter ? - .
Keinen andern als diesen sinn verband man auch bisher mit der malbergi-
schen glosse, und war blosz betroffen, dasz sie zum gröszten theil aller zulässi-
gen deutung" hartnäckig widerstand, wovon die Ursache in ihrem hohen alter und
der beträchtlichen abweichung der lesarten, die durch unkundige, den verstand
der worte nicht mehr fassende abschreiber herbeigeführt waren, zu liegen schien,
kenntnis der altfränkischen spräche war uns überhaupt abhanden, wie sollten
diese rechtswörtcr eines ursprünglich noch heidnischen* gesetzes nicht im dun-
kel schweben?
Da geschah es, dasz in unsern tagen Leo mit dem gedanken, die malbergi-
sclien glossen seien gar nicht deutsch, sondern keltisch auszulegen, überraschte,
und was er behauptete sogleich bis ins einzelne sinnreich durchzuführen begann,
das gesetz könne nur in einer nordfranzösischen oder belgischen gegend entsprun-
gen sein, wo Franken und Kelten schon längere zeit untereinander vermischt ge-
lebt hätten, zeige sein inhalt grosze ähnlichkeit mit keltischem recht, so begreife
sich, wie in die lateinische fassung auch keltische ausdriieke übergegangen seien:
die gesamte glosse rühre aus einem altkeltischen rechtsbuch her, im titel de ser-
vis et mancipiis furatis (Lasp. 37*) und de alterius campo (Lasp. 77*) habe man
sogar noch wörtlich und uniihersetzt daher aufgenommne recktssätze vor sich.
So stark auch undeutsches element im volksgesetz stolzer Franken befrem-
* in einem capit. Childeberti (Pertz 4, 6) heiszt es: ‘quando (Franci) illaui legem com-
posucrant, non erant christiani’.
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det, wie sollte in abrede stehn, dasz einzelne dieser keltischen deutungen auf
den ersten blick treffend schienen? im titel de furtis animalium (Laspeyres 20.
21) wurde podor, pedero durch gal. baothair vitulus, malia aus gal. maoloch
550vacca (von maol hornlos, kahl, welsch moel, armor. moal) erklärt, sind aber
einige malbergische Wörter sicher keltisch, warum sollten nicht alle übrigen glei-
cher behandlung unterworfen werden? Dem widerstrebte dennoch, dasz andere
eben so deutlich deutscher wurzel zufielen, wie in demselben titel ohseno (vgl.
altn. öxn) neben bovem, ohsaiora neben anniculum animal steht, p. 24. 25 lern
für agnus, lamp für capra, lampse für vervex, p. 29. 31 weiano sive ortfocla für
accipiter, p. 31 clianaswido fiir gallus, p. 97 chengisto für caballus spado, was
genau zum ahd. hengist spado (Grafif 4, 964) stimmt, wie fänden sich deutsche
und keltische glossen neben einander? enthalten letztere solche Wörter, die den
Franken mit den Kelten urgemein, also unerborgt sind? baothair vitulus soll aus
baoth stupidus, brutus, welsch byddar abstammen und noch andere sprachen ver-
binden kalb und rind mit dem begrif dumm; aber schon die gothische bietet
baujis stupidus, die nnl. bot insipidus dar, folglich mag den Franken ein solches
baud oder bod zugestanden haben, warum nicht baudor bodor für kalb? selbst
das span, bezerro kalb bliebe zu erwägen, bei malia, bekenne ich, stiesz mir
zweifei auf, ob es nicht aus lat. in alia entsprungen sein könne, wie bei andern
solcher glossen disjunctives aut, vel, seu, sive und in alia mente (romanisch altra-
mente, autrement) stattfindet; doch da nach malia nichts weiter folgt, mag es bei
der kuh bewenden, und sogar malia auch altfränkisches wort gewesen sein, denn
noch heutzutage bedeutet uns in Schwaben molle rind und kalb, in ßaiern mol
stier und rind (Schmid s. 389. Schmeller 2, 568), in der Schweiz ist mollig dick,
plump (Stald. 2, 213), wie gal. maol zugleich foolish ausdrückt. Sicher ward
goth. lamb, ahd. lamp keiner keltischen zunge abgeborgt, das welsche llamp darf
ihm also nur urverwandt sein, bei dem se hinter lamp mag ans goth. auhsa
gaitsa, ans altn. bamsi bersi gumsi, lauter thiernamen, gedacht werden, liegt
in der glosse zu capras: ‘afres sive lamphebros5 ein dem lat. caper verwandtes
wort, so hat das ags. liäfer, altn. hafr und ein (s. 35) gemutmasztes ahd. liapar
unmittelbare analogie zum fränk. chafar, woraus der eine glossator lieber, der
andre afer machte, und das kelt. gabhar gavyr (s. 36) sind wieder blosz in der
Urgemeinschaft. Ich darf hier nur beispiele ausheben, aber nicht unerwähnt las-
sen, dasz jenes sonesti sonista sunista viel zu offenbar mit dem ags. sunor suner
(grex) stimmt, als dasz man solcher abkunft eine vage keltische herleitung vor-
ziehen möchte; überdies gleicht seine bildung der des goth. avistr ovile, caula.
Erhebt sich also schon einspruch wider keltische etymologien, welche schein
haben, um wie viel begründeter musz er sein, wo sie sichtbar abirren, dahin
rechne ich die verschrobne deutung der deutsches gepräge gar nicht verleugnen-
551 den chunnas (Lasp. p. 158. 159.) in diesem wort erblickt Leo das kelt. cuig
quinque und legt nun alle übrigen zahlen aus nach quinionen, die ihm halbe
soliden anzeigen, da doch in chunna das goth. hunda, lat. centum enthalten ist,
wie in hunno der begrif centurio (s. 252. 492.) die erste glosse unum tlioa-
lasti sol. III3 bezeichnet das grosze hundert oder 120 denare, die genau 3 solide
betragen; dem ags. hundtvelftig, alts. anttuelifta (s. 251) scheint ein fränk. chunn-
tualafti, hunntualafti, unntualafti entsprechend, woraus hier der Schreiber 'unum
thoalasti5 machte, -sti für -fti kann blosz verlesen, ein älteres -pti noch richti-
ger sein, der ausgang -ti aber gleicht dem ahd. -zö (s. 248.) auch eine andere
malb. glosse fügt (Lasp. p. 15*) den Worten rhannechala lerechala hinzu ‘hocest
unum ahelepte", weil wieder 120 denare gemeint sind, Leo deutet galisches aon
aigh leabadh: eins guter race, mir scheinen sie aus unntualapti’ verderbt*, im
‘unum thoalasti5 findet aber Leo zahlbrettsladung von drei soliden , auch sonst
pflegt es seinen auslegungen gefahr zu drohen, dasz er für dieselben Wörter dop-
pelte, völlig abweichende deutungen unternimmt ; sie können, wenn man den ein-
zelnen geneigt wäre, nicht zusammen wahr sein. Die folgende glosse ‘sevan
* TH fürT steht auch p. 149» in quantas causas ‘thalaptas’ debeant jurare, bei Peru
4, 6 ‘thoalapus’ d. h. duodecim juratores = tualaptas, duodeni, altn. töiftar (ganz anders
Leo 2, 156.) ferner tliue septen, tho tocondi für tue septen, tua thocondi.
A.
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cliunna sol. XV’ besagt sechshundert denare, in der form sexan (s. 243) zeigt
sich der dem goth. saihs, ahd. sehs wie dem lat. sex, gr. £'f abgehende ausgang
-an; Leo bringt 6X5 halbe sol. = 15 sol. heraus, ich zweifle dasz bei cuig
(fünf) durch bloszen Vorsatz einer andern zahl multiplication ausgedrückt werde,
'scptun cliunna sol. XVII5 sind 700 denare, septun zeigt das dem goth. sibun,
ahd. sipun fehlende T, wie es im lat. septem, gr. snTa waltet; hinter XVII ist
das Zeichen des halben sol. (gewöhnlich angehängtes kleines s) ausgefallen, wel-
ches nothwendig zutreten musz. Leo deutet 7 X 5 halbe solide, theuwalt chunna
sol. XXX scheint zu bessern in tualaf chunna =1200 den., zufolge Leo ist aber
walt ein gal. balt rand, brett, worauf sich 120 denare zählen lieszen, dasselbe
was vorhin durch thoalasti ausgedriickt wurde*; nachweisung, dasz in irgend
einer keltischen spräche balt oder duallast solchen bezug auf zahlen und die zahl
120 habe, wäre unerläszlich. ‘thue septen chunna sol. XXXV’ ist doppelung jener
l7‘/2 also 1400 denare, richtiger steht in einer andern glosse (Lasp. 19") ge-
schrieben ‘tua septun chunna den. MCCCC, sol. XXXV’; Leo erklärt 2X" X5>552
ungeirrt davon, dasz kelt. seacht seachd von septun viel mehr absteht als deut-
sches sibun. 'theuwene chunna sol. XLV’ sind 1800 den. = zwei neunhunderte,
welche glosse auch im titel de furtis canum (Lasp. 27") vorkommt, aber tuene
chunne’ lautet; jene deutet Leo tliuewe net chunna = 2 X 9 X 5, thuewe aus
do, net aus naoi oder naoidh, die andere ist ihm nicht zahl, sondern duinn
cu dunkelfarbiger hund. ich vermute in beiden stellen ein fränldsches ‘tua neun
chunna3. Zumal 'wichtig wird uns die nächste glosse und lautet ‘thotocunde
sitme chunna3 sol. LXIIs (62'/») = 2500 denare. eine andre hs. liest thoto-
condi weth chunna’ und wiederum am schlusz des zweiten titels (Lasp. 21 *) stehn
die worte ‘tua zymis fit miha chunna MMD den. qui faciunt sol. LXII cum dimi-
dio , was, wie die zahlen lehren, ganz dasselbe enthalten musz. aber welchen
text aus dieser doppelten Verderbnis herstellen? ich wage: tua thuscundi fimfa
chunna. thuscundi thuschundi wird auch durch folgende glossen bestärkt und
scheint merkwürdiger gestalt, entsprang {msundi aus einer Zusammenziehung,
deren letzter theil hund enthält (s. 253); so kann die dreimal vorausgehende
zehnzahl leicht in thus gedrängt worden sein, nach welchem die fränkische spräche
das folgende CH behielt, die goth. und ahd. H schwinden liesz; thuschundi wäre
demnach goth. jmshundi, wofür Jiusundi gilt, analog dem lat. decies centum, oder
auch keltischen deich cead, deich ceud. sitmi und fitmiha leiten auf fimfa, da s
und f vertauscht werden (thoalasti für thoalafti), t aus f ward (wie vorhin in theu-
walt f. theuwalf) und das m versetzt sein könnte, gibt man dies allerdings noch
kühne fünf oder fimfa zu, so hört alle möglichkeit auf, dasz chunna fünf aus-
drücke, auch weisz Leo mit diesen 2500 den. nicht fertig zu werden, während
er die glosse des zweiten titels 1, 156 auslegt: bis vollständige zwanzig Schweine
fünf, bedenklich bleibt mir jedoch das zymis fit’, weil sich auch tit. 2, 2 (Lasp.
p. 16. 17) die räthselhafte glosse imnisfit ymnisfith darbietet, welche Leo 1, 76
schwein der herde’ deutet, ‘fitter tiuschunde’, verschrieben ‘fitter nusunde =
sol. C = den. 4000 ist vollkommen klar, fitter das goth. fidur quatuor und ‘tius-
chunde3 für thuschunde’ tausend; Leo nimmt statt tius ein tecus für zehn, cunde
für einerlei mit chunna und multipliciert 4 X 10 X 5, fitter soll welsches ped-
war sein, da doch sonst nur galische zahlen verglichen werden und das angeb-
liche chunna = cuig vom welschen pump absteht ; schwerlich ist ein solches ver-
mengen zweier sehr verschiedner dialecte gutzuheiszen. in thuschunde scheint
die fränkische spräche ND zu bewahren, in chunna mit NN zu vertauschen, ac-
toe tuschunde sol. CC’ = den. 8000, bei Leo acto tecus chunde 8 X 10 X 5-
‘thrio thuschunde therte chunna3 sind DC sol. also 24,000 den., in beiden ersten
Worten liegt drei tausend, also musz therte chunna oder nach der andern hs.553
tertheo chunna 21000 ausdrücken, was nur durch die annahme möglich wird,
vor chunna sei ‘septunti’ ausgefallen (3X70X1^0) und zu lesen: thrio sep-
tunti chunna; das -ti zu nehmen wie in tualafti. gleich gewaltsame herstellung
fordert die letzte glosse ‘fitter toschunde tue apta chunna’ = sol. DCCC =
* nach 2, 3. 2, 148 auch durch ‘schodo’; dann aber mästen sich noch manche malb.
Wörter, hinter welchen zahlen folgen, anders deuten lassen.
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32000 denare in 'fitter thuschunde fitter septunti chunna’ (4000 + 4 X 70 X 100.)
wie Leo diese beiden letzten glossen faszt, mag man bei ihm nachlesen.
Ist auch den malbergischen zahlen übel mitgespielt, dasz man ihrer wahren
lesart nicht volle Sicherheit erlangt; so läszt sich doch gar nicht verkennen, dasz
der gerichtsgebrauch nicht nach soliden rechnete, sondern sie auf hunderte von
denaren zurückführte, wie noch das mittelalter solidi denariorum hat, Schillinge
in pfennigen anschlägt, gröszere zahlen sind lieber durch doppelung schon be-
kannter ausgedriickt, als durch ein andres wort, es lieiszt zwei sieben, zwei neun
statt vierzehn, achtzehn, vielleicht zwei zehn zwei eilf zwei zwölf statt 20 22 24,
erst bei 2500 scheint zweitausend fünfhundert nöthig. eigentlnimlich wird bei
24000 vorausgesandt 3000, bei 32000 4000, folglich auch hei 40000 5000, im-
mer also der achte theil, und das übrige der summe in andern zahlen zugefiigt.
16000, wenn ich nicht irre, wäre zu bezeichnen durch tua thuschundi tua sep-
tunti chunna.
Weisen sich aber die salischen Zahlwörter als deutsch nicht als keltisch aus
(obschon eingeständlich beide sprachen von uralters her vieles hier gemein ha-
ben); so wächst einem der mut, auch an andere malbergische glossen wieder
deutschen maszstab zu legen, da es im voraus unwahrscheinlich dünken musz,
dasz ein gericht, welches deutsch zählte, daneben sonst keltische ausdriicke an-
gewandt haben werde, vorzugsweise gewichtig scheinen dabei solche Wörter, die
auszer der glosse auch in den lateinischen text selbst eingegangen sind, oder gar
blosz in ihm auftreten, und wenn der unglossierte kürzere tejft älter sein sollte
als der glossierte erweiterte, den malbergischen vorangehn, man könnte eher zu-
geben, dasz hernach ein fremdes element hinzugetreten sei, als dasz ihm der
salische Franke gleich anfangs in sein rechtsbuch Zutritt gestattet habe. Leo
thut also dem eindruck seiner deutungen dadurch groszen abbruch, dasz er Wör-
ter wie ascus, beudus, fredus, laisus, litus, leudis, reipus, sunnis, rachineburgius,
gasacio und andere, an deren deutschheit bisher niemand zweifelte, dem kelti-
schen boden zu gewinnen sucht oder wenigstens von ihm erst auf den unsern zu
verpflanzen gestattet, die meisten derselben nehmen sich deutsch leicht und un-
gezwungen, keltisch aber seltsam und wunderlich aus; wie sollten sie nicht auch
für den zwang zeugen, der den übrigen, undeutscheren widerfährt?
554 Kaum eine glosse überhaupt begegnet öfter als texaca oder taxaca, worin
Leo l, 92. 121. 133 das galische taisge rest, Überbleibsel (sonst auch pfand,
einlage) sehn will, nun hat das salische gcsetz selbst tit. 11,4 den ausdruck
'in texaga secum ducere für dieblich entführen, das ripuarische 18, 2 für in
omni furto’ und 63, 2 'de furto’ in andern hss. 'in omni texaga1, de texaga j
statt der worte 'furtum exigatur’ 42, 2 liest die Münchner hs. 'texaga exigatur
(Feuerbachs lex. sal. s. 106), endlich das alamannische 104, 25: si quis ferrum
involaverit — solvat sol. sex in texaga ei cujus fuerit’. was kann besser einleuch-
ten , als, texaga müsse gleichviel sein mit diebstal, oder eine besondre art des
diebstals bezeichnen? nahe liegen goth. tökan capere, ags. tsecan, altn. taka,
blosz hat man anzunehmen, dasz dem gutturallaut noch ein ableitendes S zutrat,
was goth. töhsaga töhsga hervorgebracht haben würde; ich finde es im ahd. zas-
cön rapere (Graff 5, 707) = zachascön zahscön. ein capitulare von 853 (Pertz
3, 426) sagt: ego adsalituram, illud malum quod scacli vocant vel 'tesceiam’ non
faciam. ja das mlat. und roman. tasca pera, wofür auch taxa geschrieben wird,
könnte ohne stehlens nebensinn den sack ausdriicken, in welchen man greift, raft
oder rapscht (in quem rapitur.) tasca und zascön unterdrücken, wie es auch
sonst geschieht, den ersten kehllaut von texaga. Leo, um die in den meisten
stellen unvermeidliche bedeutung des stehlens und entfremdens fiir texaga beizu-
behalten, ist 1, 134. 138 genöthigt, zweierlei texaga anzusetzen, das eine von
taisg schonen, übriglassen, das andere von teasg abschneiden herzuleiten; gewis
eine misliche auskunft.
Gleich häufig und so, dasz an keinem buchstab gezweifelt werden darf, ist
die glosse leodardi leudardi, welche dem gal. leadairt missethat mord frevel, zu-
weilen aber dem welschen lledrad diebstal entsprechen soll (1, 112. 121.) lledrad
furtum und leidr für, zwei in den welschen gesetzen oft wiederkehrende ausdriicke
scheinen mir, wie das armor. laer für, aus dem lat. latro, franz. larron zu stam-
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men und eben nichts zur deutung des salisclien Wortes beizutragen. Erwäge ich
die flösse 'leudardi trespellia’ in tit. 66, und dazu die worte ‘triplici composi-
tione des textes, so steht vor meinen äugen, dasz leudard (-i scheint den dativ
anzuzeigen) nichts anders sei, als was im lat. text sonst leudis, oder den Angel-
sachsen leode, leodgeld (RA. s. 652)*, ja es liesze sich leudard deuten aus leud-
gard, mit geschwundnem G wie in Leudast für Leudgast (s. 541), unter der vor-555
aussetzung, dasz leudgard, ags. leodgcard patria, praedium avilum bei den Fran-
ken mit dem begrif des wergelds und der composition überhaupt verflossen war.
wie nach dem wergeld alle andern buszen eingerichtet und nun kleinere theile
desselben auch für geringere verbrechen angesetzt wurden; so erklärt sich dasz
leudardi nicht selten da vorkommt, wo von kleinen compositionen bis zu 15 und
3 sol. herab die rede ist. merkwürdig heiszt auch das wergeld für einen mann
«der knaben leudardi und leode, für eine frau leudardi oder leodinia (Lasp. 62.
64. 67.) Dasz jenes leodardi trespellia tripla compositio bedeuten müsse, ver-
kennt auch Leo 2, 127 nicht, und sucht das adj. aus tres und fillte (-plex) zu
deuten, ich zweifle, ob für trifillte triplex ein trisfillte möglich sei, das s fällt
aber zum zweiten theil, und w'ie ahd. mhd. zwispilde (Graff 6, 337) musz auch
drispilde gegolten habeu. sollte nicht der taurus trespellius des textes (Lasp. 22.
23), welchen drei dörfer gemeinschaftlich unterhalten, in diesem sinn drispilde
heiszen können, oder gehört hierher das spil in kirchspil, fries. szerspil? vgl.
Ducange s. v. trespellius.
Für die mehrmals wiederholte glosse antedio antidio anthedio, oder abgekürzt
antedi antete, einmal auch pandete (Lasp. 26. 27. 29. 31. 38. 39. 42. 62. 63)
kann ich Leos keltische deutung (1, 120. 126) aus ‘an taobh tighe’ zur Seite des
liauses oder innerhalb nicht annehmen, denn die ältere malberg, form wird nicht
wesentliche consonanzen der heutigen kelt. spräche weggeworfen haben, nach
dem inhalt der texte müste ein adverb für ‘de intro’ in der form z. b. des goth.
andaugjö palam, oder ein subst. mit dem begrif von ‘effractio clavis3 gesucht wer-
den. mir scheint nun alts. antduan, ahd. intuon apcrire nali zu liegen und entw.
ein entsprechendes nomen oder diesmal sogar eine verbalform, wie ahd. intäti
(aperiret, effringeret) angemessen.
Den fränkischen Wechsel zwischen CH, H und völliger aphaeresis des kehl-
lauts scheinen mehrere malb. glossen zu bestätigen, die Überschrift des tit. 61
(Lasp. 146) de charoena oder die malb. glosse charoenna, samt den Varianten
liarowena und aroena gewährt uns, dünkt mich, ein gerundium in der ahd. form
hariönna heriönna (s. 496) von hariön praedari diripere, und das gesetz redet
von raubare, exspoliare, per vim auferre; auch die ahd. composita herinäma
herinumft heriraupa herilninta, ags. herehüd herereäf bedeuten praeda. Auch für
die Überschrift, des tit. 61 de andomedo (Waitz s. 260) de andometo andocmito
(Lasp. 132. 133) möchte ich handomedo, chandomedo vermuten, und darin eine
Zusammensetzung mit hand, zur bezeichnung des gewaltsamen handanlegens ad
res alienas tollendum’. handmitta ist ags. handmasz, wage, wozu aber der text
keinen anlasz gibt. Chrtaecruda durch herba pura zu deuten war schön; selbst556
in der heimlichen femlosung reinirdorfeweri’ und ‘strick stein gras grein (Wigand
s. 265. 524. 525) scheint das alte Symbol zu haften, negilich hreinigras umge-
stellt grasrheini, das gras grein (vgl. Iw. 6446 und reinegras alga. sumerlaten
54.) den ersten Spruch verstehe ich: reiner torfe weri = puri cespitis praesta-
tio. gegen so viel analogien wird die keltische auslegung ‘cruinn creadh’ collec-
ted clay schwer alifkommen, allem schein zum trotz, den sie aus den Worten im
gesetz ‘de quatuor angulis terrae pulverem in pugno colligere^ gewann; mit der
chrenecruda des fünften titels (Lasp. s. 25a), wo andere hss. ganz anders glos-
sieren** verträgt sie sich eben so wenig: es musz zu einem unwahrscheinlichen
* das wergeld für einen Römer heiszt (Lasp. p. 110) wnlaleodi, von Walah eigentlich
Gallus, hernach fremder insgemein, namentlich Italiener (Welscher.)
** eine Pariser hs. liest chanchus, die Sanctgaller chanchurda, die Wolfenbüttler laus-
mata und roscimada, der cod. paris. 440-1 lauxmada roscimada, wie es scheint nichts als
benennungen der capra. so gut sie Leo 1, 109. 111 aus dem keltischen durch gewinn
bringend, ledergewinnbringend, bekleidungsgewinn bringend deutet, liesze^ sich auch dept-
mada und verschoben mata wäre etwan alln. mätä, ahd. kimäzä
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‘cruinnicli rata’ gegriffen werden; kann aber 'ruta’ herde ausdriicken, wozu des
beigefügten gesammelt’? chröo in chreodiba (s. 232) chreomosido ist goth. hraiv,
ags. lirAv, ahd. hröo. dem Inhalt des titels 64 gemäsz hielt ich chervioburgus
für umgestelltes chuerioboro, von chuer, ags. hver, altn. hverr lebes, das wiedrum
zu entspringen scheint aus goth. ahvaris = aquarius; aqua, goth. ahva, ahd. aha
fordert frank, acha achua. inlautendes CH steht in machalum (Lasp. 52. 53) für
ahd. mahal, wobei der Ortsname Mecheln Machlinium (Pertz 7, 21) in betracht
kommen mag.
Die an verschiedner stelle (Lasp. 60. 61. 81), immer bei Verletzung der band
und des arins erscheinende glosse chamin oder chamni kann auf deutsch nicht
anders verstanden werden, als aus einem alten wort, worin der begrif von ahd.
harn hamal (mancus mutilus, Graff 4, 945) altn. hamla inhibere impedire, fries.
hemma hamma (Richth. 806b) nhd. hemmen enthalten ist. Leo gestattet sich 2,
39 und 70 zwei ganz verschiedne, beide abzulehnende deutungen desselben worts.
Via lacina, ein in der Überschrift von tit. 31 des salischen, wie tit. 71 und
557 80 des ripuarischen gesetzes ziemlich sicher aus deutschem ausdruck (goth. viga-
lögeins? ahd. wekaläki?) geschöpftes, auch in die glosse (Lasp. 44. 45. 86. 87)
eingegangnes wort soll dennoch das kelt. bealach pfad enthalten, als genügte es
hier der malb. gerichtssprache am begriffe weg! es soll wegsperre bezeichnet sein,
wie lex Alam. add. 27 de wegelaugen (= wegelägen), das schlesische rechtsbuch
des mittelalters bei Böhme II. 6, 7 von wegelägunge redet.
Im .titel de retibus (Lasp. 74) kommt die malb. gl. 'naschus taxaca’ und Leo
2, 62 denkt an den kelt. gen. pl. niasg von iasg piscis (oben s. 370); ohne zwei-
fei scharfsichtig, aber ein subst. aschus für fischzeug wäre doch gewagt vermu-
tet; netz wird gemeint, wie das mlat. tremaculus (Ducange s. v.) it. tremaglio,
franz. tremaille lehrt, lieber also halte ich mich ans ahd. masca macula retis
und rete, mhd. masche Lanz. 8512, altn. müskvi rete, und meine dasz die frank,
mundart M in N schwächend, nascus für mascus setzte.
Lasp. 58. 59 im titel de maleticis nach den Worten : si quis alteri herbas dederit
bibere utmoriatur die malb. glosse'touerbus’ mit den Varianten thovuespho acfaltho,
‘thovuesfo ac faltho’. da sollte man denken, sei vorerst das wort töver, mnl. tover,
ahd. zoupar (mythol. s. 984. 985) zur hand; th und s in beiden letzten lesarten
schiene verschrieben; das überbleibende bus’ cfo’ cpho’ könnte blosze ableitung
enthalten; es wäre vermessen 'toverful’ zauberbecher herzustellen (gramm. 3, 457.)
Leo 2, 38 sinnt auf keltisches ‘dobhar-ba’ wasser des todes. in 'acfaltho dringe
ich erst dann ein, wann mir alteofaltho wadefaltho friofalto in diesen glossen ver-
ständlich werden, die Leo auf vielfache weise deutet.
Lasp. 50. 53. 54. 58. 122 wiederholt sich mit schwankender lesart eine
glosse seolandoefa seulandoveva selandoeffa, immer bei der composition von 62V*
sol. oder 2500 den., aber für ganz verschiedne missetliaten, brandstiften, Verwun-
dung, ungerechte anklage und zauber. unmöglich also wird dadurch das einzelne
verbrechen ausgedrückt, vielmehr die auf alle gesetzte gleichförmige busze, unge-
fähr wie leudardi eine andere solche anzeigte, aus seol segeln, steuern, dirigere,
intensivem an und deabhadb teibheadh Zerstörung setzt Leo 2, 23 den begrif ab-
sichtlicher Zugrunderichtung, der ungefähr auf alle verbrechen gerecht wäre, zu-
sammen. mir macht eindruck der volle deutsche klang, söolando öwa wäre lex
regionum maritimarum, würden dadurch bestimmungen ausgedrückt, die im see-
ländischen landstrich der Salier galten? ich lasse ununtersucht, von welchem
punct aus dies Seeland, ob im alten oder neuen sitz? zu ermitteln wäre; da hätte
diese composition gegolten; auch seolandistadio sc. öwa p. 122 wäre seelandicae
regionis statutum. Oder soll seo die lat. partikel seu, sive sein, so bliebe min-
558destens landoöwa, wie es Hel. 161, 30 lieiszt: iuwan 6o, iuwaro liudo landreht;
freilich alle buszen sind landrecht, die von 62Vz in vorliegenden fällen könnte
aus besonderem grund so benannt sein, gefährdet aber scheint dadurch eine
socia, lauxmäta socia aliii, sich dem tauch gesellend, lauchfressend, po
oder bock, tauch bezeichnet allgemein jedes saftige kraut, und in rosci kö
poetisch für geisz
könnte ein andres
der geisz behagendes kraut stecken, ja" selbst chrenecruda durch diese Kräuter herange-
lockt seit), doch auch anderwärts wird chenecruda eingeschoben (Leo 2, 18.) im Heineke
1771 heiszt die ziege Metje.
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s. 232 versuchte deutung von deba incendium, insofern deba, andeba aus lan-
deva selandeva entstellt sein könnten; auf chreodiba (leicbbrand) wäre kein ein-
flusz denkbar.
Den namen malberg oder maliobergus erklärt Leo 2, 30 nach dem kelt. mol
häufe, versamlung und beargnadh landessprache; wie aber auszuscklieszen wäre
der örtliche begrif des gericbtsbergs oder luigels, wie das bekannte 'solem in
mallobergo collocare’ zu verstehn, wie die in Deutschland verbreiteten Ortsnamen
malberg, mahlberg (RA. s. 801)? mallus läszt sich doch aus goth. majd, ags. mä-
del, ahd. madal forum leiten, mallare aus goth. majdjan. der titel 46 de adfa-
thamire sagt (Waitz s. 256. Lasp. 116. 117): ante regem aut in mallo publico
legitimo, hoc est in mallobergo ante theuda aut thunginum; für ante theuda ge-
ben andere hss. an theoda, immer bleibt der sinn: vor, bei dem volk. Lasp. 19a,
wo vom majalis votivus oder sacrivus die rede ist, steht die glosse 'barco ano-
meo ani theotha’; wenn im ersten wort ags. bearh, ahd. paruc majalis unverkenn-
bar scheint, bessere ich das zweite in änomcn oder änoman, ags. änuinen, ahd.
arnoinan elatus, sublatus, von äniman tollere, efferre, und jetzt erst empfangen
die beiden letzten worte ihren sinn: der heilige eher wurde vor dem volk im ge-
richt feierlich erhoben, umgetragen, umgeführt, wie uns noch ein weisthum 3,369
erläutert: das goltferch musz durch die banke gehn; nach einem andern weis-
tlium 3, 513 soll der frischling an einer seule gebunden stehn, vgl. mythol. s. 45.
man lese also auch in dieser malb. glosse ana theuda3. Wie einfach gegen Leos
(1, 89) keltisches anomeo anitheo tha: athems aufhörens zwei! da im gesetz
nicht das geringste von einer zertheilung der achtzehnthalben soliden = 700
denaren in lk und 2h gesagt wird.
Im titel de eo qui alterius campum araverit (Lasp. 77a) findet sich zu hor-
tus die glosse ortopodun und ortobaum. orto steht nun leicht für hordo chordo,
was dem ahd. karto und lat. hortus entspricht, wie auch der habicht ortfocal
oder hortfocal heiszt, was gartvogel zu bedeuten scheint; wahrscheinlich sasz er
im hof (gart, goth. gards) auf Stangen, bäum ist einerlei mit podun = bodum,
badum, und zeigt dasz die Franken gleich den Scandinaven in diesem worte D,
wie die Gothen G hatten, fränk. badum ist altn. badmr, goth. bagms, woneben
schon bäum, wie ahd. poum, ags. beam galt, in gartbaum und baumgarte schei-
nen aber beide theile der Zusammensetzung den platz zu wechseln, wie in eidot-
ter und dotterei, windsturm und Sturmwind (gramm. 2, 547.) sind diese deutun-
gen richtig, so fällt Leos ansicht (2, 67), dasz podun dem kelt. bedheann oder559
biann entspreche, woraus das lat. fuerit des textes übertragen sei.
Dies führt mich auf den titel de servis vel mancipiis furatis (Lasp. 36. 37)
wo die merkwürdigen, zum theil entstellten glossen : theos taxata, theu tha texaca,
tbeu texaca, de taxaca, theuca texara, thenca texara, teoducco, teodocco. rich-
tig scheint mir blosz 'theu taxaca’ mancipii furtum, worin offenbar liegt theu ser-
vus goth. {>ius ahd. dio oder theu ancilla goth. jnvi, ahd. diu. vielleicht wäre in
theos der goth. gen. sg. masc. jnvis, in theuca der gen. sg. fern, wahrzunehmen,
ich bestehe iycht darauf, erinnere aber daran, dasz man noch im tit. de raptu
mul. (Lasp. 42) die glosse 'andra theo’ auf die worte des textes sponsam alie-
nam beziehen und damit auszer dem acc. tlieo ancillam = virginem auch das
adj. andra gewinnen könnte. Am schlusz des zehnten titels (Lasp. 37) hat Leo
1, 146 treffend ein rechtssprichwort entdeckt, das ich nur etwas anders und nicht
keltisch auslege, die malb. glosse lautet nemlich richtig gelesen: theutexaca is
malatexaca, amba texaca, amba othonia, was vielleicht so zu fassen wäre: knechts-
diebstal ist kuhdiebstal, gleicher diebstal, gleiche busze. mancipien werden auch
sonst dem viel) gleichgestellt, mala war kuh (s. 550), auf deren entwendung 35
sol. oder 1400 den. standen, welche summe gerade die theutexaca kostet, wäre
theuca texaca wirklich servae furtum, so schickte sich die kuh hier noch eigent-
licher. das 'is’ belehrt uns über die fränkische gestalt der tertia sg. des sub-
stantiven verbums und stimmt zur alts., entfernt sich von der ahd. und goth. (oben
s. 206.) mühe macht amba; ich halte dazu goth. ibns, ahd. epan, ags. efen,
altn. iafn, schwed. jemn; wie aus stibna stimna stempna, aus hrafn schwed. rambn
ward, neben gr. afifco lat. ambo sl. oba gilt, könnte sich eine fränkische form
amba emba für ebna entfaltet haben, und auch ags. efen schwankt in emn, von
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FRANKEN
wo nur noch ein schritt wäre zu embn. Was ist endlich othonia, oder wie es
eine andre lesart mit amba verschmilzt ambitania? ich denke ans mlat. idoneare
exadoniare, idoneum se reddere, purgare, emendare; vielleicht ist auch die beim
raub der ingenua (Lasp. 40. 41) vorkommende glosse ‘antonio’ ‘anthumia zu er-
wägen. wie aber die malb. gl. ‘horog aut orogania (Leo 2, 162) deuten? die
sogar in den text bei Waitz s. 243 eingeht: ‘ministerium quod est horogavo^
wofür man anderwärts (Lasp. 36) ‘ministerium quod est strogau’ oder ‘thoragao
und trachra’ liest.
Lasp. 44—47 wiederholt sich die glosse musido mosido mosdo mordo, wo-
bei es einfältig ist das nhd. mausen für stehlen heranzuzichen; gemeint wird im-
mer exspoliatio mortui, heimlicher raub und mord. da weder in den übrigen
deutschen noch urverwandten sprachen S gilt, scheint mordo allein richtige form,
560 vgl. lat. mori mors mortis, sl. mrjeti und mr’tviti occidere*. wozu das wort aus
kelt. mort oder mortadh leiten? zumal das altdeutsche wort gerade den begrif des
heimlichen tödtens, worauf es hier ankommt, enthält (RA. s. 625.) chreomordo
leichenberaubung theumordo (Lasp. 90. 91. 93) tödtung und beraubung eines
knechts, vgl. morter für morther Lasp. 78.
Lasp. 64. 65 anowado annano anneando adnovaddo entweder das ‘in utero,
in ventre’ des textes, ahd. ana wambo, oder gravida, in utero gerens, goth. in-
kiljjo, von kildus uterus. in beiden fällen scheint mir vaddus oder vadus zu stehn
für chvaddus, chvadus, wie lat. uterus für cuterus, goth. qijms, oder venter für
eventer, wahrscheinlich auch goth. vamba f. qamba.
An die folgende für Leo maszgebend gewordne glosse ‘schuisara chrogino
wage ich mich kaum, so wenig mir seine deutung zusagt, denn es ist gegen sie
mit fug eingewandt worden, dasz das gal. siosar erst aus dem engl, scissars, dies
aus romanischer spräche eingeführt scheine, eher möchte ich in schuisara ein ver-
derbtes fränkisches wort, nicht für den begrif des scherens, sondern des lmupt-
haars suchen, goth. skufts ahd. scuft, nhd. schöpf leitet sich her von skiu-
ban pellere, trudere, das gleich unserm treiben und dem franz. pousser auch
wachsen ausdrückt: man sagt das gras schiebt, l’herbe pousse, neue zähne schie-
ben, schuft also ist das treibende wachsende haar, wie altn. haddr flos campi
und crines mulierum. da nun s für f verschrieben wird (thoalasti f. thoalafti) so
könnten andere hss. dieser nur einmal vorkommenden glosse sciufara (oder seiu-
faca, wie texara statt texaca steht) bringen, das mag alles noch für höchst un-
sicher gelten. ✓
Dem fränkischen lautsystem, wie es vorhin aufgestellt wurde, scheint auch
das der malbergischen glosse ziemlich angemessen. E für A in lern für lam, he-
bros für habros, sex für sax, texaca und taxaca. EU in theu tlieuda, leudardi
und dem vermuteten neune. CH in chunnas chröo chröne chana chamin chagme,
P in ortpodun podor, X in sexah taxaca nexti = nehsti nesti, und in cultellus
sexaudrus (Lasp. 77), worin deutlich sax messer. das P für B und ebenso C
für G hat schon ahd. vorschrnack. G tritt auffallend ein in den Ortsnamen des
prologs (Lasp. 2. 3) Salechagine Bodogagine Widochami, wo bei Hattemer s. 351
richtiger gelesen wird Salicagme Bodecagme Widochaamni und Salechagme Bode-
chagme Widohaim, in einer andern hs. auch Salagheve ßodogheve Windogheve;
dies chagme kann nichts anders als das goth. haims alts. hßm ahd. heim sein,
vgl. die lesarten bei Waitz s. 36. 37, der s. 54. 55 eine menge Ortschaften auf
561 -hem in salfränkischem lande nachweist, eben so erscheint oder schwindet G in
seusius segusius und in den glossen chegmeneteo chamitheuto hamachito (Lasp.
22. 23) für jenen taurus trespellius tribus villis communis, in welchem cliegme
und chami wieder der begrif hain oder villa vorbricht, endlich in weiano veganus
(Lasp. 28. 29), dem namen des raubvogels weihe. Nicht zu übersehn den s. 513
besprochnen Wechsel zwischen FR und CHR, worauf die Varianten friomosido prio-
mosido chreomosido; adframire adchramire **; mafolus und macholus weisen.
* musido ist wie Busacteri für Buructeri (s. 531.)
** diesen lautwechsel erwägend und der Franci comati und criniti (s. 522) gedenkend
möchte man wirklich Leos deutung des namens Frank aus gal. und ir. greannach coma-
tus, cristatus (1, 151) beifallen, der auch noch an Aquasgranum erinnert, wozu eine dunkle
stelle des Isingrimus 353 gehalten werden dürfte, kelt. GH geht über in GHR (s. 368) aus
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FRANKEN
391
Für die flexion anzuschlagen bliebe das -as in chunnas thalaptas; einmal auch
landevevas (Lasp. 53); schwaches -o erschiene in mosido cbengisto clianasuido
christiao, vielleicht auch antedio. Da alle diese glossen nichts als nomina ge-
währen, scheint für das verbum kaum arilasz, es sei denn im vermuteten gerun-
dium charoenna, oder in antedio, und dem einem förmlichen salz einmal zuge-
flossenen is = est. Ich hebe noch die sichtbar weibliche ableitung auf -ina her-
vor in theulasina theolasina Lasp. 39. 66. cheolasina 39. friolasina 50. 51. frio-
fastina 154 (bei Hattemer 357. 368 fribasina fribastina) frifrasigena 155. evalesina
anilasina 66. 67, in welchen allen nur zwei Wörter für ancilla (theu) und inge-
nua (fri) enthalten scheinen; doch wer unternimmt auslegungen ihres zweiten
tlieils? vgl. auch chrotarsino.
Wenigstens treffen hier gewohnte laute und formen das ohr; wenn ich in
Childeberts capitular (Pertz4, 6) 'suammala burginam’ lese, klingt mir das deutsch,
obwol die verlornen oder entstellten worte unverständlich geworden sind; ich
kann nicht finden, dasz in allen malbergischen glossen keltische spracheigenheit
aufstosze. Zwar will Leo genug eclipsen und mortificationen wahrnehmen, aber
immer trägt er sie erst, in die buchstaben der glosse ein; viel zusagender wäre
wenn ihr Wechsel aus den urkundlichen buchstaben selbst hervorgienge. wad in
wadfaltho soll 2, 36 bat stock sein, dessen aspirierte form bhat wie wat lautet;
ein erklärer könnte zu bat bhat rnhat greifen wie es ihm beliebte, niemand wird
doch zugeben, dasz vargus, von uralter zeit her bezeichnung des wolfs und ver-
bannten räubers (s. 332), in der aspirierten form des gal. mairg miserandus de-
plorandus seinen grund habe, mit solchem keltischen lautw'andel, der leichtigkeit
keltischer Zusammensetzungen und partikelanlehnungen kann man die Wörter zu
allen etymologien zwingen. Scheint dennoch ein solches wort für den im text562
enthaltenen gegenständ unfiigsam, so erlaubt sich Leo in es eine so allgemeine
Vorstellung von iibelthat oder frevel zu legen, dasz es unvermeidlich einen sinn
von sich geben musz. fernere, fimire (Lasp. 60) ist z. b. eine völlig unverständ-
liche glosse, in welcher es gelingen miiste die Vorstellung eines scbifs oder na-
chens aufzuweisen (ich wüste nur den gleich dunkeln eigennamen Famerofledis
aus Gregor 4, 26 hinzuzuhalten); das soll nun 'einen tollen streich’ ausdriickcn
und aus gal. fe dämonisch und mire leichtsinn zusammentlieszen. man kann an-
nehmen, dasz unter allen keltischen deutungen die zu oft gebrauchten, welche
den begrif absichtliche Zugrunderichtung’, ‘arge Zerstörung , 'eselhafte schleiche-
rei , ausgezeichnet niederträchtiger streich’, 'toller streich’, 'ganz entsetzlich’
kundgeben, von vorn herein anstosz erregen müssen, da es gar nicht im geist der
alten rechtssprache ist, Verschiedenheit und abstufung der verbrechen mit so
nichtssagenden benennungen zu belegen.
Es ist vollkommen gegründet, dasz der Ursprung unsrer merkwürdigen thier-
fabel wesentlich auf die Franken und vielleicht das gebiet der salischen Franken
zuriickzuleiten sei, und nichts wäre willkommner als wenn die malbergischen glos-
sen zu den titeln über viehdiebstal aufschlusz über uralte thiernamen darböten. .
tactvoll hat sich darum Leo bemüht, zumal im titel de furtis avium, poetische
benennungen aus der keltischen spräche zu deuten; es würde darin auszer dem
wörtlichen einklang zugleich ein starker grund für die frühste Verbindung der
Franken und Kelten gelegen haben, aber auch hier scheint die keltische ausle-
gung nichts zu fruchten, chanaswiclo soll genau chanteclin, der im gesang blin-
zelnde sein; doch gal. smeid, das erst wenn es zu smheid wird, wie swed lau-
tet, bedeutet nur nicken, winken, ich kann für den ersten theil der composition
das deutsche hana chana nicht fahren lassen, das allerdings mit lat. canere nah
verwandt scheint, in swido könnte fortis liegen, doch nach den eigennamen Chram-
nisindus Galsuintha war der fränk. spräche suinth gemäsz, ohne ausstosz des N,
in suido musz also etwas anderes, das ich noch nicht rathe, enthalten sein, das
wollautende, allem anschein nach echte solampina solamphina bedeutet gallina,
und soll auf keltisch die gesangsiisze sein von sallan sang (wahrscheinlich erst
aus psalm, ahd. salm entnommen) und binn süsz, melodisch; ein name geschick-
weichem fränk. CHR entsprungen wäre,
schlagen wurde -
doch widerstrebt alles, was schon s. 515 ange-
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
ter für die nachtigal als die krähende gackernde henne, welche auch in den ge-
dichten nie so, vielmehr die bunte, fleckichte und blinde (blinzelnde) lieiszt. solam-
pina, das ich auch nicht deutsch auslegen kann, gemahnt smich an den böhmi-
schen namen der henne slepice, d. i. die blinde, wenigstens folgen sich in bei-
den Wörtern die consonanten SLP auf gleiche weise; ich will noch eine malb.
563 glosse mit einer östlichen spräche vergleichen, auf gans oder ente nemlich geht
sundelino, sundulino, sundleno, nach Leo die pfulfrohe, von gal. sunnd froh und
linne sumpf; den begrif des wassers oder schwimmens reichte umgekehrt unsre
spräche in sund oder sumpf fiir das erste wort der Zusammensetzung dar. mir
fällt wieder die seltsame einstimmung des lettischen sohsulens sohslens ansercu-
lus auf (von sohss anser, litth. iasis, samog. zusis = poln. g^s, nhd. gans.) darin
ist kein Widersinn, dasz die gleich allen andern Deutschen von osten hergezog-
nen Franken einzelne Wörter mit Litthauern und Slaven gemein gehabt haben
können; es zeigte uns nur hohes alter der malbergischen spräche an, aber frei-
lich, dasselbe sundelino scheint auch den Sperber (sparvarius) zu glossieren, wo
die Fulder hs. sucelin gibt, etwa dem sl. sokol — falke (s. 51) vergleichbar.
Mich haben die glossen zum titel de basilica incensa et homicidiis clerico-
rum (Lasp. 152. 153) angezogen, weil man hier, da keine entschieden christli-
chen Wörter auftreten, noch ältere heidnische wittert, bei den Worten si quis
diaconum und presbyterum interfecerit steht malb. ‘theorgiae’ und theorzine , in
der Sangaller hs. (Hattemer 365) in umgekehrter Ordnung bei presbyter theorzin,
bei diaconus ‘theorgie’. es kann nur ein und dasselbe wort sein, das sich die
glossenschreiber mit der Verschiedenheit des G und Z überlieferten, deren letzte-
res oft für ersteres gesetzt wird (z. b. in thunzinus f. thunginus.) in theorgkann
ich nichts anderes sehn als d'eovQyös, einen der göttliche werke verrichtet, und
es wäre zu ermitteln , wo und zu welcher zeit man sich theurgus für den geist-
lichen gestattete, wie die Angelsachsen sacerd', die Galen sagart aus sacerdos
entnahmen.
Für basilica erscheinen zwei ausdriicke in der Pariser und gewöhnlich mit
ihr stimmenden Sangaller hs. (Lasp. 152. Hattem. 364) <alatrudjla, und 'chrotar-
sino’, die Fulder hat ‘alutrude theotidio’ und anderwärts (Lasp. 51*) ‘chreotar-
sino\ diese letzte form soll nach Leo 2, 18 bedeuten leichenhaus, von creadh
leichnam und darsa haus; ich finde in keinem ir. oder gal. glossar, dasz creadh
leichnam bezeichne, sondern nur erde, staub (wie angeblich in chrenechruda
s. 556) und es scheint mir unerlaubt, mit Leo 2, 11 daraus den begrif des leibs
und leichnams zu folgern, staubhaus klänge allzu poetisch oder christlich. Bei
chrotarsino denke ich ans goth. hröt Scöfia, areyrj, bei alatrudua ans goth. alhs
raös, ahd. alah ags. ealh (mythol. s. 57), und alatrudua für alactrudua könnte aus
dem frauennamen Alahdrüt (vgl. Electrudis s. 537) erläuterung empfangen, der
eine heidnische priesterin oder weise frau ankündet.
Diese geringen versuche den schieier der malbergischen glosse, sei es auch
. nur am untersten säum zu lüften lassen noch viel oder das meiste zu wünschen
564 übrig; den einwurf mache ich mir selbst, dasz eine gute erklärung, wenn sie im
einzelnen gelingt, hier auch im ganzen mehr ausreichen miiste. Leos'mut, der
keiner Schwierigkeit auswich, nachzuahmen hatte ich jetzt nicht raum und ein
groszer theil solcher Wörter bleibt von mir diesmal unangerührt, mein ziel ist
erreicht, wenn ich formen, die allem Verderbnis zum trotz noch selbständig und
alterthümlich dastehn, möglichkeit des Verständnisses aus unsrer eignen spräche
aufrecht erhalte, und die keltischen deutungen, deren keine mir einleuchtet, nach-
dem sie mich lange gequält hatten, wieder abschiittle. ein altdeutsches verschlos-
senes denkmal begehrt auch deutschen Schlüssel, ja für den fast unglaublichen
eindrang keltischer Wörter ins fränkische gesetz, liesze, so weit ich umschaucn
kann, sich höchstens Procops seltsame meldung (b. goth. 1, 12) vom verein der
Franken und Armoriker, die ihm yi^ßoQvyoi heiszen, geltend machen, er fällt
aber schon in die christliche zeit, da doch das salische gesetz und die glosse
heidnischen beischmack haben.
GESCHICHTE
DER
DEUTSCHEN SPRACHE
VON
JACOB GRIMM.
ZWEITER BAND.
ZWEITE AUFLAGE.
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL
1853.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
ESSEN UND BATAVEN.
den Hessen ausführlicher handle, als dieses buches 565
>z scheint, wird keinen der mich kennt verwun-
einer heimat, in der meines bleibens nicht war,
und noch hänge.
I, auszer den Friesen, der einzige deutsche volks-
luptelem altem namen bis auf heute unverrückl an
et, wo seiner in der geschichte zuerst erwähnt
schon der Sueven name aus frühster zeit fortbe-
! sitze weiter gesteckt und veränderlicher gewesen,
n unvordenkliche, mit dem volksgefühl verwachsne
er Stätte ist ein vortheil, aus welchem mehr als
auch die Hessen, gleich den übrigen Deutschen
•e landstriche eingewandert sein; aber wann und
nden es geschah weisz die geschichte nicht, nur
lange hinaus über Caesars zeit, der die erst von
nderten Bataven bereits auf der insei des Nieder-
snnt die Chatten nie; allein nur sie gemeint haben
Sueven, die er als nachharn der Cherusken im
ühildert (s. 491), unter den Sueven, von welchen
gedrängt werden läszt, wie sie bei Florus mit
, bern ungemachte beule theilen (s. 521.) es flieszt 566
ilersuchung gleich der wichtige satz, dasz die
tscher, zu den Sueven nah gehöriger stamm sind
kj ■— . . einen beweis aus unscheinbarer volkssage führen,
den ich nicht gering schätze, noch heute nennt man in ganz Deutsch-
land, ohne zu wissen warum, beide die Hessen und Schwaben cblinde%
und wer etwas nicht gesehn hat, das andern in die aügen fiel, wird
auf der stelle cein blinder Hesse3 gescholten, besonders ist diese
schelte den sächsischen oder westfälischen nachbarn der Hessen zur
25**
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
.
ATAYEN.
eher handle, als dieses huches 565
inen der mich kennt verwun-
er meines hleibens nicht war,
1, der einzige deutsche volks-
in bis auf heute unverrückl an
der geschichte zuerst erwähnt
lame aus frühster zeit fortbe-
kt und veränderlicher gewesen,
it dem volksgefühl verwachsne
theil, aus welchem mehr als
gleich den übrigen Deulschen
wandert sein; aber wann und
eisz die geschichte nicht, nur
Üaesars zeit, der die erst von
reits auf der insei des Nieder-
;; allein nur sie gemeint haben
s nachbarn der Cherusken im
inter den Sueven, von welchen
läszt, wie sie bei Florus mit
ieule theilen (s. 521.) es flieszt5G6
der wichtige satz, dasz die
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den ich nicht gering schätze, noch heute nennt man in ganz Deutsch-
land, ohne zu wissen warum, beide die Hessen und Schwaben ‘blinde ,
und wer etwas nicht gesehn hat, das andern in die äugen fiel, wird
auf der stelle ‘ein blinder Hesse’ gescholten, besonders ist diese
schelte den sächsischen oder westfälischen nachbarn der Hessen zur
25**
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
>-■ - - !■
XXI.
HESSEN UND BATAVEN.
Dasz ich von den Hessen ausführlicher handle, als dieses buches 565
ganzer anlage gemäsz scheint, wird keinen der mich kennt verwun-
dern, da ich an meiner heimat, in der meines bleibens nicht war,
immer lebhaft hieng und noch hänge.
Die Hessen sind, auszer den Friesen, der einzige deutsche volks-
stamm, der mit behauptetem altem namen bis auf heute unverrückl an
derselben stelle haftet, wo seiner in der geschichte zuerst erwähnt
ward, denn wenn schon der Sueven name aus frühster zeit fortbe-
steht, sind doch ihre sitze weiter gesteckt und veränderlicher gewesen,
dies in seinem beginn unvordenkliche, mit dem volksgefühl verwachsne
einhaben angestammter Stätte ist ein vortheil, aus welchem mehr als
eine tugend llieszt. auch die Hessen, gleich den übrigen Deutschen
müssen einmal in ihre landstriche eingewandert sein; aber wann und
unter welchen umständen es geschah weisz die geschichte nicht, nur
reicht ihre ankunft lange hinaus über Caesars zeit, der die erst von
den Chatten ausgewanderten Bataven bereits auf der insei des Nieder-
rheins kennt.
Caesar seihst nennt die Chatten nie; allein nur sie gemeint haben
kann er unter den Sueven, die er als nachbarn der Cherusken im
bakenischen wähle schildert (s. 491), unter den Sueven, von welchen
er 4, 16 die Ubier gedrängt werden läszt, wie sie bei Florus mit
Cherusken und Sigambern ungemachte beule theilen (s. 521.) es flieszt5G6
daraus für unsre Untersuchung gleich der wichtige satz, dasz die
Chatten ein hochdeutscher, zu den Sueven nah gehöriger stamm sind
(s. 494.)
Ich will dafür einen beweis aus unscheinbarer volkssage führen,
den ich nicht gering schätze, noch heute nennt man in ganz Deutsch-
land, ohne zu wissen warum, beide die Hessen und Schwaben ‘blinde’,
und wer etwas nicht gesehn hat, das andern in die äugen fiel, wird
auf der stelle cein blinder Hesse3 gescholten, besonders ist diese
schelte den sächsischen oder westfälischen nachbarn der Hessen zur
25**
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hand; ich finde aber auch, dasz die Niedersachsen im 16 jh. den
Hessen den beinamen ‘Hundhessen* ertheilten, was man auf den hund-
ähnlichen löwen der hessischen fahne bezog*, ein müller zu Afloltern
nannte die hessischen Soldaten im j. 1622 ‘blinde hundehessen,
Schelme, diebe und räuber.* ** Süddeutschen und Schweizern müssen
die Schwaben herhalten: ‘blinder Schwab* ist schweizerisches Sprich-
wort (Kirchhofer s. 94.) ‘ei ist es wahr*, heiszt es in Nefflens vetter
aus Schwaben s. 166, ‘dasz die bauern in Schwaben zehn tage blind
bleiben nach der gebürt? mein groszvater sagte mirs, er war in
Schwaben einmal gar lange im quartier.* Leonh. Thurneiser, der be-
kannte Baseler arzt, schreibt 3, 147 (im j. 1584): ‘schwebische art;
welche geschlecht der menschen nach der gebürt, wie man vermeint,
neun tage als die hunde blind ligen sollen.* Was so tief in scherz
und ernst des volks wurzelt, kann nicht anders sein als uralt, und
ich zweifle nicht, dasz im dreizehnten und neunten jh. dieselben
redensarten, vielleicht nur verschieden gewendet und ausführlicher
entwickelt aus dem munde der leute giengen.
Wie sie nun deuten? schon Möser läszt die frage aufwerfen
567 und nicht uneben beantworten ***. es konnte selbst Römern, die
den namen Chatli oder Catti hörten, einfallen ihn mit catus, catulus,
catellus und catta zu vergleichen (s. 38. 39); ich weisz nicht, wann
zuerst in unserm mittelalter aus Melibocus, bei Ptolemaeus to MrjU-
ßoxov oqoq, die Vorstellung Cattimelibocus und der deutsche namc
der grafen von Katzenellenbogen sich erzeugte, in deren gebiet ein
Malchenberg (mallobergus) diese anwendung erleichterte, in deren
fahne, wie in allen hessischen, der löwenhund war f. Dieser einklang
erklärt aber blosz den hessischen namen, nicht den schwäbischen,
es ist an sich völlig unwahrscheinlich, dasz aus dem lateinischen
witz die deutsche sage und schelte, die Schwaben und Hessen in
gemeinschaft schon auf sich nehmen dürfen, entsprungen sei.
* Liintzels hildesheimische stiftsfehde s. 36. 38. 39.
** Rommels liess. geschichte 7, 202.
*** Mösers werke 5, 26: ich weisz nicht wie die rede eben auf die blinden
Hessen fiel, als jemand fragte, woher es doch in aller weit kommen möchte,
dasz man die Hessen blind nennt, da doch diese nation gewis eine der scharf-
sichtigsten in Deutschland sei? ‘o’ rief der alte Präsident von Z... aus, das
will ich ihnen wol sagen: die Hessen hieszen elimals Ratten oder Khazzen,
woraus zuletzt Hessen geworden; und es ist sicher eine anspielung auf die
blinde gebürt der katzen, dasz man die Hessen mit jenem sobriket beehrt hat,
welches itzt, da die Hessen nicht mehr Khazzen heiszen, ganz wegfallen sollte.
Wahrscheinlich haben die Cherusker, die mit den Ratten in beständigem kriege
lebten, jenes sobriket zuerst aufgebracht.*
t oder auch katze (Zeitschrift des liess. Vereins 4, 13.) Heinrich I erscheint
in der zweiten hälfte des eilften jh. als ältester graf von Katzenellenbogen; eines
seiner nachfolger gedenkt Walther von der Vogelweide 81, 6. Übergang aus dem
M in N war natürlich und gebirgsgestalten nach thieren zu benennen üblich.
Riihs in seiner gesell, des mittelalters s. 621 versichert höchst naiv: der name
kommt nicht von den Chatten, sondern von dem alten schlosz Katzenellenbogen,
das ist als behauptete man, der name Böhmen komme von Bojohemum, nicht
von den Bojen.
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HESSEN
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Sichersten aufschlusz gewährt uns also der mythus von den
Welfen, der sich unter Baiern, Schwaben und Hessen, wie wir s. 468
sahen, wahrscheinlich auch bei Skiren und Rugiern, in wechselnder
Überlieferung seit uralter zeit entfaltet hat; er scheint mir hochdeutscher
abstammung volles Zeichen. Die an manchen orten vortauchende sage 568
meldet von drei, sieben, zwölf auf einmal gebornen knäblein, die, weil
sich ihre mutter fürchtete, oder eine böse schwieger es veranstaltete,
ausgetragen und ersäuft werden sollten, durch dazwischenkunft des
vaters aber, dem man sie für blinde welfer * angab, zur rechten
stunde gerettet wurden, hiernach empfangen sie den namen Welfe,
"'’fe, Eitelhunde und werden stammhern berühmter ge-
e abweichung kommt vor, dasz man die neugebornen
er spöttisch als hunde oder welfer zur taufe darge-
cheint nun, dasz ein solcher mythus schon in ältester
nen dej Sueven, Hessen und Baiern umgieng, und der
me sich nicht nur in seinen söhnen und nachkommen,
schiedenheit, wiederholte, sondern auch in natürlicher
gesamte volk forlübertragen wurde, und bei dem volk
Vorwurf wölfischer Blindheit hängen. Es mag sein,
zugleich von einem wirklich blind gebornen helden,
mmen oder tauben zu erzählen wüste, dem hernach
gelöst wurden und der dann um so gewaltiger er-
Icher kann davon den namen Welf, Welfo, wie der
.nissio von der clama> (piscina), in welche er ausge-
n haben, huelf bezeichnet eigentlich catulus (s. 39),
r diesem auf die blindgehornen jungen der löwen,
n erstreckt, und weil durch abstumpfung der form
jieinbare ähnlichkeit mit wolf hinzutrat, so begreift es
hochdeutscher heldensage auch der wolf eine grosze
,i solchem sinn werden also die Wolfunge den Welfen
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identisch, und Wolfdietrichs name findet die nebenbedeulung, dasz er
als neugebornes kind von einem wolf in den wald getragen wird,
im wappen schwäbischer und hessischer geschlechter konnten sich die
welfer von selbst zu löwen umgestalten, wo nicht hunde und Wölfe 569
schon im namen blieben, wie bei den hessischen Hunden von Ilolz-
hausen und Wölfen von Gudenberg. Mit dieser Übereinkunft hessischer
und schwäbischer sagen und namen ist, wie mich dünkt, jene uralte
gemeinschaft der Chatten und Sueven nicht wenig bestärkt worden***.
Sie rechtfertigt sich auch durch die bald freundliche, bald feind-
liche berührung, in welche schon zu Caesars zeit und nachher solche
suevische Chatten ihre östliche läge mit den niederrheinischen Sigambern
* vgl. Plinius 8, 40.
** in der edda ist Helblindi eines wolfs und zugleich Odins name.
*** in andern mytlien erscheint Verschiedenheit, wie sie selbst unter mehrern
suevischen stammen obwalten mochte, z. b. in dem hessischen Holle und schwä-
bischen Berthacultus, falls sich nicht durch die schwäbische Hildaberta (mythol.
s. 255) sogar beide einigen.
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HESSEN
hand; ich finde aber auch, dasz die Niedersachsen im 16 jh. den
Hessen den beinamen ‘Hundhessen1 ertheilten, was man auf den hund-
ähnlichen löwen der hessischen fahne bezog*, ein müller zu Afloltern
nannte die hessischen Soldaten im j. 1622 chlinde hundehessen,
schelme, diebe und räuber.1 ** Süddeutschen und Schweizern müssen
die Schwaben herhalten: cblinder Schwab1 ist schweizerisches Sprich-
wort (Kirchhofer s. 94.) ‘ei ist es wahr’, heiszt es in Nefflens vetter
aus Schwaben s. 166, cdasz die bauern in Schwaben zehn tage blind
bleiben nach der gebürt? mein groszvater sagte mirs, er war in
Schwaben einmal gar lange im quartier.1 Leonh. Thurneiser, der be-
kannte Baseler arzt, schreibt 3, 147 (im j. 1584): "”*■
welche geschlecht der menschen nach der gebürt,
neun tage als die hunde blind ligen sollen.1 Wa:
und ernst des volks wurzelt, kann nicht anders s<
ich zweifle nicht, dasz im dreizehnten und nein
redensarten, vielleicht nur verschieden gewendet
entwickelt aus dem munde der leute giengen.
Wie sie nun deuten? schon Möser läszt die
567 und nicht uneben beantworten ***. es konnte sei
den namen Chatli oder Gatti hörten, einfallen ihn m
catellus und catta zu vergleichen (s. 38. 39); ich v
zuerst in unserm mittelalter aus Melibocus, bei Ptole
ßoxov oQoq, die Vorstellung Cattimelibocus und de:
der grafen von Katzenellenbogen sich erzeugte, in
Malchenberg (mallobergus) diese anwendung erleich;
fahne, wie in allen hessischen, der löwenhund war f.
erklärt aber blosz den hessischen namen, nicht den
es ist an sich völlig unwahrscheinlich, dasz, aus dt
witz die deutsche sage und schelte, die Schwaben
geineinschaft schon auf sich nehmen dürfen, entsprunge.. *ci.
* Lüntzels hildesheimische stiftsfehde s. 36. 38. 39.
** Rommels hess. gescliichte 7, 202.
*** Mosers werke 5, 26: ich weisz nicht wie die rede eben auf die blinden
Hessen fiel, als jemand fragte, woher es doch in aller weit kommen möchte,
dasz man die Hessen blind nennt, da doch diese nation gewis eine der scharf-
sichtigsten in Deutschland sei? ‘o’ rief der alte Präsident von Z... aus, ‘das
will ich ihnen wol sagen: die Hessen hieszen ehmals Kalten oder Khazzen,
woraus zuletzt Hessen geworden; und es ist sicher eine anspielung auf die
blinde gebürt der katzen, dasz man die Hessen mit jenem sobriket beehrt hat,
welches itzt, da die Hessen nicht mehr Khazzen heiszen, ganz wegfallen sollte.
Wahrscheinlich haben die Cherusker, die mit den Katten in beständigem kriege
lebten, jenes sobriket zuerst aufgebracht.1
f oder auch katze (Zeitschrift des hess. Vereins 4, 13.) Heinrich I erscheint
in der zweiten hälfte des eilften jh. als ältester graf von Katzcnellcnbogen; eines
seiner nachfolger gedenkt Walther von der Vogel weide 81, 6. Übergang aus dem
M in N war natürlich und gebirgsgestalten nach thieren zu benennen üblich.
Rühs in seiner gesell, des mittelalters s. 621 versichert höchst naiv: der name
kommt nicht von den Chatten, sondern von dem alten schlosz Katzcnellcnbogen.
das ist als behauptete man, der name Böhmen komme von ßojohemum, nicht
von den Bojen.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
Sichersten aufschlusz gewährt uns also der raythus von den
Welfen, der sicli unter Baiern, Schwaben und Hessen, wie wir s. 468
sahen, wahrscheinlich auch hei Skiren und Rugiern, in wechselnder
Überlieferung seit uralter zeit entfaltet hat; er scheint mir hochdeutscher
abstammung volles Zeichen. Die an manchen orten vortauchende sage 568
meldet von drei, sieben, zwölf auf einmal gebornen knählein, die, weil
sich ihre mutter fürchtete, oder eine böse schwieger es veranstaltete,
ausgetragen und ersäuft werden sollten, durch dazwischenkunft des
vaters aber, dem man sie für blinde welfer * angab, zur rechten
stunde gerettet wurden, hiernach empfangen sie den namen Welfe,
Hunde oder Eitelwelfe, Eitelhunde und werden stammhern berühmter ge-
schlechter. auch die abweichung kommt vor, dasz man die neugebornen
drillinge dem priester spöttisch als liunde oder welfer zur taufe darge-
tragen habe. Mir scheint nun, dasz ein solcher mythus schon in ältester
zeit von einem urahnen dey Sueven, Hessen und Baiern umgieng, und der
ihm angewiesne name sich nicht nur in seinen söhnen und nachkommen,
mit sagenhafter Verschiedenheit, wiederholte, sondern auch in natürlicher
anwendung auf das gesamte volk forlübertragen wurde, und bei dem volk
blieb zuletzt der vorwurf welfischer blindheit hängen. Es mag sein,
dasz das alterthum zugleich von einem wirklich blind gebornen helden,
wie sonst von stummen oder tauben zu erzählen wüste, dem hernach
äugen und zunge gelöst wurden und der dann um so gewaltiger er-
schien**; ein solcher kann davon den namen Welf, Welfo, wie der
langobardische Lamissio von der clamaJ (piscina), in welche er ausge-
setzt war, erhalten haben, huelf bezeichnet eigentlich catulus (s. 39),
wird aber gleich diesem auf die blindgeborncn jungen der löwen,
wölfe und katzen erstreckt, und weil durch abstumpfung der form
huelf in weif scheinbare ähnlichkeit mit wolf hinzutrat, so begreift es
sich, dasz in hochdeutscher heldensage auch der wolf eine grosze
rolle spielt. In solchem sinn werden also die Wolfunge den Welfen
identisch, und Wolfdietrichs name findet die nebenbedeutung, dasz er
als neugebornes kintl von einem wolf in den wald getragen wird,
im wappen schwäbischer und hessischer geschleckter konnten sich die
welfer von selbst zu löwen umgestalten, wo nicht hunde und wölfe 569
schon im namen blieben, wie bei den hessischen Hunden von Holz-
hausen und Wölfen von Gudenberg. Mit dieser Übereinkunft hessischer
und schwäbischer sagen und namen ist, wie mich dünkt, jene uralte
gemeinschaft der Chatten und Sueven nicht wenig bestärkt worden***.
Sie rechtfertigt sich auch durch die bald freundliche, bald feind-
liche berührung, in welche schon zu Caesars zeit und nachher solche
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396
HESSEN
und den Cherusken zwischen der Weser und Elbe brachte. Was den
älteren Schriftstellern hier noch Sueven heiszt, geht alhnälich in den
genaueren namen der Chatten über. Sueven und Sigambern waren
es, die römisch gesinnten Ubiern feindlich entgegentraten. Als 12 j.
vor Chr. Drusus durch das land der Sigambern, die damals mit den
Chatten überworfen waren (Dio Cass. 54, 23), bis zur Weser ge-
drungen war, scheint diese gefahr die Deutschen schnell wieder geeint
zu haben und bei Arbalo setzten sie dem weichenden feinde sich zur
wehr; doch der sieg blieb den Römern, deren feldlierr festen anzu-
legen bedacht war, im sigambrischen lande Aliso, im chattischen dicht
am Rhein, einige jahre später fiel er nochmals über verbündete
Chatten und Sigambern (Dio Cass. 54, 36.) ein dritter feldzug, der
im j. 9 vor Chr. mit des Drusus tode endigte, war noch tiefer in
das chattische, cheruskische und markomannische gebiet vorgerückt:
ngorjXd-e i-it/Qi rijg 2ovrjßiag sagt Dio Cassius 55, 1, der sonst
Chatten von den Sueven unterscheidet, im auszug der verlornen bü-
cher des Livius heiszt es 138: Tencteri, Chatti aliaeque Germanorum
trans Rhenum gentes subactae a Druso referunlur; bei Pedo (oben
s. 521) sind an der Chatten stelle wiederum Sueven genannt, man
570 erkennt deutlich' wie sich diese namen vertreten; wenn Tacitus Germ.
38 behauptet: Suevorum non una ut Chattorum Tencterorumve gens,
majorem enim Germaniae partem obtinent, propriis adhue nationibus
nominibusque discreti, quamquam in commune Suevi vocentur, so
können hiernach zwar die Sueven nicht Chatten, wol aber die Chatten
Sueven heiszen.
Im ganzen ersten jh. flieszt die künde von den Chatten reicher,
als in den folgenden, und den Cherusken zur seite treten sie als eins
der bedeutendsten und tapfersten deutschen Völker auf. Zwar dem
Strabo, der uns den chattischen namen neben Livius zuerst ausspricht,
erscheinen die Sueven als das gröszte unter allen (/.ityiozov zwv
2orjßo)v td'vog) vom Rhein bis zur Elbe; tvdttoztQu i'&vrj yeg/.iu-
nxd sind ihm Cherusken, Chatten, Gambrivier (d. i. Sigambern) und
Chattuarier. riinius 4, 28 ordnet dem herminonischen hauptstamm
unter: Sueven, Hermunduren, Chatten und Cherusken. Tacitus aber,
nachdem er von den Rataven und Matliakern, die beide chattischer
abkunft sind, und den undeutschen bewöhnern des zehnllamles geredet
hat, ergieszt sich (Germ. 30) in das lob der Chatten, ihr gebiet ist
kein Raches und sumpfiges, sondern hügeliches land, das sich vom
herkynischen wald gegen den Rhein erstreckt: et Chattos suos saltus
hercynius prosequilur simul atque deponit. Duriora genti corpora,
stricti artus, minax vultus et major animi vigor; multum ut inter
Germanos rationis ac sollertiae, was an ihren kriegerischen tugenden
näher entfaltet wird, omne robur in pedite, im gegensatz zur ge-
rühmten tenctrischen reiterei; was bei andern Deutschen selten wahr-
genommen wird, ist bei ihnen allgemeiner brauch: ut prirnum adole-
verint, crinem barbamque submittere, nec nisi lioste caeso exuere vo-
tivum obligatumque virtuti oris habitum. super sanguinem et spolia
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HESSEN
revelant frontem, seque tum demum prelia nascendi retulisse dignosque
patria ac parentibus ferunt. ignavis et imbellibus manet squalor. Es
ist, als höre man im epos erzählen, wie der held, auf dem erlegten
feind stehend, seines gelübdes endlich ledig, sich die langen haare aus
der siegesfrohen stirne streicht; der zug begegnet öfter in lied und
sage, dasz einer durch gelitbde verbunden ist haar und hart wachsen571
zu lassen, bis ein kampf gefochten oder rache genommen sei. * gleich
feiglingen zeigen sich die unerledigten mit zottigem, ungepflegtem
haarwuchs. erst der sieger darf seine stirne aufräumen, und die
locken, nach suevischer weise, oben zusammenschürzen. Aber noch
ein andres Zeichen wird namhaft gemacht: fortissimus quisque ferreum
insuper anulum, ignominiosum id genti, velut vinculum geslat, donec
se caede hostis absolvat; plurimis Chatlorum hic placet habitus, jam-
que canent insignes et hostibus simul suisque monstrati. omnium
penes hos inilia pugnarum, liaec prima semper acies, visu nova. nam
ne in pace quidem vullu mitiore mansuescunt. nulli domus aut ager
aut aliqua cura; prout ad quemque venere aluntur, prodigi alieni,
contemptores sui, donec exsanguis senectus tarn durae virtuti impares
faciat. Diese in der schiacht vorkämpfenden, ohne haus und hof leben-
den, aber wo sie hinkommen vom volk unterhaltnen tapfersten krieger
haben einige ähnlichkeit mit den nordischen berserkern wie mit einzel-
nen Zügen des ritterlebens im mitielalter und der noch späteren
landsknechte. Der schimpfliche eiserne ring gemahnt merkwürdig an
die (fOQßtiä oder pferdehalfter, die nach einem alten gesetz in Make-
donien umgürtet tragen muste wer noch keinen feind erlegt hatte **,
vielleicht auch an das sattellragen in unserm miltelalter (RA. 718)
und die circuli ferrei (RA. 710), nur dasz.dies alles zur strafe auf-
erlegt, die fessel des eisenrings freiwillig von den mutigsten erwählt
wurde, um sich durch den schein der schmach zu gröszeren thaten
anzutreiben.
Diese Schilderung der Chatten konnte Tacitus, dem ihre geschichte
fast bis zum ausgang des ersten jh. vorlag, im allgemeinen aufstellen; 572
seine übrigen Schriften berühren aber hin und wieder im einzelnen,
was bei ihnen vorgieng.
Des Varus niederlage im j. 9 nach Chr. trachtete Germanicus
sieben jahre später zu rächen; er überfiel mit ansehnlicher macht un-
versehens die Chatten an der Adrana, und verbrannte Mattium, ihren
hauptort. die Cherusken wurden von Caecina abgehalten den Chatten
beizuspringen (ann. 1, 56.)-
Gleieh im folgenden j. 16 muste Silius diesen einbruch ins chat-
tische gebiet wiederholen (ann. 2, 7. 25.) das erstemal trug er nur
♦Tacitus selbst meldet hist. 4, 6t von dem batavischen Civilis: barbaro
voto post coepta adversus Romanos arma jiropexum rutilatumque crinem patrata
demum caede legionum deposuit. Paulus Diac. 3, 7 : sex millia Saxonum devo-
verunt, se neque barbam neque capillos incisuros, nisi se de hostibus Suavis ul-
ciscerentur.
** Aristoteles polit. VH. 2, 6.
398
HESSEN
geringe beute davon, nahm aber des chattischen fürsten Arpus ge-
mahlin und tochter gefangen, die beim zweitenmal entfaltete römische
streilkraft von 30000 fuszgängern und 3000 reitern gestattet einen
schlusz auf die chattische bevölkerung, gegen welche ein so bedeu-
tendes lieer auszusenden nöthig schien.
Im jahr 17 sah Rom den groszen triumph, durch welchen des
Germanicus unvollendete siege über die Deutschen gefeiert wurden;
es heiszt bei Tac. ann. 2, 43: triumphavit de Cheruscis Chattisque
et Angrivariis, quaeque aliae nationes usque ad Albim colunt. vecta
spolia, captivi, simulacra montium, fluminum, proeliorum; bellumque
quia conficere prohibitus erat, pro confecto accipiebatur. in diesem
schaugepränge, das uns Strabo p. 291. 292 unmittelbar aus seiner
zeit näher schildert, musten auch die gefangnen deutschen fürsten mit
ihren frauen und kindern einhergehn: darunter cPa/j.ig, Ovy.QO[.ivQov
d'vyärriQ f]yt(.i6vog Xuttüv , dem cheruskischen sohne Segimers
Sesithak vermählt, welchen OvxQO/.wQog aber Tacitus ann. 11, 16.
17 Actumerus nennt; wahrscheinlich auch jene frau und tochter des
Arpus, endlich ylißtjg tlov Xuttiov teQtvg, vielleicht der ahd. name
Liupo; dieser priester muste unter dem volk in anschn gestanden
haben, weil ihn der römische pomp gleich den fürstlichen geschlech-
tern hervorhob. Dasz die Chatten auszer priestern auch weissagende
frauen (alahtrudi s. 563) hatten, wie die Bructerer Velleda, lehrt eine
Cchatta mulier, die dem Vitellius, als er von Galba nach Deutschland
gesandt worden war (im j. 68) sein Schicksal verkündete (Suetonii
Vitell. cap. 7. 14.)
573 Zur zeit der Agrippina im j. 50 heiszt es ann. 12, 57: iisdem
temporibus in superiore Germania (d. i. den decumalischen ländern)
trepidatum adventu Chattorum latrocinia agitantium. dein Lucius Pom-
ponius legatus auxiliäres Vangiones et Nemetas addito equite alario
monuit ut anleirent populatores vel dilapsis improviso circumfunderentur.
et secuta Consilium ducis industria militum, divisique in duo agmina
qui laevum iter petiverant recens reversos praedaque per luxum usos
et somno graves circumvenere, aucta laetitia, quod quosdam e clade
variana quadragesimum post annum servilio exemerant. dies dient
zum beweis, dasz die Chatten gegen Varus mitgefochten und die ganze
zeit über damals gefangne Römer als knechte mit sich geführt hallen,
welche genaue künde von ihnen zu erlheilen musten diese im stände sein.
Ins jahr 58 fällt ein für die Chatten übel ausgeschlagner krieg
zwischen ihnen und den Hermunduren über die Salzquellen (wahr-
scheinlich der Werra, wo noch heute Salzungen liegt*), wovon Ta-
citus 13, 57 merkwürdige nachricht gibt. a^er AUe-ndo*^
Bei dem batavischen aufruhr unter Civilis im j. 69. 70 kann
kein germanischer volksstamm heftiger angeregt worden sein, als die
Chatten, und die belagerung von Mainz durch Chatten, Usiper und
Mattiaker (hist. 4, 37) hieng ohne zweifei eng damit zusammen.
* Salzunga in finibus Turingiae super fluvium Wisara. Sckannat n° 454.
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HESSEN
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Im j. 88, unter Domitian, der selbst einen heerzug gegen die
Chatten unternommen hatte (Suetonius in Dom. 6), brach ein krieg
zwischen Chatten und Cherusken aus, in welchem letztere völlig un-
terlagen, so dasz Chariomer, ihr lurst, bei den Römern, aber umsonst,
hülfe suchte (Dio Cass. Reim. p. 1104.) Nicht den kampf selbst, nur
dessen ausgang schildert Tacitus Germ. 36, offenbar mit zu grellen
färben: in latere Chauchorum Chattorumque Cherusci nimiam ac mar-
centem diu pacem illacessiti nutrierunt. idque jucundius quam tutius
fuit, quia inter impotentes et validos falso quiescas; ubi manu agitur,
modestia ac probitas riomina superioris sunt. Ita qui olim boni 574
aequique Cherusci, nunc inertes ac stulti vocanlur *. Chattis victori-
bus fortuna in sapientiam cessit. Tracti ruina Cheruscorum et Fosi,
contermina gens: adversarum rerum ex aequo socii sunt, quum in se-
cundis minores fuissent. Diese sonst nie genannten Fosi sollen an der z^.Zfy
Fuse gewohnt haben, welche sich in die Aller gieszt^ich denke, die
schnellrinnende, füsa, ahd. funsa? Aus dem sieg der Chatten folgert Scunlvr«,
man unsicher eine beträchtliche ausdehnung ihres gebiets gegen osten,
wie sie die geographischen Angaben des Ptolemaeus zu begehren
scheinen.
Nach den bisher gedachten meldungen erstreckten sich die Chatten
im westen gegen den Rhein und an die Usipeten, im norden an Tenc-
terer, Sigambern, es scheint auch an eine ecke der Chauchen **, im
osten an die Weser und Cherusken, im Süden an Hermunduren, viel-
leicht noch an andere Sueven und das decumatische land. des Volkes
kern und miltelpunct lag an der Adrana (Eder, Edder), wo sie sich
in die bei Römern nie genannte Fulda *** ergieszt. dieselbe gogend
ist auch später und bis auf heute unverändert als eigentlicher sitz der 575
Hessen angesehn worden, welche die Werra von den Thüringen, ein
dorf Wolfsanger an der Fulda unweit Cassel von den Sachsen schied. '“/ayQau
Ptolemaeus aber in der ersten hälfte des zweiten jh. rückt die Chatten
* galten solche beinamen in gutem und bösem sinn unter den Deutschen
selbst, so kann es nicht befremden, dasz frank (s. 513. 519. 522) und quad
(s. 507) in förmliche namen iibergiengen.
** Chauchorum gens in Chattos sinuatur. Germ. 35. hatten sich die Chauchen
einen schmalen streif an der Weser mitten durch cheruskisches land errungen?
oder ist für Chauchorum zu lesen Chamavorum?
*** auch der geographus ravennas nennt sie nicht, vor dem achten jh. wird
der name Fuldaha, Fulda kaum erscheinen: fuldense monasterium fundari coeptum
a Bonifacio anno 744 (Pertz 1, 345.) nun läszt er sich zwar ableiten vom ahd.
fulta terra und bedeutet einen landflusz (fultaha), wozu die alte Schreibung Fulta 'Rotk. beik.l(\^
(MB. 28B, I a. 777 und Pertz 2, 83) stimmt, das D ist dem alts. folda, ags.
folde gemäsz. Da sich aber slavische ansiedlcr den Main entlang bis ins Fuldi-
sclie niederlieszen; so darf aufifallen, dasz auch die böhmische Moldau den Slaven
selbst Wllawa, Wletawa heiszt und in den ann. fuld. bei Pertz 1, 385 Fuldaha,
Waldaha eben diese Moldau meint; im russischen bezirk Minsk ergieszt sich ein
flusz Volta, Velta in die Dwina. Oder begegnen sich, noch höher hinauf, sogar
die Wörter folda terra (finn. peldo ager, arvum) und molda terra (finn. mulda,
multa) ahd. molta? in der edda Sann. 94* ist foldvegr. was 240* moldvegr.
M und F können leicht neben und für einander eintreten, wie sonst M und ß
(Massel und Bassel, weisth. 2, 516.)
w«. -VH.
HESSEN
ostwärts vor, fast in das heutige Thüringen, zwischen Chamaven und
Tubanten, welche ganze Stellung, wie die der langobardischen Sueven,
hei ihm verfehlt oder vielfach dunkel scheint; es gehricht uns an ge-
nauen meldungen über die läge und geschichle der Chatten im laufe
des zweiten und dritten jh., als dasz eine berichtigung thunlich wäre,
wenig aber hat es für sich, dasz über die Weser hinaus im lande
der Cherusken und über die Werra hinaus in dem der Hermunduren
die Chatten fusz gefaszt haben sollten.
Wie seit Caesars tagen und vorher schon deutsche heere den
Rhein überschritten und sich auf der linken seite des Stroms in Gallien
ansiedelten, wie einzelne häufen von den Römern selbst gewaltsam
übergeführt ihnen befreundet und sogar im römischen heer verwandt
wurden, allmälieh dichtere germanische bevölkerung dort erwuchs,
unter der im dritten jh. der fränkische name verlautete, ist in den
vorausgehenden capiteln gezeigt worden. Wenn Sigambern und Salier
den wesentlichen bestand dieser Franken bildeten, so könnte man im
voraus erwarten, dasz dem alten zug nach westen folgend auch Chatten
in die fränkische rnasse getreten wären; den Sigambern standen sie
längst befreundet und verbündet und dasz die mit den Saliern örtlich
sich berührenden Bataven aus der Chatten schosz hervorgegangen
waren, muste im andenken des volks unvergessen sein, auch wohnen
gerade in batavischer gegend, wie nachher anzugeben ist, die noch
ganz chattisch benannten Chattuarii, und Sulp. Alexander hei Gregor
576 von Tours 2, 9 läszt zu Valentinians zeit den in fränkischer geschickte
neben Sunno auftretenden Marcomir (s. 519) ausdrücklich als chalti-
schen führer erscheinen, selbst die bei Ptolemaeus neben Dandulen
und Turonen aufgeführlen MuQOvtyyoi leiden vergleich mit den frän-
kischen Merowingen und bezeugen uralten Zusammenhang zwischen
Franken, Chatten und Thüringen, dessen die geschichte dieser stamme
vielfach eingedenk bleibt. Dennoch scheint das innere chattische volk
nicht aus seinem Stammsitz an der Eder gewichen, und weder früher
jemals in die legionen der Römer eingeworben *, noch später ein
eigentlicher bestandlheil des fränkischen siegesheers. Um so weniger
wird sich behaupten lassen, dasz der name der Chatten, wie er zueTSt
in dem der Sueven begriffen war, zuletzt in dem der Franken auf-
gehe ; zwischen dem mächtig aufblühenden fränkischen reich im westen
und dem thüringischen im südosten erblich der Chatten rühm, nicht
ihr name.
Hier liegt es mir ob, früher angeregten grammatischen zvveifel
gegen die gleiehheit des chatlischen und hessischen namens wieder
zu tilgen.
Die Römer schrieben Chatti (Strabo und Dio Xdrroi, Ptolem.
Xurrai) ganz nach fränkischer weise (s. 543), und wie Chamavi in
Hamaland (s. 530) iibergieng, muste das CH in Chatti allmälieh sich
* die notitia dignitatum nennt Bataven, Mattiaker, Bructerer, Tubanten, nie-
mals Chatten.
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HESSEN
401
in II wandeln, auch erscheint in dem namen eines von den Chatten
entsprossenen nebenslanmis, auf welchen ich zuriickkominen werde,
die form Chattuarii gemildert in Halluarii und sogar Attuarii, wie wir
es in Chariberlus Haribertus Aribertus, Chilpericus Hilpericus llpericus
fanden (s. 544.) der anlaut macht also keine Schwierigkeit und für
Chatti würde ahd. Ilazzi Hazi ganz in Ordnung sein, denn auch
für Hattuarii begegnet ahd. Hazzoarii in den annalen bei Pertz 1,
7. 343.
Warum aber erscheint das seit jener letzten anführung des Sul-
pitius Alexander verschollene chattische volk zuerst wieder bei den 577
fränkischen annalisten des achten jh. durchgängig unter der benennung
Hassii oder Hessii und nicht Ilazzi Hezzii? die briefe des Bonifacius
schreiben cin confinio paganorum Ilaessonum et Saxonum\ die vila
Bonifacii Ilessi Ilessorum, die annales Einhardi (Pertz 1, 153) Ilassi,
und so finde ich überall auch in dem häufigen aus dem volksnamen
geleiteten mannsnamen Ilassi, Hassio, Hesso nur SS, nicht ZZ ge-
schrieben: ‘Ilessi unus e primoribus Saxonum’ (Pertz 1, 155. a. 775)
‘cum Ilassione’ (Pertz 1, 154.) die heutige Schreibung Hessen ist
also schon durch die mhd. (Nib. 175, 1) und ahd. rechtfertig, und
es wäre überflüssig noch mehr belege zu häufen, ein Schwab oder
Baier des siebenten jh. würde in diesem volksnamen ZZ, ein Sachse
TT ausgesprochen haben, das im achten entfaltete SS erklärt sich
aus beiden, und hat andere analogien: vom goth. vitan wird das praet.
vissa für vitida, vom ahd. wizzan wissa wessa für wizzila gebildet und
eben daher entspringt das goth. adj. viss certus, ahd. kiwis gen.
kiwisses; aus alln. sitja sedere sess sella und sessa pulvinar. wir
sahen s. 358, dasz auch aus lat. sedeo sessum, aus meto messum
hcrvorgieng; es besteht eine uralte assimilation der inlautenden lingual-
muta in die spirans, zumal bei geläufigen formen wie eigennamen.
Kann hiernach die Verschiedenheit der namen Challus Chatta (und
Cliallio, wie Francus Francio) Hazzo Hassio Hesse keinen anstosz geben,
so wird auch über den ursprünglichen sinn dieses Worts wenig zweifei
bleiben; es ist zurückführbar auf eine eigenthümliehkeit der tracht,
die den ganzen volkslamm, oder vielleicht den an seine spitze treten-
den heros und golt auszeichnete. Tacitus hehl zwar kein solches
kennzeichen an den Chatten hervor, es könnte etwas gewesen sein,
was allen Deutschen bemerkbar, dem äuge der Römer nicht auffiel,
ags. heiszt hät, engl, hat, altn. haltr pileus, pileolus, galerus, etwan
eine hauptbinde und haube, die sich dem ags. heafela (zeitschr. für d.
alterth. 1, 13(3) vergleicht; das ags. häter, mhd. haz, haeze (gramm.
3, 451) scheint binde und gewand in allgemeinem sinn, merkwürdig
aber führt Odinn selbst, dem wir vorhin (s. 568) auch im Helblindi 57S
begegneten, den namen Höttr pileatus (mylhol. s. 133), wie der Gelen
und Gothen priester pileali hieszen; warum sollte nicht den chatti-
schen Alßrfi (s. 572) solche mitra geschmückt haben? Höttr wäre
goth. Ilattus (gen. Ilattaus) und hetja heros (myth. s. 317) könnte
ihm verwandt, ja unmittelbar ein goth. hattja = ahd. Hassio Hesso
26
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402
HESSEN
<^Oüi^OJx ^
sein, so dasz es unnöthig wird, für die helden und krieger die im
hintergrund liegende Vorstellung des hauptschmucks festzuhalten.
Ich weisz kein andres deutsches volk, bei dem sich so viele er-
innerungen an das heidenthum eng nebeneinander bewahrt hätten wie
bei den Hessen, und zwar gerade in dem landstrich, der auch als
hauptsitz der Chatten angesehn werden musz. unfern von jener Don-
nerseiche. bei Geismar lag zugleich ein Wuotansberg im Edergrund
wie im Fuldathal bei Rotenburg ein andrer Wuotansberg und Grosz-
vaterberg (Ellerheitenberg), dem als groszvater gedachten Donnergott
geweiht; es scheint, dasz man die heiligen Örter der beiden höchsten
götter gern nebeneinander hegte, wie auch im Norden ihre bildseulen
oft zusammen standen. Frideslar, zwischen Geismar und Gudensberg,
musz, wie der name anzeigt, eine gefriedete, heilige stätte gewesen
sein; was Geismar bedeutete, entgeht uns, weil aber mehrere Örter
dieses namens auf hessischem, engrischem und thüringischem boden
Vorkommen (die hessischen in urkunden des eilften, zwölften jh. ches-
mari, gesmere, geismere, bei Pertz 2, 825 steht gaesmere), darf man
einen mythischen und chattischen bezug kaum bezweifeln: die Wurzel
gisan geis spirare, bullire, wovon geist, spiritus, halitus und goth.
gaisjan metu percellere, usgeisnan stupere leitet auf heidnischen brauch
an heiliger quelle; bei Geismar liegt ein Sauerbrunnen, bei Hofgeismar
ein gesundbrunnen.
Dicht vor Gudensberg liegt ein dorf Maden (urkundlich Mathana,
Madana) und nordwärts am llüszchen Rhein, das auch den namen
Matze, Matzof d. i. Mazzaha empfängt, ein andres Metze genanntes
dorf; man hat die wähl, in welchem von beiden man das alte, von
579 Germanicus verheerte Mattium (nach Tac. ann. 1, 56 ausdrücklich cid
genli caput’) annehinen will, in die lautverschiebung, wenn TT la-
teinisch sein soll, fügt sich Mattium, fränk. Mathana, ahd. Madana;
war aber das TT, wie in Chatti fränkisch, so ergebe sich ahd. Mazzaha.
das alle volksgericht soll eben zu Maden gesessen haben, nach wel-
chem ganz Niederhessen die grafschaft Maden hiesz. in dieser gegend
zwischen Eder und Fulda behaupteten sich im 11. 12 jh. hessische
grafengeschiechter von Maden, Gudensberg und Felsberg, auf welche
sich der geschwächte chattische glanz gleichsam zurückgezogen hatte,
um neue kraft zu sammeln, noch lange zeit gieng der sprucli
Dissen Deute Haidorf Ritte Rune Resse,
das sind der Hessen dörfer alle sesse,
wie sie bis heute links der Eder zwischen Gudensberg und Cassel
fortbestehn; es wird damit der enge umfang des zuletzt aufrecht ge-
bliebnen, aber echten Hessens angezeigt. Dissen und Deute, Bune
und Besse alliterieren. Ritte ist Altenrilte, Bune Altenbaune; Besse
heiszt in urkunden Passaha *. Man könnte wähnen auch im namen
* 'in Passahe et Fanahe’ trad. fuld. ed. Dronke 6, 112 p. 39; in villis
duabus Ritehessis et Fanahessis’ ibid. 6, 61 p 37 mit merkwürdiger anfügung
ies volksnamens an den Ortsnamen, wie insgemein aus dem dat. pl. der volks-
namen die örtlichen hervorgegangen sind, und wie 'Hessen eigentlich bedeutet
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HESSEN. BATTEN
403
Cassel liege noch der des volks, die älteste form in einer urk. Conrad
des ersten von 913 lautet Chasella, Dietmar schreibt im j. 1015 Cas-
salun (Pertz 5, 840); doch wüste ich weder das zutretende L zu
verstehn, noch zu erklären, warum sich niemals die gestalt Hassala
Hessala zeige, anderes bedenken hat die ableitung vom lat. castellum580
dessen T sonst nicht schwindet *, und keine spur ist hier von römi-
schen bauten, wie etwa bei dem Cassel gegenüber Mainz; bekanntlich
gibt es sonst Örter dieses namens, auszer dem flandrischen auch ein
Cassella am Niederrhein (Lacomblet n° 97 und 117 a. 947. 974.)
Wenig ertragen die von Römern angegebnen chattischen eigen-
namen. für cAdgandestrii principis Chattorum lectas in senatu literas,
responsumque esse’ bei Tacitus ann. 2, 88 schlug ich vor: ad Gan- 22.5b
destrii literas responsum esse, um Gandestrius fassen zu können wie
Gandaricus (s. 478 vgl. Gandrikes ande Pertz 2, 388) und nach dem
grundsatz der namensanalogie in alten geschlechtern auch Arpus (ann. \\v\ crüT
2, 7) zu deuten anas mas, wofür noch heute in Niederhessen Erpel
gilt (vgl. Arbala s. 521.) Bei Strabo stehn so viel enslellle namen;
sein OvxQO[.ivQog oder OvxQO^vfjQog p. 292 heiszt dem Tacitus 11,
16. 17 Actumerus, was man nicht in Catumerus ändern darf, ahd.
Ahtomäri wäre genere clarus, man wird auch OvxQO^irjQog zu bes- r'^' *) / 224
sern haben in lPuf.ilg seine tochter könnte auf Chramnis Ayo,
Framnis (s. 514) leiten, bei Libis dachte ich an Liubi (s. 572.) Man
übersehe nicht, dasz den Chatten, wie den Cherusken und andern
nordwestlichen Germanen nur principes oder rjyt^iovtg beigelegt wer-
den, keine reges.
Aber es ist zeit auch die chattischen nebenstämme zu erwägen,
im lext des Strabo heiszt der eben angeführte Ovxyo/urfQog ijyt/uwy
Buttwv, was man auf Tacitus bericht hin in Xaxxwv zu ändern be-
fugt gewesen ist, da es unglaublich scheint, dasz neben Chatten noch
ein andrer nahverwandter stamm des namens Batten bestanden habe,
dessen Tacitus und Dio überall geschweigen. Zwar liesze sich zu
gunsten dieser Batten anführen, dasz Strabo auch noch ^ovßuxxoi
beibringt, die sich wie 2ovya/nß^oi in Sigubatti auflösen (s. 526)
und schon bedenklicher von Zeusz s. 89 für Tubanten erklärt werden,
noch gröszeres gewicht haben könnte, dasz bei der eingeständlichen 581
abkunfl der Balaven von den Chatten, solche Balten geradezu Bataven
schienen, die in der alten heimat zurückgeblieben wären, wobei sogar
der Ortsname Besse Passaha (s. 579) in betracht käme **, dessen SS
'in Hessis’ auch in Ritehessis, Fanahessis’ nichts sagt, als 'in dem von Hessen
hewohntcn Bitte und Fenne.' Fenne (auch amts Gudensberg) ist ausgegangen, alanoau Jl-bZ
Dasz diese bauernart etwas auf sich hielt ersieht man aus dem liede von der
stolzen braut zu Bessa, gedruckt in Kornmanns mons Veneris Frankf. 1614
s. 304 — 308; es ist wol noch im 14. jh. entsprungen und hält ganz die neid-
hartiscbe weise ein.
* es sei denn im poln. kosciot (spr. kos-ziol) kirche, das man aus castellum
leitet; doch dies sc geht vor i aus st hervor, wie das böhm. kostet zeigt.
** die getischen Bessen (s. 198. 199) anzuschlagen wäre verwegen, wenn auch
ihr SS eben so gefaszt werden dürfte.
26*
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404
HESSEN. BATTEN. MATTIAKER
imantur; das soll heiszen,
taven. als aber der ba-
wir sie sogleich neben r 1
rtreten. Tac. bist. 4, 37. a j
aus TT wie Hessen aus Chatten folgte, während andere Örter, z. b.
Battenberg an der Eder TT festhielten; ja die annales fuld. Enhardi
ad a. 715 schreiben wirklich terra Bazzoariorura, welches Pcrtz 1,
343 in die note verwiesen und im text durch Ilazzoariorum ersetzt
hat. ganz darüber abzusprechen wage ich nicht, da es, Batten neben
Chatten vorausgesetzt, ebensowol Battuarii als Chattuarii geben konnte.
Der name jenes chattischen hauptortes Mattium führt unmittelbar
auf die von der Eder abliegenden, westwärts gesessenen Mattiaci,
deren meldung Tacitus Germ. 29 einschaltet, als er von den Bataven
und ihrer Unterwürfigkeit redet: est in eodem obsequio et Mattiacorum
gens. protulit eniin magnitudo populi romani ultra Rhenuni ultraque
veteres terminos imperii reverentiam. ita sede finibusque in sua ripa,
mente animoque nobiscum agunt, cetera similes ßatavis, nisi quod
ipso adhuc terrae suae solo et coelo acrius animantur; das soll heiszen,
sie sind noch wilder, ungezähmter als die Bataven.
tavische aufstand ausgebrochen war, sehen
andern Chatten und Usipen gegen die Römer vortreten.
Nach ihnen hieszcn die am fusze des Taunus sprudelnden heilquellen:
mattiaci in Germania fontes calidi trans Rhenum, Hin. 31, 2; zur
zeit des Claudius lieszen im gebiet der Mattiaker (am Taunus?) mit
geringem erfolg die Römer nach erz graben. Tac. ann. 11, 20.
Ptolemaeus nennt sie nicht mehr, wohl aber jenes chattische Mattium
Blumaxov. die notilia imperii kennt noch Mattiaci als germanische
Söldner der Römer.
582 Läszt sich Mattium und Mathana Madana aus dem wiesengrund
an der Eder deuten, so stimmt auch hier das schwäbische und ale-
mannische mate, matte pratum, fries. mede, ags. mädo, engl, meadow,
aber TT wiche in der lautverschiebung von dem des namens Chatli
ab, oder das TZ des dorfes Metze fügte sich besser, man sucht in
Wisbaden, nhd. Wiesbaden denselben begrif der Matte oder Wiese,
und zugleich des bades. ich hielt s. 535 zu Wsinobates Usipetes
und bin nicht entgegen, dasz in Usi Visi und vielleicht wiese liege,
ja des Ptolemaeus Iyyyuovtg an derselben stelle und der spätere
Engiresgau könnten auf anger pratum zurückgehn, so dasz Usipetes,
Mattiaci und Engriones in dem begrif wiese, matte und anger zusam-
menträfen *.
Für Mattiaci halte ich aber eine andere scheinbar kühne, doch
im sprachgesetz wolbegründete Vermutung bereit, es ist zu bewun-
dern, wie die uralten Völkerverhältnisse, nach allen eingriffen der
späteren geschichte, oft und fast unvertilglicli wieder hervortreten,
den namen der Mattiaker glaubte man seit jener letzten erwähnung
in der notitia imperii erloschen; wie wenn ich ihn in Nassau, dem
lande bei welchem sich auf derselben stelle die herschaft forterhalten
hat, wiederfinde?
* wobei jedoch die cheruskischen Angrivarii, späteren Engern in betracht
kommen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
jmmmm
HESSEN. NASSAU. BATAVEN
405
In einer urkunde Conrad des ersten vom j. 915 wird ein hof
Nassau dem kloster zu Weilburg geschenkt *; das ist die frühste er-
wähnung dieses namens, der ort lag auf dem rechten ufer der Lahn
oberhalb Dausenau und kam nachher unter das stift Worms, ihm
gegenüber auf dem linken Lahnufer baute im beginn des 12 jh. ein
graf von Lurenburg eine feste, die er wiederum Nassau nannte ** und
um die Milte des 12 jh. nannten sich alle grafen von Lurenburg
nach diesem Nassau, die benennung musz also von altersher in der
gegend hergebracht gewesen sein, dasz sie sich an bürg und her-
schaft hieng.
Eine alte genealogie deutet sie ganz richtig £madidum territorium* 583
und nun ist nur ein schritt weiter zu thun. das lat. madere und
madidus scheint unserm nasz, mhd. ahd. naz, alts. nat, goth. nats,
nnHan. ahd. nezan, nhd. netzen gebildet wird, urverwandt,
1. /. > Irv*. i in N (vgl. oben s. 493 Mäovog und Nasua,
^ ms); die Chatten konnten noch zu Tacitus zeit
(fL
} /Y&AkÄa
Mattiaci besitzen, das hernach und schon bei
jh. N ward, die bedeutung der wiese und
leicht zu einigen, matte wird wie aue einen
bezeichnen, während also gegenüber madidus
schwächten, die muta verschoben, haftete in
io der lat. laut, welcher sich dann im alemann.
lfe minder als bei naz verschob, ich möchte
’en sqhwer fallenden wetterauischen Ortschaften
»ach heranziehen; eine urk. von 790 (in Mar- SS une^
leim 1, 142. Calmet 1, 293. Böhmers reg.
ingae et Squalbach in der Mainzer gegend auf
das Nastätten und Schwalbach? in mehrern
jicheinen Ortsnamen mit Vorgesetztem dat. pl.
1tw
Zusammenhang beider formen haltbar, so hat
iven und Mattiaker nebeneinander gestellt (wie
lilatum öfter vereint) und die spätere geschiehte
lolland und Nassau vielfach bewährt.
) nennt uns die von der Maas und einem arm
tavische insei: Mosa profluit ex monle Vosego,
^onum, et parte quadam Rheni recepta, quae
adpellatur Vahalis, insulam efficit ßatavorum, ac in oceanum influit,
neque longius ab eo millibus passuum LXXX in Rhenum transit. die-
selbe Batavorum insula geben Plinius 4, 15 und Tacitus ann. 2, 6.
hist. 5, 23 näher an, Dio Cassius 54, 32 hat r\ züv Buraovwr vrjoog,
55, 24 aber tj Buraova, Baraßia, und im mittelalter dauerte der 584
gauname Batua, heute noch Betuwe fort.
* orig, guelf. 4, 275. Böhmers regesta n° 25 und regesta Ivarolorum
n° 1255.
** Reinhards jur. und hist, ausfiihrungen 2, 151.
404
HESSEN. BATTEN. MATTIAKER
aus TT wie Hessen aus Chatten folgte, während andere Örter, z. b.
Battenberg an der Eder TT festhielten; ja die annales fuld. Enhardi
ad a. 715 schreiben wirklich terra Bazzoariorum, welches Pertz 1,
343 in die note verwiesen und im text durch Hazzoariorum ersetzt
hat. ganz darüber abzusprechen wage ich nicht, da es, Batten neben
Chatten vorausgesetzt, ebensowol Battuarii als Chattuarii geben konnte.
Der name jenes challischen hauptortes Mattium führt unmittelbar
auf die von der Eder abliegenden, westwärts gesessenen Mattiaci,
deren meldung Tacitus Germ. 29 einschaltet, als er von den Bataven
und ihrer Unterwürfigkeit redet: est in eodcm obsequio et Mattiacorum
gens. protulit enim magnitudo populi romani ultra Rhenuni ultraque
veteres terminos imperii reverentiam. ita sede finibnsque in sua ripa,
mente animoque nobiscum agunt, cetera similes Batavis, nisi quod
ipso adhuc terrae suae solo et coelo acrius animantur: da« «nii
sie sind noch wilder, ungezähmter als die Batavi
tavische aufstand ausgebrochen war, sehen wii -
andern Chatten und Usipen gegen die Römer vortre
Nach ihnen hieszen die am fusze des Taunus sp
mattiaci in Germania fontes calidi trans Rlienui
zeit des Claudius lieszen im gebiet der Mattiak
geringem erfolg die Römer nach erz graben.
Ptolemaeus nennt sie nicht mehr, wohl aber jen
IMurxiuxöv. die notitia imperii kennt noch 31?
Söldner der Römer.
582 Läszt sich Mattium und iMalhana 3Iadana ;
an der Eder deuten, so stimmt auch hier das
mannische mate, matte pratum, fries. mede, ags.
aber TT wiche in der lautverschiebung von dt
ab , oder das TZ des dorfes Metze fügte sich b
Wisbaden, nhd. Wiesbaden denselben begrif de
und zugleich des bades. ich hielt s. 535 zu
und bin nicht entgegen, dasz in Usi Visi und
ja des Ptolemaeus TyypiWeg an derselben st*
Engiresgau könnten auf anger pratum zurückgel
Mattiaci und Engriones in dem begrif wiese, mal
menträfen *.
Für Mattiaci halte ich aber eine andere sc..~ niuui IVUIIIIU
im sprachgesetz wolbegründete Vermutung bereit, es ist zu bewun-
dern, wie die uralten Völkerverhältnisse, nach allen eingrilfen der
späteren geschichte, oft und fast unvertilglich wieder hervortrelen.
den namen der 31attiaker glaubte man seit jener letzten erwähnung
in der notitia imperii erloschen; wie wenn ich ihn in Nassau, dem
lande bei welchem sich auf derselben stelle die herschaft forlerhalten
hat, wiederfmde?
* wobei jedoch die cheruskischen Angrivarii, späteren Engem in betracht
kommen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
* orig, guelf. 4, 275. Böhmers regesta n° 25 und regesta Karolorum
1255.
** Reinhards jur. und hist, ausfiihrungen 2, 151.
HESSEN. NASSAU. BATAVEN 405
In einer urkunde Conrad des ersten vom j. 915 wird ein hof
Nassau dem kloster zu Weilburg geschenkt *; das ist die frühste er-
wähnung dieses namens, der ort lag auf dem rechten ufer der Lahn
oberhalb Dausenau und kam nachher unter das Stift Worms, ihm
gegenüber auf dem linken Lahnufer baute im beginn des 12 jh. ein
graf von Lurenburg eine feste, die er wiederum Nassau nannte ** und
um die Mitte des 12 jh. nannten sich alle grafen von Lurenburg
nach diesem Nassau, die benennung musz also von altersher in der
gegend hergebracht gewesen sein, dasz sie sich an bürg und her-
schaft hieng.
Eine alte genealogie deutet sie ganz richtig cmadidum territorium* 583
und nun ist nur ein schritt weiter zu thun. das lat. madere und
madidus scheint unserm nasz, mhd. ahd. naz, alts. nat, goth. nats,
wovon natjan, ahd. nezan, nhd. netzen gebildet wird, urverwandt,
M hat sich geschwächt in N (vgl. oben s. 493 JMäovog und Nasua,
s. 557 mascus und nascus); die Chatten konnten noch zu Tacitus zeit
das alte M in Mattium, Mattiaci besitzen, das hernach und schon bei
den Gothen des vierten jh. N ward, die bedeutung der wiese und
nässe scheint sich aber leicht zu einigen, matte wird wie aue einen
wasserumllosznen platz bezeichnen, während also gegenüber madidus
nat und naz die liquida schwächten, die muta verschoben, haftete in
Madana wie im ags. mado der lat. laut, welcher sich dann im alemann.
mate, matte um eine stufe minder als bei naz verschob, ich möchte
auch die sonst zu'erklären sqjiwer fallenden wetterauischen Ortschaften
Massenheim und Massenbach heranziehen; eine urk. von 790 (in Mar- SS unet*.
tene coli. 1,.45. Hontheim 1, 142. Calmet 1, 293. Böhmers reg.
Karol. n° 139) hat Nasongae et Squalbach in der Mainzer gegend auf
rechter Rheinseite, wäre das Nastätten und Schwalbach? in mehrern
theilen Deutschlands erscheinen Ortsnamen mit Vorgesetztem dat. pl.
nassen.
Ist der vermutete Zusammenhang beider formen haltbar, so hat
Tacitus weissagend Bataven und Mattiaker nebeneinander gestellt (wie
sie auch die notitia dignilatum öfter vereint) und die spätere geschichte
den verband zwischen Holland und Nassau vielfach bewährt.
Schon Caesar 4, 10 nennt uns die von der Maas und einem arm
des Rheins gebildete batavische insei: Mosa profluit ex monle Vosego,
qui est in finibus Lingonum, et parte quadam Rheni recepta, quae
adpellatur Vahalis, insulam efficit Batavorum, ac in oceanum influit,
neque longius ab eo millibus passuum LXXX in Rhenum transit. die-
selbe Batavorum insula gehen Plinius 4, 15 und Tacitus ann. 2, 6.
hist. 5, 23 näher an, Dio Cassius 54, 32 hat rj tüjv Baiaovwv vTjoog,
55, 24 aber fj Baruova, Burußia, und im miltelalter dauerte der 584
gaunaine Batua, heute noch Betuwe fort.
HESSEN. BATAVEN
Von den Bataven selbst, so wenig er der Chatten namentlich
erwähnt, meldet Caesar nichts, desto mehr aber Tacitus, welcher die
niederrheinischen Germanen schildernd sich so ausdrückt: omnium
harum gentium virtute praecipui Batavi non multum ex ripa sed in-
sulam Rheni amnis colunt, Chattorum quondam populus, et seditione
domestica in eas sedes transgressus, in quibus pars romani imperii
fierent. manet honos et antiquae societatis insigne. nam nec tributis
contemnuntur, nec publicanus atterit; exempti oneribus et collocatio-
nibus et tantum in usum proeliorum sepositi velut tela atque arma
bellis reservantur. Auch hist. 4, 12 sagt er: Batavi, donec trans
Rhenum agebant, pars Chattorum, seditione domestica pulsi extrema
gallicae orae vacua cultoribus simulque insulam inter vada sitam occu-
pavere, quam mare oceanum a fronte, Rhenus amnis tergum ac latera
circumluit: nec opibus romanis societate validiorum attriti viros tan-
tum armaque imperio ministrant, diu germanicis bellis exerciti. Sie
wohnten, da Caesar die Batavorum insula als bestehend, nicht als neu
entstanden anführt, wenigstens schon hundert jahre vor Christus an
dieser stelle und bezeugen also die frühe anwesenheit der Deutschen
an dem Rhein; unvergessen war aber, dasz sie, chattisches Ursprungs,
durch innere Spaltung genöthigt worden waren aus ihrer heimat zu
weichen und sich auf der linken seite des Rheins in der nördlichsten
ecke Galliens niederzulassen, wo damals noch kein römisches reich
bestehn konnte, das sich erst seit Caesars kriegen dahin erweiterte.
Die Ursache ihres Zerwürfnisses mit den übrigen Chatten erfahren wir
nicht, und den Schlüssel zu ihrer abhängigkeit von der römischen
macht bietet die örtliche läge dar; dasz ihr herz und mut deutsch
geblieben war lehrte des Civilis empörung unter Vespasian.
Den namen Batavi musten sie schon aus der alten heimat her
mitgebracht haben, wie die s. 581 vorgelegten spuren anzuzeigen
scheinen, zum hessischen Pazaha, Besse stimmt Passau am zusara-
585menflusz des Inns und der Donau in Baiern, ahd. Pazawa Bazawa
(GrafT 3, 234. 356), wofür die vita Severini Battavis Battabis Patavis,
battabinus vicus darbietet*; es wurde batava castra nach einer bata-
vischen cohorte genannt, die da zur besatzung lag. Pettau in Pan-
nonien, Petavio, bei Ptolemaeus IIuTuovioy, heiszt bei Tac. hist. 3, 1
Poetovio, bei Ammian 14, 11 Petobio und gleicht eher dem veneti-
schen Patavium; aber des Ptolemaeus Barnvoi am Riesengebirge
lassen sich zum batavischen namen halten. Gehört Batavi zum goth.
batiza ahd. peziro und zu gebatnan wrftXeiod'uil denn kaum ist
sich Baduhenna als unverschoben oder das ahd. unpata lentus (Grall
3, 327) hinzuzudenken, die vielmehr zum ags. beado, ahd. pato pugna,
bellum gerechnet werden müssen.
Wie nah sich den Römern die Vorstellung der Bataven und Mat-
tiaker mischte ergibt sich aus Martinis verseil über die germanische,
das haar beitzendc seife:
* Poiotro dicht dabei ist Bojodurum, in der notitia dign. p. 100 ßoiodoro.
©
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
HESSEN. BATAVEN. CANNINEFATEN
407
VIII. 33, 20. et mutat latias spuma batava comas.
XIV. 26. caustica teutonicos accendit spuma capillos.
XIV. 27. si mutare paras longaevos cana capillos
accipe mattiacas (quo tibi calva?) pilas.
wozu man eine stelle des Plinius XXVII. 12, 51 halle: prodest et
sapo; Galliarum hoc inventum rutilandis capillis. fit ex seho et cinere,
optimus fagino et caprino, duobus inodis, spissus ac liquidus, uterque
apud Germanos majore in usu viris quam feminis.
Einen gegensatz zu dem chaltischen fuszvolk (s. 570) macht die
batavische und tenktrische reiterei; diese stamme hatten sich im ebnen
land, jene auf hiigeln zum krieg heran gebildet: tnrjyaytv Ovagog
/IXcpfjvog rovg xuXov/uivovg Bardßovg' eial di rtg/uuvwv tnneig
uqiotoi, Plutarch im Otho cap. 12; %ivoi re Innug imXsxrol, olg
to rwv Baraoviov . . ovo/iia, on drj xgariGrot Inntvuv ttot, xurat.
Dio Cass. 55, 24.
Im kriege des Civilis sehn wir auf batavischer seite zunächst
Canninefaten, dann auch Tencterer und Bructerer, Gugernen, Usipeten, 586
Chatten und Maltiaker; im rücken schlossen sich Friesen und Chauchen
an, und selbst die römischgesinnten Ubier wurden wieder zum kampf
für die deutsche freiheit gewonnen.
Unmittelbare nachbarn der Balaven und stets in gemeinschaft neben
ihnen erscheinen die Canninefaten, Cannanifaten, deren nicht allein bei
Plinius, Tacitus und Vellejus, sondern auch in mehrern inschriften er-
wähnt wird, der sg. lautet Canninefas (ann. 11, 18) aus dem sich
das plurale T wie in Maecenas oder Atrebas entfaltet; fas für fats
gleicht also dem goth. faj)s der Zusammensetzungen bruf)fa[)s und
hundafa[)s (gramm. 2, 493.) läszt sich Canninefates zu Usipetes stellen
(s. 534), so hätten in diesem, ihnen früher bekannten namen die
Römer noch unverschobnes P, in jenem schon die Verschiebung F
vernommen, wie es sich auch mit Usipetes verhalte, in Canninefates
läge gerade das goth. hundafadeis, wenn man zugeben will, dasz die
Bataven centum durch cannin cannan ausdrückten, wozu in der tliat
das fränkische NN für ND in chunna (s. 552) stimmt, gieng goth.
hund aus taihuntöhund hervor (s. 250—253), so könnte aus techan-
techan chan und mit wiederholter endung channan geworden sein;
für die benennung Canninefates müste irgend ein grund aus der ger-
manischen kriegs oder gauverfassung (s. 491. 492) entnommen werden.
Warum aber wird nicht Channinefates geschrieben, warum hat sich hier
wieder unverschobnes C bewahrt? ich weisz darauf ebensowenig be-
scheid zu geben, als in abrede zu stellen, dasz auch in Kenemare,
Kenmerland, dem noch heute so genannten theil von Nordholland *,
welchen man als sitz der Canninefaten anzusehn hat, K und nicht II
anlautet, die annales fuld. ad a. 882 (Pertz 1, 396) schreiben Kinnin,
und spätere nachrichten Kinhem, wie noch ein bach, nordwärts von
Alkmaar, an der grenze gegen Friesland geheiszen haben soll.
* vgl. Huydecopers Melis Stoke 1, 186. 372. 517.
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
408
HESSEN. BATAVEN
Haftet in diesem Ortsnamen Kinnin und Kenmerland, wie man
587 sie auch deute, spur der alten Canninefaten, so darf daraus gefolgert
werden, dasz sie, gleich den alten Chatten, in ihrer heimat blieben
und nicht in den ström der südwärts ziehenden Germanen gezogen
wurden, von welchen der fränkische name ausgieng. warum sollte
aber nicht von ihren nachbarn, den stammverwandten ßataven das-
selbe gelten? es ist kein grund zu der annahme vorhanden, dasz sie
mit den Saliern und Sigambern nach Gallien vorgerückt sein sollten.
Über alle diese für immer dunkel bleibenden Verhältnisse könnte
uns die spräche aufklären, wenn wir wüsten, wie es um den chatti-
schen , batavischen und sigambrischen dialect bewandt war, dessen
Überbleibsel dann noch in heutigen volksmundarten aufgesucht werden
möchten. Unter den mannsnamen fällt mir auf Chariovalda dux Bata-
vorum bei Tac. ann. 2, 11, wo man Chariovaldus erwartet hätte,
denn es ist das alts. Harioll Heriolt, altn. Haraldr; aus dem cannine-
fatischen Brinno oder Brunio hist. 4, 15. 16 erhellt der schwache
ausgang -o. Gannascus ann. 11, 18 mahnt an die weissagende Ganna.
auf einer inschrift (bei Cannegieter in Postumo p. 158) erscheint
Flavius Vihtirmatis fdius, summus magistratus civitatis Batavorum,
welchen namen, so deutsch er klingt, ich doch nicht zu deuten
unternehme. Flavius erklärt sich aus dem häufigen verkehr der Ba-
taven mit den Römern, Flavius oder Flavus hiesz auch des Arminius
bruder, und selbst Arminius scheint ein von den Römern eingerichtetes
deutsches Irmin oder Irman. Julius Paulus und Claudius Civilis (ann.
4, 13) waren Bataven königliches Stamms. Wichtige, zur auslegung
noch nicht reife frauennamen begegnen auf lateinischen inschriften
neben matribus und matronis; * wer könnte verkennen, dasz in matronis
arvagastis und andrustehiabus auch das altfrünk. Arbogast und antrustio
erscheinen? matronis asericinehabus wird zu bessern sein in ascari-
cinehabus, nach Ascaricus; matronis hamavehis scheint chamavehis;
588 von den Chamaven (s. 530.) eine inschrift cdeae Sandraudigae cul-
tores templi’ ward unweit Breda bei einem dorfe Grootsundert, das
in einer urk. von 992 Sandert heiszt, ausgegraben; im namen wäre
leicht das golli. audags, ags. eddig, ahd. ötac f.iuxuQiog enthalten,
vielleicht ein ahd. suntarötac praedives, lauter begriffe, die auf eine
gefeierte göttin gerecht sind, matribus quadriburgicis bezieht sich auf
das bekannte castell Quadriburgium, dessen Ammian 18, 2 neben
castra Ilerculis am Niederrhein und die notitia dignit. p. 96. 98. 99
(ed. Böcking) erwähnen, wenn auch quadrum römischen Ursprung, so
verkündet burgium, wie in Asciburgium, Teutoburgium deutschen.
Keins unter allen bisher verhandelten chattischen Völkern konnte
in der heldensage aufgewiesen werden, weder die Chatten selbst (es
sei denn im mythus, der sie den Sueven gleichstellt), noch Mattiaker,
Bataven, Canninefaten; allein es bleibt übrig eines nebenstamms zu
* Zusammenstellung derselben in van den Bergli woordenboek [der neder-
landscbe mythologie. Utrecht 1845 s. 135 —141.
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
HESSEN. CHATTUARIER
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gedenken, der durch namen und läge recht gemacht scheint, den ver-
band zwischen Chatten und Bataven zu erläutern, und dessen name
im ags, epos unverschollen ist.
Schon Strabo s. 291 und 292 nennt uns Xdxroi und Xax-
tovuqioi in einem athem, ohne ihre örtliche läge zu unterscheiden,
die erste stelle schiebt nur noch ra/uaßqtovioi, d. h. Sigambern zwi-
schen beide. Tacitus und Dio Cassius geschweigen der Chatluarier,
denn die von jenem im rücken der Angrivarier und Chamaven ange-
gebnen Chasuarier (Angrivarios et Chamavos a tergo Dulgibini et Cha-
suarii cludunt aliaeque gentes liaud perinde memoratae. Germ. 34)
liegen zu nördlich um chattisch zu sein und gelten für anwohner des
flusses Hase, der sich in die Ems ergieszt und nach ihm hieszen sie
Hasuarii, wie nach der Fose die Fosi; auch schreibt Ptolemaeus
Ku.govu.qoi ganz abweichend von Xdxxoi. es ist unglaublich dasz
Tacitus, der für Chatti überall TT aufrecht erhält, Chattuarii schon
mit bloszem S geschrieben haben sollte, auch dauerte jenes TT noch
später; Vellejus, den feldzug Tibers beschreibend, 2, 105, drückt sich
aus: intrata protinus Germania, subacli Caninefates, Attuarii, Bructeri,
recepti Cherusci. diese Attuarii, zwischen Canninefaten und Bructerern 589
meinen entweder das balavische volk selbst oder einen benachbarten
gleichfalls von den Chatten entsprungnen stamm, wie ihr name an-
kündigt. Zeusz s. 100 vermutet sogar, Chattuarii könne deshalb ge-
meinschaftliche benennung der Canninefaten und Bataven gewesen sein,
gleichwol ergeben spätere nachrichten für das chattuarische gebiet
besondere lagen und zwar auf beiden seiten des Niederrheins. Als
Julian aus Gallien nach der Germania secunda überschritt in der ge-
gend von Tricensima (zwischen Quadriburg und Neusz) heiszt es bei
Ammian 20, 10: Rheno exinde transmisso regionem subito pervasit
Francorum, quos Atluarios * vocant, inquietorum hominum, licentius
etiam tum percursantium extima Galliarum. quos adortus subito nihil
metuentes hostile nimiumque securos, quod scruposa viarum difficul-
tate arcente nullum ad suos pagos introisse meminerant principem,
superavit negotio levi. hier schlieszen die rauhen bergwege batavische
ebenen aus und man findet sich in der Ruhrgegend, wo auch noch
im mittelalter der pagus Hattera bestand an den pagus Boroclra
grenzend, ganz wie Vellejus Attuarier und Bructerer nebeneinander
nennt. Wenn sich die Chattuarier zu den Franken hielten, waren
auch die späteren Hattuarier feinde der Sachsen, welche, wie die ge-
schichte meldet, im j. 715 das hattuarische land überzogen und ver-
heerten (Pertz 1, 6. 323.) in diesem pagus Hattera (später Hettera,
Lacomblet n° 207 a. 1067) lag die villa Heribeddi (Pertz 2, 680,
wo der dativ Ileribeddiu) d. i. heerlager, nhd. Ilerbede an der Ruhr,
wo nach ausweis eines alten hofsrechts (weisth. 3, 56) das nieder-
* Zeusz s. 336 will die lesart Ampsivarios vorziehen, aber der cod. vatic.
hat Atthuarios.
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HESSEN. CHATTUARIER
6,
hessische stift Kaufungen berechtigt war*, eine, dünkt mich, nicht
590 undeutliche spur uraltes Verkehrs zwischen Chaltuariern und Chatten.
Diese von den Sachsen verwüstete terra Hattuariorum ist es, welche
in einzelnen lesarten auch terra Hazzoariorum heiszt (s. 576.)
Jenseits des Rheins, wo eine andre Ruhr (Roer) nach der Maas
llieszt, längs dem flüszchen Niers erscheint aber noch ein pagus Hat-
tuaria, und man musz annehmen, dasz vor Zeiten ein theil des chat-
tuarischen Volkes über den Rhein, durch die alten sitze der Gugernen
und Ubier in Gallien eindrang und sich behauptete; wahrscheinlich
blieb es auch mit seinen auf der rechten Rheinseite fortwohnenden
landsleuten in Verbindung, noch in der fränkischen theilung von 830
werden Ribuarii und Atuarii (Pertz 3, 359), in der von 870 comita-
tus Testrabant, Batua, Hattuarias, Masau nebeneinander aufgeführt, d.
li. uralte ßataven und Chattuarier. Wenn in der vita S. Ludgeri (Pertz
2, 418) eine mulier quaedam de Ilalluariis erwähnt wird, so ist frei-
lich nicht zu sagen, von welcher seite des Rheins sie kam. Aber die
westlichen, überrheinischen Chattuarier sind es ohne zweifei, welche
im beginn des sechsten jh. einen heerzug der Dänen ,auf'das fränkische
gebiet abzuwehren hatten. Gregor von Tours 3, 3: his ita gestis
Dani cum rege suo nomine Chochilaicho evectu navali per mare Gal-
lias appetunt, egressique ad terras pagum unum de regno Theoderici
devastant atque captivant, oneratisque navibus tarn de captivis quam de
reliquis spoliis reverti ad patriam cupiunt. sed rex eorum in litus
residebat, donec naves altum mare comprehendercnt, ipse deinceps
secuturus. quod cum Theoderico nunciatum fuisset, quod scilicet regio
ejus fuerit ab extraneis devastata, Theodebertum fdium suum in illas
partes cum valido exercitu ac magno armorum apparatu direxit. qui
interfecto rege hostes navali praelio superatos opprimit omnemque ra-
591 pinam terrae restiluit. die gesta regum Francorum bezeichnen aber
jenen pagus als den attuarischen, und dazu stimmt was im ags. epos
(Beov. 2405. 4705 ff.) von Hygeldc, welcher sichtbar mit dem frän-
kisch geschriebnen Cochilaichus übereinkommt, gemeldet wird. altn.
heiszt er Ilugleikr, alul. würde er Hukileih lauten, auf seinem kriegs-
zug gegen die Friesen trug er einen kostbaren von Bcovulf zum ge-
schenk empfangnen halsring, im gefecht mit den Franken verlor er das
leben; diese Franken werden ausdrücklich Hetvare genannt und hier
erblicken wir die noch ags. form des alten namens der Chattuarier;
merkenswerth ist der vers 4720
nealles Hetvare liröm geporfton
födeviges, pe him föron ongeari,
sie entbehrten nicht den rühm des fuszkampfes, denn föda, ahd. fan-
deo (Graff 3, 540) bedeutet fuszvolk, (f dXay'g, zur bestätigung des
* vgl. Böhmers regesta n° 3650 (a. 1226.) Häufungen war noch im beginn
des eilften jh. königliche pfalz und Heinrich der erste hatte dort seiner gemali-
lin Kuniguncl ein frauenstift errichtet, vielleicht bestand hier schon unter den
heidnischen Chatten ein cultus, dessen einflusz sich unter alle zweige des volks
erstreckte, solche Örter pflegten auch nach der Bekehrung Hofstätten und Stifter
zu bleiben.
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7/V . , „
HESSEN. TUBANTEN
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pbur in pedite\ Vidsid im cod. exon. 320, 22
als beherscher der Hätvere, von dem sonst nicht
ist; man sieht dasz die hätverischen heldenge-
2 unvergessen waren. Hygeläc war ein Geäta
vische Geätas waltend, dem die sage des zelm-
5sze beilegt: Hugilaicus rex, qui imperavit Getis
:st, quem equus a duodecimo anno portare non
Rheni fluminis insula, ubi in oceanum prorum-
de longinquo venientibus pro miraculo ostendun-
fthol. vorr. VII.) wie, hätten schon die Römer
liesem helden gehört, was sie auf Hercules und
in anwandten? denn dasz der historische Chochi-
. für einen solchen mythus nicht ausreicht, liegt
iz die Chattuarier im belgischen Gallien fusz ge-
f; i den Vogesen scheint ein theil von ihnen, wie
v . 530) niedergesessen, weil neben dem dortigen
pagus Ammavorum auch ein pagus Attoariorum (Zeusz s. 582 — 584)
aufgeführt wird, in diesen Attoariern will jedoch Ledebur (Bruct. 592
s. 161) nachkommen der keltischen Aeduer wiederfinden, die neben
den Lingonen wohnten.
An dieser stelle gedenke ich noch der Tubanten, nicht weil ich
im stände wäre bei ihnen den chattischen bezug aufzuweisen, sondern
blosz weil sie örtlich neben Friesen, Bataven und Saliern auftreten und
bis auf heute noch eine benennung dieses landstrichs ihren namen zu
tragen scheint. Schon Cluver will die bei Straho s. 292 hinter Chat-
ten und Chattuariern aufgeführten SovßaTTOi in Tovßdvroi ändern
(oben s. 580.) Tacitus läszt in der Germania die Tubanten unerwähnt,
doch seine annalen haben zweimal anlasz sie zu nennen, 1, 51 hei
des Germanicus zug gegen die Marsen im j. 14, wo Tanfana zerstört
wurde, excivit, heiszt es, ea caedes Bructeros, Tubantes, Usipetes,
saltusque per quos exercilui regressus, insedere. dann 13, 54. 55.
56 wird berichtet, dasz zu Nerons zeit Friesen auf dem boden, des-
sen sich die Römer anmaszlen, vorgedrungen und zurückgeschlagen,
hernach aber Ampsivarier eingezogen seien: Chamavorum quondam ea
arva, mox Tubantum et post Usiporum fuisse. vergebens suchten die
Ampsivarier hier der römischen macht widerstand zu leisten, sie mus-
ten weichen und flüchteten rückwärts zu den Usipen und Tubanten:
quorum terris exacti quum Chattos, dein Clieruscos petissent errore
longo hospites egeni, hosles in alio, quod juventutis erat caedunlur;
imbellis aetas in praedam divisa est. Die Tubanten saszen also zwi-
schen Friesen, Chamaven, Bructerern und Usipeten, ohne zweifei auch
Saliern und Bataven nah. Jener landstrich, dessen besitz streitig war
und vielfach gewechselt halte, musz eben der römischen ansprüche we-
gen unfern dem Rhein und dem batavischen verbündeten gebiet gele-
gen haben. Noch die notitia dign. occidentis p. 18. 24 nennt Tqban-
tes neben Salii, Batavi und Bructeri im römischen dienst, wie ist es
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im beginn des sechsten jh. einen heerzug der Danen ,auPdas fränkische
gebiet abzuwehren hatten. Gregor von Tours 3, 3: his ita gestis
Dani cum rege suo nomine Chochilaicho evectu navali per mare Gal-
lias appetunt, egressique ad terras pagum unum de regno Theoderici
devastant atque captivant, oneratisque navibus tarn de captivis quam de
reliquis spoliis reverti ad patriam cupiunt. sed rex eorum in litus
residebat, donec naves allum mare comprehenderent, ipse deinceps
secuturus. quod cum Theoderico nunciatum fuisset, quod scilicet regio
ejus fuerit ab extraneis devastata, Theodeberlum filium suum in illas
partes cum valido exercitu ac magno armorum apparatu direxit. qui
interfecto rege hostes navali praelio superatos opprimit omnemque ra-
591 pinam terrae restituit. die gesta regum Francorum bezeichnen aber
jenen pagus als den attuarischen, und dazu stimmt was im ags. epos
(Beov. 2405. 4705 ff.) von Hygeläc, welcher sichtbar mit dem frän-
kisch geschriebnen Cochilaichus übereinkommt, gemeldet wird. altn.
heiszt er Ilugleikr, ahd. würde er Ilukileih lauten, auf seinem kriegs-
zug gegen die Friesen trug er einen kostbaren von Beovulf zum ge-
sell enk empfangnen halsring, im gefecht mit den Franken verlor er das
leben; diese Franken werden ausdrücklich Ilctvare genannt und hier
erblicken wir die noch ags. form des alten namens der Chattuarier;
merkenswerlh ist der vers 4720
nealles Hetvare lirOm geporfton
födeviges, pe him föron ongcari,
sie entbehrten nicht den rühm des fuszkampfes, denn föda, ahd. fan-
deo (Graff 3, 540) bedeutet fuszvolk, cpdXayg, zur bestätigung des
* vgl. Böhmers regesta n° 3650 (a. 1226.) Häufungen war noch im beginn
des eilften jh. königliche pfalz und Heinrich der erste hatte dort seiner gemah-
lin Kunigund ein frauenstift errichtet, vielleicht bestand hier schon unter den
heidnischen Chatten ein cultus, dessen cinflusz sich unter alle zweige des volks
erstreckte, solche Örter pflegten auch nach der bekehrung hofstätten und Stifter
zu bleiben.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
HESSEN. TUBANTEN
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altchattisohen comne robur in pedite\ Vidsid im cod. exon. 320, 22
nennt uns einen Hün als beherscher der Hätvere, von dem sonst nicht
das geringste bekannt ist; man sieht dasz die hätverischen heldenge-
schlechter noch lange unvergessen waren. Hygeläc war ein Geäta
cyning, über scandinavische Geätas wallend, dem die sage des zehn-
ten jh. ungeheure grösze heilegt: Hugilaicus rex, qui imperavit Getis
et a Francis occisus est, quem equus a duodecimo anno portare non
potuit, cujus ossa in Rheni iluminis insula, ubi in oceanum prorum-
pit, reservata sunt et de longinquo venientibus pro miraculo ostendun-
tur (Haupt 5, 10. mythol. vorr. VII.) wie, hätten schon die Römer
bei den Friesen von diesem helden gehört, was sie auf Hercules und
dessen seulen im ocean anwandten? denn dasz der historische Chochi-
laicus des sechsten jh. für einen solchen mythus nicht ausreicht, liegt
am tage.
Nicht genug, dasz die Chattuarier im belgischen Gallien fusz ge-
faszt hatten, auch in den Vogesen scheint ein theil von ihnen, wie
von den Chamaven (s. 530) niedergesessen, weil neben dem dortigen
pagus Ammavorum auch ein pagus Attoariorum (Zeusz s. 582 — 584)
aufgeführt wird, in diesen Attoariern will jedoch Ledebur (Bruct. 592
s. 161) nachkommen der keltischen Aeduer wiederfinden, die neben
den Lingonen wohnten.
An dieser stelle gedenke ich noch der Tubanten, nicht weil ich
im stände wäre bei ihnen den chattischen bezug aufzuweisen, sondern
blosz weil sie örtlich neben Friesen, Bataven und Saliern auftreten und
bis auf heute noch eine henennung dieses landstrichs ihren namen zu
tragen scheint. Schon Cluver will die hei Straho s. 292 hinter Chat-
ten und Chattuariern aufgeführten 2ovßdrroi in Tovßuvxoi ändern
(oben s. 580.) Tacitus läszt in der Germania die Tubanten unerwähnt,
doch seine annalen haben zweimal anlasz sie zu nennen, 1, 51 hei
des Germanicus zug gegen die Marsen im j. 14, wo Tanfana zerstört
wurde, excivit, heiszt es, ea caedes ßructeros, Tubantes, Usipetes,
saltusque per quos exercitui regressus, insedere. dann 13, 54. 55.
56 wird berichtet, dasz zu Nerons zeit Friesen auf dem boden, des-
sen sich die Römer anmaszlen, vorgedrungen und zurückgeschlagen,
hernach aber Ampsivarier eingezogen seien: Chamavorum quondam ea
arva, mox Tubantum et post Usiporum fuisse. vergebens suchten die
Ampsivarier hier der römischen macht widerstand zu leisten, sie mus-
ten weichen und flüchteten rückwärts zu den Usipen und Tubanten:
quorum terris exacti quum Chattos, dein Cheruscos pelissent errore
longo hospites egeni, hosles in alio, quod juventutis erat caedunlur;
imbellis aetas in praedam divisa est. Die Tubanten saszen also zwi-
schen Friesen, Chamaven, Bructerern und Usipeten, ohne zweifei auch
Saliern und Bataven nah. Jener landstrich, dessen besitz streitig war
und vielfach gewechselt halte, musz eben der römischen ansprüche we-
gen unfern dem Rhein und dem batavischen verbündeten gebiet gele-
gen haben. Noch die notitia dign. occidentis p. 18. 24 nennt Tuban-
tes neben Salii, Batavi und Bructeri im römischen dienst, wie ist es
412
TUBANTEN
also möglich den gradmessungen des Ptolemaeus glauben zu schenken,
der die Tubanten weit nach Süden vorschiebt? sie sollen im zweiten
jh. sogar hinter den Chatten, ungefähr im fuldischen, oslfränkischen
593 lande gewohnt und sich später unter die Alamannen verloren haben,
da sie doch das vierte jh. gleich andern nordwestlichen Germanen in
den römischen legionen verzeichnet?
Hierzu tritt, dasz auch im verfolg der zeit, hart an der friesi-
schen grenze, zwei gaunamen Vorkommen, Twente und Drente, die in
unverkennbarer beziehung aufeinander stehend zugleich den ausdruck
Tubantes enthalten und erläutern helfen. Twente heiszt in einer urk.
des achten jh. Tuvanti, d. i. Tubanti, in einer andern bei Lacomblet
n° 9 vom j. 797 Northtuianti; Tubantes aber kann nichts anders aus-
sagen als Tvibantes, die an zwei banten wohnen. Drente, oder wie
man heute unrichtig schreibt Drenthe, lautet in der alten spräche (weil
die mnl. nnl. D für alts. TH gibt) Thrianti, Threant, welches ein vol-
leres Thrivanti Thribanti voraussetzt*, zu des Tacitus zeit waren also
Tribantes die an drei banten niedergesessenen, bant musz etwas ähn-
liches wie gau oder pagus bedeuten, da noch andere landschaftliche
namen damit zusammengesetzt erscheinen, die meisten in derselben nord-
westlichen gegend. an der Ems erstreckte sich der gau Bursibant,
von bursa, ahd. porsa, nhd. porst ledum palustre; an der Schelde lag
der Oslrobant und Westrobant, weiter nördlich der gröszere Bracbant,
wahrscheinlich von bräka, ahd. prächa aratio (s. 61), mhd. Brdchbant
nhd. Brabant; zwischen Maas, Waal und Rhein unmittelbar auf allba-
tavischem gebiet aber die grafschaft Teisterbant, Testerbant, welche
schon in der fränkischen theilung von 870 (Pertz 3, 517) als comi-
tatus Testrabant neben Batua und Ilattuarias steht, hierher müssen
schon frühe Friesen vorgerückt sein, da sich in den ann. fühl, zum
j. 885 (Pertz 1, 402) gesagt findet: cFrisiones qui vocantur Destar-
benzon\ in dieser Schreibung ist das Z alul., nicht aber das D, wel-
ches sächsischem TH entspräche, Testerbant wäre ahd. Zestarpanz aus-
zudrücken. ich kann töstar für nichts anders halten, als eine merk-
594würdige, dem lat. dexter gleichgebildete form, während gotli. taihsvi),
ahd. zesawä wie gr. dt£iu ohne T sind, d. h. dexter und töstar schei-
nen comparative. vielleicht waltet hier noch Zusammenhang mit dem
namen Toxandrien, Texandrien (s. 528.) aber meine deutung des tüstar
bestärkt der wald Suiflarbant an der Issel (Lacomblet n° 2. 4. 8 a.
793. 794. 796), wo suiftar comparaliv von svift velox, fortis ganz
dasselbe auszusagen scheint. Mainz gegenüber nennt Ammian 29, 4
als alamannisches volk die auch in der not. dign. Orient, p. 22 auf-
tretenden Bucinobantes, die nicht aus lat. bucina buccina, vielmehr dem
deutschen bökin, ahd. puoelun fagineus zu deuten sind (vgl. Triboci
und silva Bacenis Bochonia) und füglich chattischen Ursprungs sein
könnten. Es läge nah, statt der s. 535 angeführten Wsinobates
* wie hier B wurde in Trient für Tridentum D ausgestoszen. zu vergleichen
sind übrigens auch die Throvendas im cod. exon. 322, 17.
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CHATTEN
Wsinobantes zu vermuten, schwerlich aber ist N in Canninefates aus-
gefallen, zumal die Römer selbst Tubantes, nicht Tufantes schrieben.
Dasz für bant der ahd. mundart panz geläufig war, folgt nicht nur
aus jenem benzon der ann. fuld. sondern auch aus elibenzo fremider
0. III. 18, 40, elevenz advena Diut. 2, 341 urfd dem Banzgau am
Main in Franken, wo das stift Banz lag. ln niederländischen friesi-
schen strichen musz es aber manche Örter des namens Bant gegeben
haben, so hatte die Nordsee neben Borkum, das schon die Römer kann-
ten (Burchana Plin. 4, 13. BovQyuvig Strabo s. 291), vormals eine
jetzt verschwundne insei Bant aufzuweisen* und in Riistringen unweit
Jever lag ein bezirk des namens Bant**. Einen mannsnamen Bant
gewähren die trad. corb. 377; sollte nicht der in unsrer heldcnsage,
zunächst aus Gudrun bekannte Sigebant von Irlande die mhd. form
Sigehanz fordern? Der nnl. spräche nun ist beemd, mnl. bcmt, baemt,
baempt pascuum, pratum eigen, dessen abkunft noch niemand auf-
deckte; wie wenn es aus bant verderbt wäre? diesem würde die be-
deutung Zusagen und in den Banten erschienen uns wieder wiesenbe-
wohner Mattiaker (s. 582), in den Bucinobanten hirten der wiesen-595
gründe des Buchenwalds. Wer den Drenten, Thrianten, Thribanten die
britannischen Trinobanten zu vergleichen wagt, hätte das welsche hant
anhöhe zu erwägen, unser nordwestliches bant fällt aber in lauter ebne
flächen.
Nach diesen ergehnissen allen bleibt unentschieden, ob die Tuban-
ten, ihrer abkunft nach, sich mehr den Friesen, Bataven, Cherusken
oder Franken anschlieszen.
Wir haben gesehn, wie die Chatten von der Werra und Weser,
im gebiet der Fulda, Schwalm, Eder und Lahn bis zum Main und
Rhein sich erstreckten, ein ansehnlicher ableger von ihnen aber auch
am Niederrhein, zwischen Friesen und fränkischen Völkern, frühe festen
sitz gewann, hätten wir nähere künde von den Verhältnissen der Usi-
peten, Tenkterer und Brukterer, so könnte uns aufgeschlossen sein, ob
die Mattiaker zu den Chattuariern und Bataven in ununterbrochner kette
verwandter glieder reichten.
Hpb 7,473.
Qrvck>YS mj* uyf)
2©4.5j0?-
* Ledeburs fünf münstersche gauen s. 45.
** Ledebur s. 96. Ehrentrauts fries. archiv 1, 118. 120.
XXII.
HERMUNDUREN.
596 Aller Germanen vierten oder mittleren hauptstamm nennt Pli-
nius den herminonischen: mediterranei Herminones, quorum Suevi, Her-
munduri, Chatti, Cherusci; wie den Römern, wenn sie von Süden nach
norden schauten, in der mitte Germaniens diese vier Völker aufstoszen
musten. hierzu stimmt auch des Tacitus angabe, welcher die mittle-
ren Germanen von des Mannus zweitem sohne stammen läszt, dessen
name Hermin aus dem der Herminonen gefolgert werden darf, welche
einzelnen Völker aber zu diesen Herminonen gehörten berichtet Tacitus
nicht. Dasz zwischen Sueven und Chatten engeres band stattfand
suchte das vorhergehende capitel nachzuweisen; wenn aus fehden und
eifersucht benachbarter Stämme ein schlusz gilt gegen ihre nähere Ver-
wandtschaft, so mag man zweifeln, ob Chatten mit Cherusken und
Hermunduren zusammen gehören. Auf den herminonischen namen, wie
ihr eigner zeigt, haben Hermunduren den unmittelbarsten anspruch.
Es ist bekannt, dasz jenem lat. Hermin oder Hermun die ahd.
form Irmin oder Erman, die ags. Eormen, altn. lörmun entspreche,
den Gothen lautete sie wol Airman; wie noch heute romanische Völ-
ker thun, pflegten die Römer deutsches H, wo es wirklich bestand,
zu unterdrücken, hingegen zuzufügen, wo das deutsche wort rein vo-
• calisch anlautet, das H in Herminones Hermunduri weicht also durch-
597 aus ab von dem CH in Chatti Cherusci, welches dem lat. C und ahd.
H entspricht, und niemals könnte Cherminones Chermunduri geschrie-
ben werden, im mannsnamen Arminius wahrten die Römer reinen
deutschen vocal.
Mag uns nun dunkel bleiben, welchen göttlichen held oder gott
die germanische Verehrung unter Irmin verstand; einer menge von an-
dern Wörtern, deren begrif dadurch erhöht werden sollte, pflegte dies
Irmin vorzutreten (mythol. s. 106. 107. 325. 326. 327), gerade wie
altn. Wörter durch die praefixe tyr oder [)ör Steigerung empfiengen,
oder ags. gen. pl. durch nachfolgendes bealdor (mythol. s. 201.) ein
hehres, auf der grenze zwischen Chatten und Cherusken, vermutlich
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HERMUNDUREN
noch anderwärts, errichtetes bild, führte den namen Irminseule; sie
war rechtes kennzeichen herminonischer stamme.
Einleuchtend ist also auch in Hermunduri der vorsatz von dem
eigentlichen namen abzulösen, welcher Duri oder Dori (nach Strabons
Schreibung ‘Eqiuovöoqoi, Dio Cass. hat cEQ/uovräovQOi) lauten musz,
und allem anschein nach in dem abgeleiteten späteren Thuringi, bei
Vegetius Toringi, bei Cassiodor Thoringi, bei Procop (bell. goth. 1, 12)
Qögiyyoi, ahd. Duringä, mhd. Düringe enthalten ist. nur wird hier
das gesetz der lautverschiebung gefährdet, wonach goth. TH und ahd.
D ein lat. T, nicht D erwarten lieszen. Hermunduri stände für Her-
munturi, wie durch Ptolemaeus TivgioxaT/itGu an der Hermunduren
stelle bestätigt scheint. Teuriochaemae aber wäre gebildet wie llojo-
hemi, und ihm entspräche der Ortsname Dürincheim Dürkheim Dörnig-
heim, vielleicht ist auch mhd. Türheim verderbt aus Dürheim. Doch
soll das D in Hermunduri nicht vorschnell beseitigt sein. Dio 67, 6
hat einen dakischen könig Duras. Den sinn dieses Tur Turi, Dur Duri
selbst will ich lieber noch unersclilossen lassen; wäre, wie s. 449
gemutmaszt ward, goth. Thervingi identisch, so käme auch V pach R
in betracht*.
Strabons Hermunduren stehn neben Langobarden in der Elbge-598
gentl; nach Tacitus müssen sie zwischen Elbe und Donau, im gebiet
der Saale und des Mains gedacht werden, gegen norden an Cherusken
und Chatten, gegen osten an Semnonen und Markomannen, gegen Sü-
den, zum theil auch westen ans römische gebiet stoszend. Tacitus
schildert sie den Römern befreundet und mit ihnen in friedlichem ver-
kehr bis hinein nach Rhätien. ihr reich mag auszer dem heutigen
Thüringen auch einen theil des späteren Frankens begriffen haben,
doch so dasz um den pfalgraben (s. 495) wahrscheinlich noch andere
suevische Stämme hausten, jene Armilausen und Iuthungen, deren ich
s. 499. 500 gedachte.
An nahem Zusammenhang der Hermunduren mit den östlichen Ger-
manen, zumal Lygiern (Lygius Hermundurusque, ann. 12, 30) und
Gothen läszt sich überhaupt nicht zweifeln, jene gothischen Thervinge
und einstimmungen der heldensage (s. 449) geben es dar. Nicht allein,
dasz der goth. Ilermanarich und thüringische Hermanfried vielfach ein-
ander ausgleichen, auch Iring von Dänemark wie er neben Irnfrit von
Düringen erscheint, löst sich auf in Iuwaring Iborduring, und Dänen
müssen im alten sinn der Daken genommen werden, so dasz hier
gothische und hermundurische mythen zusammenspielen. Nicht ohne
bedeutung unterscheidet das ags. Vidsideslied 320, 17. 322, 16 Thy-
ringas und 323, 30 Eästjjyringas, wovon gleich nachher; wenn den
* nicht ohne Scharfsinn führen, die in den Thüringen alte Cherusken er-
blicken, den namen zurück auf jene 'inertes ac stulti’ bei Tacitus (s. 574) und
bekanntlich macht schon die glosse zu Ssp. 3, 44 aus den Thüringen Wenden
und thoren. doch ist töre erst mhd., noch nicht ahd., wie es scheint aus mnl.
üör entlehnt, dem ags. dysig, engl, dizzy verwandt, also vom mhd. Dürinc und
ags. Thyriug im vocal und consonant abstehend.
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416 HERMUNDUREN
letzteren Amothingas (es ist th, kein f)) zur Seite stehn, möchte man
mutmaszen Amolingas, Amelunge. gevvis aber ist das auf Eäst|>yrin-
gum alliterierende sinnlose Eolum mit einem einzigen buchstab in Eor-
lum zu bessern, und daraus bestätigung der schon s. 470 zusammen-
gestellten 'EqovXoi und Eorlas zu entnehmen. Nicht genug, ich ver-
599 stehe nun deutlicher, warum Odovacer neben Sciren und Herulern auch
Thurilinge (nach der s. 465 hergestellten lesart) beherschte, und
warum der ostgothische Theoderich ein uns von Gassiodor var. 3, 3
aufbewahrtes schreiben zugleich den Herulorum, Guarnorum, Thurin-
gorum regibus erliesz, deren Völker er verbündete (conjuratas sibi gen-
tes) nennt, erscheinen auf solche weise dreimal in verschiedner quelle
Heruler und Ostthüringe, Heruler und Thurilinge, Heruler und Thu-
ringe nebeneinander, so liegt der Ostthüringe, Thurilinge und Thuringe
gleichheit vor äugen, auf die Warnen werde ich zurückkommen.
Ungenau scheint Tacitus zu sagen : in Hermunduris Albis oritur,
statt in Marcomannis, aber sie schied aus Böhmen herflieszend her-
mundurisches und semnonisches land: qui Semnonum Herrn und urorum-
que fines praeterfluit (Vellejus 2, 106.) dann fiel sie in cherus-
kisches.
Zwischen Chatten und Hermunduren lag Werra, Rhön und Bu-
chenwald; im krieg um den heiligen salzflusz (s. 573) zogen jene den
kürzern. doch wird dieser hader kein hindernis gewesen sein, dasz
nicht unter beiden Völkern früher wie nachher gules vernehmen obge-
waltet hätte. Darin waren die Hermunduren von den Chatten und allen
westlichen Germanen verschieden, dasz sie, gleich Markomannen und
Quaden könige über sich hatten, nicht blosze fürsten; bezeichnet die
königswürde schon damals gröszere macht? Tacitus nennt ann. 2, 63.
12, 29 als solchen könig Vibilius, welcher name appellaliv sein könnte,
vgl. ahd. weibil praeco und goth. vipja königsbinde. Als das thürin-
gische königreich durch die Franken gebrochen war, herschten über
Thüringen und Hessen blosze landgrafen, erst gemeinschaftlich, zuletzt
in jedem gebiet besonders, im scliild führten Hessen und Thüringe
den gestreiften löwen mit geringer abweichung der streifen.
Aber mir schwebt noch eine höher hinaufreichende Ähnlichkeit
beider Völker vor, die sich im dunkel ihres allerlhums verliert, wir
sahen dasz die Chatten schon vor beginn unsrer Zeitrechnung sich ge-
spaltet und einen zweig in das äuszerste Belgien entsandt hatten, die-
ser chattische auszug musz tieferen grund gehabt haben, als wir jetzt
600 erforschen können und sollte er nicht Zusammenhängen mit einem auch
der Hermunduren in dieselbe überrheinische gegend? war ein anlasz
vorhanden, der schon vor Ariovisls zeit Völker des mittleren Deutsch-
lands, Chatten und Hermunduren bewegte mannschaft über den Nie-
derrhein Vordringen zu lassen? hier scheint sich jener unterschied auf-
zuthun zwischen Thüringen und Osllhüringen, die sich zu einander
verhalten mögen wie Chattuarier oder Bataven zu den Chatten, in der
heimat diesseits waren Chatten und Ostthüringe geblichen, über den
Rhein Bataven und Westthüringe gezogen. Hermun vor Duri könnte
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HERMUNDUREN
417
den groszen, alten stamm des volks bezeichnen, was allein schon auf
die nothwendigkeit führte, ihm einen abgeleiteten jüngeren an die seite
zu setzen.
Gregor von Tours ist es der uns jenseitiger Thtiringe versichert,
indem er den Übergang der Franken schildert 2, 9: tradunt enim
multi eosdem priinum quidem litora Rheni amnis incoluisse, dehinc
transacto Rheno Thoringiam transmeasse, ibique juxta pagos vel civi-
tates reges crinitos super se creavisse de prima et, ut ita dicam, no-
biliori suorum familia. . . . Ferunt etiam tune Chlogionem utilem ac
nobilissimum in gente sua regem Francorum fuisse, qui apud Dispar-
gum castrum habitabat, quod est in termino Thoringorum. man will
vergebens die lesart anfechten und Tungrorum einschwärzen; es ist
klar, dasz seit undenklicher zeit schon eine niedej-lassung der Thüringe
in Belgien bestand, als die Franken vorrückten musten sie thüringi-
schen boden durchziehen, auf oder neben ihm faszten sie fusz, denn
‘in termino1 kann beides aussagen, im land (gau) wie an der grenze,
wichen die Thüringe aus einem theil ihres gebietes, das übrige werden
sie fortbehauptet haben, als selbständige Völkerschaft mit eignen köni-
gen kennt sie auch Gregor im verfolg seiner geschichte; jenes Thürin-
gen, wohin Childerich zu Bisinus und Rasina floh (2, 12), kann nicht
diesseits des Rheins, nur in der nachbarschaft von Dispargum (s. 529)
an der Schelde gesucht werden; vielleicht ist hier eine weit ältere
sage auf Childerich übertragen, mit recht bemerkt Waitz (sal. ges.
s. 49), diese Thüringe habe man sich in geringer ferne vom meer zu
denken, weil Rasina sagt: ‘si in transmarinis partibus aliquem cogno-601
vissem utiliorem te1, und wenn es 2, 27 von Chlodovech heisze ‘Tho-
ringis bellum intulit eosdemque suis ditionibus subjugavit1, so sei er
von den Thüringen des innern Deutschlands noch durch alle möglichen
Völker und herschaften getrennt gewesen*.
Wie diese belgischen Thüringe das ags. Thyringas nennt, ist von
ihnen auch mhd. und mnl. dichtem künde geblieben, könig Rother,
seinen dienslmannen lehen austheilend (4829)
Dorringen unde Brabant, Vriesen unde Hollant,
gaf he vier hören, die mit ime wären
tizir lande gevarin, die betten herzogin namen;
he märten allin ir göt, si betten ime wol gedienöt.
Rother saz bit voller hant und decte widene die lant,
he rlchede manigen, Erwine gaf he Ispanien,
Sahsen und Turinge, Pilsum und Swurveu
gaf he zön graven,
* freilich hätte man erwarten sollen, dasz Gregor, als er nun 3, 4, 7 auf die
besiegung dieser inneren Thüringe an der Unstrut wirklich zu sprechen kommt,
sie mit dem beinamen der östlichen ausgezeichnet, wenigstens gesagt hätte, dasz
sie der läge nach von den früher erwähnten verschieden seien, es fragt sich
aber, ob er selbst des scheinbaren Widerspruchs einmal gewahrte? er berichtet
die begebenlieiten samt den überlieferten namen, und war ihm auch sonst der
unterschied zwischen westlichen und östlichen Thüringen klar geworden; so gal-
ten ohne zweifei auch damals beide für desselben volkstamms und es muste un-
anstüszig sein beiden den nemlichen namen beizulegen. Durch Chlodovecbs siege
27
HERMUNDUREN
hier wird westliches Thüringen neben Brabant, Friesland und Holland,
östliches neben Sachsen, Pleiszen und Sorbenland aufgeführt. Wenn
im mnl. Karel 1, 1403 gesagt wird:
in Doringen voer Garin,
Karel blCf, des stt wis, in die stat te Paris,
602 so kann dies Thüringen wieder nur das jenseitige meinen, Inicht das
östliche. Aus dem D in Doringen entnehme ich keine bestätigung des
in Hermunduri, da die niederländische mundart überall D anstatt des
älteren TH braucht; merkwürdig aber ist, dasz im testament des Wille-
brordus, dessen güter in Toxandrien lagen, auch ein pagus Turingas-
nes (Turingansis, Turinginsis?) vorkonnnt und wahrscheinlich an den
mündungen der Maas und Waal zu suchen wäre (Waitz s. 51.)
Sind nun Thürijige auf belgischem gebiet unabweisbar, so wer-
den doch die meinungen getheilt bleiben, zu welcher zeit sie dahin
eingewandert sein können. Gregor setzt sie bei der Franken ankunft
dort voraus, wie unbestimmt aber erscheint diese sage selbst! Brechen,
nach der herschenden ansicht, die Franken erst im vierten jh. in Gal-
lien ein, so hindert nichts diese Thüringe für einen besondern fränki-
schen oder unfränkischen volkstamm anzusehn, der zu gleicher zeit
mit den Sigambern und Saliern, wenn auch aus einer andern ecke her
vordrang. Waitz läszt die Salier von der hatavischen insei aus, die
Thüringe vom meere her nach Toxandrien gelangen, und nimmt an,
dasz sie von da sich weiter gegen Süden erstreckt haben können, das
früher fränkische Dispargum ihnen hernach zugefallen sei. Herrn. Mül-
ler vermutet, unter Thuringia sei ein stück vom gebiet der keltischen
Bataven zu verstehn, das von germanischen Duren, wahrscheinlich chat-
tischen Ursprungs, eingenommen auch deren nainen empfangen habe.
Des durischen oder thüringischen namens Ursache in diesem landstrich
einer älteren zeit als der des dritten oder vierten jh. beizumessen
scheint mir ein glücklicher gedanke, obwol ich weder die Bataven für
Kellen halte, noch die eingerückten Hermunduren für Chatten. Nach
der vorhin aufgestellten ansicht mag vielmehr bei Chatten und Her-
munduren der alte zug nach westen oder ein besondrer anlasz, dessen
grund wir nicht mehr durchschauen, obgewaltet haben, um theile ihrer
bevölkerung über den Bhcin vorzuschieben. Seien Bataven, Cannine-
faten, Chaltuarier und Testerbanten zurückführbar auf einen einzigen
allgemeinen namen oder nicht, ihr alter bezug zu den Chatten scheint
603 unzweideutig; warum sollte nicht eben so früh in ihrer naclibarscliaft
der name von Duren oder Thüringen auftauchen und aus der Hermun-
duren heimat abgeleitet werden dürfen? Caesar nennt uns der Bataven
insei, ohne das geringste weiter von ihnen zu melden; auch in des
Tacitus Germania sind aus dieser gegend die einzigen Bataven ange-
führt, Canninefaten und Chattuaricr übergangen, weil er sie für zu
hatte sich das fränkische reich allmälich bis zum Rhein erweitert und war in
unmittelbare berührung mit Alamannen und östlichen Thüringen getreten, deren
besiegung aber erst unter Theodcrich erfolgte.
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HERMUNDUREN
gering hielt oder unter den Bataven begrif; wie leicht entschlüpfen
konnten ihm hier die Duren. Sehen wir, ob noch andere zeugen für
sie auftreten; es fällt viel schwerer sie erst in späteren zeilen west-
wärts vorrücken zu lassen.
Schon s. 519 und 564 gedachte ich einer nachricht Procops von
der Franken herkunft und ihren nachbarn in dieser nordwestlichen ecke;
er kommt darauf zu reden, als er ihren zusammenstosz mit Westgo-
lhen in Gallien zur zeit des fünften jh. meldet, aus dem verein der
Franken mit den Armorikern, die von ihm Aqßbqvyoi d. i. Aq/uo-
qiyoi genannt werden, sei damals ein mächtiges, bereits christliches
reich erwachsen, welchem gegen osten das den Thüringen von kaiser
August bewilligte gebiet gelegen habe, ich will die worte selbst aus-
heben: futru de uvxovg eg tu nqdg uv'ioyovxu v\kiov QoQiyyoi ßuQ-
ßagoi, dovxog Avyovaxov TiQWTOv ßaoiketog, ISqvguvto. südwärts
aber habe sich der Burgundern hinter den Thüringen der Suaben und
Alamannen land befunden, hätte er v.axadvvxa statt uvloyovxu ge-
schrieben, die läge wäre deutlich, da dem entfalteten Frankenreich
jene Thüringe westlich, Burgunden südlich saszen. in der vom Byzan-
tiner irgendwo aufgetriebnen merkwürdigen künde, dasz August den
Thüringen diese niederlassung gestattet habe, liegt nichts unwahrschein-
liches, und darum musz sie frühe erfolgt sein; auf mitten in Deutsch-
land wohnhafte Hermunduren kann es unmöglich bezogen werden,
geschah in der quelle ausdrückliche erwähnung der Armoriker, die was
ihr name besagt und Caesar 7, 75 bestätigt, am meer wohnten, so
entscheidet auch ihre nachbarschaft für den westlichen standpunct. im
fünften jh. sind sie von der nordwestlichen küste auf die südliche
gewichen.
Derselbe Procop reicht aber noch anderes dar, was hier ein-604
schlägt. Aus Tacitus Germania 40 (vgl. oben s. 472) wissen wir,
dasz tief im deutschen nordosten jenseits der Elbe und gegen die Ost-
see unter andern suevischen Völkern cAnglii et Varini’ wohnten; Plole-
maeus nennt AyyeiXol Sovijßoi, die Variner hingegen Oviqovvoi. Auch
sie scheinen sich frühe nach dem fernen westen gewandt zu haben,
hei Procop (b. goth. 4, 20) hausen Ovuqvol neben Franken an den
Rheinmündungen, AyytXoi schon auf der jenseits hegenden britischen
insei. wie im osten an der Elbe musten sie sich wieder im westen
mit Thüringen begegnen, ja sie scheinen thüringische oder nahver-
wandte Stämme.
Nicht anders stellt der ags. wandrer, nachdem er 322, 6 von
Värnum gesungen halle, unmittelbar darauf 322, 10 und schon 321,
10 Engle und Svaefe zusammen, und 322, 16 werden die Thyringas
genannt, das sind nicht Verhältnisse des fünften bis zum zehnten jh.
sondern musz höher zurückgehn, ihrer herscher namen Vöd und Bil—
ling, wären sie uns in voller sage bewahrt, würden näheren aufschlusz
bringen.
Nun ist noch ein altes volksrecht vorhanden, das alle diese faden
sowol am östlichen als westlichen ende zu festigen scheint, es wird
27*
420
HERMUNDUREN
überschrieben: Cincipit lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringo-
rum’. hier werden Angeln und Werinen unmittelbar für Thüringe er-
klärt, fragt sich nur, zu welcher zeit und in welchem landstrich?
Dem gesetz ist in seiner fassung vieles mit dem friesischen ge-
mein, das unter Carl dem groszen aufgezeichnet oder neu abgefaszt
wurde; ja von den beiden sapientes die zum friesischen recht, wahr-
scheinlich im j. 802, zusätze machten, Wlemarus und Saxmundus, hat
ersterer auch solche zur lex Angl, et Wer. geliefert. War er, wie
das WL bestärkt, ein Friese, so muste er Westthüringen näher stehn
als Ostthüringen.
Es scheint natürlich, dasz Carl, der den rechtsbrauch aller deut-
schen ihm gehorchenden Stämme durchsehn oder verzeichnen liesz, auch
der Thüringe nicht vergasz; aber können mit den Angeln und Weri-
nen hier die östlichen gemeint sein? gab es im achten jh. an der
605 Elbe und Saale noch selbständige Angeln und Werinen? zu des ost-
gothischen Theodorichs zeit herschte, wie wir sahen, ein Guarnorum
rex; seitdem waren 300 jahre verstrichen, doch niemals gedenken die
ältesten ostthüringischen geschichlen anglischer oder wernischer könige,
dagegen Procop den Hermegisclus und dessen sohn Radiger als könige
jener niederrheinischen Warnen angibt, die ungefähr gegen die mitte
des sechsten jh. fallen, hatten damals diese westlichen Warnen kö-
nige, so scheint auch ihrem und dem westanglischen volk nächster
anspruch auf das recht zuzustehn, das wol schon jahrhunderte vor
Carl aufgeschrieben war, nach dessen geheisz durchgesehn und ge-
mehrt wurde, man musz schon deshalb solch eine frühe fassung an-
nehmen, weil auch für Carls zeit und herschaft jene westlichen Thü-
ringe nicht mehr gerecht sind; die Angeln waren in der mitte des
fünften jh. nach Britannien übergefahren, wo sie Procop längst weisz,
und weder bei Eginhart noch andern fränkischen annalisten geschieht
im siebenten, achten jh. der Weriner meldung. des gesetzes grund-
lage könnte also mit der des salischen und ripuarischen ziemlich gleich-
zeitig erfolgt sein und Gaupp s. 234 hat vollen fug auch aus der
abwesenheit aller spuren des christenthums einen früheren Ursprung
zu schlieszen. das wergeld von 200 sol. stimmt völlig zu dem sali-
schen und ripuarischen, während das alamannische und bairische nie-
driger steht; des ags. königs Canut constitutiones de foresta (Thorpe
s. 184) beziehen sich ausdrücklich auf das pretium hominis mediocris
(d. i. ingenui), quod secundum legem Werinorum i. e. Thuringorum
est ducentorum solidorum. zwischen Angelsachsen und Werinen musz
der alte verband fortgedauert haben.
Im gesetz ist auszerdem bemerkenswert!], dasz es dem freien nur
einen adaling, keinen litus zur seite gibt, 4, 20 des charpator, qui
cum circulo harpare potest’ und der cfeminae fresum facientes’ gedenkt,
die hearpe nennen ags. lieder, die harpa altn. oft, ahd. glossen las-
sen harafa bald chelys, bald tympanum, bald cithara verdeutschen (vgl.
oben s. 480. 499.) was der ring oder circulus dabei eigentlich be-
deute, weisz ich nicht, fresum ist das mlat. frisum fimbria, lacinia,
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HERMUNDUREN
' 421
was gewöhnlich ahd. koltporto, mhd. goltborte, horte heiszt und dem 606
gewand der vorzeit nicht fehlen durfte, vgl. Graff 3, 829 freisa. 7, 3
steht zu ornamenta muliebria die glosse cquod rhedo dicunt*, das ist
die älteste spur der späteren gerade (RA. 566 ff.), nur dasz hier kein
fern, sondern schwachförmiges masc. erscheint, folglich eine männliche
personification, wenn sie obwaltet (mythol. s. 840) vermutet werden
raüste. vlitivam 4, 10, ein technischer ausdruck für faciei labes, vi-
tium, entspricht genau dem ags. in den ältesten gesetzen Äthelbehrts
56 und dem fries. wlitiwimelse (Richth. 1157), woraus von neuem
die nähe der britischen Angeln, Werinen und Friesen hervorgeht.
Mag also auch ein Angelagowe (Engelingowe) und Weringowe
an der Unstrut und Werra fortbestanden haben und das vormalige da-
sein der Angeln und Werinen in dieser gegend bezeugen; das volks-
recht ist ohne zweifei nicht da, ^sondern unter den westwärts vorge-
rückten niedergeschrieben worden, und den auszug dieser westlichen
Thüringe denke ich mir gleich dem der Rataven aus dem chaltischen
gebiet, oder doch nicht viel später aus hermundurischem erfolgt. Man
kann nicht bezweifeln, dasz diese bewegung die Elbe hinab und von
da zur Weser und Ems gegen den Niederrhein geschah; unmöglich
aber bleibt es zu erkennen, wie sich die von den Thüringen einge-
nommenen landstriche zu den wohnplätzen der Chauken, Friesen und
Bataven genau verhielten, an den Rheinmündungen strömen von allen
seiten her Völker zusammen, nur der annahme ist nicht auszuweichen,
dasz das durische oder thüringische, auch nachdem es sich der von
Britannien aufgenommnen Angeln entladen hatte, einen festen kern im
westen zu bilden forlfuhr, weil ohne das die dauer und spätere er-
neuerung seines gesetzes sich nicht wol begreifen liesze.
Gleich den Gothen, Sueven und Herulern (s. 471) sehn wir auch
den Hermundurenslamm in weite fernen gebreitet, vom osten an der
Elbe, wo er in masse stand hielt und sich behauptete, ausgegangen
erreichte ein ansehnlicher theil das westende Deutschland, ein andrer
scheint mit Odovacer nach dem Süden verschlagen und in Gothen oder 607
Langobarden sich verlierend. Dunkel wie Duri und Thuringi bleibt mir
auch Varini, Werini und Warni, in so viel eigennamen und Ortsnamen
es eingegangen zu sein scheint; Warin, Warinheri, Werinpereht und
andere bei Graff 1, 930 verzeichnete mögen zeugen, erst wenn die
Vergleichung des dakischen Ovetyvag mit Werinus Warinus (oben s. 202)
sicher ist, dürfte gewagt werden den flusznamen Weser und Werra
(Wisuraha) hinzuzuhalten.
Fast aller auskunft enbehren .wir über hermundurische oder alt-
thüringische spräche; ihr musz gleich der chatlischen im ganzen auch
hochdeutsche, suevische natur beigemessen werden, und die wenigen
ausdrücke des alten rechtsbuchs enthalten nichts was dem widerstritte,
das WL in Wlemarus und wlitiwam ist zwar nicht mehr ahd., mag
es aber früher gewesen sein, wie es gothischem VL entspricht, zu-
gleich erscheint es alts. und ags. und jene Wörter ergeben nichts für
den characteristischen unterschied der zweiten lautverschiebung. etwas
weichere formen als die ahd. sind darf man schon der hermunduri-
schen und chattischen mundart Zutrauen, wie die blosze nachbarschaft
der angrenzenden sächsischen und friesischen stamme rathsam macht,
und das scheinen auch die Merseburger denkmäler, wenn sich von dem
fundort auf den dialect der niederschrift schlieszen läszt, bei ihrem
geringen umfang freilich sehr ungenügend zu bestätigen. In den thü-
ringischen und warnischen mannsnamen Hermenefridus, Hermigisclus
(oben s. 477) ist gothischer anklang, wie ihn schon die Verwandt-
schaften gothischer und thüringischer könige mit sich bringen.
Den Hessen und Thüringen ist auch das gemein, dasz ihr alter
rühm vorübergieng, und in der mitte Deutschlands sie sich nicht zur
höheren macht der Franken, Schwaben, Baiern und Sachsen entfalteten,
doch bis auf heute und nach zahllosen Umgestaltungen des reichs
dauern sie selbständig und gesondert fort.
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XXIII.
DIE NIEDERDEUTSCHEN.
Wie im Süden der schwäbische und hairische volkstamm grund- 608
läge der hochdeutschen ist im norden der sächsische die der nieder-
deutschen spräche geworden, im osten sind die das älteste und
echteste deutsch anstimmenden Gothen ausgezogen und verschollen, im
westen die Franken mit dem gallischen element verschmolzen, ihre
lieder untergegangen, von Chatten und Hermunduren frühe schon
nach dem äuszersten nordwesten entsandte zweige scheinen wesent-
lich zur bildung der niederländischen spräche mitgewirkt zu haben;
im innern land blieb die eigenheit hessischer und thüringischer mund-
art allzu schwach, es ist als ob die berschende spräche und ent-
scheidende kraft eines groszpn volks lieber an seinen seiten als in
seiner mitte sich aufthue.
Da auch unter Thüringen und Hessen hochdeutsche art vorwiegt,
konnte der niederdeutsche stamm von frühster zeit an dem hoch-
deutschen nicht die wage halten, und naturgemäsz behielt dieser die
Oberhand; wofür der niederdeutschen spräche ihr näherer mnschlusz
an die niederländische, friesische und selbst nordische, so wie ihrer
aller nichtkennen der hochdeutschen nochmaligen lautverschiebung einen
haltbaren gegensatz gewährten, so unablässig die hochdeutsche mund-
art vorgeschritten ist, hat sie noch bis heute diesen vereinten wider-
stand zu bekämpfen.
Meine Untersuchung hat schon in vielfachen beispielen dargethan, 609
dasz die gröszere Verwandtschaft der einzelnen Stämme durch ihre
spräche bedingt ist, und die derselben mundart zugethan sind auch
seit uralter zeit unmittelbar nebeneinander wohnen, es sei denn, dasz
besondere anlässe, wie wir bei den Chatten und Hermundnren voraus-
zusetzen hatten, einen strahl des Volkes voraus sprengten und ihn
von dem zurückbleibenden kern absonderten. Behauptete sich nun
in dem nördlichen Deutschland ununterbrochen die niederdeutsche
mundart, so müssen die ihr angehörigen Völker schon so lange in
SACHSEN
diesen sitzen vorhanden gewesen sein als die hochdeutschen in ihren
südlichen.
Man will annehmen, dasz die Sachsen, deren namen Strabo,
Plinius und Tacitus noch gar nicht kennen, die zuerst Ptolemaeus im
kimbrischen chersonesus aufführt, nachher, also ungefähr im dritten
oder vierten jh., sich vom norden südwärts ergossen hätten. Aber
die im verfolg näher zu betrachtende sage von der Sachsen einzug
aus dem nordalbingischen land in die strecken zwischen Elbe und
Weser hat keinen höheren geschichtlichen werth als die von ein-
wanderung der Gothen aus Scanzien an die Weichsel und Donau
(s. 446.) wie die Gothen seit undenkbarer zeit, vom Pontus und
aus Thrakien heranrückend, an der Donau, saszen die sächsischen
stamme an der Elbe und Weser, und ihre macht ist zu breit und
gewaltig, als dasz sie erst aus einer nördlichen ecke könnte herbei-
gezogen werden. War der Franken name uralt und doch von den
frühsten berichlerstattern unerwähnt geblieben, so mag noch vielmehr
der sächsische in das höchste alterthum zurückreichen, ja es ist
s. 226—228 möglich gedacht worden, dasz er bis an den der Sacae
oder 2dxai in Asien selbst rühre; der Zusammenhang wäre nicht
überraschender als der unter den Gothen und asiatischen Geten wahr-
nehmbare, und die lautverhältnisse fügen sich. 2uxou Sacae steht
wie di-xu decem zu taihun, zehan und das eingeschobne zweite S
wie in ix i£, vicus goth. veihs gen. veihsis, fuhs gen. fuhses neben
fohä u. s. w. ob sich sex mit seco verknüpfen lasse, bleibt dahin-
610 gestellt, dasz aber zu seco saxum gehöre überaus wahrscheinlich,
weil dem ahd. sahs, ags. seax, altn. sax der begrif des schneidenden
messers einwohnt, scharfen Hins bearbeiteten die des metalls ent-
rathenden Völker der urzeit zu waffen, d. i. messern oder kurzen
Schwertern, und saxum konnte dem Römer der harte stein nur
heiszen, weil er schnitt und schneidendes gerälh hergab. Zu welcher
skythischen oder medischen Wurzel jener name Säxai gerecht sei,
läszt sich nicht mehr nachweisen, in ahd. Sahso, ags. Seaxa, altn.
Saxi legte aber unsre vorzeit von jeher die Vorstellung des schwert-
tragenden. BxVpp VJ^jJ ^ 2 QutO, .2 U*u p.&ß heYuvw e/n» Omml •
Widukind 1, 6. 7 die schöne sage von den Sachsen und Thü-
ringen berichtend und einer Zusammenkunft beider Völker gedenkend,
wobei diese unbewafnet, jene mit walfen auftraten, sagt ausdrücklich:
erat autem illis diebus Saxonibus magnorum cultellorum usus, quibus
usque hodie Angli utuntur morem gentis anliquae sectantes. mit die-
sen Schwertern überfielen und schlugen sie ihre feinde nieder, fuerunt
autem et qui hoc facinore nomen illis inditum tradant: cultelli enim
nostra lingua sahs dicuntur, ideoque Saxones nuncupatos, quia cul-
tellis tantam multitudinem fudissent. Nennius hist. Brit. cap. 46 legt
dem Hengist die worte in den mund: quando clamavero ad vos et
dixero ceu Saxones, nimith eure saxas!’ cultellos vestros ex ficonibus
vestris educite, et in illos irruite et fortiter contra illos resistite!*
Im Annolied heiszt es aber:
Tnr\OTr\AeA>
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ein Duringin duo der siddi was
daz si mihhili mezzir hiezin sahs,
der di rekkin manigiz druogin,
damidi si die Duringe sluogin
mit untrüwin ceinir spräckin,
die ci vridin si gelobit havitin:
von den mezzerin alsö waksin
wurdin si gekeizin Sahsin.
Gotfried von Viterbo bei Pistor. 253b hat die verse:
ipse brevis gladius apud illos saxo vocatur,
unde sibi Saxo nomen peperisse notatur,
wobei nur der deutsche unterschied zwischen sahs und Sahso ver-
wischt wird. Es ist noch bis in spätere zeit hei Sachsen und 611
Westfalen der gebrauch geblieben, dasz die männer zu gericht
mit messern erschienen und sie in die erde niedersteckten (RA.
s. 771.)
Dies alles erscheint bedeutsamer, wenn zweierlei anderes damit
in bezug treten wird.
An die spitze des .ostsächsischen Stamms in Britannien, germa-
nisch belgischer küste gegenüber, stellen die ags. genealogien den
Seaxneät, Vodens sohn und göttlichen hehlen; derselbe Saxnöt wird
in der abrenuntialion neben Vödan und Thunar als dritter gott auf-
gestellt, dem scandinavischen glauben aber ist er unter solchem namen
fremd, dieser würde altn. Saxnaut, ahd. Sahsnöz, goth. Sahsanauts
auszudrücken sein und Schwertträger, gott des leuchtenden schwerts,
kriegsgott bedeuten. Heiszen nach ihm seine kriegsgenossen, alle
männer des volks, dem er heilig ist, Sahson, Sachsen, so hat diese
auslegung sicher den Vorzug vor der spielenden sage, die den namen
erst auf eine besondere waffenthat des volks, zur zeit in welcher es
ihn längst geführt haben musz, ziehen will.
Mit solchen stammsagen scheint aber die wähl der ältesten
Zeichen auf schihl und fahne in Verbindung zu stehn, wie vorhin
das welfische wappen der Chatten bestätigte, und jenen Sahsnöt mag
auch das schwert im sächsischen von frühster zeit her ankündigen.
'der herzoge von Sahsen ist des chuniges marschalch und sol dem
chunige sin swert tragen’, sagt der Schwabenspiegel cap. 31 *; dies
recht des schwertvorlragens flieszt nicht aus der marschallswürde,
noch ist durch sie das schwert ins wappen der Sachsen eingeführt,
sondern eben weil es von jeher darin war, pflegten es auch die
könige sich durch den herzog von Sachsen vortragen zu lassen **.
der erzschenke und erztruchsesz, welche becher und schüssel vor-
tragen, nahmen diese Zeichen darum nicht in ihren schild auf;
wol aber gieng das angestammte sächsische schwert hernach auch 612
* aber nickt in den ältesten hss. vgl. Kopps bilder und sehr. 1, 109.
** es gesekak dock nickt immer, auck andere fürsten als der reicksmarsckall
trugen unserm kaiser zuweilen das schwert vor, z. b. der dänische oder böhmi-
sche könig. Kopp a. a. o. 110.
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426
SACHSEN. CHERUSKEN
mit dem erbamt auf die askanischen und meisznischen kurfitrsten
über *.
Das bisher aus dem namen der Sachsen allein gewonnene er-
gebnis ihres hohen alters und ihrer frühsten anwesenheil mitten auf
deutschem boden wird sich aber durch betrachtung der Cherusken
zur gewisheit erheben. Cherusken sind mir nichts als Sachsen mit
gleich altem andern, dennoch vollkommen einstimmigen namen.
Denn wie Sahso auf sahs und den schwertgolt, leitet Cherusk
geradezu auf ein wort, das schwert und einen gott des schwerts be-
zeichnet. cheru ist fränkische Schreibung des alts. heru, goth. hairus,
ags. heoro, altn. hiörr, die wiederum dem litth. kardas (s. 399)
gleichen**, das kurze, aus Claudians scansion ersichtliche E währt
Dio Cassius in Xtpovaxoe, tadelhafl scheint Strabons XrjQOvoy.oi.
Da nun aber die ableitung SK nur an personen und persönlich ge-
dachte sachen tritt (manna mannisks, |)iuda fnudisks), so folgt, dasz
ein goth. hairvisks so wenig als heute schwertisch von schwert ge-
bildet werden könne, es sei denn auf einen personificierten Hairus
zurückführbar, der als gott des volks ahriherr ward; der name
Cherusk nöthigt also unmittelbar von einem göttlichen Cheru auszu-
gehn, dem wir schon im bairischen kriegsgott Ero oder Er (s. 508)
begegneten.
Hieraus flieszen wieder örtliche Verhältnisse, da nemlich, bevor
sie südwärts zogen, die Markomannen neben den Cherusken an der
Elbe wohnten, so begreift sich berührung des markomannischen
613 schwertcultus mit dem cheruskischen, der noch hart an der chalti-
schen grenze einen Eresberg (mythol. s. 182. 184) aufzuzeigen hatte,
während Sueven, Hermunduren, Chatten denselben gott unter dem
namen Zio oder Tio feierten. Waren Thraker und Geten Aresdiener
(s. 508), so sehn wir vom Hacmns her durch die Gothen zu Marko-
mannen und Cherusken die Verehrung des gleichnamigen gottes sich
erstrecken. Tacitus aber führt uns tiefer im nordosten, neben Angeln
und Varinen, auch Suardonen an, die sich nochmals aus alts. suerd,
ags. sveord, ahd. suert deuten, und in den Sveordverum des cod.
exon. 322. 12 aus langer Versunkenheit neu auftauchen, diese Sveord-
veras sind ganz gebildet wie die schwäbischen Ziuwari und man hat
die wähl sie und die Suardones Sachsen oder Cherusken gleichzu-
zusetzen. möglich, dasz alle drei benennungen, innerlich gleich, in
verschiednem landstrich zur selben zeit galten, oder dasz sie einander
allmälich vertraten, wie leicht aber durften die Römer des ersten jh.,
wenn ihnen der sinn des namens Cheruscus offenbar wurde, des
* meine ganze Untersuchung versteht unter Sachsen blosz die echten, ur-
sprünglichen (Niedersachsen), nicht die heutigen Sachsen (Obersachsen), die erst
seit 1423 diesen namen annehmen, der ihnen im gründe so wenig gebührt als
den Hessen der einmal sieben jahre lang aufgedrungne westfälische.
** auch den Zigeunern ist charo schwert und, wegen der beiden Schwerter
im wappen, nennen sie Sachsen charodikkotemm, schwertland. Pott 2, 161.
1, 100.
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CHERUSKEM
427
identischen Saxo geschweigen, falls er schon vor Ptolemaeus zu ihrem
ohr gedrungen war.
Caesar nennt uns die Cherusken durch silva Bacenis von Sueven
d. i. Chatten geschieden; als er gegen diese über den Mittelrhein vor-
rücken wollte, waren sie durch den Ungeheuern wald an die cherus-
kische grenze zurückgewichen, auch Strabo nennt Cherusken und
Chatten nebeneinander und nun gar Plinius ordnet seinem herminoni-
schen hauptstamm Sueven, Hermunduren, Chatten, Cherusken unter;
das mochte durch ihre läge in des landes mitte, wie durch manches
einzelne anschein gewinnen. Deckt uns aber schon Tacitus der Chatten
und Cherusken ewige Zwietracht auf (cum quis aeternum discordant,
ann. 12, 28), wie sie lange Zeiten nachher im Widerwillen des ge-
meinen haufens durchbricht (s. 566); so darf an beider Völker gründ-
lichem abstand, den auch die sich entfaltende trennung hochdeutscher
und niederdeutscher spräche ins licht setzt, nicht gezweifelt werden.
Es ist kein andres germanisches volk, das in der geschichte den
Cherusken sich zur seite stellen könnte; an ihrem zur rechten stunde 614
gefaszten und muthig ausgeführten entschlusz hieng die erste, uns noch
alle begeisternde rettung des Vaterlands, von Arminius, ihrem un-
sterblichen beiden sagt Tacitus ann. 2, 88: canitur adhuc barbaras
apud gentes. diese den Römern gewordne künde kann nicht falsch
gewesen sein, und gewis feierte das lied seine thaten. mit den ge-
sängen mochte sich aber frühe der preis des älteren gottes oder h-alb-
gottes Irmin vermischen, den schon Armins eigner name voraussetzt,
unstatthaft wäre anzunehmen, dasz das in alle zweige deutscher spräche
tiefverwachsne und in den volksnamen llerminones Hermunduri fort-
lebende, über das erste jh. hinaufreichende praefix Irman- erst durch
den Cheruskenfürst entsprungen sei und umgegriffen habe, von Sachsen
her konnte doch den Gothen kein Airmanareiks, den Nordländern kein
Iörmungandr zugebracht werden, und beruht die Irmansül auf einer
uralten mythischen Vorstellung, so war sie nicht zu Armins ehren er-
richtet. merkwürdig ist, dasz Arminius, neben Herminones und Her-
munduri geschrieben wird; Arminius, lang unter Römern verkehrend
(Vellejus 2, 118) mochte ihnen den reinen anlaut seines namens ein-
geübt haben, dessen ausgang auf -ius sie nur lateinisch zurichteten,
schwerlich setzten sie deutsches Irman um in Armin, eher liesze sich
in arm das vorgeschobne a einer brechung spüren, die der golh. form
airm gliche; oder dachte man an Armenius, wie Strabo wirklich
schreibt?
Varus ward im j. 9 geschlagen und darauf folgten fünf jahre
ungestörter freiheit; vom j. 14 an erneuerten die Römer ihren krieg.
Thusnelda im j. 15 schwanger gefangen gebar ihren sohn Thumelicus
unter den feinden, er war dreijährig, als sie im pomp zu Rom vor-
geführt wurden, die schiacht auf Idisiaviso fällt ins j. 16; in den
jahren 17. 18. 19 erlangt Arminius das Übergewicht vor Maroboduus,
der nach Italien flüchten musz, wo er im j. 39 hochbejahrt und rühm-
los sein leben beschlieszt. Arminius aber erlag schon im j. 19, cdolo
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428
CHERUSKEN
propinquorum\ falls die den Römern zugebrachte nachricht gegründet
war, also ohne Thusnelda wieder, ohne$ seinen sohn je gesehn zu
. . 615 haben; auch diesem kann kein langes leben bescbieden gewesen sein,f
j ev j!ebr*^oA denn jm j 47 war vom ganzen cheruskischen fürstenstamm * der
cÜSr iLai - einzige Italicus übrig, den das volk aus der Römer hand zurück erbat
trio oAÄicAtölujUnd erhielt.
^£2.. ' Die Verwandtschaften des geschlechts, wenn man alle nachrichten
der Römer vergleicht, stellen sich so dar:
Actumerus
Segimundus Thusnelda Arminius Sesithacus Flavus Rhamis A
Tkumelicus
Italicus
Chariomerus
obschon einzelnes dunkel bleibt, den Arminius nennt Tacitus niemals
weder Segimers sohn noch Segests neffen, man durfte es schon aus
seinem Verhältnis zu Flavus folgern, allen zweifei hebt aber Vellejus
2, 118, wo er ausdrücklich Sigimeri fdius heiszt; dasz er sich des
oheims tochter zur braut raubte stimmt mit dem brauch des alter-
thums. ein ann. 1, 71 ungenannter sohn Segimers musz derselbe
sein, welchen Strabo Sesithak nennt und zum gemahl der Rhamis
macht, eine Chattin hatte nach Tacitus auch Flavus geheiratet, er
kann aber nicht zusammenfallen mit Sesithak (etwa bei Cherusken
diesen, bei Römern den namen Flavus führen), weil er stets den
Römern anhieng, von Sesithak des Varus leichnam mishandelt worden
war. es müssen also zwei löchter Actomers gewesen, Rhamis an
Sesithak, die ungenannte an Flavus ausgegeben sein, zwischen cliat-
tischem Actumer, batlischem Ukromer unterscheiden mag ich nicht;
offenbar sind beide nur einer. Aus dem Stammbaum erklärt sich ein-
fach, wie Armin gegen Segest, dessen sohn römischer priester ge-
worden war, kräftig auftreten konnte, und warum nach Segests,
616 Segimers, Armins, wahrscheinlich auch des Thumelicus tod Cherusken-
land dem Italicus anfiel, sein recht beruhte auf des Flavus abkunft
von Segimer; dasz Chariomer (Dio 67, 5, oben s. 573) sein sohn
war, macht beider ergebenheit gegen Rom wahrscheinlich, so wie der
Chatten einschreiten in der nahen Verwandtschaft vollkommen be-
gründet war.
Segest ist Sigegast (s. 541) und des namens erster theil wieder-
holt in Sigemund und Sigemär; sie alle entsprechen sigambrischer
* hier ann. 11, 16 redet Tacitus von einer stirps regia und 11, 17 nennt er
den Italicus rex; bei Strabo heiszen alle cheruskischen häupter rjyefioves, vgl.
s. 580.
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ftJ
CHERUSKEN
429
nachbarschaft. InguiomÄrus, ahd. Ingumär, romanisch gefaszt Hincmar,
klingt recht ingaevonisch. Thusnelda habe ich schon oft erklärt.
Thumelicus war wol Thümeling d. i. pollex, altn. fmmlüngr; wurde
dem in der fremde und des vaters abwesenheit gebornen kind der
ungewöhnliche name bedeutsam beigelegt? oder wäre er entstellt (M.
für 2) aus Thuselicus d. i. thurselic nach der mutter? Sesithacus
scheint zunächst ahd. Sisidanch, thacus hätte N ausgeworfen, wie altn.
|)ökk, {mkkir. Actumerus wurde s. 580 gedeutet, seiner tochter
Rhamis name zurtickgeleitet auf das fränk. chram und fram (s. 513.)
So kurz Arminius seines siegs genosz, diese glanzvolle erhebung
gegen römische Weitherschaft hatte frucht getragen und der feinde
hier gebrochne macht für immer hinter den Rhein zurückgewiesen;
wie oft sie sich noch hervor wagte, es hatte keinen erfolg mehr.
In der Varusschlacht, zur stunde der gefahr, waren alle nordwestlichen
Deutschen geeint gewesen, Cherusken, Angrivarier, Marsen (ann. 2, 25),
Bructerer, Sigambern, Chatten (s. 573), alle die hernach Germanieus
mit dem schwert heimsuchte, um rache zu nehmen; es erhellt auch
aus den im römischen triumph gemeinsam aufgeführten gefangnen
Cherusken, Sigambern und Chatten, und zwischen Chatten und Cherusken
mochte damals vor der engen Verknüpfung der fürsten die alle ab-
neigung der stamme zurückgetreten sein. Nach errungnem sieg muste
in der Deutschen wie der Römer äugen Arminius vorragen und sein
ansehn noch höher steigen, seit er sich mit Maroboduus (s. 504. 505)
gemessen hatte. Wenn hier von Tacilus ann. 2, 45 Cherusci csociique *
eorum’ den Sueven entgegengestellt werden, von suevischer seite Sem-
nonen und Langobarden zu den Cherusken übertreten, während In-617
guiomer samt seinem anhang von Arminius zu Maroboduus abgieng;
so sind darunter blosze erscheinungen dieses kriegs, keine dauernden
Verhältnisse zu verstehn und auf ähnliche auch bei Strabo s. 291 die
Xr^ovoxoi xai oi tovtcov vnrjxooi gemeint. Der annahme eines
cheruskischen Völkerbundes bedarf es also gar nicht; die den Che-
rusken stammverbundnen Fosen, Marsen, Angrivarier und andere, deren
namen wir nicht kennen, hielten es schon früher wie später mit ihnen,
und dasz sie zu Chatten, Hermunduren, Langobarden ihre alte Stellung
beibehielten, lehrt die geschichte.
Den Cherusken, allgemein gesprochen, gehörte das mittlere
Deutschland zwischen Elbe und Weser und noch über die Weser
hinaus am Teutoburger wald *; im Süden waren Hermunduren, im
südwesten Chatten, im westen Sigambern, Rrukterer, im osten Lango-
barden und Sueven ihre nachbarn. am schwierigsten fällt die bestim-
mung ihrer nördlichen grenze, hier müssen ihnen im rücken gegen
die Elbe hin nicht allein Chauken sondern auch noch andere stamm-
verwandte Völkerschaften gewohnt haben, deren genaue angabe nach
Verschiedenheit der Zeiten und bei dem drang, der an der niedern Elbe
von osten gegen westen stattfand, manchem zweifei unterliegt.
* man kann diese Xegovoxia ungefähr umschreiben durch den Sprengel der
bisthiimer Paderborn, Hildesheim und Halberstadt.
430
CHERUSKEN. ANGRIVARIER. MARSEN
Mit den Chatten, ihren nachbarn und gegnern, haben die Cherusken
auch die zeit ihres beiderseitigen hervorleuchtens gemein; nach dem
ersten jh. beginnt ihr name zu erblassen. Ptolemaeus nennt sie zwar
noch zwischen Weser und Elbe, schiebt aber ihren sitz, wie er auch
bei Chatten und Tubanten thut, zu weit nach südosten vor; vergebens
sucht hier Zeusz s. 107 seine angaben zu retten, offenbar hatte Plole-
maeus keine lebendige künde. Wenn in des Nazarius rede vom j. 321
unter den gegen Conslantin verbündeten Völkern noch Cherusci auf-
geführt werden, wenn Claudian de hello getico 419 Sicambern, Chat-
618 ten und Cherusken und de IV. cons. Hon. 450 Bructerer, Cimbern
und Cherpsken nennt; so scheinen diese namen blosz gelehrt zusam-
mengestellt und nicht den ereignissen selbst entnommen. Ammian
kennt keine Cherusken mehr, nur Sachsen an ihrer stelle.
Den alten Cherusken benachbart und, wie es scheint, mit ihnen in-
gaevonisches Stammes waren Foscn, Angrivarier, Marsen, Dulgibinen, Cha-
suarier, vielleicht noch einige kleinere, von Ptolemaeus angegebne Völker.
Wenn die Fosi, wie man annimmt, von der bei Celle in die
Aller flieszenden Fuse ihren namen führen (s. 574), so hätten sie im
norden der eigentlichen Cherusken gesessen, also den Chatten ziem-
lich fern, bei deren sieg über die Cherusken sie das einzigemal an-
geführt werden.
Westwärts an der Weser wohnten die Angrivarier, zwischen
Chauken und Cherusken, heim zug des Germanicus gegen diese sagt
Tac. ann. 2, 19: latus unum (paludis) Angrivarii lato aggere ex-
tulerant, quo a Cheruscis dirimerentur. Germ. 33. 34 stellt er
sie noch westlicher den Chamaven zur seite auf ehmals brukteri-
schen boden; es ist kaum anzunehmen, dasz sie von da südlich vor-
geschritten und am Rhein neben die Maltiaker gelangt seien (s. 582.)
die nolitia dign. nennt auch Anglevarii, welche form sogar Angern
und Angeln vermitteln könnte. Liegt dem volksnamen der begrif anger
oder wiese zum grund, so dürfte er anwohnern der Weser wie des
Rheins zustehn, auf jeden fall müste, wenn ein theil der Angrivarier
gegen den Rhein gezogen wäre, der kern ihres Stamms an der Weser
geblieben sein, wo er noch später waltet.
Höchst alterthümlich klingen die Marsen an. als Tacitus aus des
Mannus drei söhnen drei hauptstämme der Germanen abgeleitet hat,
fügt er hinzu: quidam plures deo ortos pluresque gentis appellationes
Marsos, Gambrivios, Suevos, Vandilios affirmant, eaque vera et antiqua
nomina. führen sich also Gambrivier auf einen Gambar (den ahnen
der Sigambern), Sueven auf Suevus, Vandilier auf Vandil zurück, so
musz den Marsen ein Marso (myth. 336) als mythischer ahnherr ge-
619 gölten haben, und an der uns jetzt verdunkelten allgemeinen güllig-
keit dieses namejis ist kein zweifei, da suevische Marsigni d. i. Mar-
singi angeführt werden*, und er bei Marsiburg, Mersiburg (Pertz 8,
* die batavischen, hist. 4, 56 neben Canincfaten genannten Marsaci sind
vielleicht unverwandt und auf das engl, marsh, ags. merse palus zurückzufülircn,
vgl. lat. mariscus juncus marinus.
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CHERUSKEN. MARSEN
431
537. 540) zu gründe liegt, auszer diesem thüringischen ort erscheint
auch ein westfälisches Mersburg, Mersberg für Eresherg (mythol.
s. 1209), das vielleicht aus dem lat. mons Martis entsprungen ist,’
dunkel bleibt uns das deutsche wort. Wenn ein mhd. dichter die
seltsame, sonst unerhörte Redensart braucht: cder des tödes durch si
gert und zuo zallen marsen vert’ MS. 1, 25a, so meint er einen moLy^tn wa«.
liebenden, der für seine frau sich in den tod und alle gefahren oder Cvmw 286?
abenteuer stürzt, nnl. bedeutet mars einen mastbaum, aber von keinem
dieser ausdrücke weisz ich Vorstellungen zu entnehmen die sich dem
alten volksnamen eigneten.
Wichtiger ist es der Marsen Wohnsitz zu ermitteln, und früher
mag er etwas westlicher gegen den Rhein gewesen sein; als des Drusus
feldzüge die folge hatten, dasz August germanische Völker auf das
linke Rheinufer versetzen liesz, wichen sie aus, und zogen sich tiefer
ins innere land, wo wahrscheinlich der kern ihres Volkes sasz. Strabo
nennt sie ausdrücklich als zurückbleibende, neben einem theil der Si-
gambern, s. 290: ravrrjg {zrtg noza/itiag) dt tu jutv dg zi]v KtX-
Tixijv [.UTriyayov cPa)/.iaioi, zu d’ (.itzuozuvra dg ri]v tv
ßuÜti ywQtxv, xad-antQ JYLuqgoI' Xomol d° dolv oXlyoi neu zcou
2ovyüf.ißQwv [.itgog. Man darf, da sie an der Varusschlacht theil—
nahmen (s. 616), in ihnen nachbarn und freunde der Cherusken vor-
aussetzen und ihr land in das gebiet der oberen Ruhr, d. h. die
grafschaft Mark und einen theil des herzogthums Westfalen legen.
Das wird nun auch durch eine recht verstandne nachricht hei Tacitus
ann. 1, 50. 51 vollkommen klar, im j. 14 überzog Germanicus die
Deutschen, und man darf ihm Zutrauen, dasz er sich gerade gegen
die stamme wandte, welche den Varus vernichtet hatten. Laeti, heiszt620
es, neque procul Germani agitahant, dum justitio oh amissum Augustum,
post discordiis attinemur. at Romanus agmine propero silvam Caesiam
limitemque a Tiberio coeptum scindit, castra in limite locat, inde sallus
obscuros permeat, consultatque ex duobus itineribus breve et solitum
sequatur, an impeditius et intentatum eoque hostihus incautum. delecta
longiore via cetera accelerantur. etenim attulerant exploratores festam
eam Germanis noctem et solemnibus epulis ludicram . . . juvit nox
sideribus inlustris, ventumque ad vicos Marsorum et circumdatae sta-
tiones stratis etiam tum per cubilia propterque mensas, nullo metu,
non antepositis vigiliis. Caesar avidas legiones, quo lalior depopulalio
foret, quattuor in cuneos dispertit, quinquaginta millium spatium ferro
flammisque pervastat. non sexus, non aetas miserationem attulit, pro-
fana simul et sacra, et eeleberrimum illis gentihus lemplum, quod
Tanfanae vocahant, solo aequanlur. sine vulnere milites, qui semi-
somnos, inermos aut palantes ceciderant. Excivit ea caedes Bructeros,
Tubantes, Usipetes, saltusque per quos exercitui regressus insedere.
Auf diesen heimtückischen und grausamen zug erhob sich der römische
feldherr vom Rhein bei castra vetera aus südostwärts gegen die Ruhr,
die silva Caesia entfernt allen zweifei; man hat sie nördlich bei Coes-
feld (Kuhfeld?) gesucht, eine urkunde vom j. 796 hei Laeomblet n° 6
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im
432
CHERUSKEN. MARSEN
lehrt aber deutlich: comprehensio (bifang) in silva quae dicitur Heissi,
in aquilonari parte fluvii Rurae, vgl. n° 17 a. 800 und n° 290 a. 1119,
wo silva Hese steht, noch heute trägt Heisingen, ein dorf (zwischen
Essen und Werden, auf der rechten seite der Ruhr), davon seinen
namen. bis zur Caesia reichte römischer besitz *, von da im deut-
schen gebiet zog das heer durch dichte Wälder und nach Mitternacht
war der Wohnort der Marsen erreicht, die ein heiliges fest begangen
hatten lind in tiefem schlafe lagen. Um von Wesel aus an diese
621 stelle zu gelangen darf man dem Germanicus nur einen tag und eine
halbe nacht einräumen, binnen welcher zeit höchstens sechs bis acht
meilen zurückgelegt wurden; machte die silva Caesia ungefähr die
mitte der ganzen reise, so hätte der ausgang derselben einen punct
wie Dortmund erreicht, in dessen gegend ich geneigt bin den sitz
der Marsen und des Tanfanatempels anzunehmen. Das schwierige ist
sich die läge und abgrenzung der Marsen von den übrigen westlichen
Germanen zu verdeutlichen. Zwischen Ems und Lippe wohnten Bruc-
terer (s. 530), an der unteren Ruhr Chattuarier (s. 589) und dann
Tencterer (s. 533), diesen beiden östlich Sigamhern (s. 520), die
mitte zwischen Sigambern und Bructerern an der oberen Ruhr mögen
Marsen eingenommen haben; ostwärts den Sigambern grenzten Chatten
und Cherusken, ostwärts den Marsen und Bructerern wiederum Che-
rusken; gegen Süden saszen Usipeten und Mattiaker. Mit richtigem
blick hat auch Zeusz, ohne von der silva Caesia auszugehn, die Marsen
nicht so nördlich verlegt, wie bisher geschah; ich weiche nur darin
von ihm ab, dasz sie mir nicht in den Sigambern aufzugehn scheinen;
ob sie, gleich den Cherusken, ingaevonischen Stammes waren, wie ich
zu vermuten wage, wird sich freilich nicht entscheiden lassen. Dasz
ihre niederlage die Bructerer aufregte, und diese dem römischen heer
den rückweg abzuschneiden suchten, begreift sich; Tacitus gesellt
ihnen hier aber auch Tubanten bei, die man sich nördlicher, und
Usipeten, die man sich südlicher zu denken pflegt (vgl. s. 592.)
Auf diesem heerzug sengten und brannten die Römer 50000 schritte
weit und breit im umkreis und Tanfana wurde zerstört; es heiszt
tceleberrimum illis gentibus templum1, der ort stand in grösztem an-
sehn und galt mehr als einem deutschen volke für heilig; hieraus er-
hellt dasz vielen deutschen Stämmen auch glaube und cultus gemein
waren, welch hohen werth würde diese meldung für uns haben,
wenn sie genauer ausgefallen wäre und auszer den Stämmen auch die
stelle des heilthums bezeichnet hätte, aus andern umständen scheint
622 sich folgern zu lassen, dasz solche Örter gern auf der grenze zwischen
zwei oder drei Völkerschaften angelegt waren und zugleich deren ab-
sonderung und gemeinschaft ausdrückten; Tanfana mochte Marsen
Bructerern Cherusken, Irmansül Cherusken Sigambern Chatten zusam-
men heilig sein. Wie man immer Tanfana deuten könne, es war ein
* auch später gehört Heisingen nebst Werden zum fränkischripuarischen
Ruhrgau und jenseits begann Boroctragau.
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CHERUSKEN. MARSEN. DULGIBINEN
433
weibliches höheres wesen, das hier verehrt wurde- und kein keltisches,
sondern echt deutsch gleich der nahen Veleda; s. 232 führte mich
der name auf eine göttin des heerdes und feuers, die man leicht mit
einer anderen und bekannteren göttermutler vereinbaren dürfte, nun
wies die Örtlichkeit vorhin nach Dortmund, dessen uralter name in
rein sächsischer form Throtmani, Throtmeni, Throlmenni lautet, was
nichts anders aussagl als monile gutturis, colli, wie noch ein ort an
der Weser Holtesmeni (Holzminden) monile silvae heiszt. Frowa oder
Freyja trug aber an ihrem hals das berühmte Brosinga mene und da-
von konnte ein heidnischer ort benannt sein, man darf gar nicht be-
zweifeln, dasz nach Verheerung des Tanfanatempels die Deutschen den
heiligen ort wieder neu errichteten.
Ebensowenig waren die Marsen selbst vernichtet, zwei jahre
später fand es Germanicus für nöthig sie wiederum zu überfallen, und
nachdem er einen andern häufen gegen die Chatten entsandt hatte,
heiszt es ann.'2, 25: ipse majoribus copiis Marsos irrumpit, quorum
dux Mallovendus nuper in deditionem acceptus propinquo luco defossam
varianae legionis aquilam modico praesidio servari indicat. Missa ex-
templo manus, quae hostem a fronte eliccret, alii cpii terga circum-
gressi recluderent humum: et utrisque afliiit fortuna. eo promptior
Caesar pergit introrsus, populatur, exscindit non ausum congredi hostem,
aut sicubi restiterat statim pulsum, nec unquam magis, ut ex captivis
cognitum est, paventem. Des Überläufers name liesze sich aus mahal
und vendo phalanx deuten.
ln seiner Germania aber vergiszt Tacitus, auszer jener allgemeinen
erwähnung bei angabe der hauptstämme, die Marsen und ihren Wohn-
sitz zu schildern, wie er auch der Sigambern völlig gescliweigt, da 623
doch in den annalen beide, Marsen und Sigambern, bedeutsam vor-
treten. Später scheint der Marsen name gänzlich zu erlöschen und
entgeht auch dem Ptolemaeus; sie mögen sich in dem volk, das den
namen und die stelle der Cherusken vertritt, gleichfalls verlieren.
Dafür gedenken Tacitus und Ptolemaeus eines geringeren, den
Cherusken benachbarten und ohne zweifei nahvervvandten volks, das
hernach wiederum verschwindet. Tacitus Germ. 34 läszt im rücken
der Angrivarier und Chamaven noch Dulgibini oder besser Dulgubini
und Chasuarii hausen, dem Ptolemaeus sind z/ovlyov/uviot an Lango-
barden grenzend, also weiter im osten oder nordosten der Cherusken.
In diesem namen ist das ags. dolg, fries. dolcli, alul. tolc vulnus nicht
zu verkennen, und gerade wie im gotli. aus vermutlichem einfachem
vundö vundubni vulnus fortgebildet wird, mag aus dulg, dolg ein
dulgubni vulneratio entspringen, von dem sieb dann weiter dulgubnja
vulnerator ableiten läszt. Dulgubini ist leicht in Dulgubnii, wozu n
Jovlyov/.inoi näher tritt, zu berichtigen, und bedeutet viri vulnerantes, * J
vulnera dantes d. i. bellatores, wie sich vielleicht der thrakischen oder
gelischen Tquvgoi Trausi name (Herod. 5, 4. Liv. 38, 41) nicht nur
auf gr. rqmm titqiüoxio TQWGig TQUV/HU, sondern auch auf gotli.
driusan, ags. dreosan cadere und ags. dreore, altn. dreyri, ahd. trör
.|>toY ce-YOuA, f>forvy<v
2*3
CHERUSKEN. DULGIBINEN. SACHSEN
gutta cadens, sanguis, cruor zuriickführen lüszt. aus der bcdeulung
vulnerans ist das alln. dölgr liostis hervorgegangen, da jedoch unter
Friesen und Hochdeutschen dolg und lolc nur wunde ausdrückt, so
wäre unrichtig und auch sonst unpassend Dulgubini durch feinde zu
erklären, über das goth. dulgs (s. 325) habe ich mich anderswo
ausgesprochen.
Der den Cherusken nördlich gelegnen Chasuarier und ihres sitzes
geschah schon s. 588 meldung, Ptolemaeus nennt auszer den Kuoovuqoi
auch noch NtQTtQtavtQ und z/avdovroi, deren sitze sich aber nach
seinen angaben gar nicht fassen lassen; im vorletzten liamen liegt ein
merkwürdiger anklang an die göttermutter Nertus oder Nerlhus.
624 Von allen diesen nachbarn der Cherusken ist, mit ausnahme
eines einzigen volks, nach dem verlauf des ersten und zweiten jh.
keine rede mehr, und ihr name gerälh, gleich dem cheruskischen
selbst, in Vergessenheit, wäre aber glaublich oder möglich, dasz so
mannhafte und ansehnliche stamme verschwunden, und aus der gegend,
die sie inne hatten, gewichen wären? von einem solchen abzug noch
von ihrer ankunft auf anderm boden weisz die geschickte nicht das
geringste, und neben ihnen haben Thüringe und Hessen fortwährend
die alten sitze behauptet, man kann sich nichts anders vorstellen,
als dasz auch die Cherusken in ihrer heimat blieben und nur mit
verschiednem namen auftraten; dieser name war aber der sächsische,
welchem, wie vorhin gezeigt wurde, gleicher sinn mit dem cheruski-
schen einwohnt. Ungefähr um dieselbe zeit hören auch die Sigambern
und andere ihnen stammverwandte Völker auf und werden durch
Franken ersetzt; keine dieser benennungen scheint mir neu erfunden,
sondern längst vorhanden und jetzt nur die bisher übliche verdrängend.
Man hat, sahen wir s. 609, gemutmaszt, im dritten jh. seien
die Sachsen aus der kimbrischen lialbinsel, als eine neue erscheinung,
vorgerückt und siegreich in weite ferne gedrungen, es wäre doch
das seltsamste, dasz ein auf schmaler chersonesus neben sechs oder
sieben andern wohnhafter stamm, nothwendig geringes umfarigs, plötz-
lich angeschwollen, von der mündung der Elbe aus das gesamte gebiet
zwischen Elbe, Weser, und beinahe Rhein bis zur mitte Deutschlands
hin erfüllt, und sich zugleich gegen westen an der gallischen ktlste
her, bald auch nach Britannien ausgebreitcl hätte, von solcher kraft-
äuszerung, sollte man meinen, würde doch auszer ihren äuszersten
erfolgen am litus saxonicum und in Britannien auch dem innern
Deutschland künde geblieben sein, sollten Chauken und Cherusken
diesem einbruch der Sachsen keinen widerstand entgegengesetzt haben?
ja wäre überhaupt gedenkbar und durch andere beispiele in der
deutschen geschickte zu bestätigen, dasz ein stamm verwandte stamme
auf solche weise überzogen und unterworfen hätte? Wie viel wahr-
scheinlicher also ist es zu glauben, dasz die von Ptolemaeus zuerst
625 in einem Winkel hinter der Elbe erforschte benennung der Sachsen
schon längst unter dem ganzen volk gäng und gäbe war und seit
dem dritten jh. auch die allgemein berschende wurde. Als sich, in
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SACHSEN
435
immer gröszerer menge, die fränkischen Stämme vom Niederrhein nach
Gallien wandten, schob nicht nur die sächsische masse gegen westen
vor, sondern einzelne thnile gelangten entweder mit den Franken über
den Rhein oder segelten auf dem nordmeer heran und erwarben sich
belgische oder gallische bezirke, es mögen vorzugsweise die nord-
westlichsten Sachsen gewesen sein, die der seefart kundig auf ihren
schiffen an der küste streiften und wo es ihnen gelegen war sich
niederlieszen.
Die notitia dign. imp. occid. kennt schon im tractus armorieanus,
der Belgica secunda und in Britannien ein litlus Saxonicum (ed. Böcking
p. 23. 80. 106. 108.) Eutropius 9, 13 erzählt: Carausius apud
Bononiam per tractum Belgicae et Armoricae pacandum mare accepit,
quod Franci et Saxones infestabant (vgl. Beda 1, 6.) dem Julian (ed.
Spanh. p. 34) stehn gerade so Qguyyoi xul 2a£oveg rcov vtioq rbv
LPr[vov xal rrjv tontQiav dalarrav t&vwv rot. f-ia/jf-iibraru neben-
einander, in des Römers äuge traten zur zeit des vierten jh. unter
allen Germanen die Franken und Sachsen vor *, über diesen namen
gedeihen jetzt alle älteren und berühmten in Vergessenheit Ammianus
26, 3: hoc tempore velut per Universum orbem romanum bellicum
canentibus bucinis excitae gentes saevissimae limites sibi proximos
persultabant, . . . Picti Saxonesque et ScotLi et Atacotti Britannos 626
aerumnis vexavere continuis; 27, 8: gallicanos tractus Franci et Saxo-
nes iisdem confines, quo quisque erumpere potuit terra vel mari,
praedis acerbis incendiisque et captivoruin funeribus hominum violabant;
28, 2: quam oh causam prae ceteris hoslibus Saxones timentur ut
repentini; 28, 5: signorum aquilarumque fulgore praestricli venialem
poscerent pacem; diuque variatis consiliis, cum id reip. conducere
videretur, pactis induciis et dptis ex conditione proposita juvenibus
multis habilibus ad mililiam, discedere permissi sunt Saxones, sine
impedimento unde venerant reversuri. Das waren die letzen zöge des
römischen reichs in diesen landslrichen, als es zu schwach um mit
eigner kraft zu bestehn aus den beeren der überall plötzlich einbrechen-
den Deutschen für kurze fristen gefährliche krieger zu gewinnen suchte,
bald erfolgten niederlassungen kühner Sachsen nicht allein an der ganzen
Westküste Galliens** sondern auch an der enlgegenliegenden von Bri-
tannien; wie vorbereitet war die hernach stattfindende cinnahme der
britischen insel!
* sicher geht ein beiden zugetheilter beiname der wilden in hohes alterthum
hinauf: Franci feroces oben s. 513 und Pertz 1, 282. Graff 4, 493; Francorum
barbarorumque ferocia et ferrea corda. Pertz 2, 651; Saxones natura feroces.
Eginh. cap. 7; feroces Saxones. Pertz 2, 367; die steinharten Sahscn. Rol.
258, 28, was noch bezug auf sahs saxum nehmen kann; ön wilt Sas. Maerl.
wapene Martin 109; wilde Sahsen. Lobengr. p. 150. Gudr. 1503, 4, und ver-
bunden Gudr. 366, 4: er löntim sit sö höhe sam einem wilden Sahsen oder
Franken, die chuonen Sahsen. Rol. 184, 21. die grimmin Sahsen. Rol. 65, 4.
** in Neustrien hiesz ein pagus Otlingua Saxonia (Pertz 3, 426 a. 853) Aut-
lingua Saxonica (Ducange 4, 748), da wo Greg. tur. 5, 27 Saxones bajocassini
(von Bayeux) nennt, es sind deutlich sächsische edilinge, adalingu, die dort wohnten.
fo•Vy'O.W' 2.,U •
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
SACHSEN
Von den Schicksalen der in ihrer heiinat weilenden Sachsen wäh-
rend des fünften, sechsten und siebenten jh. sind wir wenig unter-
richtet. um diese zeit müssen manche der alten namen geschwunden
und neue aufgekommen sein. Seit die Franken in Gallien aufgeblüht
und zum Christenthum übergetreten waren, scheinen sie mit den Sach-
sen, die eifrige beiden blieben, in feindseligeres Verhältnis zu treten,
kleine sächsische Stämme wurden .austrasischen königen zinsbar und
suchten sich dieses jochs wieder zu entledigen, andere streiften mit
Langobarden und Burgunden in südliche Binder, zwischen Sachsen und
Thüringen, aber auch mit den fränkischen Boructuariern und Hatlua-
riern mögen wiederholte kriege und fehden stattgefunden haben, eine
627 solche meldung hat Beda 5, 12 von Svidberct im letzten zehntel des
siebenten jh.: non multo post ad gentem Boructuarorum secessit ac
multos eorum praedicando ad viam veritatis perduxit. sed expugnatis
non longo post tempore Boructuaris a geilte antiquorum Saxonum, dis-
persi sunt quolibet hi, qui verbum receperant. dasz die Sachsen im
j. 715 das hattuarische gebiet überzogen hatten wurde s. 589 ange-
führt. Von solchen kriegen der Franken und Sachsen kann noch in
altfranzösischen gedichten einzelnes sagenhaft nachhallen, z. b. wenn
Jean Bodel in der chanson des Saxons (ed. Fr. Michel, Paris 1839)
p. 72 den Schauplatz des sächsischen kriegs °entre Rune et Trcmoignc’
setzt, so mag das auf ältere zeit als die des Wittekind zurückgehn,
Tremoigne ist Tremonia, Dortmund, der (s. 621) vermutete hauptsitz
der Marsen, und Bune offenbar Rure, die Ruhr, von Dortmund aus
rückten gewis noch spätere Sachsen oder Westfalen, aber lange vor
dem achten oder neunten jh. den Franken entgegen.
Beda 5, 10, indem er des Niger und Albus llewald gedenkt, die
zu ausgang des siebenten jh. aus England nach Altsachsen gekommen
waren, das christenlhum zu predigen, gibt eine lehrreiche nacliricht:
qui venientes in provinciam intraverunt hospitium cujusdam villici, pe-
tieruntque ab eo, ut transmilterentur ad satrapam, qui super eum erat,
eo quod haberent aliquot! legationis et causae utilis, quod deberent
ad illum perferre. Non enim liabent regem iidem antiqui Saxones,
sed satrapas plurimos suae genti praepositos, qui ingruente belli nrti-
culo mittunt aequaliter sortes, et quemcunque sors ostenderit, liunc
tempore belli ducem omnes sequuntur, huic obtemperant; peraeto aulem
bello rursum aequalis potentiae omnes fiunt satrapae. Suscepit ergo
eos villicus, et promittens se mittere eos ad satrapam, qui super se
erat, ut petebant, aliquot diebus secum retinuit. Qui cum cogniti es-
sent a barbaris quod essent alterius religionis, . . . suspecti sunt lia-
biti, quia si pervenirent ad satrapam et loquerentur cum illo, averterent
illum a diis suis, et ad novam christianae fidei religionem transfer-
628rent, sicque paulatim omnis eorum provincia veterem cogeretur nova
mutare culturam. itaque rapuerunt .... quos interemtos in Rheno
projecerunt (3. oct. 695.)
Dieser altsächsische strich musz auf der rechten seile des Rheins
gelegen haben, etwa im ehmalichen gebiet der Marsen, das sich viel-
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leicht gegen westen erweitert halte, weil die leichen in Jen Rhein
geworfen wurden und zugefügt ist, dasz sie stromaufwärts vierzigtau-
send schritte weit trieben, eh man sie wieder auffieng; Pippin habe
sie nachher zu Cöln in einer kirche niederlegen lassen, leicht also
könnte jener häuptling seinen sitz wieder in der Ruhrgegend und wie
vor alters zu Dortmund gehabt haben*.
Zu Carl des groszen tagen predigte den Sachsen Lebuin oder
Liafwin, dessen lebensbeschreibung von Hucbald im zehnten jh., aber
aus älteren nachrichten verfaszt ist und mit dem von Beda gesagten
übereinstimmt (Pertz 2, 361): in Saxonum gente priscis temporibus
neque summi coelestisque regis erat notitia . . neque terreni alicujus
regi dignitas .... singulis pagis principes praeerant singuli. statuto
quoque tempore anni semel ex singulis pagis . . . singillatim viri duo-
decim electi et in unum collecti, in media Saxonia secus flumen Wi-
seram et locum Marklo nuncupatum exercebant generale concilium,
tractantes, sancientes et propalantes communis commoda utilitatis,
juxta placilum a se statutae legis, sed et si forte belli terreret exi-
lium, si pacis arrideret gaudium, consulebant ad haec quid sibi foret
agendum.
Marklo will sagen was silva Marciana, dunkler wald, und die
heiligkeit des waldes ist der feierlichen, allgemeinen jahrsversamlung
angemessen, wo der ort lag scheint nur unsicher ermittelt, man
glaubt unweit lloya bei Markennah und dem Heiligenloh daselbst.
Die lex Saxonum enthält zwar bestimmungen, welche erst für
das bekehrte und christliche volk getroffen werden konnten (nament-629
lieh 2, 8. 10 und 3, 5); gleichwol wäre denkbar, dasz der erneue-
rung unter Carl dem groszen schon eine ältere fassung vorhergieng.
wlitiwam 1, 5 ist ganz dem ausdruck der lex Angl, et Wer. (s. 606)
gemäsz.
Dies gesetz lehrt nun lit. 8 und 19 eine durchgreifende einthei-
lung des sächsischen voiks, wie sie auf jeden fall schon im achten jh.
bestanden haben musz. es gibt drei sächsische Stämme Ostfalai, West-
falai und Angrarii, oder, wie sie der poeta Saxo zum j. 772 (Pertz 1,
228) benennt Westfali, Ostfali, Angarii. die Westfalen wohnen gegen
den Rhein, die Ostfalen gegen die Elbe, zwischen beiden an den ufern
der Weser die Angrarii oder Engern. gleiehbedeutig mit Ostfali wird
auch Osterliudi oder Auslreleudi gesagt, obwol dieser letzte ausdruck
allgemeiner ist und auch die östlichen Stämme jedes andern voiks be-
zeichnen darf, wie namentlich im llildebrandslied unter argösto Oslar-
liuto kaum ein Sachse gemeint wird. Als Carl der grosze mit sei-
nem heer zur Ocker kam, giengen ihm die Ostfalen, darauf im gau
Bucki (bei Bückeburg an der Weser) die Engern, endlich zwischen
Weser und Rhein die Westfalen, alle ihre geisein stellend, entgegen
* aus der ganzen stelle zeigt sich klar was Beda hier und 1, 15 unter alten
Sachsen versteht, und wie abenteuerlich man letzthin gesucht hat diese zu den
bevvohnern des littus saxonicum zu machen.
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SACHSEN. ANGRARIER. FALEN
(Perlz 1, 154. 155.) Mitten im oslfälischen gebiet, zwischen Ocker
und Leine, lag noch ein eigner gau des namens Ostfala oder hlosz
Fala, Falaha mit dem hauptort Hildesheim, in älterer form Hildenes-
heim, was ein masc. Hildan oder fern. Hildana mit dem gen. Ilildanas
voraussetzt.
Sichtbar entsprechen nun diese drei Landstriche Ostfalen, Engem
und Westfalen, die der gemeinschaftliche name Sachsen* umfaszt, dem
alten Cheruskengebiet, und es läszt sich nicht verkennen, dasz die
VUrq,226_2g mittleren Angrarii oder Engern auch den namen der alten Angrivarier
i ) L6G bewahrt haben, die, wo nicht selbst Cherusken, ihnen nahgelegen und
befreundet waren, in der grafschaft Ravensberg, südwestlich von Min-
den, dicht bei Herford liegt ein Städtchen Enger, alts. Angari, das für
630 den hauplort des angrivarischen gebiets und fast für die mitte von
ganz Sachsen gelten kann; nur dasz sich die Angrivarier südlich nicht
bis an die Chatten, nördlich nicht bis an die Chauken erstreckten,
also bei der neuen einlheilung Engern oben und unten ausgedehnt
wurde. Vielleicht, dasz sie dennoch mit des Ptolemaeus Ingrionen am
Rhein (s. 582), ja mit dem uralten namen der Ingaevonen Zusammen-
hängen; weit bedenklicher scheint es sie und die Angeln zu verknüpfen,
obschon in den lateinischen gesetzen Eduard des bekenners ein später
eingeschalteter titel (Schmids ausg. s. 286) gerade sagt: exierunt enim
Guti quondam de nobili sanguine Anglorum, scilicet de Engra civitate,
et Anglici de sanguine illorum, et semper efficiuntur populus unus et
gens una, was man in England zur zeit des eilften jh. nicht mehr
recht wissen konnte.
Wer sind aber die Falen und wie gerathen sie in den osten und
westen des altcheruskischen landes?
Durch die Schreibung Ostfalai und Westfalai des gesetzes werden
wir vorerst auf ein volleres Falahi geführt, das im capitulare von 797
(Pertz 3, 75, vgl. 89. 90) bestätigung erhält, es heiszt da: congre-
gatis Saxonibus de diversis pagis, tarn de Westfalahis et Angrariis quam
et de Oostfalahis. den einfachen mannsnamen Falb gewähren die trad.
corb. §. 477. 478, neben Fal §. 243. 341, den orlsnamen Falhahü-
sen §. 366, ein gau hiesz Faledungen, ein ort Falothorp, noch heute
sind in Westfalen oder Niedersachsen Fal, Val, Phal, Weslfal, Kuhfal
u. s. w. unseltne eigennamen. Dies falah, falh scheint aber zunächst
aus alts. fellian, golh. filhan, alul. felahan condere, tegere entsprun-
gen, mithin ganz den sinn des lat. conditus d. i. constilutus, institu—
tus darzubieten: falah wäre ein geschafner, ansässiger.
• Nun sagt die vorrede der edda, Odinn habe Saxland erworben
und (gleich Mannus) dreien söhnen so ausgetheilt, dasz Vegdeg Ost-
sachsen, Beldeg Westfalen (Vestfal) und Sigi Frankenland empfieng;
dieser enge verband zwischen Sachsen und Franken ist bedeutsam,
Sigi ahd. Sicco knüpft sich an Sigmund, Sigfrid (Haupts zeitschr. 1,
* die lauenburgischen fürsten führten noch im 16 jh. den titel 'herzogen
zu Sachsen, Engern uud Westfalen’.
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SACHSEN. FALEN. NORDALBINGE.
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3. 4) und an unsre Sigambern (s. 525.) Vägdäg (Vecta) und Bäl-631
däg erscheinen auch in den ags. genealogien als göttliche heroen und
Bäldäg ist geradezu der nordische gott Baldr; sollte nicht Veslerfalcna,
ein andrer name dieser ags. stammreihen, auf Vesterfalca , Vestfalha
ahd. Westfalaho zurückgehn? Phal auf Pliol = Baldr? wie es immer
darum stehe, das zurückweichen des namens Westfal in uralte götter-
sage musz uns verbürgen, dasz die benennung der Westfalen und Ost-
falen nicht erst im achten jh. aufgekommen, sondern weit früher be-
gründet war. Gehören aber die s. 194 verglichnen golhischen Thai-
phali und Victophali in denselben kreis, so gewinnt der name noch
höheres alterthum; das nach dem L unterdrückte H im munde latei-
nischer Schriftsteller macht keinen anstosz.
Als ergebnis dieser noch unabgeschlossenen forschungen mag be-
trachtet werden, dasz, wenn sächsische Falen stall der allen Cherus-
ken erscheinen, damit ein bloszer Wechsel uralter namen, nicht der
Völker eingetreten sei. weder sind die Chcrusken als frühere eimvoh-
ner von ihrer stelle gewichen, noch Sachsen als neukömmlinge in
diese gerückt, in der mitte haben sogar die Engern die alle benen-
nung der Angrivarier gewahrt, was den beweis vollendet, allen dreien
musz dieselbe abkunft und spräche beigelegt werden und von jeher
war Cherusken wie Sachsen der niederdeutsche dialect eigen, wie
aber noch heute die niedersächsische spräche abweicht von der thü-
ringischen , bleibt die annahme unvermeidlich, dasz auch vor alters
Chcrusken und Hermunduren stammverschieden waren, und des Plinius
aufzählung der Cherusken unter den Herminonen unwahrscheinlich, da
sie vielmehr gleich den Sachsen als kern der Ingaevonen anzusehn sind,
worauf ich zurückkommen werde.
Diesen drei gliedern des sächsischen volks, Westfalen, Engern und
Ostfalen, tritt aber jenseits der Elbe noch ein viertes hinzu, welches
der poeta Saxo (Pertz 1, 254) Northalbingi benennt, wofür aber auch
Transalbiani oder Nordleudi, im gegensatz jener Oslarleudi (s. 629)
üblich wurde; durch den blosz örtlichen namen sollen einzelne, klei-
nere Stämme der halbinsel, zwischen Elbe und Eider, gerade da, wo 632
Ptolcmaeus zuerst der Sachsen wahrnahm, zusammengefaszt werden.
Adam von Bremen 2, 15 (Pertz 9, 310) zählt sie näher so auf: Trans-
albianorum Saxonum tres sunt populi, primi ad oceanum Tedmarsgoi
(al. Thiatmarsgoi, einwohner des Thiadmarsgau; woraus das heutige
Dithmarschen entstellt wurde), secundi Ilolcelae (d. i. Holtselae, Holt-
sati) dicli a silvis quas accolunt, tertii, qui et nobiliores, Slurmarii
dicuntur. ebenso schildert Helmokl 1, 6: ullimam partem Saxoniae,
quae est Irans Albiam et dicitur Nordalbingia, continens tres populos
*Thetmarsos, Ilolsatos, Stormarios. genau betrachtet fallen auch die
an der Westküste der halbinsel wohnenden Friesen in die Vorstellung
von Nordalbingien,. obschon sie nicht Sachsen heiszen können; jenseits
der Eider oder vielmehr Slei beginnen die Jitten. Dasz diese nordal-
bingischen Sachsen den übrigen urverwandt waren entscheidet die bis
auf heute in Holstein und Dithmarschen waltende mundart.
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■ V*
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KIMBERN. HAMIDEN
Schwerer scheint die frage zu erledigen, welche Völker in älte-
ren zeiten, vor dein achten und neunten jh. auf der halbinsel wohn-
ten? aber die Untersuchung wird gewinnbringend.
Tacilus führt einzig und allein die Kimbern auf: eundem Germa-
niae sinum proximi oceano Cimbri tenent, parva nunc civilas, sed glo-
ria ingens. dem Plinius 4, 14 bilden das alterum genus aller Ger-
manen Ingaevones, quorum pars Cimbri, Teutoni ac Chaucorum gen-
tes. auf dem monumentum ancyranum werden dem Auguslus selbst
diese worte in den mund gelegt: Cimbrique et Charudes et Semnones
et ejusdem tractus alii Germanorum populi per legatos amicitiam meam
et populi romani petierunt. der gesandtschaft der Kimbern, wie sie
dem kaiser einen heiligen kessel verehrten, erwähnt Strabo s. 293:
xa\ yuq vvv l'yovGi rrjv yioquy, rjy zlyov 7iqotbqov. y.ai t7TB(.iip<xv
tw 2tßuor(7) Öu)Qov tqv UQCoTazov 7iu.Q uvzoTg Xtßi]ra, uhov/uevoi
633(fih'uy xal diivi]Gxio.v xüv vnr\qy(jiBV(av*. Zu Ariovists heer, wie
Caesar 1, 31. 37. 51 meldet, waren unter andern Germanen auf gal-
lischem boden auch 24000 Harudes gesloszen; mit Kimbern kam Cae-
sar nicht in berührung, so oft er ihrer aus allen zeiten gedenkt, wo
dann immer Cimbri Teutonesque nebeneinander genannt sind (1, 33.
40. 2, 4. 7, 77.) Ptolemaeus kennt auf der halbinsel auszer Cim-
bern und Charuden noch fünf andere mit fast unbekannten oder ent-
stellten namen, und zählt sie alle sieben in folgender Ordnung her:
TStyovXcoyeg, —ußaXtyyioi, Koßu.vÖot, XdXoi, (DovvÖovgoi, Xuqov-
8tg ayaxoX/y.atXBqoi, K(/iißqoi ndvxiov dqxxixwxBQOi.
Charudes Harudes bedeutet silvicolae von charud harud, alts. hard,
ahd. hart lucus, silva (Graff 4, 1026), womit viele Ortsnamen wie
Reginhart, Spehteshart, Mänhart gebildet sind, die Harudes bei Ario-
vist brauchen nicht gerade aus dem norden gekommen zu sein, man
könnte sie sich gleich den Markomannen in mehr als einer gegend
denken. Als im j. 852 könig llludowic durch Sachsen zog, heiszt es
in den fuldischen annalen (Pertz 1, 368): transiens per Angros, Ha-
rmlos, Suabos et Hohsingos . . . Thuringiam ingreditur, aus Engern
gelangte er in den Hartegö, Suävegö und Ilohsigö, der unmittelbar an
Thüringen grenzte, im pagus Suevon, zwischen Bode und Sale wohn-
ten die Nordschwaben. Diese Harudi sind also Ilarzbcwohner, man
weisz dasz zu verschiedenen zeiten nordalbingische Sachsen nach an-
dern gegenden versetzt wurden (Zeusz s. 396. 397.) Klar aber fal-
len, und darauf kommt es an, die nordalbingischen Harudes zusam-
men mit den Holtsalen, was nur ein andrer ausdruck für den begrif
accolae silvae ist. auch liegt Holstein ** im osten der halbinsel, wie
* wie ihre heiligen frauen aus solchen opferkesseln weissagten berichtet er^
s. 294; auch die Sueven bedienten sich groszer opferkessel (mytli. s. 49) und
der häufige altn. eigenname Thörketill, Thörkell (mytli. s. 170) erklärt sich aus
diesem cultus. Hymisqvida singt, wie Thörr den ungeheuren, kessel von dem rie-
sen, Thrymsqvida wie er den mächtigen liammer wieder holte, beide kessel und
Kammer waren heilige gegenstände.
** bekanntlich ist diese hochdeutsche form ganz verkehrt aus Holsten (=Holt-
seten) land gebildet worden.
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KIMBERN
dem Ptolemaeus die Charaden avarohy.ioxiQOi hieszen. übrigens ent-634
sprechen ihnen auch im namen und vielleicht der abkunlt die altn.
Ilördar (fornm. sög. 12, 309.)
Wie Cherusken = Sachsen sind also Charaden = Holtsaten;
sind aber Charaden und Semnonen unanfechtbar deutsches Ursprungs,
so werden es auch die mit ihnen von August zusammen genannten
Kimbern sein.
Neuere critik, irre geleitet durch Kimmerier und Cymru (Cambria)
hat sie zu Kellen stempeln und dem Vaterland einen seiner ältesten
zeugen rauben wollen; wären die Kimbern keltisch, so würde da-
durch selbst die deutschheit der Teutonen, ihrer geführten ver-
dächtigt.
Auf den unterschied der Germanen von den Kelten, welchen Grie-
chen nicht zu fassen vermochten, hatten allmälich die Römer sich ver-
stehn gelernt, in deren meldungen Kimbern und Teutonen ausdrück-
lich germanische Völker heiszen. Caesar gedenkt ihrer, um sie den
kriegern Ariovists gleichzustellen, die wild und grausam, wie die
allen Kimbern und Teutonen in Gallien einfallen; nie erscheinen sie ihm
als landsleute der Gallier, sondern als deren feinde. August stellt
Kimbern zu Charaden, Semnonen und andern nördlichen Germanen,
wiederum betrachtet Tacitus hist. 4, 73 Kimbern und Teutonen als
gegner der Gallier, von welchen diese der römische beistand befreit
habe. Strabo und Plutarch, griechische aber aus römischer quelle
schöpfende schriftsteiler, lassen die Kimbern aus der nördlichen halb-
insel, wo man sich nur Germanen dachte, über Gallien und Italien
einbrechen. Plutarch nennt sie geradezu ytQfiaviv.a ytvrj x&v y.u.9-rj-
xovreov bil xov ßoQtiov loxtavöv, und dasz sie die altskythischen
Ki^uqioi gewesen und erst beim einfall in Italien Ki'/ußgoi genannt
worden seien ist ihm unsichre Vermutung, es wäre auch schwer,
Zusammenhang zwischen diesen Skythen und einwohnern der nördli-
chen käste herauszufinden oder des Posidonius meldungen hei Strabo
s. 293 glauben beizumessen.
ln den jahren 113 bis 101 vor Chr. erschienen Kimbern und
Teutonen in Noricum, Helvetien, Gallien und Italien, zu ihnen gesellt 635
hatten sich helvetische Tiguriner und Ambronen; sie waren nach einer
sinflul des occans* aus ihrer heimat gezogen, um sich andere Wohn-
sitze zu suchen. Marius schlug die Teutonen und Ambronen an der
Rhone, die Kimbern jenseits der alpen, der Teutonen anführer wird
Tcutoboch, der Kimbern Bojorix genannt.
Die grösze dieser gefahr hinterliesz in Rom den nachhaltigsten
eindruck; es ahnte von welcher seite her seine macht gestürzt wer-
den sollte. Gallien halte längst aufgehört ihm furchtbar zu sein (s. 164),
aber Germanien drohte.
In der römischen volksage müssen manche züge aus dem kim-
* Strabo p. 292; subita inundatio maris, Festuss. v. Ambrones
cum terras eorum inundasset oceanus, Florus 3, 3.
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brischen krieg von der riesengestalt der feinde und ihrem schrecken-
den aussehn lebendig gehaftet haben, man pflegte das bild eines die
zunge. ausreckenden Kimbern auf Schilde zu malen und als Zeichen
auszuhängen, die capitolinischen fasten gedenken eines Q. Autklius
mensarius tabernae argentariae ‘ad scutuin cimbricumk scherzhaft wur-
den häszliche dieser misgestalt verglichen. Cicero de oratore 2, 66:
valde autem ridentur etiam imagines, quae fere in deformitatem aut in
aliquod vitium corporis ducuntur cum similitudine turpioris, ut meum
illud in Helvium Manciam: cjam ostendam cujusmodi sis’ quum die
‘ostende, quaeso5 demonstravi digito pictum Gallum in mariano sculo
cimbrico, sub novis, distortum, ejecta lingua, buccis flucntibus. risus
est commotus: nihil tarn Manciae simile visum est. Dasselbe erzählt
aber Plinius von Crassus 35, 4: denique video et in foro (tabulas)
positas vulgo, hinc enim ille Crassi oraLoris lepos agentis sub Veteri-
bus, cum teslis compellatus instaret: Cdic ergo, Crasse, qualem me re-
ris?1 c talein , inquit ostendens in tabula pictum inficetissime Gallum ex-
serentem linguam. sicher bieszen im munde des römischen volks alle
Kimbern Gallier und das bild im schild konnten Cicero und Crassus
nicht anders nennen als Gallus, wenn ihnen auch sonst die Kimbern
636,schon als Germanen bekannt waren, wie auf dem schild der Athene
ein Gorgohaupt mit gereckter zunge gebildet war, stellte man des
römischen beiden schild mit des Galliers haupte dar: es war das zur
schau getragne des erlegten feindes (s. 141. 142), der im todes-
kampfe fletscht. Noch jetzt findet man in mauern solche köpfe ein-
gehauen, z. b. in der Schweiz, wo man sie lälli (von lällen, die zunge
strecken) nennt.
Verstehn wir den namen Charudes, so fragt es sich auch nach
Cimbri. die Römer haben uns eine wichtige deutung überliefert: Cim-
bri lingua gallica lalrones dicuntur, sagt Feslus, KßißQovg Inovo-
/uuLovoi FtQf.iuvo\ rovg "kr^axag Plularch im Marius cap. 11, und
auch Straho s. 292. 293 weisz dasz die Ki'/ußgoi nXdvrjTtg und
’krfiTQr/.oi wurden, IrjOTrjg gilt den Griechen vorzugsweise von pira-
ten, die auf beute ausgehn, ein begrif der zumal für küsten bewoh-
nende Germanen und noch später Sachsen (s. 625. 626) geeignet ist.
nun kennt aber keine der heutigen keltischen sprachen einen solchen
ausdruck* und namentlich ist das welsche Cymro fern von diesem ne-
bensinn, wogegen der Übergang aus dem ags. cempa indes, heros, ath-
leta, ahd. chempho, altn. kappi in die Vorstellung eines raubhelden
und räubers leicht und natürlich scheint, sowol ags. cempa als ahd.
chempho sind glossen zum lat. tiro d. i. indes novus et rudis militiae,
gerade so findet sich ahd. scefdiup d. i. pirala für tiro (Gralf 5, 98),
folglich stehn chempho und scefdiup synonym, ich habe sonst (RA.
s. 635) dargethan, dasz todschlag und raub dem alterthum keine ent-
ehrende, vielmehr ruhmvolle handlungen und das gewerbe der beiden
waren; auch steht in niederdeutschen volkssagen kämpe für riese (Mill-
* räuber lieiszt ir. creachadoir, gal. creachadair und spuinneadair.
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[MBERN. STURMAREN
443
WJfr.
tbU*
0/f7
) gewaltthätiger räuber. Cimber im sg. wird
, 7. 1075, 2; den eigennamen Cimberius
on den Römern nach der bedeutung des wor-
nntc ohne bedenken angeben: praedator, gras-
entliche begrif verschlimmert, so mochte er
chempho gemildert scheinen. Fiir die form 637
i anlautendes K der sächsischen Verschiebung,
lat. stufe gemäsz sei, mögen die Römer ger-
vveicht, oder die Germanen selbst in diesem
len haben. E in chempho ist umlaut des A
uf diese Verschiedenheit des A vom I in Cim-
ann in ihm der laut von kimpan kamp ange-
Ichem hernach kampian und kampio = kempo
slegung und ist Cimber ags. cempere, ahd.
cimpor, ahd. chimphar; so wird damit aller
mbern ein ende gemacht.
Iharudes in den Holtsaten, möchte ich auch
d haftendem begrif die Kimbern aufweisen in
tdam bedeutsam, neben Dietmarsen und Hol-
ezeichnet. denn ahd. sturm ist tumultus, se-
n. stormr impetus hostilis, folglich Sturmari
ls unser nhd. Stürmer tumultuator, grassator.
tronibus qui vias obsident gesagt, so mag vor
auers siurman in gleichem sinn gegolten haben, Adam fügt selbst
hinzu: eo quod ‘seditionibus5 ea gens frequens agitur. ich kann Dahl-
mann nicht beistimmen, welcher zu Neocorus 1, 557 meint, Adam
habe an stur (in welchen glossen liiesze das sedilio?) storinge und
stören gedacht, und der name sei in Sturmarii zu zerlegen; soll dann
der zweite theil märi illustris gedeutet werden? das entscheidet, dasz
noch im Gudrunepos Wate von Sturmlant oder von Stürmen auftritt (je-Ceu-yoA
263, 1. 331, 3. 564, 1. 884, l und im ags. Byrhtnöd 128, 30 ein
lield Sturmere heiszt; bekannt ist der ahd. Sturmio, Sturmi. Die Stör- (.p
marn sind also eine gute probe auf die Kimbern, als deren nachkom-
men ich sie betrachte, und der altkimbrische rühm (parva nunc civi—
tas sed gloria ingens) haftet an ihnen, weil sie noch so spät cnobilio-
res’ genannt sind; nur dasz sie im verlauf der zeit aus dem norden
der lialbinsel in den Süden an die Elbe gezogen scheinen, immer aber 638
nachbarn der Haruden, wir werden sehn, vielleicht auch der Teuto-
nen blieben*.
Eine andere bestätigung liefern die den Kimbern und Teutonen
zugesellten Ambronen, deren Strabo und Plularch gedenken, Florus
geschweige Festus sagt: Ambrones hiermit gens quaedam gallica, qui
* Plinius 4, 5 nennt neben der Batavoruni und Cannenufatum insula et aliae
Frisiorum, Chaucorum, Frisiabonum, Sturioruin, Marsaciorum, quae sternunlur
inter Helium ac Flevum. für Sturioruin lesen andere hss. Tusiorum, und ihre
läge entfernt sich auch von der kimbrischen lialbinsel.
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KIMBERN
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aliquod vitium corporis ducuntur cum similiti
illud in Helvium Manciam: cjam ostendam (
costende, quaeso’ demonstravi digito pictum
cimhrico, sub novis, distorlum, ejecta lingua,
est commotus: nihil tarn Manciae simile visu
aber Plinius von Crassus 35, 4: denique vi
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strecken) nennt.
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Cimbri. die Römer haben uns eine wichtige deutung überliefert: Cim-
bri lingua gallica lalrones dicuntur, sagt Festus, Ki'/ußQovg inovo-
/.lÜLovcn FtQf.iuvoi tovg hjoTag Plularch im Marius cap. 11, und
auch Strabo s. 292. 293 weisz dasz die Ki/ußgoi n\ävr]Tig und
fyjOTQtxoi wurden, XrjOTrjg gilt den Griechen vorzugsweise von pira-
ten, die auf beute ausgehn, ein begrif der zumal für küsten bewoh-
nende Germanen und noch später Sachsen (s. G25. 626) geeignet ist.
nun kennt aber keine der heutigen keltischen sprachen einen solchen
ausdruck* und namentlich ist das welsche Cymro fern von diesem ne-
bensinn, wogegen der Übergang aus dem ags. cempa indes, heros, ath-
leta, ahd. chempho, altn. kappi in die Vorstellung eines raubhclden
und räubers leicht und natürlich scheint, sowol ags. cempa als ahd.
chempho sind glossen zum lat. tiro d. i. indes novus et rudis militiae,
gerade so findet sich ahd. scefdiup d. i. pirala für tiro (Grafl* 5, 98),
folglich stehn chempho und scefdiup synonym, ich habe sonst (RA.
s. 635) dargethan, dasz todscldag und raub dem allerthum keine ent-
ehrende, vielmehr ruhmvolle handlungen und das gewerbe der hehlen
waren; auch steht in niederdeutschen volkssagen kämpe für riese (Mill-
* rüuber lieiszt ir. creachadoir, gal. creachadair und spuinneadair.
uni suiciic Hupie ein-
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4L
KIMBERN. STURMAREN
443
lenhoff s. 267. 277) also gewalttätiger räuber. Cimber im sg. wird
getroffen bei Gruter 410, 7. 1075, 2; den eigennamen Cimberius
bat Caesar 1, 37. ein von den Römern nach der bedeutung des Wor-
tes gefragter Germane konnte ohne bedenken angeben: praedator, gras-
sator; war hier der eigentliche begrif verschlimmert, so mochte er
auch im spätem cempa, chempho gemildert scheinen. Fiir die form 637
ist blosz zu merken, dasz anlautendes K der sächsischen Verschiebung,
B nach dem M aber der lat. stufe gemäsz sei, mögen die Römer ger-
manisches MP in MB erweicht, oder die Germanen selbst in diesem
inlaut noch MB gesprochen haben. E in chempho ist umlaut des A .
in champhio; will man auf diese Verschiedenheit des A vom I in Cim-
ber gewicht legen, so kann in ihm der laut von kimpan kamp ange-
nommen werden, aus welchem hernach kampian und kampio = kempo
flosz. Besteht meine auslegung und ist Cimber ags. cempere, ahd.
chemphari oder ein ags. cimpor, ahd. chimphar; so wird damit aller
keltischen abkunft der Kimbern ein ende gemacht.
Wie ich aber die Charudes in den Holtsaten, möchte ich auch
mit verändertem wort und haftendem begrif die Kimbern aufweisen in
den Sturmaren, welche Adam bedeutsam, neben Dietmarsen und Hol-
steinern als ‘nobiliores5 bezeichnet, denn ahd. sturm ist tumultus, se-
ditio (Graff 6, 710), altn. stormr impetus hostilis, folglich Sturmari
Stormare nichts anders als unser nhd. Stürmer tumultuator, grassator.
wurde lat. grassari de latronibus qui vias obsident gesagt, so mag vor
alters sturman in gleichem sinn gegolten haben, Adam fügt selbst
hinzu: eo quod 'seditionibus3 ea gens frequens agitur. ich kann Dahl-
mann nicht beistimmen, welcher zu Neocorus 1, 557 meint, Adam
habe an stur (in welchen glossen hiesze das seditio?) storinge und
stören gedacht, und der name sei in Sturmarii zu zerlegen; soll dann
der zweite theil märi illustris gedeutet werden? das entscheidet, dasz
noch im Gudrunepos Wate von Sturmlant oder von Stürmen auftritt
263, 1. 331, 3. 564, 1. 884, l und im ags. Byrhtnöd 128, 30 ein ^ .
held Sturmere heiszt; bekannt ist der ahd. Sturmio, Sturmi. Die Stör- ^
marn sind also eine gute probe auf die Kimbern, als deren nachkom-
men ich sie betrachte, und der altkimbrische rühm (parva nunc civi-
tas sed gloria ingens) haftet an ihnen, weil sie noch so spätcnobilio—
res’ genannt sind; nur dasz sie im verlauf der zeit aus dem norden
der halbinsel in den Süden an die Elbe gezogen scheinen, immer aber 638
naclibarn der Haruden, wir werden sehn, vielleicht auch der Teuto-
nen blieben*.
Eine andere bestätigung liefern die den Kimbern und Teutonen
zugesellten Ambronen, deren Strabo und Plularch gedenken, Florus
gesclnveigt. Festus sagt: Ambrones fuerunt gens quaedam gallica, qui
* Plinius 4, 5 nennt neben der Batavorum und Cannenufatum insula et aliae
Frisiorum, Chaucorum, Frisiabonum, Sturioruin, Marsaciorum, quae sternuntur
inter Helium ac Flevum. für Sturioruin lesen andere hss. Tusiorum, und ihre
läge entfernt sich auch von der kimbrischen halbinsel.
AMBRONEN. TEUTONEN
subita inundatione maris quum amisissent sedes suas, rapinis et prae-
dationibus se suosque alere coeperunt. eos et Cimbros Teutonosque
C. Marius delevit. ex quo traclum est, ut turpis vitae homines ara-
brones dicerentur. Placidus p. 436: Ambronem perditae improbilatis:
im gloss. Isidori: Ambro devorator, consumptor patrimoniorum, deco-
ctor, luxuriosus, profusus, ja später werden riesen und menschenfres-
ser daraus (mythol. s. 487. 493), gerade wie die kämpen in riesen
übergehn, ähnliches meldeten die Griechen von thrakischer Triballer
Wildheit. Mit recht aber nimmt Zeusz s. 149. 150 an, dasz Kimbern
und Teutonen auch die verbündeten Ambronen aus dem keltischen in
den deutschen völkerhaufen nach sich ziehen; nur sehe ich keinen
grund sie für Vorfahren der Sachsen zu halten, ihren namen, so deutsche
färbe er trägt, weisz ich noch nicht auszulegen.
Wir gelangen tu den Teutonen, deren name auf den unsrigen,
allgemein alle stamme des volks umfassenden ohne zweifei eingewirkt,
wenn er ihn auch nicht hervorgebracht hat. im höchsten altertlnim
erscheinen Cirabri Teutonique beständig zusammen*, wie sie die ge-
schichte bei dem groszen heerzug verbündet, dessen tragischen aus-
gang ihre letzte trennung entschied. Tacitus weist noch den Kimbern,
nicht mehr den Teutonen Wohnstätte in der nördlichen heimat an, Pli-
639 nius läszt den ganzen ingaevonischen hauptstamm von Kimbern, Teu-
tonen und Chauken gebildet werden, während er die Cherusken zum
vierten, herminonischen schlägt, kein zweifei also, dasz die Römer
den sitz der Teutonen, wie der Kimbern in den germanischen norden
Guttonen sei die insei Abalus, deren einwohner ihren bernstein den
benachbarten Teutonen als holz zur feuerung verkauften; diesen namen
hier mit Zeusz s. 135 für einen Schreibfehler zu erklären scheint mir
bewohnen läszt. mit solchen nördlichen Teutonen, wie mit den Kim-
bern müssen auch die Römer zur zeit des ersten jh. verkehr unter-
halten haben, Plinius 35, 4 berichtet: in foro. fuit et illa pastoris
senis cum baculo (tabula), de qua Teutonorum respondit legatus inter-
rogatus, quanti eum aestimarel? sibi donari nolle talem vivum verum-
que. die frage ist nur, an welcher stelle die Teutonen ihren sitz hat-
ten? jene insein Abalus und Codanonia können ihn nur unsicher be-
stimmen und auszerdem wäre glaublich, dasz seit Pylheas das volk sich
weiter gegen westen bewegt hätte. Ptolemaeus stellt östlich von der
halbinsel Teutonoarier zwischen Saxonen und Sueven (ungefähr ins heu-
tige Lauenburgische), zu den Teutonen verhallen sich Teutonoarier wie
a gente Gallorum, qui cum Cimbris Teutonisque grassantes periere.
legten. Pylheas (bei Plinius 37, 2) meldet, hinter deu germanischen
verwegen , da auch Mela 3, 6 Codanonia in der ostsee von Teutonen
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
KIMBERN. TEUTONEN
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die Ditmarsen ihre unmittelbaren nachkommen seien und Thietmaresgö
auf ein älteres einfaches Thietengö, Thiodönogö, Teutonorum pagus
zurückgehe. da Dedo, Dieto, Diez ein hypokorismos für Dietrich oder
Dietmar ist, so kann umgekehrt aus dem einfachen volksnamen Teulo
== alts. Thiado, ahd. Dioto die erweiterung Teutomßres, Thiadmär,
Diotmär entsprungen sein. Hiernach wären in den Dietmarsen, Stor-
marn, Holtseten die Teutonen, Kimbern und Charaden des höheren
alterthums aufgewiesen, von den Dietmarsen aber ist auch in der spä-
teren geschichle teutonische kraft bewährt worden.
Des teutonischen heerfiihrers namen hat Plutarch nicht gemeldet, 640
bei Florus heiszt er Teutobochus und anderwärts Teutobodus, welche
letzte form an die von Plinius 5, 32 angeführten keltogalatischen Tecto-
sages ac Teulohodiaci, aber auch an Maroboduus mahnt, die Wurzel
teut war Germanen und Kelten urgemein (vgl. welsches tud regio, ir.
gal. tuath regio und zugleich regio aquilonaris.) den kimbrischen kö-
nig nennt Plutarch BoiwqiS, und auch Florus Bojorix, was ahd. Pou-
gorih, goth. Baugareiks lauten könnte und von baugs annulus zu er-
klären ist, wie man Boji und Bojoarii Baugveri deutete, beide königs-
namen, so keltisch sie auf den ersten blick erscheinen, lassen sich
also auch deutsch rechtfertigen*. In Plutarchs geschmückter Schilde-
rung hat man die glänzenden mit thiergestalten und federn prangenden
keime der kimbrischen reiter ungermanisch, also wieder keltisch ge-
funden; als wenn des Tacitus beschreibung einiger rheinischen Ger-
manen, der im gründe auch hier nichts widerspricht, für alle übrigen
ausreichen müste. die kimbrischen wagen, auf welchen die frauen
fochten und die hunde zuletzt aushielten (s. 16), bezeichnen noch
ganz nomadische lebensart. Merkwürdig ist das im heer mitgeführte
eherne stierbild, über dem sie eide schwuren (Marius cap. 23); soll
damit das slierhaupt im meklenburgischen wapen Zusammenhängen, so
rnüsten die nachrückenden Slaven den altkimbrischen oder warnischen
brauch übernommen haben.
Aus den Sigulonen (so deutsch dieser name klipgt), Sabalin-
gen, Kobanden und Phundusiern des Ptolemaeus weisz ich nichts zu
entnehmen. 733
Möllenhoff hat in den nordalhingischen Studien 1, 111 —174 eine
schöne abhandlung über die deutschen Völker an Nord- und Ostsee in
ältester zeit geliefert und die namen des ags. Vidsidesleod der reihe
nach fruchtbar auf die meldungcn bei Tacitus angewandt; es ist das
beste was wir über diesen gegenständ besitzen, nur will er vielleicht 641
zu viel Völker auf der halbinsel unterbringen, so wenig zu zweifeln
ist, dasz an der mündung der Elbe wie des Bheins von jeher ein
groszes drängen statlfand. Das vorige capitel hat dargethan, dasz
Thüringe von osten nach den Niederlanden zogen; ich kann mich aus
den von Müllenhoff s. 137 angeführten Ortsnamen nicht davon tiber-
* bedenklicher sind die Aduatici 'ex Cimbris Teutonisque procreati’ bei Cae-
sar 2, 29, auf welche ich hier nicht eingehe.
ANGELN. ANGELSACHSEN
zeugen, dasz sie auch auf der kimbrischen halbinsel hausten, zwei-
felhaft steht es um die Warnen. Doch für einen volksstamm, dessen
schon s. 604—606 erwähnt wurde, ist die amvesenheit im chersones
nicht zu leugnen; die Angeln, welche Tacitus noch ostwärts der Elbe,
Ptolemaeus an der mittleren Elbe neben Sueven und Langobarden kennt,
müssen später den ström hinab gezogen und in die Schleswiger land-
schaft zwischen der Schlei und dem Flensburger meerbusen gelangt
sein, die nach ihnen Angeln hiesz. Man wird wol annehmen dürfen,
dasz von den drei über die Elbe westwärts vordringenden Stämmen
die Thüringe sich südlich, die Angeln nördlich, die Warnen zwischen
beiden in der mitte hielten, diese mitte aber auf der landcarte nach-
zuweisen scheint am schwierigsten. Müllenholf s. 129 bringt War-
mes und Warnitz auf der halbinsel bei, solche Ortsnamen würden sich
von dem flusz Warne und Warnemünde an noch in andern gegenden
aufzeigen lassen (vgl. s. 607.) Procop scheint die Warnen auch an
den Niederrhein zu versetzen, und die lex Angliorum et Werinorum
i. e. Thuringorum (s. 604) einigt alle drei Völker. Beim Vordringen
in der mitte zwischen Thüringen und Angeln, ungefähr im Weserge-
biet, würden die Warnen auf Friesen gestoszen sein. Wie es aber
um die Warnen sich verhalle, die Angeln rückten weder an den Rhein,
noch gegen die Ems und Weser vor, sondern nahmen auf der halb-
insel einen landstrich zwischen der Ost- und Nordsee, in der ricb-
tung von Schleswig und Tönningen ein, und wurden nachbarn der
Sachsen, Friesen und Jülen, während jene Thüringe sich an das frän-
kische reich schlossen.
Von diesem gebiet aus und durch die gemeinschaft seekundiger,
642 mutiger stamme, wahrscheinlich auch durch frühere niederlassungen
am litus saxonicum (s. 626) und die britische einladung angeregt er-
folgte nun im fünften jh. der berühmte zug nach Britannien, welcher
dort ein deutsches weitreich gründete und für die geschichle unserer
spräche ähnliche Bedeutung gewann wie die auswanderung nach Island
für die der nordischen. Beda schreibt 1, 15: advenerant aulem de
tribus Germaniae populis forlioribus, id est, Saxonibus, Anglis, Julis,
de Jutarum origine sunt Cantuarii et Victuarii . . . de Saxonibus, id
est ea regione, quae nunc antiquorum Saxonum* cognominalur, venere
orientales Saxones, meridiani Saxones, occidui Saxones. porro de
Anglis, hoc est de illa patria quae Angulus dicitur, et ab eo tempore
usque hodie manere desertus inter provincias Jutarum et Saxonum
* was Beda unter AUsachsen versteht ist schon s. 628 gesagt, man darf
wol annehmen, dasz zu dem britischen zug hauptsächlich nordalbingische Sach-
sen sich rüsteten, weniger falische und engrische; doch kann der ruf weit
drungen sein und manche aus dem innern Deutschland gelockt haben, überall
aber blieben grosze theile des volks in der heimat zurück und auch Anglien (oder
.Schleswig) mag nicht so verlassen gestanden haben, wie Beda meint. Wenn der
geographus ravennas sagt: insula quae dicitur ßritannia, ubi olim gens Saxonum
veniens ab antiqua Saxonia cum principe suo nomine Anschis in ea habitarc vide-
tur, so zeigt schon die abweichung von dem namen Hengist, dasz er anderswo
her als aus Beda schöpfte.
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perhibetur, orientales Angli, mediterranei Angli, Merci, tota Nordan-
hymbrorum progenies . . . ceterique Anglorum populi sunt orli. Un-
ter diesen drei stammen scheinen die Juten am wenigsten, die Angeln
am meisten zahlreich gewesen zu sein, wie sich auch der name jener
nicht erhielt, der name dieser für das ganze reich heischend wurde.
Als auf italischem markt vor dem heiligen Gregor schöne blondlockige
lieidenknaben feil standen und er nach ihres volks namen fragte, em-
pfieng er zur antwort: ‘Angli’. at ille, cbene’ inquit, cnam et angeli-
cam liabent faciem, et tales angelorum in coelis decet esse cohere-
des’*. sie waren aus Deira dem northumbrischen bezirk.
Hat aber die sage von der meerfart nach Britannien sich wieder 643
abgespiegelt in Überlieferungen, die der Sachsen erste ankunft in dem
vaterlande seihst berichten wollten?
Widukind, gleich zu eingang seines werks vom Ursprung des Vol-
kes redend, meldet, die Sachsen seien zur sce im lande Hadeln ange-
langt: pro certo autem novimus Saxones his regionibus navibus advec-
tos, et loco primum applicuisse, qui usque hodie nuncupatur Hado-
laun**. woher sie schiften, sagt er nicht, man mag sich hinzu den-
ken, vom norden her oder aus Griechenland, ln Hadeln wohnten aber,
fahrt er fort, damals Thüringe, mit welchen die Sachsen bald in streit
geriethen und von denen sie durch list und gewalt festen sitz im land
errangen. Es scheint, obwol es nicht ausdrücklich erwähnt wird, dasz
die unterliegenden Thüringe sich ins mittlere reich zurückzogen, denn
als im verlauf der zeit zwischen Thüringen und Franken feindschaft
ansbrach, erschienen die Sachsen, qui jam olim erant Thuringis acer-
rimi liostes, den Franken zum beistand und entschieden den sieg, wo-
für ihnen ein theil des eroberten lands zu theil ward, die begeben-
heiten fallen nun schon historisch in den beginn des sechsten jh., sind
aber voll mythischer züge.
Diese volksmäszig ausgeprägte sage könnte irre machen an allem,
was im vorhergehenden über die abkunft der Sachsen und ihr Verhält-
nis zu den Cherusken ermittelt wurde, wie, sollte man diesen nicht
vielmehr die Thüringe statt der Cherusken gleichstellen müssen? hät-
ten thüringische Stämme das gebiet zwischen Elbe und Weser inne
gehabt und wären sie im dritten, vierten jh. von den Sachsen zurück
hinter den Harz gedrängt worden? stimmt das nicht zu Plinius, der
Cherusken, Hermunduren und Sueven dem herminonischen hauptstamm
beizählt? erst mit den Sachsen wäre der ingaevonische hauptstamm in
die mitte des landes vorgerückt?
Solch eine annahme scheitert dennoch 1) an der nachgewiesnen 644
identität des namens Cherusken und Sachsen; 2) an Verschiedenheit
der Cherusken und Hermunduren, auf welche letztere sich nothwen-
* Beda 2, 1. lesensvverth ist Älfrics ags. erzäblung in den homilies of the
ags. cliurch ed. Benj. Thorpe vol. 2 (Lond. 1846) p. 120—122.
** andere lesen Hadolava, was sich, Iava für ags. Me, ahd. leiba genommen,
deuten liesze Martis reliquiae, hereditas.
bdü Headto&a^ &
I
lii
WM
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dig die Thüringe zurückleiten; 3) am dasein der Angrivarier, die wie
vorher bestandtheil der Cherusken nachher der Sachsen waren; 4) an
der Unwahrscheinlichkeit, dasz die Sachsen von einem vvinkel der lialb-
insel ausgegangen sich erobernd zugleich in das ganze cheruskische
gebiet, ans litus saxonicum und nach Britannien ergossen haben soll-
ten, welche ausgedehnten sitze begreiflicher werden, so bald man, wie
es schon Bedas stelle fordert, Altsachsen mit auf dem breiten boden
von Westfalen, Engern und Ostfalen hausen läszt; 5) an der innern
Unzulässigkeit der sage selbst: die Sachsen sollen mit einer flotte im
lande Hadeln gelandet sein, dem sic längst benachbart lagen; aus dem
eingang der kimbrischen halbinsel, wo sie Plolemaeus kennt, hätten
sie blosz die Elbe zu überschreiten brauchen, um nach Hadeln zu
gelangen. Überhaupt ist es rathsam, völkerstämmc, so lange es nur
thunlich und nicht bestimmten nachrichten entgegen scheint, an der
stelle, die sie einnehmen, auch mit unverändertem namen fortwohnen
zu lassen. Die niederdeutschen Stämme, wie sie immer heiszen, haben
sich vom ersten jh. bis ins mittelalter in ihren sitzen auf der halbin-
sel und zwischen Elbe und Weser beinahe unverriiekt behauptet, nur
ein wenig, nach dem auszug der Franken, von der Weser gegen den
Rhein vorgeschoben.
Was nun Widukinds sage angeht, so hallt in ihr entweder uralte
Überlieferung von ankunft der Sachsen auf der Ostsee an die küste
der halbinsel nach, die allmälich auf andere Örter und Stämme ange-
wandt wurde, oder sie verkehrt den meerzug nach Britannien in einen
aus Britannien nach dem festen land*, was durch Rudolfs Vorstellung
in der translatio Alexandri (Pertz 2, 674) bestätigt wird, wo es ge-
radezu heiszt: Saxonum gens, sicut tradit antiquitas, ab Anglis Bri-
645tanniae incolis egressa per oceanum navigans Germaniac litoribus Stu-
dio et necessilate quaerendarum sedium appulsa est in loco qui voca-
lur Haduloha eo tempore quo Thiolricus rex Francorum contra Irmin-
fridum generum suum ducem Thuringorum dimicans terram eorura
crudeliter ferro vastavit et igni; hier ist die landung gleich mit der
des thüringischen kriegs zusammengerückt, während bei Widukind zwi-
schen beiden längere zeit angesetzt werden musz. Noch deutlicher
wird der sage mythischer gehalt durch die dem Gotfried von Viterbo
vorgelegne Überlieferung, welche die meerfart der Sachsen weiter aus-
holt und an der Weser, statt an der Elbe enden läszt:
Nunc bene procedo, dum tempora Saxonis edo,
Saxo, velut eredo, patria fuit ante Macedo.
regis Alexandri miles ubique fuit.
Rege diem functo tulit a Babylone meatum,
Circuit Italiam ratibus, veniens Arelatum
Siciliaeque pliarum, transit in oceanum;
inde per oceanum britannica litora transit,
Flandria pertimuit, sed nec sine clade remansil,
Guisara saxonica terminus ejus erat.
* wie schon Niebuhr röm. geseb. 1, 46 (dritter ausg.) mutmaszt.
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nRfffllVlUJLLLU,
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•w -w W
E *
.i
450
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647 Wäneswalde und s. 29 steht Wagneswalde, weshalb ich den zusam-
menziehungen langen vocal ertheile.) die beichtformel gewährt am-
bahtas, nilhas, drohtinas, unrehtas anafangas, gibedas, drankas, minas
hördömas, hetias, unrehtas cussiannias, unrehtas helsiannias. die
Freckenhorster rolle: hanigas, sraeras, giscöthanas smeras, rukkinas
brädas, gerstinas raaltes gimalanas, rukkinas melas, eveninas maltes,
ävandas, göras daga , Welas tharp , Rammashuvila, Asschasberga. im
Heliand liest man gewöhnlich, nach ahd. weise -es: godes, barnes,
dödes, kuninges, drohtines, himiles, ferahes, nur wenn ableitendes E
vorausgeht oder gieng, pflegt A zu haften: tyreas 4, 15, gesideas
comitis, herdeas pastoris, suotheas veri, oder nach Wegfall des E
tiras 4, 15, suothas 27, 13; tritt aber in denselben formen 1 für E
ein, so folgt ihm E, nicht A: gesidies, herdies, suothies (bei Möser
n° 21 Riesfordi = Reasfordi), was als einflusz des I auf das folgende
A betrachtet werden darf. Ohne zwcifel ist das E des ahd. und alts.
-es Schwächung des ursprünglichen A, wie es auch niemals umlaut
erregt; steht aber alts. dages für dagas, ahd. takes für takas, so wird
für goth. dagis ein älteres dagas, stimmend zum dativ daga zu be-
haupten sein.
Die männlichen nominative pl., gleich den goth. und abweichend
vom -ä der ahd., haben -ös: fiscös, dagös, helidös, slutilös, welches
-s sich noch bis auf heute in vielen Wörtern der niederdeutschen
mundart behauptet, zumal nach ableitendem L, N und R: cngels
slutels, wagens, fiskers. Einigemal auch hier -as (unsicher ob mit
langem oder kurzen A): slutilas Hel. 94, 18; muniterias monetarii
Hel. 114, 15; hallingas obolos Diut. 2, 170; suönas subulci. Alle
feminina hingegen empfangen -ä, wie die ahd., nicht mehr -ös, wie
die gothischen, welches -ä auch im gen. sg. stattfmdet. Das -s
scheint also zuerst in der weiblichen flexion gewichen, und hernach
auch dem masc. (im ahd.) entgangen zu sein; die säclis. spräche hält
hier die mitte zwischen goth. und ahd.
Auch der gen. pl. aller geschlechter zeigt mitunter -a statt des
gewöhnlichen -o, welches dem ahd. ö gleicht, und wiederum aus der
648weiblichen flexion in die männliche übergegangen scheint; denn die
goth. masc. und neutra zeigen -6, die fern. -ö. So begegnen bei
Widukind die Ortsnamen Stedieraburg Ilorsadal (Pertz 5, 442. 456),
bei Lacomblet n° 1 Bidningahüsum, n° 8. 28 Bidningahöm, n° 3
Hrödbertingahova, trad. corb. 258. 291 Winethahüsen, bei Möser 18.
19 Drevanameri Drevanamiri, und in ostfälischen urkunden Edingnhil-
sun, Eilwardingaburslal Magathaburg urbs puellarum. Ilalvarastad ist
aus Pertz 3, 561. 4, 18. 5, 38 zu entnehmen, locus dimidiorum,
mediorum? die Freckenhorster rolle hat neben Aningero lö einmal
auch Aningera und Wernera holthilson. hierher würde auch das
cheruskische Idisiavisus Tac. ann. 2, 16 gehören, wenn meine Ver-
mutung gilt.
Die alts. neutra haben im nom. pl. den ausgang -u, aber nur
bei kurzsilbigen wie fatu, bladu, clibu gerettet; langsilbige wie word,
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thing machen, nach ahd. weise, sg. und pl. gleich, die Gothen hatten
immer -a, sowol kasa als vaurda. nach einem alten grundsatz laufen
nom. sg. fern, und nom. pl. neutr. parallel, wie golh. giba, blinda,
göda, kasa, vaurda lehren; neben alts. vatu, clibu sollte folglich gibu
und blindu erwartet werden und das ahd. adj. plintu oder plintiu des
nom. sg. fern, stimmt zum plintu, plintiu des nom. pl. neutr., doch
im subst. hat das fern, kepa, der pl. neutr. ohne flexion parn, wort
«= goth. barna, vaurda. nur einzelne ahd. denkmäler wahren den
ausgang -u nach «ableitendem I, und bilden von chunni, effdi, fingiri
den pl. chunniu effdiu fingiriu, was dem adjectivischen pl. plintiu,
kuotiu gleichkommt, durch alle mängel hindurch regt sich in allen
dialecten das gleiche gesetz.
Besonders zu merken ist auf die schwache flexion; zwar im Hel.
berscht, wie ahd. -o, -on, hano hanon, jungaro, jungaron und so
haben auch die eigennamen der trad. corb. und Freckenhorster rolle
gewöhnlich Bodo Cobbo Oio Drögo Benno Bovo Franco in zahllosen
Beispielen, gleichwol erscheint daneben Siboda 62. Ufla 201, Asica 233,
Bacca 123 (Bacco 244. 246. 252), Iloia 146, Barda 151, Dodica
135. 169, Wala 438, Höma 414, Hassa, Wenda 454, ja beiderlei
form nebeneinander, z. b. Addasta und Bodo 300, Beya und Wydugo 649
416, Witta Crea Horobolla und Enno 299 und in der rolle Bavika
Hacika u. s. w. Noch häufiger findet sich im obliquen casus -an statt
des gewöhnlichen -on oder -un, z. b. der dativ Abban 24, Ennan 78,
oder in den Zusammensetzungen Ymmanhüsen 275, Bennanhüsen 187.
198, Thudanhüsen 14, Swalanhüsen 53, Battanhüsen 100, Heianhüsen
101, Bredanbeke 65, Bredanbiki 130, Nianthorpe 99, Aldanthorpe 100,
Guddianstede 234, Fohanreder 367. 456. Die in Wigands archiv 5,
114—130 gedruckten paderbornischen urkunden des 10. 11 jh. liefern
Ulfa Eppa Uda Berda Poppa Beinza Azzaca Franca Wega Bacca Döda
Daia Poppica Ika Tiaza Sicca Bennaca Godica Cöna Tiamma Acca Liuda
Egia Bösa G61a Ova Hizza Benna ßöva, und nur in einzelnen, vielleicht
von hochdeutschen Schreibern herrührenden, wie n° 19. 22. 30 er-
scheint -o. nicht anders heiszt es Tadican Hemmanhüs Bullanhüs
Perranhüs Baddanhüsun Niganbrunnon Wallanstedi, und wenn n° 8
Aldunthorpe gedruckt steht, kann die handschrift leicht Aldan gewäh-
ren. dagegen die urkunden bei Möser fast immer -o statt -a zeigen,
und nur in Zusammensetzungen, wie Hrütansten n° 19 die flexion-an;
in der Freckenhorster rolle schwankend Pikon und Pikanhurst. ost-
fälische aber: Rotanbiki Widukindesspeckian Wötanspeckian Lullanburnan
Bunikanroth Kobbanbrug Puttanpathu (ranae semita) Mesanstön (pari
lapis) Runtheshornan (armenti cornu); bei Lacomblet 6 Hlopanheldi,
11. 12. 13. 19 Diapanbeci, 27 Berugtanscotan, 28 Bertanscotan, 65
Sceddanwurthi, Aspanmöra. Aus den annalen sind eine menge solcher
composita zu entnehmen: Willianstedi Pertz 2, 387; Ivikanstßn Givi-
kanstßn Pertz 5, 92. 762. 803. 805; Welanao Pertz 2, 699 u. s. w.
Es läszt sich nicht verkennen, dasz -a und -an die ursprünglich säch-
sische, allen theilen des volks gemeine form war, wie sich auch durch
29*
die ags. spräche bestätigt; sie fand sich in Westfalen, Engern, Ost-
falen, wie über der Elbe, sehn wir also in einem bedeutenden wTerk,
wie der Heliand, -o und -on durchgedrungen; so ist schon so frühe
einflusz der hochdeutschen spräche auf die niederdeutsche, sei er nun
650 von Schwaben (s. 488) oder Franken (s. 546) her gekommen, zu
behaupten, in den eigennamen dauerte das -a, -an noch so lange fort,
bis es, gleich dem -o, -on, zuletzt in -e, -en verdünnt wurde, die
Römer können aber ihr Gothones Ingaevones Herminones Semnones
nur bei Hochdeutschen vernommen haben.
Sicher war der weibliche und neutrale nom. sg. schwacher form
vom männlichen unterschieden, und man darf ihm, nach ags. weise,
-e Zutrauen, dessen quantität ich dahin gestellt sein lasse; es ent-
spricht dem goth. -ö und ahd. -ä. doch habe ich nur einen einzigen
beleg: Albe tr. corb. 354; denn Swala Tetta 321. 323 ist entweder
hochdeutsche oder lat. form, für welche letztere der gen. Swale
Wende 321. 326 redet =» Swalae Wendae.
Ein bedeutender unterschied der alts. von der goth. und ahd.
spräche ist der Wegfall des starken männlichen kennzeichens im nom.
sg. statt des goth. dags, sunus, göds, hardus heiszt es alts. dag,
sunu, göd, hard; ahd. dauert zwar nicht im subst., doch im adj.
kuotör, hartör. Das neutrale kennzeichen ist im goth. subst. ge-
schwunden: vaurd, faihu, im adj. gödata, svesata bewahrt, und ebenso
entbehren es die ahd. subst. wort, fihu, erhalten es die adj. kuotaz,
suäsaz. die alts. adjectiva haben ihm entsagt, wenigstens ist im gan-
zen Hel. keine spur davon (die pronominalen it, that, huat abgerech-
net.) das Ilildebrandslied zeigt noch suäsat kind, und da noch die
heutige Volkssprache auf beiden seiten der Elbe formen wrie allet,
liebet, gronet = nhd. alles, liebes, grünes oft verwendet; so möchte
auch schon vor alters der ostfälische dialect diesem -at länger ange-
hangen haben, als der engrische und westfälische.
In der conjugation ist das auffallendste, dasz der pl. für alle
drei personen nur eine einzige form besitzt, d. h. die der dritten
auch für die erste und zweite gelten läszt. was im goth. gibam
gibij) giband, im ahd. kepam kepat kepant unterschieden lautet, fällt
alts. in gebad gebad gebad zusammen; was im goth. gibaima gibaij»
651 gibaina, im ahd. kepßm kepöt kepön ist, alts. nur geben geben geben,
ebenso in den praeteritis.
Des vocalischen ausgangs der starken secunda praet. ind. wurde
bereits s. 487 gedacht; hier treffen alts. und ahd. spräche überein
im gegensatz zur gothischen.
Das verb. subst. lautet bium bist is (oder ist); pl. sind sind
sind, wofür auch sindun; praes. conj. si sis si, pl. sin sin sin. imp.
wis, wesad.
Genitivgerundia der wollautigen form -annias ergibt die beicht-
formel: liagannias mentiendi, sueriannias jurandi, cussiannias osculandi,
helsiannias amplexandi; das I nach NN geht der ahd. form -annes
(s. 486) ab, könnte aber NN selbst deuten helfen, welches ahd.
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einigemal aus NI entspringt (dennan f. denian, zeinnä f. zeiniä); dann
stände annias für anias, was ich oben annahm.
Wie jedwede mundart, hat auch die alts. eigenthümliche Wörter
und formen voraus, deren reiehthum in dem einzigen Heliand nur zum
kleinsten theil erkennbar wird, mir genügt wieder an beispielen.
an thern felde sind fruhti ripia, aroa an thein accare, in campo sunt
fruges maturae, spicatae in agro 78, 17, aroa ist, wie garoa 20, 17,
von garo paratus, von aro, das ich für aru/vtod^g nehme, von arewa,
altn. ör sagitta und dann auch wegen Ähnlichkeit der spitzen gestalt
arista, spica; nach dem goth. arhvazria ßtkog scheint zwischen R und
und V auch ein H ausgefallen, gibäda oder gibädi bedeutet lenimen-
tum, fomenlum: lungra föngun gibäda an iro brioslon blöca idisi,
eelere acceperunt lenimentum in pectoribus suis pallidae mulieres 172,
11; thfim mannun ward hugi at iro herton endi gihölid möd, gibädi
an iro breostun, viris rediit animus in corda, mens restituta est et
levamen additum in pectoribus 97, 9; wurdun an forhtun, wurdun
underbädöde, timor eos occupavit, consternati sunt 148, 6, wurden
aus der behaglichkeit gesetzt, d. h. erschreckt, hier hat under priva-
tive kraft, Wie in untersagen, versagen; Wurzel von bädön und gibäda
ist baian fovere, ahd. päan, päwan (Graff 3, 4) nhd. bähen, böggebo,
annuli dator 84, 2 bezeichnet den freigebigen, gold oder ringe sehen-652
kenden herrn und entspricht dem ags. beäggifa oder goldgifa, wie ich
schon zu Andr. und El. s. XXXVIII ausführte; zur Seite steht ihm
bögwini 84, 2, ags. goldvine cod. exon. 287, 31. 288, 23 und noch
mhd. goltwine Rol. 164, 20; die lesart baggebo bagwini fordert ä = ö,
wie bräd panis für bröd, und fränisco für frönisco. thes thramm imu
an innan möd 152, 20, das herz sprang, klopfte ihm, von thrimman
springen, wozu das goth. jiramstei axQig gehört, die viele namen vom
springen führt, femea mulier 9, 22 entspricht dem altn. feima virgo
pudica, zugleich dem ags. faemne, fries. fämne, und in beiden letzten
überraschend dem lat. femina foemina, sogar mit dem oe, welches
auf ein goth. faiminö ahd. feiminä ralhen liesze, und doch ist die Über-
einkunft allzugrosz und gegen die lautverschiebung. auch reicht das
altn. feiminn pudibundus, feimar pudet die sicherste ableitung dar;
selbst das keltische bean käme in betracht. gödea 132, 8 aus dem
gen. pl. gödeono zu folgern bedeutet penuria und entspricht dem goth.
neulrum gaidv vaitQ^^ia, vielleicht dem ags. gäd cuspis, weil mangel
und hunger stacheln? sumbl convivium, ags. symbel, altn. sumbl.
Bei so vielfacher Übereinkunft zwischen alts. und ags. Wörtern fällt es
auf, dasz im Heliand für lacrimae trahni erscheint, wie im ahd. trahani,
nhd. thränen, nnl. tränen, und nicht taros, wie im ags. learas, ahd.
zahart, neutral aber goth. tagra, altn. tär. Das ags. bolla vas, altn.
bolli tina musz auch der alts. spräche zugesprochen werden, da die
tradit. corb. 229 den seltnen mannsnamen Ilorobolla gewähren, welcher
vas luteum ausdrückt, und, wenn kein anderer mythischer grund wal-
tet, vielleicht der christlichen Vorstellung entsprechen soll, wonach
alle menschen die irdnen, leimerschafnen heiszen, vgl. N. ps. 72, 9
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hurwine lutei, und Georg 3409 die leiminen. Nur im pl. findet sich
fratahun ornamentis, und immer mit dem adj. fagarun pulchris 12, 1.
52, 21. 102, 14. 139, 2 oder diuriun pretiosis 115, 7; fagarero
fratoho pulchrorum ornamentorum 52, 9; auch die ags. formen sind
auf den pl. eingeschränkt: frätva daelan ornamenta distribuere Caedm.
653 171, 17. feoh and frätva Caedm. 128, 21. gyrvan on frätvum Caedm.
28, 28. frätva ornatuum Beov. 74. das weibliche geschlecht ist nach
diesen ags. formen sicher, der alts. sg. würde fratah, der ags. frälv
lauten; einem alts. verbum fratahön ornare stellt sich ags. frätvian,
altengl. fretien pari, fretted (Ploughman p. 596a), goth. fratvjan in-
struere II Tim. 3, 15 (wo man nicht frajivjan lesen darfj an die seite,
folglich wäre auch ein goth. fratvs ornatus pl. fratveis (oder fratus
pl. fratjus, gen. frativß?) zu gewarten. allen übrigen deutschen
sprachen geht das wort ab, man müste denn ahd. frazar temerarius,
protervus für verwandt halten und dazu ags. frät Andr. 111 cod.
exon. 84, 15 vergleichen. Merkwürdig sind die wiederum beiden
mundarten, der alts. und ags., eigentümlichen verwandten bildungen
erod und werod, ags. eorod und veorod für die begriffe legio und
turma. erod steht im Hel. nur 126, 18 und wird da eorid, ierid
geschrieben, desto häufiger kommt werod vor; erod ist von dem ver-
lornen eru, eoru — goth. airus vir, nuntius gebildet, werod von wer
== goth. vair vir, sie drücken also menge von männern aus. die
goth. form wäre mutmaszlich airuds, vairuds? dagegen ist hlosz alts.
bewod 78, 16 messis, nnl. houwd oder bouw. Beide sprachen be-
wahren anlautendes WL und WR, wofür ahd. nur L und R gelten,
ich hebe das einzige wlanc superbus, elatus, ags. vlanc hervor, dem
ein verbum vlincan zu gründe liegen musz; ahd. scheint es ausge-
storben, es sei denn der eigenname Lancho (Graff 2, 223) davon
übrig, der aber auch Hlancho gedeutet werden könnte (hlancha ca-
tena.) eld ignis, ags. äled, altn. eldr, eigentlich ignis pastus von
alan alere pascere, im gegensatz zu dem fressenden, verheerenden;
warum sollte ahd. nicht auch alit elit möglich sein? Die einstimmung
des vor infinitive ermahnend gesetzten ags. vuton, alts. wita und mnl.
weten habe ich gramm. 4, 89, 90. 944 vorgetragen; nicht weniger
eigen ist das huat und hvät im beginn des satzes, wovon gramm. 4,
449. Vom seltsamen ansciann 171, 24 gramm. 1, 245. Wanurn
ist splendidus, lucidus, clarus, pulcher, wanamo splendide, wanami
splendor; man darf das -um für alte superlativform und dem -ustus
654 des lat. venustus gleichsetzen, wie goth. auhuma lat. augustus, wäre
vanuma venustus, und der lat. wurzel ven in Venus und venustus
entspricht ganz das wan in wanum oder wanumo. auch hat die ags.
spräche bloszes van lucidus statt des alts. wanum, es heiszt Beov.
1398 con vanre niht\ hei mondheller nacht, und 1295 cvan under
volcnum1 ganz wie Hel. 19, 20 cwanum undar wolcnum*. wenn das
altn. appellativum Vanir kurzen vocal, das adj. vaenn pulcher, venustus
langen an sich trägt, so müssen ablaute im spiel sein; mit lat. Venus
vergleicht sich aber das welsche Gwener und gwyn albus, gwion elbin
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(s. 296. 306), vielleicht das ir. ban bhan albus, ben, bean femina,
ags. cven, golh. qinö, so dasz hier die deutsche spräche doppelte
wortgestalten, aber auch sehr abweichender bedeutung mit und ohne
gutturalpraefix erzeugt hätte.
Hel. 35, 10 wird durch cthia gisunfader’ unser: die söhne und
der vater gedrungen ausgedrückt, ebenso wie im Hildebrandslied cunlar
heriun tuftm sunufatarungo’ sagt: inter exercitus duos filii patrisque.
die nordische spräche verwendet dafür fedgar und fedrüngar. Unserm
alterthum ist bei unmittelbar aufeinander folgenden namen oder bei
dem namen, der hinter das umfassende dualpronomen tritt, die copula
und entbehrlich. cid Völundr Saem. 139b heiszt: du und Völundr;
‘vid Sigurdr’ Saem. 229 b ich und S.; cvit Scilling’ ich und S.; cvit
Aeilered’ Kemble n° 314 ich und Ä.; Cunc Adame’ Caedm. 25, 1 mir
und Adam; cvid karl rninn’ fornald. sög. 1, 231 ich und mein mann;
l{)ät land is healf uncer Brenlinges.’ Kemble 2, 250. 3, 422: das
land ist halb mein und Brentings *. auf ähnliche weise steht mhd.
cgole mir willekomen’ für gott und mir, oder cvater muoter beide’
passion. 348, 5 für vater und mutter (vgl. Haupt 2, 190.) in gisun-
fader und sunufatarung ist aber die Verknüpfung noch fester, durch
das praefix -gi oder suffix -ung sind die beiden Wörter aus der bloszen 655
apposition in eins übergegangen.
Christus heiszt cthat fridubarn godes’ 123, 5. 162, 17; die ags.
gedichte geben oft die ausdrücke freodoscalc, freodojaeov für den knecht,
freodovebbe für die frau, weil sohn, knecht, frau im mundium, im
frieden des mannes, vaters, herrn stehn.
Dasz die Altsachsen Seefahrer waren, folgt schon aus den be-
zeichnungen des schiffcs, die man unter Hochdeutschen kaum treffen
würde; neglid 35, 17 mit nägeln beschlagen (wie negilid sper 169,
29) höhurnid 69, 8. 89, 8 hochgehörnt**; wie viel schönere aus-
drücke für schif und meer sind aber in ags. und altn. liedern gehäuft,
von denen sich die hochdeutsche spräche und dichtung nichts träu-
men läszt.
Das meer hiesz alts. geban, ags. geofon, gifen und musz auf ein
göttliches wesen zurückgeführt werden (myth. s. 219. 288); im Orts-
namen Gebeneswilare (Slälin 1, 598) scheint doch eine hochdeutsche
spur, wie geban und geofon sind alts. lieban und ags. heofon ein
rechtes kennzeichen sächsischer mundart, das ich schon gramm. vorr.
XIV und mythol. 661. 662 hervorgehoben habe, dies heban, heofon,
engl, heaven ist weder hochdeutsch, noch golhisch, nordisch und frie-
sisch. beinahe gleich durchgreifend scheint die partikel alts. biütan,
* fast so fügt die lappische spräche nach dem dualis des pron. ohne copula
den eigennamen, diesen aber im instrumentalis: moj Hansajn : ich und Hans,
ich mit Hans; doj bapajn': du und der pfaffe, mit dem pfaffen. Rasks lappisk
sprogläre §. 363.
** doch wird bei Schilderung des gestillten Sturms der ausdruck puppis aus
Marc. 4, 38 nicht verdeutscht, blosz das allgemeine naco gebraucht 68, 11. dem
Gothen stand dafür nöta zu.
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456
ALTSACHSEN
nnl. buiten, ags. bütan, engl, but, die nur ans hochdeutsche streift,
büzan hat Is. 5, 6 und in hessischen urkunden liest man oft hauszen,
pauszen; das gewöhnliche ahd. wort lautet nur üzan.
Die längere dauer des heidenthums unter den Sachsen muste
auch in ihrer spräche viele darauf bezügliche ausdrücke festhallen,
nur verstolen blickt noch ein ahd. wurt für fatum durch, das alts.
wurth, ags. vyrd haften allenthalben (mylh. s. 377. 378.) vor Schmel-
656lers fund hätte man der ahd. spräche kein muspilli zugetraut, was
dem alts. und altn. ausdruck entsprechend (myth. s. 568) selbst der
ags. mangelt, die seltnen beispiele des ahd. ilis femina, matrona
zählt Graff 1, 159 auf, das alts. idis, ags. ides, altn. dis sind ganz
häufig; ich habe das berühmte Schlachtfeld der Cherusken an der
Weser Idistavisus (Tac. ann. 2, 16) in Idisiavisus gebessert, und den
klaren sinn von nympharum, parcarum pratum gewonnen, zugleich
ältesten beleg für den ausgang des gen. pl. auf -a. Tanfana, Veleda
waren solche heilige idisi.
Wenn in Hochdeutschland die groszen ströme Donau, Rhein,
Main undeutschen, d. h. schon von Kelten bei der eimvanderung über-
nommnen namen führen, sind die sächsischen flüsse Elbe (s. 325)
und Weser deutsch benannt, diese gegenden müssen lange schon un-
gestört in deutscher hand gewesen sein, der altn. spräche ist elf, elfa
allgemeiner ausdruck für jeden flusz. was in Wisuraha, Visurgis liege
errathe ich nur unsicher: wie zu ags. enge inge pratum, altn. engi
sich das ahd. angar verhält, könnte zu wisa pratum ein abgeleitetes
wisur, wesar * stehn, Wisuraha (den Römern Visuria Visuris - Visurgis)
wäre wiesenflusz, der durch grüne matten strömt, was mit dem sinn
des namens Angrivarii, Angrarii, die an der Weser wohnen (s. 629)
gerade zusammenfiele, man dürfte weiter gehn und selbst den namen
der Ingaevonen zu jenem inge, enge halten.
Throtmani Throtmeni Dortmund wurde s. 622 erklärt; auszer
Holtesmeni gab es auch ein Dulmani Dulmeni, das heutige Dülmen;
was aber bedeutete dul? altn. ist dula velamen, tegmen, von clylja
celare, also das verhüllte haisband? Münster hiesz in vorchristlicher
zeit Mimigernaford, Mimigardaford, was wie Mimida => Minden den
namen des halbgottes Mimi (mythol. s. 352) zurückrufl, aber den
mythus eines von ihm durchschrittenen flusses oder wassers voraus-
setzt; der flusz bei Münster führt den namen Aa (aha.) nicht weit
von Münster ab liegt Freckenhorst, Frickenhurst, ein heiliger Imin,
657 wie der name Irminlö bei Lacombl. n° 65 p. 31 an die silva Ilerculi
sacra (Tac. ann. 2, 12) mahnt. Redeutsam scheint der name Osna-
brück, der noch in seiner heutigen gestalt das -a des gen. pl. hegt,
schon im 8. 9 jh. schrieb man Osnabrugga Perlz 2, 679, später
O^enbrugge Pertz 2, 425, Dietmar giebt Asnebrugge Pertz 5, 840.
860. und mit recht erklärt Zeusz s. 11 brücke der Äsen, Osna, was
ahd. wäre Ansonö, und der berühmten eddischen Asbrü (myth. s. 694)
* in einer ags. grenzurkunde bei Kemble n° 698 p. 301 con visere/
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ALTSACHSEN. ANGELSACHSEN
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entspricht, neben der starken form.äs aesir kann hei Schwaben die
schwache anso anson, bei Sachsen ösa ösan (gen. ösana) gegolten
haben, zumal starker subst. masc. und fern, genitive pl. gern in schwache
flexion Umschlagen, die Osi des Tacitus (Germ. 43) ohne weiteres Hpt
heranzuziehen wäre verwegen; sichrer bezeugt die göttlichen Ösen der
westfälische bergwald Osning Osnengi (myth. s. 106. 1204.) Aus 23046.
Carls feldzug im j. 779 ist ein ort der Wesergegend namens Medo-
fulli, Midufulli bekannt (Pertz 1, 160. 161. 221. 349. 8, 559); me-
iloful sagt aus poculum mulsi (Hel. 62, 10), es scheint ein flusz ge-
wesen zu sein, der heute andern namen führt, geradeso heiszt ein *
durch die Landschaft Kent in die Themse sich ergieszender flusz Med-
way, d. i. ags. Meadovaege Medevaege Medvaege (Kembles urk. n° 295.
688 p. 283 vgl. 386. 400. n° 1051) von vaege, alts. wegi (Hel. 62,
8) altn. veig poculum, mit medovaege ist gleichviel ags. ealovaege Beov.
956. 985. 4038. lidvaege Beov. 3960. ich ahne hier mythische be-
zöge: wie den Griechen und Römern das gewässer aus dem horn
oder der urne des fluszgottes strömt, mag auch unser alterthum bäche
und flüsse aus dem verschütteten oder umgestürzten methkrug eines
mythischen Wesens geleitet halten, woher der quelle name. Die Extern-
steine an einem felsen des Teutoburger walds lehren anschaulich, dasz
liier ein christliches denkmal (seit 1115) an eines älteren heidnischen
stelle trat; in den urkunden steht Agisterstein, Egesterenstein. für
den vielgedeuteten namen läge doch nichts näher als das ahd. und
gewis auch alts. figester ßgesteren ergestere nudius tertius, ags. aer-
gistran, nhd. vorgestern, ehgestern; was dem gestern vorausgeht be-
zeichnet lange Vergangenheit, das finn. eilenen ist hesternus, aber auch 658
antiquus, non nuperus. es sind felsen, nicht von heute, auch nicht
von gestern, sondern vor gestern, aus grauem alterthum. in der edda
Ssem. 269a heiszt es: vara |)at nü ne f gaer, |oat hefir längt lidit sidan,
und man brauchte blosz aus der sächsischen spräche die anwendung
dieser naiven ausdrucksweise auf Örter nachzuweisen. Magathaburg,
ahd. Magadopuruc, urbs puellarum, böhm. Dewjn oder Dewcj lirad weist
auf sage und mythus. Agidora, Egidora, der volle, alte name des flusses
Eider ist mylhol. s. 219 erläutert.
So viel von den Altsachsen, und ich wende mich näher zu den
Niederdeutschen in Britannien (s. 642.)
Dasz unter den dort eingewanderlen Sachsen, Angeln und Juten
die Sachsen vorwalteten, scheint aus der stammsage und den namen
der sich bildenden einzelnen reiche hervorzugehn, während haupt-
sächlich von Ostsachsen und Westsachsen (vgl. s. 442) die rede ist,
aber auch von Mittelsachsen und Südsachsen, wie noch die heutigen
namen Essex Wessex Middlesex und Sussex zeigen, während das glück-
liche Westsachsen bald an der spitze aller Stämme steht; werden nur
Ostangeln genannt, denen sich etwa die bewohner Merciens als West-
angeln an die seite setzen lassen. Von den Angeln sind nach Beda
auszer Ostangeln auch Mittelangeln, Mercier und ganz Northumberland,
d. i. Deira und Bernicia entsprungen, die Juten bleiben auf das kleine
458
ANGELSACHSEN
Kent eingeschränkt. Entscheidend ist für das vorvviegen der Sachsen,
dasz den Kelten bis auf heute der Engländer Sachse heiszt, den
Welschen Sais, Saeson, den armorischen Bretagnern Saoz, den Galen
Sasunnaich, den Iren Sagsonach *, wie auch unser Widukind vom
zuge der Sachsen nach Britannien redet, der Angeln nicht einmal ge-
659 denkt und selbst den namen Anglisaxones ** daher deutet, dasz die
britische insei cin angulo quodam maris’ gelegen sei, welcher angulus
von Beda wenigstens in der Angeln heimat, zwischen Sachsen und
Jütland gesetzt wurde (s. 642). In der römischen kirche scheint von
' Gregors zeit an, vielleicht jenem Wortspiel zu liebe (s. 642), und
hernach bei allen Romanen der name Anglia vorgezogen. Beda, ob-
gleich ausgehend von der Anglorum sive Saxonum gens, und die
Sachsen den Angeln und Juten voranstellend, schreibt eine historia
gentis Anglorum, und in der folge drang die benennung Anglia, Angle-
terre oder England allgemein durch. Wir Deutschen hätten mindestens
das alte einfache Angeln beibehalten sollen, denn Engländer klingt
unbeholfen, wie Deutschländer, Ruszländer oder Dänmärker klingen
würde.
Dasz des Ptolemaeus AyyeiXot fs. 604) noch nicht verbündete
der den groszen seezug unternehmenden Sachsen sein können, eben-
sowenig die bei Vidsid angeführten Engle, versteht sich, das ganze j
gedieht von Beovulf nennt weder Engle noch Seaxan, Vidsid aber
Beide, wogegen Procops Ayyikoi bereits britische luft athmen, wie |
man sich immer seine insei Brittia auslege, durch meine voraus- i
gehende Untersuchung ist ermittelt, dasz die Angeln durischer oder
hermundurischer abkunft waren, woraus folgt, es müsse, wie im in-
nern Deutschland Sachsen und Thüringe sich berührten, auch in der
angelsächsischen spräche neben dem sächsischen ein thüringisches
element obwalten und vorzugsweise in Ostangeln und Nordengland zu
gewahren sein.
Bei Beda erscheinen noch einige engere volksnamen: 3, 7 und
4, 15. 16 Gevissi oder Gevissae, ohne zweifei nach dem westsächsi-
schen stammhelden Gevis (scius, praescius?), weshalb auch Alfred in
660 seiner ags. Übertragung diesen namen wegläszt und sieb mit dem
ausdruck Westsachsen begnügt, der eddischc formäli s. 14 sagt:
Gevis, er ver köllum Gave. bei Beda 4, 13, 23. 5, 23 werden
Huiccii angeführt, ags. on Hviccum, Hvicca (einmal Hvicna) mägd,
zwischen Wessex und Wales; ich weisz den namen nicht sicher aus-
zulegen, altn. ist hvikull vagus, inconstans. 4, 13 Äleanvari, ags.
* etwas anders ist, dasz die Finnen und Esten den Deutschen insgemein
Saksalainen Saks nennen, was erst aus den Zeiten der hansa herrührt, wo ihnen
niedersächsische kaufleute waare zuführten.
** die Zusammensetzung Angulsaxones findet sich nicht allein in urkunden
ziemlich oft, z. b. bei Kemble 5, 134. 146. 149, sondern auch bei Schriftstellern
in und auszerhalb England, z. b. I’aul. Diac. 4, 23 schreibt Anglisaxones. Häufig
heiszt es aber auch in den urkunden saxonica gens’, saxonice’ oder in lingua
saxonica’. Kemble 1, 62. 172. 207. 5, 50. 51. 144.
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ANGELSACHSEN
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Meanvara mägcl, wird auf Meon in Hampshire bezogen. 3, 20. 4, 6.
19. 5, 21. Gyrvii, ags. on Gyrvum, Gyrva mägd oder land, soll be-
deuten palustres von gyrve palus. Mägesaelan (im bezirk Radnor) nennt
das chron. sax. a. 1016.*
Zu den reichen quellen der ags. spräche in poesie und prosa,
die bisher zugänglich waren, sind in neuster zeit auch homilien und
viele urkunden in Kembles samlung zugetreten, wo die ahd. spräche
mit stücken zufrieden sein musz, liegt hier eine fülle von denkmälem
vor. Der spräche schlug in groszen vortheil aus, dasz die Angelsachsen,
obgleich früher zum christenthum übergetreten als die zurückbleibenden
Altsachsen, durch einflusz der freieren britischen kirche weniger zum
gebrauch der lat. spräche gezwungen waren und in den kirchlichen
handlungen meistenlheils die ihrige beibehielten, weder geistliche noch
könige und vornehme verschmähten es die angeborne zunge fortzu-
bilden, und daher rührt die beträchtliche zahl von prosaschriften aus
einer zeit, wo bei uns mitten in Deutschland die muttersprache gering
geschätzt wurde.
Im ags. vocalismus fällt die beschränkung des reinen A in den
wurzeln auf, während es die flexion liebt; doch wird auch wurzel-
haftes A durch A oder U der flexion gehegt, dem sg. däg däges
däge steht der pl. dagas daga dagum zur seile, umlaut kann dies Ä
nicht heiszen, weil dessen Ursache fehlt, es gleicht ihm aber in der66t
Wirkung, wie die nominative cräft daed spöd gled vyrm vyrd statt des
alts. craft däd spod glöd wurm wurd ihm gleichen.
Die goth. diphthonge stehn hier nicht auf einerlei fusz, sondern
ei wird in i, ai in ä verengt, iu hingegen bleibt eo, au bleibt eä.
ä hat gleichsam das i in sich aufgenommen (wie griech. «) und ist
dadurch lang geworden; das u von au konnte nicht auf dieselbe weise
in a eingehn, weil dann die beiden goth. diphthonge ai und au un-
unterschieden ä geworden wären, man schlug also dem ä ein e vor,
und vielleicht sollte richtiger eä statt eä geschrieben werden.
Viel weiteren umfang als im ahd. haben die ags. brechungen der
kurzen vocale.
Die consonanten befinden sich im stand der gothischen, nur dasz
R für S häufig^ eintritt, organisches R aber gern hinter den wurzel-
vocal geschoben wird (s. 330.) sehr merkwürdig ist veler oder velor
labium für verel veröl — goth. vairilö, wo das altn. vor gen. varar und
fries. were die Wurzel bezeugen, aber vergleichbar das ahd. elira alnus
neben erila, nhd. eller und erle.
Das schon in alts. flexion vordringende -as der männlichen nom.
pl. und -a der gen. pl. überhaupt waltet hier entschieden, ebenso das
* hier noch einige belege aus Kembles urkunden: judicio sapientium Gevi-
sorum et Merciorum, n° 1078; metropolis Huicciorum id est Wegrinancacstir,
n° 91; in Hvicca mägde, in paere stöve pe mon häted Veogerna cester, n° 95;
subregulus Huicciorum, n° 124. 145. 146. 171 ; viculus in monte quem nomi-
nant incolae mons Huicciorum ät Codeswellan, n° 140; od Meonvara snüde,
n° 1038.
i
-tK-AL.
ANGELSACHSEN
-an der schwachen form für goth. -an, -in, -ön. der männliche
schwache nom. sg. hat -a wie im golli., der weibliche und neutrale
aber -e, welches vielleicht ursprünglich -6 war und dann zum goth.
-6 stehn würde, wie glöd zu glod. alle dalive pl. behaupten einför-
miges -um, mit ausnahme von bäm ambohus, tväm duobus, bis,
|>rim tribus, him iis.
Keine andere deutsche spräche hat, nach der gothischen, einzelne
reduplicationen treuer bewahrt als die ags. die II praet. starker form
geht auf -e, schwacher auf -est aus. die plurale praes. setzen für
alle drei personen einförmiges -ad (statt -and), praet. aber -on, conj.
-en. Das gerundiuin hat nur den dativ -anne, keinen gen. -annes.
Unter den einzelnen Wörtern gibt es manche, die zu gothischen,
662 alts. und vorzüglich altn. stimmen, aber auch eine anzahl ganz eigner;
doch würde sich davon nicht weniges im ahd. auflinden, wäre uns
dies so genau bekannt, wie das ags.
Beispiele der gothischen einstimmung. eode iddja; bysen busns;
cild infans vgl. goth. kiljrni Uterus; meovle mavilö; gedöfe gadöbs;
hedn hauns ahd. höni; haest vehemens, ahd. lieist, vgl. goth. haifsts
vehementia; hindema hinduma; hnesc hnasqus; läcan leolc laikan lai-
laik; raedan reord rödan rairöd.
Zum alts. stimmen: ädre mane alts. adro; heofon heban; reced
rakud domus; rodor radur coelum; hleor hlear gena, mnl. lier; sine
opes sink; vräd iratus dirus alts. wrßth, altn. reidr, im ahd. reid hlosz
mit der sinnlichen Bedeutung von crispus, lortus.
Zum altn. bön boen; bml bäl; ßgor cegir; häle halr; heaf haf;
meotud miötudr; missire missiri; raesva raesir; sund sundr fretum und
nalatio, also von svimman für sumft; |)räc prekr; {>yle [>ulr.
Eigenlbümlich: ädl morbus, zu Ad feuer, hitze gehörig; bäd
coactio, wovon nedbdd pignus (Kemhles urk. n° 95) ahd. nötpfant,
vgl. baedan cogere, ahd. peitan, wäre demnach in ahd. nötpeit zu
übertragen; bäsnian exspectare vgl. zu Andr. s. 107; brim mare,
bröme illustris Beov. 35 cod. exon. 155, 4 (unstatthaft breme, weil
I vor 31 haftet); bront aestuans vgl. zu Andr. s. 103; calla vir Caedm.
193. 26; caege clavis, engl, key; cöfa cubiculum; cumb vallis; den
neutr. lustrum ferarum; den fern, vallis; dün collis engl, down; fice
aeternus, vielleicht ece? vgl. goth ajukdu|)s aevum; fäle proprius vgl.
altn. fair venalis und anm. zu El. s. 143. 144; fulviht fulluht, der
kirchliche ausdruck für taufe, vgl. fullvona bearn haplizalorum filii
Caedm. 117, 9, könnte viht weihe bedeuten, volle weihe? oder fulluht
dem ahd. follust folieist auxilium, benedictio entsprechen? dafür haben
aber die Angelsachsen sonst fylst, und eine norlhumbrische form für
fulviht soll lauten fulloc. gaesen sterilis cod. exon. 53, 13. ahd.
keisan (Graff 4, 267.) gehdu geolutu cura, sollicitudo scheint dem
altn. ged vergleichbar, wie ich zu Andr. s. 97. 98 ausführe, hafela
lieafela ist zu Beov. öfter besprochen, haeven glaucus; haso, gen.
663hasves lividus; hläford dominus, herus, hlajfdige hera, materfamilias,
zwei, nicht bei den dichtem, aber in rechtsurkunden vorkommende
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■T.-T.Mcrar.T/
ANGELSACHSEN
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ausdrücke, die ins engl, lord und lady verkürzt wurden und etwa
brotherr (panis origo), brotfrau (panis dispensalrix) besagen, von ord
initium ? (wo nicht in -ord blosze .bildung) vgl. gramm. 2, 339 und
dige, altschwedisch degja, deja dispensatrix, villica; hlinc agger limita-
neus; hodma nubes; hruse terra; hyse pl. hyssas puer, woher der
eigenname Hvithyse (albus puer) bei Kemble n° 129 und der Ortsname
Hyssaburna daselbst n° 158. 642, nach dem auch bei uns allgemein
verbreiteten Volksglauben von kinderbrunnen, ich vergleiche dem hyse
das gr. xäoiq. was heiszt laerig in den redensarten ofer linde laerig
Caedm. 192, 29 bürst hordes laerig ßyrhtn. 129, 32? man sollte
denken rand; Ini gen. Ines bekannter name eines königs, mir unbe-
kannter wurzel; meagol fortis Beov. 3955 verschieden von dem häu-
figeren micel; oräd oröd spiritus, halitus scheint mit aedm ahd. ätum
verwandt und eigentlich ausathmung, vgl. örendr mortuus, qui efflavit
aniniam, und goth. usanan mori; racenta (daneben racenteag) catena,
ahd. rachinza (Graff 2, 443. Haupt 5, 201a); rip gen. ripes, rippes
messis, ripe maturus ad messem, metendus, welche Verschiedenheit der
quantität ein starkes ripan räp ripon ankündigt, dem auch räp funis,
restis zu gehören scheint, die ahd. spräche hat blosz reif funis, rifi
maturus, kein rif messis; scräf caverna; stid rigidus; stöv locus;
strengel rex, princeps Beov. 6225; tedre fragilis nnl. teder; tudor
proles, untydre mala soboles; |>isa ftisva Jnssa scheint gleichviel mit
hengest oder mearh, denn ich finde zur Umschreibung des scliifs
brimf)isa merefusa väterfnsa, doch exon. 410, 2 zeigt sich mägenfnse
weiblich; vealhstöd interpres; vraesen vinculum, torques, ahd. reisan.
Noch viel mehr zu sagen wäre von den dichterischen ausdrücken
und in die heidnische mythologie greifenden namen, die am lebendigen
Zusammenhang ags. und altn. Vorstellungen nicht zweifeln lassen und
für letztere das älteste zeugnis ablegen. da begegnet nicht nur eolon
iötunn, |>yrs [iurs, välcyrge valkyrja, brego bragr, sondern auch Earendel 664
Örvendill, Bregovine, Brosinga mene Brismga men, der eigenname Os-
vudu in urk. bei Kemble 55. 60, dessen bedeutung Cgöttlicher hain1
auf heiligen ort weist, und viele cultusausdrücke wrie bearo nemus
sacrum, hleodor oraculum, tiber sacrificium. reich sind die dichter an
Umschreibungen des schiffes, Schwertes (hilde leoma, beado leoma
u. s. w.); seltsam heiszt das Weltmeer gärsecg. *
Es gehört unter die auffallendsten eigenheiten der deutschen
spräche überhaupt, dasz einige starke verba in den verschiednen dia—
lecten oder auch in einem und demselben auf ganz abweichende be-
deutungen angewandt werden, so drückt das goth. tökan tangere
aus, das ags. tsecan und altn. taka capere; fassen ist ein fangen,
nehmen, anfassen ein berühren, das goth. urreisan, ags. ärisan, alts.
* manche Ortsnamen scheinen noch bezüglich auf alte Stammhelden, z. b.
Hengestes heafod bei Kemble 3, 385; Hengestes healle 3, 80; on Hengestes rige
4, 412; tö Hnäfes scylfe 3, 130 von Hnäf, der in Beov. 2132. 2222 und im
cod. exon. 320, 14 auftritt.
m II
Juli
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_l ~
■ L*>
462
ANGELSACHSEN
ärisan und risan, fries. und altn. risa bedeuten surgere, das ahd. risan,
mhd. risen umgekehrt cadere, welches der ursprüngliche sinn scheint,
so dasz der von surgere erst durch die im goth. und ags. nicht feh-
lende partikel ur und ä bewirkt wurde, dann aber auch nach deren
abfall im alts. fries. altn. beharrte. * dem goth. lukan und altn. liika
wohnt blosz die bedeutung claudere bei, dem ags. lüean, fries. lüka,
mhd. liechen auszerdem die scheinbar ganz ferne von vellere avellere,
raufen, rupfen; ohne zweifei galt sie auch im niedersächsischen dialect,
da sich z. b. in den Bremer stat. s. 187 lök vellebat findet, mhd.
belege stehn Diut. 2, 119. MS. 2, 101a. hier wiederum zeigt erst
das goth. uslukan den sinn von tXxtiv, onuod'cu, vellere, extrahere,
665 ebenso das ahd.. arliochan, üzliochan zaliochan, d. h. erschlieszen,
aufschlieszen, Öfnen (weil das eingeschlossenc versteckt, das erschlos-
sene hervorgezogen wird), allmälich blieb aber die den sinn um-
drehende partikel weg, dennoch die von ihr abhängige bedeutung
haftend, das ags. risan und lücan müssen ursprünglich cadere und
claudere ausgedrückt haben, von ihnen wurden ärisan surgere, älücan
vellere gebildet und zuletzt auch nach abgeschliffener partikel den
scheinbar einfachen risan und lilcan diese bedeutungen gelassen, was
GralF 2, 138 von einem formellen unterschied zwischen lfichan clau-
dere und liuchan (soll heiszen liochan) aufstellt ist grundlos.
Bisher ist blosz die berschende sächsische oder westsächsische
mundart abgehandelt worden, der anglischen oder nordenglischen,
northumbrischen sollten eigne forschungen gewidmet werden und dabei
die heutigen volksdialecte nicht unberücksichtigt bleiben. Von Caedmons
erstem lied gibt es eine schwach gefärbte anglische recension (in
(Thorpes vorrede s. XXII.) mehr northumbrischen dialect liefern das
rituale ecclesiae dunelmensis London 1839 und das sogenannte Dur-
hambook, dessen ausgabe noch unvollendet ist (ich besitze nur Matth.
1 bis 14, 3.) Auszer den schon gramrn. 1, 377. 378 angemerkten
vocalverhältnissen hebe ich hier folgende eigenheiten hervor. Dem
infinitiv, pl. praes. conj., so wie der schwachen declination gebricht
das anlautende N, wol aber behaupten es die praeterila pl. und die
participia praeteriti. es heiszt also vosa für vesan, habba f. häbban,
doa f. dön, foa f. fön, nioma f. neman, lufa f. lufian, boensa suppli-
care f. bünsian u. s. w. habba habeamus, gifoela sentiamus, sie si-
mus; dagegen die praeterita lauten voeron eramus und essemus, rioson
surreximus und surgeremus, und die part. praes. -ende, die gerundia
-anne behaupten: tö fleanne ad fugiendum, ich finde selbst das geni-
tivische boensendes supplicandi im ritual s. 41. einigemal zeigt die
prima praes. sg. M: biom ero, sium video, döm faciam. für ags. -ad
häufig schon -as.
* Bopp bat angemerkt, dasz aucli die sanskritwurzel pat cadere (gr. nimeiv
redupl. für nireiv praet. 7TS7trcoy.a, slav. pasti, padati) ausdrücke, durch Zutritt
der praep. ut in utpat auffliegen also surgere bezeichne, das ahd. arfallan, ags,
äfeallan behalten aber den sinn von fallan feallan.
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^ :Ä' ^ ^ Ä ^ Ä A Ä «ilh Mm «im
* ANGELSACHSEN
Die männlichen plurale zeigen-as: cneihtas pueri, lärvas doctores,
die weiblichen -o: synno peceata, tido tempora, beodo preces, boeno
preces, gern aber auch im gen. sg. -es: oestes gratiae (goth. anstais) 666
eordes terrae (golh. airjxis) aes legis, voedes vestis, rödes crucis,
snyttres sapientiae, bloetsunges benedictionis, wenn nicht in einzelnen
Übergänge des geschlechls anzunehmen, alle dat. pl. behaupten -um,
doch die starken gen. pl. zeigen oft schwaches -ana: cnehtana sunana
dagana dingana tödana neben töda. alle schwachen subst. und adj.
setzen für ags. -an bloszes -a: noma nomine, galla feile, tunga lin-
guae, cirica ecclesiae, f)äs ilca ejusdem, jrnne strenga fortem.
Das verbum subst. lautet: am ard is, aron aron aron statt des
ags. eom eart is, sindon sindon sindon; biom bist bid, pl. bidon be-
zeichnet das futurum, steht aber auch für praesens. Voes esto!
vosad estote! seltsam erscheint vallas volumus (Durh. book s. 99) f.
ags. villad. eade ivit — ags. eode.
Manche eigentümliche formen und Wörter wären auszuzeichnen,
die praep. derb gleicht dem goth. [>airh, und entfernt sich vom ags.
{)urh, ahd. duruh/ givian avere, exigere scheint dem ags. gifer avidus
altn. gifr nah. bisene coeci Matth. 9, 27. 11, 5 vielleicht beisichtig,
das ahd. pisiuni bedeutet accuratus, (Graff 6, 128.) cuople navicula
Matth. 8, 23 ist das engl, coble, führt sich aber zurück aufs mlat.
caupulus. luh fretum Matth. 8, 18 gemahnt an lagu aequor. im ri-
tual s. 96, wo von der tonsur geredet wird, steht zweimal givseld
heafdes für coma capitis, wörtlich die gewalt des hauptes (nicht wald
des hauptes), was mich ans ahd. waltowahso nervus (Graff 1, 689)
Schweiz, altevvachs waldiwachs nervus und fries. walduwaxe gemahnt,
diese walduwaxe zieht sich von den ohren über den rücken zu den
lenden hinab (Richthofen s. 1124a), begreift also auch das haar des
hinterhaupts. statt waldwachs sagt das volk in oberdeutschen Land-
strichen haarwachs.
Gleich diesem letzten ausdruck stimmt jener abfall des N in den
nordenglischen oder anglischen flexionen sichtbar zur friesischen spräche,
worauf ich mehr gebe als auf die oft wahrgenommne analogie zwi-
schen dem ausgang der part. praes. auf -ing in heutiger thüringischer 667
mundart und der englischen spräche, da diese erst im 13. 14 jh. ein
solches -ing eingefülirt bat und die altanglischen denkmäler keine spur
davon an sich tragen, so wrenig als die angelsächsischen insgemein,
auch greift das -ing weit über Thüringen hinaus, es ist also das
vermutetete thüringische element (s. 659) gar wenig zu spüren.
O)
!=
2
XXIV.
FRIESEN UND CIIAUKEN.
668 Die Friesen behaupten, so weit unsere geschichte reicht, ihren
sitz an derselben stelle, d. h. der nordwestlichen ktiste Deutschlands,
fast von der Schelde bis gegen Jütland sich erstreckend, und die nah-
gelegnen insein des meers erfüllend: der besitz kleiner eilande scheint
immer von ruhiger niederlassung auf dem festen lande abhängig, da
wo die Römer schon Friesen kannten, sah sie auch das mittelalter
und wissen wir sie noch heute, es kommt nicht vor, dasz Friesen in
andere theile Europas gezogen seien oder dasz sie auszuwandern be-
gehren ; sie bewahren ihre angestammte heimat. damit hängt auch
die zähere beschaflenheit ihrer spräche zusammen: in denkmälern aus
der mhd. und mnl. zeit erscheint sie noch mit formen, die sich den
alts. und ahd. an die seite stellen; die abgeschiedenheit des volks hat,
beinahe wie auf Island, den alten sprachstand gehegt, und man ist
zu dem schlusz berechtigt, dasz von dem mittelalter rückwärts bis zum
beginn des neunten jh., wo im lateinischen volksrecht einzelne friesi-
sche Wörter begegnen, und von da bis zur zeit der Römer in der
friesischen spräche verhältnismäszig weniger Veränderungen eingetreten
sein werden, als in jeder andern deutschen, auch in den jetzigen
friesischen dialecten dauert noch viel alterthümliches, wiewol auf den
669 westfriesischen die, niederländische, auf den ostfriesischen die nieder-
und hochdeutsche, auf den nordfriesischen die niederdeutsche und dä-
nische spräche starken einflusz geübt haben.
Die Römer nennen dies volk Frisii, Ptolemaeus schreibt CDyfoaioi,
Procop OqioGoveq, Dio Cassius 54, 32 0pQti'oioi, mlat. Fresones Fri-
sones Frisiones (so namentlich die lex); altn. wird angenommen Fri-
sir und Frisland (fornm. sög. 12, 287); ags. steht in Alfreds periplus
Frysan Frysland, Beda 3, 13 Fresones, wo auch die version Fresan
hat, Beov. 2414. 5819 cod. exon. 322, 24 der dat. pl. Frysum,
welcher auf den nom. Frysan wie Frysas gerecht wäre, Beov. 2246
Frysland, 2180 Fresena cyn, 2201 Frysna hvylc, Beov. 5826 Fresna-
land, 5002 Frescyning, cod. exon. 320, 11 Fresnacyn. die volks-
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FRIESEN
465
rechte selbst geben schwachformig Frisa oder Fresa, gen. Frisona
Fresena. ahd. aber gilt Frieson, mhd. Vriesen (gramm. 1, 163) und
auch mnl. Vriesen Vrieselant (Maerl. 3, 29. Stoke 1, 155) nnl. Vrie-
zen. dies IE scheint aber blosze brechung und kommt dadurch mit
dem I oder E in einklang, dessen kürze durch das 22 der griech.
Schreibung bestärkt wird, vielleicht wäre auch altn. richtiger zu setzen
Frisir, kaum umgekehrt im ags. Frysan oder Fresan. I scheint der
ursprüngliche laut.
Was bedeutet nun dieser volksname? an goth. friusan gelare,
ahd. friosan, nnl. vriezen ist nicht zu denken, dann hätten die Römer
geschrieben Freusii und welchen erträglichen sinn könnte diese wurzel
hier •. gewähren ? mir fiel das mlat. fresum frisium limbus fimbria ein,
das prov. frezar freisar, ital. fregiare, franz. fraiser border, friser cris-
pare, neben dem ags. frisle fresle baarlocke, engl, frizzle, insofern jene
romanischen Wörter deutscher abkunft sein und die Friesen von ihren
krausen, gelockten haaren den namen führen könnten, doch nirgend
ist von friesischer haartracht die rede, nirgend heiszen sie gleich den
Franken criniti, comati. Besser also scheint Zeusz s. 136 aus jenem
schwanken des I und EI ein starkes freisan frais frisun zu schlieszen,
von welchem dann das reduplicierende fraisan faifrais tentare weiter
entsprungen sein müste; für Frisans ergäbe sich leicht die meinung670
periclitantes, audaces. fast möchte ich in diesem sinn friesisch zu
werke gehn und auf ein noch einfacheres wort ralhen. wir sind in
manche geheimnisse unsrer spräche uneingeweiht und haben über den
Zutritt von Spiranten unmittelbar nach vocalen neues zu erforschen;
s. 431 wurde vorgetragen, wie sich S in bis und visan entfaltete,
nicht viel anders wird es in blesan pläsan aus bläjan, bläwan, ags.
blövan, oder in gras herba aus gröjan ags. grövan virere * entsprin-
gen. auf gleichem wege könnte vom goth. freis frijis über ein fris
frisis, oder frisus, frisaus, oder frisa frisins, frizva frizvins mit sehr
verwandter bedeutung geleitet und den Friesen ein auch andern Völ-
kern des alterthums, in mehr als einem ausdruck, beigelegter name
zitgesprochen werden, bedeutsam alliteriert Froncum and Frysum Beov.
5819. cod. exon. 322, 24. In einem gnomischen gedieht des cod.
exon. 339, 17 begegnet der merkwürdige sprach: leof vilcuma frysan
vife, jtonn flota stonded, bid his ceol cumen and hyre ceorl tö häm,
in den folgenden versen wird die freude des weibcs, dessen geliebter
mann (ceorl) von der seefart heimkehrt, noch mehr ausgemalt; wie
können aber die ersten worte übertragen werden: dear is the wel-
come guest to the frisian wife? es müste dann stehn: frysiscan, und
noch weniger mag Frysan für den gen. Frisonis gelten, denn was soll
hier der Friese? heiszt es aber, wie ich mutmasze, dem freien weihe,
* dasz unser gras und lat. grämen (für grasmen, wie blOma blösma) zusam-
mengehören leuchtet ein; das deutsche wort führt aber auf die wurzel, nicht das
lateinische, dessen die laulverschiebung störendes GR falsch und für HR (was kein
Römer aussprach) oder CHR eingeführt scheint.
30
466
FRIESEN
so wäre das ein glänzendes zeugnis für die angenommne bedeutung
fris oder frise — über, liberalis. doch bestehe ich nicht auf dieser,
es liegt mir daran ein adj. nachgevviesen zu haben, dessen sinn auch
ein andrer verwandter gewesen sein und sich jenem fraisan an-
schlieszen darf.
671 Caesar nennt die Friesen noch nicht, Plinius aber weisz 4, 15,
dasz hinter den Bataven und Cannenufaten auch Frisii und Frisiabones
wohnen; Tacitus, majores und minores Frisios unterscheidend, sagt:
utraeque nationes usque ad oceanum Rlieno praetexuntur, ambiuntque
immensos insuper lacus et romanis classibus navigatos. Als Drusus
die Usipeten und Sigambern bekriegt hatte, fuhr er den Rhein hinab,
überwältigte die Friesen und gelangte zur see ins land der Chauken,
wie Dio Cassius 54, 32 meldet; bald aber empörten sich die Friesen
und behaupteten ihre freiheit, wurden dann von neuem zurückgedrängt
und traten neben den Bataven unter Civilis gegen die Römer auf. Tac.
ann. 4, 72—74. 11, 19. 20. 13, 54. hist. 4, 79. Nach Ptolemaeus
scheinen sie südlich an die Bruklerer, östlich an die Chauken zu gren-
zen, vielleicht auch an die Tubanten (s. 592. 593), deren batavische
oder friesische abkunft unsicher bleibt.
Frisiabones mögen jene Frisii minores sein; nach dem Frisaevo
einer inschrift bei Gruter 532, 7 würde Frisaevones die bildung von
Ingaevones und Iscaevones haben, also auf einen stammhelden Friso
zurückleiten.
Es unterliegt keinem zweifei, dasz vom zweiten bis zum sieben-
ten jh., wo sie den Franken entgegentreten, die Friesen fortwährend
in ihrer heimat walteten, läszt sich aber, bei dem mangel an nach-
richten, nicht bestimmen, in welchem Verhältnis sie zu den benach-
barten Bataven, Chamaven, Werinen, Angeln und Sachsen standen,
oder wie sich die grenzen dieser Völkerschaften im laufe der zeit ver-
rückten. Der geogr. ravennas setzt Dorostate am nördlichen Rhein-
ufer in der Frigonum oder Frixonum patria, und noch südlicher bis in
den gau Testerbant (s. 593) reichten sie und grenzten an Flandern,
nordwärts aber wird Fositesland oder Helgoland in confmio Fresonum
et Danorum* bezeichnet; offenbar führt älteres chaukisches gebiet bald
auch den namen des friesischen, was sich noch über die älteste und
672 mittelalterliche geographie Frieslands ermitteln läszt wird uns Ilichtho-
fen aufklären; dasz es niemals ein Siatutanda gah, sondern Ptolemaeus
die worte des Tacitus (ann. 4, 73) misverstand hat Hermann Müller
zuerst gewiesen.
Nach besiegung der Friesen war Drusus ostwärts, tg ti]v Xuv-
y.idu gezogen, wo sich seitdem die römische gewalt fühlbar machte.
Tac. ann. 1, 38 redet von dort hegender römischer besatzung und
gibt 1, 60. 2, 17 an, das Chauken den Römern verbündet kriegs-
dienste leisteten; doch später traten sie wieder als feinde der Römer
* Egilssaga p. 260: Jieir koma til landamaeris par er moetiz Danmörk ok
Frtsland, ok k\gu j)ä vit land; ohne bezeichnung des orts.
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CHAUKEN
auf, und Corbulo unter kaiser Claudius war gegen sie ausgerückt. Dio
Cass. 60, 30. im batavischen kriege standen sie gleich den Friesen
gegen die Römer. Tac. hist. 4, 79. 5, 19. Strabo s. 291 von den
deutschen Völkern zwischen ocean, Ems, Weser und Lippe redend
läszt auf BQovxTtQoi Ki'/ußgoi Kavxoi folgen, Friesen nennt er
nirgends'.
Wie bei den Friesen werden auch grosze und kleine Chauken
unterschieden: visae nohis Chaucorum gentes, quae majores minores-
que appellanlur. Plin. 16, 1; beide sonderte, nach Ptolemaeus, die
Weser, jener Corbulo liesz die groszen Chauken zur ergebung auf-
fordern. Tac. ann. 11, 19. Schwerlich aber streckte sich ein theil
des chaukischen landes so weit nach Süden hin, dasz sie mit den
Chatten zusammengestoszen wären (s. 574.) Dennoch musz ihnen ein
ansehnliches gebiet zwischen Friesen und cheruskischen Völkern, von
der Ems bis zur Elbe eingeräumt werden, Tacitus sagt von ihnen
rühmend: tarn immensum terrarum spatium non tenent lantum Chauci,
sed et implent: populus inter Germanos nobilissimus, quique magnitu-
dinem suam malit justitia tueri. sine cupiditate, sine impotentia, quieti
secretique nulla provocant bella, nullis raptibus aut latrociniis populan-
tur; id praecipuum virtutis ac virium argumentum est, quod, ut supe-
riores agant, non per injurias assequuntur. prompta tarnen Omnibus
arma, ac si res poscat exercitus plurimum virorum equorumque, et
quiescentibus eadem fama. Von ihrem lande entwirft dagegen Plinius
ein düsteres aber mahlerisches bild als augenzeuge: vasto ibi meatu,
bis dierum noctiumque singularum intervallis effusus in immensum agi- 673
tur oceanus, aeternam operiens rerum naturae controversiam, dubium-
que terrae sit, an parte in maris. illic misera gens lumulos obtinet
altos aut tribunalia structa manibus ad experimenta altissimi aestus, casis
ita impositis, navigantibus similes, cum integant aquae circumdata, nau-
fragis vero, cum recesserint: fugientesque cum mari pisces circa tugu-
ria venantur. non pecudem his habere, non lade ali, ut finitimis, ne
cum feris quidem dimicare contingit omni procul abacto frutice. ulva
et palustri junco funes nectunt ad praetexenda piscibus retia. caplum-
que manibus lutum ventis magis quam sole siccanles, terra cibos et
rigentia septemtrione viscera sua urunt. potus non nisi ex imbre ser-
vato scrobibus in vestibulo domus. et hae genles si vincantur liodie
a populo roniano, servire se dicunt. ita est profecto: multis fortuna
parcit in poenam. Das ist der damals noch unurbare Strand des Har-
linger, Butjadinger und Iladeler landes mit seinen dämmen gegen die
nordsee*, den ärmlichen fischerhütten und dem lorf; heute mangelt
es da nicht an fetten wiesen und rindern, fast gemalmt die ulva an
den ags. garsecg **.
* stolzer nannten die Friesen ihren dämm einen goldnen reif (geldenne höp),
der um ganz Friesland liege.
** Haupt 1, 578. warum drückt Luther das rothe meer stets durch scliilf-
meer aus? nach ihm hat auch die litth. Übersetzung nendrü oder szwendrü mares.
/ 30*
468
CHAUKEN
Diesen Chauken legt Spartian im Did. Julian. 1 einen slreifzug
ins römische gebiet bei: Belgicam sancte et diu rexit. ibi Cauchis
Germaniae populis, qui Albim fluvium accolebant, erumpentibus resti-
tit tumultuariis auxiliis provincialium. Dem Claudian erscheinen sie als
anwohner des Rheins (Stilich. 1, 225):
ut jam trans fluvium non indignante Cauco
pascat Belga pecus.
ein andermal aber heiszt es de IV cons. Honor. 450
venit accola silvae
Bructerus hercyniae, latisque paludibus exit
Cimber, et ingentes Albim liquere Cherusci,
671 so dasz auf solche dichterische angaben gar kein gewicht zu legen
und der Chauken name seit jener erwähnung bei Spartian unter allen
lateinischen Schriftstellern wie in den annalen des mittelalters verschol-
len ist.
Er lebt aber noch in der ags. poesie. die gesänge XVI. XVII.
XXXV und XL des Beovulf berühren friesische sage von einem krieg
zwischen Dänen und Friesen, wo zwei volkssagen angeführt werden,
die sich beide auf die Chauken beziehen lassen. Hildbürh, des friesi-
schen herschers Finn Folcvaldan sunu (vgl. ags. Stammtafeln s. XII.
XIII) gemahlin heiszt 2146 Ilöces dohtor, und dieser Höc eignet sich
als ein den Friesen verwandter fürst ganz fitr den namen Chaucus,
dessen sinn ich hernach untersuche*, im cod. exon. 320, 14 wird
ferner gemeldet, dasz Hnäf über die Ilöcingas berschte, diese sind nach-
kornmen des IIöc, und derselbe Ilnäf (= altn. Hnefi, ahd. Ilnab,
Graff 4, 1126 Nebe f. Hnebe, Graff 2, 996) tritt gerade in jenen
liedern des Beovulf 2132. 2222, aber auf seite der Dänen gegen die
Friesen auf, was Verwirrung scheint, dem namen Ilöcing entspricht
der ahd. Huochingus (Pertz 2, 590.) Auszerdem nennt das Beovulf-
lied in zwei andern stellen den volksnamcn Ilugas, nemlich z. 5000
einen hehlen Däghrefn (ahd. Tachraban) Huga cempa (Hugorum heros)
und 5824 ff. ist erzählt, wie die Ilugas ein schweres geschick traf,
als die Iletvare ihren fürsten Ilygeläc erschlugen, dies wichtige Zeug-
nis wurde schon oben s. 591 ausgehoben und scheint sich viel eher
auf einen mythus, als ein geschichtliches ereignis zu beziehen, das mit
unrecht von Gregoriüs turon. daraus gebildet wurde, hier geht uns
blosz der name an, offenbar tragen die Ilugas und Ilygehic denselben;
wandeln aber die fränkischen annalisten diesen Ilygeläc oder Ilugleikr
675 in Chochilaicus, so klingen auch die Ilugas, altfränkisch Chochas ?
U-oV &,4^7 wieder an die Chauci an**.
* auch die langob. namen Hildehöc und Gudehöc bei Paulus diac. 1, 18
(im prolog des gesetzes Childehoc und Godehöc) gehören hierher; den letzten
halte ich für den burgundisclien Gundioch, Gundiac. statt Childehoc eine hs.
Scildehoc. Graff hat die ahd. namen Alphöh, Chunihöh.
** die zu beginn des eilften jh. niedergeschi'iehnen annales quedlinburgenses
nennen den fränkischen Theodorich, der mit Irminfrid und Iring zu schaffen
hatte, Hugotheodoricus (Pertz 5, 31) und gehen an: Hugotheodoricus iste dicitur,.
m
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CHAUKEN
Deutungen dieses alten volksnamens sind schon viele versucht,
der übelsten eine war von Möser 6, 78, welche aus dem ags. cvacian
tremere den begrif eines behelandes leiten und damit den namen der
stadt Quakenbrücke verbinden wollte: die bebenden, zitternden! wel-
ches volk hätte solche benennung ertragen, das römische GH in Chauci
(denn so, nicht Cauchi ist zu schreiben und Strabons Kavxoi wie des
Ptolem. Kuv/oi zu verwerfen) fordert, wie in Chatli, ags. und ahd.
H. Schriebe man nun Chauchi, so läge buchstäblich darin das goth.
hauhai, ahd. höhö, ags. heahe, fries. liäge excelsi, sublimes, und da-
bei könnte selbst Chauci bestehn, weil der inlautende consonant leicht
verändert wird, zu den freien Franken und Friesen, den berühmten
Brukterern (s. 532) stimmten ihre nachbarn, die erhabnen Chauken.
Über der Wurzel von hau!
tiuhan taub auf ein ve
auch hiuhma o/}.og
Übergang in hugs vo
die hugai fortschreiten'
has und Hugas nebeneini
ags. ö in IIöc und H
iwebt noch dunkel, liesze es sich wie
lhan hauh zurückbringen, von welchem
1 von liuhan lauh) stammte; so läge der
Lcogitare nah und von hauhai wären
auf diese weise wage ich ags. Hed-
zu stellen, Hugas wären sapientes. das
Ginnte falsche auffassung eines ahd. oder
goth. ö, ahd. uo führte auf ags.
alts. ö == goth. au _______
höc, ahd. huoh uncus^WBülfcher nichts anzufangen ist. jenes hiu-676
han könnte aber crescet^&*ä«i||^und daraus der begrif von hiuhma
menge aufsteigen, wie dBs^flraan crescere der von lauj)s ahd. liut po-
pulus, oder aus |>eihafi crescere der von f>iuda; hauhs wäre cretus
oder altus von alere, almus, sublimis. die bedeutung von hugs und
hugjan würde sich gleich der von kunnan sapere neben kuni genus
einfinden.
Haupts einfall, den namen Chauci auf jene tumuli hei Plinius zu
ziehen und a11« ahd. houc, altn. haugr tumulus, collis zu erklären
ls haltbar, einem Römer völtfei. -p. '2.
/ Vr?JLr MN
(zeitschr. 3,
möchte tumul
ren so benam
der aufgehöht
Genug d
dasz gerade d
jedes in majoi
schied ersehe
gröszere völlo
Hd(bhU
s volk hätte seine vorfah- CWAtd CU*.ck
*,lhst. haugs (oder hauhs?) von heute
auhs gehören*. CoLlei»,
cht umhin hervorzuheben,
Bructeri, Frisii und Chauci,
werden, solch ein unter-
mania nicht, obschon viel
Gothen, sollte man mei-
id est Francus,
Hugone. Bekam
tus (cappatus) ir
wählt w'urde uni
nalist auf das 1
jenen alten Huc
denbuch. 0
* auch die KavHor}voioi, Kcoyaie^vov und Caucaland mahnten mich s. 200
an unsere Chauci, und warum nicht?
Bructerus herc^pia
Cimber, et i
674 so dasz auf solche dich
und der Chaukcn name
lateinischen Schriftstellern
len ist.
Er lebt aber noch in
XXXV und XL des Beovulf-
zwischen Dänen und Fries,
die sich beide auf di
sehen herschers Finn
XIII) gemahlin heiszt 2146
CHAUKEN
Diesen Chauken legt Spartian im Did. Julian. 1 einen slreifzug
ins römische gebiet bei: Belgicam sancte et diu rexit. ibi Cauchis
Germaniae populis, qui Albim lluvium accolebant, erumpentibus resti-
tit tumultuariis auxiliis provincialium. Dem Claudian erscheinen sie als
anvvohner des Rheins (Stilich. 1, 225):
ut jam trans fluvium non indignante Cauco
pascat Belga pecus.
ein andermal aber heiszt es de IV cons. Honor. 450
venit accola silvae
latisque paludibus exit
im liquere Cherusci,
gaben gar kein gewicht zu legen
ähnung bei Spartian unter allen
annalen des mittelalters verschol-
poesie. die gesänge XVI. XVII.
friesische sage von einem krieg
ei volkssagen angeführt werden,
iehen lassen. Hiklbürh, des friesi-
fsunu (vgl. ags. Stammtafeln s. XII.
ce^ dohtor, und dieser IIöc eignet sich
als ein den Friesen verwandter fiirst ganz fiir den namen Chaucus,
dessen sinn ich hernach untersuche*, im cod. exon. 320, 14 wird
o-
ferner gemeld
kommen des
Graff 4, 112
liedern des B
Friesen auf,
der ahd. Huo
lied in zwei
einen hehlen
und 5824 ff. __________
als die Hetvar (_,-----
nis wurde sch
auf einen myt
unrecht von (
blosz der nam
wandeln aber
675 in Chochilaictio, „v,
wieder an die Chauci an**.
berschte, diese sind nacli-
= altn. Ilnefi, ahd. Hnab,
)6) tritt gerade in jenen
seite der Dänen gegen die
i namen Höcing entspricht
cerdem nennt das Beovulf-
Ilugas, nemlich z. 5000
,a cempa (Hugorum heros)
in schweres geschick traf,
ugen. dies wichtige zeug-
und scheint sich viel eher
'eignis zu beziehen, das mit
det wurde, hier geht uns
;as und Hygeläc denselben;
:scn Ilygeläc oder Ilugleikr
ras, altfränkisch Chochas ?
* auch die langob. namen Hildehöc und Gudehöc bei Paulus diac. 1, 18
(im prolog des gesetzes Cliildehoc und Godehöc) gehören hierher; den letzten
halte ich für den burgundischen Gundioch, Gundiac. statt Childehoc eine lis.
Scildehoc. Graff hat die ahd. namen Alphöh, Chunihöh.
** die zu beginn des eilften jh. niedergeschriebnen annales quedlinburgcnses
nennen den fränkischen Theodorich, der mit Irminfrid und Iring zu schaffen
hatte, Hugotheodoricus (Pertz 5, 31) und geben an: Hugotheodoricus iste dicitur,.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
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Deutungen dieses alten volksnaraens sind schon viele versucht,
der übelsten eine war von Möser 6, 78, welche aus dem ags. cvacian
tremere den begrif eines bebelandes leiten und damit den namen der
stadt Quakenbrücke verbinden wollte: die bebenden, zitternden! wel-
ches volk hätte solche benennung ertragen, das römische CH in Chauci
(denn so, nicht Cauchi ist zu schreiben und Strabons Kavxoi wie des
Ptolem. Kav/oi zu verwerfen) fordert, wie in Chatli, ags. und ahd.
II. Schriebe man nun Chauchi, so läge buchstäblich darin das goth.
hauhai, ahd. hohö, ags. heähe, fries. häge excelsi, sublimes, und da- ' J
bei könnte selbst Chauci bestehn, weil der inlautende consonant leicht
verändert wird, zu den freien Franken und Friesen, den berühmten
Brukterern (s. 532) stimmten ihre nachbarn, die erhabnen Chauken.
Über der wurzel von hauhs schwebt noch dunkel, liesze es sich wie
tiuhan taub auf ein verlornes hiuhan hauh zurückbringen, von welchem
auch hiuhma o/Xog (wie liuhma von liuhan lauh) stammte; so läge der
Übergang in hugs vovg, hugjan cogitare nah und von hauhai wären
die hugai fortschreitender ablaut. auf diese weise wage ich ags. Heä-
has und Ilugas nebeneinander zu stellen, Hugas wären sapientes. das
ags. ö in Hoc und Höcingas könnte falsche auffassung eines ahd. oder
alts. ö = goth. au sein, denn ö = goth. 6 , ahd. uo führte auf ags.
hoc, ahd. huoh uncus, womit hier nichts anzufangen ist. jenes hiu-676
han könnte aber crescere bedeuten und daraus der begrif von hiuhma
menge aufsteigen, wie aus liudan crescere der von laujos ahd. liut po-
pulus, oder aus faeihan crescere der von [)iuda; hauhs wäre cretus
oder altus von alere, almus, sublimis. die bedeutung von hugs und
hugjan würde sich gleich der von kunnan sapere neben kuni genus
einfinden.
Haupts einfall, den namen Chauci auf jene tumuli bei Plinius zu
ziehen und aus ahd. houc, altn. haugr tumulus, collis zu erklären
(zeilschr. 3, 189), scheint mir sinnreicher als haltbar, einem Römer VöUfelL ?. • z.
möchte tumulati in sinn gekommen sein, das volk hätte seine Vorfall- Üeötaf cuxtk
ren so benannt (altn. heygdar), nicht sich selbst, liaugs (oder hauhs?) von Ivane
der aufgehöhte hügel wird aber zu jenem hauhs gehören*. tollt»,
Genug dieser elymologien; ich kann nicht umhin hervorzuheben,
dasz gerade drei sich nahgelegne Völker, die Bructeri, Frisii und Chauci,
jedes in majores und minores unterschieden werden, solch ein unter-
schied erscheint sonst in der gesamten Germania nicht, obschon viel
gröszere Völkerschaften, z. b. Sueven oder Gothen, sollte man mei-
id est Francus, quia olim omnes Franci Hugones vocabantur a suo quodam duce
Hugone. Bekanntlich liieszen spätere Frankenkönige Capetinge nach Hugo Cape-
tus (cappatus) mlul. Hugschapler (von schapel corona, pileus), der im j. 987 er-
wählt wurde und solin Hugo des groszen war, und diese namen scheint der an-
nalist auf das fränkische volk zu übertragen, kaum ist hier Zusammenhang mit
jenen alten Hugen, sicher aber die älteste spur des Hugdieterichs im hel-
denbuch. o
* auch die Kavxorjvaioi, Kioyaie^vov und Caucaland mahnten mich s. 200
an unsere Chauci, und warum nicht?
TFT1
rburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
470
FRIESEN. CHAUKEN
nen, eher anlasz dazu gegeben haben müsten*. es wird also eine
dem beobachtenden äuge der Römer unentgangne wirkliche eigenheit
dieser nordwestlichen Germanen im spiel sein, lind ich bekenne, dasz
sie mich geneigt machen könnte, die Brukterer eben darum dem frie-
sischchaukischen stamme beizuzählen und von den fränkischen Deut-
schen zu trennen, worüber jedoch die uns abgehendc kenntnis der
brukterischen spräche zu entscheiden hätte. Was sind nun diese ma-
jores und minores oder nach dem griechischen ausdruck /utiCorec; und
iläxTOvtg'l es erhellt, dasz beide nicht untereinander wohnten, wie
677 die sonst bei germanischen Völkern unterschiednen uqwtoi und xara-
dttOTiQoi, optimates, mediocres und minores, dasz sie also keine ab-
stufung des Standes bezeichneten, sondern räumlich getrennt waren.
Ptolemaeus stellt die kleinen Rauchen bis zur Weser, die groszen bis
zur Elbe, Tacitus ann. 11, 19 scheint aber die den Friesen benach-
barten westlichen Chauken majores zu nennen, was auch richtiger ist;
hernach macht Ptolemaeus die kleinen Rauchen zu nachbarn der
groszen Busakterer, die groszen Rauchen zu nachbarn der Angrivarier.
Angrivarier fallen in die Wesergegend (s. 618), Brukterer weisz ich frei-
lich nicht gegen die Elbe auszudehnen; nach Ptolemaeus ist es die Ems,
welche kleine von den groszen trennt, nach dem späteren Borahtra-
gau an der Lippe (s. 531) schiene dieser flusz die scheide. Wie es
darum stehe, man sieht, dasz majores und minores örtlich durch
flüsse gesondert wurden und nach dem friesischen volksrecht bildete
gleichfalls Laubach, Weser und Sincfal eine politisch wichtige landes-
theilung**. alles zeugt von altem ruhigem besitz des bodens im nord-
westen Deutschlands, wie er hei den niederlassungen der übrigen,
bewegteren Völker nicht in gleichem masze Vorkommen mochte, zwar
finden sich überall nachher einzelne dörfer durch den beisatz groszen
und kleinen unterschieden, wie es die erste gründung eines orts und
der spätere anbau eines zweiten gleichnamigen mit sich brachte, doch
vielleicht nirgend häufiger als in Friesland***. Fresia minor hat auch
noch Saxo gramm. ed. Müll. p. 10 und 688. Die kleinen Friesen
678Chauken und Brukterer wird man also für solche halten dürfen, die
nach der ersten niederlassung des volks sich über einen flusz hinaus
* Ptolemaeus, so viel ich weisz, sondert unter allen Völkern Europas oder
Asiens keine fiei^oves und fuxqol auszer den Rauchen und Busakterern.
** Gaupp in seiner Vorrede zur lex Frision. s. XVII hält das land zwischen
Fli und Laubach für das friesische normalland, und bezeichnet in seinem recht
der alten Sachsen s. 49 die östlichen Friesen zwischen Laubach und Weser als
hervorgegangen aus den kleinen Chauken, während die groszen Chauken haupt-
bestand der Sachsen seien, ich kenne keinen beweis für diese ansicht; zulässi-
ger wäre, Friesen und Chauken überhaupt für ein und dasselbe volk unter ver-
schiednem namen zu nehmen, so dasz grosze und kleine Friesen mit groszen und
kleinen Chauken zusammenfielen, die Sachsen aber müssen von ihnen beiden ge-
trennt bleiben.
*** vgl. minor und major Harxstede, minor und major Mctna, Phalrcn major
und minor, Borsum major und minor in einem alten register bei Ledeburs mün-
sterschen gauen s. 105. 106. 111.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
FRIESEN. CHÄUKEN
471
verbreiteten und zwar noch im bund mit den groszen für sich selbst
einen eignen verein nach besondrer Verfassung bildeten, man kann
der eintheilung vergleichen das was anderwärts durch ost und west
(s. 442) oder in Friesland selbst durch üp und üt (Uphriustri Ulhriu-
slri, gramin. 1, 419) bezeichnet wurde.
Nach allem diesem stellen sich Friesen und Chauken nur als nah-
verwandte zweige desselben volkschlags dar, als der südwestliche und
nordöstliche, und man begreift, warum der chaukische name allmälich
ganz erlosch. Ostfriesen und Nordfriesen scheinen mir nachkömmhnge
der alten Chauken, Westfriesen die der eigentlichen Friesen, wohn-
ten die Chauken an der meeresküste, so müssen sie nothwendig die
striche inne gehabt haben, auf welche nachher auch der friesische
name erstreckt wurde, vernichtet worden sein kann der mächtige
chaukische stamm nicht: er wechselte blosz die benennung.
Es verdient gewis aufmerksamkeit, dasz in den geretteten Über-
bleibseln epischer poesie neben andern nordöstlichen deutschen Völkern
auch die Friesen und Chauken vortauchen, während die inneren Deut-
schen, zumal Sachsen und Schwaben darin keine rolle spielen. Frisan,
Hugas und Höcingas greifen noch ein in die von den Angelsachsen
aus ihrer lieimat mitgenommnen Überlieferungen, Francan und Hetvare
werden mit eingeflochten; auch bei Vidsid dem Wanderer sind alle
diese unvergessen. In der weit jüngern fassung des Gudrunliedes ist
auszer Tenelant Selant, Sturmlant (s. 637) Dietmers (s. 639) Holzäze-
lant (s. 633) eben wieder Friesland wahrzunehmen, andere entstellte
ländernamen würden uns aus einer älteren gestalt des epos deutlich
entgegentreten und immer in dieselben gegenden der nordwestlichen
küste versetzen, was ich über Mateläne, der Hegelingc sitz gerathen
habe (bei Haupt 2, 3) zeigt auf die Vechte im Münsterland, möglicher-
weise altchaukisches gebiet, und wie, wenn die mythischen Ilegelinge679
doch Höcingas oder Chauken wären?
Das Gudrunlied gibt dem Herwig von Seeland seeblätter als Zei-
chen in die fahne, wie die Friesen sieben seeblätter im Schilde führ-
ten: es ist die Wasserlilie, der heilige lotus (mythol. s. 620.) man
weisz, dasz die Friesen früh auf kräuter und blumen achteten, den
Römern wiesen sie die auf ihren insein wachsende herba britannica
(mythol. s. 1147.)
Zwischen Friesland und der gegenüber liegenden britannischen küste
musz uralter verkehr vorausgesetzt werden, lange bevor die Sachsen
und Angeln sich Britanniens bemächtigten, und wahrscheinlich waren
im geleite der Angeln und Jüten auch friesische genossen, auffällt,
dasz im Beovulf 2159. 2175. 2186. 2248 Ilengest, ein führer der
Dänen (Jüten) den Friesen gegenüber auftritt; er könnte sich mit dem
berühmten Ilengest vermischen? jüngere uncritische nachrichten lassen
Hengist und Horsa aus Friesland nach Britannien ausziehen*; ich weisz
van der Bergh ncderl. volksoverleveringen s. 43. 137.
1^.
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—
472
FRESEN
nicht, ob Maerlant 3, 29 aus Vincentius schöpft, wenn er Engistus
einen Vriesen und Sachsen nennt.
Bei Procop 4, 20 wohnen auf einer insei des oceans, die er
Brittia nennt und von Britannien unterscheidet, unter fränkischer ober-
herschaft Ayyikoi, OQiaowvtq und BQurwvtg zusammen; was er
unter dieser insei meine- ist schwer zu bestimmen, aber die Verknü-
pfung der drei Völker auf allen fall ein zeugnis für das enge berüh-
ren der Angeln mit den Friesen zur zeit des fünften, sechsten jh.
Plinius rechnet die Chaucorum gentes, gleich Kimbern und Teu-
tonen zu den Ingaevonen, und -ich sehe keinen grund sie mit Müllen-
hoff s. 129 für iscaevonisch zu nehmen; ihre läge und spräche stellt
sie dem sächsischen stamme ungleich näher als dem fränkischen. Chau-
ken wie Friesen scheinen sich leichter unter die römische macht ge-
beugt zu haben als Cherusken, und gegen diese in der schiacht (Tac.
ann. 2, 17) standen auch chaukische helfer. doch ergriffen beide
680 stamme jede gelegenheit um sich zu empören und die verlorne frei-
heit herzustellen, von Cherusken, Kimbern, Teutonen werden sie, aller
berührung ungeachtet schon zur römischen zeit abgestanden haben,
wie noch heutzutage Holsteiner und Dietmarsen abstehn von ihren nord-
friesischen nachharn.
Die friesische spräche hält eine mitte zwischen angelsächsischer
und altnordischer, wobei ihr besondrer anschlusz an den anglischen
oder nordenglischen dialect, so weit wir von diesem urtheilen kön-
nen, nicht zu übersehn ist (s. 665.)
Den friesischen vocalismus würden uns ältere Sprachdenkmale rei-
ner lehren, ähnlich dem ags. ä pflegt e an des a stelle zu treten,
aber in allen flexionen zu beharren, ohne die schöne rückkehr des a
in einzelnen ags. endungen; es heiszt dei deis, pl. degar dega degum
statt des ags. däg däges, dagas daga dagum. die diphthonge erschei-
nen meist verengt und zumal fallen in 6 und ä viele laute zusammen,
die im ahd. und golh. geschieden sind, wenn häch und däch für
goth. hauhs daug, ahd. höh touc, ags. heäh deäh stehn; so läszt die
röm. Schreibung Chaucus noch ahnen, dasz damals der unverengte laut
dem gothischen gleichkam.
Die consonanten stehn überhaupt auf ags. fusz; eine auffallende
abweichung, das SZ für K und G wurde schon s. 388 hervorgelio-
ben. wahrscheinlich ist aber auch sie erst erzeugnis späterer Zeiten.
In der flexion männlicher subst. ist das ags. -as schon in -ar
übergegangen und dadurch dem alln. gleich geworden, doch zeigen
es nicht die weiblichen. Die schwache flexion legt wie jene anglische
(s. 665) und die altn. das oblique N ah. der dat. pl. aller starken
und schwachen suhst. hält das alte -um fest, wogegen die adjectivi-
schen dative pl. gleich dem artikel thä (goth. |>aim, ahd. dem) bloszes
-ä zu haben pflegen. In den gen. pl. starker masc. dringt wie im
anglischen gern die schwache form, z. b. degana dierum f. dega.
Alle infinitive zeigen, gleich den anglischen und nordischen bloszes
-a, doch die pl. praes. -on, die part. praes. -en. die gerundialform
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FRIESEN
-ande (für -anne) fällt zusammen mit dem pari, praes. Den pl. praes. 681
ind. bilden alle drei personell auf -th oder -ath.
Auch in dem wortvorrath schlieszt sich die friesische spräche
zunächst an die ags., und viele sonst ungewöhnliche ausdrücke sind
beiden gemein, z. b. scenia frangere, ags. scaenan; filmene membrana,
squama, ags. filmen, engl, film; brein cerebrum ags. bregen; spßdel
sputum ags. spädl; döne deorsum ags. dune; pli periculum ags. pleoh;
fethe amita ags. fadu; höp circulus ags. höp, mnl. hoep; stitli firmus
rigidus ags. stid; bräs aes ags. braes. Andere stimmen zu altn. und
nl. Wörtern: hfili cerebrum altn. heili*; ili planta pedis altn. il; liana
socius altn. lioni; lana callis nnl. laan, engl, lane; mitsa attendere,
nnl. mikken. hoxene poples ist ahd. hahsina von halisa, mhd. hahse,
was genau das lat. coxa. merkwürdig begegnet logia nubere dem
goth. liugan. manche sind eigen, wie muka culmus, fuke rete, bunke
os ossis; bant und Burchana oben s. 594, man möchte an das ags.
byrgene sepulorum denken, da im alterthum auf insein begraben wurde
(mylliol. s. 792.)
* diesem hßli, heili gleicht das lat. coelum und gr. aoilrj xoiXla, weil him-
mel und hirnschädel gewölbt erscheinen, und nach der edda der himmel aus des
riesen schädel, die wölken aus seinem birn geschaffen wurden (mythol. s. 526.
531. 533.)
F
XXY.
LANGOBARDEN UND BURGUNDER
682 Uiese Leiden Völker, welchen es schwer ist eine andere stelle
anzuweisen, fasse ich zusammen, da sie miteinander gemein haben,
dasz sie aus dem norden in den Süden vorgedrungen hier allmälich
ihrer deutschhcit verlustig giengen. sie erreichten keine küste, kein
eiland, wo sich ihre eigne, angestammte art hätte erhalten können.
Langobarden nennt uns zuerst Strabo s. 290 neben Hermundu-
ren, beide als einen theil des groszen suevischen volks und jenseits
der Elbe, d. h. auf der linken seite des Stroms wohnhaft, musz man '
nun die Hermunduren der mittleren Elhgegend überweisen, so bleibt
für die Langobarden die niedere. Plinius und Dio geschweigen ihrer.
Tacitus, nachdem er die Semnonen als hauptvolk der Sueven geschil-
dert und ihre ansehnliche macht hervorgehoben hat, fährt cap. 40 fort:
contra Langobardos paucitas nobilitat; plurimis ac valentissimis natio-
nibus cincli non per obsequium, sed proeliis et periclitando tuti sunt,
gegenüber im osten müssen ihnen Semnonen und vielleicht noch an-
dere nordöstliche Sueven, im Süden Hermunduren, im westen Cherus-
ken, im norden Ilaruden und Chauken gesessen haben. Vellejus 2,
106 Tibers Leerzug in Germanien vom j. 5 berichtend stellt sie auch
gleich unmittelbar nach den Chauken: receptae Chaucorum nationes.
683 omnis eorum juvenlas infinita numero, immensa corporibus, situ loco-
rum tutissima traditis armis . . . ante imperatoris tribunal. fracti
Langobardi, gens eliam germana feritate ferocior. denique, quod nun-
quam antea spe conceptum, nedum opere tentatum erat, ad quadrin-
gentesimum milliarium a Rheno usque ad Humen Albim, qui Semno-
num Hermundurorumque fmes praeterfluit, romanus cum signis perdu-
ctus exercitus. wie natürlicher klingen des Tacitus Worte als diese
prahlerei, aber die folge der Chauken Langobarden Semnonen und Her-
munduren stimmt zur mitgetlieilten angabe. ann. 2, 45 wird erzählt,
dasz suevische, vorher dem Maroboduus gehörige Völker, Semnonen |
und Langobarden zu Arminius übertraten und Cherusken mit Lango-
barden für die freiheit kämpften; 11, 17 dasz später, als Italicus von
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LANGOBARDEN
den Cherusken vertrieben war, die Langobarden dessen herstellung be-
wirkten. Mit diesem Wohnsitz der Langobarden an der untern Elbe
trift nun auch vollkommen überein die läge des Bardangä (Barden-
gauwi Pertz 1, 184) im Lüneburgischen, dessen name wie der des
fleckens Bardanwic zugleich für die Barden d. i. Langobarden zeugt.
Diesen stand der dinge verdirbt nun Ptolemaeus durch seine ganz
unhaltbare Vorstellung, nach welcher die 2ovrjßoi AayyoßaQSoi zwi-
schen Sigambern und Tenclerer, also westwärts gegen den Rhein ge-
setzt werden, hernach aber auch bei ihm in ihrer rechten läge an der
Elbe neben Angrivariern und Dulgumniern erscheinen, wie vertrüge
sich diese ausdehnung zu der langobardischen paucilas bei Tacitus?
und wie sollen Langobarden zwischen Weser und Rhein platz gefun-
den haben, wo alles mit andern Völkerschaften besetzt, keine spur von
ihnen ist?
Ich beklage, dasz Zeusz s. 94. 95. 109—111 sich auf diesen
misgrif eingelassen, einen nichtssagenden, grundlosen unterschied zwi-
schen Langobarden und Lakkobarden des Ptolemaeus angenommen, und
nun den Langobarden als Westsueven eine solche erweiterung gege- Qr22S
ben hat, dasz sie sogar die Chatten und Hermunduren unter sich be- >
greifen sollen, jene nachbarn der Sigambern und Tenkterer lassen sich
nicht einmal als Chatten auffassen, da Ptolemaeus die Chatten an an-684
derm orte, nämlich zwischen Chamaven und Tubanten ausdrücklich
nennt. Es ist also auf diese westlichen Langobarden des Ptolemaeus
kein gewicht zu legen, sondern hei den östlichen, deren läge er rich-
tiger beschreibt, allein zu verharren. Die frage, ob Langobarden über-
haupt suevischer abkunft waren, will ich im verfolg zu beantwor-
ten suchen.
Nicht anders musz auch die alte und verbreitete sage von abkunft
der Langobarden aus Scandinavien abgelehnt werden, sie sind eben-
sowenig aus der nordischen insei herangefahren, als die Gothen, und
ebensowenig zu schiffe angelangt als die Sachsen. Bei andrer gele-
genheit werde ich ausführlicher die mythen zusammenstellen und er-
örtern, die sich mehrfach über die auswandcrung einzelner Stämme
erzeugten, und deren Ursache bald in eingetretne Überschwemmung des
meers, bald in ausgebrochne hungersnoth gesetzt zu werden pflegt.
Giengen schon von der kimbrischen sinflut uralte erzählungen (s. 635),
so erneuerten sie sich im verfolg der zeit und wurden auf andre Ger-
manen, und von der halbinsel auf insein übertragen. Paulus läszt die
Langobarden, man ahnt nicht in welcher zeit, unter dem namen Wi-
niler, als dritten theil der durch das losz bestimmten bewohner des
eilands Scandinavien ausziehen und zuerst nach dem lande Scojiingen
gelangen. Doch schon lange vor ihm berichtete Prosper von Aquita-
nien zum j. 379: Langobardi ab extremis Germaniae finibus, oceani-
que protinus littore, Scandiaque insula magna egressi, et novarum se-
dium avidi, Iborea (? Iboreo) et Ajone ducibus Vandalos primum vice-
runt; vielleicht ist hier von Scandiaque an interpolation, da der aus-
gang von der äuszersten küste Germaniens am ocean durch den aus
476
LANGOBARDEN
der insei selbst wieder aufgehoben wird. Der anonymus Langobardus
in Ritters vorrede zum cod. theod. läszt sie an einem amnis vindeli-
cus hausen und fügt hinzu: poslquam de eadem ripa Langobardi exie-
runt, sic Scatenauge Albiae fluvii ripa primi novam habitalionem po-
suerunt; ihm sind sie von der kitste des oceans (denn amnis vindeli-
685 cus kann das Wendilmeer, vielleicht auch Vendsyssel in Jütland, bei
Saxo Wendala bezeichnen) ausgewandert und dann erst in Scatenauge
an der Elbe niedergesessen; er meint Scandien nicht im ocean, an
der Elbe gelegen. Hier wie bei Prosper bricht die wahre heimat der
Langobarden an der Niederelbe immer durch, nur dasz sich das sagen-
hafte Scandinavien einmengt. Mit dem namen Vindili müssen aber
dennoch, meinen zweifeln s. 476 zum trotz, auch die Winili des Pau-
lus Zusammenhängen; Vindili ==» Vandali (s. 475) sind abart, neben-
stamm der Vandali, welche er als nachbarn und feinde der Vinili auf-
führt: zwischen beiden stammen desselben volles war zwist und krieg
ausgebrochen, zu Prospers Iboreus und Ajo stimmt des Paulus lbor
und Ayo, des Saxo gramm. Ebbo und Aggo; lbor ist nichts als ahd.
Epur, ags. Eofor, altn. Iöfur, d. h. eber, doch frühe schon auf bei-
den angewandt, ihrer mutter, der weisen Gambara name, den Saxo
in Gambaruc entstellt, mahnt an Gambar sagax (s. 525.) Dürfte man
Scoringa in Sceringa Sciringa ändern und auf die Skiren (s. 465 ff.)
deuten? in Ohderes periplus wird auf Halgoland ein hafen Sciringes-
heal genannt, Scoringa war aber auf dem festen land gelegen; Saxo
hat an dessen stelle Blekingia.
Bei Saxo wird die auswanderung in das gebiet des völlig mythi-
schen königs Snio versetzt, der in altn. sagen Snaer hinn gamli heiszt
und dreihundert jahre lang gelebt haben soll, wie sein eigner name
schnee bedeutet, war der seines vaters Frosli, seines sohnes Thorri
(s. 93); die töchter hieszen Fönn, Drifa, Miöl (mythol. s. 598.) an
eines solchen wesens zeit läszt sich der langobardische ausgang auf
keine weise historisch knüpfen und die sage wird dadurch desto sich-
rer auf mythische grundlagen zurückgewiesen.
Solche mythen entsponnen sich, als die Langobarden ihre nieder-
elbische heimat verlieszen und sich gegen Süden wandten; die sage
strebte ihren ausgangspunct noch weiter rückwärts nach dem norden
zu verlegen, dies musz der critik mit dem fmger zeigen, auf welche
weise sie die Überlieferungen von der Sachsen und Gothen erster an-
686kunft zu behandeln habe, auch hier scheint der mythus erst aufge-
stiegen, als der eingewanderten Sieger rühm Britannien und Welsch-
land erfüllt hatte.
Im lauf des vierten jh. mag der Langobarden auswanderung be-
gonnen haben, von jenem Scoringa zogen sie nach Mauringa, das der
ravenn. geograph noch im osten der Elbe findet. Saxo läszt sie Ble-
kingen und Moringen vorüberschiffen, bevor sie Gutland erreichten,
doch bei Paulus wird von Scoringa aus der ganze zug stets zu lande ,
vollbracht, und nach Mauringa Golanda besetzt, wofür sich die bessere
Variante Rugulandia darbietet. Hierauf, immer noch zu Ibors und
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LANGOBARDEN
477
Ajons lebzeiten, nahmen die Langobarden drei gebiete Anthaib, Banthaib
und Wurgondaib (cod. ambr. Vurconthaib) ein, in welchen sich das
nemliche aib oder aiba erkennen läszt, das auch im ahd. Wetareiba,
Wingarteibe und Toringeiba (wenn ich so Toringuba bei Pertz 1, 455
richtig ändere) waltet, vgl. RA. s. 496 und Wungardiweiba bei Graff
4, 251. in Bantaiba und Wurgondaiba f. Burgondaiba läge leicht das
s. 593. 594 verhandelte bant und der volksname Burgunden. Nach
langen abenteuern, die das volk der Langobarden im lande der Ama-
zonen* und Bulgaren, dann mit Rugiern, Herulern, Gepiden**, Ava-
ren, Hünen und Gothen zu bestehn hatte, immer gegen Süden vor-
dringend, fand dasselbe bleibendere statten in Pannonien und von da
zuletzt in Italien, wo es unter Alboin, in der reihe seiner konige
schon dem eilften einzog und ein königreich gründete, welchem die
dauer von zwei Jahrhunderten (568— 774) beschieden war, bis es
den Franken unterworfen wurde, doch erhielt sich lange und sogar
heute noch, mit dem namen Lombardia, der unvertilgbare eindruck
mancher langobardischen eigenheit.
Kaum ein andres deutsches volk hat eine so frische und leben-687
dige sage behalten wie das langobardische und Paulus diaconus Warne-
frieds sohn, dem wir die aufzeichnung des besten danken, würde mit
leichter mühe noch viel reicheres haben sammeln können; es läszt sich
nachweisen, dasz er schon einzelne ziige verschmähte, die seinem ge-
schmack nicht mehr zusagten. In den prolog der von könig Rothari
gesammelten langobardischen gesetze ist eine merkwürdige Stammtafel
seiner Vorfahren aufgenommen worden, die sich groszenlhcils schon
aus des Paulus werk ergehen und begreiflich weit über die zeit ihres
einzugs in Italien, doch nicht bis auf Ibor und Ajo zurück reichen, da
erst mit Agilmund oder Agimund, Ajons sohne die reihe der könige
beginnt, von Ajo bis Alboin erfolgen also zwölf gehurten, die drei
auf ein jh. gerechnet*** deren vier ausfüllen, was zur bestätigung der
annahme Prospers von der zeit, in welcher ihr ausgang begann, die-
nen wird. Bis über die mitte des vierten jh. hinaus müssen demnach
die Langobarden in der gegend, wo sie von den Römern wahrgenom-
men wurden und wohin sie vor undenklicher zeit aus osten, nicht aus
norden eingewandert waren, beharrt und mit andern nordöstlichen
Deutschen, namentlich Sachsen, Angeln und den auf dem rechten ufer
der Elbe bausenden Stämmen in gemeinschaft gestanden haben. In
dieser Beziehung darf nicht übersehn werden, dasz ein berühmter epo-
nymus der anglischen sage, Sceäf (ahd. Scoup), der auf dem schaub
* die sich wenigstens Paulus noch innerhalb Germanien dachte, denn er ver-
sichert: nam et ego referri a quibusdam audivi, usque hodie in intimis Germa-
niae finibus gentem harum existere feminarum.
** das etym. magn. 230, 20 hat sogar rfaaiSes ol leyö/usvoc Aoyylßag-
Soi, und läszt dann die schon oben s. 463 ausgehobne etymologie folgen.
*** bei Ajo dem ersten wird ausdrücklich gesagt: hic sicut a majoribus tradi-
tur, tribus et triginta annis Langobardorum tenuit regnum. das ist die nor-
malzahl.
mmmim
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LANGOBARDEN
478
schlafend den Angeln im schif zugeführt wurde, hei Vidsid 320, 21
Sceäfa, und herscher über die Langobarden heiszt. in jenen Stamm-
tafeln, denen er vorausgeht, ist er natürlich nicht zu erwarten.
Agilmundus, folglich auch Ajo heiszt bei Paulus 1, 14 ex prosa-
pia ducens originem Guningorum, quae apud eos generosior habebatur.
Hpir <*, £45'. 688 im prolog steht aber Gugingus oder Gugincus (Diut. 2, 356) und die
I ) guten hss. des Paulus geben Gungingorum *, was wieder einen Gung
voraussetzt und an den eddischen namen des göttlichen speers Güngnir
(mythol. s. 134), welcher sieg verlieh und alle, über die er gewor-
fen wurde, dem lode weihte, war er von Wodan einmal dem ahn-
herrn der Guginge verliehen worden? güngnir oder gugnir soll nach
Biörn bedeuten violentus domitor, das schwed. gunga sagt aus oscil-
lari, ein ahd. gingan appetere, desiderare, gingo appetitus und gun-
gida cunctatio (Graff 4, 218.)
Von Leth dem dritten könig, bei Paulus 1, 18 besser Lethu,
entsprangen die Lithinge: Lithingi, quaedam nobilis prosapia (Haupt
1, 555.) das goth. lifms ahd. lid bedeutet articulus, membrum; ich
wage daran keine weitere erklärung zu knüpfen, und werde nachher
noch einige andere namen dieser genealogie hervorheben.
Wie steht es um den der Langobarden seihst? Paulus 1, 8 be-
richtet den schönen mythus, wie dieser name den Winden von Wo-
dan selbst verliehen worden sei und im prolog des gesetzes ist es
noch mit näheren umständen erzählt (Haupt 5, 2.) dazu musz man
nehmen, dasz der nordische Odinn seihst den beinamen Längbardr**
führt, wie er Sidskeggr und Ilärbardr heiszt (mythol. s. 124. 905);
seinen günstlingen durfte aber der gott namen, wie vielleicht den sieg-
speer, geliehen haben. Lancpart ist auch sonst ahd. mannsname
(Schannat n° 427), wobei nicht nothwendig an einen Langobarden
braucht gedacht zu werden. Ich habe nichts dawider, dasz man die
bei diesem volk übliche bartlracht zum anlasz der Benennung mache ***,
689 ohne dabei auf das chatlische ‘crinem barbamque suhmittere’ zu sehn
(woraus Zeusz s. 94 seine identität der Chatten und Langobarden er-
weisen will), weil ja die Chatten hart und haar schoren, so bald sie
* Waitz deutsche verf. gesch. 1, 164.
** wer sind aber die Längbarz lidar, deren prächtiger aufzug Sann. 233b ge-
schildert wird?
*** hier verdient eine im etym. magn. s. v. ysvetov aufbehaltne sage anfiili-
rung 225, 45: k'd'vos yuq eixooi xai nevrs yihiäbcov enekd'ov naqsxäd'ero
roXs PauaioLS. ixeXvoi oe oXiyov ovres, avoi^avres srt’oas nv/.as, tfnoov
ras oxhaßrjvias. eri Ss oi oxhxßoi, o).iyoi ovzss, tcpeoov ras yvvaTxas
avrcöv v.ai TteQid'efievoi avraXs o/rj/ua avSotXov xai yeveiaSas
tSovrss §e ro nXrjd'os ra sd'vrj, rjQcbrcov rovs Po)uaiovs, rives eiolv ovroi;
xai ekeyov sJoyyißaoSoi, rovreari ßad'eXav imrjvrjv xai /uaxoap eyovres. Dem
Griechen musz jener mythus zu ohren gekommen sein und er wendet ihn auf die
Römer an. oxhxßoi sind knechte, servi, ital. schiavi, die damals schon der name
der Slaven bezeichnete. axlaßr]via mag entweder speer, jaculum levius (Du-
cange s. v.) oder die masse der knechte bedeuten. Wodans frage an Frea ist
hier an die Römer gerichtet.
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^ ^ A' jjft1 ^ ^ A'Al;
LANGOBARDEN
männlich auftreten konnten. Andere wollen an ahd. parta ascia den-
ken und den Langobarden diese wafle beilegen, über deren gebrauch
sonst nichts erhellt; unter den eddischen schwertnamen Sn. 214 a steht
allerdings Längbardr, zu erwägen aber bleibt, dasz für Langobarden
auch das einfache Barden gilt, nicht nur im lat. gedieht bei Paulus
3, 19 wo die zusammengesetzte form im vers unbequem gewesen
wäre*, und bei Helmold 1, 26, sondern auch in den Ortsnamen Bar-
dangä und Bardanwic (s. 683); noch mehr aber, in den ags. liedern
erscheint neben Longbeardan cod. exon. 320, 21. 323, 18 zugleich
der volksname Headobeardan cod. exon. 321, 21. Beov. 4060. 4070.
heado, ahd. hadu bedeutet bellum, pugna und zeigt sich in vielen
compositis (gramm. 2, 460), Headobeardan sind also was Helmold
Bardi bellicosissimi bezeichnet; soll auch hier die bedeutung des hartes
festgehalten werden?
Das langobardische reich während seines bestands in Italien und
nach ihrer bekehrung hätte ersprieszliche Sprachdenkmäler zu tage
fördern können, zu einer zeit, in welcher die Gothen schon durch 4J
Verdeutschung der heiligen schrift vorangegangen waren und die ags.
und ahd. literatur zu erwachen begannen, es ist aber gar nichts
langobardisches vorhanden und auch keine spur da, dasz es unterge-^
gangen sei. wir müssen also die wichtige frage, in welchem Verhält-
nis die langobardische spräche zu den übrigen deutschen gestanden 690
habe, lediglich aus den Wörtern, die in den lat. gesetzen, bei Paulus
und in urkunden Vorkommen, zu beantworten suchen, jene techni-
schen rechtsausdrücke, von welchen es schon alte, aber dürre, unver-
ständige Verzeichnisse in hss. gibt**, erscheinen fast so verderbt wie
die malbergischen glossen; das meiste andere sind eigennamen, die
ich freilich nicht erschöpfend sammeln konnte.
. Der langobardische vocalismus hat fast alles gemein mit dem ahd.
kurzes A in lama piscina; fara generalio; bandum vexillum; arga me-
ticulosus; Wacho; gastaldius; ans in den Zusammensetzungen Ansfrit
Anspald; ohne umlaut hei folgendem I: arimannus; ariscild heerschild;
Aripertus; camphio pugnator; scario praeco; aldia colona; Rachis;
Lamissio. I in impans; gisil; scilpor armiger; scild; child; thingare;
widriboran; Ihlipert, Sigipert, Winiherla; Albsuinda; fio ahd. hhu;
iderzon sepes, wo ahd. schon etarzün gälte. U selten: fulfreal; scul-
dahis; Rugiland; tubrugi Paul. 4, 23, wovon nachher. E noch nicht
als umlaut, nur als brechung in Helmichis; Berto, Aripertus; IlersemAr
Paul. 6, 51; Peredeo; Cleph und Lethu, welcher name ahd. Lidu
fordert. O als brechung in modula; hosa Paul. 1, 20; sonor grex;
Godescalc; Nordo; widribora; scilpor; morgingap; Droctulfus.
Lange vocale. ä ausdrücklich bestimmt durch die Schreibung
aamund in den glossen für ämund über, e potestate dimissus Roth.
* desgleichen in einem gedieht des cod. vatican. 5001 fol. 147 :
ortus fuit ex Bardorum stemmate clarissimo.
** gedruckt Diut. 2, 357 — 359 und bei Haupt 1, 548 — 562.
LANGOBARDEN
225; stölesäz; Hersemär; vielleicht in läma piscina. ö wahrschein-
lich anzusetzen in dem namen Evin Paul. 2, 32. 3, 27, worin ich
ahd. öwin, goth. aiveins, aeternus sehe, i nicht zu erkennen, ö =
ahd. uo, goth. ö in stölsdz; Röthari ahd. Hruodheri; Wodan ahd.
Wuotan; Austrigösa Paul. 1, 21 gepidische königstochter; plövus ara-
trum (s. 56.) ü vielleicht in Rümetrüda Paul. 1, 20.
Diphthonge. AI = goth. ai, ahd. ei und 6: rhairaub goth.
691 hraivaraubs? ahd. hröoroup; Gaila n. pr.; laib reliquiae, ahd. leipa;
aidones sacramentales ahd. kieidon; gaida hastula ags. gäd; snaida
incisio in arbore Roth. 244; Argaid n. pr.; Aistulfus n. pr. AU =
goth. au, ahd. ou und ö: laun merces; raub spolium; walapauz;
Audoin ags. Eädvine; Grauso Paul. 5, 38. 39. 6,6=» ahd. Cröso
Graff 4, 616; Austrigösa. IU — goth. iu: Liutprand; Agiliup; Tiuca
in einer urk. bei Troya s. 442; EU in Theudelinda; geschwächt zu
EO in Peredeo. Frea für Fria.
In den consonanten zeigt sich die ahd. lautverschiebung. P für
goth. B: prand; pert; Peredeo; scilpor; marpahis; impans; walapauz.
•me*-« = F oder PII für goth. P: camfio; Cleph; Clall'o. T für goth. D viel-
leicht in Tato alts. Dado. D für goth. f): Peredeo, goth. Bairaftius?;
adaling; Nandigild; modula. Z für goth. T: in den eigennamen
Zangrulf Paul. 4, 14, bissiger wolf, vom ahd. zangar mordax; Zuchilo
Paul. 1, 21; Zotto Paul. 4, 19; Tazo; Nazo; vom Übergang des aus-
lautenden Z in S nachher. K für goth. G: cap donum; crap se-
O^jtv ictbavv^ pulcrum. CII für goth. K: achar goth. akrs. Befremden darf aber
nicht, dasz zuweilen noch die goth. media haftet und hora, ßerto,
bi'and, band; Wodan, fader, ider = ahd. etar, hand, sculdahis; arga,
thingare, anagrip geschrieben steht; da ein gleiches in vielen ahd.
denkmälern geschieht (s. 424. 425.) so ist auch das haftende TH
in thingare, Theudelinda und Lethu zu fassen. Eigen scheint das
schwanken des G in CII, wie es zumal die Wörter launechihl, Alachis,
fWofcu
ioK*«'. 2
Vt. 1
Arechis, Rätchis, Ilehnichis, Hildechis in namen an sich tragen, denen
ahd. -gis -oder —kis (Graff 4, 266) zusteht, ich darf dies CH dem
hin und wieder auftauchenden ahd. GII (s. 425) vergleichen; vom
fränk. CII für II ist es verschieden. Seltsamen Übergang des B in F
zeigen lesarten der composita scilfor armiger f. scildboro und fulfor
liber f. fulboro.
N vor S und TII wird nicht unterdrückt, cs heiszt ans svind wie
goth. und ahd. Die spirans V pflegt, doch nicht nolhwendig, nach
ahd. weise gedoppelt zu werden oder in GU, GV überzutreten, was
recht langobardisch sein musz, da es Paulus 1, 9 am namen Wodan
692 und Gwödan hervorhebt; ebenso: guahl silva, guadium pignus, guare-
gangus exsul, guidribora renatus d. i. liber. vielleicht ist dies GU
erst aus romanischem einflusz (vgl. s. 295. 296) zu erklären. In den
Zusammensetzungen Alboin Audoin = ags. ÄIfvine Eudvinc ist V in 0
aufgelöst. Auch mit der spirans H wird auf romanisch verfahren, die
organische weggeworfen und eine unorganische eingeschoben, so findet
sich ari für hari in Arimanni (homines exercitales) Aripcrtus = ahd.
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LANGOBARDEN
481
Heripert, fränk. Charibert; Ildipert f. Hildipert; mar equus ahd. marah;
Waltari f. Walthari; freald vielleicht für frihald über, wo nicht freals
■= ahd. frihals zu lesen, umgekehrt aber ist geschrieben sculdahis
marpahis Ahistulf sonorpahir modulahiscus lahip für sculdais marpais
Aistulf sonorpair modulaiscus laip, ja dasselbe falsche H tritt ein in
Landuhin Alpuhin f. Landuin Alpuin (Alboin) in urk. bei Troya s. 437.
438. 439.
Wenig oder nichts zu gewinnen steht für die flexion. darf aus
casindios comites nnd gamalos gamahalos eonfabulatores in der glosse
bei Haupt 1, 551. 554 ein dem goth. gleicher nom. pl. auf -ös ge-
folgert werden? es könnten auch lat. acc. pl. sein. Den nom. sg.
schwacher masc. würde man nach arga bei Paul. 6, 24 auf -a, nach
golh. und ags. weise anselzen, wenn nicht viele andere namen auf -o
überwögen: Bcrto, Clalfo, Tato, Wacho, Tando, Paracho, Falcho u. s. w.
Seltsam lautet thinx Roth. 171. 173. 174. Liutpr. 6, 19 und garathinx
Roth. 167. 172, in den glossen thinx und gairelhix (Haupt 1, 558.
553) für thing, worin unmöglich eine flexion stecken kann, wie sie
dem neutrum unangemessen wäre (es heiszt in den texten: omne
hinx, ipsum thinx.) man wird also in diesem X eine aflection des G
zu sehn haben, ähnlich dem fries. SZ (s. 680.) Von der conjugation
ist gar nichts zu gewahren.
Aber eine reihe einzelner Wörter verdient bcsprechung. marpahis
strator Paul. 2, 9. 6, 6. Haupt 1, 556. marepahis Pertz 5, 227. 248 *
ist sehr oft angeführt, doch, glaube ich, seit den Langobarden bis auf 693
mich von niemand verstanden worden, sogar das gr. nutg hat man
darin wollen sehn, strator bedeutet equorum curator, compositor
sellac und marpahis steht für marpais wie sculdahis f. sculdais; das
wird auf die führte leiten, sculdais oder auch sculdasius entspricht
dem ahd. scullheizo, würde also mit hergestelltem anlaut langob.
sculdhaiz lauten, welches wiederum stall sculdhaizo, wie scilpor statt
scildporo gesetzt ist. in marpahis läszt sich mar für marh, ahd. marah
nicht verkennen, folglich wird pahis oder pais aus paiz oder paizo
herrühren, welches wie jenes liais von haizan jubere von paizan frenäre
herzuleilen ist. dasz auch ahd. peizan frenare bedeute, lehrt eine
glosse peiztun bei Grafl“ 3, 230, wo nur infrenant oder infrenarunt
zu bessern ist, noch deutlicher das ags. baetan, Ceedm. 173, 25 heiszt
esolas baetan, asinos infrenare; der eigentliche sinn des worts ist:
gebisz anlegen, facere ul equus mordeat, von der Wurzel goth. beitan,
ahd. pizan. marpahis entspricht also dem franz. palfrenier, und würde
ahd. marahpeizo, ags. mcarbaeta, golh. marhbailja lauten müssen, für
die langob. lautlehre zu beachten ist die Verschärfung des Z in S bei
den auslauten sculdahis und marpahis. Haben wir eben das langob.
wort für marschall erforscht, so bietet sich für ein anderes hofamt
* in der letzten stelle ist die sinnlose lesart Pando marepahissatum aufge-
nommen; es musz nothwendig heiszen Pando marepahis Suram (vgl. 5, 198)
regebat.
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LANGOBARDEN
482
dar stölesäz, stölesaiz (Haupt 1, 558) qui ordinal conventuni, archi-
triclinus, ahd. stuolsäzo und verkürzt stuolze, stolze (Graff 6, 305. 679)
ähnlich unserm schulze für schuldheisz. noch das chron. salernit. hei
Pertz 5, 489 sagt: Grimoalt, qui lingua lodesca, quam olim Lango-
bardi loquebantur, stoleseyz fuit appellatus, quod nos in noslro elo-
quio cqui ante ohlutus principis et regis mililcs hinc inde sedendo
perordinat’ (1. praeordinat) possumus vocitare. 5, 495 steht zweimal
storesais, einmal storesaiz. Paulus würde hiernach schreiben stölesahis,
oder lieber stolesäz.
Ein angesehenes öffentliches amt bekleidete der oft genannnte
694 gastaldius, gastaldio, auch caslaldius castaldio geschrieben (Hegels ital.
städteverf. 1, 455 — 461.) es ist unmöglich dies wort von gast zu
leiten, seine quelle kann nur gastaldan sein, und ihm entspricht das
goth. gastalds, ags. gesteald steald, ahd. stalt in vielen Zusammen-
setzungen (gramin. 2, 527.) z. b. aglaitgastalds ulo/goxeQÖ/]g, ags.
hägsteahl, ahd. hagastalt coelebs, woraus nhd. mit falscher fortschie-
bung hagestolz geworden ist, wie buckclstolz gibbosus. die Lango-
barden hatten also ganz die goth. form des praefixes ga-, wie auch
das dunkle gafan cafan gafandus gaphans heres, coheres lehrt, und
gadawida consuetudo, wenn ich das sinnlose eadarfreda recht bessere.
In der sage von Agihnundus meldet Paulus 1, 15, wie der könig
in einem teich sieben ausgesetzte kinder erblickt und das kräftigste
am Speer herausgezogen habe: et quia eum de piscina, quae eorum
lingua lama dicitur, abstulit, Lamissio eidem nomen imposuit. man
hätte Lamiscio, Lamisco erwartet, doch kehrt jene form oft wieder
und auch die Stammtafel gibt Lamisso. vielleicht war lama, dem ich
in keiner deutschen zunge begegne, ein goth. wort, das auch zu den
Spaniern übergieng, welchen lama schlämm und seegrund bedeutet;
noch näher reicht das finnische lammi lacus minor, stagnum, piscina
und das lat. lama locus humidus, palustris, das litth. loma locus de-
pressus in agro.
Des palastes erwähnend, welchen die königin Theudelinde in
Modicia hatte erbauen und mit gemählden aus der langob. geschichte
zieren lassen, bespricht Paulus 4, 23 die altlangobardische traclit;
cervicem usque ad occipitium radentes nudabant, capillos a facie us-
que ad os dimissos habentes, quos in utramque partem in frontis
discrimine dividebant. vom hart nichts, vestimenta vero eis erant
laxa et maxime linea, qualia Anglisaxones habere solent, ornata institis
lalioribus, vario colore contexlis. calcei vero eis erant usque ad
summum pollicem pene aperti et alternatim laqueis corrigiarum retenti.
postea (in späterer zeit) vero coeperunt hosis uti, super quas equi-
lantes tubrugos birreos mittebant. sed hoc de Romanorum consuelu-
dine traxerunt. Unter liose verstand man enganschlieszende, unter
695 bruoch oder bracca weile beinkleidung. die über die liose beim reiten
gezognen tubrugi erläutern sich zwar aus dem mlat. tubrucus, lubra-
cus (Ducange 6, 691), noch besser aus dem ahd. diohpruoh lumbarc
(Graff 3, 278.) ags. peohbröc.
hei
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
LANGOBARDEN
483
kfcVjf'
iorpahir, sonarpair, verres qui omnes alios verres in grege
vincit Roth. 356 entliält genau das ags. sunor, suner grex
:sti s. 548) verknüpft mit dem ahd. per, ags. bär, es ist der
ie führende eber, und die (s. 36) vermutete goth. form bais
lurch die Variante sonorpaiz bestätigt, das Z wäre hier eben
Langobarden R geworden.
mera Roth. 5 bedeutet für oder latro, den niemand in seinem
irgen noch speisen soll, dazu stimmt die stelle bei Iornand.
ibactoribus scamarisque et latronibus undecumque collatis, so
Eugippius cap. 11 : latrones quos vulgos scamaros appellabat.
langob. glossen steht scamara furto und es scheint auch ein
subst. für depraedatio zu gelten, aber Menander de legat.
der ums'j. 582 zu Constantinopel schrieb, konnte das un-
ie wort onaf.iÜQtig für praedones von Gothen vernommen
mir fallen dabei Cimbri und Ambrones (s. 636. 638) ein,
z ich des deutschen Ursprungs von scamera gewis bin.
räuber pflegten, um beim anfall unerkannt zu bleiben, traclit
cht zu verstellen, das nannten die Langobarden walapauz.
: walapauz est dum quis alienum furtivum veslimentum induit,
aput latrocinandi animo aut faciem transfiguraverit; und eine
ei Ganciani 2, 465a sagt: te vestisti de veste furtiva. Ruprechts
Freisingen Rechtsbuch (ed. Maurer s. 269): ist, das rauher reitent
oder genl, und verkerent ir gcwant und verpergent sich unter den
äugen, das man sie nicht erkennen mag. pauz scheint mir aus pauzan
hindere, ahd. pözan, ags. beätan gebildet, wie sculdais marpais aus
haizan, paizan, die ahd. form wäre demnach walapözo und pözo ist
fasciculus lini, womit vielleicht die das gesicht unkenntlich machende
larve bereitet wurde, wala könnte sich von wal caedes leiten.
Unter den übrigen technischen ausdrücken des geselzes ziehen 696
mich folgende an. das oft hier und in urkunden erscheinende laune-
cliild ist das alts. löngeld Hel. 71, 20 und bezeichnet die gegengabe.
modola Roth. 305 und in den glossen modula ist quercus und gleicht
dem niedula medela des alamanu. gesetzes 96, für das eichene wagen-
holz, sonst lanewit vinculum plaustri genannt, die forlbildung modu-
laisclo, modulahisclo verstehe ich nicht, aber zu modula habe ich
mylhol. s. 769 das dunkle mudspelli gehalten.
Roth. 387, wo von Verletzung der arme und beine gehandelt
wird, stehn drei schwere glossen nebeneinander: si quis homini libero
brachium super cubitum, hoc est morioc ruperit, componat solidas XX.
[Blume hat mir alle abweichungen der lesart gegeben: cod. vindob.
morioch, cod. matrit. morihot, cod. ambros. morioh, cod. vercell. mu-
rioth, cod. veron. modo paris. murioth, cod. guelferb. moriolh, cod.
cavens. morilh, cod. vatic. in oriuth.] si autem subtus cubitum, hoc
est tremum, componat sol. XVI. [cod. vindob. thremum, matrit. treno,
ambros. trenum, vercell. treno, veron. thremum, guelferb. renum,
cavens. trino, vatic. treno.] si vero coxam ruperit supra genuculum,
hoc est largicam, componat sol. XX. [cod. vindob. legi, matrit. lagi,
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dar stölesäz, stölesaiz (Haupt 1, 558) qui ordinat conventum, r
Iriclinus, ahd. stuolsäzo und verkürzt stuolze, stolze (Graff 6, 305.
ähnlich unserm schulze für schuldheisz. noch das chron. salern
Pertz 5, 489 sagt: Grimoalt, qui lingua todesca, quam olim L
bardi loquebantur, stoleseyz fuit appellatus, quod nos in nostn
quio cqui ante oblutus principis et regis mililes hinc inde sf
perordinat’ (1. praeordinat) possumus vocitare. 5, 495 steht z\
storesais, einmal storesaiz. Paulus würde hiernach schreiben stöl
oder lieber stolesäz.
Ein angesehenes öffentliches amt bekleidete der oft gen
694 gastaldius, gastaldio, auch castaldius castaldio geschrieben (liege
städteverf. 1, 455 — 461.) es ist unmöglich dies wort von ;
leiten, seine quelle kann nur gastaldan sein, und ihm entsprr
goth. gastalds, ags. gesteald steald, ahd. stalt in vielen zus;
Setzungen (gramm. 2, 527.) z. b. aglaitgastalds uio/goxepd/]
hägsteahl, ahd. hagastalt coelehs, woraus nhd. mit falscher fc
bung hagestolz geworden ist, wie buckelstolz gibbosus. die
barden hatten also ganz die goth. form des praefixes ga-, w
das dunkle gafan cafan gafandus gaphans heres, coheres leb
gadawida consuetudo, wenn ich das sinnlose cadarfreda recht
ln der sage von Agilmundus meldet Paulus 1, 15, wie der v
in einem teich sieben ausgesetzte kimler erblickt und das kräftigsV.
am Speer herausgezogen habe: et quia eum de piscina, quae eorum
lingua lama dicitur, abstulit, Lamissio eidem nomen imposuit. man
hätte Lamiscio, Lamisco erwartet, doch kehrt jene form oft wieder
und auch die Stammtafel gibt Lamisso. vielleicht war lama, dem ich
in keiner deutschen zunge begegne, ein goth. wort, das auch zu den
Spaniern übergieng, welchen lama schlämm und seegrund bedeutet;
noch näher reicht das finnische lammi lacus minor, stagnum, piscina
und das lat. lama locus humidus, palustris, das litth. loma locus de-
pressus in agro.
Des palastes erwähnend, welchen die königin Theudelinde in
Modicia hatte erbauen und mit gemählden aus der langob. geschickte
zieren lassen, bespricht Paulus 4, 23 die altlangobardische tracht;
cervicem usque ad occipitium radentes nudabant, capillos a facie us-
que ad os dimissos habentes, quos in utramque partem in frontis
discrimine dividebant. vom hart nichts, vestimenta vero eis erant
laxa et maxime linea, qualia Anglisaxones habere solent, ornala institis
latioribus, vario colore contexlis. ealeei vero eis erant usque ad
summum pollicem pene aperti et alternalim laqueis corrigiarum retenti.
postea (in späterer zeit) vero coeperunt hosis uti, super quas equi-
lantes tubrugos birreos mittebant. sed hoc de Romanorum consuetu-
dine traxerunt. Unter hose verstand man cnganschlieszende, unter
695 bruoch oder bracca weite beinkleidung. die über die hose beim reiten
gezognen tubrugi erläutern sich zwar aus dem mlat. tubrucus, tubra- >
cus (Ducange 6, 691), noch besser aus dem ahd. diohpruoh lumbare
(Graff 3, 278.) ags. peohbröc.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm
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Sonorpahir, sonarpair, verres qui omnes alios verres in grege
batuit et vincit Roth. 356 enthält genau das ags. sunor, suner grex
(vgl. sonesti s. 548) verknüpft mit dem ahd. p6r, ags. bär, es ist der
die heerde führende eher, und die (s. 36) vermutete goth. form bais
scheint durch die Variante sonorpaiz bestätigt, das Z wäre hier eben
erst den Langobarden R geworden.
Scamera Roth. 5 bedeutet für oder latro, den niemand in seinem
hause bergen noch speisen soll, dazu stimmt die stelle bei Iornand.
c. 58: abactoribus scamarisque et latronibus undecumque collatis, so
wie bei Eugippius cap. 11 : latrones quos vulgos scamaros appellabat.
in den langob. glossen stellt scamara furto und es scheint auch ein
solches subst. für depraedatio zu gelten, aber Menander de legat.
p. 367, der ums 'j. 582 zu Constantinopel schrieb, konnte das un-
griechische wort oxct/iiuQtig für praedones von Gothen vernommen
haben, mir fallen dabei Cimbri und Ambrones (s. 636. 638) ein,
ohne dasz ich des deutschen Ursprungs von scamera gewis bin.
Die räuber pflegten, um beim anfall unerkannt zu bleiben, traclit
und gesicht zu verstellen, das nannten die Langobarden walapauz.
Roth. 31: walapauz est dum quis alienum furtivum vestimentum induit,
aut si caput latrocinandi animo aut faciem transfiguraverit; und eine
formel bei Canciani 2, 465a sagt: te vestisli de veste furtiva. Ruprechts
von Freisingen Rechtsbuch (ed. Maurer s. 269): ist, das rauber reitent
oder geilt, und verkerent ir gewant und verpergent sich unter den
äugen, das man sie nicht erkennen mag. pauz scheint mir aus pauzan
tundere, ahd. pözan, ags. beätan gebildet, wie sculdais marpais aus
haizan, paizan, ‘die ahd. form wäre demnach walapözo und pözo ist
fasciculus lini, womit vielleicht die das gesicht unkenntlich machende
larve bereitet wurde, wala könnte sich von wal caedes leiten.
Unter den übrigen technischen ausdrücken des geselzes ziehen 696
mich folgende an. das ofl hier und in urkunden erscheinende laune-
child ist das alts. löngeld Ilel. 71, 20 und bezeichnet die gegengabe.
modola Rotli. 305 und in den glossen modula ist quercus und gleicht
dem medula medela des alamann. geselzes 96, für das eichene wagen-
holz, sonst lancvvit vinculum plaustri genannt, die fortbildung modu-
iaisclo, modulahisclo verstehe ich nicht, aber zu modula habe ich
mylhol. s. 769 das dunkle mudspelli gehalten.
Rolli. 387, wo von Verletzung der arme und Deine gehandelt
wird, stehn drei schwere glossen nebeneinander: si quis homini libero
bracliium super cubitum, hoc est morioc ruperit, componat solidas XX.
[Blume hat mir alle abweichungen der lesarl gegeben: cod. vindob.
morioch, cod. matrit. morihot, cod. ambros. morioh, cod. vercell. mu-
riotli, cod. veron. modo paris. murioth, cod. guelferb. moriotli, cod.
cavens. morilh, cod. valic. in oriutli.] si autem subtus cubitum, hoc
est tremum, componat sol. XVI. [cod. vindob. thremum, matrit. treno,
ambros. trenum, vercell. treno, veron. thremum, guelferb. renum,
cavens. trino, vatic. treno.] si vero coxam ruperit supra genuculum,
hoc est largicam, componat sol. XX. [cod. vindob. legi, matrit. lagi,
31*
I;
Willi
■ •*». -V- +V+ «V*. -4*. M*. 44*. 44K. 44*.
«**.«*•* 44»*. ^4*. «4*.
484
LANGOBARDEN
ambros. lagi, verc. lagi, veron. legit, guelferb. lagi, cavens. lagi, vatic.
lagi.] die glosse bei Haupt t, 557 gibt marioth, morjoth und mario;
1, 558 treno und trino; 1, 355 zweimal lagi. Sicher ist für das
erste wort murioth morioth richtig, wie die einstimmung zum alul.
murioth oder murigot (GrafT 2, 846) lehrt, welches aber gleichviel
mit coxa «= dioli, dieli sein soll, nicht cuhitus, oder oherarm über
dem einbogen. * da nun die composition für oberarm und hüftbein
dieselbe ist, so fragt sich ob murioth auf beide gehn kann? das
glaublich verwandte gr. f-irjQog /urj^iov gilt nur vom Schenkel, und
vielleicht gehört dazu das altn. miödm gen. miadmar coxendix, falls
697 es aus miördm entsprang? thremus oder trenus für Unterarm man-
geln in jeder andern deutschen spräche, aber merkwürdig bietet die
litthauische trainys für hinterarm, treinija für arm am wagen, wodurch
die lesart trenus bestätigt wird; diesen ausdruck müssen die Lango-
barden sicher aus der alten heimat mitgehracht haben, lagi ist un-
bedenklich das altn. leggr crus, engl. leg.
Roth. 125: qui per impans, id est in votum regis dimitlitur.
in der gl. bei Haupt 1, 554 zweimal inpans. Papias: impans, in
manu regis servus dimissus, extraneus est. einige hss. sollen infas
und infans haben? Wenn impans oder inpans votum ausdrückcn soll,
so ist vielleicht die Zusammensetzung des ahd. unnan mit partikeln
zu berücksichtigen; wie arpan invideo aus ar-pi-an, urpunst invidia
aus ur-pi-unst, könnte ein inpan faveo inpanst favor aus in-pi-an,
in-pi-anst entspringen, inpanst aber mit Wegfall der auslautenden t
(vgl. scilpor f. scildpor) zu inpans geworden sein, sogar inhd. gons
für gunst. Ben. 1, 34a. nur bliebe die composition in-bi erst
wirklich aufzuweisen.
Es wären noch andere ausdrückc zu erörtern, doch die ganze
Untersuchung, so weit ich sie geführt habe, ist zum Schlüsse reif,
schon nach den laulverhältnissen liesz sich nicht zweifeln, dasz die
langobardische zunge in die reihe der hochdeutschen falle; noch keinen
umlaut hat sie entfaltet, aber brechungen und lautverschiebung, wie
alles der mitte des siebenten jh., um welche Rothari seine samlung
veranstaltete, zusagt, zwar scheinen die diphthonge AI und AU den
gothischen gleich und von dem ahd. EI OU abzuslehn; man erinnre
sich aber, dasz auch ältere ahd. denkmäler ebenwol bei AI und AU
beharren (gramm. 1, 103. 104. 122.) Das ergebnis bestätigten so-
dann einzelne Wörter und bildungen, welche die gröszte analogie zu
ahd. verrathen. Endlich stimmt dazu die örtliche läge der italieni-
schen Langobarden, die unmittelbar auf Rugier (s. 469) und Alamannen
stieszen, zumal an den auch" Tirol erfüllenden stamm der ßaiern
698 grenzten, und mit ihnen, wie stammgenossen pflegen, vielfache und
enge berührung unterhielten.
‘ |
* möglich aber, dasz abt Salomon murioth und murigot selbst aus dem
langob. gesetz schöpfte und durch diech deutete.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
LANGOBARDEN. BURGUNDEN
485
Alboin wurde in bairischen liedern, wie in langobardischen ge-
priesen (Paul. 1, 27), Theudelind, Autharis und Agilulfs gemahlin, war
bairische königstochter. Im liede von könig Rother, das auf lango-
bardisclier sage beruht, ist darum auch anknüpfung an Baiern und
Österreich durch Wolfrat von Tengelingen und Berker von Meran.
Wie aber Rothers geschlecht mit Pippin und Berta den Kerlingen sich
anreihte, erscheint der berühmte waskonische Walthari wenigstens dem
namen nach unter den langobardischen königen in der genealogie der
neunte (vgl. Paul. 1, 21. 2, 32. 6, 54) und die Novaleser chronik
versetzt jenen held am schlusz seines lebens ausdrücklich in ein lan-
gobardisches klosler. im epos fallt auch Otnit, Ermenrich und Diet-
rich der Lombardei zu. Va)öiön^V Svu.o-v>*tvu^ 7le*W<u,
Ziehen sich so manche schlingen durch die sagen hochdeutscher
stamme, so wäre nicht zu verwundern, dasz die Langobarden schon
an der Elbe in vielfacher gemeinschaft mit Sueven und Markomannen
standen, vor dem ausgang aller dieser Völker nach Süden, ich lege
darum gewicht auf die Wiederkehr des suevischbairischen mythus von
den ausgesetzten hindern auch in der langobardischen Urgeschichte,
mit vollem grund heiszen die Langobarden Sueven, und was s. 492.
494 noch unbestimmt gelassen werden rnuszte, hat sich nunmehr ent-
schieden herausgestellt.
Von den Burgunden ist weniger zu sagen. ZuvQrderst nennt sie
uns Plinius, gleich im ersten germanischen geschlecht: Vindili, quorum
pars Burgundiones, Varini, Carini, Guttones, durch Vindili (s. 475)
und Varini (s. 604) schlieszen sich die Burgundionen den elbischen
Langobarden an; im nordöstlichsten säum aher Germanen lagen Gu-
tonen (s. 439). neben Varini sind ganz verschollene Carini gesetzt,
die man aus dem text hat merzen wollen, wie hinter den Sciri die
Hirri (s. 465.) nun fällt mir wenigstens auf, dasz auszer der schwe-
dischen insei Hernö bei Angermanland auch im norwegischen Sunnmaeri
eine insei Ilerna oder Hernar (fornm. sög. 12, 302) neben einer 699
insei Borgurid (das. 12, 270) gelegen ist, wovon gleich nachher noch.
Aller dieser Völker geseliweigt Slrabo, dessen blick nicht zu ihnen
reichte; es scheint Verwegenheit, seine Bovnovag in romcovag (was <^244
jetzt Kramer sogar in den text nimmt), seine MovyiXcovug in Bovq- > /
yovvÖUovug zu ändern. Auch dem Tacitus, der Vandilier und Varinen
kennt, bleiben Burgundionen ungenannt, Ptolemaeus hingegen, nachdem
er das i'&vog twv Sovrjßtov xul 2t[.ivövcov aufgeführt hat, setzt das
tüv Bovyovvrcov zwischen Suebus (Oder?) und Weichsel, da der
name zweimal so geschrieben steht, darf man p nicht für ausgefallen,
nur für verschluckt halten *, und jene Bovxiovtg Strabons lieszen
sich in Bovyovvitoveg wandeln **. Wie es immer um diese namens-
* wie in fodern, koder, bair. fackel für fordern, körder, ferkel.
** r und T vermengen sich leicht (für Aovyioi schrieb man Aovxioi)\
gesetzt, aus Bovyovvrcoves entsprang einmal Bovrovvrcovss, so war in der Ver-
wirrung nur ein schritt zu Bovtcoves.
486
BURGUNDEN
[ ___________________________
form stehe, die Burgunden gehören im ersten jh. zu den Ostsee-
germanen zwischen Oder und Weichsel, und haben vielleicht schon
im zweiten begonnen sich südlicher zu wenden, im Süden kennt sie
Procop, und unter dem namen BovQyovtycoveg.
Sahen wir nun zweige der alten Rugier und Ulmerugier nach
Norwegen gesprengt (s. 469), warum sollten nicht auch einzelne
Carinen und Burgunden gegen norden gezogen sein? Hernö und
Herna wurden eben aufgewiesen, die nähere insei Bornhohn hiesz den
Scandinaven ßorgundarhölmr (fornald. sög. 1, 303. 2, 385. 456. 3,
361. fornm. sög. 12, 270), bei Saxo gramm. p. 675 Burgunda in-
sula, und Alfreds periplus nennt die Bewohner Bornholms Bürgendes
oder Burgendan, bei Vulfstän ist Burgendaland wieder dies Bornhohn.
Noch mehr, im norwegischen Sunnmaeri fand sich, wie vorhin gesagt,
neben Herna eine andre insei Borgund, und die alln. eyjaheiti unter-
700 lassen nicht beide Borgund aufzuzählen *. Es scheint kein grund vor-
handen, um mit Zeusz s. 465 diese insein dem volksnamen zu ent-
ziehen und auf einen bloszen mannsnamen Burgund zu leiten **. das
altn. Borgund gen. Borgundar ist ortsbegrif.
Burgundio habe ich gramm. 2, 343 recht gedeutet; die golh.
form wäre Baurgundja ***, wie nßhvundja vicinus, es kann nichts an-
ders ausdrücken als den in der baurgs wohnenden, was man sich nun
unter diesem letzten wort denke, bei Ulfdas verdeutscht baurgs nöh;
und einmal Neh. 7, 2 ßigä, bürg im sinne von arx, wie auch das
ahd. puruc urbs und castrum meint: beides enthält den begrif der
bergenden, schützenden wohnung. den Burgunden musz von frühester
zeit an eigen gewesen sein, sich durch solche bürgen, und wären es
blosze Wagenburgen f, gegen feinde zu wehren, burgus gehört zu
den Wörtern deutscher spräche, die von den Römern am frühsten ver-
nommen und selbst in die ihre eingelassen wurden: das stolze Teuto-
burg (noch ahd. diotpurc populosa civitas) drang an ihr ohr und
Asciburgium, im vierten jh. schreibt schon Vegelius 4, 10: castellum
parvulum, quem burgum vocant, inter civilatem et fontcm convenit
fabricari; im sechsten Justinian cod. 1. 27, 2: ubi arte invasionem
701 Vandalorum et Maurorum resp. romana fines habuerat, et ubi custoiles
antiqni servabant, sicut ex clausuris et burgis ostenditur. Procop de
* annaler for nordisk oldk. 1846 s. 85 und 87.
** Burgundio für zusammengesetzt aus bur und gund zu nebmen, scheint die
häufige Wiederkehr der namen Gundahari Gundobaldus Gundiacus im burgundi-
schen geschlecht und selbst altn. Giutormr und GudrCm (des Giuki tochter) =
ahd. Gundrün fast zu rathen, und der erste theil des compositums könnte sich
auf den stamm der Buren, von welchen, nachher zu handeln ist, beziehen, allein
alle auf gund ausgehende namen sind weiblich, führen also auf keinen stamm-
helden, und das ags. Burgenda, altn. Borgundr (Saun. 246b) selbst das mlid.
Bürgende Nib. 526, 4 B. Burgenare Nib. 426, 2 ß. sträuben sich, auch heiszt
Günther altn. Gunnar, ags. Gudhere. Burgundari findet sich bei Graff 3, 208.
*** der form Bovgyov&coves wegen musz man auch einen misbräucklichen
Übergang des Baurgundja in ßaurgunpja vermuten.
■f* vgl. Ammianus 31, 8. 15.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
BURGUNDEN
487
aedif. 4, 6. 7 nennt solcher bürgen mehrere: MuQtßovQyog ~xih-
ßovQyog \ÄXix.v.vißovQyog udaxxoßovqyog ^dovxtQvuQiaßovQyog, 4, 4
TovXxoßovgyo ^xovXxoßovQyo, in deren einigen auch das erste wort
deutsch sein könnte: Tulgabaurgs Laggabaurgs Skalkabaurgs, wenn ftir
ov ein « zu setzen; 4, 6 steht auch BovQyovößoQe und BovQyoväX-
rov. bekannt ist das rheinische Quadriburgum. Einfältig ist nun zwar,
wenn Orosius 7, 32 meint (was ihm Isidor 9, 4 nachspricht): hos
Burgundiones quondam subacla interiore Germania a Druso et Tiberio
per castra dispositos ajunt in magnam coaluisse gentem, atque etiam
nomen ex opere praesumpsisse, quia crehra per limitem habitacula
constituta, burgos vulgo vocant; aber die herkunft des namens aus
burgus bleibt richtig, Drusus und Tiberius reichten zu keinen Bur-
gunden, und hätten die unter ihrer hand stehenden Germanen sich
der anordnung fügen müssen, so würden andere stamme jenen namen
tragen. Liudprand antapod. 3, 44 läszt den Albericus, einen Bur-
gundenfeind, das märchen verworren so erzählen: Burgundiones ideo
dictos, quoniam dum Romani orbe devicto ex gente hac captivos du-
cerent multos, constituerunt eis, ut extra urbem domos sibi sustolle-
rent, e quibus et paulo post a Romanis oh superbiam sunt expulsi;
et quoniam ipsi domorum congregationem, quae muro non clauditur,
burgum vocant, Burgundiones a Romanis, quod est a burgo expulsi
appellati sunt. Burgunden sind Bewohner der mauerlosen vorstadt,
des burgum, it. borgo *.
Hundert jahre, seit Ptolemaeus schrieb, finden wir die Burgunden
südöstlicher in feindlicher Berührung zu dem gothischen volle der Ge-
piden, die ungefähr in der gegend der Karpathen angesessen waren,
von Fastida, dem gepidischen könig, berichtet Iornandes cap. 17:
Burgundiones paene usque ad internecionem delevit. das musz zu des
gothischen königs Ostrogotha zeit, um das j. 245 geschehen sein.
CI. Mamertinus genethl. c. 17: Gothi Burgundios penitus exscindunt. 702
rursum pro victis armantur Alamanni, itemque Theruingi pars aha
Gothonum. adjuncta manu Thaifalorum adversum Vandalos Gipedesque
concurrunt. Theruingi, Taifali (s. 448. 449) und Sueven hielten es
also mit den Burgunden; doch hernach: Burgundiones Alamanorum
agros occupavere, sed sua quoque clade quaesitos, Alamanni terras
amisere, sed repetunt; es mag aber zwischen beiden verglichen wor-
den sein, das vierte jh. zeigt Burgunden im südwesten neben Ala-
mannen, die seit dem dritten im heutigen Schwaben wieder festen
fusz gefaszt hatten (s. 498. 499.) die allrömische mauer, den pfal
(mythol. s. 975) nennt Ammianus 18, 2 als beider Völker grenze im
j. 359: ad regionem, cui capellatii vel jialas nomen est, ubi termi-
nales lapides Alamannorum et Burgundiorum confinia destinguebant.
capellatium kann in dieser heidnischen zeit noch auf keine capella,
aedicula sacra gedeutet werden, und mit recht vermutet Stälin 1, 128
I --------------------
* die deutung: Burgundiones = sine burgo, als läge das deutsche ohne
(mhd. äne) in -ones! ist unzulässig.
E r-
E h
CO
O *3
CO *
BURGUNDEN
auch in ihm eine ahd., wieder palas enthaltende bildung, capalatium
gleichsam capalazi. Des ortes wird man aber aus einer andern stelle
Ammians 28, 5 näher gewahr, wo berichtet ist, wie Valentinian im
j. 370 Burgunden gegen Alamannen aufwiegelle: seditque consilia alia
post alia imperatori probante, Burgundios in eorum excitari perniciem,
bellicosos et pubis immensae viribus affluentes, ideocpie metuendos
finitimis universis. scribebatque frequenter ad eorum reges per taci-
turnos quosdam et Udos, ut iisdern tempore praestituto supervenirent,
pollicitus ipse quoque transito cum romanis agminibus Ilheno occurrere
pavidis, pondus armorum vitantibus insperatum. Gratanter ratione
gemina principis acceptae sunt literae: prima quod jam inde tempori-
bus priscis subolem se esse romanam Burgundii sciunt, dein quod
salinarum finiumque causa Alamannis saepe jurgahant. soholes romana
zu sein konnten die Burgunden nur wähnen nach jener von Orosius
erzählten sage, die also früher verbreitet sein muste; Ammian lebte
ungefähr 50 jahre vor Orosius. die sage setzt aber nothwendig ein
703 günstiges Verhältnis der Burgunden zu den Römern voraus, das min-
destens schon in die erste hälfte des vierten jh. gefallen war, nicht
zu lange seit dem streit mit den Gepiden, nach welchem die fliicht-
linge vielleicht bei Römern aufnahme gefunden hatten, der hader
um die Salzquelle gestattet aber den ort der grenze an den Kocher
im schwäbischen Hall wie an die Saale bei Kissingen zu legen (Zeusz
s. 312.)
Gegen ausgang des vierten jh. standen also die Burgunden in
den decumatischen fehlem neben Alamannen, da wo ehmals auch
Helvetier gehaust hatten, und es drängte sie immer näher an und
über den Rhein. Eusebii chron. ad a. 374: Burgundionum octoginia
ferme millia, quod nunquam ante, ad Rhenum descenderunt. Hierony-
mus ad Ageruchiam de monogamia epist. 9 p. 748 ad a. 409: in-
numerabiles et ferocissimae nationes universas Gallias occuparunt.
quidquid inter alpes et pyrenaeum est, quod oceano et Rheno inclu-
ditur, Quadus, Vandalus, Sarmata, Alani, Gepides, Eruli, Saxones,
Burgundiones, Alemani vastarunt. Prosper ad a. 414: Burgundiones
parlem Galliae propinquantem Rheno obtinucrunt, hier trafen sie sich
mit Römern unter Jovinus, später unter Aetius und mit Attila. In
der gegend von Worms musz ihr reich zu anfang des fünften jh. eine
zeitlang festen sitz behauptet haben, weil ihn das epos unverrückt
dahin verlegt. Allmälich aber begannen sie (um 435. 436) strom-
aufwärts in das südöstliche Gallien zu ziehen und ein ansehnliches
gebiet, das von den Vogesen bis über die Rhone reichte, in besitz zu
nehmen, wo sie sich etwa hundert jahre lang mächtig und unabhängig
704 behaupteten. * da kennt auch Procopius BovQyovfycovtg (de b. gotli. I,
* in dem nachherigen Sclnveizergebiet stieszen Burgunden und Alamannen
aneinander, was zum sprenget von Besancon und Lausanne gehörte gilt für bur-
gundisch, was zu Mainz und Constanz für alamannisch. der gröszte tlieil der
deutschredenden Schweiz ist alamannisch, die französischredende burgundisek
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
M /Ö lft Ä Ä Ä Äfc * 151 Ä
BURGUNDEN 489
12. 13) und da erliegen sie um das j. 530 der fränkischen Ober-
gewalt; die Franken theilten das land, lieszen jedoch den Burgunden
ihre gesetze und bräuche.
Die lex Burgundionum wurde von könig Gundobald, etwa 513.
514 gesammelt, empfieng aber zusätze unter seinen söhnen Sigismund
und Godomar 517 — 534. nach Gundobald nennt sie das mittelalter
lex gundobada, gumbada, loi goinbette und allen Burgunden wird der
name Gundebadingi (Ducange s. v.) Guntbadingi (Pertz 3, 74) gegeben,
tit. 3 berührt Gundobald seine Vorfahren: Gibicam, Godomarem, Gisla-
harium, Gundaharium, patrem quoque nostrum et patruos, Gibica
scheint groszvaler, unter den drei folgenden einer vater, zwei vaters-
brilder, denn man darf doch nicht Gibica znm vater, die drei andern
zu oheimen erklären, der Wortfolge nach würde Godomar vater sein,
im epos aber, das freilich von keinem Gundobald weisz, ist Gundahari
der älteste, die königsreihe fortsetzende sohn. starb Gundobald um
515, so könnte Gundahari gegen 480, Gibica gegen 450 fallen, wo
sie bereits aus Worms fortgezogen scheinen, im lat. Waltharius sitzen
vater und sohn, Gibicho und Guntharius beide zu Worms als Franken-
könige; in den Nib. Gunlhere, Gernöt und Giselher, drei brüder zen
Burgonden, ze Wormze, der vater heiszt Dankrät statt Gibeche, wel-
cher name doch noch andern dichtem bekannt bleibt. Vidsid meldet
wieder von Gilica und Gudhere: ßurgendum veold Gifica 319, 22 und
ic väs mid Burgendum, pser ic beäg gejväh,
me J)aer Gudliere forgeuf glädlicne mäddum. 322, 18.
Auch in der edda steht Giuki oben an, seine drei söhne heiszen 705
Gunnar Ilögni Guttormr, doch soll der letzte ihr Stiefbruder sein (Ssem.
l'7a), wie in den mhd. liedern Hagene den königssöhnen verwandter,
kein bruder ist. da Gunthere und Giselher zur alten Genealogie stim-
men, scheinen auch Görnöt und Guttormr aus Godomär verderbt;
gleichwol liegt in Gör gais, das sich mit gisil berührt (mythol. s. 344.)
das wichtigste ist uns, dasz die Burgunden des lieds zugleich Nibelunge,
die Giuküngar zugleich Niflungar heiszen und schon im namen fränki-
sche an burgundische heldensage knüpfen. Gunnar aber wird in der
edda Saem. 247b einmal Geirniflüngr genannt, was wieder zu Gernöt
stimmt.
War aber Gundobald sohn des Gundahari (oder hier gleichviel
des Godomar), so kann sein vater nicht Gundioch geheiszcn haben,
wie mein bruder (heldens. s. 13) annimmt, dieser Gundioch vielmehr
und nur im Bernerland und Stücken von Freiburg, Luzern und Argau nimmt man
burgundische bewohner an, die der deutschen spräche treu blieben. Die mittlere
und obere Ar scheidet beide stamme, Murten, Solothurn, Bern fallen zu Burgund;
der Argau bis zur Reusz ist alamannisch, so wie ganz Zürich, S. Gallen, Appen-
zell, Glarus, Zug, Schwiz, Uri, Unterwalden und das meiste von Luzern: rechts
der Roth (Rotaha) war alamannisch, links burgundisch (Kopp 2, 506. 507.)
Zwischen Burgund und Rhätien soll nach einer urk. von 1155 schon könig
Dagobert im 7. jh. grenze gesetzt haben (Böhmer n° 2354. rechtsalt. s. 542. 951.
mythol. 671.) Die alamannische Schweiz ist reich an weistlnimern (öfnungen),
die burgundische arm.
"***’
490
BURGUNDEN
gehört einem andern etwas früheren hurgundischen geschlecht, von
welchem Gregor, tur. 2, 28 meldet: Gundeuchus (ex genere Athana-
rici regis Visigothorum) zeugte vier söhne Gundobaldus, Godegisil,
Chilperieus, Godomarus, von Chilpericus rührten zwei löchter her Mu-
curuna und Chrolhildis, welche letztere 470 geboren und gemahlin
des Frankenkönigs Chlodoveus war. Gundehald Gundiochs sohn musz
hiernach um 450 — 470 gelebt haben*, nicht der 516 gestorbne
Gundebakl Gundihars sohn sein, zwei burgundische brüdcr Gundiacus
und Hilpericus nennt Iornandes cap. 48 im j. 456; sie scheinen
Gregors Gundeuch und Chilpericus, die vater und sohn sind, in diesem
geschlechte Gundiochs weisz ich keinen Gundahari, allein man wird
auch auszer dem von Gibica stammenden einen älteren annehinen
müssen. Olympiodor macht einen Guntiarius Burgundiorum praefectus y
namhaft, unter llonorius und Jovinus, also im j. 412 (Mascov 1, 374) 'j
und nach Prosper ad a. 435 fällt Gundicar in Gallien ein, von Attila^1
sagt Paulus Diaconus de geslis episcop. metensium: postquam Gundi-
706 carium Burgundionum regem sibi occurrentem protriverat (Mascov 1,
432)|7 mag diese niederlage ins j. 436 oder erst 450 fallen, Gundo-
balds vater kann dieser Gundicarius nicht gewesen sein, oder wir
fassen die genealogie in der lex Burg, überhaupt unrichtig auf.
„ Die burgundische spräche wird uns kaum erschlossen. Ammian
28, 5 theilt zwei wichtige Wörter mit: apud hos generali nomine rex
appellatur hendinos .... nam sacerdos apud Burgundios omnium
maximus appellatur sinistus et est perpeluus, obnoxius discriminibus
nullis ut reges, hendinos scheint völlig das golh. kindins rjytf.iwv,
zumal auch Olympiodor den Burgunden keinen könig, bloszen führer
oder gebieter beilegt. II mag hier für CII = goth. K vernommen
worden sein, ein Vorläufer der ahd. Verschiebung, wie auch ein Ala-
mannenkönig Ilorlarius für Chortarius steht, von chortar grex, ags.
corder. kindins scheint dem ahd. chint puer, filius verwandt und
auch im westgolh. Chindasvinthus Cinlhila (concil. tolet. 13 a. 683)
vorhanden, nicht anders stimmt sinistus zum goth. sinista nQtoßvxtQo;
priester, dessen positiv sich mit dem ahd. sin (Graff 6, 25) berührt,
also jenem perpetuus entspräche. Golhisch ist nun ferner der schwache
ausgang burgundischer namen, deren das grafenverzeichnis vor der lex
vier darbietet: Goma = guma, homo; Sonia = sunja verax; Wulfila;
Fastila. dagegen läszt sich wittemon aus der lex. tit. 66. 68. 86
nicht einwenden, welches keine schwache Ilexion eines nom. xvittemo
(wie er freilich dem ahd. widemo, ags. veoluma gliche), sondern nach
tit. 68 seihst nominaliv scheint und vielleicht für wittemond steht?
morgengeba 42, 2 begegnet allen deutschen dialecten. vegius 16, 3
und addit. 8 scheint in der rubrik des additaments viator übersetzt,
musz also von vcg via rühren und etwa ein golh. vigja sein, qui viam
parat, index viae, der die spur des geslolnen viehs weist, witlisealci
heiszen 76, 1 pueri regis, qui judicia exsequuntur, mulctam per pagos
* er wurde von Olybrius (f 472) zum patricius ernannt.
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BURGUNDEN
491
exigunt (49, 4); die ahd. form würde lauten wiziscalh, von wizi poena,
judicium (Graff 1, 1117.) faramanni 54, 2. 3 musz einen besondern
stand von leuten anzeigen, die zu einer fara gehörten, vgl. Roth. 177
cum fara sua migrare. mir fällt dabei der eigenname Burgundofaro 707
ein, der z. b. in der fundatio monast. corbejensis von 669 steht,
navis caupulus add. 7, 1 mahnt zwar an das s. 666 besprochne
anglische cöple, ist aber gleich diesem auf das mlat. wort (Ducange
s. v.) und bereits auf das lat. caupulus bei Gellius 10, 25 zurückzu-
führen.
Unter den grafennamen, deren lesart mir Blume nach zehn hss.
gegeben hat, findet sich Agantheus Agatheus, ich glaube das altn.
Angantyr f. Anganjiyr, von ängan molestia, necessitas; dies Agathio
scheint mir jetzt auch Walthar. 629 herzustellen, obgleich die ahd.
form Agadeo fordert, auch Aunemundus zeigt gothischen diphthong,
ich habe über aun bei Haupt 3, 144 geredet, merkwürdig Sigisvuldus
Sigisuuldus, victoriae gloria, vom goth. vulftus vgl. ahd. woldar (Gode-
volda Winevolda bei Irmino 230. 234 stehn für -bolda, balda).
Conegisil wäre goth. Kunjagisils, ags. Cynegisel = Cynegils.
Einer müste aus den ältesten burgundischen urkunden des 7. 8.
9. jh., wo noch das volk weniger mit Franken und Alamannen ver-
mengt war, alle von den fränkischen und alamannischen abweichenden
eigennamen sammeln. Goldast hat das schon einmal ungenügend ver-
sucht, in seinem Verzeichnis fiel mir der mannsname Chuslaffus auf,
der an den eigentümlich schwedischen Gustaf gemahnt, ich treffe
ihn in Schweden seit dem 14 jh., doch mag er sich erst durch die
könige Gustaf Wasa und Gustaf Adolf weiter verbreitet haben; die
altn. denkmäler Islands, Norwegens und Dänemarks kennen ihn
nicht, seine erste spur ist im Vestgötalag s. 297, wo unter den
alten lagmännern der achtzehnte Göstawär heiszt; liegt in Gustaf staf,
wie in Sigestap stap, so dürfte der erste theil aus kürzung des altn.
gunn oder gud pugna hervorgehn *, baculus belli und baculus victoriae
eignen sich gleich gut zur benennung von beiden, ahd. Kundastap?,
Seltsam klingen die bürg, frauennamen Solsepia und Wuona bei Goldast,
aber auch Mucuruna bei Gregor 2, 28 und Caretene, wie ein epitaph 708
Gundobalds gemahlin nennt (du Chesne 1," 514.) Chilpcrichs tochter
hiesz Sedeleuba, eine tochter Sigismunds Suavigotha nach ihrer mutter
Ostrogolha, des ostgothischen Theoderichs tochter. Mucurüna halte ich
zum ags. mucg muga, altn. mugr mugi acervus frumenti, dann acervus
insgemein, woher almugi der grosze häufe, scliwed. almoge, dän. almue;
das fries. muka (s. 681) mag gleichfalls acervus, manipulus culmorum
sein, da nun ags. mucgvyrt artemisia bedeutet, scheint in Mucurüna
(wie in Gßnofeifa s. 540) der name eines krauts zu liegen.
Alle diese belrachtungen zeigen nähere Verwandtschaft der bur-
gundischen spräche zur gothischen, als zur ahd., wie dies auch der
* vgl. prov. gofaino gonfano f. gundfano (Rayn. p. 483), ja vielleicht sind die
s. 526 anders gedeuteten Gugerni = Gundgerni bellicosi.
492
BURGUNDEN
östlicheren läge der alten Burgunden und ihrer fortdauernden nahen
Verbindung mit den Gothen angemessen scheint, hinter der Rhone
stiesz burgundisches an westgothisches reich, im Waltharius 80 haben
Herricus (Hariricus) von Burgund und Alphere (Albhari) von Aquitanien
ihre kinder verlobt, und ein addilamentum zum gesetz verordnet:
quicunque ingenuus de Gothia captivus a Francis in regionem nostram
venerit et ibidem habitare voluerit, ei licentia non negetur.
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XXVI.
DIE ÜBEIGEN OSTSTÄIME.
Im osten Deutschlands waren wir durch Langobarden iiher die 709
Elbe, durch ßurgunden über die Oder geführt, es gab aber zwischen
Oder und Weichsel, bevor an die grenze der weiterstreckten Gothen
gereicht wird, noch eine nicht geringe zahl gröszerer wie kleinerer
deutscher Stämme, auf welche unsere von den Gothen ausgegangne,
vom südost nach westen, von da nach norden gelangte betrachlung
im nord- und südosten nothwendig zurückkehren musz. diese Völker
waren den Römern von allen Germanen die unbekanntesten, daher
auch ihre nachrichten darüber so wie unsere künde dürftig ausfallen,
was um so mehr zu beklagen ist, weil wir von dieser seitc voller
einsicht in die gothischen Verhältnisse, welche als grundlage aller
deutschen gescln'chte zu betrachten sind, entbehren, doch auch hier
werden unerwartete Streiflichter auf die Gothen fallen.
Ich lasse gleich die gröszte sich darbietende masse vortreten: ci 2.5%
es sind die Lygier. Straho s. 290 von Marobod redend, der als I J
jiingling zu Rom gewesen und wieder heimgekehrl sei, gedenkt ihrer
zuerst: enaveX&cbv de edwaorevoe xal xuTexri)oaTO tiqoq oTg elnov
Aoviovq re, /.ieya e'dxog, xal Zovf.iovg xul Bovrcovag xal TSlovyi-
Iwvug xal ~ißivovq xal rüv 2orjßcjv avrcov fxeya e'ßvog, 2t'(.ivco-
vug. yLoviovq in yLovyiovq zu ändern ist kein bediirfnis. die he-
gebenheit fällt unter August, noch vor den anfang unsrer Zeitrechnung.
Fünfzig jahre später, als des quadischen Suevenkönigs Vannius reich
(s. 505) zu ende neigte, waren auch Lygier herangezogen, also süd-
wärts gegen die Donau: nam vis innumera, Lygii aliaeque gentes ad-
ventabant fama ditis regni. Tac. ann. 12, 29; quia Lygius Ilermun-
durusque illic ingruerant. 12, 30. hei Dio Cassius 67, 5 (um das
jahr 85) erscheinen sivyioi noch südlicher, auf der rechten seite
der Donau in Moesien, wo sie sich mit Sucven entzweit und hei
Domitian um hülfe hatten bitten lassen; er sandte ihnen nur hundert
reiter, was die Sueven dennoch so aufbrachte, dasz sie ihrerseits um
der Jazygen beistand warben. In der Germania schildert Tacilus noch
494
LYGIER
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der Lygier östliche heimat: dirimit scinditque Sueviam continuum mon-
tium jugum, ultra quod plurimae gentes agunt, ex quibus latissime
patet Lygiorum nomen in plures civitates diirusum. valentissimas no-
minasse sufficiat, Harios, Helveconas, Manimos, Helisios, Nalianarvalos.
für Lygiorum geben einige hss. Legiorum, Ligiorum (Tagmann p. 42),
wogegen aber das ansehn der älteren hss. der annalen entscheidet.
Ptolemaeus nennt sie jtovyioi (denn die lesart ylovxoi ist sicher zu
verwerfen, vgl. vorhin s. 699), unterscheidet aber nur drei civitates:
vno xovg Bovyovvxuq ytovyioi ol ’O/uayoi. vcp ovg ylovyiot ol
zlovvoi. vno AoxißovQylw ogei Koqxovxoi xut ztovyioi ol Bovqoi,
wonach man ihnen ungefähr das heutige Schlesien und nördliche Böh-
men anzuweisen hätte. Die letzte meldung über sie hat Zosimus 1,
67 aus der zeit des Probus aufbehalten, dieser kaiser habe (ungefähr
um 277) gegen die Logionen (yioyloovig), ein germanisches volk, ge-
stritten und ihren anführer Semno nebst seinem sohn gefangen genom-
men , hernach aber wieder herausgegeben. 2t[xvo)v gemahnt noth-
wendig an die bei Strabo neben den Lygiern genannten Semnonen
(s. 493.) auf der tab. peuting. bessert man Lupiones in Lugiones,
in der späteren zeit sind sie ganz verschollen.
Keinem zweifei unterliegt, dasz ein so bedeutendes, neben lauter
Germanen auftretendes und in deutsche händel verflochtnes volk ([xtya
711 (d-vog) rein deutsch war, und Schafarik ist unberechtigt, aus der ähn-
lichkeit des sl. Wortes lug poln. leg, das auch unsere spräche im
(goth. lauhs?) ahd. loh, ags. leäh, mhd. 16, die lat. in lucus besitzt,
zu folgern, der volksname sei sl. Ursprungs und erst durch einnahme
des altslavischen sumpf oder wiesenlandes auf deutsche Völker überge-
gangen. wahrscheinlich hat Lygius mit diesem wort und begrif nicht
das geringste gemein, man dürfte allenfalls an die ahd. mannsnamen
Maganlöh Raginlöh Wolfolöh (Graflf 2, 127) denken, doch nie erscheint
das einfache Löh als mannsname. die älteste gestalt des namens
yloviog bei Strabo lehrt mich den westgothischen königsnamen Lira
(bei Isidor geschr. Liuua) und Livigild (Leuuigildus) zu erwägen (vgl.
ahd. Liuwiho, Gralf 2, 207), deren bedeutung freilich noch musz da-
hin gestellt bleiben, aus IV entfaltet sich IU und aus VJ und den
diphthongen UG, G, vgl. goth. valvidai und valugidai Eph. 4, 14, bauan
bagms u. s. w. wäre die diphthongische form falsch und Lugius,
Lygius festzuhalten, so könnte auch die Wurzel liugan laug lugum,
deren bedeutung ursprünglich celare scheint, in betracht kommen, ohne
dasz ich es wage den sinn des namens zu rathen, vgl. auch liugan
nubere.
Dions wichtige stelle bezeugt uns, dasz schon in der zweiten
hälfte des ersten jh. Lygier und Sueven in Moesien auftreten, welches
damals noch entschieden von Daken d. i. Geten bewohnt war. es
mochten nur ausziiglinge sein, die sich vom hauptvolk gesondert hat-
ten , etwa wie des Pytheas Guttonen vorgeschoben waren oder die
batavischen Chatten. Erblicken wir aber zwischen Oder und Weichsel
um diese zeit Lygier neben Burgunden, Sueven und Gothen, die hier
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
SILINGE. MUGILONEN. BUREN
495
jeder zugibt; zugleich südlich an der Donau Lygier und Sueven bei
Daken, warum sollen diese Daken nicht auch gothisch können gewe-
sen sein? Lygier reichen also gleich den Bastarnen früh in den süd-
ost zurück. Dio sagt auch 51, 22 dasz Daken, die Moesier heiszen,
flehen Triballern zu beiden seiten der Donau hausen, indem er eines
von Caesar 28 jahre vor Chr. veranstalteten triumphs gedenkt, wo die
Römer von Daken und Sueven ein kampfspiel aufführen lieszen (oben
s. 184.) hier werden jene skythisch, diese keltisch genannt; nicht 712
uneben nach dem alten Sprachgebrauch, jenachdem Germanen im osten
oder westen begegneten.
Aber die einzelnen lygischen Völker kosten kopfbrechen. Zov-
l-ioi klingt fast undeutsch, da Ulfilas in goth. Wörtern gar kein anlau-
tendes Z hat und ahd. lautverschiebung damals noch nicht eintrat; in
der entstellten form könnte etwas stecken von den Manimi des Taci-
tus, den 3O/uuroi oder gar zlovvoi des Ptolemaeus, für welche auch
wenig ratli zu schaffen ist. viel lieber halle ich an der unverdächti-
tigen lesart lest und bedenke das ermittelte Verhältnis des getischen
Z zu goth. II und litth. SZ (s. 188.) ist Zd\/uo'£ig von ^uX/uog
cutis, tegmen ein Halmaha von halm culmus (wurzel hilan, celare
legere); so wäre für Zov/uog nach goth- Ilaums, ags. Ileäm zu su-
chen, die sich freilich nicht darbieten (ein ags. adj. heämol horno frugi
ist nicht sicher genug), aber die trad. corb. 414 liefern den alts. aKS.Huovno
manns- und zugleich Ortsnamen Ilöma; das litth. szamas, lett. soms,
poln. sum bedeutet den fisch weis, silurus. Zu jenem /Jovvoi liegt
es nahe den bei Ptol. in dieser gegend angegebnen Ortsnamen yiov-
yldovvov zu vergleichen und beide aus dem ags. düu mons zu deu-
ten, das ahd. Askitün wäre was sonst Asciberg, nhd. Escheberg; doch
volksnamen aus örtlichem Verhältnis zu erklären scheint immer bedenk-
lich. Strabons BoviMveg nehme ich für BovyovvTiovtg (s. 699),
seine Sißivot sind eher als SiQßivot (s. 171) SiXivoinemlich die
von Ptol. zwischen Semnoncn und ßougunten gestellten Sihyyou,
welche bei Idalius und Isidor noch im 5 jh. in Lusitanien und Bae-
tica als Vandali Silingi auftreten, wie ja Plinius Burgundionen und
Gultonen dem vandalischen geschlecht überweist. Sil fällt einer guten
deutschen wurzel, wahrscheinlich seilan sail silum ligare zu, die trad.
corb. 241 bieten den namen Silhard; nähere deutung ist nicht mög-
lich; man könnte aber Zusammenhang mit dem pagus Silensis bei Thiet-
mar (Pertz 5, 855) und dem namen Silesia Schlesien finden, den die
nachher eingerückten Slaven in der gegend vorfanden. Die IMovyi-
Xcovtg dürfen an das ahd. müchilari sicarius, müchilsuert siea, mücheo
müchari latro, grassator mahnen, wenn man erwägt, dasz in Cimber713
und Ambro (s. 636. 638) dieselbe, jener rauhen zeit angemessene
bedeutung wallet, das sl. mogila grabhügel (s. 171) gebe ich wieder
auf, wie bei den Chauken den liouc tumulus (s. 676.)
Auf solche weise wären die von Strabo angeführten lygischen
Völker besprochen, des Ptolemaeus Bovqoi sind unverkennbar von
Tacitus zu eingang des cap. 43 als hinter den Markomannen und Qua-
496
BUREN. MUGILONEN
den wohnhaft angegeben; die ganze stelle musz aber ins äuge gefaszt
werden: retro Marsigni, Golhini, Osi, Buri terga Marcomanorum Qua-
doruraque claudunt. e quibus Marsigni et Buri sermone cultuque Sue-
vos referunt. Gothinos gallica, Osos pannonica lingua coarguit non
esse Germanos, et quod tributa patiuntur. partem tributorum Sar-
matae, partim Quadi ut alienigenis imponunt. Gothini, quo magis pu-
deat, et ferrum effodiunt. omnesque hi populi pauca campestrium,
ceterum saltus et vertices montium jugumque insederunt.
Dieser bericht scheidet umsichtig drei Sprachen; auf die gallische
werde ich nachher zurückkommen; unter pannonischer musz illyrische
verstanden werden, die sich nach Dio Cass. 49, 36* nordwärts gegen
Moesien und Noricum erstreckte; Osi, ungeachtet Tacitus cap. 28 un-
sicher redet, gehn uns also nichts an. Die suevischen oder lygischen
Buri erscheinen schon in der nähe der Karpaten, ungefähr wo die
Weichsel entspringt, reichen also südlich gegen Dacien. ihr name
flieszt aus der wurzel bairan bar baurum und gleicht dem mythischen
Buri und Börr der edda (mythol. s. 323. 526.) den Marsingen darf
Verwandtschaft mit den westlichen Marsen (s. 619) zugesprochen wer-
den, wenigstens führt ihr name auf einen ahnen zurück, dem auch
jene entstammen konnten. Beide, Buren und Marsinge zählt Tacitus
mehr zu den Sueven als Lygiern, während Ptolemaeus die Buren lygisch
714 nennt, über diese stehn aber noch andere bedeutsame meldungen zu
gebot, bei Dio Gassius nemlich 68, 8. 71, 18. 72, 3 heiszen sie
Bovfjgoi, und werden im krieg der Römer gegen die Daken, Quaden
und Markomannen bald als bundsgenossen, bald als feinde aufgeführt;
offenbar waren sie allen diesen, zunächst den Daken benachbart, wo-
neben zugleich 71, 12 gothische Astinge (s. 448) schon zu Mark
Antonius tagen auftauchen, auch Capitolinus im M. Anton, c. 12
nennt Quadi, Suevi, Särmatae, Latringes et Buri in einem athem, und
zum letztenmal gibt ihren namen die tab. peuling. zwischen Sannatcn
und Quaden über der Donau, unvollständig BUR, offenbar Buri. worauf
jedoch besonders gewicht liegen musz, ist, dasz Ptolemaeus bei auf-
zählang der dakischen Stämme selbst Buridaensii oder Buridiensii und
ihre stadt Burridava Buridava nennt; nach allem was ich s. 190. 191
erörtert habe sind in dieser Zusammensetzung die beiden völkernamen
Buri Burri und Dai Daci verbunden und durch Buridava wird die s. 202
gegebne deutung der andern Ortsnamen auf -dava willkommen bestä-
tigt. Es ist vollkommen natürlich, dasz zwei deutsche stännne sich
verschmelzen, wäre aber seltsam, wenn sie von geschlecht einander
fremd es gelhan hätten. Buren also wie Lvgier streiten für das deutsche
element in den ihnen benachbarten Daken oder Geten.
Unter den Völkerschaften, welche Tacitus für eigentlich lygische
hält, wurden vorhin schon die Manimi den Omanen des Ptol. und Zou-
men des Strabo verglichen; das ist gewagt, weil für keinen dieser
* Dio war unter Alex. Severus selbst Statthalter in Dalmatien und dem obern
Pannonien gewesen.
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H
HARIER. NA VARNAHALEN. VICTOHALEN
namen Sicherheit besteht, wie sollte man aus einem die andern her-
steilen? Die furchtbar, wie ein wildes heer (feralis exercitus), geschil-
derten Harii erscheinen unmittelbar als goth. harjös legionen (mythol.
s. 902) vgl. Ilariwa oben s. 228. Helvecones sind des Ptolemaeos
AiXovai'coreg, was leicht in AlXovaicovtg zu ändern stände; sie fol-
gen ihm auf Burgunden und gehn den Semnonen voraus, ihr name
klingt an keltische Völker, wovon hernach noch, zu Helysii oder Elysii
hat bereits Zeusz s. 124 passend andere namen des deutschen alter-
thums gestellt. Vor allen aber wünscht man aufgeklärt zu sein über 715
den namen Nahanarvali, von deren heiligem hain Tacitus die anzie-
hende künde gibt, eine reingrammatische auflösung des altn. Wortes
norn in goth. navairns, die ich neulich versuchte, hat glücklich das
räthsel deuten helfen. Müllenhoflf schlieszt scharfsinnig, dasz Naha-
narvali fiir Navarnahali stehe; es braucht kein Schreibfehler zu sdin,
das römische organ konnte die stelle des ihm lästigen H selbst ver-
rücken, s. 333 sind beispiele anderer consonantversetzungen vorge-
bracht, vgl. s. 720 Vividarii f. Vidivarii und Zamolxis für Zalmoxis,
des Wechsels zwischen II und V wurde s. 306 erwähnt. Navarnahali ande-r*
wären goth. Navarnöhaleis, altn. Nornahalir, viri qui dearum fatalium
tulela gaudent; das altn. halr, ags. häle vir, heros gestaltet auch ein q
goth. hals pl. haleis anzunehmen, will man damit nun den dienst J
der beiden jünglinge (vgl. s. 118) in einklang bringen, so könnten
diese lygischen Völker männliche nornen statt weiblicher verehrt haben,
wie ja für Nerlhus, unhold (myth. s. 942) und wicht (myth. s. 409)
die geschlechter. schwanken. Der letztgenannte ausdruck soll uns aber
gleich, wie mich dünkt, entscheidende bestäligung der Navarnahalen
bringen, auszer Tacitus nennt sie ncmlich niemand, spätere Schrift-
steller jedoch verschiedentlich Victobalen oder Victovalen, ganz mit
demselben Wechsel der Spiranten II und V; Capitolin im Marcus cap. 14:
Viclovalis et Marcomannis cuncla vastantibus; cap. 22: Jlarcomanni,
Narisci, Hermunduri, hi aliique cum Viclovalis Sosibes, Sicobotes, Rho-
xolani, Bastarnae, Alani, Peucini, Costoboci; Eulropius 8, 2: Daciam
nunc Thaiphali habent, Victohali et Tervingi. Ammianus 17, 12, die
liändel der Römer mit Quaden und Sarmaten im j. 358 berichtend,
erzählt von den letzten: qui confundente metu consilia ad Victohalos
discretos longius confugerunt, wie die besten handschriften geben,
einige lesen Victobales, wie bei Eutrop Victoali und Victophali. un-
bedenklich ist aber in diesem namen dem PH zu entsagen und allem
Zusammenhang mit dem cheruskischen Falen (s. 631), Victohali sind
goth. Vaihtchaleis, altn. Vaellahalir, von vict, ahd. wiht, goth. vaihts,
altn. vaeltr, einem meist weiblich, zuweilen männlich gedachten gei-716
stigen wesen unseres alterthums, das auch die nornen begreifen kann.
Sann. 145a ist vajttr ausdrücklich von einer schutzverleihenden val-
kyrja gebraucht, vaihts kann also navairns vertreten, bei solcher
gleichheit der namen sind Vaihtöhaleis was Navarnöhaleis, nicht blosz
ein verwandtes, sondern ganz dasselbe volk, das wie alle lygischen
stamme nach südosten streift. Wie Cherusken und Sachsen, Charu-
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498
VICTOHALEN. REUDINGE. SUARDONEN
V r
2&Y
den und Holsaten, Kimbern und Sturmaren, Heruler und Suardonen,
sind Navarnahalen und Victohalen ein und derselbe, nach Verschieden-
heit der zeit mit verschiednem, aber identischem namen belegte volk-
stamrn. Dasz sie zugleich neben Bastarnen Alanen Markomannen und
Hermunduren dakischen grund und boden betreten, musz unbefangnem
blick wieder das nahe Verhältnis zwischen Gothen, Lygiern und Baken
erschlieszen.
Nordwestlich von diesen Lygiern, im raum zwischen Elbe und
Oder, hinter den Langobarden gegen die Ostsee liegen die von Taci-
tus cap. 40 aufgeführten Reudigni, Aviones, Anglii, Varini, Eudoses,
Suardones und Vithones, von welchen einzelne, weil sie sich west-
wärts wandten, schon in vorausgehenden capiteln behandelt worden
sind. Suardones s. 473. 613; Anglii et Varini s. 604. 605; Aviones
s. 472, welche letzteren fast zu nördlich wohnen um sie mit fug den
Gothen beizuzählen. Reudigni scheinen sich gut zu erklären aus dem
goth. riuds, gariuds otjuvog, sie führen den schönen namen verecundi,
revercndi. nicht den geringsten grund sehe ich für die von Zeusz
s. 150 geäuszerte Vermutung, Reudigni bei Tacitus sei nichts als falsch
gehört statt Teulingi, Eutingi, Jutingi. glaublicher ist mir, dasz uns
die Eudoses gothische Iutusjös nach analogie von bfirusjös (s. 457)
und Sedusii (s. 496) anzeigen, vielleicht auch die Vithones, wofür
man Nuithones zu lesen pflegt, in Iulhones gewandelt werden dürfen
(s. 500), doch musz die abweichung des D und TU vorsichtig machen.
Wie den Lygiern das heiligthum der Alces wird allen diesen dem
strande der Ostsee nahen Germanen die göttin Nerlhus überwiesen,
717 deren hain auf einem eiland des meers lag. für dasselbe möchte ich
es immer noch bei der alten annahme von Rügen bewenden lassen,
da Bornholm zu fern gelegen, Hiddensee* zu klein ist. warum soll-
ten nicht die den Suardonen, Avionen und Reudingen nördlich benach-
barten Rugier (s. 469. 470) genossen dieses cultus gewesen sein?
freilich auf der strecke von der Oder zur Elbe gelangt man zuletzt an
die kimbrische halbinsel, und für Suardonen soll das tlüszchen Swar-
towe bei Lübeck zeugen, da doch der volksname richtiger auf sclnvert
zurückgeführt wird, obgleich ich nichts dawider habe, dasz die Suar-
donen die westlichsten dieser Nerthusvölker seien und mit Kimbern
wie Cherusken zusammenstoszen; dann käme auch die insei Femarn in
betracht oder eine noch nordwestlichere. Mit den Rugiern werden
Lemovii genannt, zu deren erläuterung ich nichts beizutragen weisz,
auszer der s. 469 ausgesprochenen Vermutung; doch fällt mir jetzt
ein, dasz die bei Ptolemaeus auf Scandia genannten Atvwvoi
aus Lemovii könnten verderbt sein, falls sie nicht Lygier sind
(s. 711).
Von Rugiern und Lemoviern tiefer gegen osten an der meerküste
vorrückend gelangt Tacitus zu den Suionen, über welche ich im näch-
* Hedinsey Saero. 152* vgl. Haupt 2, 3. man denkt beim namen Hedinn
leicht an Procups XaiSeivoi auf der Scandia.
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AESTIER
499
slen cap. sprechen werde, endlich zu den Aestiern und Sitonen, die
ihm hier Germaniens äuszerste grenze bilden: hic Suaviae finis.
Der Aestier namen überliefert vor Tacitus schon Straho s. 63
nach dem ihm lügenhaften Pytheas in der form ^QouuToi (nicht5Qgti-
fitöi, wie Kr. [aufnimmt). Wäre des Pytheas meldung vollständig he- VvW»»e«<^
wahrt, so würde erhellen, wie er sich die läge dieser Ostiaer neben
den Gultonen und Teutonen dachte, über welche Plinius 37, 2 den
bernstein abhandelnd folgendes auszieht: Pytheas (credidit) Guttonibus
Germaniae genti accoli aestuarium oceani, Mentonomon nomine, spatio
stadiorum sex millium; ah hoc diei navigatione insulam abesse Abalum, 718
illuc vere fluctibus advehi (succinum)* et esse concreti maris purga-
mentum: incolas pro ligno ad ignem uti eo proximisque Teutonis ven-
dere**. Mentonomon hält man für das frische haf, Ahalus für die
kurische nehrung, welcher letzte name deutschen Ursprung vcrräth,
und aus dem ags. abal robur, altn. atl erklärbar scheint. Stephanus
von Byzanz hat ^Qorlwvtg und setzt sie deutlich an die westliche
küste: tfrvog naqa np övriy.io wxtavü, ovg Koooivovg ^AQre^iidio-
(prjcn, IIv&eag d1 ' Qoziaiovg. xovxwu <T *£ evwvv/ucov ol Koa-
givoi Xeyo/ueyoi 1 Qoziwt'eg, ovg üv&eug ’ Qoztaiovg TtQoaayoQtvti.
Man hat anzunehmen, dasz Pytheas von Thule aus nach Mentonomon
schifte, wo Guttonen wohnten, und von da zur bernsteinküsle der
Ostiaer, welchen wiederum die Teutonen benachbart lebten, es bleibt
aber ungesagt, von welcher seite her***. Der bernstein wird auch
von Tacitus als eigentümlich den aestischen Völkern angesehn: sed
et mare scrutantur, et soli omnium succinum, quod ipsi glesum vo-
cant, inler vada atque in ipso litore legunt. glösum ist nun sichtbar
deutsch, und nahverwandt, obgleich im ahlaut verschieden, mit glas
jvitrum (gramm. 1, 58), wie sich ags. gläs vitrum, glaere succinum
sondern, und S : R genau stehn wie in väs fui : vaere fuisti (vgl. s. 315).
Plin. 37, 3 meldet ferner: certum est gigni in insulis septentrionalis
oceani et a Germanis appellari glessum; itaque et a noslris unam in-
sularum ob id Glessariam appellatam, Germanico caesare ibi classibus
rem gerente, Austraviam a barbaris dictam. Austravia ist genau das
altn. Austrey (fornm. sög. 12, 263.) ahd. Ostarouwa, wie aber mehr
als eine insei in verschiedner gegend geheiszen haben mag; man weisz
dasz bernstein längs der ganzen ostseeküste gefunden wird. Alle um-
liegenden Völker benennen das succinum anders, die Scandinaven ralr,
die Finnen merikivi, die Lilthauer gintaras (oben s. 233): der name
* das wird auch 4, 13 nach Timaeus berichtet, wo aber ein andrer schwie-
riger name der insel.
** hiermit scheinen noch sagen des mitlelalters in Zusammenhang von einer
nördlichen insei, wo das holz theuer sei, die einwohner mit kristallhartem eis
kochen und heizen, fundgr. 2, 5.
*** Zeusz s. 135 erklärt die Teutonen in dieser stelle des Plinius, also über-
haupt bei Pytheas, für schreib- oder lesefehler, was ich nicht mag, da zu Pytheas
zeit die Teutonen noch östlicher gesessen haben können, als später beim aus-
zug mit den Kimbern.
32*
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500
AESTIER
\U q, 22^
zeugt also laut für der alten Ostiaer und Aestier deutschheit. zwi-
schen Guttonen, Teutonen, Suionen, Sueven wie sollten sie nicht Ger-
manen sein, in deren Reihe sie auch Tacitus einstellt.
Hierzu treten aber noch andere gründe. Aestii,, und das ist die
richtige Schreibung (ö kann aus oi = oe hervorgegangen sein) wäre
gotli. Aisteis reverendi, von aistan IvrQtnto&ou, ein begrif, der sich
dem vorhin entwickelten der Reudinge nähert; weder aus finnischer
noch keltischer spräche liesze sich der name deuten. Tacitus drückt
sich nun folgendergestalt aus: dextro suevici maris litore Aestiorum
gentes alluuntur, quibus ritus habitusque Suevorum, lingua britannicae
propior. Matrem deum venerantur. insigne superstitionis formas apro-
rum gestant: id pro armis omniumque tutela securum deae cultorem
etiam inter hostes praestat. frumenta ceterosque fruclus patientius
quam pro solita Germanorum inertia laborant. Sie heiszen also Ger-
manen und ihre art und weise ist suevisch; wie Sueven die Isis, Reu-
dinge und Suardonen die Nerthus, verehren sie eine göttermuttcr und
tragen in ihrem dienste eberbilder, die gleich amuleten sicher stellen,
dieser cultus tri ft ganz mit dem von Frö und Frouvva (mylh. s. 194.
195. 632) überein; auf die lingua britannica werde ich hernach
kommen.
Erscheinen nun die Aestier in germanischer färbe für die Römer-
zeit, so bekundet sich auch lange nachher noch ihr Zusammenhang
mit andern Deutschen. Wenn Vidsid im ags. reiselied 323, 30
singt:
mid Eästbyringum ic väs and mid Eolum
and mid Istum and Idumingum,
so habe ich die Idumingas oben s. 500 in Idungas Eodingas zu be-
richtigen gesucht und schlage für Eolum vor Eotum, worüber im fol-
720genden capitel; die Iste sind unverkennbar Aestii und begegnen unter
andern deutschen Völkern. Theodorich der berühmte Ostgolhenkönig
stand in verkehr mit ihnen und dankt in einem bei Cassiodor 5, 2
bewahrten schreiben für bernstein, den ihm ihre boten gebracht hat-
ten, sie heiszen da Ilaesti und in oceani litoribus constituti. die zwi-
schen jenen alten Guttonen und Aestiern gepflogne gemeinschaft musz
angehalten haben, Jornandes cap. 23 bezeugt, dasz sie schon Erman-
rich klug zu sichern wüste: Aestorum quoque similiter nationem, qui
longissimam ripam oceani germanici insident, idem ipse prudentiae vir-
tute subegit; nennt aber [noch ein anderes volk, an der Weichselmiin-
dung ihnen zur seite: ad litus oceani, ubi tribus faucibus fluenta Vi-
slulae fluminis ebibuntur, Vidivarii resident ex diversis nationibus ag-
gregali. post quos ripam oceani item Aesti tenent, pacatum hominum
genus omnino. noch näheres gibt er cap. 17 an: Gepidae commane-
bant in insula Visclae amnis vadis circumacta, quam pro patrio ser-
mone dicebant Gcpedojos (oben s. 462), nunc eam, ut fertur, insulam
gens vividaria (1. vidivaria) incolit, ipsis ad meliores terras meantihus,
qui Vividarii (1. Vidivarii) ex diversis nationibus acsi in unum asyluni
collecti sunt et gentem fecisse dicuntur. an die stelle der gothischen
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AESTIER. GUTTONEN
501
Gepiden sind den Aestiern andere nachbarn gerückt, ohne zweifei die
zu Alfreds zeit Villänder genannten, denn er läszt den Vulfstän berich-
ten: seo Visle is svide micel eä, and heo tölid Vitland and Veonod-
land, and f)ät Vitland belimped tö Estum. hei Albericus trium fon-
tium (Leibn. acc. hist. p. 527) werden die Vithländer zwischen Let-
ten und Samländer gerückt: erant hoc anno (1228) in illis partibus
quinque tantummodo provinciae paganorum acquirendae: Prutia, Cur-
landia, Lethonia, Vithlandia et Sambria, und noch heute heiszt Lief-
land den Letten Widsemme, das zwischen Kurland und Estland lie-
gende, von widdus mitte, hat diese ableitung ihre richtigkeit? oder
hallt in den Vidivariern und Vitländern noch der alte name Vithones
nach? die alten benennungen Vithones und Aestii blieben, aber der
germanische stamm scheint durch fremde einzöglinge, unter welchen
die Finnen überwogen, getrübt und schon Jornandes sieht hier einen721
zusammenllusz verschiedner Völker, wobei auch das litthauische ange-
schlagen werden musz, dessen spräche in Samland an die stelle der
gothischen trat. Eginhart cap. 12 sagt: litus australe Sclavi et Aisti
et aliae diversae incolunt nationes; altn. sagen haben Eistir; später
meldet Vulfstän bei Alfred umständlich vom estischen gebrauch der leich-
bestattung, worin kein deutscher, ich weisz nicht ob finnischer anklang
ist. wenn er auszerdem anführt, dasz die Esten kein alu (ags. ealo,
altn. öl dat. ölvi, litth. lelt. allus, est. öllut, finn. olut gen. oluen,
olwen) brauen, sondern meth trinken (ags. meodo, altn. miödr, litth.
middus, lett. meddus, est. möddo, finn. mesi gen. meden), der könig
und die reichen aber Stutenmilch; so weisz noch Adam von Bremen
(Pertz 9, 375) von den alten Samländern und Preuszen (Sembi et
Pruzzi): carnes jumentorum pro cibo sumunt, quorum lacte vel cruore -
utuntur in potu, ita ut inebriari dicantur, und der scholiast (9, 377)
fügt hinzu: Golhi a Romanis vocantur Getae, de quibus Virgilius dicere
videtur (Georg. 3, 462):
quum fugit in Rhodopen atque in deserta Getarum,
et lac concretum cum sanguine potat equino;
hoc usque hodie Golhi et Sembi facere dicuntur, quos ex lacte jumen-
torum inebriari certum est. Die sage von den Hippomolgen reicht in
hohes alterthum (II. 13, 5) und geht bekanntlich von den Skythen
(Herod. 4, 2), musz aber auch von den Geten gegangen sein; unter
Gothen neben Samen in Preuszen kann sich dieser scholiast nur Sarno-
geten nach litthauischem Sprachgebrauch (s. 170) denken, keine er-
habne nachricht weist auf das melken der stuten bei entschiednen
Germanen, obwol aus dem verbreiteten genusz des pferdefleisches auch
das trinken der milch gefolgert werden dürfte: es war die natürlichste
nahrung aller nomaden, vgl. oben s. 18, Strabo s. 296. 300. 302. ~
303. 311 und Ukerts Skythien s. 296. 412. S'fuA’S.n twcLkotv .
Die ganze untersuchnug drängt zurück auf die Gothen, schon lAÖ.|OR.
320 jahre vor Christus traf an der Ostsee Pylheas neben Ostiaeern || Xi . J.
Guttonen; wir sehen im ersten jh. die Sueven als nachbarn der Geten, .
damals war der name Sueven zugleich allgemeine benennung vieler 722 /’
>
A 53,
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I
502
GÜTTONEN. GOTHINEN
östlichen Germanen. einzelne derselben, Lygier und Navarnahalen
erstrecken sich bald bis zum getischen Dakenreich, aber lygische Völ-
ker für gothische selbst zu erklären wäre unerlaubt, weil Tacitus
nachdem er das grosze ausgebreitete volk der Lygier abgebandelt hat,
fortfährt: trans Lygios Gothones regnantur, paulo adduclius quam cete-
rae Gcrmanorum gentes, nondum tarnen supra liberlatem. protinus
deinde ab oceano Rugii et Lemovii. man kann diese Gothen nicht
anders als jenseits der Weichsel setzen, wo sie in ungekanntcr aus-
dehnung an Finnen, Litthauer und Sarmaten rührten, wahrscheinlich
aber auch Verbindungen gegen Süden unterhielten, in den annalen
2, 62 läszt Tacitus einen edlen Gothen wider Marobod auftreten. Pli-
nius muste sich die dem vindilischen geschlecht zugeordneten Gut-
tones, neben Burgundionen, Varinen und Carinen nordwestlicher denken.
Wer aber sind die hinter Markomannen und Quaden, neben Mar-
singen und Buren genannten Gothinen? nach der Wortbildung darf man
nicht anstehen sie für gothischer abkunft zu erklären, ich habe den
Gothen und Gothinen s. 181 die iFfrou und rexrjvoi verglichen, und
gerade so finden sich sonst neben Tqoy.fxoi 2xXußoi 2:ovrjßoi auch
Tqoy/urjvoi ^y.Xußrjvoi Sovrjßrjvoi. der lange vocal dieser ableitung
gemahnt ans goth. fadar und fadrein yovtTg, guma und gumein aqotv,
qinö und qinein aus Gu|>a Golhus könnte ein adjectivisches Gu-
frnins entsprieszen und der bedeulung nach von jenem so zu unter-
scheiden sein, dasz Gujuins die eigentlichen Gothen, Gujieinai einen
verwandten, vielleicht mit fremdem blut gemischten stamm bezeichnte?
Dio Cassius 71, 12 nennt zur zeit des einbruchs gothischer Astinge
in Dakien (um das j. 166) auch Kolinen, welche Konvoi des Ptole-
i j maeus Koxvoi (wie für Koyvoi zu lesen?), des Tacitus Gothini schei-
nen. Dieser sagt aber, freie Germanen seien sie nicht, sondern llieils
den Sarmaten, theils den Quaden steuerpflichtig und gezwungen im
bergwerk zu arbeiten, wahrscheinlich den Römern, was für schimpf
723 und strafe galt (damnare in metallum, condemnare ad mctalla eifo-
dienda*). An der angabe riehtigkeit ist nicht zu zweifeln, vielmehr
hinzuzunehmen, dasz ihnen auch gallische, wie den gleich dienstbaren
Ösen pannonische spräche beigelegt wird.
Hier bin ich bei dem punct angelangt, dessen erörterung mir
zuletzt obliegt, das seltsame Verhältnis der Gothinen, dünkt mich,
kann nicht anders als so gefaszt werden: sie waren die frühsten ge-
gen westen vorgedrungnen Gothen (s. 181), wahrscheinlich in älte-
rer zeit als Pytheas lebte, wo noch mehrere keltische Völker in Ger-
manien niedersaszen; unter Kelten gemischt lieszen sie, wie später
die Franken jenseit des Rheins, allmälich ihre multersprache fahren
und bequemten sich der gallischen, behielten aber den angestammten
namen, der ihre deutsche abkunft verbürgt, den später nachrücken-
* man hat in Siebenbürgen und andern südöstlichcn gegenden spuren rö-
mischen bergbaus gefunden, vgl. Massmann libellus aurarius und ükerts Skythien
s. 623.
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TECTOSAGEN
503
den Deutschen konnten sie jedoch nicht mehr für volle landsleute und
stammgenossen gellen, sondern wurden geringgeschätzt und mit abga-
ben belegt. Das keltische element der Gothinen hängt also mit dem
der Bojen, Tectosagen und Helvetier (s. 165. 166. 494. 502) zusam-
men, die gedrängt von aufrückenden Germanen aus dem ganzen Ost-
gebiet vom Pontus, der Donau bis zum Rhein gegen südvvesten weichen
musten. In diesen gewinden früher Völkergeschichte bleibt aber noch
manches zu erforschen, einiges leicht für immer dunkel. Scheinen
doch jene unenthüllten Tectosagen (s. 165—167), da schon im asia-
tischen Skythien bei Ptolemaeus neben Sacae (s. 609) und Suobeni
(s. 489) Tectosacae Texroauxat Texroadyai treten (vgl. Ukerts Sky-
thien s. 357. 358), eine weit ältere mischung germanischer und kel-
tischer stamme und ich wäre versucht, sogar den ersten theil ihres
namens dem der rheinischen Tencterer (s. 533) zu vergleichen. Livius
38, 16 läszt die unter Brennus ausgezognen Gallier hernach von Leo-
norius und Lutarius geführt Thrakien, den Hellespont und Asien er-
reichen und ihre drei hauptslämme das errungene land so verlheilen,
dasz Trokmer das hellesponlische gestade, Tolistobojen Aeolien und 724
Jonien, Tectosagen die vorderasiatische küste in besitz nehmen, wer
kann sich des gedankens entschlagen, dasz schon jahrhunderte vor
dem beginn unsrer Zeitrechnung im östlichen Europa und westlichen
Asien Kelten und Germanen, wer weisz genau zu rathen wie? an ein-
ander gestoszen sind. Strabo läszt die Tolistobojen in Galatien, die
Trokmer am Halys und zwischen beiden die Tectosagen hausen: in
Tolistoboji steckt einmal der name Boji, dann eine superlativform, die
an Costoboci mahnt (s. 199. 200.) merkwürdig, dasz jene doppel-
gestalt der volksnamen (s. 722) eben die Trokmer mit angeht.
Ich verliere mich zu tief in den osten; nicht zu bezweifeln steht,
dasz die Römer unter allen barbarischen sprachen die gallische am be-
stimmtesten erkennen musten und des Tacitus meldung von der gothi-
nischcn nur Wahrheit enthalten kann, ebenso sicher war ihm bekannt,
dasz die Lygier kein gallisch, sondern germanisch redeten; sonst hätte
er sie nicht ausdrücklich den Germanen beigezählt, der name des
lygischen ortes ytovyldovvov, so auffallend er dem gallischen Lugdu-
num entspricht, darf hieran nicht irren, zumal es lygische zlovvoi
gab (s. 712.) es gab auch gallische Lemovices (Caesar 7, 4. 75), die
an jene germanischen Lemovii (s. 717) erinnern mögen, ich weisz
nicht, ob die gallischen Ilelvii und Ilelvelii an unsre Ilelveconen (s. 714).
Auf die wichtigen Lygier wird cap. XXX nochmals zurückkehren und
enthüllen, wie es um sie bewandt war.
Seit der eroberung Britanniens konnte den Römern die bedeu-
tende Verschiedenheit britannischer von der gallischen zunge nicht mehr
entgehen, und wenn Tacitus von der lingua Aestiorum ausspricht, dasz
sie brilannicae prbpior sei; so traue ich der römischen beobachlung,
ohne nachweisen zu können, wie ein kellischbritannischer stamm in
der einwanderung urzeit an die ostseeküste verschlagen wurde und
sich dort hernach mit östlichen Germanen verschmolz, aus der all-
sifF
»
.51
§
i
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504
OSTSTAMME
ästischen spräche aber, die uns verloren ist, milste der beweis solcher
mischung erbracht werden, nicht aus dem finnischen dialect des heu-
725 tigen Estlands, von den eberbildern erscheint auch unter Kelten spur,
wie selbst Nerthus an keltische spräche mahnt (Haupt 3, 226.)
Es ist unmöglich sich der deutschen spracheigenheit der in die-
sem capitel abgehandelten Völker zu versichern, das Z == H in Zov-
{.toi, wenn es für begründet gelten kann, wäre merkwürdig, die bil—
düng Eudoses der goth. weise entsprechend; -ones in Aviones Suar-
dones Iuthones Gothones, der lateinischen, suevischen oder fränkischen
form gemäsz gebildet, würde den bestand eines goth. -ans dennoch
nicht ausschlieszen.
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XXVII.
SCANDINAVIEN.
Alles was dem festen lande Germaniens in einer groszen halbin-726
sei und den gruppen einzelner eilande auf der Ostsee nördlich gegen-
über liegt, heiszt uns Scandinavien*, obwol diese benennung nur von
einem theil der mittleren kiiste, nemlich der landschaft Schonen aus-
gegangen scheint, die auf der linken seite ins meer vorragende kim-
brische chersonesus gehört, natürlich wie historisch angesehn, noch
zum festen Deutschland, führt auch nach dem stamm der Kimbern
ihren namen und war von lauter unscandinavischen Völkern bewohnt.
Schon Plinius 4, 13 nennt Scandinavia des sinus codanus beriihm-727
teste insei, von unerforschter grösze. auch enthalt -avia den begrif
des eilands, gleich jenem Austravia (s. 718), das golh. avi gen. aujös
(wie mavi maujös) ist das altn. ey gen. eyjar (wie mey meyjar), ahd.
ouwa für ouwia, woneben augia, ags. ige. der ganzen Zusammen-
setzung aber entsprechen mlat. Scandinovia Scandanavia Scatenaugia
Schatanavia, ags. Scedenigge, bei Älfröd Sconeg, altn. Skäney, bei
Saxo gramm. Scania, diin. Skaane, schwed. Skäne, nhd. Schonen.
Jornandes und nach ihm andre brauchen die verengte form Scanzia für
Seandia, die gleich dem BovgyovUtovtg für Burgundiones an den Über-
tritt des goth. Nj) in altn. j) gemahnt, dessen aussprache sich dem Z
nähert (s. 395.) Was nun scandin scandan scadan sceden skän seihst
besage ist noch unermittelt; Vermutungen stellt meine abhandlung über
* Norden oder Nordland wäre bald zu allgemein, bald zu eingeschränkt, da
es alle in nördlicher himmelsgegend wohnenden bezeichnet und wie es haupt-
sächlich auf Norwegen gerecht schiene, auch die Schweden selbst ihre nörd-
lichste landschaft Norrland nennen. Nordman galt im mittelalter sogar von Sar-
maten (Graff 2, 741). Nortman heiszen oft Dänen, oft Schweden. Sueones quos
Nordmannos vocamus. Eginh. cap. 12. ällmälich setzte sich das wort fest für
die nördlichsten Scandinaven, nemlich Norweger, die Saxo gramm. entweder Nor-
manni oder Norici nennt. Ohne zweifei ist auch das lat. den Römern nördlich
liegende Noricum schon in der Wurzel unserm nord verwandt, vgl. lapp, nuort
borealis, finn. nuori recens, bask. nartea septentrio. den Iren und Galen bezeich-
net tuath das nördliche land.
506
SCAND1NAVIEN
diphthonge s. 18 auf. Müllenhoff nordalb. stud. 1, 147 sucht darin
den sinn der vagina gentium bei Jornandes; doch die späte sage musz
auszer betracht bleiben, um so mehr ein von ihrem erzähler gebrauch-
ter ausdruck. wüste man, warum die alten den sund codanus sinus
nannten, so würde uns vielleicht ein scodanus scadanus (vgl. sceddan
s. 649) erschlossen, aus welchem sich Scodanavia Scadanavia ablei-
tete. für godanus ist codanus nicht zu nehmen, aber des Mela Coda-
nonia (s. 639) musz eins sein mit Scandanavia.
Wir haben der Gothen und Langobarden abkunft aus dem schosze
dieser Scanzia als unhistorisch auf das fehl der sage gewiesen, aber
der altanglische mythus stellt einen ahnherrn Sceäf oder Scoup nach
derselben Scedenigge, worunter man sich nur Schonen, nicht die kim-
brische halhinsel zu denken hat, denn es mag Verwirrung sein, dasz
abweichende sagen ihn in Heithaby d. i. Schleswig landen lassen, wie
dem auch sei, Angeln, Sueven und Langobarden berühren sich (s. 604.
687) und es scheint natürlicher und der geschichtlichen Wahrheit nä-
her, dasz der schlafende hehl aus dem Süden nach dem norden ge-
leitet werde, als dasz die Völker vom nördlichen Schonen nach dem
Süden des festen Landes ziehen.
Also völlig das entgegengesetzte von jener verbreiteten sage ist
728 zu behaupten. Nicht aus dem norden wanderte irgend ein stamm un-
sers volks nach südlicher ktiste. sondern ihrem groszen naturlrieb ge-
mäsz ergieng die Wanderung von südosten nach nordwesten.
Auf doppeltem wege jedoch scheint vom schwarzen meer, oder
schon der Maeotis aus, die scandinavische bevölkerung nach ihrer
neuen heimat gelangt zu sein, mit einem nördlichen und westlichen
arm. der nördliche drang ungefähr zwischen Dniester und Dnieper
durch Sarmatien gegen Finnland vor und erreichte von dort aus die
nördliche scandinavische halhinsel; mit dem groszen häufen der übri-
gen Germanen zog aber der westliche zwischen Dniester und Donau
gegen die Weichsel und setzte erst von da aus über die ostsee nach
dem südlichen Scandinavien. jenen hauptzweig darf man den schwe-
dischnordischen, diesen den dänischgothischen nennen ; da wo im heu-
tigen Schweden schwedisches und gotisches reich sich berühren,
stieszen beide hauptstämme wieder zusammen; Schweden fällt beiden,
ganz Norwegen dem nordischen, alle dänischen insein fallen dem go-'
thischen stamm zu.
Was unsere historiker von sich abwehren, Zusammenhang der
Germanen mit Osteuropa und Westasien hält die nordische Überliefe-
rung getreuer fest. Wie Jornandes seine Gothen an Gelen und Sky-
then knüpft, die fränkische sage auf Pannonien und Troja, die sächsi-
sche auf Macedonicn zurückleitet (s. 520. 523. 643); haben sich in
der altnordischen noch reinere und lebhaftere Umrisse einer fernen
vorzeit bewahrt, denen sicher nicht ihr recht angethan wird, wenn
man sie aus einer künde erklären will, die erst in der Normandie die
Normannen geschöpft haben sollen.
Vielleicht früher noch als der gothische volkszug, aber langsam
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SCANDINAVIEN. GOTHEN
507
und unterwegs tiefe spur hinterlassend musz der nordische ergangen
sein. Ynglingasaga nimmt nordwärts vom schwarzen meer noch eine
Svifnod hin mikla eda kalda an und läszt sie sich erstrecken bis zum
Tanais (oder Don), der alten grenze zwischen Asien und Europa (Jor-
nandes cap. 5.) diesem Tanais legt aber Snorri den alten namen Ta-
naqvisl oder Vanaqvisl bei: qvisl (fern.) bedeutet ramus fluminis und
Vanaqvisl wäre fluvius Vanorum, der Vanaland durchströmt, Tana scheint 729
blosze annäherung an den lat. namen Tanais, aus dessen letzter silbe
sich selbst qvisl erklären liesze. ostwärts der Tanaqvisl, in Asien soll
nun Asaland oder Asaheimr gelegen haben; diese östliche läge scheint
jedoch aus falscher deutung des Wortes äs hervorgegangen, die schon
wegen der goth. form ans aufgegeben werden musz; ja es könnte sein,
dasz selbst die Unterscheidung einer groszen und kleinen Svijhod ihren
Ursprung in der ähnlichen einer groszen und kleinen Scylhia fände:
/.uxqu 2xvfHa pflegte ein theil der taurischen halbinsel bis zum Bory-
sthenes zu heiszen. ich werde im verfolg auf die grosze Svijnod zu-
rückkehren.
Der Svij)iod zur Seite steht bedeutsam eine Godfnod, das land und
volk der Gothen, die sich vom osten Europas nach Süden und westen
ausbreiteten und in Siklscandinavien durch zwei hauptstämme, den go-
thischen und dänischen dargestellt werden, ganz wie sie schon an der
Donau im thrakischen land als Geten und Daken vortraten. Weshalb
auch der im golhischen calender aufbewahrte, also hei Donaugolhen
übliche name Gutfüuda (s. 410) einstimmt zu dem in Scandinavien gül-
tigen God{)iod. in Völuspä (Saem. 4b) sieht die Vala valkyrien reiten
ltil Godjfiodar, was hier ganz allgemein aussagt: in die weit, zu den
raenschen. ebenso steht Saem. 228a 226ljCä Godfnodo3 für: auf der
erde; 267b "Godjfiodar liT. in gleichem sinn finden wir Saem. 113b
‘Godveg troda3, die erde betreten, wie es sonst 24011 heiszt cmoldveg
sporna3, vegr für land gesetzt, gerade wie Iotavegr Jütland, Norvegr
Nordland ausdrückt, bestimmter heiszt Grimhild Saem. 233a cgot-
nesk kona3, mit hinhlick auf das südliche geschlecht der Giukungen
(Stein. 201.) in Hervararsaga cap. 16. 18 (fornald. sög. 1, 495. 499)
hat Godjfiod wieder jenen allgemeinen sinn von reich und land über-
haupt, wie er unter Völkern golhischer abkunft herschen muste, im
sögubrot (fornm. sög. 11, 413) wird aber ausdrücklich gesagt, dasz
das von den ostwärts her eingezognen männern besessene land God-
fnod benannt worden sei: en j>a voru fiessi Iönd, er Asiamenu bygdu,
köllud Godlönd, en fölkid Godiod. Im herzen Deutschlands und den 730
Geten voraus standen Sueven und andere hochdeutsche Stämme; es
blieb ihnen /keine weitere wähl, als seitwärts an der ostseeküste, wo j c
wir schon drei jahrhunderte vor Christus Gothen treffen, gegen Scan-
dinavien vorzudringen und mit dem kern des volks an der Donau stehn
zu bleiben, bis sich diesem später ein weg nach Italien, Siitlfrankreich
und Spanien öfnete. Aber jenen nach dem norden vorangegangenen
Golhen müssen allmälich noch lange zeit hindurch andere gothische
Stämme nachgerückt sein; schlugen gegen ausgang des fünften jh. (un-
GoHie
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508
DANEN
ter kaiser Anastasius) Heruler die bahn von der Donau nach Scandi-
navien ein (s. 471), warum sollen sie lang vorher andere Gothen nicht
gefunden haben?
Auch das getische zwillingsvolk, die Daken, risz der unaufhalt-
same ström dieser bewegungen mit sich gegen den norden fort; wie
es scheint, gab des Decebalus niederlage durch die Römer dazu den
nächsten anlasz. ein theil des Volkes, dem die fremde herschaft un-
erträglich wurde* wanderte aus, in der riehtung, die schon jahrhun-
derte früher andere Gothen genommen halten.
Die von Ptolemaeus 2, 10 auf seine insei Scandia, den Weich-
yiMfd- axUloÄ^elmündungen gegenüber, gesetzten rovrui xul Aavxitoyeg hätten doch
\Jvrl*Au* der crR*k sollen das äuge öfnen. es ist ungebotne Verwegenheit, aus
Aavxicovtg mit Zeusz s. 159 2xavdi(x)vtg zu machen, noch bedürfen
wir der änderung z/’avvicoveg, die ihm gleichwol beifällt, deren NN
hier so wenig taugt als in der jüngeren Schreibung Dännemark für
Dänemark. Daükionen sind die auf nördlichem zug begrifnen Daken,
deren Zusammenhang freilich dem Africaner seine nachrichten nicht
enthüllen. Aus Aaxoi entspränge genau Aäxwvtg, wie aus Gothi
Gothones, bei Aaxuoveg musz also ein zluxtog Dacius im mittel lie-
gen und das AY für A in Auvxtwveg Verderbnis sein, aber es bleibt
noch eine andere nebenform vorauszusetzen, nemlich Aaxrjyo(, die sich
zu Auxoi verhalten, wie Golhini zu Gothi.
Wir gelangen dem begrif wie der Wortbildung nach auf den na-
731 men der Dänen, waren Gothinen vorgeschobne Gothen, Slovenen vor-
geschobne Slaven, so erweisen sich Dakinen als vorgedrungne Daken,
und aus Dakini nach grammatischen gesetzen entspringt Dani, wofür
beweis s. 192 geliefert wurde. Hiermit aber ist die natürlichste nacli-
weisung gegeben, wie dieser name entstanden und woher dieser volk-
stamm eingewandert sei. aus dem engl. Ihane, das dem ags. {»egen
entspricht und ganz andrer wurzel gehört, Danus zu leiten war ein
irlhum.
Den ersten drei jhh. scheint die kürzung Dani unbekannt; am
frühsten auf taucht sie bei Servius zu Aen. 8, 728: Dani dicti a Da-
his, qui sunt populi Scythiae juncti Persidi. will man diese worte
für späteres glossem halten, so reicht der name Dani auch noch nicht
einmal in die mitte des vierten jh. und ein Zeugnis aus dem fünften
steht ihm ebensowenig zu gebot, doch dem sechsten ist er nicht ab-
zustreilen; um diese zeit hatten sich die Byzantiner genauere künde
vom norden erworben. Jornandes cap. 3, nachdem er mehrere nor-
dische Stämme ausgezeichnet hat, fügt hinzu: quamvis et Dani, ex ip-
sorum stirpe progressi, Erulos propriis sedibus expulerunt, qui inter
omnes Scanziae nationes nomen sibi ob nimiam proceritatem affectant
praecipuum. er ahnt also nichts von ihrem ausgang aus Dakien, das
ihm Dacia heiszt (cap. 5) und würde Dani und Daci unterscheiden*.
* Ekkehards auszug dieser stelle (Pertz 8, 120, 26) stellt hier Dani Daci
nebeneinander, unmöglich als verschiedne Völker, denn niemand wird je darauf
gefallen sein, die Donaudaken aus Scandinavien herzuleiten.
U
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DÄNEN
509
Nicht anders Procop, der b. goth. 1, 15 /Juxat xal üävvovtg
und 3, 3§. 34 das land /Junta, 3, 24 /Juxtov ywQa nennt, aber 2,
15 jenen zug der Heruler über die Donau in das gebiet der Sklabi-
nen, Warnen und Dänen berichtend sagt: /Juvwv tu tfrvr) nuQtÖQa-
f.toV‘ AmstaciiKj Sinaifa. Patriarch von Antiochien drückt sich gegen
Äm fshm* . f‘
4k
enug so aus: 2xv&i'uv ös
.uv ßoQtiov l'v&a eiolv ol
Je Völker gerade zusammen 732
g. Zu dem allen tritt nun
zen kann: vom zehnten bis
ellern wie in urkunden des
acus für Danus geschrieben
es nicht schon früher ge-
eichstellung der Dänen und
, nach analogie der Gothen
e aber der name Dazh in
ssen Dattschanin Däne, dat-
doch als natürliche vorzu-
egenden haftete, in andern
en form weisz auch weder
re deutsche spräche rechen-
. Danir aus ags. denu vallis
,z jener zlovvot monlicolae
ngelt selbst ein solches sub-
geschichte die brüder Dan
pitze dänischer königsreihe,
Anglien ausgehn; so mag
and Angeln, was auch sonst
■gtsuiicni, vciiwiup.^,., D____________ mens ist hier schon als alt
vorausgesetzt. Erst in späterer zeit, zu der des dänischen königs Frid-
leif, setzt Saxo in Schonen einen gleich mythischen Rig als herscher
an, dessen sohn Dag heiszt. Yngl. saga cap. 20 hingegen bezeichnet
diesen Rig eben als ersten Dänenkönig und verleiht ihm einen sohn
Danpr, welcher Danpr im eddischen Rigsmäl Saem. 106b neben Danr
aufgeführt und ihm wol schon namentlich identisch ist. Drött, mutter
des Dyggvi, vaters von Dagr, wird jenes Danpr tochter und Schwester
des Danr hinn mikilläli genannt, aus welchem Yngl. saga cap. 20 den
namen Danmörk herführt. Unverkennbar spielen hier überall die na-
men Dagr, Danr, Danpr in einander und lassen in Danr das alte Dagr
immer wieder nachklingen; auf Dagr geht das mythische geschlecht 733
aller Döglingar und Dellingar zurück (Sn. 191), Dellingr heiszt Dags
vater (Saem. 34a 91b 110. 115 b.)
Aushebenswerth ist eine rohe stelle des um 1288 geschriebnen
chronicon Erici regis (bei Langebek 1, 149): Dani, ut testantur vete-
res historiographi, tempore Saruch, proavi Abrahae, regnum, quod nunc
Dania dicitur, intraverunt, venientes de Gothia . . . quod autem quidam
508
DÄNEN
fa^)i
V&Mi/JL&itL
11%
ter kaiser Anastasius) Heruler die bahn von der Donau nach Scandi-
navien ein (s. 471), warum sollen sie lang vorher andere Gothen nicht
gefunden haben?
Auch das getische zwillingsvolk, die Daken, risz der unaufhalt-
same ström dieser bewegungen mit sich cremen den nn^on fn-t- »vie
es scheint, gab des Decebali
nächsten anlasz. ein theil de
erträglich wurde* wanderte ai
derte früher andere Gothen g
Die von Ptolemaeus 2,
yu*5^cu^a*jBw>selmündungen gegenüber, gese
lü-fet der cr‘l'k sollen das äuge öfti
z/avxi'wvag mit Zeusz s. 159
wir der änderung iawWfi
hier so wenig taugt als in
Dänemark. Daükionen sind c
deren Zusammenhang freilich
enthüllen. Aus Auxoi entsp
Gothones, bei Auxlwvag mus
gen und das AY für A in A
noch eine andere nebenform v*
zu Auxoi verhalten, wie Got ^
Wir gelangen dem begril
731 men der Dänen, waren Golh
geschobne Slaven, so erweise«
und aus Dakini nach grammr
beweis s. 192 geliefert wurdi
Weisung gegeben, wie dieser
stamm eingewandert sei. aus
entspricht und ganz andrer ^_____... 0^„.
irthum.
Den ersten drei jhh. scheint die kürzung Dani unbekannt;
frühsten auf taucht sie bei Servius zu Aen. 8, 728: Dani dicti a Da-
his, qui sunt populi Scythiae juncti Persidi. will man diese worte
für späteres glossem halten, so reicht der name Dani auch noch nicht
einmal in die mitte des vierten jh. und ein zeugnis aus dem fünften
steht ihm ebensowenig zu gebot, doch dem sechsten ist er nicht ab-
zustreiten ; um diese zeit hatten sich die Byzantiner genauere kunile
vom norden erworben. Jornandes cap. 3, nachdem er mehrere nor-
dische Stämme ausgezeichnet hat, fügt hinzu: quamvis et Dani, ex ip-
sorum stirpe progressi, Erulos propriis sedibus expulerunt, qui inter
omnes Scanziae nationes nomen sibi ob nimiam proceritatem affectant
praecipuum. er ahnt also nichts von ihrem ausgang aus Dakien, das
ihm Dacia heiszt (cap. 5) und würde Dani und Daci unterscheiden*.
xsaiiua 4 u 1C11CU War
r enr
; am
* Ekkehards auszug dieser stelle (Pertz 8, 120, 26) stellt hier Dani Daci
nebeneinander, unmöglich als verschiedne völker, denn niemand wird je darauf
gefallen sein, die Donaudaken aus Scandinavien herzuleiten.
DÄNEN
509
Nicht anders Procop, der b. goth. 1, 15 daxai xul üdvvoveg
und 3, 3§. 34 das land z/axta, 3, 24 daxidv /wpa nennt, aber 2,
15 jenen zug der Heruler über die Donau in das gebiet der Sklabi-
nen, Warnen und Dänen berichtend sagt: /Javüv tu efrvrj naqtÖQa-
[xov. Anastasius Sinaita, patriarch von Antiochien drückt sich gegen
den schlusz des sechsten jh. merkwürdig genug so aus: 2xvd~iur de
tiwd-aoi xuXeiv oi nuXuiol ro xXt/nu unuv ßoQtiov tv&u tlolv oi
r6r&oi xul /düveig. denn hier stehn beide Völker gerade zusammen 732
wie bei Ptolemaeus jFovtoi xul z/uvxkoveg. Zu dem allen tritt nun
eine bestätigung, die ich nicht gering schätzen kann: vom zehnten bis
zum dreizehnten jh. pflegt bei lat. Schriftstellern wie in urkunden des
dänischen reiches selbst Dacia für Dania, Dacus für Danus geschrieben
zu werden (s. 193), und warum sollte es nicht schon früher ge-
schehn sein? hätte das mittelaller diese gleichstellung der Dänen und
Daken aus dem fmger gesogen oder blosz nach analogie der Gothen
und Geten gelehrt ersonnen? wie gelangte aber der name Dazh in
den mund des Lappen? warum ist dem Russen Daltschanin Däne, dat-
ski'i datskoe dänisch? die auskunft scheint doch als natürliche vorzu-
ziehen, dasz der alte name in gewissen gegenden haftete, in andern
gekürzt wurde.
Von dieser gekürzten, unklar gewordnen form weisz auch weder
die dänische und altnordische, noch eine andre deutsche spräche rechen-
schaft zu geben, denn wer möchte altn. Danir aus ags. denu vallis
leiten und sie als vallicolae zum gegensatz jener zlovvoi monlicolae
(s. 712) machen? den nord. sprachen mangelt selbst ein solches sub-
stantiv. Stellt Saxo in seiner dänischen geschichle die brüder Dan
und Angul, söhne von Humblus, an die spitze dänischer künigsreihe,
und läszt er von Dan Dänmark, von Angul Anglien ausgehn; so mag
das an Überlieferungen hängen, die Dänen und Angeln, was auch sonst
geschieht, verknüpfen; die gestalt des namens ist hier schon als alt
vorausgesetzt. Erst in späterer zeit, zu der des dänischen königs Frid-
leif, setzt Saxo in Schonen einen gleich mythischen Rig als herscher
an, dessen sohn Dag heiszt. Yngl. saga cap. 20 hingegen bezeichnet
diesen Rig eben als ersten Dänenkönig und verleiht ihm einen sohn
Danpr, welcher Danpr im eddischen Rigsmäl Ssern. 106b neben Danr
aufgeführt und ihm wol schon namentlich identisch ist. Drött, mutter
des Dyggvi, vaters von Dagr, wird jenes Danpr tochter und Schwester
des Danr hinn mikilläli genannt, aus welchem Yngl. saga cap. 20 den
namen Danmörk herführt. Unverkennbar spielen hier überall die na-
men Dagr, Danr, Danpr in einander und lassen in Danr das alte Dagr
immer wieder nachklingen; auf Dagr geht das mythische geschlecht733
aller Döglingar und Dellingar zurück (Sn. 191), Dellingr heiszt Dags
vater (Ssem. 34a 91 b 110. 115b.)
Aushebenswerth ist eine rohe stelle des um 1288 geschriebnen
chronicon Erici regis (bei Langebek 1, 149): Dani, ut testantur vete-
res historiographi, tempore Saruch, proavi Abrahae, regnum, quod nunc
Dania dicitur, intraverunt, venientes de Golhia . . . quod aulem quidam
510
DÄNEN
dicunt, Danos a Danaitis i. e. Graecis venisse, verisimile est, sed us-
. quequaque certurn non est, nisi ab initio dicti sunt Dani, sed quaeli-
bet terra habuit noraen speciale, quod habet adhuc, donee tempore
David regis habuerunt regem Dan. nam tempore illo Dan, filius Ilum-
blae, de Suecia veniens, regnavit super Sialandiam, Monen, Falster et
Laland, cujus regnum dicebalur Withesleth. eo tempore rex quidam
potentissimus ad invadendum Julos venit. quo audito Juli, timentes
valde locum, qui adhuc Kowirki dicitur, fossatis et fragis ligneis mu-
nierunt, miseruntque nuntios ad Dan regem Withesleth, ut eis ferret
auxilium, pollicentes ei, victoriam si reportaret, dominium super se.
qui cum suis veniens apud Kowirki hostibus occurrit, occisis plurirais
et reliquis in fugam actis, dominus Julorum factus Dan cum Jutis
Fyoniam, Scaniam et omnes alias insulas Daciae sibi subjugavit, et
postmodum communi omnium decreto regnum suum Daniam et incolas
Danos a se, qui Dan dicebalur, appellavit. Dieser aus Schweden, d. i.
Schonen nahende Dan, dessen abkunft Saxo verschweigt, ist offenbar
Rigs solin, Rigr aber im eddischen lied der die geschlechter der men-
schen stiftende gotl Heimdallr, unter welches edelsten nachkommen
Danr und Danpr aufgefilhrt werden, ja das dallr in Ileimdallr wäre ich
geneigt jenem Dellingr für Deglingr zu vergleichen, über Vitisleth will
ich hernach eine Vermutung äuszern. das Gothia der älteren nacli-
richt ziehe ich aber nicht auf das schwedische Gotland, sondern auf
das östliche Golhenland oder Getenland.
Scandinavien blieb eines Zusammenhangs zwischen östlichem und
nördlichem Gothland, und gleich den Lappen und Russen eines zwi-
734 sehen Dänen und Daken, wenn auch dunkel und sagenhaft eingedenk,
wobei schon durch laulverschiebung des K in G (für H) verdacht fal-
scher gelehrsamkeit ausgeschlossen wird. Ich habe nur noch zweier-
lei hinzuzufügen, ist meine auslegung Dani — Dakini, vorgeschobne,
schon mit fremden beslandlheilen gemischte Daken, nicht fehlgeschla-
gen; so drückt der bekannte name Ilälfdanr (gamli. Sn. 190. ahd.
Ilalbtene bei Mone 1835, 98) mit äuszerlicher form ungefähr dasselbe
aus was Dakinus, da bekanntlich die eigennamen Ilalpdurinc Ilalpwa-
lah im gegensatz zu Altdurinc (gramm. 2, 629. 633) unserm alter-
thum reinen oder gemischten stamm bezeichnen, was auch bei Altsahso
(s. 627) zu erwägen ist. Dann fällt mir auf, dasz Yngl. saga cap. 2
Odins priester Diar genannt werden; das sind doch wunderbar die
getischen ZlToi übergehend in z/«ot (s. 191. 198) ohne lautverschie-
bung und wiederum zugleich mit lautverschiebung altn. tivar, divi und
divini (mylhol. s. 176), was helfen kann in den Ursprung des namens
/taxoi zu dringen, dem ich die griech. /Juvuoi oder indischen Dä-
navi nicht vorschnell gleichstelle*.
Wenn sich nun nicht bestreiten läszt, dasz die Dänen in genauem
* wer das altn. Däinn verwandt hielte mit Dagr, dürfte auch Dainslcif Sn.
164 dem goth. namen Dagalaif vergleichen und die ahd. frauennamen Tenilint
und Tagalint für identisch erklären.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
DANEN. JÜTEN
511
band und verkehr mit den Gothen und andern Östlichen Germanen
waren , allem anschein nach aber von den zur Weichsel vorgerückten
Gothen losgerissen wurden; so darf auch ihr vielfaches auftrelen in
dem deutschen oder anglischen epos nicht befremden, ohne dies Ver-
hältnis liesze sich kaum begreifen, wie in unsern Nib. Irnvrit von Dü-
ringen einen Irinc von Tenemarke zur seite hat, oder Liudgör von Sah-
senlande einen Liudgast von Tenemarke, welche noch im alten ingae-
vonischen gegensatz zu iscaevonischen Franken erscheinen. Vidsid un-
terscheidet Ssedene 320, 13 und Sdddene 322, 5, solche die schon
auf einer insei der ostsee saszen von südlichen, noch an der küste
des festen landes wohnhaften, oder will man die südlichen auf Laa-
land und Falster einschränken? im Beovulf unterscheiden sich Dene735
nach allen vier weltgegenden Eästdene Vestdene Süddene Norddene,
auszerdem werden noch Hringdene und Gärdene eingefübrt, welches
alles einen zahlreichen, in der neuen heimat um sich greifenden volk-
stamm erkennen läszt. aber schwer hält es ihnen bestimmte sitze
anzuweisen. 4984 sind Gärdene unmittelbar auf Gifdas d. i. Gepiden
genannt, was ihren aufenthalt noch lief in den osten des festen lan-
des zurückschiebt, da sonst keine Gepiden im westland Vorkommen
(s. 464.) Die namen Hringdene und Gärdene, hergenommen von rin-
gen und speeren der helden, scheinen mehr auszeichnende dichterische
epitheta der Dänen überhaupt, als eigne Benennungen; so sahen wir
oben s. 705 Gunnar Geirniflüngr = Niflungr heiszen, und Geirniördr
Seem. 266b mit dem verstärkten namen eines gottes bezeichnet nur
einen helden.
Man nimmt an, dasz der dänische stamm hauptsächlich Schonen,
Seeland und Fühnen erfüllte, die schonischen könnten Ostdänen, die
übrigen Westdänen heiszen, allenfalls die jütischen Norddänen. Und
hier ist nun von den Jüten zu reden, deren schon cap. XXIII meldung
geschah. Iülland war im miltelalter sitz und kraft des dänischen
reichs, dessen könig von den skalden Iota drottinii genannt und zu
Viborg erwählt wurde; wie ich schon s. 446 anführte, Finnen heiszt
ein Däne noch heutzutage Juuti. Doch lag der alte und berühmteste
königstul zu Hleidra auf Seeland (fornm. sög. 6, 613) Hleidargardr
(fornm. sög. 1, 46. 64. 97. 347), hei Saxo Lelhra, später Leire;
dies wort ist genau das golh. hleijtra axijvrj, vielleicht auch gr. xXeT-
Sqov, lat. clathri, ags. hheder, ahd. hleitara, welche beiden letztem
freilich scala ausdrücken: zaun und gitterwerk der hülte scheinen aus
ruthen und sprossen geflochten gleich leitern. sollte nicht mit Lethra
der zweite theil jenes dunkeln namen Vitisleth (s. 733) Zusammen-
hängen?*
Zuerst nennt die Jüten Beda in den s. 642 angezognen stellen 736
* Keyser om Nordmändenes lierkomst s. 334 hält Hleidra zu des Plinius in-
sula Latris (4, 14) in ostio sinus Cylipeni, und zu diesem die altn. Kylpingar im
nordwestlichen Ruszland, welche aber allzuweit abliegen und nicht lautverscho-
ben sind.
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
512
JUTEN
ausdrücklich als Germanen, neben Sachsen und Angeln, mit welchen
gemeinschaftlich sie den zug nach Britannien unternahmen, der An-
geln heimat war zwischen Juten und Sachsen gelegen, den Juten musz
der kimbrischen halbinsel nördlicher theil überwiesen werden und von
vornherein scheint die annahme natürlich, dasz diese drei Völker stamm-
verwandt gewesen sein müssen. 1, 15 verdeutscht Alfred Iuti durch
Geätas, misgeleitet von der ähnlichkeit des gotischen und jütischen
namens*, doch 4, 16 ist provincia Iutorum mit dem richtigen Eota-
land ausgedrückt, was mich veranlaszt auch cod. exon. 323, 30 Eotum
statt Eolum herzustellen.
Weder im Beovulf sind Eotas, noch in den eddaliedern Iotar an-
zutreflen, bei den skalden aber Iotar, Iolland, lotagrund, Iotavegr (be-
lege fornm. sög. 12, 313) häufig genug. Saxo gramm. schreibt Iuti
und Iutia. die schwedische form lautet Jute Jütland, die dänische
Jyde Jylland. hiernach würde ein goth. Iuts pl. lutös, ahd. Ioz pl.
Iozä zu gewarten sein, wozu sich der schwachformige ahd. roanns-
name Iuzo halten läszt. dürfte man nun der dunkeln parlikel ut, uta
fgto die formel iuta aut utum unterlegen, so könnte sich für unsern
volksnamen die örtliche bedeutung exterior, extrcmus ergeben, ahd.
üzaro üzarösto.
So viel scheint klar, dasz er nichts gemein haben kann mit einem
andern, oft hinzu gehaltnen, aber der formel ita at ötum gehörigen
ausdruck. dem altn. iötunn gigas, ags. eoten, alts. etan hätte ein
goth. itns, ahd. ezan zur seite zu stehn, iötnar und Iotar, eotenas
737 und Eotas würden im goth. itnos und lutös, ahd. ezanä und Iozä noch
deutlicher ab weichen**.
Aber wie schwer vereinbares hat auf einer einzigen seite 146
Zeusz unter den hut bringen wollen: Tavroveg Twvyevoi*** Nui-
thones Euthiones Iulhungi Iulae Vitae Ziuvaril ist es etwas mit der
lautverschiebung, so begehrte sie für goth. lutös lat. Eudi, die schon
nach goth. weise geschriebnen Iulhungi, ahd. Iedungä (s. 500) wären
in lat. Eutigni zu übersetzen, wofür ich die urkundlichen Reudigni nicht
hingebe, könnte den wegfall oder zutritt des linguallauts die altn.
form jod proles neben jiiod gens erweisen; so rnüste überall gefunden
* Procop bell. goth. 2, 6 legt dem Beiisar gegenüber italischen Ostgotlien
die Worte in den mund: rjfieTs Se Pörd'ois Boerravviav olrjv ovyxcoQOv/iev
e%eiv, aber dabei denkt der schlaue feldherr der Römer nicht an die in Britan-
nien eingezognen Juten, sondern will die Gothen aus Italien nach der lernen
insei verlocken.
** doch könnte sein, dasz der mythische Forniotr gen. Forniots, ags. Forneot
Forneotes (mythol. 220) auf Verwechslung von Iotr und iötunn beruht, da sich
das kennzeichen des alters mehr für riesen schickt (mythol. s. 496.)
*** Tcovyevoi steht in zwei stellen Strabons s. 183 und 293, leidet aber keine
änderung in Tevrovoi, weil Strabo s. 196 Tevroves schreibt, und Tcovyevoi,
TcyvQrtvoi s. 293 nebeneinander als helvetische stamme erscheinen, allerdings
würden sich s. 183 H4/i.ßQcoves xal Tevroveg besser schicken als HäfißQcoves xal
Tcovyevoi und Straho konnte hier beide namen verwechseln; doch den buchsta-
ben geschähe zu viel gewalt, wollte man jene lesart unterschieben.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
werden Iodar und nicht Iotar. Aber von den Teutonen, die auf der
halbinsel wohnten, mag sich in Iütland leicht spur weisen lassen, wie
in Dietmarsen (s. 639.) Nidudr, den die edda nach Schweden setzt
(Niara drottinn Saem. 134. 135 wird aus Nerike gedeutet), berscht
nach Vilk. saga cap. 21 in Jütland cj>ar sem Thiodi heitir3; man meint
zu Thy in Nordjütland, falls ein solcher name dort sich nicht wieder-
holte. in Biörns wb. ist Thiodi = Franconia angegeben nach der
merkwürdigen stelle der Snorra edda s. 138, welche auch den
Hialprekr d. i. Chilpericus, zu dem Reginn und Sigurdr gelangen,
nach Thiodi setzt. Völs. saga cap. 12 heiszt aber Hialprekr könig
von Dänemark.
Rask vertheidigt eine andere, gleich unhaltbare ansicht, ihm sind
die Jüten keine Teutonen, aber Gothen, Iotar sei nur eigne aussprache 738
für Gotar; solche erweichung des G in J oder I ist doch der altn.
mundart fremd, dasz in Ohtheres reise Gotland sowol für Jütland als
die insei Gothland geschrieben steht, kann nach jenem ags. Geätas für
Eolas nichts beweisen. Nach einer stelle im formäli der edda s. 14
soll Iolland gleichviel sein mit Reidgotaland; wir werden aber nachher
sehn, dasz diese letzte benennung, wenn auch einigemal auf Jütland
eingeschränkt, sich viel weiter erstreckte und mit gröszerem recht dem
festen lande zuerkannt werden musz.
Mir scheinen die Jüten schon vor ankunft der Dänen im norden
angesessen auf der halbinsel und gleich deren übrigen bewohnern
deutschen Stamms, d. h. hier weder dänischen noch gothischen. die
vorhin grammatisch bestimmte namensform Eudi findet in den Eudoses
des Tacitus volle gewähr, welche ich schon s.*716 als goth. Iulusjös
aufgestellt habe. Iutös und Iutusjös bezeichnen dasselbe volk. im
ersten jh. aber wohnten die Eudoses noch zwischen Suardonen und
Varinen am gestade der Ostsee, im verlauf des zweiten werden sie sich
westwärs in die halbinsel gezogen haben; bei Ptolemaeus sind sie da
als Oovvdovooi genannt, mit welchen ich s. 640 noch nicht aus-
kommen konnte: man wird ’lovdovaoi EvÖovaoi bessern dürfen, wo-
mit auch Zeusz s. 152 einverstanden ist, der zugleich aus hss. des
Orosius 6, 7 Caesars Sedusii (s. 496) für Edusii Eudusii hält, die
sich neben den Haruden schon in Ariovists beer einfanden. Nach ver-
lauf der zeit, vielleicht erst im 5. 6 jh. mögen nun Dänen aus See-
land und Fühncn in die nördliche halbinsel eingebrochen sein und die
Jüten überwältigt haben, deren alter name aufrecht blieb, obschon
ihre spräche der dänischen wich, im ganzen mittelaller rechnete man
also die Jüten schon zu den Dänen, Adam von Bremen (Pertz 9, 367)
sagt: et prima quidem pars Daniae, quae Iudlant dicitur, ab Egdore
in boream longitudine protenditur; und nochmals (9, 373): itaque
primi ad ostium praedicti sinus habitant in australi ripa versus nos
Dani, quos Iuddas (al. Viddas) appellant usque ad Sliam lacum. diese
Schreibung Iudlant hält noch ganz den unverschobnen laut von Eudi 739
und Eudoses.
Gröszeres umfangs als der dänische volkstamm war der ihm nah-
33
eJU ?«,&
n \
? >+eU*t$ü.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
verwandte, im südlichen theile Schwedens niedergelassene gothische,
des namens God[)iod im norden eigentlicher träger, nordwärts von
Schonen hat er die gebiete Westgothlands und Ostgothlands eingenom-
men, die lange zeit ein eignes, vom übrigen Schweden gesondertes
reich bilden, auch die zwischen gelegnen Halland, Blekingen und
Smäland, sammt der insei Golhland müssen ihm überwiesen werden.
Doch stellt sich hier gleich etwas merkwürdiges heraus, diese
schwedischen Gothen, wie schon ihr name Götar Güter zeigt, sind keine
Gujians, sondern Gautös, ags. Geätas, alln. Gautar, ahd. Közd, oder in
den lauten des höheren alterlhums ansgedrückt: sie sind keine Getae,
sondern Gaudae, d. h. eine durch ablaut und Verschiebung bestimmte
Verschiedenheit des groszen gothischen volks, deren schon s. 200, 439
und 445 erwähnung geschah, aber auch darin folgen sie, fast instinct-
mäszig, dem alten stamm nach, dasz ihnen wie diesem aufgang und
niedergang der sonne (s. 442) in der neuen heimat wieder zur ab-
theilung wird und alsbald ein Eystragautland Vestragautland, scbwed.
Östergötland Vestergötland vorhanden ist (s. 445.) * Solche Gautar
oder Götar sind die in Beovulf neben Sueonen und Dene auftretenden
Geätas (s. 445); wenn sie aber in V^edergedtas und Saegedtas zer-
fallen, scheinen hiermit nichts als westliche und östliche gemeint
(s. 446), wie unter Saedene die östlichen, schonischen. statt Veder-
gedtas steht häufig einfaches Vederas oder Vedera leod, was an den
namen Wetterau, ahd. Wetareiba, in einem westlichen, warmen land-
strich gemahnt **.
740 Allein das AU waltet nicht ausschlieszlich, sondern auch einfaches
U oder 0, wie es schon s. 440 in den altn. formen gotna und gotnesk
aufgezeigt war***. Gautland meint das schwedische Gotland (Ost-
und Westgothland), Gotland aber entweder Schonen oder Dänmark
(Sn. 146) oder die insei des baltischen meers, deren altes gesetzbuch
immer Gutland, Gutalagh und gutnisc schreibt, niemals in diesen Wör-
tern den diphthong AU verwendet. Allerdings sollte mit der Uform
ein TII, nicht T verbunden sein, wie auch God|)iod und im nächsten
capitel der name Godheimr bestätigt; TTII in r6r&oi und Gut[>iuda
reicht nicht bin das einfache T zu entschuldigen, es erscheint auch in
allen folgenden namen wie im ags. Gotan (s. 440), und mag durch
scheinbare analogie des T in Gautar und Geätas herbeigeführt sein.
Die altn. spräche und sage unterscheidet nemlich ferner ein Eygota-
land und Reidgotaland, welchen niemals AU zusteht (s. 446.) mit
dem ersten dieser ausdrücke werden ganz klar gothische inselbewohner,
vermutlich die auf Öland und Gotland angezeigt; schwierig aber bleibt
der andere. Biörns Wörterbuch deutet Reidgotaland durch Julia und
* Götaelf, altn. Gautelf heiszt die aus dem Wenersee durch Westgothland
flieszende, bei Gothenburg in die see strömende Elbe.
** ein Vedra fiördr in Kr&kumäl 16 und Vedrey in Halland. fornm. sög.
4, 373.
*** beide formen vereinbart der volksname Gauthigoth bei Iornand. cap. 3,
dessen örtliche deutung schwer gelingt, (vgl. oben s. 441.)
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
REID GOTHEN
515
läszt unmittelbar darauf das wort reidgoti veredus folgen, wie auch
das einfache altn. goti equus bedeutet, wir sahen aber, dasz im volks-
namen das T unorganisch ist. ebensowenig kann pferdeland des namens
sinn, als dessen einschränkung auf Jütland gegründet sein, hält man
jene stelle des formäli der edda s. 14 zu skäldskaparmäl s. 146, so
ergibt sich beider gleichheit und dasz in der ersten Gotland für Iot-
land zu setzen ist. In der ganzen Hervararsaga wird Reidgotaland
offenbar ins nordöstlichste Deutschland und an Hünaland grenzend ge-
legt, ja s. 509 steht: er {)at sagt, at Reidgotaland ok Hünaland se
nü Thydskaland kallat. zwischen beiden reichen liegt Myrkvidr (Hervar.
p. 496), was an den niederländischen wald Mircwidu bei Dietmar
(Pertz 5, 869) erinnert, um so merkwürdiger, da in unsrer heldensage
die fränkischen Völsüngr und Sigmundr könige von Hünaland sind
(fornald. sög. 1, 116. 119. 144), Sigurdr in der edda selbst hünskr 741
heiszt (Saem. 216b 225b 264a), welches alles auf die oben s. 475
524 berührte mythische nähe der Franken Hünen und Friesen hinweist
und ein andermal genauer ausgeführt zu werden verdient. Hierher
gehört blosz, dasz auch Vidsid im ags. lied 322, 3 mid Hünum and
Hredgotum verkehrt und Hrßdcyninges häm Eormanrices 319, 4 be-
suchte, der gothische Ermanricus tritt als reidgothischer könig auf,
und 325, 31 wird gesagt: Hraeda here ymb Vislla vudu vergan sceol-
don ealdne ödelstöl, an der Weichsel hatten die Hraedas ihren alten
sitz, nicht anders läszt auch der dichter von Elene v. 20 Hüna
leode and Hredgotan, Francan and Hünas zu Gonstantin des groszen
zeit das römische reich überziehen, und v. 58 wird nochmals Hüna
and Hrüda here nebeneinander genannt; der zug ergeht nach v. 37
an die Donau über die riesenburg (bürg enta) v. 31 und scandinavi-
sche Völker können hierbei gar nicht in betracht kommen. Wie aber
der name Ilrßdas oder Hraedas (denn kurzen vocal zu setzen verbietet
das altn. Reid) sich deuten lasse? ist erheblich genug zu fragen, die
altn. Schreibung hat nur R im anlaut, welches ich darum dem ags.
oft falschen HR vorziche; mir schwebt vor, dasz in Reid Rüd oder
Raed die vocale entstellt, und wenn man Reod oder Reud vermuten
wollte, des Tacitus Reudigni zu erwägen sein dürften, diese Reudinge
sahen wir zur römischen zeit neben Angeln, Varinen, Eudosen, Suar-
donen zwischen Elbe und Oder an der ostsee; warum könnte ihr
name nicht in den Reidgoten nachklingen? gleich ihren nachbarn
werden sie sich später gegen westen forlbewegt haben, ohne dasz
das andenken an ihren alten sitz im osten und an ihren Zusammenhang
mit den Gothen ausstarb; aber der mit den Eudosen macht, dasz sie
auch nach Jütland gesetzt wurden, von den schwedischen Gäulen
unterscheiden sie sich bestimmt, wie schon die Schreibung der namen
anzeigt. Wer die mythischen Ortsnamen in Hervararsaga und Ynglinga-
saga cap. 21 näher deuten könnte, würde mehr licht über diese
Reidgothen, und wenn es mich nicht triegt über die alten Reudinge
verbreiten.
Ich gehe über von der God[)iod auf die Svif>iod. Schweden 742
33 *
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
kennt schon, der noch von keinen Dänen weisz, Tacitus nicht mehr im
-germanischen festland, sondern als inselbewohner, als eigentliche be-
völkerung der bei ihm ungenannten Scandinavia; nachdem er von
Gothen, Lygiern und Lemoviern gesprochen hat, heiszt es cap. 43:
Suionum hinc civitates, ipso in oceano, praeter viros armaque classi-
bus valent, und hierauf werden ihre schiffe, ihre herscher und noch
ein eigner brauch geschildert: nec arma, ut apud ceteros Germanos
in promiscuo, sed clausa sub custode et quidem servo, wobei mir eine
stelle der edda einfällt, Saem. 245a:
siö eigo vid salhfts sverda full,
hverjo ero peirra hiölt or gulli.
denn dasz edle und freie sich nicht zu lhitern der -waffen hergaben,
ist deutscher sitte angemessen. Die Schweden waren also ein an-
sehnliches volk, das mehrere landschaften (civitates, wie die Lygier
cap. 42) bildete, aber sie waren Germanen; man kann kein entschei-
denderes Zeugnis verlangen dafür, dasz die Römer Scandinavien unter
Germanien begriffen.
Der namensform Suiones entspricht auch im mittelaljter Sueones
z. b. bei Eginhart cap. 12, in den annalen (Perlz 1, 200) bei Adam
von Bremen und Saxo, die fast immer so, nur ausnahmsweise anders
schreiben, nicht anders stimmt das ags. Sveon, gen. pl. Sveona Beov.
5888. 5911. 5998, dat. pl. Sveom cod. exon. 320, 19. 322, 4,
wozu Thorpe s. 534 einen falschen nom. pl. Sveas bildet, der altn.
name hat im nom. pl. Sviar *, gen. Svia, dat. Svium; wie hier der
nicht übliche, stets durch das adj. Svenskr ersetzte nom. sg. zu lauten
hätte? etwa hlosz Svi? dem ags. gebührt Sveo, gerade wie das lat.
743 Suiones den sg. Suio fordert. Aber von dieser nordischen und säch-
sischen gestalt des namens scheint sich die golh. und hochdeutsche
zu entfernen, jene überliefert uns Iornandes cap. 3: alia vero gens
ibi moratur Suethans **, quae velut Thuringi equis utuntur eximiis;
ganz die gotli. schwache form, einen nom. sg. Suetha voraussetzeml;
darf man auch den vocal gothisch fassen, so ist Suölha zu schreiben;
ein Gothe, denke ich, würde geschrieben haben Sveipa, wo nicht gar
Svaipa, dem bald darauf folgenden Finnailha ähnlich, wofür das altn.
Finneidi (fornm. sög. 11, 358) d. i. heutige Finweden in Smäland
gewähr leistet. Adam von Br. 378, 16 nennt Finnedi (al. Finwedi)
neben Wermelani (Wermländern.) zu bedauern ist der abgang ahd.
glossen für den namen des Volkes und landes, aus dem nhd. Schwede,
mhd. Sweide (Diut. 1, 66. Oberlin s. 1132) und Swöde Swöden
folgre ich ahd. Sueido pl. Sueidon und vermute in Suiones Sueones
* die Uppsviar in Uppland (wo auch Uppsalir) gemahnen an Uphriustri
(s. 678) und behaupten den Vorrang unter allen stammen. Upplönd finden sich
sodann in Norwegen, ein Utland neben Vestergötland; ütlönd, Citiardir sind terrae
exterae, minores, folglich Uppsviar Sueci majores, Utsviar minores.
** die Schreibungen Subeans == Sweans (UB für W, wie öfter) Suuehans
kommen dagegen nicht auf; auch Ekkehard (Pertz 8, 120) las in Iornandes
Suehans.
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Bsmsnsasia
SCHWEDEN
517
Sviar einen ausfall der lingualis, ähnlich dem in fior feover statt des
gotli. fidur fidvör (s. 242.) Nicht zu tibersehn, dasz neben Sueones
Adam aber auch häufig Suedi und Suedia, einmal sogar Suevi 319,
30 und Suigja 345, 3, dann auch Sueci schreibt, welches letztere
statt des gewöhnlichen Sueones ebenfalls einigemal bei Saxo gefunden
wird und in der heutigen lat. form den sieg davon getragen hat.
Sueci scheint kiirzung eines adjectivischen Sveici oder Suevici, und
auf diesem weg liesze sich der schwedische an den suevischen namen
knüpfen. Was aber ist aus der von Iornandes gegen den schlusz
desselben cap., man musz annehmen, als verschiednem namen aufge-
zählten form Suethidi zu machen? er sagt: Finni mitissimi, Scandzae
cultoribus Omnibus mitiores, nec non et pars eorum Vinoviloth, Suethidi,
Cogeni in hac gente reliquis corpore eminentiores. kann in Suethidi
liegen Svijnod, goth. Sv6[)iuda, wie in einem vorausgegangnen namen
Liothida Liutjiiuda (gens elfera, saeva, von liuts ahd. lioz ferus)? Wir
müssen den critischen apparat zu Iornandes abwarten, um hier festeren 744
fusz zu fassen.
So viel scheint mir jetzt schon durchzubrechen, dasz unsere
Schweden und Suethans Zusammenhängen müssen mit den von Tacitus,
als er nach den Suionen des ihn mehr anziehenden bernsteins aus-
führlich gedacht hat, noch erwähnten Sitonen cap. 45: Suionibus
Silonum gentes continuantur, cetera similes, uno dilferunt, quod femina
dominatur. dieser letzte zug macht denken nicht sowol an des Ior-
nandes skythische Amazonen und Aliorunen (cap. 6. 8. 24), als an
die von Paul. Diaconus 1, 15 ins ende Germaniens versetzten: nam
et ego referri a quibusdam audivi, usque hodie in intimis Germaniae
finibus gentem harum existere feminarum. die sage hatte den lango-
bardischen Lamissio mit diesen frauen kriegen lassen, in Alfreds
reisebericht sind aber zwei solcher frauenländer genannt, einmal Mägda-
land (terra virginum) zwischen Horithen und Sermenden, und Cvena-
land (terra feminarum) hinter Sveoland, dessen bewohner jedoch Cvenas,
nicht Cvena frauen genannt werden, wie überhaupt beide ländernamen
den erzähler nicht veranlassen etwas von frauen zu erwähnen, fornm.
sög. 11, 414 geschieht eines Kvennaland (feminarum regio) in Asien
meldung, doch Egilssaga cap. 14 p. 56. 57 nennt ein historisches
Kvenland, das zwischen Schweden und Finnland (auf schwedischer seite
in Helsingjabotn, auf finnischer in Austrbotn) gelegen war. genau
genommen unterscheiden sich die Kvenir von Schweden und von Fin-
nen, gelten aber zuweilen auch für Finnen; fornald. sög. 2, 3 stehn
Gottland, Könland und Finnland zusammen unter einem herscher. Diese
altn. Kvenir und ags. Cvenas erscheinen also ihrer läge und der frauen-
gewalt nach ganz die Sitonen des Tacitus, deren name lautverschoben
den golh. Svöfmns und mhd. Sweiden entspricht, da die anlaute S und
SV öfter identisch sind, z. b. die goth. seina sis sik aus sveina svis
svik entspringen (s. 261) und goth. svein, sl. svinja dem lat. sus suis
gleich steht.
Soll ich nun eine deutung des dunkeln namens wagen? ans altn.
03
CO
518
SCHWEDEN
745 svedja framea denke ich nicht; es mag ein uraltes verbum sveijia svaij)
svifmm gegeben haben, dessen bedeutung noch aus dem altn. svid
sveid svidum aduro, svidinn adustus ersichtlich ist; daher leite ich ags.
svädu vestigium, gleichsam eingebrannte spur, die Schweden sagen
sveda, die Dänen svie adurere, svedja aber drückt jenen ganz beson-
ders aus: dejectis arboribus ignem subjicere, ut in cineribus frumen-
tum seratur; altn. gilt svia von der warm werdenden luft. bezeichnete
man die waidgrenze durch niedergebrannle bäume? den Friesen ist
swßthe grenze, in der jüngeren niederd. spräche swette. waren dem
alterthum Schweden was Markomannen (s. 503), die auf der Wald-
grenze wohnenden? das ahd. suid strages, exitium (Grafl' 6, 871)
war vielleicht ein muspilli, perdilio ligni = ignis, wie bei 0. V. 23,
149 suidit urit scheint; in den tradit. wizenb. p. 386 begegnen die
ahd. mannsnamen Suueidinc und Suueidmunt. nicht unangemerkt
lassen darf ich aber, dasz jenes altn. Svifnod (grenzvolk?) in der ags.
chronik ad a. 1025 Svädeod lautet, und vielleicht ist auch dem ags.
svädu der begrif grenze nachzuweisen.
Strabo s. 306 hat unter den ßastarnen auch Sidoveg, Plinius
aber 4, 11 unter thrakischen Völkern circa Ponti litora Moriseni Si-
thoniique Orphei vatis genitores *. Ptolemaeus stellt in die weichsel-
gegend, nach den Lugiern und Huren 2idü)veg, tha Koyvou, welche
zu .den bei Iornandes genannten Suethidi und Cogeni treiben, weshalb
ich die besserung in Korvoi = Konvoi ablehne **, es sei denn,
dasz Iornandes den fehler selbst aus Ptolemaeus schöpfte, ins Oder-
gebiet /hingegen setzt Ptolemaeus SeiÖivoi. verhält sich meine deu-
tung des sitonischen namens recht, so kann er Völkern verschiedner
gegend, ohne dasz man Wanderungen anzunehmen braucht, zugestanden
haben. Es ist auf jeden fall bedeutsam, dasz uns auch dieser name
- aus dem norden zurück an die Oder, Weichsel und an das schwarze
746meer führt, von wannen der Gothen und Geten ausgang erfolgte,
wie hernach im norden Dänen Gothen und Schweden neben einander
können schon dort im osten Daken Geten und Sitonen sich zur seite
gesessen haben und die Bastarnen sind dabei nicht zu übersehen.
Nirgend hielt das bewustsein dieses alten Zusammenhangs länger
an als in Scandinavien, wo ihm freilich auch die nicht so früh aus-
gerottete mylhologie Vorschub that. während im übrigen Deutschland
fast nur noch in der fränkischen sage (s. 523) rückwärts nach der
Donau geschaut wurde, andern Stämmen aber die östliche abkunft in
eine nördliche sich umdrehte; hielt die nordische sage an einem alten
viel ausgedehnteren Schwedenreich fest *** und blieben die Nord-
männer des Pontus und Tanais eingedenk, diese absichtslos fortge-
* den Orfeus brachte die griechische sage an mehr als eine stelle in Thra-
kien und, Makedonien.
** wie wenn zu diesen Cogeni das getische Kcoyaicovov (s. 200) gehörte?
*** Sviaveldi begreift auch Gardariki, das spätere Ruszland. fornald. sög. 1,
413, 422.
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SCHWEDEN. ROXOLANEN
519
pflanzte Überlieferung rausz dem aus andern gründen geschöpften be-
weis mächtig zu statten kommen.
Ich will aber noch eine andere spur aufweisen, dem Strabo
sind s. 114 cPco’£o\avot die fernsten Scylhen, voraroi twv yv(jOQtf.iwv
2xv&iöv, und s. 294 folgt nähere angabe, dasz sie ostwärts hinter
der Germania und den Bastarnen wohnen, nach s. 306 zwischen
Tanais und Borysthenes, als eben der Peukinen und Sidonen gedacht
war. auf einer lat. inschrift (oben s. 459) werden reges Bastarnarum
et Rhoxolanorum zusammen genannt, durch diese Verbindung mit den
Bastarnen fallen sie in die zeit vor Christus. Plinius 4, 12 zählt sie
gleich Geten und Sarmaten unter den Skythen auf: Alani et Rhoxolani.
sie hängen also mit den ältesten und nordöstlichsten Germanen zu-
sammen. Dem Tacitus hist. 1, 79 heiszen sie Sarmaten, er läszt sie
im j. 69 in Moesien einfallen: eo audentius Rhoxolani, sarmatica gens,
priore hieme caesis duabus cohortibus magna spe ad Moesiam inru-
perant: novem millia equitum, ex ferocia et successu, praedae magis
quam pugnae intenla. Ptolemaeus, der in Sarmatien vier grosze Völker-
schaften ansetzt, darunter auch Peukinen und Bastarnen begreift, stellt 747
Iazygen und Rhoxolanen nebeneinander, hat aber zwischen Bastarnen
und Rhoxolanen Ilunen (Xovvoi.) Noch bestimmter lautet des Iornan-
des angabe cap. 12: hanc Gothiam, quam Daciam appellavere majores,
quae nunc ut diximus Gepidia dicitur, tune ab Oriente Roxolani, ab
occasu Tamazites, a septentrione Sarmalae et Baslarnae, a meridie
amnis Danubii fluenta terminant (1. terminabant.) Tamazites a Roxo-
lanis alveo tantum lluvii segregantur. offenbar heiszt nach diesen
Tamasiten (deren namen fast an den skythischen Poseidon Thamimasadas
bei Herod. 4, 59 mahnt) der ort Tamasidava im lande zwischen Ister
und Hierasus bei Ptolemaeus. Merkwürdig aber lautet die cap. 24
von Hermanricus ende mitgetheilte nachricht: nam Hermanricus rex
Gothorum licet, ut superius retulimus, multarum gentium extiterit
triumphator, de Hunnorum tarnen adventu dum cogitat, Roxolanorum
gens infula, quae tune inter alias (ei) famulatum exhibebat, tali eum
nanciscitur occasione decipere. dum enim quandam mulierem Sanielh
nomine ex gente memorata pro mariti fraudulento discessu rex furore
commolus equis ferocibus illigatam, incitatisque cursibus per diversa
divelli praecepisset, fratres ejus Sarus et Ammius germanae obitum
vindicanles Hermanrici latus ferro petierunt. das schlägt unmittelbar
in unsere heldensage ein, Sarus und Ammius sind die in der Quedlin-
burger Chronik bei Pertz 5, 31 Serila und Ilemido (1. Ilemideo), in
der edda Sörli ok Hamdir genannten, ihre gothischen namen würden
lauten Sarvila (onlhrig) Hama[)ius (loricatus); Sanielh == Svanihild
(s. 298), ihre Schwester oder Stiefschwester war Sigurds leibliche
tochter, sie selbst sind söhne Ionakurs (goth. Aiinaharis, Haupt 3, 156),
dessen reich edda und Völsüngasaga nicht ausdrücken. es musz je-
doch am meer, weil Godrün auf den wellen zu ihm getragen wird,
und dem Gothenreich benachbart gelegen haben, hierzu fügt sich,
dasz bei Saxo gramm. diese brüder cgenere hellespontici’ genannt sind,'
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520
SCHWEDEN. ROXOLANEN
was deutlich den Hellespont am schwarzen meer meint, also zur öst-
lichen heimat der Rhoxolanen stimmt, die im vierten jh. bei Gothen
748 und Ilunen wohnen, und in deren königsgeschlecht deutsche namen
nicht verwundern können, wenn sie auch mit Iazygen und Sarmaten,
~ also Slaven vermengt erscheinen, nie steht Rhoxalani, doch man hat,
weil Plinius Alani und Rhoxolani verbindet, nicht uneben beide Völker
auch im namen verwandt gehalten (Böckh inscr. 2, 115b), wozu das
s. 223. 473 über.Alanen gesagte verglichen werden musz.
Diese nachricht von den Rhoxolanen hätte ich bereits ira zehnten
cap. gegeben, wenn sie nicht der folgenden bezieliung halben hierher
gehörte, die Finnen nemlich nennen einen Schweden noch den heu-
tigen tag Ruotsalainen, die Esten Roolslane, die norwegischen Lappen
Ruptteladzh; das land Schweden heiszt finnisch Ruotsi, lappisch Ruotli*;
es sind uralte formen, die sich in dem fernsten norden, gleich jenem
Dazh und Dattschanin für Däne (s. 732) geborgen haben und beide
namen bezeugen sich ihren Östlichen Ursprung wechselsweise. Ruot-
salainen ist Rhoxolanus und der Finne der vorzeit musz sich mit
einem schwedischen, gothischen, alanischen, sarmatischen volkstamm
berührt haben, den er so benannte; auf dem schwedischen nachbar
blieb zuletzt der name haften, hat ihn aber die finnische spräche
zuerst gebildet, welche alle volksnamen auf -lainen ableitet (Lappalainen
ist ein Lappe, Pohjalainen ein Nordländer); so kann jener Zusammen-
hang mit den Alanen nicht richtig sein, es sei denn, dasz der name
A'kavoi selbst dem finnischen geselz folge. Das aber leuchtet mir
ein, dasz die gewöhnliche herleitung von Ruotsalainen aus Roslagen,
wie ein tlieil der Finnland gegenüber liegenden upländischen küste
genannt wird, falsch und wol umgekehrt Roslagen aus Ruotsalainen
gebildet worden sei. gehörte Roxolanus schon im hohen alterlhum
einem germanischen volkstamm, so kann es füglich ein undeutscher,
ihm von fremden nachbarn zugelegter name sein **.
* den Norweger nennen die Finnen Rutialainen, Norwegen Rutia, das scheint
dem Ruotsalainen sehr ähnlich, den scliwed. Lappen heiszt der Schwede Tarolats
oder Laddelats (rusticus).
** an den ersten theil von Rhoxolanius erinnert schon 'Pco'gaviq, der name
einer gemahlin Alexanders des groszen. es scheint, man hat allen grund den
Ursprung des russischen namens mit den Roxolanen zu verknüpfen, da nicht
allein die byzantinischen <PoiSsQäroi und Bäqayyoi (s. 450. 451) als Varjager
und gosti (gäste), als Varjagorussi auf russischem gebiet erscheinen, sondern
auch die drei brüder Riurik, Sineus und Trivor bei Nestor als unslavische, deut-
sche- ansiedler geschildert werden, die ann. trecenses (Pertz 1, 434) melden,
dasz der grieeli. kaiser Theophilus im j. 839 eine gesandtschaft an Ludwig den
frommen nach Ingelheim schickte: misit etiam cum eis quosdam, qui se, id est
gentem suam Rhos vocari dicebant, unter welchen man sich noch BaQayyoi
denken darf, die mit dem alten namen der Roxolanen benannt wurden, wenn sie
auch schon Slaven waren. Roxolanus und Ruotsalainen musz also im alterthum
von einem germanischen oder halbgermanischen volkstamm gültig gewesen sein.
Dasz die Finnen gerade den Russen Wenäläinen und nicht Ruotsalainen nennen,
beweist nichts gegen den Zusammenhang der Russen und Roxolanen; die finni-
sche benennung hatte sich auf den germanischen bestandtheil des volks, nicht
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ROXOLANEN. NORWEGER
521
Wie der Römer äuge in Scandinavien nur Germanen sah und 749
scandische gleich deutschen Stämmen eine uralte gemeinschaft im osten
ahnen lassen; findet sich auch die deutsche und altnordische helden-
sage vielfach verflochten, jene liedberühmten brüder der Rhoxolanen
bezeugten es eben und das gedieht von Beovulf bürgt dafür, in wel-
chem Dene, Geätas, Sveon, Gifdas, Francan, Frysan, Hetvare und
Höcingas auftreten. neben andern deutschen stammen nennt uns
Vidsid auch Sveon und Helsingas 320, 1, d. i. die einwohner des
schwedischen Ilelsingeland, altn. Helsingjar; 322, 9 Geflegas? ein-
wohner von Gelle?
Man kann erwarten, dasz auch für den dritten, noch entfernteren
liaupttheil Scandinaviens, für Norwegen ähnliche Beziehungen walten.
Die altn. Benennung Noregr (scliwed. Norrige, dän. Norge) ent-
springt aus Norvegr (s. 298), wie durch helvegr die unterweit, durch 750
nioldvegr die erde (ags. foldveg) ausgedrückt wird; zumal aber kann
sie jenes ähnliche. Godvegr (s. 729) erläutern. Saxo braucht die lat.
form Norvagia, welcher das mhd. Norvaege Nib. 682, 3. Parz. 66, 1
gleicht, doch Conrad schreibt Norwegen (: degen) Partinop. 48, 14.
troj. kr. 23783. dem mhd. Sweiden scheint Norweide liiut. 1, 67
nachgebildet, blieb aber bis ins 16. jh. üblich in der form Norweden
Nortweden bei Er. Alberus, Seb. Frank und Fischart. Wichtiger ist
die frage, ob das verengte Noregr schon gesucht werden dürfe in
einem alten namen bei Plinius 4, 16: sunt, qui et alias (insulas) pro-
ilant, Scandiam, Dumnam, ßergos, maximamque omnium Nerigon, ex
qua in Thülen navigelur? Zeusz s. 195 verneint es, weil er sich
unter Thule nur das von den Norwegern erst im 9. jh. erreichte Is-
land denkt; da doch Thules sagenhafte Unbestimmtheit auszer Island
und vielleicht den Orkaden auch auf die norwegische kfiste angewendet
werden darf, bei Slrabo s. 63. 64. 114. 201 heiszt Qovfo] nörd-
lichste der britischen insein, das äuszerste nordland, auch bei Plinius
4, 16 ultima omnium, quae memorantur, und berühmt ist Virgils ul-
tima Thule Georg. 1, 30. Tacitus im Agric. 10 von entdeckung Bri-
tanniens und der Orkaden redend fügt hinzu: dispecta est et Thyle,
quam hactenus nix et hiems appetebat. Procop. b. goth. 2, 15
schildert aber Thule zehnmal gröszer als Britannien und von dreizehn
Stämmen unter eignen königen bewohnt, was nur auf Norwegen passen
kann und zu der grösze von Nerigon bei Plinius stimmt, dasz Procops
Thuliten Normänner oder Scandinaven insgemein sind, geht auch aus
den darunter mitbegriffenen Gauten (Favroi) hervor, die er l'&vog
nolväv^QMTtov nennt.
Der name Thule würde sich lautverschoben gut aus dem altn.
dylja celare occulere, dul occultatio erklären: es ist das nebelhafte,
unbekannte land und die norweg. landschaft Thelamörk, deren ein-
wohner Thilir heiszen, schlage ich lieber nicht hinzu.
auf den sarmatischen gewandt, man vgl. Ewers vom Ursprung des russ. staats,
Riga 1808, aber mehr des stofs als der ergebnisse wegen.
522
NORWEGER
Auszer Scamlia und Nerigon kommt noch eine andere benennung
751 bei Plinius 4, 13 in betracht: Scandinavia est incompertae magnitu-
dinis, portionem tantum ejus, quod sit notum, Hillevionum gente D
incolente pagis, quae alterum orbem terrarum eam appellat. Diese
500 pagi Hillevionum gehn noch über die 100 der Sueven (s. 490.
491) hinaus; der name klingt fast an jene AiXovalwvtg, Ilelvecones
und Helusii des festen landes (s. 714), das altu. helluland bedeutet
felsenland von hella petra, goth. hallus, und die klippen von Norwegen
können ihn veranlaszt haben *. lornandes cap. 3 hat Bergio und
Hallin als volksnamen hintereinander. Schwerlich steckt in diesem
Bergio oder des Plinius Bergos das heutige Bergen, altn. Biörgyn,
Biörgvin, Biörgynja, sondern vielleicht noch das goth. fairguni mons,
altn. Fiörgyn, es liesze sich denn ein Übergang des F in B nach-
weisen.
Bei Vldskl werden mehrere norwegische stamme aufgeführt.
322, 15 die Ileadoreämas (gebildet wie Headobeardan s. 689) sind
altn. Raumar oder Hadaraumar, Bewohner von Raumariki (vgl. Rauma-
ricae Iornand. c. 3) und Hadaland, zu beiten seiten der Raumelf;
Beov. 1032 findet sich con Headoreames5, wobei man land häm oder
geard zu verstehen hat (gramm. 4, 261.) unmittelbar voraus geht
322, 14: mid Ilronum ie väs and mid Deänum, welches letztere
ganz verschieden von Denum ist; doch weisz ich solche Dednas oder
altn. Daunir sonst nicht zu zeigen, bei den Ilronum fallen des lor-
nandes Grannii ein, vielleicht auch das mare Cronium bei Plin. 4, 13;
dann aber Hrones näs aus Beov. 5607. 6267, die statte am meer,
wo des beiden hügel erbaut wurde, den Angelsachsen hiesz der
wallfisch nicht blosz hväl, sondern auch hron oder liran (vgl. hronräd
Caedm. 13, 9), was man von hrän rheno, altn. hreinn unterscheide.
Die Thrövendas 322, 17 sind altn. Thraendir, besser Thrcendir, Be-
wohner Drontheims; soll man sie aus ags. jirövan pati, certare, ahd.
druoen oder altn. jiröa augeri herleiten? vielleicht einigen sich beide
752 bedeutungen, ein nordischer heros hiesz Thröndr, gewis aber ist der
ahd. mannsname Druoant (Ried. n° 94. Tliröant h. Schannat n° 45.
259) dasselbe, mit den Glommum 319, 22. 322, 26 konnte ich
s. 469 nicht fertig werden; es müssen anwohner des Busses Raumelf
gewesen sein, der heute noch Glomm oder Glommen lieiszt. Den
Rugum und Holmrygum wurde s. 469 ihre stelle gewiesen. Frum-
tingas 322, 25 treten sonst nirgend auf; die Bedeutung des altn.
frumti clunis liesze auf einen höhnischen Spottnamen schlieszen.
Im Ossian bezeichnet Locldin Norwegen, von loch see und linn
land, also Seeland; die Iren heiszen jeden Scandinaven Lochlannach,
die Galen Lochlunnach; genauer ist Bonn Lochlannach weiszer L. ein
Norwege, dubh Lochlannach schwarzer L. ein Däne, merkwürdig dasz
auch die Lappen Norwegen Vuodn nennen, welches sinus maris
* Keyser a. a. o. s. 331 hält die Hilleviones für die norwegischen Elfarbüar
oder bewohner von Alfheim, was ich nach den lautverhältnissen bezweifle.
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ALTNORDEN
523
ausdrücken soll, wenn man nicht lieber von vuodo fundus ablei-
ten will.
Die keltischen und finnischen Völker waren den deutschen in
Europa vorangegangen, und es scheint Finnen selbst den Kelten
(s. 174.) von den Germanen wurden die Kelten gegen westen, die
Finnen gegen norden zurückgedrängt, dies Verhältnis älterer bewohner
zu den eingewanderten bezeugen nicht blosz stehn gebliebne Ortsnamen
und andere Wörter der spräche, sondern auch haftende Überlieferungen,
deren im nächsten cap. erwähnt werden soll.
Auf erhaltung der reinen nordischen spräche hat sowol der län-
gere forthestand des heidenlhums als die abgesonderte niederlassung
freier norwegischer geschlechter in dem fernen Island günstig gewirkt,
wodurch allein eine grosze zahl von denkmälern geborgen und fort-
gepflanzt wurde, deren edelster theil jedoch schon vor jenem auszug,
wenigstens ihrer grundlage nach, entsprungen gewesen sein musz.
darum heiszt auch diese spräche richtiger altnordische oder norrcena
als isländische, obschon sie sich auf der abgeschiednen insei bis heute
fast unversehrt erhalten hat. Sie gehört zwar dem gesamten scandi-
navischen alterthum, vorzugsweise jedoch dem norwegischen und unter
allen benennungen scheint die zur zeit der vorwaltenden dänischen 753
macht ihr heigelegte einer dänischen zunge (dönsk tünga) die un-
geeigneteste.
Es ist nicht leicht in gedrängter kürze alle kennzeichen der alt-
nordischen spräche anzugeben.
Im vocalismus hat sich umlaut noch vollständiger entwickelt als
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524
ALTNORDEN
goth. ZD, ags. RD, ahd. RT; RR = goth. RS; LL = goth. Lf),
ahd. LD; NN «= golh. Nj), ahd. ND. goth. LD und ND bleibt auch
alln. dagegen ist PP = goth. MP; KIv = goth. GK; TT =» goth. N{).
Die apocope des N ist in den flexionen weiter vorgeschritten als
754 in der fries. spräche, denn auszer dem schwachen obliquen Casus
entbehrt seiner beim verbum der inf. und die terlia pl. in jedem
tempus und modus. nur das part. praet. starker verba behält es.
dasz es aber nicht ursprünglich mangelte, folgt theils aus dem gen.
pl. auf -na, theils aus dem part. praes. auf -ndi. gerundialformen
gebrechen, wie im goth., ganz. Ähnlich der abneigung vor N im
auslaut, wie sie auch die partikeln ä i ö = goth. ana in un kund-
geben, ist die im inlaut, was jene assimilationen KK TT und S für
goth. NS zeigen.
Die vocale im schwachen masc. verglichen mit den gothischen
haben fast ihre stelle getauscht, indem goth. liana hanins hanin altn.
liani hana hana lauten, das I des nom. sg. erkennt sich leicht als
unorganische Schwächung von A, wie zumal das ags. hana hanan lianan
bestätigt, dessen gen. und dat. zum altn. stimmen, dem weibl. und
neutralen nom. sg. gebührte gewis ursprüngliches ä, wie dem ahd.,
aber auch das oblique -ü für -o begegnet dem ahd. ln der starken
Ilexion haftet aber -r für goth. -s in vielen fällen, wo ahd. der con-
sonant ganz erlischt. *
Den instrumental kennt die altn. spräche nur im sg. neutr. der
adjective, wo er zugleich die dative Ilexion vertreten musz, und dann
in pronominalparlikeln. ein dualis lebt blosz im pronomen und ist
im verbum erloschen.
Die ags. spuren der reduplicalion mangeln hier, aber die secunda
praet. starker verba bat ihr T behauptet, wie im goth. (s. 485. 487.)
Als hervorstechende eigenhcit der nordischen spräche, wenn man
ihre spätere entfaltung erwägt, darf zweierlei betrachtet werden, das
755 arlikelsuffix und die passivflexion. Der dem subst. angellängte artikel
wird mit dem zweiten demonstrativum hinn hin hit == goth. jains
jaina jainata gebildet, welches, wie mir scheint, anfänglich ein darauf
folgendes adj. voraussetzt, z. b. aus madr hinn gödi entsprang allmä-
lich madrinn gödi und zuletzt auch bloszes madrinn, ohne geleitendes
adj. eigentlich stehn also die goth. ahd. und ags. spräche der altn.
hier darin entgegen, dasz jene ihr subst. durch das erste demonstrativ,
diese durch das zweite bestimmt, dem nord. brauch schlieszt sich
einigermaszen der mnl. an, insofern er auszer die die dat auch ghene
ghene glient als artikel setzt, wie der romanische artikel insgemein
aus dem lat. ille illa erzeugt wurde, gramm. 4, 376 und 431 ist
die Seltenheit und das allmäliche auftreten des artikelsuffixes gezeigt
* auffallend ist R in margr = goth. manags, ahd. manac, ags. manig moneg,
fast wie L im serb. mlogi, altsl. mnog”, poln. mnogi, böhm. mnolii. aus dem
comp, meiri darf man es nicht deuten; sollte es vom suffigierten mangi nemo
deutlich unterschieden werden? Schweden und Dänen, welche dies letzte wort
nicht mehr kennen, sind wieder zum N in mänga mange gekehrt.
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ALTNORDEN
525
worden. Ebendaselbst 4, 39—48 wurde gewiesen, dasz durch anhang
eines ursprünglich dem verbum frei nachfolgenden reflexivpronomens
eine scheinbare flexion entstand, die statt der medialen bedeutung zu-
letzt passive annahm.
Aus dem gesagten erhellt, dasz heutzutage so auffallende beson-
derheiten des nord. dialects keinen genetischen unterschied begründen,
vielmehr anzunehmen ist, es sei zur zeit des Ulfilas oder im beginn
unsrer Zeitrechnung von den Vorfahren der Scandinaven so wenig ein
artikel (der noch überall selten war) am nomen, und ein reflexiv am
verbum suffigiert, als damals schon das N der flexionen abgeworfen
worden, was auch der friesischen und englischen flexion widerfuhr,
geschah der nordischen allerdings früher; überhaupt sehn wir sie sich
immer mehr für suffixe und gegen praefixe entscheiden, wie ihr denn
z. b. die gothischen ga- und bi- mangeln, einzelnen spuren nach
(gramm. 2, 735. 751) aber gleichfalls einmal zugestanden haben
müssen, hierher auch risa für goth. usreisan (s. 664) und das schwed.
pä dän. paa statt des altn. uppä; die angehängten negationen sind da-
gegen einleuchtendes beispiel der suffixe.
Im pronomen stimmt sä sü |>at zum goth. sa so jaata, ags. se
seo {)ät, gewis aber stand dem masc. ursprünglich kurzes sa zu, aus
welchem dann für die schwache flexion überhaupt -a statt -i zu 756
entnehmen wäre; das fern, sü verhält sich zu goth. so, wie das ü
in tungü zum goth. ö in tuggöns. characteristisch ist der abgang des
goth. is si ita, ahd. er siu ez, wofür ein der neutralform unfähiges
hann hun gilt, dessen Ursprung schwierig scheint, erwägt man das
ags. he heo hit und die Überreste des goth. demonstrativen hita liimma
hina; so zeigt sich die demonstrative form eingedrungen in die per-
sönliche und mit einem suffix des andern demonstr. hinn hin =' ille
illa verbunden, hann hun entspränge also aus goth. his jains hi jaina.
Unter den praepositionen gebrechen der altn. spräche das goth.
Li, ahd. pi; goth. du, ahd. zi; goth. fmirh, ahd. duruh und werden
ersetzt durch hiä (schwed. dän. hos), til, i gegn. Mit ihrem han hun
hos til igenom stehn noch heute die Scandinaven uns andern Deutschen
entgegen.
Die ergibigkeit der denkmäler altn. spräche offenbart uns ihren
reichthum, der sich mit jedem andern dialect, dem goth. ahd. und
ags. vielfach berührt und noch genug eignes, allen übrigen entgehendes
besitzt, könnten wir aber der andern sprachen umfang eben so voll-
ständig überschauen, so würde sich die gemeinschaft aller besser an
tag legen.
Dem goth. bagms entspricht badmr näher als das ags. beäm, ahd.
pouin; dem hauri hyr, dem hallus hallr, dem valus völr, dem vandus
vöndr, dem magus mögr, dem malö mölr, dem trigö tregi, dem airus
ari, dem vairilö vor, dem lubi lyf, dem lasivs lasinn, dem nijrjis nidr,
dem grätan gräta, dem hinjian hitta, dem drunjan drynja, dem digrs
digr, dem bani ben, dem fani fen, dem kuni kyn. das goth. öta in
uzfita praesepe von itan gleicht dem altn. gebrochnen iata gen.
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ALTNORDEN
iötu von eta und litth. edziös von esti, gr. qiärvrj f. (fayt^vr] von
<pdyeiv. *
Ahd. und altn. etar iadar, hachul liökull, enchil ökkull, hlancha
757 hlökk, wanchön vakka = lat. vagari, Hnechar Hnikur, kamal gamall,
haru hör, här här, dilli f»il, ella elja, challön kalla, andi enni, omo
orai, rippi rif, Sippia Sif, luppi lyf, louh laukr, haruc hörgr, selali
selr, falavvisca fölskvi, heigiro hegri (gramm. 1, 432.)
Ags. und altn. liäle lialr (vgl. ahd. halid), hät hattr (s. 577),
hväl hvalr, seolh selr, hrim brim, eorl iarl, eorp iarpr, äled eldr,
eodor iadar, leäc laukr, hredc hraukr, sveora sviri, oma omi, secg
nemlich auszer frido fridr pax besitzen diese beiden sprachen ein den
übrigen mangelndes grid für den begrif friedlicher Sicherheit, wie die
Gothen neben frifius auch gavairfn verwenden.
Es wäre nun aber leicht eine menge Wörter auszuheben, die der
altn. spräche eigen und den übrigen verloren sind oder darin nie
vorhanden waren, hei abhandlung des vocalismus im ersten theil
Viele jener eigenthümlich altnordischen leben auch noch in der
neueren spräche fort, z. b. agn esca, piscatura, schwed. dän. agn,
woher der mannsname Agnar venator piscator (ahd. Aganheri? denn
Agenaricus hat Ammian 16, 12); gäta aenigma schwed. gäta dän.
gaade; hall cauda schwed. dän. hale; skegg barba schwed. skägg dän.
skäg; hiarsi hiassi sinciput schwed. hjesse dän. isse, doch übrig im
nnl. hersepan; hreidr nidus dän. rede; litr color schwed. let; laer
femur schwed. lär dän. laar; fors cataracla schwed. fors dän. fos,
wohör vermutlich der name Forseti Fosite (mythol. 1210); gluggi
fenestra schwed. glugg dän. glug; sseng lectus schwed. dän. säng;
ostr caseus schwed. dän. ost; leir argilla schwed. dän. 1er; il planta
pedis altschwed. il; sild balec schwed. dän. sild; kätr hilaris schwed.
kät lascivus dän. kaad; jnlngr gravis schwed. dän. tung; tapa perdere
schwed. tapa dän. tabe; kasta jacere schwed. kasta dän. käste; elska
amare schwed. älska dän. elske, schwerlich für eldska von eldr, viel-
mehr von ala fovere.
Nicht wenige sind aber heute erloschen z. b. farmr onus; hratti
758 aestus maris; garpr und greppr vir forlis; bland lotium; gandr lupus;
klasi racemus; masti papilla; hvammr convallis; skagi promontorium;
tad fimus; glata perdere; hättr mos; mak unguentum; fönn nix;
* altn. deli canis mas wäre oben s. 468 anzuführen gewesen, aber auch
urri heiszt canis, yrsa canis f. also = ursi.
seggr, söt söt, näs nes, gicel iökull, höl hoel, geohdo ged, grid grid.
meiner grammatik habe ich ein reiches Verzeichnis aller altn. Wörter
jtömb arcus; söl alga; der umbraculum pilei; Her ratis; hik mora;
rik pulvis vgl. goth. rikan congerere; lipr facilis; nipr pulcher; slippr
nudus; glis fucus; linni serpens scheint ein goth. Iinjta, ahd. lindo?
vgl. mythol. s. 652; bil momentum; frnlr orator; brum frondes ar-
borum; skrum nugae; buna scaturigo; hrund femina; urri canis;
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ALTNORDEN
527
skutull venabulum von skiota; hylr gurges; gola aura frigida; fok ningor
von fiuka; Ion intermissio; mor pulvis; dorg hamus; dörriaries; rygr
mulier opulenta; fränn nitidus; skän corlex; lära frangere; smsera tri-
folium; sömi decus; glöra micare; stauli servus; ftaul sermo prolixus
vgl. {mir; raumr vir grandisonus (vgl. Raumar s. 751); fliod virgo
venusta; hliod sonus (vgl. ahd. hliodar ags. hleodor oraculum); und
eine grosze zahl anderer.
An lat. Wörter reichen manche z. h. ardr aratrum; full poculum
(vgl. s. 657); vömb goth. vamba = venter (vgl. s. 336); ledja ahd.
leddo ==» lutum; karn liernia; hiörr und liiari cardo; wahrscheinlich
gehören hyr und goth. hauri zu carbo. dallr arbor und döll nympha,
deren leben an den bäum gebunden war, halte ich zu &dXXeiv grünen,
wachsen und die OuXXco ist Döll.
Merkwürdig scheint die ähnlichkeit finnischer Wörter: är remus
finn. airo lapp, airru; herdar scapula ahd. harti finn. hartio lapp,
hardo; refr und rebbi vulpes schwed. räf dän. räv finn. repo gen.
revon; loll segnities finn. lölli segnis tardus; magi stomachus schwed.
raage dän. mave finn. mako gen. maon; maur formica schwed. myra
dän. myre mnl. miere fmn. muurainen; piltr puer schwed. pilt finn.
piltti; püki puer schwed. pojke puer piga famula dän. pog puer pige
puella, finn. poika poian puer, piika puella; alda unda finn. alto;
altschvved. nek dän. neg merges frumenti, finn. nikuli par mergitum;
lik corpus goth. leik finn. liha; kös acervus finn. kasna; maekir gla-
dius finn. miekka. andere habe ich sonst aufgezählt. Solche ein-
stimmungen erklären sich aus früher nachbarschaft der Finnen und 759
Deutschen und wechselweise wurde deutsches ins finnische, finnisches
ins deutsche übernommen.
Keltische Verwandtschaft zeigte sich uns oben gerade beim liaus-
vieh: kälfr colpa; tarfr tarbh taru; bauli taurus und baula vacca von
baula mugire; lamb llamp. es sind aber auch andere Wörter beizu-
bringen, z. b. altn. läs sera schwed. las dän. laas, ir. und gal. glas,
denn flösse es aus der Wurzel lesa goth. lisan, so würde es sich auch
in den andern deutschen dialecten zeigen. Man hat Niördr und Ner-
tlius zum ir. gal. neart gen. nirt, welschen nerth, armor. nerz ge-
halten, welche alle kraft und stärke ausdrücken. wie wundersam,
dasz den Finnen neiti neito virgo neitoinen puella, den Iren naoidhe,
den Galen naoidhean kind ausdrückt, aber auch den Böhmen neti
neptis, den Gothen ni|)jö, altn. nidr filius und propinquus, nift nipt
soror, sponsa (vgl. s. 271.)
Einzelne Ortsnamen weisen bald auf finnische, bald keltische
spräche, z. b. Sämsey auf Sämr ==» Sabine Same d. i. Lappe, Hlessey
auf Iller den wassergott, vielleicht vom welschen llyr see, ström.
m
—
XXVIII.
DIE EDDA.
760 Die edda ist ein unvergleichliches werk, denn ich wüste nicht,
dasz bei irgend einem andern volk grundzüge des heidnischen glaubens
so frisch und unschuldig aufgezeichnet worden wären; an solcher
einfachen, von keiner kunst der poesie ausgeschmückten fassung, wenn
die natur des mythus wie der spräche erkannt werden soll, liegt es
aber, in der edda verschlingen sich götter- und heldensage, die auch
sonst nicht von einander zu lösen sind. Snorri in der Ynglingasaga
und noch entschiedner Saxo in seinem ganzen werk unterwerfen schon
den mythischen stof ihrem eignen uriheil. Unter den Griechen hat
fast allein Pausanias in seiner treflichen neQirjyrjOig der gesammelten
volksage ihre reinheit gelassen; aber er geht ihr nur nebenbei nach.
Hesiods darstellung ist zu dichterisch und Apollodors bibliothek zu
nüchtern, Ovids reiche metamorphosen erscheinen weder ursprünglich
noch ungeziert, im alterthum der übrigen Deutschen ist zufällig, etwa
wie in griechischen schoben, einzelnes werthvolle geborgen.
Gemeint aber wird hier die jüngere prosaedda aus drei (eigent-
lich nur zwei) theilen Gylfaginning, Bragarcedur und Skäldskaparmäl
bestehend, deren Verfasser, allem anschein nach, Snorri nicht war, da
dieser in Ynglingasaga, welche ihm mit gröszerem-recht zusteht, eine
abweichende, viel bestimmtere ansicht an den tag legt. Von Snorri
761 ist auszerdem ein hättatal oder hättalykill geschrieben worden, wel-
cher jetzt einen zur edda ungehörigen anhang, unter dem titel bragar-
haettir bildet.
Eben so wenig gebührt den kostbaren älteren liedern mythischen
und epischen inhalts, deren sich ein ansehnlicher theil erhalten hat,
und welche schon in noch gröszerer zahl dem Urheber der edda Vor-
lagen, dieser name. höchstens könnte man in einigen ungebunden
beigefügten eingängen und Schlüssen den stil der edda wiederfinden,
allein die lieder selbst machen kein ganzes, zusammenhängendes werk
und ihr höheres alterthum, der edlere ton, den sie anstimmen, schlieszt
einen namen aus, der für die erzählende weise eines Werkes späterer
zeit überaus passend gewählt wurde.
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essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
sjri
EDDA
529
\1
i
Edda nemlich bedeutet proavia, wie aus Saem. 100a Sn. 202 zu
ersehn ist, und nach dem gewöhnlichen Verhältnis des altn. DD wäre
dafür goth. izdö zu gewarten, welches ich schon s. 313 berathen
habe, wobei aber das einfachste schiene, sich an das fmn. isä pater,
isoisä avus, isoäiti avia zu erinnern, von eida mater goth. aif)ei finn.
äiti (s. 267. 271) wird edda proavia Sn. 202 ausdrücklich unter-
schieden. Es ist nun völlig im sinne des alterthums, dasz die urgrosz-
mutter dem kreis ihrer kinder und enkel von der Vergangenheit künde
gibt, und so mag auch die spinnende frau Berhta oder königin Pedauca
den lauschenden nachkommen erzählt haben, was ich damit bezeuge,
dasz in Frankreich die contes de ma mhre l’oie unverschollen sind.
In einem abgehenden, verlornen prolog würde vielleicht die edda leib-
lich eingefithrt werden und den faden der erzählung drehen. Ob eine
der erhaltnen handschriften noch den alten litel edda führt, kann ich
nicht sagen; doch werden schon in einem isländischen gedieht auf
den heil. Gudmund aus der zweiten hälfte des 14 jh. die dichtkunst
eddulist, und in dem gedieht clilia\ vermutlich derselben zeit, die ge-
setze des dichtens eddureglur benannt, was sich alles auf skäldska-
parmäl beziehen musz. man könnte von diesem gesichtspunct die nor-
dische edda der mhd. aventiure vergleichen.
Wie nun der ganzen altnordischen poesie gesprächsform zusagt 762
und viele lieder in rede und antwort eingekleidet sind; so stimmt auch
die grundlage der edda höchst merkwürdig mit dem gewebe eines
älteren liedes überein.
In Vafjirüdnismäl wird vorgestellt wie Odinn, der vielerfahrne gott
es unternimmt einen weisen und mächtigen riesen heimzusuchen und
zu prüfen, als wegemüder pilgrim tritt er unter dem namen Gängrädr
in Vaffjrüdnis halle, wird gastfrei empfangen und nachdem er dem
iötunn rede gestanden hat auf vorgelegte fragen, richtet dann Odinn
eine reihe der schwersten über die weit, götler und riesen an seinen
wirt, der ihm bescheid gibt, aus der letzten frage inhalt aber räth,
dasz ihm der mächtige gott selbst entgegengelreten sei und seine ge-
heimnisse ausgeforscht habe, was darauf weiter geschah, wird nicht
gesagt; während ein jipd^rmal dieselbe frage (nach dem, was Odinn
dem ßaldr ins ohr gesagt» "bevor er auf den Scheiterhaufen getragen
ward) unheil herbei führte, offenbar ist Odinn, der als Geslr blindi v
dem klugen Heidrekr gegenüber steht (fornald. sög. 1, 464 — 488)
identisch dem Odinn als Gängrädr gegenüber Vaf{)riidnir. das wich-
tigste aber musz scheinen, dasz der name Vaffjrüdnir mit Vafudr,
einem der namen Odins selbst (Saem. 47b) zusammenfällt, der die
webende wabernde luft ausdrückt (Saem. 50a.) dies Verhältnis soll
sich hernach näher aufschlieszen.
In der edda tauschen die rollen geradezu, hier tritt kein gott
auf, der die riesen, sondern ein mensch, der die götter erforschen
will, ein kluger, in Svijnod berschender könig macht sich auf nach
Asgard und Vallhöll, um der äsen herlichkeit zu schauen; auch er
birgt seinen eigentlichen namen Gylfi und nennt sich Gängleri, was
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530
EDDA
deutlich mit jenem Gängrädr eins ist und wieder den pilger bezeich-
net. wie aber Odinn selbst Vafudr = Vafjirüdnir heiszt, erscheint
^.wiederum Gängleri oder Gänglari als name Odins (Saem. 46a), und
. , Qß- recjlt jiat dieser stelle Munchs ausgabe s. 31 b Rasks unnöthige,
ja falsche lesart Gängrädr wieder beseitigt. Gylfi wird zwar nicht
763iÖtunn genannt, noch ist Svijnod Iötunheim, allein er scheint doch
r Uwä V)'eAc.v»früher im land angesessen als die äsen,Fund sonst heiszt eine riesin
8e^Yftxi*^elet Giälp (Saun. 118 b), Gylfi aber (ags. Gylpa Gulpa? ahd. Golfo?) drückt
prahler aus. * Dieser Gylfi oder Gängleri legt nun eine menge fragen
vor über die äsen, die Schöpfung, himmel und erde und wird darauf
ausführlich von Ilär bescliieden; einmal (Sn. 23)\reden auch lafnhär
und Thridi mit ein in die antwort. zuletzt aber scheinen dem Gängleri
die fragen auszugehn und er wird von Här entlassen; da vernimmt er
heftigen donner, Valhöll ist vor seinen äugen verschwunden, er kehrt
heim in sein reich und erzählt, was ihm widerfahren war: aus seinem
bericht schöpfte man künde von diesen dingen. Den in solchen rahmen
gebrachten erzählungen, die durchgängig nicht blosz aus den älteren,
vorhandnen oder verlornen liedern geschöpft sind, sondern auch den
Zusammenhang zwischen ihnen herstellen, hat man den namen doomi-
sögur (beispiele) erlheilt und jüngere abschreiber mögen sie gar Gyl-
faginning (Gylfis teuschung) oder Ilärs lvgi (llärs lügen) benannt haben.
Der andere theil der edda heiszt Bragarcedur. wie Vafjirudnismäl
auf einem besuche Odins bei dem iölunn, Gylfaginning auf einem be-
suche Gylfis bei den göttern beruht, werden auch Bragarcedur durch
ein gastmal eingeleitel, nach dem alten lied halte Oegir oder Gymir
den äsen zu sich entboten und brauchte goldlicht statt des feuer-
lichts. die edda kehrt es aber wieder um und läszt den Oegir, der
auch Hlär heiszt, nach Asgard reisen, welchen die äsen mit gaukcl-
spiel **, wie den Gylfi empfangen; statt des feuerlichls halte Odinn
schwertlicht, beim gastmal sasz dem Oegir zunächst Bragi, und be-
antwortet ihm die vorgelegten fragen durch erzählungen, wie Här dem
764 Gylfi, daher rührt der fügliche name Bragarcedur. Zugleich erhellt,
dasz der Sammler der edda-nicht jenes lied vor sich hatte, welches
wir unter dem namen Oegisdrecka oder Lokaglepsa besitzen, weil
beide einleitungen völlig abweichen, es gab also verschiedne, wenn
schon ähnliche sagen.
Ferner trage ich keinen zweifei, dasz die sogenannte skälda oder
skäldskaparmäl, die man in den ausgaben als dritten theil der edda
sondert, unmittelbar und nothwendig zu Bragarcedur gehört, was im-
mer Rask s. 93 dawider sage, denn zu geschweigen, dasz sonst
Bragarcedur viel zu geringen umfang erhalten würde, empfängt man
* eine tochter des Gylfi, namens Heidr wird dem Sigrlami, Odins soline
vermählt, fornald. sög. 1, 413.
** sionhverfingum; man erinnert sich dabei des empfangs der heidnischen
boten in Carls bürg (mythol. s. 1086); auch eine lombardische sage von Arichis
ist zu vergleichen (Pertz 5, 479.)
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Äm » Ä »
EDDA
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über die wähl Bragis zum erzähler erst dadurch eigentlichen aufschlusz,
dasz er als gotl der diclitkunst vorzugsweise geschickt ist die dichte-
rischen ausdrilcke nach ihrem mythischen Ursprung zu deuten, er
hatte (Sn. 83) den beginn der skaldschaft erzählt und aus seinem
munde schlieszen sich nun höchst passend die weiteren antworten auf
Oegirs fragen an, die alle zur dichtkunst gehören, mit unrecht sind
darum in Rasks ausgahe des skäldskaparmäl diese durchlaufenden be-
zöge auf Oegir und Bragi als unecht eingeklammert worden; dasz aber
die dichterregeln stets zur edda gerechnet wurden, lehren die s. 761
beigehrachten Zeugnisse. Hingegen formäli Sn. 1 —16 und die beiden
eplirmäli Sn. 78. 88 — 90 verralhen sich von selbst als fremdartige,
wenn schon ziemlich alte zusätze.
Warum aber habe ich hier überhaupt di§ edda zur spräche ge-
bracht? weil sie beitragen soll den rechten Standpunkt für die völker-
verhältnisse des allerthums zu sichern.
Es ist schon mehr als einem forscher aufgesloszen, dasz in den
sagen von zwergen und riesen diese beiden als zurückgedrängte, vor
dem einwandernden stamm der menschen weichende alte landeinwoh-
ner erscheinen, davon bin ich gleich oben s. 2 und 15 ausgegangen;
gegenüber alten weidenden und milchessenden riesen traten ackernde
menschen auf, und wenn der pflüg seihst für ein lebendiges thier galt
(s. 57), konnten auch pflügende rinder und menschen einer hünen-
jungfrau wie seltsames gewitrm Vorkommen; zwischen dem alten und
neuen volk war abneigung und feindschaft und dieser grundzug zuckt 765
im beweglichen element mythischer Überlieferung allenthalben nach,
jene riesen oder zwerge im gegensatz der menschen sind bald heulen,
bald geschichtliche, fremde Völker, die sich von den Christen und ein-
gebornen absondern, zwerge und riesen, wie sie die dichtende sage
ausstatlet, gab es nie, wol aber nachharn von verschiedner race und
kleinem oder groszem schlag, deren sich der mythus bemächtigte,
mytliol. s. 427. 493. 1035 ist entwickelt worden, wie den Deutschen
und Scandinaven Wilzen, Wenden, Finnen, Lappen, Avaren und Hünen
als zwerge oder riesen erschienen und die Beschaffenheit daemonischer
wesen annahmen, mit welchen bald in friedliche bald feindliche Be-
rührung getreten wurde, an den riesen wird sowol treue und ver-
stand als plumpheit und Übermut, an den zwergen sowol elbische
Schönheit und geschieh als häszliche gestalt, truglist und verrat wahr*
genommen.
Mit diesem gegengewicht einer unheimlichen geisterwell zu dem
menschengeschiecht rinnt aber zusammen die liefwurzelnde Vorstellung
des alterthums von einer zwiefachen art der gölter seihst, die es ent-
weder als waltende naturkräfte oder sittliche begriffe auflaszt. denn
nicht zu verkennen ist, dasz die groszartigen Wirkungen der elemente
dem kindlichen glauben der vorzeit sich als riesische oder titanische
gewallen, die sittlich erhabenen eindrücke göttlicher wesen im be-
freundeten bilde menschlicher helden und ahnen darstellen, weshalb
auch jenen übermenschliche gestalt, diesen aber das höchste masz
34*
532
EDDA
menschlicher Schönheit beigelfcgt wird, hieraus folgt nun weiter, dasz,
da der rohen naturkraft allmälich die sittigung der menschen ent-
gegentrilt, mit den einwandernden Völkern zugleich ein neues götter-
geschlecht anlangt, vor welchem die älteren naturgötter weichen: den
Vafjjrüdnir überwältigt Odin, wie bei unsern Vorfahren standen auch
bei den Griechen neue götter den älteren titanen gegenüber (mythoh
s. 311); das ist eine der wichtigsten und bedeutsamsten einstimmun-
gen zwischen deutschem und griechischem alterlhum.
Es gehört nicht hierher näher im einzelnen zu entfalten, auf
766 welche weise der altnordische glaube sich die macht des feuers, Was-
sers und windes, der sonne und des mondes * **, des tages und der
nacht als leibhafte riesen dachte, deren sinnliche eigenschaflen hernach
zum theil auf die jüngeren göttlichen, die jener stelle einnahmen,
übertragen wurden, zum beweis dienen allein schon die mehrfachen
namen, welche den hauptgöttern zuständig gewissermaszen alten und
neuen cultus vereinen. Odinn, wie wir vorhin sahen, fällt als Vafudr
mit dem iölunn Vafjmulnir zusammen, der die wehende, hebende luft
darstellt; mit andrer benennung lieiszt aber auch Odinn ßiflindi, ja
der eigne name Odinn oder Wuolan scheint auf die alldurchdringende
luft bezüglich (mylhol. s. 120. 135. 836) und eine benennung seines
sittlichen Wesens, Oski oder Wunsc, bedeutsam mit dem begriffe
öskabyr oder wunschwint (mylhol. s. 135. 136) verknüpft. Donar
oder Thorr gleicht dem riesen Thrymr (sonitus), dem am besitz des
hammers gelegen ist wie jenem, er ist gleichsam ein älterer Ökujiörr,
der dem jüngeren Asafiörr erliegt. Oegir, ags. Egor, noch heule im
engl, dialect von Nothingham Eager, gemahnt an die finnische wasser-
goltheit Ahto gen. Aliin wie ans lat. aequor, und hiesz mit andern
namen Iller, wovon Illesey, dän. Lässö, die insei genannt wird, mit
einem dritten Gymir (Saem. 59), der auch sonst deutlich als iölunn
auftrilt (Saem. 82 b 84 a- b) und als valer der Gerdr (Saem. 117 b), um
767welche Freyr warb, dessen vater Niördr bei den äsen über das meer
waltete, wie Nerthus hei Tacitus am seegestade wohnt. Oegir aber,
dem das goldfeuer zu gebot stand, scheint zugleich feuergott, was
seiner diencr namen Funafengr (feuerfänger) * und Eldir (ziinder) ver-
ralhen, denen Loki, als neuer gott des feuers, aufgesessen ist: den
Funafengr erschlägt, mit Eldir streitet er. ein andermal unterliegt
* Caesars berühmter nacliricbt von den Germanen: deorum numero eos
solos ducunt, quos cernunt et quorum opibus aperte juvantur, Solem et Vulca-
num et Lunam : reliquos ne fama quidein acceperunt, lasse ich mylhol. s. 108
noch nicht ihr recht angedeihen: sie tritt vollkommen zu für den naturcultus,
wie er damals Römern hei Sueven und noch späterem bcobachter hei Alamannen
(mythol. s. 89) vortrat, nur dasz daneben andere götter, wie sie Tacitus im
folgenden jh. wahrnimmt, nicht verehrt worden seien, dasz ein Übergang von den
alten göttern zu den neuen gerade im ersten jh. stattgefunden habe, darf man
so wenig glauben, als dasz die Alamannen des sechsten blosz bäume und wasser-
strudel angebetet hätten, auf die übrigen götter erstreckte sich Caesars und
Agathias künde nicht, sie müssen lange vor Caesars zeit da gewesen sein.
** gewis ist Saem. 59. Sn. 129 so zu lesen für Fimafengr.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
EDDA
533
aber Loki dem alten naturgolt Logi, aus dessen namen jener nur fort-
geschoben ist.
Odinn, Thor und Loki heiszen äss, alle neuen götter und göt-
tinnen aesir und äsynjor, ihre himmlische brücke heiszt dsbrü (s. 657),
ihre bürg äsgardr oder äsagardr (borgr äsa, Saem. 5a) und steht dem
iötunheimr oder den iölnaheimar entgegen; doch in keinem der lieder
wird gesagt, dasz die äsen aus dem osten (wo sie Iornandes als anses
kennt) in den norden eingewandert seien, nur die edda wreisz es noch,
weil sie einen äs^ard hinn forna, einen alten äsgard nennt (Sn. 3, 11),
der vom nordischen verschieden sein musz. ich halte das für echte
Überlieferung, aber freilich die s. 10 vorausgehenden worte ‘j)at köllum
ver Troja’ für später eingeschaltet, vielleicht vom Verfasser des formäli,
der s. 7. 11 diese falsche anknüpfung an Troja und Griechenland noch
weiter ausmalt.
Snorri, wenn es sicher ist, dasz er Ynglingasaga schrieb, wTar
schon in der ersten hälfte des 13 jh. der meinung, dasz aus jener
Svi{)iod bin mikla am Tanais, wo Asaland, Asaheimr und eine bürg
Asgardr gelegen habe, Odinn und seine diar mit groszem heer west-
wärts nach Gardariki, von da südwärts nach Sachsen und endlich
nördlich über das meer nach Fion (Fünen) gelangt seien, wo hierauf
der name Odinsey entsprang, als ihm nun auch Schweden gehorchte,
sei es Mannheim, das alte grosze Schweden aber Godheim genannt
worden und zuletzt Odinn selbst wieder dahin zurückgegangen: sagdi
bann sik mundo fara 1 Godheim ok fagna (>ar vinum sinum. nü hugdu
Sviar, at hann vaeri kominn i hinn forna Asgard ok mundi j>ar lifa at
eylifu. sehr merkwürdig aber ist, was cap. 16 von Svegdir berichtet 768
wird, dasz er feierlich gelobt habe cat leita Godheims ok Odins ens
gamla.5 dies Godheim suchen, oder wie es gleich darauf heiszt, dies
‘at hitta Odinn’, Odin aufsuchen hat sprechende äbnlichkeit mit dem
gehn zu-Zamolxis bei den Geten (s. 187), die gleich den Schweden
an unsterbliches leben in gemeinschaft mit ihrem gott glaubten. God-
heimr, Godvegr ist aber deutlicli der Godjoiod alle heimat im osten,
nach der ihre Sehnsucht auch in der ferne fortdauerte. Mannheim
neben Godheim bringt mich auf neue fährte: in Mannheim wohnen die
Menn (golh. Mans, gleichsam Alamans s. 498 und des Mannus nach-
kömmlinge), welche Alvismäl neben lötnar, Alfar, Dvergar, Yanir und —
Godar stellt, diesen nom. aus dem dal. pl. Godom zu entnehmen ist
eben so zulässig als aus godom den nom. pl. god (dii), und mythol.
s. 308 machte mich schon stutzig, dasz str. 17 götter und äsen,
slr. 21 götter und ginregin nebeneinander genannt werden, sind aber
Gothen, Mannen, Vanen als Völker gemeint, so vernehmen wir zugleich
die organische, den goth. Guj>ans entsprechende namensform Godar,
die hernach in Gotar entstellt wurde, genau geredet wäre str. 17
söl heitir med Mönnom, enn sunna med Godom, wenn schon sauil
auch gothisch, sunna auch nordisch ist. von Mannheimr und God-
heimr wird aber in den nordischen sagen Alfheimr und Iötunheimr
unterschieden. Die beiden Asgard, das alte und neue, im osten
534
EDDA
und westen, können sie nicht auch anklingen an die maeotischen
lAonovqyiavoi zwischen Phanagoria und Gorgippia bei Strabo s. 495.
556 und auf inschriften (Böckh 2, 94b 115a- b *) ja selbst an das ab-
weichende ^AoxißovQyiov am riesengebirge und Asciburgium am Rhein,
die sich hernach von Iscio, der Iscaevonen Stammvater oder dem ed-
769dischen Askr deuten lassen? Asaland aber muste sich der späteren
betrachtung von selbst in Asia wandeln und so den gedanken an die
Türkei herbeiführen, ohne dasz es nöthig oder glaublich wäre, diese
Verknüpfung aus einer bekanntschaft der Normannen mit altfränkischer
sage abzuleiten. Sögubrot (fornm. sög. 11, 412) drückt sieb folgender-
gestalt aus: upphaf allra fräsagna i norroenni tüngu, [>eirri er sannindi
fylgja, höfst [)ä er Tyrkir ok Asiamenn bygdu nordrit; fivi er [tat med
sönnu at segja, at tüngan kom med [mim nordr higat, er ver köllum
norrcenu, ok gekk sü tünga um Saxland, Danmörk ok Svi[)iod, Noreg
ok um nokkurn hlula Einglands. höfudmadr [)essa folks var Odinn,
son Thors, hann ätti marga sonu. hann skipadi sonum sinuin til
landa ok gerdi höfdingja. einn af sonum hans er nefndr Skiöldr, sä
er land tök ser, [>at er nü heitir Danmörk. en [u\ voru [mssi lönd,
er Asiamenn bygdu, köllud Godlönd, en fölkid Godiod (vgl. oben s. 740.)
Nicht anders sagt Ilervararsaga cap. 2 (fornald. sög. 1, 413): [mssa
samtida komu austan Asiamenn ok Tyrkjar, ok bygdu Nordrlöndin,
Odinn h6t formadr fteirra. Aber schon Ari prestr hinn frödi, aus dem
11 jh., der dem Snorri lange vorangieng, nennt in der genealogie der
Ynglinge am schlusz seiner Islendinga bök, den Yngvi Tyrkja konüngr,
welche künde ihm doch sicher nicht aus Frankreich her zugekommen
war. Zugleich ist klar, dasz unter allen Nordländern der glaube an
östliche abkunft verbreitet war und auf Godjuod wie Svijiiod erstreckt
werden-musz, also mit dem gegensatz der zu verschicdner zeit und
aus verschicdner gegend cingewandcrten Schweden und Goten nichts
zu schaffen hat.
Dringt man in diese Verhältnisse ferner ein, so empfangen die
dem Odinn schon von den alten liedern beigelegten namen auszer-
ordentliche bedeutung. es heiszt Vegtamr (wegemüd), GängrMr,
Gängleri, bei Saxo p. 45 viator indefessus, warum er gerade von allen
göttern? gewis weil seine Wanderungen von osten nach norden unter
dem volke berühmt und eingeprägt waren, wenn also auch dieser
Züge die uns verbliebnen lieder nicht mehr gedenken, setzen in sol-
770chen namen sie sie offenbar voraus, es ist oft gesagt worden, dasz
die ältesten hss. der lieder nicht über das 13 jh. reichen, aber auch
eingesehn, wie wenig das ihrem höheren alter anhaben könne, wel-
ches wol sicher in das eilfte jh., aller Wahrscheinlichkeit nach weiter
in die vorzeit zurück aufsteigen musz. mögen sie immer im verlauf
* ich weisz,' dasz man auch an das pers. asp equus (s. 30) gedacht hat, i
wodurch die Zusammensetzung as-purg ausgeschlossen schiene, doch zwingend
sind die gründe nicht, und selbst asp könnte übertreten in ask, das in unsrer
alten spräche schif bedeutet, namen des schifs gehn in die des rosses über.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
fcl«W
EDDA
535
der zeit änderungen und einschaltungen erfahren haben; solche bei—
namen wie die angeführten odinischen und ihre Ursache gehören dem
tiefsten alterthum, und es läszt sich aus einem wichtigen zeugnis des
Paulus diaconus darthun, dasz mit der ansicht von Odins herkunft aus
dem osten schon das achte jh. gleich den späteren, und nicht allein
im norden, sondern auch in andern theilen Deutschlands vertraut war.
Wodan sane, sagt er 1, 9, quem adjccta litera Gwodan dixerunt, ipse
est qui apud Romanos Mercurius dicilur, et ab universis Germaniae
genlibus ut deus adoratur, qui non circa haec tempora, sed longe
anterius, nec in Germania sed in Graecia fuisse perhibetur; man hat
ungeschickt und die kraft der ganzen stelle zerstörend, den letzten
satz auf Mercur, statt auf Wodan ziehen wollen*, dessen und seines
Volkes abstammung aus Griechenland (und das darf doch Thrakien und
Getenland meinen) durch solch eine Überlieferung willkommen bestä-
tigt wird.
Weder Paulus stellt diesen Wodan, noch die edda Odinn als
einen betrüger, zaubercr und volksaufwiegler dar; aber der späteren
christlichen Vorstellung muste angemessen scheinen, den von dem
heidenlhum verehrten mächtigen namen nur in solchem licht auftreten
zu lassen. Yngl. saga cap. 7 legt dem Odinn zauber und runenktinste
bei, er habe todte aus der erde geweckt und alle verborgnen schätze
gewuszt. Noch weiter schreitet Saxo grammaticus, der den Othin
nicht blosz als machthaber schildert, sondern als listigen Verführer,
dessen leben durch entehrende handlungen in schatten gestellt wird,
aber auch Saxo weisz und berichtet, dasz Othin und die andern äsen
oder dii ihren allen sitz in Griechenland hatten, oder wie er sich 771
bestimmter ausdrückt zu Byzanz, also in Thrakien; p. 45 lieiszt es
geradezu? at dii, quibus praecipue apud Byzantium sedes habebatur,
Othinum variis majestatis detrimenlis divinitatis gloriam maculasse cer-
nentes, collegio suo submovendum duxerunt. vorher aber s. 13 war
gesagt worden: ea tempestate'cum Othinus quidam Europa tota falso
divinitatis titulo censeretur, apud Upsalam tarnen crebriorem diversandi
nsum habebat . . . cujus mimen septentrionis reges propensiore cultu
prosequi cupientes effigiem ipsius aureo complexi simulacro, slatuam
suae dignationis indicem maxima cum religionis simulatione Byzantium
transraiserunt. als nun die ungetreue Frigga von dieser bildseule das
gold abgezogen hatte, sei Othin vor schäm aus dem land gewichen
und ein andrer zauberer Mitothin (unter welchem man sich Odins
bruder Ve oder Vili bei Snorri denken mag) an seinen platz eilige- ^ viiiy
treten, doch zuletzt Othin zuriickgekchrt und wiederhergestellt worden. — OlXaru^
dem Saxo war folglich Othins auszug und rückkehr in das östliche
reich bekannt.
Umsonst war die mühe einen Odinn und Wiedergeburten Odins
historisch aufzustellen: es ist an ihm der hauch eines göttlichen We-
sens, das sich nicht anfassen läszt oder dem fassenden unter der hand
* Schmidts zeitschr. für gesch. 1, 264, vgl. mythol. s. 1207.
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536 EDDA
verflüchtigt. Odinn ist schon jener Zalmoxis (s. 187), der zu Pythagoras
gekommen und zuletzt wieder ins land der Geten zurückgekehrt, oder
der nach dreijährigem verweilen im unterirdischen haus ihnen von
neuem erschienen sein und den glauben an Unsterblichkeit sie gelehrt
haben soll, war er aber den Geten und vielleicht auch den Skythen *
772 vor beginn unsrer Zeitrechnung bekannt, wie könnte die auswanderung
der Gothen und andrer Deutschen gegen westen und norden unter
seinem geleit anders als mythisch verstanden werden? sein cultus
erstreckte sich längst über alle Deutschen.
Klingt altnordische poesie, edda und was Snorri, andere Nor-
weger und Saxo melden ein in alle andern ergebnisse über die ab-
kunft der deutschen Stämme aus fernem osten; so werden sowol die
denkmäler des nordens frei von dem ihnen oft gemachten vorwurf
wertldoser und unglaubhafter erdichtung, als auch die übrigen nacli-
richten dadurch nicht um ein geringes bekräftigt, an der edda hat
sich eine zum urtheil in mythologischen dingen noch unreife crilik oft
versehn.
* etymol. magn. s. v. ZäfioX^vs 408, 2: ad'avaxi^ovai Se xai TeqiC,oi xal
KQoßv&t, xai rovs anod'avovvras tos Za/xoX^iv cpaalv oXyead'ai, rj^eiv Se
avd'is. xai ravra aei vo/xi'Qovaiv aXrj&eveiv. d’vovai Se xai evwyovvxai,
ws avd'is rß-ovros rov anod'avovxos. die Terizer kenne ich sonst nicht, man
dürfte an zegoeod'ai goth. jmhsan und an Jjaursus erinnern, die Crobyzer
aber sind dem Herodot 4, 49 Thraker, deren land r] K(>oßv£,ixri yrj heiszt und
nach Strabo s. 318 in Niedermoesien, nach Steph. Byz. südlich des Isters lag.
Plinius 4, 12, 26 hat sie weit östlicher zwischen Donau und Borysthenes, am
flusz Axiaces, in skythischem gebiet. Hroptr ist beiname Odins, mit dem ich
aber hier noch nichts ausrichten will.
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XXIX.
GERMANEN UND DEUTSCHE.
Nachdem wir namen, silz und Verwandtschaft aller einzelnen 773
stamme erwogen haben, ist es gelegen zuletzt noch eine bis hierher
aufgesparte Untersuchung über die ihnen gemeinschaftlich zuslehende
benennung zu verbreiten.
Ich musz aber zuvor in die natur der volksnamen überhaupt mehr
einzudringen suchen. Schon s. 153 wurde von dem grundsatz aus-
gegangen , dasz ein volk seinen namen sich nicht selbst ertheilt, son-
dern dasz er ihm von den umwohnenden nachharn gegeben wird, zwi-
schen welchen es auftrilt. wie das neugeborne kind benannt sein
musz, lang ehe es sich auf die nolhwendigkeit einen namen zu führen
besinnen könnte; so empfängt auch der neue volkslamm, da wo er
sich bildet, durch die früher bestehenden älteren stamme, die mit ihm
in verkehr treten, eine benennung, die er hernach ebensowenig able-
gen kann als der täufling die seinige; blosz ausnahmsweise mag sie
genauer bestimmt oder verändert werden. Die nachbarn, von denen
der name ausgeht, sind aber sowol stammverwandte einheimische als
fremde, und je gröszer und wichtiger die völkerverhällnisse waren, je
zusammenfassender ihre merkmale, desto leichter wird ein aus fremder
zunge herrührender name um sich greifen. Zuweilen kann auch ge-
schehn, dasz ein volk, wenn es an die stelle eines fremden weggezog-
nen oder verdrängten einrückt, dessen namen mit überkommt, und 774
gleich den eingeprägten bennennungen der flösse, berge und Wälder
auch die der bewohner haften bleiben.
Betrachtet man nun den grund der namen, so ergeben sich drei
arten, indem sie sich entweder auf einen Stammherrn oder auf eine
vorstechende eigenschafl des volks selbst oder endlich auf die gegend
beziehen, in der es wohnt.
Die palronymische bezeichnung scheint dem geist unseres alter-
thums die allerangemessensle. wie es liefgewurzelte sitte war, und
bis auf heute, nur in beschränktem umfang, unter fürsten und edeln
noch ist, die im gcschlecht hergebrachten eigennamen festzuhallen und
538
VOLKSNAMEN
zu wiederholen; so muste natürlich scheinen, auf die aus berühmten
gesehlechtern hervorgehenden stamme auch den namen des ahnen an-
zuwenden, der an ihrer spitze stand, hierbei kann aber das Verhält-
nis der abstammung auf mehr als eine weise ausgedrückt sein, die
schönste und eigenste ist, wenn bloszer ablaut waltet, wie er in eigen-
namen pflegt (s. 441); so stehn nebeneinander Getae und Gaudae,
Gufrnns und Gaulös, Godar und Gautar, wo auszer dem ablaut des
vocals auch die consonanz verschoben wird*. Iornandes stellt bei den
gothischen Ansen obenan einen Gaut, welchen ich aus der verderbten
lesart Gapt zurückgeführt habe**, hier verdient aber eine bisher un-
angeführte stelle des etymol. magn. betracht, dessen compj|})ator ums
j. 900, nicht lange nach Photius lebte; gleich jener langobardischen
sage (s. 688) konnte ihm auch die gothische bekannt geworden sein,
es heiszt 238, 51: Tovd-og 6 uq/wv Sxv&cov tüjv xuXovf.itvo)v
rovr&wv (man vgl. Philostorgius oben s. 183.) toixe yuQ and rov
yyef.iovog avxüv xXrj&'rjvui. tu yu() noXXu td-yrj und twv r\ymo-
viov xaXovvxui. Ist nun der in ags. genealogien als Vödens solin auf-
gefiihrte Vödelgeät = ahd. Wuolilgöz um so gewisser mit Vöden
775 selbst einerlei, da noch ein mhd. dichter wuotegöz für tyrann braucht
(s. 440), was ahd. glossen eben wieder wuotan ausdrückt (mythol.
s. 121); so liegt hierin ein strenger beweis für die identität des Wuo-
tan und Göz = alln. Odinn: Gautr, Hergautr, und wir erkennen, dasz
auch der goth. Gauts zugleich Vödns gewesen sein müsse; was könnte
für allgemeinbeit und alter des Wuotancullus stärker zeugen?
Es tritt aber auch äuszerliche ableitung hinzu, am einfachsten blosz
die schwache form, von einem göttlichen ahnen Irmin Irman ent-
sprieszen des Tacitus Herminones (bei Plinius falsch Ilermiones) d. h.
goth. Airmanans, ahd. Irminon; von Ingus -und Iscus (Iggvus Iskus)
gothische Iggvans Iskvans oder Isqans), woraus dem Römer Ingaevo-
nes Iscaevones wurden; doch goth. V geht aus U hervor und bedarf
keines bindenden AI, gerade so „wird aus gavi pagus gaujans pagani.
hat eine römische inschrift die bildung Frisaevo, so würde dadurch
das oben s. 670 gemutmaszte Frizva rechtfertig, die berühmte trilo-
gie Ingaevones Herminones Iscaevones, hoffe ich, ist nunmehr auch
in der form einstimmiger gemacht. Tacitus setzt aber diese drei ah-
nen nicht zu oberst, sondern noch über sie als vater den Mannus, als
groszvater den Tuisco, einen erdgebornen gott. von Mannus lieszen
sich, ohne zwischenkunft schwacher flexion, die alln. Menn, nach wel-
chen Mannheimr heiszt, vielleicht die goth. alamans und suevischen
Alamannen (s. 498) leiten, ob von Tuisco die Deutschen? soll nach-
her untersucht werden. Es kann sein, dasz in einigen volksnamen
die schwache form durch annahme eines Stammherrn, auch wo er
nicht grund hatte, herbeigeführt ist.
* vgl. Askr und Iskus, Vandali und Vindili (s. 685); Heähas und Hugas
(s. 675.)
** die gestalt des gothischen V (ähnlich dem griech. T) konnte leicht mit lat.
P verwechselt werden; an die Gepiden denke ich nicht.
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r
VOLKSNAMEN
Ableitendes I wäre wirksam in den namen Gambrivii und Vandi-
lii, die ich auf einen goth. eponymus Gambrus (gen. pl. Gambrivö, wie
vifirus vintrus vi|>riyö vintrive) und Vandils zurückbringe.
Häufigere ableitung ist golb. IGGS, was der Römer durch ignus
wiedergibt, die Marsigni und Reudigni verlangen einen heros Mars und
Riuds (verecundus s. 716), Thuringi Thervingi einen Thurus Therus
vgl. /JovQac, bei Dio Cass. 67, 6), Greotingi einen Griuts; doch ist 776
IGG nicht notlnvendig patronymisch, Griutiggs liesze sich auf ein säch-
liches griut (s. 448) ziehen.
Redeutsam scheint das ableitende IN in Gothini neben Gothi und
ähnlichen, worüber ich s. 722 gesprochen habe.
Auf andere weise wird alle und neue, volle und halbe volksver-
wandtschaft durch Vorgesetzte adjectiva ausgedrückt, ahd. begegnen
die eigennamen Altdurinc Althün AllsuAp; Ealdseaxan nennt auch Alfreds
periplus. Niuslria wurde s. 529 angeführt, es braucht aber kein altes
Westrien bestanden zu haben, Neuwestrien scheint blosz dem alten
Auslrien gegenüber zu stehn. Ilalpdurinc IlalpsuAp Halptene Halpwa-
lah bezeichnen das gemischte Verhältnis * und ich denke Aladurinc Ala-
suAp, die sich aber blosz aus Alaman rathen, das reine.
Dasz solche Stammheiden ungeschichllich und mythisch waren,
verschlägt nichts; es lag nur am glauben der Völker, von ihnen die
reihe der historischen könige abzuleiten, nach einem ''EXXrjv, sohn
des Deukalion und enkel des Prometheus, die nie gelebt hatten, nach
einem r^uTxog oder ytaxtdai/.aov, sohn des Zeus, nannten sich Hel- _
lenen, Griechen und Spartaner, warum nicht die Gautös nach Gauts,
einem sohne des Vodns? Man merke, dasz nie von dem golt unmit-
telbar die Stämme, sondern erst von einem hehlen, des gottes sohn
beginnen.
Sichtbar sind viele Stammheiden erst durch die sage aus länder-
namen entsprungen, von Noregr, das doch nach der hiuunelsgegend
liiesz, leitete sie einen Norr (fornald. sög. 2, 3) und neben ihm einen
bruder Gorr, deren Schwester Göi (vgl. oben s. 93) Ilask, ich weisz
nicht ob glücklich, zum finn. koi (aurora) hält. Andere hehlen hat
man eben aus dem volksnamen gebildet; so werden sich nicht leicht 777
die Sueven auf einen ahnen Suevus zurückführen, dessen name ein
schwachformiges Suevones für den volksnamen veranlaszt haben würde.
Raumar und Throendir scheinen den heldennamen Raumr und Thröndr
vorhergegangen, nicht umgedreht aus ihnen entstanden und so in vie-
len ähnlichen fällen.
Die zweite hauptart der volksnamen und eigentlich die ansehnlichste
unter allen geht von einer beschalfenheit des volks selbst aus**.
* Sollten dieses nicht zusammengesetzte namen z. b. wie ahd. Hazgöz Hün-
göz Diotcöz noch deutlicher erkennen lassen? Hazgöz wäre aus chattischgothi-
schem, Diotcöz aus teutonischgothischem Mut entsprossen, Suavigotha (s. 707)
aus suevischgothischem. Amalgöz aber bezeichnete den amalischen Gothen, Ma-
gangöz den reinen Gothen.
** gerade wie hei den monatsnainen auszer den von göttern hergenommnen
andere sich auf naturbeobachtung gründen.
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540
VOLKSNAMEN
f448)
Tt.
Handelt es sich aber um geistige und politische anlagen, so kann
im alterthum nichts mehr hervorgestochen haben als die freiheit und
kühnheit der Völker.
Bedeutsam erscheint, dasz zwei unserer ausgedehntesten und mäch-
tigsten volkslämme die ireien heiszen; wie im volk selbst der stand
der freien seinen kern bildet, ragen auch unter den einzelnen Völkern
hervor, die einen solchen namen verdienen; um so mehr aber steigt
dieses namens gehalt, wenn er uns von fremden nachbarn beigelegt
wird. Franken (s. 512), und wenn ich recht deute (s. 670) ihnen
ansloszende Friesen, denen noch ihr rechtsbuch immer freien hals und
t, freie spräche beilegt, werden die freien genannt; wie viel schöner
klingt die von fremden nachbarn zugetheilte benennung, das sicherste
anerkennlnis öffentlicher freiheit! s. 322 und 490 ist begründet, dasz
Ca.eJi'1'15 Sueven eigentlich Suoven Suovcnen, leute sui juris (von svoi, suus pro-
/ prius, verwandt dem golli. sves) sind, deutsche nachbarn, welchen der
Sarmate oder Slave seinen eignen, besten namen überweist, jetzt füge
ich hinzu, dasz Plinius 4, 17. 18. 19 bei aufzählung der Völkerschaf-
ten Galliens häufig das beiwort liberi verwendet: Nervii liberi, Sues-
siones liberi, Ulmanetes liberi, Leuci liberi, Treveri liberi, 3Ieldi liberi,
Secusiani liberi, Santones liberi, Bituriges liberi, Arverni liberi, was sich
nicht auf die freiheit des Standes gegenüber knechten, sondern nur
778 auf ein masz politischer freiheit beziehen kann, die den Galliern unter-
einander oder in bezug auf den römischen oberherrn gelassen war.
ich finde in den keltischen sprachen nicht mit Sicherheit das wort her-
aus, welches ihnen für dies lat. über zustand; erwägt man aber, dasz
die belgischen Gallier dicht an Germanen grenzten, zumal an die hier
von Plinius selbst genannten Frisiabones, Nemetes, Tribochi, Vangiones,
Ubii, Guberni, Batavi; so darf der fränkische name, dessen von mir
in anspruch genonnnnes hohes aller (s. 518. 519) dadurch bestärkt
wird, in betracht kommen. Germani liberi muste noch viel höheren
sinn haben, weil sie grösztentheils unabhängig und ununterworfen wa-
ren. zwischen jene liberi schaltet Plinius Lingones foederati, Bemi
foederati, welches ausdrucks begrif und wie er sich zu liberi verhielt,
wir erst einer uns abgehenden genauen nachricht über die Unterwür-
figkeit der Gallier entnehmen könnten, mit dem einschmeichelnden
namen amici, fratres, consanguinei, foederati waren die Römer auch
gegen Germanen freigebig und die ersten foederati kamen nicht in
Byzanz vor (s. 450.) Es ist aber zu bemerken, dasz auch im osten
Ammians schon s. 448 beigebrachle stelle Taifali, Liberi und Sarma-
tae verbindet, welchen Liberi nicht unfügsam die gothisehen Balthae
verglichen werden, weil Baltlia nach Iornandes audax und balj)s bei
Ulfilas na^i]aicodi]g ist, freie spräche und freier hals eng zusammen
hängen.
Freiheit, mut und rühm laufen dem alterthum ineinander, seien
die ßalthen freie oder leuchtende (s. 447), die hellen Skiren (s. 466),
die lichten -Daken oder Dänen (s. 192) treten ihnen zur seite; auch
die Bructeri scheinen glänzende (s. 532), die Aeslii geehrte (s. 719),
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VOLKSNAMEN
541
die Chauken hohe (s. 675), Gambrivii, wenn nicht die palronymische
herleitung von Gambrus überwiegt, wären strenui, sagaces, Sigigarabri
hello strenui (s. 525), Gugerni Gundgerni schlachlbegierige (s. 707)*,
Dulgubnii krieger (s. 623); Druonti Throendir uycovi^ovteg, Gepiden
die glückhaften (s. 464. 465.) bei Alamannen gebe ich dem palro-779
nymischen begrif den Vorzug, sonst dürfte man sie als männer den
Erulen, wenn diese ags. eorlas sind (s. 470. 598) vergleichen. Ge-
vissi sind praescii sagaces (s. 659), Fali Falhi constituti, ordinati (s. 630),
Reudigni vielleicht verecundi (s. 716), Tencteri juncti, conjuncli, con-
sanguinei (s. 532), was an den römischen begrif der fratres und con-
sanguinei mahnt.
Die Vorstellung der frümmigkeit und des gottesdienstes könnte
man in volksnamen gleichfalls erwarten, wie in mannsnamen bezug auf
götter erscheint (mythol. s. 82. 83.) auch habe ich Ziuwari auf Zio
gedeutet, sie sind z/u'(fiXoi, j4qrjtq>ikoi und hierher geboren die Daci
als ziäoi und z/tbz (s. 191. 192.) Ansivarii werde ich nachher (s. 782)
vergleichen. Navarnehalen und Victohalen, wenn die namen recht aus-
gelegt sind (s. 715) stehn unter der nornen schütz. Wenigstens läszt
sich die frage stellen, ob nicht, wie Gautös auf Gauls, die andere form
Gujm auf gu|) deus gehe und sich mit ans divus und gudja sacerdos
berühre (s. 447)? Verwandtschaft zwischen guf) und göds dya&og
schien etymologisch unstatthaft; doch ist neulich ein schmaler pfad
gebrochen worden, auf dem man von gufian dennoch auf göd gelan-
gen könnte**.
Zwar in der regel sind alle eigennamen guter bedeutung und nur
als ausnahme mögen schimpfliche und nachtheilige beinamcn entsprin-
gen. wenn Tacitus Germ. 36 sagt: ita qui olim boni aequique Che-
rusci, nunc inertes ac stulti vocantur (vgl. s. 574 und 597); so scheint
das blosz des Römers uriheil, kein damals im munde der Germanen
gewesener beiname. Dasz begriffe der hehlen und kämpfer übertreten
in die von räubern und gewalttätigen beweist der name der Kimbern
und Sturmen (s. 636. 637); doch solche namen ehrten im alterthum,
verletzten nicht, welchem ofner raub und todschlag kein lasier schien***.
Zweifelhaft bin ich, ob dem namen der Quaden gute oder üble vor-780
Stellung unterliege (s. 507); ein alln. mannsname Illugi ist mit ill (übel)
gebildet, ähnlich dem franz. Malvoisin Maupertuis. die ags. Ilviccas
(s. 660) sind vielleicht inconslantes und die unbekannten Frumtingas
(s. 752) ungünstig zu deuten, mehr noch gehört hierher der s. 566
567 erörterte beiname der blinden Schwaben und Hessenf, welchen
der Litlhauer allgemein auf alle Deutschen anwendet: aklas Wükietis,
heiszt es, der blinde Deutsche, was bei der groszen ausdehnung der
___________________ wa*k H&Mefw • i ^ ö ■
* Germani laeta bello gens. Tac. hist. 4, 16.
** s. meine Vorrede zu Ernst Schulzes goth. glossar s. XVIII.
*** noch Nib. 1242 hebt die gewöhnlich des straszenraubs in Beierlant hervor,
vgl. 1369. 1540 ff. dem bairischen grusz (Ernst 1585) steht der schwäbische
(arm. Heinr. 1421) gegenüber. Swäbe die milten. Bol. 268, 5.
j auch Hans Sachs IV. 3, 92* : die Hessen engst man mit den hunden.
542
VOLKSNAMEN
alten Sueven nicht zu verwundern ist, wie noch heute in Ungern
Schwab von jedem Deutschen gilt, je weiter verbreitet desto älter
scheint die redensarl*. Nicht eines leiblichen gebrechens halber heiszt
den Slaven der Deutsche stumm, sondern weil er ihre spräche nicht
redet, ululot; oder barbarus, ahd. elirart ist: russ. Njemetz, poln.
Niemiec, böhm. Nemec, vgl. njem” mutus, poln. niemy, bölim. nemy;
nach den Slaven sagen auch die Ungern Nemet, die Kalmücken Ne-
mesch. unsere alten Nemetes (s. 496) gleichen nur zufällig, den
unredenden Niemlzi dürfen aber die redenden Iazygen vom russ. jaz’ik”
lingua, poln. jezyk, böhm. gazyk entgegengehallen werden.
Die beiden letzten benennungen gaben schon leibliche beschaflen-
heit kund, auf welche man etwan auch Balthen, Sciren und Brucle-
rer beziehen dürfte, nach den haarlocken heiszen die edlen und freien
781 mehrerer Völker capillali, ags. locboran; vielleicht sind auch die gotli.
Hazdiggös (s. 448) mehr stand als stamm, vom hart ihren namen
tragen die Barden oder Langobarden, die Armilausi (s. 449) heiszen
nach der kleidung, die Chatten oder noch deutlicher Chatluarier d. i.
Hätvere** scheinen von der tracht eines hutes oder einer binde (s. 578.
579) genannt; Fischart geschichlkl. cap. 11 p. 118a nennt unter
andern schwert- und dolchnamen auch cweidner, hessen und mort-
pfrimen3 und Schmeller 2, 249 hess als eine der waffen, die in der
sclilacht von Mühldorf geführt wurden; aus der allen spräche kann
ich eine solche walle nicht aufweisen. Unter allen walfcn voran geht
aber das schwert, und hinzugenommen dasz es einen schwertgott und
schwertcultus gab, mtisz höchst begreiflich sein, dasz nach dem schwert
Sveordveras, Suardones, Sahson, Cherusken und vielleicht noch andere
Völker hieszen. Vom geflochlnen schild aber können die Bastarnen
genannt sein (s. 461), ahd. ist linla, altn. ags. lind lilia, cortex und
dann auch aus hast gewirkter schild, lindvigende sind den ags. dich-
* volksmäsziger scherz über einzelne Stämme geht in hohes alterthum hin-
auf. einen sprucli vom Ursprünge der Schwaben, Franken und Baiern theilt
Schmeller mit 3, 524; eine estnische sage vom kochen der deutschen, russischen
und lettischen spräche steht in den verhandl. der Dorpatcr gesellschaft bd. 1,
44—46. wie schon Polyaen strateg. 8, 10 den Kimbern und Teutonen thierische
stimme beimasz, Julian die gesänge der rheinischen Deutschen dem gekrächze
rauh schreiender vögel verglich, haben auch romanische Völker die deutsche
spräche pferdegewieher oder hundegebell gescholten.
** aus ags. verjan, altn. verja defendere, tueri (goth. varjan, ahd. werian) lei-
tet sich ein ags. subst. vare vere, altn. veri, das in häufiger Zusammensetzung
colens, habitans ausdriiekt, altn. skipveri nauta pl. skipverjar, skögverjar qui sil-
vam incolunt, Römverjar qui Romam incolunt, Romani; eyverjar habitatores insu-
lae, ags. burhvare cives, ccastervare castrenses, hätvare oder hätvere colentes,
gestantes pileum — Chattuarii, sveordvere gestantes ensem = Suardones. da-
her nun auch Ripuarii qui ripam tenent, ripenses Bajuvarii ags. Beegdvare, qui
! Boihemum incolunt (Baugweri, viri coronati ist falsche annäherung an deutsche
klänge, Graff 3, 40), Ziuwari qui Martern colunt, tuentur, Ansivarii, qui deos
colunt. Naliverwandt liegen die frauennamen altn. Hervor, quae exercitum tue-
tur, bellatrix, Gunnvör, quae pugnam colit, bellona, Eyvör, quae insulam incolit;
ahd. Heriwara, Gundwara u. s. w.
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VOLKSNAMEN
543
tern scutiferi, mhd. die cunder Schilde’ gehn, ich habe s. 220 — 222
^y.vd^rjg entweder für To'§orrjg oder scutarius genommen*.
Am wenigsten angemessen scheint für den zustand beweglicher 782
und wandernder Völker die dritte, durch örtliche Verhältnisse bedingte
hauptart der namen. während die der beiden ersten arten immer tau-
gen, so lange im volk die erinnerung an seinen ahnen nicht erloschen,
oder eine geistige und leibliche eigenheit unverwischt ist, die den na-
men bestimmte; musz ein vom flusz, berg oder wald des Wohnsitzes
entlehnter seinen sinn verlieren, wenn das volk in andere gegenden
rückt, erst langer friedlicher aufenthalt an derselben stelle würde solche
benennungen heiligen, in der that finden sich auch nach allen unsern
groszen strömen, wie Donau, Elbe, Rhein, Weser niemals stamme be-
nannt, und nur zur nähern beslimmung eines schon bestehenden na-
mens kann der flusz gereichen, z. b. wenn von Rinfranken, rheinischen
Franken die rede ist**, aus diesem grund bleibt mir der bezug des
namens Fosi auf die Fuse (s. 574. 618), die nicht zum chaltischen
gebiet paszt, ganz unwahrscheinlich, und ist dieser fluszname richtig
aus füs promptus geleitet, warum nicht die Fosi durch alls. füsa, ahd.
funsö d. i. ad bellum prompti deuten? sie fallen damit in die zweite
hauptart. Mit der Ems, römisch Amisia, haben die Ampsivarii oder
'Afiipiavol Idf.i'ipavoi des Strabo s. 291. 292 kaum zu schaffen; die
Variante Ansivarii*** darf auf ans deus leiten und Ansivarii deos eo-
lentes gebildet sein wie Ziowari? Ob die Salier von einem flusz oder
gau benannt waren (s. 528) bleibt unausgemacht, doch die nordischen
Glommas (s. 752) scheinen nach einem flusz geheiszen, wie vom ufer
des Stroms Ubii und Ripuarii (s. 527.) aucli ist glaublich, dasz die
einlheilung in majores und minores (s. 677) durch flüsse bestimmt 783
wurde, wie noch heule innere grenzen und bezirkef.
Als bewohner von insein und auen künden sich an Aviones (s. 472),
Batavi und Chamavi (s. 531. 584); Peucini heiszen von der insei Peuce
(s. 461.) Maltiaci und Angrivarii waren auf matten und angern nie-
dergelassen. Griotungi (s. 448) vielleicht auch am gestade des meers,
denn grioz bedeutet arena (Graff 4, 345) und can den griezen* czuo
den griezen’, cüf den wilden griezen’ im Gudrunlied das meeresufer.
im wang hausten Vangiones (s. 497), im bant die -bantes (s. 593.)
In heiligen Wäldern Semnonen (s. 493) Nemeten und Triböken
(s. 497), vor allen Ilaruden und Holtsaten, Höflinge Hülzinge (s. 663),
vielleicht auch Markomannen (s. 503), welche doch, gleich den Schwe-
* auch mannsnamen werden aus waffen entnommen, z. b. die vielen mit -gör,
oder Hornboge.
** so wurden Hessen näher bestimmt in Fanehessen, Ritehessen (s. 579.)
*** NS = MPS, vgl. oben s. 337 und meine Vorrede zu Schulze s. XI über
amisala ampsla, was sich auch, als wäre es ansala, in ags. ösle, engl, ousle wan-
delt; war die amsei ein heiliger vogel, gleich der meise (mythol. s. 647)?
t Umgekehrt flüsse nach Völkern genannt: die Oder Suevus J!ovrjßog bei
Ptolemaeus nach den Sueven; Guttalus bei Plinius ein flusz östlich der Weich-
sel, Pregel oder Memel? nach den Guttonen oder Gothen.
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VOLKSNAMEN
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den (s. 745) auch als grenzhüter können angesehn werden. Burgun-
den scheinen davon genannt, dasz sie bürgen anlegten.
Nach der himmelsgegend: Ost- und Westgothen (s. 442. 739)
begreiflich in ganz verschiedner heimat, wenn man stammahnen Ostro-
gotha und Visigotha zum gründe legt; auch bei Usipetes liesze sich
an Visipeles denken (s. 534.) die Vederas (s. 739) scheinen West-
länder. Nordmannen Normannen, Norwegen ist für sich klar; in den
alln. liedern heiszt der Bewohner des festen deutschen landes, den
skandischen insein gegenüber, Srtdroenn oder Südrmadr; wie wir die
Skandinaven Nortmannen, benannten sie uns Südmannen. Iuti und
Eudoses habe ich versucht als extremi zu bezeichnen (s. 736), ja man
könnte sie, nach dem in Utlönd, Uthriustri s. 678. 742 liegenden
sinn, für minores nehmen.
Thiere, die in mannsnamen, oder blumen, die in frauennamen
einzugehn pflegen, finde ich niemals in deutschen volksnamen. die
784 Hessen sind keine katzen und schon darum ist die Vorstellung auer-
hahn (jlrgat-, lat. tetrao, alln. jiidr, scliwed. tjäder) von dem namen
der goth. Tetraxiten auszuschlieszcn, welcher sich auf eine vierfache
eintheilung des Stamms gründen mag (s. 444.) in den Canninefaten
mutmasze ich die hunderttheilige (s. 586.) Doch sehe man gleich
nachher eine bemerkung über griechische volksnamen.
Hält man zu deutschen griechische und lateinische, so musz in
der that auffallen, dasz hier unsere zweite hauptart gar nicht statt-
findet; ich wüste keinen hellenischen oder römischen stamm, der nach
tracht, walfen, freiheit oder tapferkeit benannt wäre, entweder heiszen
die Völker nach einem ahnen, wie EXXyv, die Phokaer nach (üwxog,
die Arkadier nach l4Qy.ug des Zeus sohn, oder nach dem land und
der stadt, aus welcher sie enlsprieszen, 5Arrtyoi nach 'Arrinrj, Bouo-
toi nach Bouoti'u, dem land der rindertriflen, KoQivfhoi nach Kö-
Qivdog, ’HXeToi nach rHhg, A&ijvuioi nach ’A&ijvcu, der stadt, die
seihst von Idd’rjvr} der göttin benannt war, Romani nach Roma, La-
tini nach Latium, Samniles nach Samnium. die Sabini führen auf
einen ahnen Sabus. Aus den Städten Rom, Athen, Sparta erblühte
das ganze volk, unsere vorfaliren hauten noch keine Städte, und der
name Burgunden (s. 700) hält sich ganz in der allgcmeinheit; volks-
namen wie Hanoveraner oder Würtemberger sind neu und undeutscli.
In den namen der zweiten hauptart liegt etwas naives, das Griechen
und Römern barbarisch aussehn mochte; Quirites, welches vom sabi-
nischen quiris hasla (vgl. gais, gör) herrühren soll, ist mehr beiname,
als eigentlicher volksname. üeXaayoi wird theils von ntXaQtiv her-
geleitet, theils auf den schwarzweiszen storch bezogen, und wäre dann
treffende bezeichnung aller gleich Zugvögeln wandernden Völker, vgl.
Loheck zu Phrynich s. 109, ja so liesze sich auch die fortziehende
schwalbe nehmen in XthÖövtot und KQ^ariovaioi (s. 205.)
Nunmehr bin ich genug vorbereitet um auf die in der Überschrift
des capitels angekündigten beiden allgemeinen benennungen unseres
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GERMANEN
545
volks einzugehn; gleich anderm eigentlmm sehn wir sie uns vielfach
bestritten und verkümmert.
Dasz den Römer die Völker der rechten Rheinseite, so bald sie 785
von ihnen künde empfangen, überhaupt Germanen heiszen, ist bekannt,
und auszer inschriften bezeugen es die werke von Caesar, Straho, Li-
vius, Plinius und Tacitus allenthalben, nicht weniger weisz man, dasz
sie diesen namen auf die inneren deutschen Völker erstrecken, wie wir
sahen, nordwärts auch über die scandinavischen insein und ostwärts
bis zu Sarmaten, Geten und Daken. die beiden letzten sind ihnen
offenbar noch keine Germanen. Undeutsch aber erscheint der name,
weil er niemals im munde unserer Vorfahren selbst geführt wird; nie
weder bei ags. oder alln. dichtem taucht er auch nur als dunkles,
veraltetes beiwort auf, was doch kaum unterblieben wäre, wenn er
im volk und in der spräche je gewurzelt hätte, seine scheinbar mög-
liche deutung nach deutschen Worten musz darum aufgegeben werden:
er ist nicht aus gör hasta und man zusammengesetzt, noch aus irman,
irmin entstellt, im ersten jh. und vorher hätten die Römer für gör
noch gös vernommen, das ihnen zudem aus gaesum her geläufig war,
das E in ger galt ihnen offenbar kurz, und von Germani weisz ihr
ohr sehr wol die namen Ilermunduri und Arminius zu scheiden, aller
deutsche klang in Germani trügt also.
Nun ist aber weiter höchst wichtig festzuhaljen, dasz der name
von einem winkel der linken seite des Niederrheins her ausgegangen
war und sich von da in immer weitere kreise gedehnt hatte, wir
besitzen darüber eine berühmte oft besprochne stelle des Tacitus cap. 3 :
ceterum Germaniae vocabulum recens et nuper additum, quoniam qui
primi Rhenum transgressi Gallos expulerint, ac nunc Tungri, tune Ger-
mani vocati sint. ila nationis nomen, non gentis evaluisse paulatim,
ut omnes primum a victo ob metum, mox a se ipsis invento nomine
Germani vocarentur. vorerst kann hier recens und nuper nicht auf
die jüngste zeit gehn, weil schon Caesar den namen kennt und ver-
wendet, ihn vielleicht auch zu des Marius lagen die Römer wüsten
(wenigstens braucht ihn Plutarch, von den Kimbern redend); es soll
sagen, dasz er nicht der alte, ursprüngliche gewesen sei, sondern bei 786
besonderm anlasz aufgekommen*, nemlich die zuerst über den Rhein
schreitenden und die Gallier austreibenden Deutschen, die jetzigen Tun-
gern, seien damals Germanen genannt worden, von dem einzelnen
stamm habe sich der name allmälich auf das ganze volk erstreckt, ein
name, den erst der besiegte aus furcht gebrauchte, hernach die Deut-
schen selbst sich gefallen lieszen. ich ändere das untaugliche victore
des textes in victo, für welches hier kein victis gefordert wird, da
Gallos weit vorausgeht, mit victore ist nichts anzufangen: entweder
müste es den siegenden heerführer der Deutschen bezeichnen, und da
auch cap. 1 nuper cognitis, ann. 1, 31 nuper acto delectu, hist. 4, 17
nuper caeso Quinctilio Varo, sagt Civilis im j. 69 sich beziehend auf das was im
jalir 9 gcschehn war.
35
546
GERMANEN
wäre schon der gegensatz zwischen ihm und dem volk (a victore und
a se ipsis) seltsam, noch seltsamer, dasz er ein ihm fremdes wort
ob metum (ineutiendum) verwandt haben sollte; oder, was ich sonst
dachte, den weltbesiegenden Römer, insofern die Römer, als sie vom
einbruch der Deutschen hörten, aus furcht vor ihnen den oft an fremde
verschwendeten namen amici, consanguinei, germani, d. i. brilder ge-
braucht hätten, um den eindringlingen zu schmeicheln*, in der that
wurde Germani in solchem sinn aufgefaszt, Strabo s. 290 sagt aus-
drücklich: yvtfGioi yuQ ol rtQf.ia.roi xutu rtjr ‘Piofiuiwr öidltxzor,
Plutarch im Marius cap. 24 scheint Germani durch ädtXyoi wieder-
zugeben und bei Vellejus 2, 67 dreht sich die spitze eines Soldaten-
liedes um die Zweideutigkeit von Germani und germani, Galli und galli.
Allein diese bedeutung muste sich von seihst aufdringen und konnte
sagenhaft bestehn, ohne dasz sie wirklich auf den Ursprung des na-
mens führt; es liegt doch etwas unrömisches in solcher Zuvorkommen-
heit gegen barbaren. Am richtigsten scheint mir daher die benennung
787 von den gallischen nachbarn der Deutschen ausgehen zu lassen, wie
auf entgegengesetzter seite die der Sueven von den slavischen: sie
braucht aber blosz zufällig den schreckhaften sinn enthalten zu haben,
den hernach eine auch den Römern zu ohr gekommene Überlieferung
damit verknüpfte. Germani hat ganz das ansehn eines keltischen worts
und steht auf gleicher linie mit dem bei Caesar verzeichnelen volks-
namen Paemani, welcher zu leiten scheint vom ir. oder gal. Cbciin
wunde oder streich das den pl. beimeanna bildet (Odonovan s. 91.
92), so dasz in Paemani ein begrif läge, den ich s. 623 für Dulgi-
bini annahm, von gairm pl. gairmeanna ruf, ausruf (welsch garm, und
das mnl. caermen vociferari lamentari mag verwandt sein), könnte wie-
der ein männliches subst. mit der bedeutung des heutigen gal. gair-
madair, garmadair oder welschen garmwyn schreier, rufer leiten, das
dem sinn des gr. ßorjr uya&og nahe stände und sich treflich für
einen beiden im kampf schickte, für den rauhen Deutschen, Galliern
gegenüber, um so mehr, da ihm baritus oder fremitus ausdrücklich
zugeschrieben wird. Germani bedeutet demnach nichts als ungestüme,
tobende krieger und schon ein solcher name mochte den Galliern
schrecken einflöszen**. von den wütenden Berserkern heiszt es in
altn. sagen: gengu f>eir grenjandi, ibant vociferantes (fornald. sög. 1,
421.) So erschienen den belgischen Galliern die Tungern, und mit
diesem namen wurden sie von ihnen belegt***, der hernach auch auf
andere deutsche stamme und allmälich von den Römern auf alle über-
tragen wurde. Die Tungern habe ich cap. XX mit absicht unerwähnt
* vgl. s. 779; die Römer nannten auch die Gothen tpiXovs xai gv/u/uaxovs.
Procop b. goth. 2, 6.
** selbst dem römischen heer theilte der gallische bericht von den Germa-
nen zu Caesars zeit diese furcht mit. Caes. 1, 39.
*** nachdem ich diese keltische etymologie selbst finde, freut es mich beim
nachschlagen von Haupt 5, 514, dasz sie schon Leo gefunden hatte.
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lliilimi m m ts (6s m M A i a ä m
GERMANEN
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gelassen, um erst hier von ihnen ausdrücklich zu behaupten, dasz sie
deutscher abkunft waren, sie treten auch im krieg des Civilis und
hernach unter Agricola neben Bataven, Treverern und Nerviern in bel-
gischem gebiet auf, Tac. hist. 2, 28. 4, 16. 55. 66. 79 Agric. 56 788
vgl. Plin. 4, 17. die not. dign. occid. cap. 38 erwähnt einer cohors
Batavorum, Tungrorum und Frixagorum (Frisaevonum) hintereinander.
Tungra, heute Tongern, zwischen Lüttich und Mastricht, führt nach
ihnen den namen; die warmen Lader zu Spa lagen apud Tungros.
Plin. 31, 2, 8: Tungri civitas Galliae fonlem habet insignem, plurimis
bullis stellantem. im sg. lautete der volksname Tunger, wie eine in-
schrift hei Gruter 334, 3 und ein vers bei Silius ital. 7, 681 lehren,
keltischer anklang ist hier gar nicht, ich halte das wort für verwandt
mit gitengi, bitengi, Tender (s. 532) und dem ahd. zankar vibex,
OTiy/Lirf, die sämtlich ein verlornes tingan lang tungun voraussetzen,
wozu auch zanga forceps und zunga lingua gehören, mit bezug auf
das letzte wort könnte tungar, ahd. zungar aussagen linguosus, cla-
mosus, was jenes gairmadair und garmwyn sogar erreicht; möglich
also dasz Germani geradezu Übersetzung von Tungri war. oder sol-
len Tungri sein was Iazyges (s. 780), die redenden, einheimi-
schen ?
Trat hiernach der name Germani zuerst bei den westlichsten Is-
caevonen oder Franken hervor, so verleugnet er auch lange nachher,
als er schon allgemeine ausdehnung gewonnen hatte, diese seine wiege
nicht, die belgischen Franken, d. h. die Deutschen, welche den Nie-
derrhein überschritten halten und in Belgien niedergesessen waren,
hieszen noch immer vorzugsweise Germanen (vgl. gramm. 1, 12); dem
Procop sind z. b. Franken und Germanen identisch: eg Fe^/narq-vg,
oi vvv Oqdyyoi xaXovvzou, de b. vand. 1, 3; ol de Qiqdyyoi ovrot
rs()[,tuvoi /uev to naXuibv üIvo/liu^ovto, de b. goth. 1, 11, und eine
randglosse zu Strabo s. 196 (Kram. 1, 307) hat: BeXyoi ol vvv
Oqdyyoi. Justinian, um recht sicher zu gehn, liesz in seinen titel
zu alamannicus, gothicus, francicus auch noch germanicus fügen; wie
wunderbar, dasz die nachfolger im römischen weitreich sich nur mit
den namen deutscher Völker schmückten, und die fränkischen könige
verübelten ihm, nach Agathias, mit vollem recht seine anmaszung.
Nimmt man hinzu den späteren rühm der fränkischen herschaft, so musz
es natürlich erscheinen, nicht nur dasz der hochdeutsche Otfried die 789
spräche seines gediehts eine fränkische nannte (s. 511), sondern dasz
auch in Byzanz den Türken der name Franken für alle Deutschen
überliefert wurde, während die Franken selbst, im gegensatz zu sich,
die ihnen benachbarten Deutschen nicht umhin konnten Alamannen
und Theodisken (Alemans et Tyois) zu nennen, unter Alamannen ver-
standen sie die süddeutschen oberrheinischen, unter Theodisken die
norddeutschen niederrheinischen nachbarn.
Wenn Franzosen und Spaniern allmälich alle Deutschen Allemands
und Alemanes heiszen, so rührt das noch an die ausbreitung des Sue-
vennamens im höheren alterthum; doch den Italienern gilt Tedeschi,
35*
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und hierdurch werden wir auf den andern und schönem hauptnamen,
der uns zusteht, geleitet.
Gal. 2, 14 wird ifrvtxcog durch das goth. jnudiskö übertragen;
|)iudisks folglich ist i&vixog, gentilis und wie dies lat. wort von gens,
von fnuda gebildet, bezeichnet also was volksmäszig, populär, national
ist; erst heutige Schriftsteller können es nöthig finden von deutscher
nationalliteratur zu reden, was das alte diutiska schön auf einmal aus-
drückt. einen besseren allgemeinen, alle germanischen stamme umfas-
senden, keinem abbrechenden namen zu erfinden wäre unmöglich, hatte
er anfangs die bescheidenheit der Vorstellung barbarus, vulgaris, so
musz er dem erwachten bewustsein stolz auf alles eigne und vater-
ländische einflöszen*. Wie er aber von jedem stamm zu schreiben
sei bestimmt das gesetz der lautverschiebung, dem ahd. diutisc steht
ein nhd. deutsch unabänderlich zur seite und vom mnl. diet ist dietsc
gebildet, vom ags. fieod entspringt fteodisc, der englischen Schreibung
gemäsz wäre thiedish thedish (wie noch schottisch thede = f>eod fort-
790 dauert), es ist aber german eingeführt und ein dutch aus dem nl. dutsc,
zu dessen bezeichnung aufgenommen worden, dasz Schweden und
Dänen, welchen altn. ffiod verloren gegangen ist und an die stelle des
f). allgemein wieder t gilt, altn. jaydskr durch tysk und tydsk wieder-
geben, verhält sich ganz nach der regel. die Italiener aber schreiben
tedesco wie Teofilo teatro teoria, und nicht anders verhält sich die
tenuis des franz. tyois und tudesque.
Noch aber ist zu erledigen, in welchem bezug zu dieser benen-
nung der alte volksname der Teutonen stehe. Teutones Ttvzovtg
stammt wiederum aus teuta, wie vor der Verschiebung das goth. jmula**
ahd. diota gelautet haben musz, welches dem litth. tauta und ir. gal.
tuath, welschen tud, tuedd regio begegnet (s. 120.) in tualh scheint
sogar der zweite linguallaut genauer als in jenem teuta für teutha,
weil die Römer kein TII hatten. Von teuta gens leitet sich der eigen-
name Teuto gentilis, pl. Teutones, wie vom goth. j)iuda Thiuda pl.
Thiudans, vom ahd. diot oder diota Dioto pl. Dioton, und der sinn
dieser ableitung kommt der von -isc nahe; selbst das goth. Juudans,
ags. fteoden, alts. thiodan altn. [uodan bedeutet den aus dem volle
entsprosznen könig oder fürsten, wie jenes fylkir (s. 789) und das ir.
tuathach den herrn. Da unter allen Germanen Kimbern und Teutonen
in Rom zuerst bekannt wurden, als sie den kühnen zug von der nörd-
lichen halbinsel her über die alpen unternahmen (s. 638. 639), und
hernach ihr rühm haftete; so ist wahrscheinlich, dasz das mittelalter
* ebenso entspringt aus ahd. folh, ags. folc, altn. fölk (welcher ausdruck der
goth. spräche mangelt) folhlih ags. folcltc popularis und altn. fylkir dux, rex.
** man darf auszer Jjiuda auch das goth. JiiuJ» nyad'öv und |tiu[>jan benedi-
egre erwägen, deren zwiefache aspirata der zwiefachen tenuis in Teutones genau
zu entsprechen scheint, und darum dachte ich s. 461 bei dem namen Teutago-
nus an jnupeiga. Teutones wären in diesem sinn die reichen, seligen, glückli-
chen. am ende läszt sich piuda mit b,ul) noch leichter vermitteln als Gu^ans
mit Göds und die forschung soll offen bleiben.
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m m m\meimm\mmm mm «
DEUTSCHE
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Teutones und Teutonici für gleichbedeutend mit Thiotisci nahm, wie
z. b. Saxo grammaticus Teutones in diesem allgemeinen sinn verwandte; 791
belege für Teutonici sind gramm. 1, 16 gesammelt, teutonicus ist
aber wie saxonicus von Saxo, undeutsche, blosz lateinische Wortbildung*
und dem diutisc, theotiscus nachzusetzen; auch hat schwerlich der
Gothe bei seinem [nudisk an jenen stamm der Teutonen gedacht.
Süddeutsche Schriftsteller widersetzen sich der allein richtigen
Schreibung unseres volksnamens mit D, und halten T für deutscher;
sie bedenken nicht, dasz media so hochdeutsch ist wie tenuis, und
das niederdeutsche D hier und in viel andern Wörtern unorganisch an
die stelle von TI1 getreten; wie sollte in diesem namen hochdeutsches
T gerecht sein, dem nur organisches niederdeutsches D zur seite steht?
So sehr das einleuchtet, hat sich dennoch Hattemer jüngst in einer
eignen schrift für T erklärt und vorgestellt, der volksname führe auf
einen gott Teuto zurück, wie bei Tacitus für Tuisco zu lesen sei, und
stehe auszerhalb der lautverschiebung. allein Teuto oder Tiuto ist
gegen den huchslab der handschriften und wenig glaublich (wir sahen
vorhin ein solches wort in der bedeutung von gentilis), am unglaub-
lichsten, dasz aus ihm der volksname entspringe, da Teuto durch seine
schwache form sich selbst schon als abgeleitet kund gibt, alle götter
oder ahnen, auf welche sich Völker hinführen, starke form an sich
tragen, dasz Teutones unverschoben bleiben müsse, ist falsch, wie792
das goth. f)iuda [tiudans, ags. [ieod [>eoden und ahd. diot Dioto leh-
ren. die Teutones sind also ahd. Dioton und nhd. Dietmarsen, wie
Teutoburgium ahd. Diotpuruc, goth. [nudisk nhd. deutsch und Chatti
Hessen, was Ammian 15, 3 Teulomöres, Gregor von Tours 2, 9
Theodemör und unser heldenbuch Dietmär nennt ist sicher derselbe
name.
Es ist von neueren Schriftstellern mit groszem unrecht geleugnet
worden, dasz im höheren alterthum unter den deutschen volkstämmen
warme Vaterlandsliebe und gefühl ihres Zusammenhangs vorhanden ge-
wesen sei. jene wird schon durch eine reihe von schönen ausdrücken
bezeugt, die unsrer spräche gewis von uralters.. her zu gebot standen,
für patria gebraucht sie, der Zusammensetzung überhaupt geneigt, ahd.
sowol fatarland (Graff 2, 235) narbig yaTu, als fatarheim (4, 950)
und fataruodil (1, 144); mhd. finde ich von diesen dreien nur vater-
lant troj. kr. 11672. Silvest. 2411. doch galt auch schon ahd. das
abgeleitete heimuoti (Graff 4, 951) und heimingi (4, 952) und das
* aus Teutones oder Teutoni entsprang den Römern, wie aus Senones seno-
nicus, teutonicus, mit bestimmtem bezug auf diesen volkstamm und es ist nicht
zu erweisen, dasz es ihnen schon den allgemeinen sinn von germanicus hatte,
z. b. wenn Martial 14, 26 teutonici capilli nennt; auch dem späteren Claudian
in Eutrop. 1, 406 scheint teutonicus vomer weniger deutsch, als blosz dichteri-
sches beiwort. statt teutonicus setzt aber'die not. dign. occ. cap. 40 teutonicia-
nus, indem sie einen praefectus laetorum teutonicianorum wie batavorum, fran-
corum, gentilium suevorum aufführt, das waren doch Teutonen aus der halbin-
sel, Vorfahren der Dielmarsen, keine Deutschen überhaupt.
liliH
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550 DEUTSCHE
zusammengesetzte heimuodil (4, 951) vgl. goth. haimöjdi ager; von
welchen dreien mhd. nur heimtiete, nhd. heimat. endlich begegnet
ahd. inheim (Graff 4, 950) und inlenti (2, 238.) Saem. 140a 148"
munarheimr, heimat der lust, süszc heimat, wie patria dulcis, Rudlieb
1, 64; Suevia dulcis in den gestis Witigowonis v. 51 und häufig in
altfranz. gedichten la douce France; ma douce contree, la douce Cham-
paigne ; die insei Rügen, oder Hiddensö, heiszt den eingebornen cdat
söte lünniken\ wer gedenkt hier nicht der homerischen stellen? ov
toi i'ywye rtg yuirjg dvpauui ylvxuntQov a/.Xo idto&ui. Od. 9, 27;
u/g ovöiv ylvxtov rjg naxQtöog ovöe xoxrju/v ylypsxcu. Od. 9, 34;
<piXtjv ig naxqida yulav. Od. 15, 65. 18, 148. II. 23, 145. tu
(piXraTrj yx\ /uijrt() in einem bruchstück des Menander bei Meineke 4,
175. die Finnen sagen ‘kullainen koto’ goldne heimat. Kalev. 15,
128. 359. für heimweh altn. heimsyki, schwed. hemsjuka, dän. hjem-
sot, heimsucht, landsucht (Graff 6, 141.)
793 Man gibt vor, Karl der grosze habe zuerst das weltgeschichtliche
bewustsein der deutschen Völker geschaffen*, es wäre aller natur
entgegen, dasz sie bis dahin gewartet haben sollten, um zu erkennen,
wie sie durch gemeinsame spräche, sille und kraft untereinander Zu-
sammenhängen; was sie schon lange vor jener zeit in der weit aus-
gerichtet hatten, war fast gröszeres als alles nachfolgende, und we-
nigstens dessen grundlage. sie waren in alle theile Europas und dar-
über hinaus vorgedrungen und erst ihr Übertritt zum christenthum
hatte diesem möglich gemacht auf die dauer fusz zu fassen, konnten
jene kühnen und raschen heerzüge von dem der Kimbern und Teuto-
nen an (denn die früheren sind uns verborgen) überhaupt geschehn,
ohne dasz sieh mehrere Stämme dazu vereinten und die übrigen sie
gewähren lieszen? Ariovist halte Haruden, Markomannen, Triboken,
Nemeten, Eudusier, Sueven an sich gezogen und den andern helden
nach ihm gelang es eben so leicht deutsche scharen zu sammeln (s. 472.)
das musz man doch erkennen, dasz der Quaden und Markomannen
Weigerung gegen die Daken zu kriegen (s. 181) und des Arminias
thaten auf dem politischen gefühl gleichgesinnter Völker, die ihre frei-
heit retten wollten, beruhten, was von ihm und andern vollbracht
war, wurde in liedern gesungen, die lange zeit hindurch den mut und
stolz der Völker erhöhen musten. in des Römers erhebendem aus-
spruch heiszt er liberator haud dubie Germaniae, proeliis ambiguus,
bello non victus, Graecorum annalibus ignotus, qui sua tantum miran-
tur. das kann nicht auf den hehl der Cherusken allein, nur auf den
aller Germanen gehn.
Tacitus berichtet uns, dasz die Deutschen in uralten liedern von
einem erdgebornen gott und dessen sohn sangen, aus welchem drei
helden entsprossen, die Stifter der germanischen hauptstfimme. dieser
794 gemeinsame Ursprung hallele im bewustsein aller Deutschen und es
wird noch einer abweichenden sage erwähnt, welche die reihe der }
* Bunsens Aegypten 1, 516,
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1 a ä'ä ä.i a *1
DEUTSCHE
551
göttlichen helden vergröszerte und mehr als drei Stämme ausdrückte.
An andrer stelle werden dem Arminius die worte in den mund ge-
legt: cerni adhuc Germanorum in lucis signa romana, quae diis patriis
suspenderit (ann. 1, 59): das meint doch götter aller Deutschen, wie
die Tencterer den Agrippinensern entbieten lassen: redisse vos in Cor-
pus nomenque Germaniae communibus deis et praecipuo deorum Marti
grates agimus vobisque gratulamur, quod tandem liberi inter liberos
eritis (hist. 4, 64.) es ist dem Tacitus nicht zuzutrauen, dasz er nur
seine rede ausschmücken wollte; ihm muste bekannt geworden sein,
dasz die Germanen ihres volks und ihrer götter sich bewust waren,
und hätte dies gefiihl in den nächsten jahrhunderten nicht gedauert?
sollten Gothen, Langobarden, Sachsen nicht jedes einzelnen königs
ihrer Stammtafel, die zuletzt auf einen gemeinschaftlichen gott hinaus
lief, sich erfreut haben?
Solcher stolz bricht auch noch sonst hell durch, als Tacitus von
der mischung gallischer und germanischer Völker redet und auf die
den Galliern zunächst wohnenden Germanen kommt, heiszt es cap. 28:
Treveri et Nervii circa aflectationem germanicae originis ultra ambitiosi
sunt, tanquam per hanc gloriam sanguinis a similitudine et inertia Gal-
lorum separentur. ne Ubii quidem, quamquam romana colonia esse
meruerint ac libentius Agrippinenses conditoris sui nomine vocentur,
origine erubescunt. Mit gutem fug glaube ich auch s. 503 die ein-
heit aller Germanen aus dem namen der Markomannen gefolgert zu
haben, der erst unter solcher Voraussetzung rechten sinn empfängt:
sie hüteten der grenze Germaniens gegen die fremden; ja man könnte
den Markomannen im Süden die dänische mark im norden gegenüber
stellen und darin neuen grund für die annahme finden, dasz die halb-
insel und die Dänen den Germanen des festen landes beigezählt und
nicht zu den eigentlichen Nordmannen gestellt wurden.
Ich bin der annahme eigner Völkervereine, golhischer, suevischer, 795
cheruskischer abgeneigt, weil alles was aus ihnen hervorgegangen sein
soll, schon in dem naturgemäszen dasein jenes allgemeinen deutschen
verbands gesucht werden darf, bei dringendem anlasz mögen eben so
natürlich besondere bündnisse geworben und feierlich geschlossen wor-
den sein, ohne dasz sie auf die länge gedauert oder in der Stellung
der Völker selbst etwas geändert hätten, zwei merkwürdige äusze-
rungen begegnen bei Cassiodor var. 3, 1 und 2; der ostgothische
Theodorich schreibt an den westgothischen Alarich in bezug auf des-
sen hader mit dem fränkischen Chlodwig: objiciamus quamvis cog-
nato cum nostris conjuratis eximias gentes. und an Gundobald: ideo
legatos ad fraternitatem tuam credimus destinandos, ut si filio noslro
Alarico visum fuerit, ad regem Francorum cuin conjuratis nobis genti-
bus dirigere debeamus, quatenus causa, quae inter eos vertitur, ami-
cis mediis rationabiliter abscidatur. damals mochten die gothischen
und ihnen benachbarten Völker für ersprieszlich gehalten haben, sich
gegen die steigende macht der Franken und Burgunden näher zu
verbünden.
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f*
DEUTSCHE
Jede der groszen hauptabtheilungen, so schwer es hält, den be-
stand der Iscaevonen, Ingaevonen und Herminonen genau anzugeben,
festigte engere kreise und konnte freundschaft oder abneigung zwi-
schen einzelnen stammen zu wege bringen, die geschichte erwähnt
der feindschaft unter Chatten und Cherusken, unter Chatten und Her-
munduren; wenn Cherusken ingaevonisch, Hermunduren herminonisch
waren, stehn schon darum die suevischen Chatten dem iscaevonischen
stamme nah. Langobarden und Heruler, Langobarden und Gothen,
Franken und Gothen, Franken und Sachsen, Dänen und Schweden tra-
ten einander feindlich entgegen; warnisches blut dauchte die Gothen
unedel. Jornandes sagt cap. 44 von Athiulf: is siquidem erat War-
norum stirpe genitus, longe a gothici sanguinis nobilitate sejunctus,
idcirco nec libertati studens nec patrono fidem servans.
796 Ward durch die thaten Ermanarichs, Alarichs, Theodorichs, Clilo-
dowigs und Karls der deutsche rühm mächtig erhoben, so geschah
ihm grosze minderung durch den Untergang des gothischen, langobar-
dischen und die theilung des kerlingischen reichs, nach welcher die
Franken fast ganz dem romanischen element heimfielen, bis ihn die
sächsischen könige glücklich wieder herstellten.
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lüliWliiii mm mmm *v
XXX.
RÜCKBLICK.
Wie die allen kämpfer, den heim abbindend und an die luft 797
stehend, sich in den ringen kühlten, will ich auch meinen lauf ein-
halten und mich einmal verschnauben.
Daran lag es, dasz unserer spräche ein tieferer hintergrund be-
reitet und ihre längst unbezweifelte gemeinschaft mit Asien durch bis-
her vernachlässigte, aber nothwendige mittelglieder nachgewiesen würde,
warum soll eine grosze analogie, die, so weit ihre hellere geschichte
reicht, zwischen allen ihren ästen und zweigen sich kund thut, in einer
älteren dämmernden zeit aufhören und nicht vielfach zu spüren sein?
doch musten neue kreise gezogen und alle sprachlichen und geschicht-
lichen Verhältnisse zurückgeschoben werden. LiCbU,
Aus den alten grabhügeln schallt uns nur getöse, noch keine
vernehmliche stimme entgegen, bilder des hirtenlebens und des be-
gonnenen ackerbaus zeigen wunderbaren einklang und Wechsel der
sich ausbreitenden kennbar urverwandten Völkerstämme, aber nicht
sichere fährte, die wir suchen, in ferner höhe scheint sie ein falken-
ftug anzudeuten, unser hapuh ist das welsche hebog, ir. seabhac
(s. 301); das litth. sakalas, sl. sokol das skr. sakunas, allein lat. falco
kann versetztes faculo sein und F wie so oft II vertreten.
Noch mehr licht hervor bricht aus der dunkelheit der monatsna-
men. ich möchte jetzt auch das s. 72 unbestimmt gelassene goth. 798
duljis, alnl. tuld zum gr. fra)ua fest und gastmal halten, &aXiu£aiv
ist togrdCtiv, dul[»jan. wie ausgestreckt ist die begegnung von hö-
manta hima hiems zima /tT/ua geimhra qintrus = vintrus (s. 73);
eingeschränkter die von sumar, samhra und haf (armor. hanv.) s. 304.
Wie rege naturanschauung milchtrinkender nomaden in thrimilki und
louprisi! aber dem ackerbau gehört schon der sl. srpen (von srp aqn7]y
lett. zirpe, s. 105. 302) bedeutsam einstimmend zum maked. yogmalog,
ich möchte sogar unser herbst, ahd. herbist, ags. hearfest, engl, har-
vest jetzt nicht mehr von xagnog, lieber von uQntj leiten und ein
verlornes goth. harfö, ahd. harbä falx annehmen, so dasz jener bald
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*******
\
554
RÜCKBLICK
dem august, bald späteren monaten zugetheilte herbst genau mit srpen
und yoQmaiog überein träfe, dasz die echt deutschen alten monats-
namen den slavischen näher kamen, folgt auch aus gruden, litth. gro-
dinnis und harlmonat (s. 98. 105.) hartmonat ist zugleich recht chat-
tisch, chattuarisch und batavisch, weil er noch heute von Hessen durch
den Westerwald an den Niederrhein reicht. Aber wie herbst sowol
das jahresfest als den einzelnen monat bezeichnen konnte, gieng auch
das uralte jul aus der Vorstellung der sonne und Sonnenwende (s. 106.
108) über auf den bestimmten monat, und in ihm bewährt sich die
wichtige Übereinkunft zwischen altlateinischer und deutscher spräche,
welche noch auf den zendischcn monat mithra (s. 112) mit ausge-
dehnt werden kann. Es bleibt aber für alle monatsnamen vieles fort-
gesetzter samlung und beobachtung Vorbehalten und zumal musz erst
aufgehellt werden, warum sich beim februar die dunkelsten und älte-
sten namen hartnäckig behaupten: hornung, sporkel, goi, solmonat,
seile, wozu vielleicht auch volborn zu rechnen ist. volborn = volbo-
ran legitimus könnte als januar neben hornunc spurius dem februar
stehn, richtiger aber nimmt man volborn für folbrunno und dann
musz es Zusammenhängen mit Pholesbrunno, Balders brunnen (mylh.
s. 207) und uralten mythischen bezug haben, in Berlin ist Polborn
ein bekannter eigenname, der für Folborn und Fülleborn die bedeutung
799 von füllen ausschlieszt. Auf die gepaarten monate wurde s. 110. 111
hingewiesen; mich erinnert die benennung des ersten und zweiten mo-
nats, des groszen und kleinen horn, des mali und veliki traven, mali
und veliki serpan an die groszen und kleinen Friesen Chauken ßrukte-
rer (s. 677): es sind keine unterschiede des Standes, sondern der
zeilfolge und des nebcneinanderstehns. Seit ich mein sechstes capitel
geschrieben hatte, sind durch Rawlinsons auflösung der keilschrift auch
einige bisher unbekannte, von den zendischen ganz abweichende alt-
persische monatsnamen an den tag gekommen: Viyakhna 1, 37. 3, 67;
Garmapada l, 42. 3, 46; Bagayadish 1, 55; Anamaka 2, 26. 56.
3, 62; Thuravahara 2, 36. 41. 3, 39; Thaigarchish 2, 46; Atriya-
tiya 3, 18; an deren deutung ich mich nicht wagen darf, einer ist
mir indessen klar, der Garmapadamonal, worin sich das skr. gharma
wärme, hilze nicht verkennen läszt. es sei hinzugefügt, dasz dies
gharma sowol dem gotli. varms, ahd. waram, altn. varmr als dem gr.
entspricht: denn varms steht für qarins (wie vintrus für qin-
trus und &eQfiog für ytQ[.i6g, nach dem Wechsel zwischen 0
X 0 (s. 348 — 350.)
Die deutsche spräche mittenein gelegen zwischen griechischer,
lateinischer, keltischer auf der einen und slavischer, litthauischer, fin-
nischer auf der andern seile fühlt sich zu ihnen allen verwandt, wenn
schon in verschiedner stufe der nähe, es würde aber in der kette
der Völker, da Slaven und Litthauer nicht unmittelbar an die Griechen
reichen, eine lücke sein, die nur durch Thrakien erfüllt werden kann,
das in Makedonien sich an Griechenland, in Getien und Dakien an das
deutsche und sarmatische gebiet schlieszt. dieser keil musz sich in
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RÜCKBLICK
555
alle Untersuchungen europäischer sprachen einfügen, Thrakiens grenze
aber verläuft mit der skythischen, und hier knüpfen sich Europa und
Asien aneinander.
Thrakiens vom nachschleppenden schweif der Völkerwanderung fast
verwischte spur ist weniger südwärts in Illyrien, als nordwärts da auf-
zusuchen, wo sich Germanen, Sarmaten und LiUhauer begegnen, dem
noch heute waltenden litlhauischen wortvorrath und aberglauhen sind
reichliche samlungen zu wünschen, die zu neuen unerwarteten auf-800
schlössen führen werden. Wären uns die Ihrakischen, getischen mo-
natsnamen erhalten, was müste sich allein aus ihnen ergeben? ich
zweifle nicht, wir würden dem grodinnis, gruden, hartman und dem
srpen yoQmuiog auch bei den Gelen unter die äugen treten, kaum
etwas anders scheint mir hier folgenschwerer als das habhaftwerden
der dakischen xQOvoxdvrj in der litthauischen kregzdyne, aber auch
dasz der langobardische treno zum litthauischen trainys trift (s. 697)
bleibt von gewicht, merkwürdig ist doch, dasz dem Herodot 1, 57
die am makedonischen Echedorus wohnenden KQijOxwvrijxui ein i'&-
vog ntkaoyixöv heiszen, und wenn der Stadt name wirklich
auf ein getisches y.Qrjoxij xQOvaxrj schwalbe bezogen werden darf,
dasz die eimvandernden schwalben und Störche im volksnamen glei-
chen Ursprung anzeigen (s. 784.) Ruhig und Mielke schreiben kregfde,
Szyrwid krekfde.
Da der Gelen und Gothen identität fast ein angel ist, um den
sich mein ganzes werk dreht, und wie ich die deutsche spräche nach
der gothischen geregelt habe, nun auch der Vordergrund deutscher
geschichte die Geten nicht entbehrt; will ich hier meine ansicht, und
welche einwände ihr enlgegenstehn, nochmals überschauen.
Der erste grund, dem man nichts anhaben wird, ist die formel
Getae : Gaudae *= Gupans : Gautös (s. 200. 439.) man müste den
Plinius lügen strafen, der 4,11 Getae und Gaudae neben einander in
Thrakien kennt, wie unsere einheimischen denkmäler Godar und Gautar
in Scandinavien. schon darum darf die gleichstellung eine Wahrheit
sein, was ihr auch sonst zu widerstreiten schiene, es ist bemerkens-
werth, dasz in dem fränkischen eigennamen Gaudus (s. 540) überall
unverschobne form anhielt.
Einen andern, wiederum kaum zerstörbaren grund gewahre ich
in der durch den Ttxag und /läog des griechischen luslspiels gleich-
sam praestabilierten genossenschaft zwischen Gelen und Daken, die sich
an ferner stelle in den skandischen Gouten und Daukionen wiederholt,
und welche die altn. Gaular und Danir, die ags. Geätas und Dene von 801
neuem kund gehen, an gleichheit der Gelen und Gothen zweifelten
Claudian, Augustin, Cassiodor, Iornandes nicht, und niemand bedenkt
sich Donaugolhen und nordische Gautar, niemand Gutjnuda und Godfnod
zu verknüpfen, warum sollen skythische zlucu und getische diaoi, wa-
rum Daken und Daukionen, warum Daukionen und Dänen unverbunden blei-
ben? wie das fingerzeigende Dacia für Dania im mittelalter, das Datscha-
nin der Russen aus der lufl gegriffen sein? ich wüste gar nicht, aus
556
RÜCKBLICK
welcher Ursache die erfindung gemacht wäre, und der name Dan
weist auf Dag Dagvin Dacuinus unmittelbar hin.
Ebensowenig darf, drittens, die historische betrachtung Geten
von Gothen lossagen, die Geten erscheinen schon drei, vierhundert
jahre vor Christus als mächtiges volk in Thrakien und am schwarzen
meer; noch im laufe des ersten jh. unsrer Zeitrechnung stehn sie so
den Römern entgegen und erleiden unter Trajan niederlage, vermöge
welcher Dacien römische provinz wurde, war aber damit das ganze
getische volk vernichtet und ausgeroltet? sein südwestlicher theil
hatte weichen müssen, der nordöstliche, allem anschein nach, hielt
dort stand und sammelte neue kraft, sieht nun die geschichte fünf-
zig, sechzig jahre nach Trajan, unter Marcus Antoninus gothische
Azdinge an der dakischen grenze auftrelen (s. 182. 448) und im
dritten, vierten jh. mitten auf dem alten boden das gothische volk mit
breiter, unwiderstehlicher gewalt emporsteigen; so überschreitet es
doch allen glauben, dasz die Geten mit stumpf und stiel ausgelilgt,
gleichnamige Gothen angerückt und jenen unverwandt ihre stelle ein-
genommen haben sollten, wo wären plötzlich die Geten hin, die
Gothen hergestoben? von der Weichsel? eine solche annahme hat
alles wider sich, was der Behauptung entgegensteht, dasz an Elbe
und Weser der alte stamm der Cherusken geschwunden und aus der
halbinsel das schmale volk der Sachsen an ihren platz getreten sei.
wie dem cheruskischen namen der sächsische ist dem getischen der
gothische identisch, und man wird der mühe überhoben, lebensvolle
802 Völker aus dem land, wo sie niedergesessen sind, zu entrücken.
Wären uns zustand und geschichte der römischen Dacia im zweiten
jh. genau bekannt, es würde nicht an künde gebrechen, welche
nachbarn, heiszen .sie nun getische oder germanische, ihr zur seile
wohnten. Es gibt aber noch eine bestimmte, ausdrückliche stütze für
das dasein germanischer bevölkerung auf getischem grund und boden
zur zeit des ersten jh. oder früher, ich meine die aufstellung des
fünften germanischen hauptslamms bei Plinius: Peucini Basternae,
contermini Dacis (s. 458.) was den fünften theil von Germanien
bilden soll, kann nicht von geringem umfang gewesen sein, und
über ausdehnung wie Zusammenhang der Basternen mit den Geten
(s. 458 — 462) waltet kein zweifei. seien Peucinen und Bastarnen
derselbe stamm, oder zu unterscheiden, getisch waren sie in jedem
fall und reichten bis zur Donaumündung und noch weiter gegen osten;
Tacitus aber miszt ihnen germanische spräche und sitte zu: beinahe
wäre thöricht, was den Bastarnen gehört, Geten und Daken abzu-
leugnen. ohne Geten, Daken, Bastarnen würde im hinlergrund des
germanischen gebiets eine grosze lücke sein und die fülle seiner spä-
teren machtentfaltung unbegriffen bleiben, zur zeit, wo jene künde
des Plinius geschöpft war, erstreckten sich Germanen unbedenklich,
über Sueven und Lygier hinaus, bis zum Ister und Ponlus, und wir
sahen im ersten und zweiten jh. Lygier wie Buren in Moesien und
Dacien (s. 711. 714.)
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RÜCKBLICK
557
Wie sich aber beim wachsthum der forschung einzelne knospen
erst später öfnen, scheint jetzt etwas wichtiges, dessen ich noch im
cap. XXV. XXVI ungewahr blieb, dem aufschlusz nahe, man kann
nemlich, wenn die möglichkeit eines Verschwindens der Geten und
Cherusken aus dem kreise der Völker mit recht in abrede gestellt
wird, fragen, was denn aus dem groszen volk und weit verbreiteten
namen der Lygier (s. 709. 710) geworden sei? darauf gebricht je-
doch passende antwort nicht: die Lygier sind in den Burgunden der
späteren zeit enthalten, und meine herstellung der BovyovvTWvtg f.
Bovrcovtg (s. 699) musz dadurch gewinnen; auf einmal erklärt sich,
warum Tacitus der Burgundionen, Plinius 4, 14 der Lygier gesellweigt. 803 SCrctto
was aber den namen der Lygier betrift, so ergibt sich zwiefaches: eTt2>° OY*
entweder ist es doch richtig, die lygischen Buren auf Burgunden zu
ziehen (s. 700), wobei sogar der begrif des wohnens bleiben darf,
weil ahd. pür, ags. bür, altn. byr habilaculum, mansio, gipür civis,
rusticus ausdrUckt, oder in Lygius liegt möglicherweise dasselbe, ich
denke an das lat. locus, it. luoco, span, lugar, franz. lieu, ags. loc
loh clausura, von der Wurzel goth. lukan, ags. lücan, ahd. liohhan
claudere, und das G in Lygius blieb vielleicht alterthtimlich unver-
schoben, so dasz golh. K genau fügte? Über welche etymologie des
namens man sich einige, das leuchtet ein, dasz durch die Stellung der
Lygier zwischen Sueven und Gothen eine leere ausgefüllt werde und
hernach hei der Völkerwendung gegen Süden die Burgunden noch ge-
rade so zwischen Alamannen und Westgolhen stehen, wahrscheinlich
erklärt sich noch anderes daraus.
Ich vermag mir, viertens, von der groszen Völkerwanderung erst
dann einen deutlichen begrif zu machen, wenn ich die Gothen dicht
an Geten reihe, der deutschen Stämme heerzug kann aber nicht im
zweiten, dritten jh. unsrer Zeitrechnung, er musz lange vorher ange-
hoben haben. Seinem naturgesetz zufolge gieng er von osten nach
westen, aus Skylhien her am gestade der Maeotis und des Pontus,
auf dem weg, den vor ihm auch Griechen, wahrscheinlich Römer und
Kelten, nach ihm Slaven und Litthauer einschlugen; sein anfangspunct
läszt sich nicht bestimmen, aber zwischen Tanais, Boryslhenes, Tyras
und Ister bis über den Haemus werden die hintersten Deutschen lang-
sam gezogen sein und geraume zeit hindurch verweilt haben, während
die vorderen an Weichsel, Oder, Elbe und Rhein gegen die Kelten,
ein nördlicher theil über Volga und Düna gegen die Finnen drangen.
Ungefähr zu Alexanders des groszen zeit scheint die ganze masse der
Deutschen, während die gallische macht gegen Italien vorneigte, schon
vom schwarzen meer fast bis an den Rhein und zur Ostsee ergossen;
im norden von Griechenland und Makedonien ist das räthselhafte Thra- 804
kien gelegen, durch welches uns in der geschichte europäischer spra-
chen hellenische und germanische zunge vermittelt werden müssen.
Die bisher geltende ansieht von den bewegungen der Völker hat
sich in zu enger schranke gehalten, und auf der einen Seite den Zu-
sammenhang der Thraker und Geten mit den Skythen vernachlässigt,
i
«Vw «v«. -V* +V+ •
558
RÜCKBLICK
US
auf der andern für die Germanen selbst sicli durch Seitengänge ein-
zelner Völker irren lassen, das naturgemäsze vorrücken gegen westen
kann durch querzüge oder ausweichungen nach Süden gestört und
verzögert, auf die länge nicht aus seinem ziel gerückt werden. Man
will unsere geschichte beginnen damit, dasz Gothen, Vandalen, Sueven,
Burgunden, Langobarden, Sachsen von norden her sich rühren und
die Weichsel, Oder, Elbe aufwärts gegen Süden sich erheben. Wer
von Gothen redet, setzt ihre heimat ans gestade der ostsee, ja nach
Scandinavien, und läszt sie aus diesem sitz aufbrechen, durch Sarmatien,
Moesien, Pannonien Italien erreichen, fragt aber nicht, von wannen
sie früher zur Ostsee gelangten; zwischen jenem ausgang nach Süden
und der ankunft aus osten können jahrhunderte verstrichen sein, es
wird also nur ein theil der jüngeren geschichte des volks, nicht seine
ältere ins äuge gefaszt. Kimbern und Teutonen rücken südwärts,
Markomannen drängen die Bojen, Sueven die Helvetier in derselben
richtung, und wir erblicken Langobarden, Burgunden (d. i. lygische
Völker), Vandalen, Gothen zuletzt in südlichen sitzen, weil ihnen nord
und west keinen raum darbot; allein alle diese Völker müssen vorher
aus dem osten in der mitte Deutschlands eingetroffen und lange da
verweilt sein, alle weisen nach dem osten zurück, und genauer zu-
gesehn erscheint selbst die südliche Wendung eine südwestliche und
805 im groszen wieder westliche. * So waren auch die Geten aus Sky-
thien in das Donauland gelangt, von wo sie sich nordwärts nach der
ostsee und Scandinavien, südwärts nach Thrakien, Pannonien, Italien
bewegten; nichts zwingt zur annahme, diese südlichen Ostgothen und
Westgothen seien von der ostsee ausgegangen, in Scandinavien saszen
weder sie, noch Burgunden und Langobarden, an der untern Donau
aber musz die lange Wohnstätte aller Geten und Gothen gewesen sein.
Auch mit der Vorstellung kann ich mich nicht befreunden, in
Scandinavien selbst sei die früher wohnhafte deutschere God{)iod von
der nordischen Svifhod gegen Süden zurückgedrängt, sowol in das
südliche Schweden und die dänischen insein als auch in das feste
Deutschland gewichen und erst dann, wie vorhin gesagt wurde, von
der ostsee, längs der Weichsel zur Donau gelangt. ** denn nur ein
theil des groszen Gothenvolks scheint umgekehrt von der ostsee in
Südscandinavien eingewandert ***, während Nordscandinavien von einem
* auch die Griechen rückten aus nordosten siidwestwärts in ihre heimat;
sie müssen am schwarzen meer her durch Thrakien, Makedonien, Thessalien,
Böotien nach dem isthmus und peloponnes eingerückt sein, weil ihnen die ge-
rade westliche richtung durch das meer und vielleicht illyrische küstenhewohner
gesperrt war.
** angeführt in einer gelehrten, scharfsinnigen abhandlung Rudolf Keysers:
i om Nordmändenes herkomst og folkeslägtskah,- in den samlinger til det norske
folks sprog og historie 6, 263—462. Christiania 1839.
*** dasz auch auszer den Gothen einzelne häufen anderer volkstämme den
Norden heimsuchten, lehrt nicht nur das beispiel der Heruler (s. 471) und Ru-
gier (s. 469) sondern auch die haftende benennung Borgundarhölmr (s. 669) und
Hernö (s. 698.)
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RÜCKBLICK
559
andern nördlichen zuge, früher oder später, in besitz genommen ward,
eines sieges der Svijaiod über die God|)iod erwähnt die geschickte
nicht *, die sage aber leitet beide auf den östlichen Odin zurück,
jene nördliche Wanderung der Svijnod bezeugt diesen Zusammenhang
mit dem osten auch dadurch, dasz sie die Roxolanen berührt, welche806
an Bastarnen und Geten stieszen. Keine spur ist vorhanden, dasz der
Ostseegothen, ßurgunden und Langobarden aufbruch nach Süden in den
ersten jhh. unserer Zeitrechnung durch den andrang der aus Scandi-
navien flüchtigen Godfnod veranlaszt worden sei. Allenthalben aber
zeigt die mythologie grosze und durchdringende gemeinschaft zwischen
allen germanischen und nordischen Stämmen, die nur darum in Nord-
deutschland stärker vortritt als in Süddeutschland, weil dort das heiden-
thum länger anhielt, hier früher ausgerottet wurde, wie unmittelbar
weist die anglische, warnische Nerthus auf Niördr, der friesische Fosite
auf Forseti; jetzt scheinen auch die nornen aufgefunden in den navarnen
lygischer Stämme.
Einen fünften aufwiegenden grund in die schale würde die spräche
legen, wenn uns thrakische, getische, dakische denkmäler überliefert
wären; es steht uns aber auszer den kräulernamen bei Dioscorides **
nichts zu handen als eigennamcn der Völker, männer und Örter. Unter 807
den kräutern ist xQovoruvrj unbezahlbar, weil es mit voller Sicherheit
auf kregzdyne /tXiSoviov leitet, von kregzde gewagt auf hruzdö hrottä.
ttvöeiXd (vorr. zu E. Schulze s. XXI), TiQiadrjXu, rovXßrjXu, dovco-
dtjXd klingen wie goth. {)iu[)ilö friajmlo, und wenn &ovXßrjXd ver-
mutet werden darf, wie dulbilö. y.tQXtQOMfQwv (s. 204) beruht auf
einem versehn der ausgaben und blosz xtQy.tQ darf als pflanzenname
betrachtet werden, dann folgt in den Wiener hss. !AcpQoi mit einem
* denn die berühmte Brävallaschlacht kann nicht so gedeutet werden, da
auf des siegenden Hrings seite auszer Schweden auch Vestgöter, auf Haralds
Dänen und Östgöter kämpften, vgl. fornald. sög. 1, 376 — 383. Saxo gramm.
p. 145. 146. 147.
** Apulejus madaurensis soll ein buch de virtutibus herbarum geschrieben
haben, das in den mcdicis antiquis Venet. 1547 fol. p. 211 ff gedruckt steht,
wahrscheinlich aber die arbeit eines viel jungern Verfassers ist. von wem sie
auch herrühre, er hat eine hs. des Dioscorides vor sich gehabt, und aus ihr
dakische kräuternamen entnommen, welche dann durch neue Schreibfehler ent-
stellt werden, icli will sie inzwischen hier ausheben, da sie dennoch einiges
richtige und neue liefern können, cap. 1 arnoglossum. Daci simpeax. cap. 2
pentaphyllum, Galli pompedulon, Daci propedula, alii drocila. cap. 4. hyoscyamus.
Daci dieliane. cap. 10 arlemisia, Galli ponem, alii titumen, Daci zyred, alii
zonusten. cap. 19 äristolochia, Daci absinthium rusticum, scardian. cap. 22
apollinaris, Daci colida. cap. 23 chamaemilon, Daci amalustam, Galli ovalidiam,
Campani amalociam. cap. 25 chamaeleon, Daci sciate, alii calox cardiatos.
cap. 26 chamaepitys, Daci dochela. cap. 35 centauria minor, Daci stirsozila.
cap. 36 prosopites, Itali personatiam, Galli betilolen, Daci riborasta. cap. 41 bei
buglosson kein dakischer name, ebensowenig cap. 46 bei xiphium und 51 bei
adiantum. cap. 67 bryonia, Daci dochlea. cap. 88 cynosbatos, Daci mantiam.
cap. 89 millefolium, Galli bellicocandium, Daci diodela. cap. 91 mentastrum,
ohne dak. namen. cap. 92 ebulum, Daci olma. cap. 99 hedera nigra, Daci ar-
borriam. cap. 104 portulaca, Daci lax.
560
RÜCKBLICK
andern afrikanischen namen, der uns nichts angeht, die reduplicierende
form xtqxtQ würde sich in ein sehr unwahrscheinliches golh. hairhair
übersetzen, wofür ich keine deutung weisz; wäre nach der Variante
der ausdruck gallisch, nicht dakisch, so liesze sich das welsche ceirch
\Y COVYC&, avena vergleichen. otxovnvof£ (s. 207) geben beide Wiener hss.
^ 66 Gixovnvov£ (etwa wie 6 zusammengezogen wird in ov§), wodurch
die erklärung nichts gewinnt, statt fio^ovXa (s. 207) haben sie beide
fufyXa. statt t,ovöorrj (s. 208) B ^ovovoxq, N ^ovovaxrjq. statt
0Qf.ua beide OQfita, ohne dasz man den spiritus ersehn kann, für
yovoXrjxa (s. 208) beide deutliches yovoXrjxa, was die von gono
versuchte auslegung verdächtigt, ein schwedisches horletta lithosper-
mum in Dybecks Runa 1847 s. 13 wird aus litr color gedeutet, weil
sich die mädchen damit schminken sollen, avtaooegt (s. 208) lautet
beidemal dviaQOt^e. doyjXä (s. 209) fehlt in B, und lautet in N
yodtXä, was wol unrichtig, duxiva (s. 209), in B ebenso, in N
Sdxtiva. xoxlaxa (s. 209), in N fehlend, in B xoxriaxa. fiapxetu
(s. 210) in beiden fiavxia. nQomÖovXü (s. 210) beidemal nqono-
öiXu, was keine fünfzahl herstellt, in proped propod musz also
anderes liegen. ditXeia (s. 211) fehlt in B und lautet in N
SitXXtiva. xvxwXiöu (s. 211) xoixoöiXd B, xoixodi . . . N. xoa-
ödfia (s. 211) fehlt B, und scheint in N xoaXdfia. ßovddXXa
(s. 212) in B und N ßovSd&Xa, wie im folgenden wort, diese
808 lingualis vor der liquida führt aber weiteren aufschlusz herbei: die
zunge scheint wirklich in einer getischen mundart dajdö, dajhlö oder
dadlö dadilö geheiszen zu haben, woraus mit Lautverschiebung goth.
tadlö tatlö würde; davon ist noch das engl, taltle schwätzen, plaudern
und das nnl. taleren stottern, stammeln übrig und man darf ein ags.
tetlian, ahd. zazilön zezilön vermuten, Graff 5, 714 hat die eigen-
namen Zazo Zazil, die einen schwatzhaften bezeichnen, verwandt sein
könnte das welsche tafod lingua (lafod yr ych buglossa) armor. teod
(teod ejenn buglossa.) dies dafda = ags. tatle ist also von belang.
xuQ0ni9'Xa (s. 212) in B und N xaQCont&Xu; wenn tadlö
ist auch nid-Xa fidlö oder fillö und könnte zum altn. fiatla pl. fiöllur
tricae, ahd. fezil, nlul. fessel gehalten werden. (pifrocp&efreXd (s. 212),
ebenso in N, in B aber (pi&o(p&cu&eXd, dasz (pd-e9-tXd eins mit niSXa
sei, ist mir noch immer wahrscheinlich, Zurückführung auf nixv.Xov
oder (fvXXov zweifelhaft. nQodloqva (s. 213) B und N nQodidqvu.
xovxdoxqa (s. 214) B und N tqovxquoxqu, das richtige wird wol
TQOvzdazQa sein, wozu ich ags. triid tibicen und trüdhorn lituus
halte; von der runden gestalt eines Blasinstruments könnte die xoXo-
xvvd-ig benannt worden sein, TR bleibt unverschoben, T aber geht in
TII über, für nqiaSrjXa (s. 215) in B und N nqiaöiXd. hinzuzu-
fügen sind auszer xaXufti'v&r], z1dxoi rtvdiXd B, rxvdeiXa N, noch
ufidqaxov, /Jdxoi dovioSrjXd N (in B fehlend) und ßqvtovi'a Xtvxrj7
zldxoi xivovßoiXd aus N, vielleicht sind mir noch einige in den grosz-
blättrigen hss. entgangen. revdtXd habe ich durch goth. j)iuf)ilö er-
klärt, diodela für millefolium bei Apulejus scheint dasselbe; dfidqaxoy
. RÜCKBLICK 561
dovwdtjXu ist origanum vulgare, ahtl. dosto, tosto (Graff 5, 232),
dessen lingualanlaut schwankt; mit der änderung in dovocdrj'kd d-ovoa-
drjld würde man diesem worte nah kommen, xivovßoilu für bryo-
nia alba klingt undeutsch und ich mutmasze dasz für z/dxoi zu setzen
sei rdXkoij wie die Schreiber mehrmals beide Völker vertauschen (vgl.
vorhin s. 807 xtQxtQ und s. 211 Övv); der ausdruck stimmt beinahe
ganz zum welschen gwenwialen von gwen albus und gwial reis (vgl.
böhm. heyl hyl stengel und cernobyl, poln. czarnobyl schwarzstengel 809
artemisia.) da welsches gwen zu ir. gal. lion wird (s. 296) und gwial
zu gal. faillean; so entspräche in dieser mundart fionfaillean, was ich
nicht finde, wol aber fionduille weiszes. lauh, vitis alba.
Die beute aus diesen glossen des ersten jh. ist nicht zu verach-
ten und llöszt durch Wörter wie oaXia xQOvoxdvrj ttvdiXd TiQiaÖrjXd
dd&Xa TQOvrdoTQa mul ein auch den übrigen, da sich nicht alle dem
ersten anlauf ergeben, fernere aulmerksamkeit zuzuwenden, dasz mit
dd&la hybridisch ein griech. ßov verknüpft wird, kann bei dem griech.
einflusz auf Thrakien kaum befremden; es ist möglich, die Daken hat-
ten ßovg in dire mundart wirklich aufgenommen, vgl. fiuweia (s. 210)
OQ/Liiu (s. 208) und, vielleicht war auch /uo^ovXu erborgt, vgl. Ducange
s. v. mossiclum, was rubus mosylicus sein soll, den ich auch nicht
näher kenne.
ln eigennamen getischer und thrakischer gölter, könige, Völker
und Örter ist der nachweis ihres Zusammenhangs mit deutscher spräche
mehr oder weniger gelungen; aber ich kann mich nicht anheischig
machen ihn überall zu liefern oder nur zu versuchen. Des Decebalus
geschah s. 193. 194 meldung und aus meiner akademischen abhand-
*lung s. 50 sei hier wiederholt, dasz ihn Orosius 7, 7 Diurpaneus Da-
corum rex, Iornandes cap. 13 Dorpaneus Golhorum princeps nennen;
Orosius scheint den bericht über Cornelius Fuscus* aus des Tacitus
historien, in stücken die uns verloren sind, zu schöpfen, dem Iornan-
des mochte aber Cassiodor vorliegen, weil an des Dorpaneus sieg der
Ursprung des heldennamens Anses geknüpft wird, war nun Decebalus
Dacibalus bloszes appellaliv, wie ich denke = Taifalus, so gibt Diur-
paneus Dorpaneus den eigennamen des fürsten kund und Dorpaneus
scheint uns ein goth. Tbaurponeis (gebildet wie sipöneis) zu verrathen,
dem sich der ahd. narne Dorfuni hei Meichelbeck n 84 vergleicht, von
ftaurp dyQog abgeleitet, bedeutete er etwa oppidanus und der gothi-
sche gelialt dieses dakischen namens liefert ein treffendes zeugnis**. 810
Bei den Ortsnamen wurde s. 202 auf die Wichtigkeit der besonders in
dakischem, getischem und getoskylhischem land erscheinenden Zusam-
mensetzung mit -dava gewiesen, ein Scaidava (itin. Anton, p. 104)
lag an der Donau zwischen Nicopolis und Sexanta pristis, Capidava
zwischen Dorostoro (Silistria) und Tomi, Sucidava noch näher bei Do-
* vgl. Suetonius im Domitian. 6 und Martials epigramm 6, 76.
** unverschwiegen sei, dasz eine insclirift in Maszmanns libell. aurar, p. 98
einen namen Diuppaneus gewährt, der an si^öfeis mahnt.
36
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562
RÜCKBLICK
rostoro, in welchem selbst das gotli. daur oder daurö porta sichtbar
ist. Zumal merkwürdig sind mir im itinerar. Antonini p. 105. 106
die Örter Dinigulia (al. tunigutia, dimigutia) und Timogitia. jenes in
der richtung von Trosmi, Beroe, dieses in der von Tomi und Odessa,
wo Schon das schwanken der formen Gitia und Gutia, wie man auch
das vorausstehende wort deuten wolle, zum bekannten Wechsel der
vocale im volksnamen Gelen und Guten stimmt. Nicht alle und jede
namen sind uns so durchsichtig, da schon die gothische mundart, wie
wir sie aus bruchslücken des vierten, fünften jh. kennen, in ihrer eigen-
heit vieles allen übrigen zuvorthut; so ist klar, dasz uns zwar ihre
volle künde manches jetzt dunkle riilhsel lösen, aber auch anderes un-
gelöst lassen würde, was auf dem weit höher steigenden alterthum
und der gröszeren ferne der getischen spräche beruht, man müste
ihr von dem umgekehrten wege her, aus Skylhien entgegenkommen
können.
Bewährt sich meine s. 216 und 435 ff. entwickelte annahme,
dasz die Geten zur zeit des Dioscorides den laut noch nicht verscho-
ben, während es die westlichen Deutschen, wie Harudes und Tench-
theri lehrt, schon zu Caesars tagen thaten; so wäre für das gesetz
der lautverschiebung nun überhaupt eine basis auf einheimischem bo-
den gewonnen und alle drei stufen unter deutschen Völkern selbst, ja
bei einem volk der zeit nach beide anzutreflen. Erste stufe wäre die
getische = lateinischgriechische, zweite die gothische, dritte die hoch-
811 deutsche, wie nun die Gothen ungefähr zwischen dem ersten und
dritten jh. zur zweiten stufe, traten die Hochdeutschen im fünften und
sechsten über zur dritten; die zweite musten sie schon mindestens ein
jh. vor Chr. angenommen haben, die neuerung begann immer im«
westen, wohin der drang der Wanderung geführt hatte, die östlichen
Stämme folgten nach und gelangten nicht zur dritten stufe, es ist
nicht unwichtig einzusehn, dasz einige jhh. vor unserer Zeitrechnung
noch alle, und in unsern ersten jhh. noch einige deutsche Stämme
von dem laulsystem der urverwandten Völker nicht abwichen. Man
fühlt aber, dasz im einzelnen strenger beweis entgehn und blosze
ahnung genügen musz.
Wiewol ich durch alle diese gründe meine Vorstellung von der
Geten und Gothen untrennbarkeit unterstützt und gerechtfertigt zu ha-
ben glaube, vvird immer noch die critik an ihren eingefleischten zwei-
feln und einwänden hangen.
Sie wird vor allem geltend zu machen nicht unterlassen, dasz
im äuge der Römer, die doch schon auf sprachunterschiede der Völ-
ker achteten und germanische eigentluimlichkeit von gallischer, britan-
nischer und pannonischer absonderten, Geten und Baken nie als Ger-
manen erscheinen. Geten und Daken, welche (was ihnen unmöglich
entgeht) eine und dieselbe spräche reden, heiszen thrakische Stämme,
und Dacia ist kein theil der Germania (s. 177. 178.) Tacitus hat
hist. 3, 46 anlasz den Dacus und Germanus zusammen zu nennen;
hier hätte sich eine Wahrnehmung Uber beider näheres Verhältnis wol
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«MP ß « « w
RÜCKBLICK
geschickt, ihm fallt bei Gothen und Gothinen keine ähnlichkeit des
namens der Geten ein, seine beobachtung denkt vielmehr bei Gothinen
an gallische spräche. Plinius, der im eilften cap. seines vierten buchs
Geten und Gauden unter andern thrakischen Völkern, aber im zwölf-
ten Geten, Daken, Sarmaten als nachbarn der Germanen aufgeführt,
nennt im vierzehnten alle germanischen Stämme und darunter auch
Guttones, ohne bezug auf jene Gelae und Gaudae Thrakiens. Das ist
wahr; allein ich darf erwidern: wie die Griechen noch nicht zur ein-
sicht des rechten Unterschieds zwischen Galliern und Germanen gelangt 812
waren*, blieb den Römern umgekehrt die nahe Verwandtschaft der
Geten und Germanen dunkel, weil sie Geten und Daken von Thrakien
und Pannonien her unter griechischen gesichtspunct faszlen, Germanen
von Gallien aus über den Rhein betrachteten, genaue künde aller west-
lichen Germanen, ungenauere der östlichen besaszen. hei nordwest-
lich vorgeschobnen, von östlichen Geten losgetrennten Guttonen oder
Gothonen scheinen sie durch nichts auf den Zusammenhang geführt wor-
den zu sein, der unter beiden Völkern eintrat.
Ohne zweifei war den Römern das reichhaltigste material zu Sprach-
vergleichungen dargeboten, wenn sie sinn dafür gehabt hätten es zu
ergreifen, ihre Weitherschaft und der gebrauch, gefangne könige, prie-
ster und krieger im triumph aufzuführen, vorzüglich aber unter besieg-
ten und befreundeten Stämmen hilfsvölker zu werben, die wiederum
in entlegne theile des reichs versandt wurden, brachte sie in langen
verkehr mit ausländem. Etwas mehr ncigung zu fremden sprachen
empfanden schon die Griechen, wie Herodots skylhische Wörter (4, 27.
52. 59) und noch des Dioscorides kräulernamen bewähren. Manches
andere mochten die Römer erkundigen, nach barbarischen zungen zu
forschen schien ihnen der mühe unwerth; eine spur der neugier hätte
sich doch hei Plinius gezeigt, höchstens wird gesagt, ein bestimmter
ausdruck sei barbarisch, welchen anlasz hätte Ovid, der gelische
spräche erlernt und in ihr gediehet haben will (s. 197), in seiner
langen weile gefunden, uns den unterschied zwischen Gelen und Sar-
maten bündig zu lehren. Vergeblich sucht man auskunft, wie sie den
Römern auf gallischem hoden so leicht gewesen wäre, über die spräche
der Trevirer, Nervier, Menapier, Paemanen und Ehuronen, was allein
die Verhältnisse dieser zwischen Galliern und Germanen wohnhaften völ-813
ker aufgeklärt haben würde, dafür zu sorgen fiel ihnen nicht ein.
Tacitus dachte sich alle Germanen als indigenae und uneingewan-
derle,
wäre er darauf gerathen, ihm weni
von thrakischen Geten abzuleiten? Die irrige oder noch nicht fest ge-
bildete ansicht der Römer kann also der Wahrheit nichts abbrechen,
und dennoch leuchtet diese schon durch ritze und spalten, die Peu-
kinen und Baslarnen, welche Plinius den fünften germanischen haupt-
stamm bilden, Tacitus ausdrücklich germanisch sprechen läszt, dürfen
* was lange nachwirkte, noch eine ags. glossensamlung des 10 jh. schreibt:
Teutoni gens Galliae. teutonico ritu Gallitiae ritu. Mones quellen s. 442. 443.
36*
564
RÜCKBLICK
weder von den Geten noch den Gothen losgerissen werden (s. 460 —
462): sie hausen immer in der nachbarschaft von Geten und Sky-
then*. auszer den thrakisehen Gauden gemahnen auch die thrakischen
Sithonen (s. 744. 745) an germanische Sitonen und vor der zeit, in
welcher man Gothen in thrakischem lande zuzugeben pflegt, sahen wir
schon lygische und suevische Völker in Moesien und Dakien auftreten
(s. 711.) Schlage ich die notitia dignilatum auf und ersehe das ge-
wirre westlicher und östlicher Völker, die im laufe der ersten jhh. der
römische Staatsdienst misbrauchte und entwürdigte, wo Daci, Scythae,
Moesiani, Nervii, llructeri, Chamavi, Bucinobantes, Brisigavi, Mattiaci,
Salii, Heruli, Tervingi, Taifali und eine menge anderer bunt verzeich-
net stehn; so fällt mir doch auf, dasz zwar häufig Daci, wie sich
nach Unterwerfung ihrer provinz versteht, niemals Getae angeführt
sind, wol aber Gothen (not. Orient, p. 88 ala Juthungorum, cohors
Gotthorum, cohors Dacorum), beim entwerfen der rolle also Gothen
und Daken ganz natürlich zusammentrafen, so wie Daken neben Fran-
ken, Sachsen, Quaden, Markomannen genannt wurden.
Schade, dasz Dioscorides auszer dakischen, gallischen, afrischen
814 Wörtern nicht auch germanische sammelte, wie Geten und Daken zu
den Thrakern standen bleibt eine gleich anziehende und schwierige
Untersuchung; nach Thucydides 2, 96 ist anzunehmen, dasz von Hae-
mus und Rhodope bis zum Pontus Euxinus die opeivol Qqaxtg «=
Ftrai saszen; auffallend unterscheidet Dio Cassius 51, 22 gotische
und thrakische Daken {/laxoii xtxXrtvxai el're örj Ftxai nvtg tl'xe
y.ui &guxtg.) Die Thraker scheinen mir im norden mit Geten, im
Süden mit Makedonen (welche Abel allzu griechisch macht) unablösbar
zusammengefügt und auf jener seite deutsche, auf dieser griechische
spräche zu vermitteln.
Zweitens werden die gegner fortfahren: wenn keines Zusammen-
hangs zwischen Geten und Gothen Strabo, Plinius, Tacitus gewahr-
ten, ist auch zu erwarten dasz Crito (wovon nachher s. 816) und
Dio Chrysostomus, jenen Römern gleichzeitig, nicht von Gothen, blosz
von Geten geredet haben, was erst jahrhunderte hernach spätere fälsch-
lich auf Gothen zogen. Dio war am linken gestade des Pontus in
Skythien und Getenland gewesen, die xaxuQaxoi Ftrai, wie er sie
nennt, müssen ihn mit für uns untergegangnen nachrichten versehn
haben, ob diese jTer/xa auf Verwandtschaft der östlichen Geten, un-
ter welchen er verweilt batte, zu den westlich vorgedrungnen, bei
Römern Gothen heiszenden hinwiesen oder nicht? entgeht uns. von
Dio Cassius, dessen mütterlicher groszvater jener Dio war, geschieht
nur der gotischen Daken, niemals der Gothen mcldung, und Ptole-
maeus, dem es um läge der Örter und Völker, nicht um ihren ge-
schichtlichen verband zu lliun ist, setzt wieder blosz Daken statt der
* gleiche Wichtigkeit erlangen die Roxolanen (s. 746. 748), deren Zusam-
menhang mit Ruszland (s. 749) an den der goth. Hazdinge (s. 448) mit Hartung
von Reuszen (mythol. s. 316. 321) gemahnt.
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Ostgelen, dann Gythonen gegen die Ostsee, Gäulen auf Scandia. Die
lateinischen scriptores historiae augustae und die Byzantiner pflegen von
Gothen, deren spätere geschichte sie erzählen, zu sprechen, erinnern
aber verschiedentlich an die identischen Geten. bekannt und noch aus
der zweiten hälfte des dritten jh. ist Spartians: cquod Gothi Getae
dicerentur. Petrus Patricius meldet von Tullius Alenophilus, der unter
Gordian ums j. 237 Statthalter in Moesien war, dasz sich bei ihm die
Carpen über den Vorzug der Gothen beschwerten; diese Carpen heiszen
sonst auch Carpodaken, Kaynoddxoi und werden neben Basternen auf- 815
geführt (Zeusz s. 699), also gewinnt alles gelisches ansehn. Im vier-
ten jh. redet Capilolinus (oben s. 183) von Germanen und Daken, Tre-
bellius Pollio im Claudius cap. 6 nennt Peucini, Trutungi, Auslro-
gotlii, und noch andere als skythische Völker, Eutropius 9, 8 läszt
Griechenland, Macedonien, den Pontus unter kaiser Gallienus (im j. 259)
durch Gothen verheeren; zu des Claudius zeit (f 270) kamen diese
Gothen zu schiffe nach Macedonien, belagerten Thessalonicli und flüch-
teten, von den Römern geschlagen, in den Ilaemus, wo sie noch ein
Jahrhundert später unter Ulfdas saszen: das waren doch alles deutsche
Gothen, aber mit gelischer macht, auf getischem boden. wir sahen
vorhin (s. 813) auch die not. dign. neben Daken Gothen, keine Geten
verzeichnen. Entscheidend nennt Julian im vierten jh. und zu Byzanz,
wo man dem allen Getenland nah war, die unverkennbaren Gothen
wieder Geten (s. 182) und im fünften jh. sagt Orosius 1, 16 gerade
heraus: 1 Getae illi, qui et nunc Gothi’, gleich entschieden Philostorg
(s. 183.) dem Claudian ist gelisch für golhisch ganz geläufig, Am-
mian, dessen erhaltner theil verschiedentlich von Gothen spricht, hat
keinen anlasz die älteren Geten zu berühren. Je näher das byzanti-
nische reich mit den Deutschen, die sich selbst Foz&oi nannten, zu-
sammenkam, desto begreiflicher musle diese namensform die alte ge-
tische verdrängen. Ennodius im 6 jh. wechselt ab mit getisch und
gothisch (s. 183); viel bedeutender ist, dasz dem gelehrten, welter-
fahrnen Cassiodor beide namen gleichviel gelten, in seiner uns leider
auch verlornen golhischen geschichte musz er sie unterstützt und
durchgeführt bähen, auch der hellsehende und unterrichtete geschicht-
schreiber Procopius kennt diese identität, obgleich zu Juslinians tagen
längst schon die form Gothen im gemeinen leben, wie bei Schriftstel-
lern überwog. den Cassiodor hat Jornandes geplündert: ein ärmlicher
compilator, der bis auf die Wendungen seiner kurzen Vorreden* von
allen enden her borgt, ohne dessen buch aber gar nichts von des 816
Dio, Cassiodor und Ablavius werken auf uns gekommen wäre und des-
sen andenken ich dankbar ehre; erste entdeckung oder gar erfindung
der getischen und golhischen gleichheit kann ihm im geringsten nicht
beigemessen werden; -selbst jenen Dorpaneus Gothorum princeps musz
er aus Cassiodor haben, aus Orosius hätte er Dacorum rex. geschrie-
ben. Als letzten und wichtigen zeugen aufgespart habe ich den Ste-
* Sybel in Schmidts Zeitschrift 7, 288.
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RÜCKBLICK
phanus byzantinus, dessen alphabetisches werk de urbibus et populis
zwar schon etwas früher, gegen des fünften jh. ende fällt, aber nur
in einem von Hermolaus, zu Justinians zeit, verfaszten und vielleicht
noch von späterer hand interpolierten auszug erhalten ist. Stephanus
s. 206 der neuen ausgabe von Meineke sagt: Fexi'a, fj /cup« xtöv
Fexwv. Fexx\g yd.Q xo efrvixov, ov xo xvqiov. eoxt de d-^axixov
eS-vog. ton xal frrjXvxwg Fexig% ovxwg yu.Q exaXetxo r\ yvvr\ xov
(Dillmiov xov lAf-ivvxov, xul xx^xixwg Xeyexai yexixog, dey ov
Kqix(Ovog Fexixd, xal d-rjXvxov yexixrj. vöf-tog de Fexwv xo eni-
öff d^eiv xfjv yvvaixa x(o dvdpl xal oxav emxtjQvxevcovxai xid'UQi-
£eiv. 'Aqqiavbg de Fexrjvovg avxovg eprjoi. durch Philipps getische
gemahlin wird die s. 184 besprochne jornandische angabe berichtigt,
denn sie selbst hiesz so, nicht ihr vater, aber aus guj)- wurde rich-
tig auf yex- geschlossen, vom tödten der getischen witwen oben
s. 139, vom xid^uQ^eiv s. 140, von Arrians Getinen s. 181. Kritons
Getica sind gleich den dionischen verloren gegangen. Weiter heiszt
es bei Stephanus s. 112: Föx&oi edvog ndXai oixrjoav evxog xijg
IVLaubxidog. voxeQOv de elg xxjv exxog Qydxxjv /lexaveoxrjoav, cog
el'Qrjxai /uoi ev xotg Bv^avuuxoTg. f.ief.ivrjxai xovxoiv 6 (Dwxaevg
IlaQ&eviog. Dies absondern der Gelen von den Gothen, ohne dasz
irgend auf ihre Verwandtschaft hingewiesen wird, scheint nun ungün-
stig und wenigstens zu beweisen, dasz Stephanus selbst nicht an sie
glaubte; ihm war es angelegner zu bestimmen, ob ein wort eigenname
oder volksname sei, als Völkerverhältnisse zu untersuchen, durch das,
was er hier über die Gothen weiter sagt, wird aber der zweifei fast
wieder aufgehoben: sie seien vor alters an der Maeotis, zuletzt in
816Thrakien ansässig gewesen, oder wenn ndXai und voxeqov unbe-
stimmter genommen werden soll, sonst dort, in der folge hier, unter
diesen maeotischen Gothen kann man sich offenbar keine germanischen,
nur getische denken, auch nicht die späteren Tetraxiten (s. 444);
allein ich habe nichts dawider, damit den allen sitz zu verknüpfen,
welchen die sage auch Herulern und Vandalen an der Maeotis ein-
räumt (s. 470. 476) oder gar die maeotischen Aspurgianen (s. 766.)
immer wird dadurch mehr auf Skythen und getische Völker an der
scheide Europas und Asias geführt, als auf solche Gothen, die erst im
zweiten, dritten jh. von der ostsee nach dem Ponlus sich bewegt ha-
ben sollen. Das entscheidendste könnte aber der bezug auf einen pho-
cäischen Parthenius werden, falls es der bei Athenaeus 11, 31 JTap-
&eviog xov Aiovvoiov genannte ist, welcher neql xtov naga xolg
löxoQixoig Xeigeiov t^xov^ievcov geschrieben hatte und nach Suidas
s. v. zhovv.oiog von Nero bis Trajan lebte, ein schüler des alexandri-
nischen Dionysius*, hätte ein Schriftsteller aus Lydien in Kleinasien
den namen der Gothen noch vor Tacitus und Dio Chrys. ausgespro-
chen, so milste er ihm wieder nur von Geten gellen, nicht von ger-
manischen Gothonen. doch leiden alle angaben bei Stephanus durch
* Fabricii bibl. gr. 3, 678.
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die über den echten bestandtheilen seines Werks schwebende Unsicher-
heit und unter der möglichkeit jüngerer einschaltungen *.
Eines dritten einwands versehe ich mich: die Geten seien auf
höherer stufe der bildung gestanden, und im besitz von göltern, prie-
stern, königshöfen, Städten, auch der Vielweiberei ergeben gewesen, 818
während unter den Germanen noch barbarei, roher priesterloser natur-
dienst, aber reinere sitte geherscht habe. Das alles wäre nun so in
den tag hinein gesprochen, barbaren nannte doch der Grieche auch
Geten und selbst Makedonen; der verbannte Ovid hat nicht grelle fär-
ben genug, um der Geten Wildheit zu schildern, iij deren nachbarschaft
er leben muste. von einer durch Alexander genommenen nohg rtztbv
(Strabo 301) wird man sich keine grosze Vorstellung machen, bedeu-
tender sein mochte Decebals ßuoikttou tv ZsQ/ui^eye&ovai] (Dio Cass.
68, 9. 14), die von Ptolemaeus genannten dakischen Örter entspran-
gen vielleicht groszentheils erst unter der römischen oberherschaft;
aber auch in ganz Deutschland hat er Ortsnamen anzuführen, Mattium
in Tac. ann. 1, 56 könnte ebenwol Xdzzmv nokig heiszen.
Thrakischer, getischer, dakischer priester wird mehrfach erwähnt,
und jene mit spiel und gesang, in weiszem gewand, als boten dem
feind entgegenziehenden getischen oder gothischen priester (s. 140.
816) sind nicht aus dem äuge zu lassen, bei Iornandes werden sie
ausdrücklich genannt Pii, was dem goth. gagudai evatßtTg und gud-
jans itgtlg nahe käme, und wie den Gothen gudja hiesz den Nord-
mannen der priester godi, den Hochdeutschen cotinc (goth. gudiggs)
und der alts. Ortsname Guddingun deutet auf heidnische priesterstät-
ten. Pii liesze sich leicht in Dii ändern und den thrakischen /Jiot
vergleichen. Aber eine bedeutsame meldung danken wir dem Josephus
18, 2, die jüdischen Essener (Eooiji'oi), welche an Unsterblichkeit
glauben, nicht heiraten und ackerbaus pflegen, vergleicht er dakischen
Pleisten: Lwoi dt ovötv 7tuQi]kkuy/utvwg dXX? ozi /idkiaza tcicftonv-
ztg /laxüv zoTg üketazoig Xtyo/nt'yoig. sollte das Pii bei Iornandes
hervorgegangen sein aus Plisti? Ilktiazoi wäre der echtdakische, dem
griech. begrif nktlozoi buchstäblich entsprechende name = maximi,
da die Vorstellungen der Vielheit und grösze zu wechseln pflegen, das
gr. nldozoi lautet altn. flestir (für flßslir, fleistir) und läszt ein goth.
llaistai (gramm. 3, 614), also vor der Verschiebung plaistai erwarten,
wozu sich der gr. ausdruck genau bequemte**. hier wäre wieder 819
* Stephanus nennt diesen Parthenius auch unter den Wörtern dexivrioL und
’ßyevbs und jene stelle (Meineke p. 224) nöthigt vielleicht ihn in das vierte jh.
zu setzen : Jcxtrrioi, i'dros üavvovins ano Jexevriov rov Mdyvov TtniSös,
Mnyvevriov S aSekcpov. to d’rjXvxov dexevricts, cos Haod’evtos o <Pcoxasvs.
denn Decentius und Magnentius treten erst um 350 in der geschichte auf und
ein älterer Parthenius könnte den namen JsxEvtids, selbst wenn man auf die-
sen seine gewähr einschränken wollte, kaum gebraucht haben, im vierten jh.
aber hatte der gothische name den getischen bereits verdrängt.
** darf auch an den thrakischen gott IJksiarcoQos bei Herod. 9, 119 erin-
nert werden? viele griech. eigennamen sind mit nXecor- zusammengesetzt.
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entschiedenste Übereinkunft griechischer, dakischer und gothischer spräche.
Doch sei unverschwiegen, dasz die neuern ausgahen Josephs (ed. Din-
dorf Par. 1845 p. 695) für HXeiöToig lesen JIoXioruTg, und noXi-
otcu conditores scheinen die thrakischen Krlarai bei Straho s. 296:
elvai de tivag rwv Qquxiov, ot' /joq'iq yvvuixog ^woiv, ovg Kxi-
orug xaXtToxXou, äineQidod'ai re diu Ti[.ii]v xai fteru udeiag Qrjv.
solche XTiorat, noXioTui, ahd. felahon (Graff 3, 504) wären gewis-
sermaszen alts. Falhon (s. 630); was man aber auch von diesen na-
men denke, die bisher gültige ansicht, Germanien sei priesterlos ge-
wesen, musz aufgegeben und kann nicht durch Caesars bekannte worte
begründet werden: nam neque druides hahent, qui rehus divinis prae-
sint, neque sacrificiis Student, entweder geht seine Beobachtung nur
auf die westlichsten Deutschen und im gegensatz zu dem ausgebilde-
teren priestertlium der Gallier, oder sie ist untreflend, da hei Slrabo
und Tacitus genug meldungen von germanischen priestern und opfern
stehn; dem was ich im fünften cap. der mythologie gesammelt habe
liesze sich vieles zufügen, aus dem salischen gesetz ergaben sich oben
s. 563 die Benennungen theourg und alatrud, welchem letztem viel-
leicht das goth. |>röf)jan, usjjröj)jan /uveip initiare und yv/.ivdCetv exer-
cere verglichen werden darf, vom ehlosen stand deutscher und nor-
discher priester erhellt zwar nichts, aber keuschheit und enthaltsam-
keit ist ein natürliches erfordernd für göttliche diener unter allen
Völkern. Hut oder binde war nach Iornandes und Dio Chrysostomus
abzeichen edler gesehlechter, aus welchen könige und priester gewählt
wurden*; von solcher tracht scheint der Chatten name zu deuten
820 (s. 124. 577. 578) und ihr priester ylißrjg wird mit der binde zu
Rom aufgezogen sein. Tarabosti lege ich aus durch goth. Jmrböstai,
was zwar egentes, necessarii, vielleicht aber auch sacrifici, sacrifican-
tes heiszen kann (vgl. s. 328.) Vollkommen priesterlich erscheinen
endlich Odins zwölf hofgodar, mit der bcncnnung Diar und Dröttnar
(Yngl. saga cap. 2), lautverschoben tivar (Ssem. 30 a) und vergleich-
bar den alten thrakischen ziToi (s. 191. 734.)
Ich will nun auch angeben, auf welche weise der lautenschlag
bei jener getischen emx^Qvy.eia wirkliche Übereinkunft mit altdeutschem
brauch haben kann, den heidnischen Goten waren hei feierlichem an-
lasz ihre priester zugleich xi]Qvxeg, caduceatores, und dasz sie ge-
sangs und saitenspiels pflagen scheint dem amt und geschäft des Stan-
des angemessen. Unser milteialter aber wählte zu boten auch spiel-
leule, deren hofam't an die stelle des priesterlichen getreten sein
mochte; Werbel und Swemmelin in den Nibelungen sind Etzels fiedler
und boten, warum sollten sie bei öffentlichem auftritt nicht gefiedelt
haben ?
Ist überhaupt die rede von der geistigen anlage noch unausge-
bildeter, allein begabter und einfach lebender Thraker, Geten, Germa-
* Anacharsis kam 592 jahre vor Chr. nach Griechenland ohne hut, den er
daheim gelassen. Lucian de gymnas. c. 16.
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AA AA AAA A I Ä Ä Ä Ai A A A A I A A A
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nen, wobei ich auch gern zurilckgehe auf die Skythen; so darf die-
sen milchessenden hirtenvölkern* oder beginnenden ackerbauern zwar
vieles treffliche aberkannt, aber auch manche tugend und reine kräf-
tige empfindung zugetraut werden, ich hoffe aus griechischen nach-
richten erst noch mehr von Thrakien zu lernen und glaube schon in
einzelnen ziigen hei seinen bewohnern tiefes naturgefühl, wie es auch
hei Germanen und Slaven waltet, zu gewahren. Thrakien musz ein
land der nachtigallen gewesen sein, von wannen sie selbst den Grie-
chen zuflogen (s. 176); die thrakischen winde hieszen diesen auch
oQvid-lai uve^ioi, mit welchen frühlingsvügel kamen. Pausanias 9 , 3 0 821
erzählt eine schöne sage: Xeyovoi de ol Oguxeg, ai rwv urjdoviav
e'/ovoi veooolag enl tm rdupco tov ^ÖQipeiog, ravrug ijdiov xal /uel-
t,or rt adeiv. so kommt nach nordischer sage gesanges künde über
den hirten, der nachts auf eines Sängers grabe geruht hat**, gerade
wie bei Pausanias: noif.irjv negl fueoovoav f,iu)aara rrjv rj^ieQav em-
xXiviov uvrov nQog tov 'OQipelog tov racpov, 6 /uev exa&evdev o
noi/urfv enfiei de ol xal xa&evdovTi e'nrj %e adeiv ndv ’Oycpecog xal
(xeya xal i)dv cpwveiv. Ähnlich dem erhöhten gesang der vögel auf
Orpheus grab ist, dasz im jahr von lläkons königswahl die bäume
zweimal trugen, die vögel zweimal brüteten, wie das lied singt (fornm.
sög. 9, 265):
bar tällaust tvinnan blöma
aldinvictr einu sumri,
ok ükallt ütifuglar
öndvert är urpu tvsvar.
Auszer solchen Überlieferungen, die vielen allzu schwankend Vor-
kommen werden, mich aber mit ahnungen erfüllen, ist gar manches
in den sitten und gebrauchen der Thraker und Germanen geeignet den
Zusammenhang dieser Völker zu bestätigen. Um noch einmal auf die
morgenländische, thrakische und germanische falkenjagd zu kommen,
so sind doch die Falchonarii in der not. dign. Orient, cap. 5 (ed.
Böcking p. 22. 24) neben Bucinobanles, Thraces und Tervingi picht
zu übersehn. sicher führten sie nicht ihren namen von dem siciliani—
sehen flusz Falconara, wol eben so wenig von lanzen, die das mittel-
alter falcones nannte, sondern allem anschein nach von abrichtung und
jagd der falken, welche damals in Byzanz durch Thraker oder Deutsche
eingeführt sein konnte. Ducange s. v. falconarius kennt diese merk-
würdige stelle nicht und wenn er aus Pachymeres und Godinus einen
byzantinischen nQioroieQaxaQiog beibringt, so stehn solche Schriftstel-
ler des 13 und 15 jh. dem oben s. 47 mitgetheilten zeugnis aus
Theophanes bedeutend nach.
Von der pelztracht und weiten beinkleidung der Geten und Go-822
* quibusdam nationibus frumenti expertibus victum commodat (ovillum pecus),
ex quo noinadum Getarumque plurimi yalaxrönorai dicuntur Columella 7, 2.
sie tranken auch Stutenmilch (s. 721.)
** frau Aventiure s. 28. mythol. s. 859.
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li 1: ‘
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then wurde s. 452 geredet; trugen auch die Langobarden weites gc-
wand (s. 694), so darf das enge und knapp anschlieszende der rhei-
nischen Germanen bei Tac. cap. 17 keinen maszstab für die östlichen
stamme geben, wie er auch den rheinischen wenig, den innern mehr
pelze beilegt.
Langgelocktes haar war abzeichen aller freien und edeln, die
könige nährten es am sorgsamsten; knechten und geistlichen wurde
es geschoren. Ulfilas braucht lagl (vgl. dak. do/eld s. 209) und
skuft für T^i/^g, ahd. gilt zagal ags. tägel, altn. tagl schon für das
schweifhaar der rosse und dann für schweif überhaupt; aber auch ahd.
scuf ist caesaries, nhd. schöpf, ein dritter ausdruck war wol goth.
hazds, altn. haddr, wonach die Ilazdiggös und Haddingjar hieszen
(s. 448), ein vierter ahd. fahs, ags. feax, altn. fax, wieder mit an-
wendung auf die mähne, denn Faxi ist name von rossen, ein dak.
nol'S, nov'6, (s. 207. 807) zweifelhaft, von balz coma cirrus (Graff 3,
114) stammt das mhd. baizieren, ahd. floccho lanugo gleicht dem
litth. plaukas, mag sich aber zugleich mit flahs linum und sl. vlas”
berühren, unser haar, ahd. altn. hir, ags. hoer, engl, hair man-
gelt in gotb. denkmälern, und würde vielleicht hös oder nach jenem
engl, hair hais gelautet haben, wozu lat. caesaries nahe träte; man
könnte selbst goth. haiza lampas vergleichen, insofern sich strahl und
haar berühren. Von langobardischer haartracht s. 694, von clialti-
schem submittere crinem barbamque s. 570. 571; apud Suevos, sagt
Tacitus cap. 38, usque ad canitiem horrentem capillum retro sequun-
tur. ac saepe in ipso vertice (am schöpf) religant. principes et orna-
tiorem habent. Seneca epist. 124 sagt: quid capillum ingenti diligen-
tia comis? quum illum vel cffuderis more Parthorum, vel Germanorum
nodo vinxeris (das ist das religare), vel ut Scythae solent sparseris:
in quolibet equo densior jactabitur juba, horrebit in leonum cervice
formosior. horrere gilt zumal vom sich sträubenden haar, vgl. horri-
dus und horripilare.
823 Zum trinken dienten den nomaden thierhörner und in der gestalt
von hörnern wurden trinkgefäsze geschmiedet, wie die auf der kim-
brischen halbinsel ausgegrabnen goldhürner bezeugen; von der spitze
des horns hiesz darum ein trinkbccher goth. stikls, ahd. stehhal, altn.
slikill (apcx, hornspitze), woher sich das litth. stiklas, sl. st’klo vilrum
erklärt; Litthauer und Slaven haben, wie der name zeigt, ihre triuk-
hörner den Deutschen nachgeahmt, aus gotischer heute weihte Trajan
dem Zevg Kdoiog zwei silberschalen und das vergoldete horn eines
urs (ßoog ovgov*.) Man trank aber auch aus schädeln (s. 143.) die
sitte des erlegten fcindes haupt ahzusclineiden und mit sich zu führen
(s. 141), war nicht blosz barbaren eigen; zur zeit desselben Trajans
schleppten die Römer des besiegten Decebalus haupt mit nach Rom
(Dio Cass. 68, 14.)
anthol. gr. ed. Jacobs 1, 294. 6, 332. Suidas s. v. Käoiov ogos.
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Zumal wichtig erscheinen alle Verhältnisse des häuslichen lebens.
von der getischen polygamie, die sich im beginn unsrer Zeitrechnung
wahrscheinlich schon sehr vermindert hatte, war s. 188. 189 die rede;
vom freiwilligen tod der witwe, wann der ehmann starb, s. 139. 816,
welche sitle ins höchste alterthum zurückreicht, der germanischen
hausgewalt des mannes scheint frauenherschaft, wie sie Tacitus von
den Sitonen berichtet (s. 744) zu widersprechen, aber auch sarmati-
sche Völker waren yvvuncoy.Qarovfj.evoi* und die amazonensage scheint
auch unter Deutschen verbreitet gewesen zu sein. Die anwendung der
stierhaut unter verwandten und freunden war Scandinaven und Sky-
then gemeinschaftlich (s. 128), noch verbreiteter die blutsbrüder-
schaft (s. 135.) Was Plinius und Mela von hyperboreischen Skythen
melden stimmt bedeutsam zur sitte des altn. aetternis stapi (RA. 486
ff. 972.)
Dringen aber Gothen auf Geten zurück, so thun es auch tlira-
kische Geten auf asiatische, thrakische Daken auf skythische Dahen **, 824
europäische Alanen auf asiatische und Massageten. Cyrus, schon
550 — 560 jahre vor Chr. begegnete den Massageten am Araxes, Da-
rius aber bewältigte die Geten in Thrakien am Salmydessus 490—495
vor Chr., ohne dasz damit dem Getenreich in Thrakien ein ende ge-
macht worden wäre, aber zu Alexanders tagen fand Pytheas bereits
Guttonen an der ostsee; wie rasch oder wie langsam müssen diese
Geten im westen vorgerückt sein und mit ihnen alle andern deutschen
stamme! für ihren alten Zusammenhang mit Asien kann das Thalaghus
der keilinschrift (s. 226) hohen sinn gewinnen, und die /laut und
Suxui am kaspischen meer (s. 225), die suevischen und alanischen
gebirge in Skythien (s. 489) werden ihn noch steigern, haben Sar-
maten, als beider heerzug im tiefen Asien weilte, Germanen schon den
suevischen namen beigelegt, oder kannte die germanische spräche da-
mals selbst noch die bedeutung eines possessiven svoi, dem das goth.
svßs verwandt liegt? sind die Wagnisse meiner gleichungen xoQuy.oi:
harugä (s. 118), Tußiri : Tanfana (s. 231) nicht verzeihlich? julius :
jiuleis (s. 106) wiewol überraschender, scheint um viele schritte hel-
ler. In dem Jahrtausend vor Chr. hebt und lichtet sich an den ver-
schiedensten puncten die griechische, römische und keltische gescliichte;
in derselben zeit waren auch deutsche Völker rege und nach dem
Schauplatz ihrer künftigen macht aufgebrochen, es ist nothwendig ihnen
schon damals breiten Spielraum zu gestatten; kennbare spuren verkün-
den zugleich ihre gemeinschaft mit der alten weit.
Je länger ich nachsinne über unsern allen, schon den Römern
des ersten jh. kund gewordnen stammythus von Mannus und seinen drei
söhnen Iscus Ingus llermino, desto mehr schwinden mir alle zweifei,
* Hippocrates de aeribus, aquis et locis, 41.
** Steph. byz. p. 216: Aäai oxvd'ixov ed'voe. eioi Se vo/iäSes. Ae’yovrcu
xalAaoai /uera rov o, «nach uraltem Wechsel zwischen H und S (s. 291 ff.)
572
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825 er müsse bereits aus Asien mitgebracht worden sein, zu geschwei-
gen, dasz ihn der britische Nennius im j. 858 offenbar aus anderer
quelle schöpft, den vater Alanus, die drei söhne Hisicio Armenon Neu-
gio (vergl. ir. NG s. 369) nennend, ein irisches gedieht des Isiocon
erwähnt (Haupt 2, 334), ein cod. vatic. den drei brüdern die namen
Ermenius Ingo Escio ertheilt (anh. zur mythol. s. XXVII); so lehren
Asciburgium, der altn. Askr (neben Embla), der ags. Oese, der ags.
Ing und altn. Yngvi Odins sohn, die alts. Irmansül und viel andre
eomposita mit Irman, ags. Eormen, altn. Iörmun, gotli. Airmana, dasz
diese drei namen in unsrer mythologie allenthalben tiefste wurzel schla-
gen und die formen Ask Isk Esk, Armin Irmin Irman Erman zusam-
menfallen. Nun aber heiszen bei Moses Genes. 10, 3 Gomers drei
söhne Aschkenas Riphath Thogarma (TiSlÜN, nC""!, rcs'isri), Aoxu-
viog ist ein phrygischer name und Thogarma aufzulösen in thog-arma
von thog, skr. töka, zend. taokbma, armen, lohm tribus, familia, so
dasz in Anna der eigentliche name des thessalischen AQ^tvog (arm.
Armenak) vortritt, welchen Strabo s. 530 als Stammherrn von Arme-
nien aufführt, zwischen Phrygien und Armenien fand nahe Verwandt-
schaft statt, Armenien aber steht in den keilschriften neben Arien Me-
dien Gedrosien* Thataghush (s. 226. 228) und andern asiatischen
Völkern, die sich mit unserm volk in seiner Urheimat berührt haben
können, die armenische spräche ist eine arianische und hängt zusam-
men mit der medisehen, sarmatisehen, zendischen**, wahrscheinlich
auch mit der unsrer Vorfahren, als sie noch in Asien weilten, ihnen,
Arianern und Hebraeern scheint die stammsage von Ask Aoxuviog
Aschkenas, von Armino Ag/Atvog und Thogarma frühe gemein; Asch-
826kenas nennen die Juden Deutschland (mythol. s. 1219), von Aska-
nius entspringen die Sachsen (vgl. Anschis s. 642.) Riphath weicht
aber ganz von Ing ab und bat auch bei den Armeniern keinen an-
klang***, ebenso musz des vaters Mannus name für echt deutsch
(s. 768) und zugleich indisch (mythol. s. 544) gelten. Viele dieser
Wahrnehmungen schweben noch unbefestigt, bald aber wird man sich
einiger nicht mehr enlschlagen können f.
Leicht mag unter allen beispielen das vom reliquiencultus ent-
nommene (s. 146—152) am meisten wuchern, dasz der gebrauch
in Thrakien galt zeigt eben die sage von Orpheus gebeinen; bestätigt
sich aber sein ausgang von Buddha, den man doch nicht ohne grund
zu Wodan gehalten hat (merkwürdig heiszt Wodans lag, dies Mercurii,
* reSgcooia raSgcooia bei Arrian und Strabo hat noch keiner mit des
Plinius Gauden verglichen, mancher schon die persische KnQfiavia mit Ger-
manien.
** Rieh. Gosche de ariana linguac gentisque armeniacae indolc. Berol. 1847
p. 12. 15. 43.
*** nach Moses von Chorene 1, 12 heiszen des Armenac brüder Chor und
Manaraz, welcher letztere an unsern Mannus, Irminons vater mahnt.
f auch Wackernagels Untersuchung der deutschen stammsage leitet auf asia-
tischen Ursprung (Haupt 6, 17.) *
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selbst im skr. Budhuvaras, mytliol. s. 118), so kommen die skythi-
schen BovöTvoi bei Herod. 4, 21. 22. 108. 109, BwSijvol bei Pto-
lemaeus, nachbarn der Sauromaten und Thyssageten in betracht und
die von unsern europäischen Völkern durch Skythien hin und weiter
rückwärts hinterlassene spur tritt an mehr als einer stelle immer
sichtbarer vor.
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«*%
XXXI.
DEUTSCHE DIALECTE.
827 Die spräche, wie das volk selbst in gaue und hunderte, der
stamm in äste und zweige, zerfällt in dialecte und mundarten; doch
pflegt man mit beiden letzten ausdrücken selten genau zu sein, da
wenn dialect als spräche gesetzt wird auch seine mundarten sich zu
dialecten erheben, es kann aber die spräche wiederum, je höher ins
alterthum aufgestiegen wird, als dialect oder gar mundart einer frühe-
ren, weiter zurückliegenden erscheinen. dialecte sind also grosze,
mundarten kleine geschlechter.
Jede spräche unterliegt geistigen wie leiblichen einflüssen. geistig
wird sie durch poesie und rede ausgebildet und in ihrer reinheit von
den dichtem erhalten und erhöht, treten Schrift grammatik und end-
lich Vervielfältigung im druck hinzu, so gewinnen diese handhaben cnt-
schiednere gewalt über die spraehregel und gestatten von ihr nur
schwer und langsam ausnahmen. Immerhin thut das vorgewicht des
geistes der natur der spräche einigen zwang, weil die dichterische
kunst im einzelnen irren kann und das mündliche ungefesselte wort,
ohwol ungeschickter, sich freier bewegt, zu haus, unter den seinen,
redet der mensch nachlässiger, aber behaglicher und vertrauter als
gegenüber andern und fremden oder selbst heim niederschreiben sei-
ner gedanken. das Verhältnis der mundarten und dialecte erscheint
828 stufenweise ebenso, jede mundart ist volksmundart, heimlich und
sicher, aber auch unbeholfen und unedel, dem bequemen hauskleid,
in welchem nicht ausgegangen wird, ähnlich, im gründe sträubt sich
die schämige mundart wider das rauschende papier, wird aber etwas
in ihr aufgeschrieben, so kann es durch treuherzige Unschuld gefallen:
grosze und ganze Wirkung vermag sie nie hervorzubringen.
Leiblichen oder physischen eindruck auf die spräche nenne ich
den durch Veränderung des bodens und der himmelsgegend entsprin-
genden. die spräche, in ihren grundbestandtheilen .wird von dem ein-
wandernden volke milgebracht, allein sie kann durch langen aufenllialt
im gebirge, in Wäldern, auf ebenen und am meer anders gestimmt und
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DIALECTE 575
in abweichende mundarten gebracht werden, erfahrung lehrt, dasz
bergluft die laute scharf und rauh, das flache land sie weich und blöd
mache, auf der alpe berschen diphthonge und aspiraten vor, auf dem
blachfeld enge und dünne vocale, unter consonanten mediae und lenues.
Die merkwürdigste eigenheit unsrer spräche, die laulverschiehung scheint
minder physisch als geistig zu erklären.
Sollen dialecte sich setzen und lebendige sprachen aus ihnen er-
steigen, so bedarf es schon eines gewissen raums an gebiet, innerhalb
dessen die entfaltung eintrete; von zu dicht nebeneinander gedrängten
dialecten werden einige gehemmt und erstickt, wie nicht mit gleichem
gezweige alle äste des baums sich ausbreiten, für den ast entschei-
det die gunst der luft und des lichts, für die spräche unter allen ein-
wirkungen den ausschlag gibt das gedeihen der poesie. da nun die
poesie auf drei wegen ausgeht, als epos, lyrik und drama, das epos
am alter das erste, das drama das jüngste ist und das lyrische lied
in der mitte steht; so wird die spräche am reichsten entwickelt sein,
in welcher sich alle stufen der dichtkunst ungestört dargethan haben.
Der griechischen spräche war ein glückliches Iosz gefallen, weil
sie unter bewegten und ruhigen menschen auf meerengen, halbinseln
und insein (s. 162), immer zur rechten stunde, in alle geheimnisse
der diehtarlen eingeweiht wurde, sie entfaltete vier dialecte, von 829
welchen der aeolische für den ältesten noch auf dem festen lande
Thessaliens und Boeotiens waltenden und dann weiter vorgedrungnen
gilt: er gewährt die alterthiimlichste, oft dem latein begegnende und
bei vergleichung urverwandter sprachen überhaupt ergibigste form, im
gebirgsland des peloponnesos erblühte der dorische, in Jonien der jo-
nische dialect, jener hell und scharf die lyrischen töne, dieser weich
llieszend das epos zeugend, aus allen dreien gieng zuletzt, im drama
und reichgebildeter prosa, der gewaltigste attische hervor, dessen die
geistige ausslattung des griechischen volks nicht mehr entrathen konnte,
er ist weder berg- noch küstensprache, weder alt noch neu, sondern
die gelungne einheit sämtlicher dialecte.
Es mangelt viel dasz die geschichte andrer sprachen ein so voll-
endetes, in sich abgeschlossenes bihl darböte; bevor ich versuche die
deutschen dialecte zu gliedern, ist es nöthig eine schon von den Rö-
mern überlieferte Ordnung unserer stamme, was ich absichtlich bis
hierher verspart habe, näher zu betrachten.
Tacitus trägt eine berühmte, im vorhergehenden schon oft ge-
nannte trilogie aller Germanen vor, erwähnt aber auch einer heptas,
deren vier letzte reihen neben jenen dreien namhaft gemacht werden;
Plinius hat eine pentas aufgestellt und ein groszes verdienst durch nen-
nung der einzelnen glieder jeder reihe sich erworben, die man bei
Tacitus blosz rathen kann.
Dieser legt dem Mannus drei söhne zu, nach deren namen die
dem ocean benachbarten Ingaevonen, die mittleren Germanen Hermino-
nen, alle übrigen Iscaevonen heiszen (s. 824.) Ingaevonen sind also
die nordwestlichen, Iscaevonen die westlichen, Herminonen die Östli-
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576
DIALECTE
chen. da den Römern, von Gallien aus, zumeist die vorderen Iscae-
vonen und Ingaevonen bekannt waren, so blieb ilmen der mittlere und
hintere herminonische stamm unsicher und am wenigsten erforscht.
Ohne diese drei namen ferner zu nennen beginnt Tacilus seine be-
schreibung mit den auf der linken seite des Rheins niedergesessenen
830 Vangionen, Triboken, Nemeten, Ubiern und ßataven, gehl dann von
diesen auf die bewohner der rechten seite Mattiaker, Chatten, Usipen,
Tencterer, Bructerer, Angrivarier, Chamaven und auf die Friesen, Chau-
ken, Cherusken, Fosen, Kimbern über, dann an der Ostsee gegen die
Elbe vorschreitend beschreibt er Sueven, Semnonen, Langobarden, zwi-
schen Elbe und Oder Reudinge, Avionen, Angeln, Varinen, Eudosen,
Suardonen und nun tiefer im östlichen Elbegebiet Hermunduren, Na-
risken, Markomannen, Quaden, hinter diesen zwischen Elbe, Oder und
Weichsel Marsinge, Gothinen, Ösen, Buren, die lygischen Völker Ilarier,
Manimen, Helveconen, Helisier, Navarnahalen, hinter welchen dann der
Ostsee näher Gothonen, Rugier, Lemovier und weiter ostwärts Suionen,
Aestier und Sitonen folgen, er scldieszt mit den noch tiefer in den
osten reichenden Peukinen, Baslarnen, Veneten und Fennen. Bei die-
ser aufzählung sind jedoch einzelne in den annalen und historien ge-
nannte westliche Völker unangefithrt geblieben, namentlich Canninefa-
ten, Gugernen, Sigambern, Marsen, Tubanten, Teutonen; wie viel an-
dere, zumeist mittlere und östliche werden ungenannt sein. Die jenen
drei hauplstämmen zulretenden viere stellen sich dar als Marsen, Gam-
brivier, Sueven und Vandilier; die Marsen sind jene zwischen Rhein
und Weser, vielleicht aber den östlichen Marsingen beschlechlet; Gam-
brivier scheinen eins mit den Sigambern. Wie sich nun Tacitus seine
drei hauptstämme Iscaevonen, Ingaevonen und Herminonen aus den ein-
zelnen Völkerschaften zusammengesetzt dachte, ist mit Sicherheit schwer
zu entnehmen; wir wollen erst die genauere fünftheilung des Plinius
vornehmen 4, 14:
Germanorum genera quinque : Vindili, quorum pars Burgundiones,
Varini, Carini, Guttones, alterum genus Ingaevones, quorum pars Cim-
bri, Teutoni ac Chaucorum gentes. proximi aulem Rlieno Iscaevones,
quorum pars Sicambri. mediterranei Ilermiones, quorum Suevi, Her-
munduri, Chatti, Cherusci. quinta pars Peucini, Basternae contermini
Dacis. Ohne zweifei llosz diese höchst wichtige mittheilung aus dem
831 munde von Germanen selbst und aus deutschen liedern, wie auch die
drei hauptuamen Isc Ing und Ermin das volle glied einer alliteration
bilden, dem Tacitus musz eine ähnliche, aber nicht dieselbe Vorgele-
gen haben, wie das stimmende und abweichende medii und mediterra-
nei, proximi oceano und proximi Rheno zeigt, wie hätte Tacilus des
vindilischen und peukinischen Stamms geschwiegen, die seinen Marsen
Gambriviern Sueven und Vandiliern nur im letzten namen begegnen?
Nach allem was vorhin (s. 825) einleuchtete gründet sich aber
die eintheilung in Ingaevonen, Iscaevonen, Herminonen auf uralten
mythus, der im andenken der Germanen des ersten jh. haftete, aber
damals schon so dunkel sein muste, dasz ihn nur die phantasie zum
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
DIALECTE
wirklichen unterschied der stamme gebrauchen konnte, dies sah viel-
leicht Tacitus ein und unterliesz eine solche anwendung. Plinius oder
eine von ihm genutzte nachricht suchte verwandte oder sich nahhe-
gende Völker in die fünf abtheilungen einzureihen.
Am unbedenklichsten werden dabei Kimbern, Teutonen und Chau-
ken als Ingaevonen erscheinen, weil auch nach dem ags. runenlied Ing
als osldänischer heros auftrilt und Yngvi in der nordischen sage fort-
lebte. für die rheinischen Iscaevonen schickt sich Asciburgium und
der am Rhein gewaltige stamm der Sigambern oder Franken; da nun
auch Sicambri geschrieben wird und die volle gestalt des namens Sigi-
gambri scheint, wäre vielleicht blosz Cambri zu schreiben, wie sogar
des Tacitus Gambrivii bestätigen, heiszen aber die Sigambern auch
Gambern, Kambern, so wäre thunlich Kambern und Kimbern durch
den ablaut (wie Ask und Isk) zu einigen, woran ich s. 525 und 637
noch nicht dachte, und dann würden Franken und Teutonen (Francs
et Tyois) in anderm licht erscheinen. Im vierten stamm der Ilermio-
nen sind natürlich die Hermunduren enthalten und Sueven mit Chatten
zusammengestellt, wie es die aus andern gründen erkannte Verwandt-
schaft beider mit sich bringt, dagegen ist der Cherusken aufnahme
in den herminonischen stamm verdächtig (s. 613); zwar grenzten sie
im Süden an Chatten, im osten an Sueven, und ihre fürsten waren
eine zeitlang mit challischen verbunden, doch im volk scheint hart-832
näckige feindschaft zwischen beiden gegolten zu haben, man musz
auch der spracheigenheit wegen Cherusken zu den Ingaevonen schla-
gen und die sächsische Irmansül kann sie nicht in Herminonen wan-
deln, da Irman wahrscheinlich unter allen Germanen verehrt wurde;
freilich linden wir im epos Diiringe Dänen und Sachsen den Frauken
entgegenlrelen (s. 734.) Reim Iscaevonenstamm sind einzig und allein
die Cambern oder Sigambern hervorgehoben, was auf die fülle der
fränkischen macht zielt; zweifelhaft bleibt also die Unterordnung der
kleineren Völker, doch räth die Verwandtschaft der Chatten und Ba-
taven auch diese und Chattuarier und Maltiaker in den suevischhermi-
nonischen stamm zu schalten, welchem ostwärts Langobarden, Marko-
mannen, Quaden gehören.
Grosze aufmerksamkeit anregen müssen der erste und fünfte, die
nordöstlichen und südöstlichen Germanen umfassende stamm, jener
wird angeführt von den Vindilen, sicher des Tacitus Vandilicrn, welche
formen sich wiederum verhalten wie Isc und Asc, vielleicht Cimbern
und Cambern. Vindilen, später Vandalen (s. 475. 476) und die zu
ihnen gerechneten Völker nahmen den raum zwischen Oder und Weich-
sel ein und da Plinius nächst den Vindilen Burgundionen nennt, der
Lygier gesclnveigt, Tacitus aber statt der Burgundionen und wahrschein-
lich neben seinen Vandiliern das grosze lygische volk setzt, so darf
dem schlusz, dasz Burgunden und Lygier eins und dasselbe seien nicht
ausgewichen werden, inwiefern sich die Vandilier vielleicht als Vin-
dilen und Winden mit den westlicher hausenden Langobarden berüh-
ren (s. 685), bleibe künftiger forschung Vorbehalten; auch Varinen
578
DIALECTE
saszen zwischen Elbe und Oder, und slieszen an Angeln und Lango-
barden. der Carinen einzige spur wurde in Scandinavien aufgewiesen.
Guttonen sind nach Tacitus hinter die Lygier ans gestade der ostsee,
wo sie schon Pytheas vorfand, zu stellen (s. 721. 722.) Unter den
Peukinen und Bastarnen des fünften Stamms denke ich mir einiger-
maszen das alte Getenvolk, von welchem Tacitus nur einen nördlichen
833 zweig als Gothonen kennt, ohne diesen namen mit dem der Geten zu
verbinden, in die nachbarschaft solcher Gothonen waren damals schon
Sarmaten und Jazygen vorgedrungen.
Fragt es sich nun nach dem unterschied deutscher dialecte, so
ist klar, dasz dieser nicht weder in den dreilheiligen noch fünftheili-
gen der Stämme aufgehn kann; sie mögen blosz nebenbei zugezogen
werden, um den gang der dialecte zu ermitteln.
Für die richtige beurtheilung der dialecte gehe ich aber von fol-
gendem, aus der geschichte der spräche geschöpften und in der nalur
ihrer Spaltung gegründeten satz aus: alle mundarten und dialecte ent-
falten sich vorschreitend und je weiter man in der spräche zurück-
schaut, desto geringer ist ihre zahl, desto schwächer ausgeprägt sind
sie. ohne diese annahme würde überhaupt der Ursprung der dialecte,
wie der Vielheit der sprachen unbegreiflich sein, alle manigfaltigkeit
ist allmälich aus einer anfänglichen einheit entsprossen und wie sämt-
liche deutschen dialecte zu einer gemeinschaftlichen deutschen spräche
der vorzeit verhält sich die deutsche gesamtsprache wiedrum als dia-
lect neben dem litthauischen, slavischen, griechischen, lateinischen zu
einer älteren Ursprache, die besonderheit dieser sprachen mag schon
in Asien entsprungen sein, gewis war sie dort noch nicht so entschie-
den und scharf bestimmt wie späterhin.
Alle mundarten und dialecte liefen gefahr sich ins unendliche zu
splittern und zu verwirren, wäre dem nicht eine weise schranke ge-
stellt durch das Übergewicht der sich niedersetzenden gröszeren Schrift-
sprachen, wie die herschaft groszer Völker dem zerfahren der einzel-
nen stamme steuert und die im kleinen unvermögenden kräfte zu einem
mächtigen ziele sammelt, berschende sprachen verzehren, schonungs-
los aber wohlthätig, eine masse von eigenheiten, günstigen und nach-
theiligen, deren schallen der groszen Wirkung des ganzen nicht zu
gute kommen würde. Wie es den bäumen des waldes versagt ist alle
äste, dem ast alle zweige in gleicher reihe zu treiben, so werden auch
834 sprachen, dialecte, mundarten neben und durcheinander gehindert und
zugleich gefördert: zwischen zurückbleibenden ragen erblühende desto
herrlicher vor.
Zur zeit, wo deutsche spräche in der geschichte auflritt, ist sie
von allen urverwandten zungen characterislisch und specifisch abwei-
chend, olnvol ihnen in einzelnem noch weit näher als heutzutage; ihre
eignen dialecte hingegen scheinen unbedeutender und unentschiedner
als in der folge.
Man kann den gothischen, gleich dem aeolischen der griechischen
spräche, den alterthümlichsten und formreichsten dialect der deutschen
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
DIALECTE
579
nennen; vergleichende Sprachforschung wird sich seiner am liebsten
bedienen, um die erscheinungen unserer spräche den urverwandten an-
zureihen. beide dialecte, die vielleicht einmal leiblich in Thrakien zu-
sammenstieszen, sind sich auch darin ähnlich, dasz nur bruchsliicke
ihres reichthums, brocken von der fülle des groszen gastmals hinter-
bliebcn. doch reicht unsere kennlnis von der aeolischen mundart lange
nicht an die durch Ulfilas der geschichle unserer spräche bereitete
bestimmtheit.
Aus der hochdeutschen spräche weht uns gleichsam dorische berg-
luft an, und jonische Weichheit mag sich im altsächsischen, angelsäch-
sischen und friesischen finden; auch haben die Angelsachsen mit aus
ihrer heiinat noch alle stücke des epos gebracht, fast der ganze ahd.
Zeitraum war der enlfaltung aller Volksdichtung hindersam, im mhd.
erwachten lied und epos mit einer fülle, der die niederdeutsche spräche
nur im niederländischen dialect einiges entgegenzusetzen hat; mnl. lie-
der zeigen gegen mhd. gehalten schwächere poesie und viel geringere
anlage zur kunst des reims.
Als Luther den glauben, zugleich die spräche reinigte'und hob,
langsam aber nach der Verwilderung des 17 jh. endlich im 18ten
mächtige dichter erstanden, war das Übergewicht hochdeutscher spräche
völlig entschieden, nichts ist unverständiger als den Untergang des
niederdeutschen dialects zu beklagen, der längst schon zur bloszen
mundart wieder herabgesunken und unfähig war, wie der hochdeutsche
zu nähren und zu sättigen, während sich alle hochdeutschen Stämme 835
der höheren Schriftsprache beugen, der niederdeutsche stamm bereits
die niederländische, in gewissem sinn die englische spräche hergege-
ben hat, wäre es ungerecht und unmöglich der niedersächsischen be-
völkerung ein anrecht auf Schriftsprache einzuräumen; Niedersachsen
und Niederländer hätten im rechten augenblick zugleich eine nieder-
deutsche gesamtsprache der hochdeutschen an die seite setzen müs-
sen. Es war jedoch besser, dasz es unterblieb und dasz nunmehr
alle Deutschen mit gesammelter kraft einer einzigen spräche pflegen,
die gleich der attischen streben sollte über allen dialecten zu
schweben.
Die spräche der Daken und Geten, als sie auf doppeltem wege
sich nach Scandinavien in zug setzten, mag kaum von der aller übri-
gen Gothen weit abgewichen sein, der grelle abstand der heutigen
dänischen und schwedischen rede von hochdeutscher und niederländi-
scher schwindet mit jedem schritt, den wir in das nordische alterlhum
zurück lliun können, zwei vorstechende eigenheiten, artikelsuffix und
überlritt der medialen intransitivform in strenges passivum erscheinen
früher seltner und müssen in noch tieferer vorzeit fast ganz unterblie-
ben sein (s. 755.) das R der flexionen statt des goth. S, der Weg-
fall des auslautenden N (s. 338. 754) sind eben so sicher erst zu
bestimmter zeit eingetretne abweichungen von dem ursprünglichen typus
als die ahd. lautverschiebung auf die gothische und diese auf den ge-
tischen stand der stummen consonanten zurückweist. Nicht anders
37*
580
DIALECTE
lehren einzelne ausnalnnen des alul. vocalismus, dasz seine abweichung
vom gothischen keine ursprüngliche ist.
Allerdings ist die lautverschiebung das sicherste kennzeichen, wo-
ran sich hochdeutsche spräche von niederdeutscher unterscheiden läszt.
auszer den Schwaben und Baiern sind auch Hessen, Thüringe und
Langobarden hochdeutsch und man könnte überhaupt die dritte stufe
des verschubs auf die Herminonen einschränken, alles was sächsisch,
friesisch, scandinavisch, gothisch heiszt beharrt entschieden bei zwei-
ter stufe, also alle gothischen und ingaevonischen Völker, wahrschein-
836 lieh auch die iscaevonischen und hurgundischen, obwol sich reinfrän-
kische und burgundische denlunäler nicht mehr aus der zeit erhalten
haben, wo bei den herminonischen die Verschiebung um sich grif.
Aber es gab eine zeit, wo die hochdeutsche Verschiebung noch nicht
da war und alle deutschen dialecte auf der zweiten stufe standen, es
gab eine noch frühere zeit, wo auch die zweite unentwickelt war, und
alle deutschen consonanten zu den lateinischen stimmten.
Innerhalb dieser einheit und Verschiedenheit hat sich die ganze
geschichte deutscher spräche entfaltet, wir dürfen sechs bestimmt un-
terschiedne zungen ansetzen, welche der schrift theilhaft geworden
ihre eigenthümlichkeit behaupteten: die gothische, hochdeutsche, nie-
derdeutsche, angelsächsische, friesische und nordische, von ihnen ist
die gothische ganz, ohne dasz etwas neueres an ihre stelle getreten
wäre, erloschen, die hochdeutsche hat ihre lebenskraft und bildsam-
keit bewährt und davon in drei Zeiträumen unverwerfliches zeugnis
abgelegt; die niederdeutsche wurde zersplittert, man kann annehmen,
dasz ihr edelster theil mit den Angelsachsen auszog, aus dem scliosz
der angelsächsischen spräche aber erhob sich, mit starker einmischung
des romanischen elements, verjüngt und mächtig die englische spräche,
zur volksmundart herabgesunken ist der Friesen und Chauken spräche
und ein gleiches gilt von einem groszen theil der altsächsischen, doch
so, dasz aus den trümmern eines andern theils eine eigne niederlän-
dische zunge neu erstand, obschon diese nicht ganz mit der altsäch-
sischen grundlage zusammen zu fallen, sondern noch batavische oder
fränkische stücke in sich einzuschlieszen scheint, deren genauere er-
mittlung zu den einladendsten Untersuchungen gehören wird, die auf
dem gebiete deutscher Sprachforschung zunächst bevorstehn. In Scan-
dinavien sind sich altnordischer, schwedischer und dänischer dialect
fast so zur seite gestellt, wie auf dem festen lande gothischer, hoch-
deutscher, niederdeutscher; man hätte besonders dort nach gründlicher
auffassung des schwedischen und gothischen elements zu streben. Es
haben sich also bis auf heute nur fünf deutsche sprachen auf dem
837platz behauptet, die hochdeutsche, niederländische, englische, schwe-
dische und dänische, deren künftige Schicksale nicht vorausgesagt, viel-
leicht geahnt werden dürfen. Wie in den Völkern selbst thut sich
auch in den sprachen, die sie reden, eine unausweichliche anziehungs-
kraft der schwerpuncte kund, und lebhaft erwachte selmsucht nach
festerer einigung aller sich zugewandten Stämme wird nicht nachlassen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
DIALECTE
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einen Übertritt der Niederländer zur hochdeutschen spräche, der Dänen
zur schwedischen halte ich in den nächsten jahrhunderten sowol für
wahrscheinlich, als allen deutschen Völkern für heilsam, und glaube
dasz ihm durch die lostrennung Belgiens von Holland, Norwegens von
Dänemark vorgearbeitet ward: es leuchtet ein, dasz dem Niederländer
lieber sein musz deutsch als französisch, dem Dänen lieber schwedisch
als deutsch zu werden, auch verdient die spräche der berge und
höhen zu siegen über die der flachen ebene. Dann aber wird nicht
ausbleiben, so bald Seeland aufhört eine nordische hauptstadt zu ent-
halten, dasz auch die Jüten in ihren natürlichen verband zu Deutsch-
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Völkerschaften ergäben und man ermittelte, welcher groszen reihe jede
angehört habe, für solchen zweck aber müste weniger nach seltnen,
der Schriftsprache fremden Wörtern, vielmehr nach dem Verhältnis aller
entscheidenden laute, formen und ausdrücke geforscht werden, seien838
diese gleich heutzutage die gangbarsten* **. Dem gang und steigenden
fortschritt aller mundarten überhaupt angemessen ist es aber auch,
dasz eine grosze zahl derselben sich erst in späterer zeit hervorge^
than haben und ihre eigenheiten in früherer noch gar nicht zu er-
warten sind.
* in Nordschleswig und Jütland steht z. b. noch der artikel vor, nicht nach.
** ntan hat deutsche sprachearten vorgeschlagen, es ist ziemlich leicht, an
der grenze den unterschied zwischen wallonischem, französischem, romanischem,
italienischem, slavischem, litthauischem und unsrer spräche zu merken, aber
äuszerst schwer und den bisher aufgewandten krähen unerreichbar, linien mitten
durch Deutschland zu ziehen, welche die manigfalt abstechende mundart schei-
den und fassen sollen, und nun gar mit bezug auf die geschichte der stamme,
z. b. in der Schweiz (s. 703. 704.) Am rathsamsten wäre vielleicht, statt von
dem ganzen, damit zu beginnen, dasz man alle Örter und bezirke, die eines auf-
fallenden, von der gemeinen spräche abweichenden idioms pflegen, auf der spe-
cialcarte hervorhöbe und anspruchlos allmälich gröszere massen erwachsen liesze;
es mag sich zeigen wras daraus werden kann, eigentlnimliche Schwierigkeit er-
hebt sich für die nordöstlichen Landstriche, deren alte deutsche bevölkerung im
verlauf der zeit von Slaven überschwemmt wurde und deren wiedereroberung an-
siedler aus andern deutschen gegenden herbeizog, die sich dem lauf der Völker
entgegen wieder ostwärts wandten. Worauf beim sammeln der volksmundart zu
achten sei, ist neulich in bezug auf die schlesische musterhaft von Weinhold an-
gegeben, lange vor ihm aber von Schmeller in dem preiswürdigen bairischen Wör-
terbuch ausgeübt worden. Welchen wichtigen ausschlag für die Scheidung der
mundarten auch sage und mythologie ergeben, lehren jetzt schon genug beispiele,
wie der schwäbische zistag und bairische ertag (s.’508) oder die schwäbische
sungicht und bairische sunwende.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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lehren einzelne ausnahmen des alul. vocalismus, dasz seine abweichung
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mitllung zu den einladendsten Untersuchungen gehören wird, die auf
dem gebiete deutscher Sprachforschung zunächst bevorstclm. In Scan-
dinavien sind sich altnordischer, schwedischer und dänischer dialect
fast so zur seite gestellt, wie auf dem festen lande gothischer, hoch-
deutscher, niederdeutscher; man hätte besonders dort nach gründlicher
auffassung des schwedischen und gothischen elements zu streben. Es
haben sich also bis auf heute nur fünf deutsche sprachen auf dem
837platz behauptet, die hochdeutsche, niederländische, englische, schwe-
dische und dänische, deren künftige Schicksale nicht vorausgesagt, viel-
leicht geahnt werden dürfen. Wie in den Völkern selbst thut sich
auch in den sprachen, die sie reden, eine unausweichliche anziehungs-
kraft der schwerpuncte kund, und lebhaft erwachte Sehnsucht nach
festerer einigung aller sich zugewandten Stämme wird nicht nachlassen.
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einen Übertritt der Niederländer zur hochdeutschen spräche, der Dänen
zur schwedischen halte ich in den nächsten jahrhunderten sowol für
wahrscheinlich, als allen deutschen Völkern für heilsam, und glaube
dasz ihm durch die lostrennung Belgiens von Holland, Norwegens von
Dänemark vorgearbeitet ward: es leuchtet ein, dasz dem Niederländer
lieber sein musz deutsch als französisch, dem Dänen lieber schwedisch
als deutsch zu werden, auch verdient die spräche der berge und
höhen zu siegen über die der flachen ebene. Dann aber wird nicht
ausbleiben, so bald Seeland aufhört eine nordische hauptstadt zu ent-
halten, dasz auch die Jüten in ihren natürlichen verband zu Deutsch-
land , wie er ihrem alterthum gemäsz und durch die deutliche spur
des sächsischen dialects unter ihnen * gerechtfertigt ist, wieder-
kehren.
Unsere heutigen volksmundarten enthalten gewissermaszen mehr
als die Schriftsprachen, d. h. in ihnen stecken auch noch genug Über-
reste alter dialecte die sich nicht zur Schriftsprache aufschwangen,
aus diesen volksmundarten wäre für die geschichte unsrer spräche er-
kleckliches zu gewinnen, wenn sie planmäszig so untersucht und bear-
beitet würden, dasz sich in ihnen jene spuren einzelner bedeutender
Völkerschaften ergäben und man ermittelte, welcher groszen reihe jede
angehört habe, für solchen zweck aber müste weniger nach seltnen,
der Schriftsprache fremden Wörtern, vielmehr nach dem Verhältnis aller
entscheidenden laute, formen und ausdrücke geforscht werden, seien838
diese gleich heutzutage die gangbarsten**. Dem gang und steigenden
fortschritt aller mundarten überhaupt angemessen ist es aber auch,
dasz eine grosze zahl derselben sich erst in späterer zeit hervorge-
than haben und ihre eigenheiten in früherer noch gar nicht zu er-
warten sind.
* in Nordschleswig und Jütland steht z. b. noch der artikel vor, nicht nach.
** man hat deutsche sprachearten vorgeschlagen, es ist ziemlich leicht, an
der grenze den unterschied zwischen wallonischem, französischem, romanischem,
italienischem, slavischem, litthauischem und unsrer spräche zu merken, aber
auszerst schwer und den bisher aufgewandten kräften unerreichbar, linien mitten
durch Deutschland zu ziehen, welche die manigfalt abstechendc mundart schei-
den und fassen sollen, und nun gar mit bezug auf die geschichte der stamme,
z. b. in der Schweiz (s. 703. 704.) Am rathsamsten wäre vielleicht, statt von
dem ganzen, damit zu beginnen, dasz man alle Örter und bezirke, die eines auf-
fallenden, von der gemeinen spräche abweichenden idioms pflegen, auf der spe-
cialcarte hervorhöbe und anspruchlos allmälich gröszere massen erwachsen liesze;
es mag sich zeigen was daraus werden kann, eigenthümliche Schwierigkeit er-
hebt sich für die nordöstlichen landstriche, deren alle deutsche bevölkerung im
verlauf der zeit von Slaven überschwemmt wurde und deren Wiedereroberung an-
siedler aus andern deutschen gegenden herbeizog, die sich dem lauf der Völker
entgegen wieder ostwärts wandten. Worauf beim sammeln der volksmundart zu
achten sei, ist neulich in bezug auf die schlesische musterhaft von Weinhold an-
gegeben, lange vor ihm aber von Sclnneller in dem preiswürdigen bairischen Wör-
terbuch ausgeübt worden. Welchen wichtigen ausschlag für die Scheidung der
mundarten auch sage und mythologie ergeben, lehren jetzt schon genug beispiele,
wie der schwäbische zistag und bairische ertag (s. 508) oder die schwäbische
sungicht und bairische sunwende.
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DIALECTE
Ich will aus einer menge von beispielen für das, worauf es bei
Unterscheidung der deutschen dialecte ankommt, hier eins geben, im
hochdeutschen ist die sorge für reinheit der vocalverhältnisse, im nie-
derdeutschen die für consonanten gröszer. doppelte liquida wird aus-
lautend ahd. und mhd. vereinfacht, ags. alts. altn. und auch gotli.
bleibt sie doppelt, selbst nach vorausgehendem langem vocal. die ahd.
verba fallan wallan spannan bilden das praet. fial fialun, wial wialun,
839 spian spianun, die mhd. fallen wallen spannen fiel fielen, wiel wielen,
spien spienen, unhochdeutsch wäre fiall fiallun, fiell hellen, weil das
mehr als diphthongische vocalgewicht auch kein inlautendes fiallun
wiallun spiannun gestattete: vielleicht lassen sie sich sogar auf ein
älteres fial wial spian zurückleiten, die der ursprünglichen reduplica-
tion näher ständen. Ulfilas hat keins dieser drei verba, sondern für
fallan driusan, für wallan vulan, für spannan Jianjan, aber die redupli-
cation würde der theorie gemäsz faifall, vaivall, spaispann anzusetzen
sein. Den sächsischen und nord. sprachen ist die behauptung der
doppelten consonanz angelegner als die des diphlhongs. ags. feallan
feoll feollon, veallan veoll veollon, spannan speonn speonnon und ebenso
alts. fallan feil fellun, wallan well wellun, obgleich die Schreiber sich
im auslaut ags. feol veol speon, alts. fei wel spen, nicht im inlaut
gestatten; altn. falla feil fellu (statt valla veil vellu gilt nach andrer
conj. vella vall ollu); schwed. falla füll föllo. Dasz nun die alts. form
auch noch im mittelalter fortdauerte lehrt veilen (ceciderunt) in Lap-
penb. brem. chron. 112 Detmar 1, 40 und veilen : gesellen Reinke
6822. Zeno 1014, welcher reim mhd. unthunlich wäre (vielen, gesel-
len.) Merkwürdig aber schwankt die mnl. spräche zwischen beiden
weisen, die dichter reimen sowol vel (cecidit) : snel, wel (bene), el
(alius) Rein. 3551. 7051. Maerl. 1 , 16. 225 (niemals auf del pars,
gehöl totus) als viel : kiel navis, giel guttur und nicht anders wech-
seln auch die plurale veilen (ceciderunt) ghesellen Maerl. 1, 52. 2, 78
und vielen : knielen Ferg. 1833. veilen ist der mnd., vielen der mhd.
form gemäsz und schon an diesem beispiel zeigt die' niederländische
spräche, was sie auch sonst oft bewährt, bei sächsischer grundlage
im einzelnen hang zu hochdeutschen lauten und formen, ja das nnl.
hat sich entschieden für viel vielen erklärt, feil feilen, das man noch
heute im munde des Niedersachsen vernehmen wird, hält den stamm
fallen treuer fest, während das hochdeutsche fiel fielen die flexion bes-
ser wahrt.
In jedem stand der Sprachentwicklung pflegen für laut und form
840 neben der gellenden regel als ausnahme einzelne alterlhümliche fälle,
gleichsam zeugen einer vergangnen zeit fortzudauern, die historisch
grosze bedeutung empfangen, von solchen nachzüglern bei der laut-
verschiebung wurden s. 421. 422 beispiele angegeben, welche sehr
verschiednen anlasz haben können. Dasz der ahd. diphthong uo frü-
her 0 war, wie im golhischen, scheint die adjectivflexion plintd =
gotli. blindös, zuö — goth. tvös, diö — gotli. j»ös und die schwache
flexion salpön salpöta — goth. salbön salböda zu lehren, ich werde im
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folgenden capitel darauf zurückkommen; aus dem mhd. und fast nhd.
zwö und den mhd. -öt -öte -ön der schwachen conj. (gramm. 1, 957)
sieht man, welche kraft der dauer in diesem vocallaut lag.
Noch ein auffallenderes zeugnis sowol für die unursprünglichkeit
des lautverschiebens als des vocalischen ausgangs der II praeterita star-
ker verba wurde s. 485. 487 geschöpft, und die ahd. scalt chanst
u. s. w. weisen in hohes alterthum zurück.
In unsrer heutigen spräche hallen die eigennamen Otto Hugo
Poppo sogar ahd. gestalt fest; die mundart der Lötscher im Walliser-
land sagt noch bis auf diesen tag cdir jungro5 (Stald. dial. s. 342)
= ahd. der jungiro und ‘himil5 (das. 343), aber neben vatir hruodir.
einzelne Wörter und redensarten in der Schweiz klingen völlig notke-
risch, z. h. dankeigist, dankeiget!* es sind alprosen, die unten nicht
sprieszen.
Dieser ausdruck ruft mir die gleichheit ahd. und ags. kräuterna-
men in den sinn, proserpinaca heiszt ahd. wegapreitä, ags. veghraede;
centaurea ahd. ertgallä, ags. eordgealle; abrotanum ahd. stapawurz,
alts. stafwurt, ags. stäfvyrt; ahd. depandorn rhamnus ags. jiefejmrn
(vgl. oben s. 232); ahd. metere (wol früher matarä) febrifugia (sumer-
lat. 56. 57) ags. mädere ruhia, engl, madder, ich finde auch hei
Renvall ein finnisches matara, mattara galium horeale; ahd. faram filix,
ags. fearn, engl, fern, nnl. varen. Will man wähnen, ags. mönche84t
hätten solche glossen verbreitet, so steht entgegen, dasz sich auch
zwischen ahd. und altn., - zwischen ags. und altn. namen einstimmung
findet, ahd. reinefano, tanacetum ist das schwed. renfane, ich glaube
xavvaßig ayQia. cPio/uaioi TZQ(.uvdhg, hei Diosc. 3, 56 ohne an-
gabe eines dakischen worls. als unentlehnt zeigt sich die Übereinkunft
ganz sicher, wo kleine Verschiedenheiten eintreten, z. b. altn. inistil—
teinn lautet ags. misteltä, engl, misseltoe, jenes vom hegrif des zweigs,
dieses vom verwandten der zehe gebildet. Unsere meisten pflanzen-
namen sind schon zusammengesetzte, nicht abgeleitete Wörter, gleich-
heit der dialecte in Zusammensetzungen, die immer erst allmälich ent-
springen, scheint aber auf viel längere gemeinschaft hinzuweisen.
Das belrift doch nur einzelnes, im groszen ist die eigenthüm-
lichkeit aller deutschen sprachen wesentlich an zweierlei zu gewahren,
an der neigung die stummen consonanten zu verschieben, wovon cap.
XVII gehandelt wurde, und am ablaut, welchen das folgende capitel
vornehmen soll.
* bilder und sagen aus der Schweiz von Jeremias Gotthelf (Bitzius, pfarrer
im Bernerland) Solothurn 1842- 1844. 2, 60. 5, 94.
XXXII.
DER ABLAUT.
842 Unter ablaut verstehn wir einen von der conjugation ausgehen-
den, die ganze spräche durchdringenden regelmäszigen Wechsel der
vocale.
Unsere spräche, in jedem ihrer äste, vermag am verbum nur zwei
zeiten gegenwart und Vergangenheit auszudrücken, wodurch sie auf-
fallend absteht von allen urverwandten, denen sämtlich reiche entfal-
tung der temporalunterschiede verliehen ist. aber sie tritt der hebräi-
schen, gleichfalls nur zwei tempora, futurum und praeteritum bezeich-
nenden einfachheit nahe*, genau betrachtet schlieszen die Vorstellun-
gen der zukynft und Vergangenheit den kreis ab , da gegenwart nur
ein kleiner kaum zu haschender punct ist, der im augenblick entwe-
der noch der zukunft oder schon der Vergangenheit anheimfällt, dies
hebräische aufgehn des praesens im futurum erscheint auch in unsrer
alten spräche, deren praesensform zugleich mit für das futurum gilt
(gramm. 4, 176); blosz ausnahmsweise hat die ags. mundart am ver-
bum subst. ein praesens eom vom fut. beo (s. 431) geschieden, ganz
843 wie litth. esmi sum von busu ero, sl. jesm’ von budu, ir. taim sum
von biad ero abweicht.
Bei so empfindlichem mangel kommt uns aber von frühster zeit
jene eigenthümliche bestimmung der vocallaute zu statten, wodurch
zwar keine stufen der Vergangenheit ausdrückbar, allein praesens und
praeteritum, ja singularis, dualis und pluralis praeleriti auf das leb-
hafteste hervorgehoben werden, erscheinen auch in den urverwandten
sprachen spuren des ablauts, so hat ihn doch keine so klar als rcgel
aufgestellt wie die deutsche.
Ich suche ganz in sein wesen einzudringen, im zwölften capitel
wurde vorgetragen wie für den vocalismus die trilogie A I U als quelle
* auch die lazisclie spräche, und wahrscheinlich andre mehr, ist auf zwei
tempora, praes. und praet. eingeschränkt (abh. der Berl. akad. 1843 s. 12.)
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ABLAUT
585
aller übrigen laute anzuselm sei. diese, gleichviel kurze oder lange,
können nur hervorgehn aus Verbindung jener drei untereinander, so
dasz jedem derselben die beiden andern vorangestellt, d. h. neben dem
einfachen salze jedes lauts noch zwei diphthongische Sätze möglich
werden, das gesamtgebiet der vocale enthält folglich neun laute, in
bemerkenswerthem parallelismus zu den neun stummen consonanten
(s. 342. 394):
A IA UA
I UI AI
U IU AU
welche formel alle möglichen deutschen vocallaute erschöpft, aber blosz
nach der theorie entworfen ist, von der alle einzelnen sprachen und
schon die gothische, mehr oder minder abweichen.
Die gothischen vocale entsprechen folgendergestalt
A £ Ö
I EI AI
U IU AU
wozu ich noch die altsächsischen füge, da es überflüssig sein würde
die aller übrigen anzuführen:
A Ä Ö
I i £
U Ü Ö
Es erhellt, dasz im gothischen nur die dritte oder Ureihe so geblie- 844
ben ist, wie es die natur der laute mit sich bringt; die erste oder
Areihe hat IA in £, UA in Ö verengt, die zweite oder Ireihe an die
stelle von UI EI gesetzt, im allsächsischen sind aber alle diphthonge
zu bloszen längen verengt, obwol für Ü gewöhnlich noch IO oder IU
auftrilt. nachlheilig fallen goth. Ö und AU (ursprüngliches UA und
AU) in einem alts. 6 zusammen, man wird schon jetzt im allgemei-
nen erkennen, dasz diphthonge den ersten, anfänglichen stand des lauts,
Verengungen den späteren anzeigen. das goth. E und Ö der ersten ue-Y&'n^u-rxje*
reihe kann nach dem ergebnis des EI und AI, IU und AU in zweiter Cluxft im AKir.
und dritter nicht für ursprünglich gelten.
Den beweis liefern hin und wieder die verschiednen dialecte un-
tereinander. IA für E, UA für 0 begegnen wirklich in der besondern
ahd. mundart, welcher Kero und Olfried zugetlian sind, d. h. der ala-
mannischen. IA nur in einzelnen, hier aushebenswerlhen Wörtern,
goth. fdra fitQog xh'/ua entspricht dem ahd. fiara fgramm. 1, 60.
109), cin liara gangan3 heiszt hei Otfried was wir heute ausdriieken
‘zur seile gehn3 (Graff 3, 668. 669); goth. mes tquti^u nivaS, ist
das ahd. mias (Graff 2, 874), wozu ir. inias genau stimmt, vgl. span,
mesa, lat. mensa (oben s. 337); goth. hör lode ahd. liiar; goth. Kreks
Graecus ahd. Chriah. diese vier Wörter bleiben allein übrig, und dem
groszen häufen der goth. £ steht ags. JE, ahd. mhd. altn. Ä zur seile,
die auf ähnliche weise aus IA verdichtet sein müssen, wie wenn das
goth. biari d-rj^iov (unbiari unthier?) Tit. 1, 12 seihst noch ein rest
des alten lauts wäre, also der späteren Schreibung böri entspräche,
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und ahd. pAri, ags. baere forderte? biari gliche dem lat. fera, aeol.
<ptjQ, wie dius dem d-rjQ (s. 350), und auszer dem Wechsel des B
und D käme der des inlautenden R und S in betracht, zurückfiihrung
des goth. möki und lökeis auf miaki liakeis begünstigt das finn. miekka
und sl. ljekar\ Haftet aber noch zweifei Uber £ = IA, so musz ihn
die analogie des Ö = UA tilgen, goth. för lautet bei Otfried fuar,
döms duam, bloma bluama, möds muat, göds guat, bröfmr bruadar,
845 vöhs wuahs, gamösta muasa; im ahd. zeigt sich der laut ursprüngli-
cher als im gothischen. dieser aufschlusz über 0 und UA ist anders
als der oben s. 840 gegebne: man wird sagen müssen, dasz UA
an alter vorangehe, in die ahd. flexion aber schon früh 0 eingetre-
ten sei.
Befremden mag auf den ersten blick der Übergang des durch die
theorie gefundnen UI in EI, und doch ist es der einzige weg um goth.
EI zu begreifen, da nemlich die Gothen kein kurzes E, nur langes
ß besitzen, wird auch EI für El zu nehmen, also triphthongischem
IAI gleichzustellen sein, das dem UI nahe käme*, die goth. instru-
mentale j)e und hvö sind ahd. diu huiu, also zwischen Jua hvia und
f)iu hviu schwebend, folglich IAI beinahe IUI = UI. statt des goth.
EI haben die ahd. ags. altn. spräche I, das sich noch leichter als
verengtes UI darstellt. Hierzu tritt nun ein entscheidender beweis, den
uns der entlegenste norden in der faröischen mundart darbietet, wel-
che regelrechtes UI für altn. i zeigt (gramm. 1, 488) und geradezu
rnuin tuin suin für goth. meina [>eina seina schreibt, ruiki für goth.
reiki, kvuit für hveils, uis für ahd. altn. is. UI steht zu AI wie 1U
zu AU und diese parallele ist nicht abzuweisen.
Irre ich nicht, so wird nunmehr die annahme geminierter vocale
von der ursprünglichen einrichtung unsrer spräche ausgeschlossen, wie
goth. E und 0 erst durch Verdichtung aus diphthongen erwachsen,
sind auch die dem Gothen abgehenden ahd. und altn. Ä i Ü nur auf
diese weise begreiflich, ahd. Ä ist goth. ß, ahd. i goth. EI, ahd. Ü
entweder goth. IU oder unorganisch, ags. Ä ist goth. AI, ags. ß
gewöhnlich umlaul des Ö, ags. i goth. EI. umgekehrt sahen wir die
goth. E und Ö im ahd. IA UA noch diphthongisch erscheinen; wie
könnten sie gefaszt werden als EE und 00, da es kein kurzes E und
0 gibt? ahd. ß und 0 führen sich auf goth. AI und AU zurück, welche
846 umgedrehtes IA und UA sind und dieselbe Verdichtung erfahren haben.
Auch im consonantismus wird sich vielleicht die unursprtinglichkeit der
gemination behaupten lassen.
Brechung und umlaut, als jüngere erscheinungen des vocalismus,
haben mit dem ablaut nichts zu schallen, obwol das gebrochne kurze
E und 0 gewisse analogie zu dem verengten langen ß und Ö kund
geben und wiederum aus dem zusammenflusz zweier vocale, doch
bei haftender kürze entsprungeu sind, sie hängen von andrer bedin-
gung ab.
* man vergleiche für ivs und «5- gr. rjvg und rjv-, obwol diese zweisilbig
sind (— , nicht triphthongisch.
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A
zust f ^ ^
sehe Verwendung des vocalgesetzes auf die wur-
, um die unterschiede der gegenwart und ver-
r fülle hervorzuheben, dadurch dasz er alle und
n sich schlieszt, ruht er auf dem innersten grund
hängen wollaut und zutrauliche gewalt unse-
conjugalionen bilden sich, deren keine den vocal
k, bestehn läszt, und allein die dritte für den sg.
| i ablaut verwendet, während die übrigen jedwe-
geben. welchen vocal pl. ind. zeigt, derselbe
j. sg. wie pl. statt, der vocal des part. praet.
praes., bald mit dem pl., nicht aber dem sg.
das part. praes. auch seinen ablaut für sich,
[inf conjugationen nach der goth. spräche auf-
\M- o /& fr]
u
£
ö
ö
I
u
Wechsel
U
I (U)
u
A
I
U
aller drei
kurzen
voraus
praet. sg. A praet. pl.
A
________ A
Ö
--x r .------M AI
V. IU AU
Die erste conjugation beruht auf dem
vocale seihst, ohne Zuziehung langer und diphthongischer
setzt sie zwei consonanten nach dem wurzelvocal, entweder doppelte 847
liquida oder liquida mit muta, einigemal auch spirans und muta: lin—
nan lann lunnum lunnans; finj)an fanf) funjmm funfians; hvairban hvarb
hvaurbum hvaurbans; trisgan trasg trusgum trusgans.
Im gegensatz hierzu sind der zweiten conjugation lauter kurzsil-
bige wurzeln eigen, deren vocal von einfacher consonanz geleitet wird,
sie wechselt kurzen vocal zwischen praesens und sg. praet., läszt aber
im pl. praet. langen eintreten. Man musz ihr, scheint es, zwei arten
einräumen, jenachdem das praesens I oder U zeigt; zwar dem sg. praet.
gebührt beidemal A, es ist aber unwahrscheinlich, dasz der pl. £ ent-
falten könne, wenn das praes. U, wie wenn es I lautet; erst dadurch
werden die rechte beider kurzen vocale gewahrt, dasz im pl. praet. I
ein £, U ein Ö nach sich ziehe.
Die erste art hat kein bedenken: stilan stal stelum; qiman qam
qemum; bairan bar herum; qijjan qa[) qöjmm; lisan las lösum; ligan
lag lögum. nur der laut des part. praet. schwankt, vor liquidis be-
kommt er U: stulans numans qumans baurans, hingegen gibans qifians
lisans ligans; ausnahme ist brukans und wahrscheinlich auch stukans;
ahd. kiprochan, kistochan.
Die zweite art, als einen neuen fund, musz ich umständlicher be-
handeln. auf sie leitete mich zuerst die entdeckte analogie zwischen
den subst. qinö : qöns = funa : fön. qinö femina, qens uxor schei-
586
ABLAUT
und ahd. päri, ags. bsere forderte? biari g i, aeol.
(prjQ, wie dius dem vfo/p (s. 350), und a 1 des B
und D käme der des inlautenden R und S ii Führung
des goth. meki und lßkeis auf iniaki liakeis ] miekka
und sl. ljekar5. Haftet aber noch zweifel itl usz ihn
die analogie des Ö = UA tilgen, goth. fö id fuar,
döms duam, bloma bluama, möds muat, g( >ruadar,
845 vöhs wuahs, gamösta muasa; im ahd. zeigt iriingli-
cher als im gothisehen. dieser aufschlusz ü anders
als der oben s. 840 gegebne: man wird asz UA
an alter vorangehe, in die ahd. flexion abe ngetre-
ten sei.
Befremden mag auf den ersten blick de: rch die
theorie gefundnen UI in EI, und doch ist es n goth.
EI zu begreifen, da nemlich die Gothen ke langes
fi besitzen, wird auch EI für El zu nehmei ischem
1AI gleichzustellen sein, das dem UI nahe k instru-
mentale j)e und hvö sind ahd. diu huiu, als ia und
ftiu hviu schwebend, folglich IAI beinahe IUI ; goth.
EI haben die ahd. ags. altn. spräche i, di ter als
verengtes Ul darst-ellt. Hierzu tritt nun ein en____________________jS, den
uns der entlegenste norden in der füröischen mundart darbietet, wel-
che regelrechtes UI für altn. i zeigt (gramm. 1, 488) und geradezu
muin tuin suin für goth. meina Jieina seina schreibt, ruiki für goth.
reiki, kvuit für hveits, uis für ahd. altn. is. UI steht zu AI wie 1U
zu AU und diese parallele ist nicht abzuweisen.
Irre ich nicht, so wird nunmehr die annahme geminierter vocale
von der ursprünglichen einrichtung unsrer spräche ausgeschlossen, wie
goth. E und 0 erst durch Verdichtung aus diphthongen erwachsen,
sind auch die dem Gothen abgehenden ahd. und altn. Ä I Ü nur auf
diese weise begreiflich, ahd. Ä ist goth. E, ahd. 1 goth. EI, ahd. Ü
entweder goth. IU oder unorganisch, ags. Ä ist goth. AI, ags. E
gewöhnlich umlaul des Ö, ags. i goth. EI. umgekehrt sahen wir die
goth. E und Ö im ahd. IA UA noch diphthongisch erscheinen; wie
könnten sie gefaszt werden als EE und 00, da es kein kurzes E und
0 gibt? ahd. E und 0 führen sich auf goth. AI und AU zurück, welche
846 umgedrehtes IA und UA sind und dieselbe Verdichtung erfahren haben.
Auch im consonantismus wird sich vielleicht die unursprünglichkeit der
gemination behaupten lassen.
Brechung und umlaut, als jüngere erscheinungen des vocalismus,
haben mit dem ablaut nichts zu schaßen, obwol das gebrochne kurze
E und 0 gewisse analogie zu dem verengten langen E und Ö kund
geben und wiederum aus dem zusammcnflusz zweier vocale, doch
bei haftender kürze entsprungeu sind, sie hängen von andrer bedin-
ge g ab.
* man vergleiche für ivs und tv- gr. rjvs und rjv-, obwol diese zweisilbig
sind (— w), nicht triphthongisch.
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ABLAUT
587
Dies alles vorausgesandt kann ich nun näher auf den ablaut
eingehn.
Ablaut ist dynamische Verwendung des vocalgesetzes auf die Wur-
zel der ältesten verba, um die unterschiede der gegenwart und Ver-
gangenheit in sinnlicher fülle hervorzuheben, dadurch dasz er alle und
jede vocalverhältnisse in sich schlieszt, ruht er aul dem innersten grund
der spräche, an ihm hängen wollaut und zutrauliche gewalt unse-
rer rede.
Fünf ablautende conjugalionen bilden sich, deren keine den vocal
des praesens im praet. bestehn läszt, und allein die dritte für den sg.
und pl. praet. gleichen ablaut verwendet, während die übrigen jedwe-
dem numerus eignen geben, welchen vocal pl. ind. zeigt, derselbe
findet im ganzen conj. sg. wie pl. statt, der vocal des part. praet.
stimmt bald mit dem praes., bald mit dem pl., nicht aber dem sg.
praeteriti. einmal hat das part. praes. auch seinen ablaut für sich.
Es genügt die fünf conjugationen nach der goth. spräche auf-
zustellen :
praes. 1 praet. sg. A praet. pl. U part. U
I A £ I (U)
U A 6 U
A Ö Ö A
EI AI I I
IU AU U U
Die erste conjugalion beruht auf dem Wechsel aller drei kurzen
vocale selbst, ohne Zuziehung langer und diphthongischer, voraus
setzt sie zwei consonanlen nach dem wurzelvocal, entweder doppelte 847
liquida oder liquida mit muta, einigemal auch spirans und muta: lin—
nan lann lunnum lunnans; finj)an fanj) funjuim funf)ans; hvairban hvarb
hvaurbum hvaurbans; trisgan trasg trusgum trusgans.
Im gegensatz hierzu sind der zweiten conjugation lauter kurzsil-
bige wurzeln eigen, deren vocal von einfacher consonanz geleitet wird,
sie wechselt kurzen vocal zwischen praesens und sg. praet., läszt aber
im pl. praet. langen eintreten. Man musz ihr, scheint es, zwei arten
einräumen, jenachdem das praesens I oder U zeigt; zwar dem sg. praet.
gebührt beidemal A, es ist aber unwahrscheinlich, dasz der pl. £ ent-
falten könne, wenn das praes. U, wie wenn es I lautet; erst dadurch
werden die rechte beider kurzen vocale gewahrt, dasz im pl. praet. I
ein £, U ein Ö nach sich ziehe.
Die erste art hat kein bedenken: stilan stal stölum; qiman qam
qemum; bairan bar börum; qipan qaj) qejnim; lisan las lesum; ligan
lag lögum. nur der laut des part. praet. schwankt, vor liquidis be-
kommt er U: stulans numans qumans baurans, hingegen gibans qiftans
lisans ligans; ausnahme ist brukans und wahrscheinlich auch stukans;
ahd. kiprochan, kistochan.
Die zweite art, als einen neuen fund, musz ich umständlicher be-
handeln. auf sie leitete mich zuerst die entdeckte analogie zwischen
den subst. qinö : qöns = funa : fön. qinö femina, qens uxor schei-
4k. JiK MK. -MK JAt». ■AH. -
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mmm
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ABLAUT
den sich sogar dem begriffe nach, und da auch altn. kona (== qvena,
wie koma = qvema) femina, qvän uxor (Sa;m. 73a 111 b 134b 138il,b)
nebeneinander stehn, unterliegt hier das goth. £ = altn. Ä keinem
zweifei. andere dialecte besitzen für beide bedeutungen lediglich eine
form: ahd. quenä chena mulier und uxor, vgl. skr. dscliani, gr. yvvrj,
sl. shena, höhm. zena, litth. zyne (kluge frau, Zauberin.) Lenken nun
qinö qöns auf die ablautende Wurzel qina qan qönum (gr. ytvvüu),
lat. gigno); so darf aus dem nebeneinanderstehn von funa (altn. funi)
und fön ein funan fan fönum (vgl. gr. nuvog fackel) geschlossen wer-
den, und siehe da, noch andere spuren sind der spräche eingedrückt,
vulan fervere, Rom. 12, 11 ist nach vulif) II Tim. 2, 17 stark-
848 förmig und fordert im praet. val (nicht vaul) pl. völum, wie aus dem
ags. völ lues, pestis, alts. wuol wol Hel. 132, 4, mhd. wuol : pfuol
Herbert 6466. 6467 zu folgern steht; die bedeutung dieses subst.
scheint eigentlich hitziges lieber, aestus, wofür auch sonst brinnö und
heitö steht, trudan calcare, praet. trad, pl. trödum erweise ich aus
dem altn. troda calcare und tröda terra culta (oben s. 61 unrichtig
troda geschrieben.) knudan depsere, praet. knad knödum erklärt uns
den ausdruck knöds genus, eigentlich massa, substantia. auf studan
fulcire stad stödum leitet anastödjan dustödjan uQ/to^ai, weil das
anheben ein fassen, festigen, wahrscheinlich gab es ein goth. adj. stöj)s,
schwachformig stödja firmus; ags. findet sich studu fulcrum, postis
und das gleichbedeutige stöd; im ags. stöde stabilis musz umgelaute-
tes 0 sein. ahd. studan statuere, fundare, aber stuodal fulcrum, basis
(Graff 6, 653. 654) ein stuodali purus, urstuodali perspicax. altn. slod
oder stöd? fulcrum, auxilium, stydja studdi fulcire; schon das U lehrt,
dasz alle diese formen nicht von dem allerdings verwandten standall
stöj) (s. cap. XXXIV) geleitet werden dürfen, endlich möchte ich aus
dem goth. usgrudja languidus ein grudan grod grödum schlieszen,
ohne schon aufschlüsse seiner bedeutungen zu wagen. Die ahd. spräche
hat nun alle diese goth. U in I (oder gebrochen e) geschwächt und
folgerichtig dem praet. A, pl. Ä verliehen: tretan trat trätum; cline-
tan chnat chnätum, wonach ihr adj. stäti stabilis an die stelle des
vermuteten goth. stödis getreten scheint und ein stetan stat stätum
erwarten liesze. das ältere U verbürgen die haftenden chnuot genus
und stuodal basis. Ebenso gilt ags. cnedan und tredan, altn. aber
knoda (schlecht hnoda) und troda; stoda scheint unerweislich, sledi
fulcrum, incus für stodi oder stödi gesetzt.
Lassen aber die participia auf U bei verbis erster art, wie stu-
lans numans brukans alte praesentia auf U ahnen, denen folglich im
pl. praet. wieder Ö gebührt hätte? aus einem solchen nömum für
nömum begriffe sich das mnl. noeinen nominare, das sich sonst mit der
849 Wurzel niman (vgl. oben s. 153) schwer einigen liesze. Ich werde noch-
mals im cap. XXXVI auf die ablaute dieser zweiten conj. zurückkommen.
Die dritte conjugation läszt das A des praes. im sg. und pl. praet.
zu 0 werden und stellt im part. praet. A wieder her; sie kann die
einfachste unter allen heiszen: anan ön önum anans; faran för förum
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ABLAUT ' 589
farans; skapjan sköp sköpum skapans; tvahan tvöh tvohum tvahans.
alle diese und die meisten übrigen sind kurzsilbig, nur vahsjan und
standan haben positionslänge, standau bekommt im praet. slö{> stö—
{mm, das pari, praet. zeigt aber stöjians (1 Cor. 4, 11) für standans,
worüber näheres cap. XXXIV. ahd. gilt stantan stuont stuontum (bei
0. stuat stualun) part. stantanör, ags. standan stöd stödon standen,
altn. standa stöd stödu sladinn.
Wie nun in zweiter conjugation, wenn meine Vorstellung richtig
ist, das A des sg. praet. sowol in £ als Ö des pl. übergieng, sollte
man auch hier erwarten, dasz das A des praes. ein praet. doppelter
art, auf £ und 0 zeugen könnte; doch findet sich nur Ö. ich werde
indessen auf diese frage zurückkommen.
Regelrecht und einander analog verlaufen die vierte und fünfte
conjugation. der zweiten und dritten stehn beide darin entgegen, dasz
dort das praes. kurzen, der pl. praet. langen vocal, hier das praes.
langen, pl. praet. kurzen vocal besitzen, skeinan skain skinum; grei-
pan graip gripum; smeitan smait smitum; steigan staig stigum; reisan
rais risum stehn parallel zu hniupan hnaup hnupurn; niutan naut nu-
tum; biugan baug bugum; kiusan kaus kusum. die part. praet. hal-
ten stets den im pl. praet. angeschlagnen laut aus.
Jedes tempus jeder conjugation ist an seinem vocallaut alshald
zu erkennen, nur ausgenommen die plurale praet. auf Ö, welche der
zweiten und dritten angehören können, so wie die part. praet. auf I
oder U, von welchen unsicher bleibt, ob sie aus der zweiten oder
vierten und fünften stammen.
Man musz annehmen, dasz der kurze vocal die grundlage des
lauts enthalte und aus ihm erst die diphthongischen Veränderungen her-
vorgegangen seien, der kurze vocal kann aber nicht nur selbst allein 850'
den ablaut bewirken, wie die erste conjugation zeigt, sondern auch
an jeder stelle, bald im praesens, bald im sg., bald im pl. des praet.
aufsteigen, eben um dieser wechselnden stelle der kürze und länge
willen besitzen unsere verba schöne manigfaltigkeit.
Erst in der nlid. spräche ist, zum nachtheil der ablaute, was
organischer weise nur für die dritte conj. galt, für alle durchgeführt
worden, dasz in sg. und pl. praet. derselbe laut waltet: wir sagen
heute band banden, gab gaben, lag lagen, grif griffen, trof troffen,
statt der mhd. schöneren formen bant bunden, gap gäben, lac lägen,
greif griffen, trouf truffen. die alte regel ist dadurch untergraben und
zumal der unterschied des ind. vom conj. oft verwischt: griffen kann
rapuerunt und raperenl aussagen. wahrscheinlich veranlaszte die mi-
schung der quantitäten in der zweiten und die falsche analogie der
drillen conjugation den unfug; seit man für gap gäben ein gleichbe-
tontes gab gäben zugelassen hatte und beide wie schuf schufen behan-
delte, schien auch fand fanden recht und bald hatten die gleichgesetz-
ten formen das Übergewicht, die vierte und fünfte conj. lieszen um-
gekehrt den laut des pl. in den sg. vorrücken.
So verhält oder verhielt sich in der deutschen conjugation der
590
ABLAUT
reine ablaut, dessen groszer und entscheidender einflusz auf die ganze
spräche vorzüglich in der Wortbildung und flexionslehre sichtbar wird,
vom ablaut in der flexion soll cap. XXXVI handeln, aus den Wortbil-
dungen begnüge ich mich hier zwei vielumfassende beispiele hervor-
zuheben. Starke intransitiva lassen aus dem ablaut ihres praet. sg.
schwache transitiva erwachsen: brinnan, brannjan; urrinnan, urrann-
jan; drigkan, dragkjan; vilvan, valvjan; snairpan, snarpjan; timan, tam-
jan; ligan, lagjan; rikan, rakjan; stikan, stakjan; vrikan, vrakjan; nisan,
nasjan; galan, goljan; faran, förjan? (ahd. fuoran) : safian, söjijan;
hneivan, hnaivjan; beidan, baidjan; leisan, laisjan; urreisan, urraisjan;
driusan, drausjan; kiusan kausjan; liusan, lausjan; sliupan, slaupjan;
biugan, baugjan. Nach dieser formel sind nun verlorne intransitiva
851 oder transitiva leicht zu folgern, z. b. aus [lanjan jjinan, aus slaujijan
sliujian, oder aus beitan baitjan. mild, werden manche intransitive
verba erster und zweiter conj. von ihren transitiven nur an dem un-
terschied des ö und e erkennbar z. b. swellen und swellen, erschöl-
len und erschellen. Adjecliva zweiter declination pfle'gen mit dem ab-
laul des pl. praet. und vorzugsweise aus verbis zweiter conj. gebildet
zu werden, z. b. von niraan goth. andanöms acceptus, von qijian un-
q6j)s inelfabilis, von sitan andasels horridus (entsetzlich), von studan
wurde stöjis s. 848 vermutet; ahd. nämi acceptus, päri ferax, prächi
fragilis, käpi gratus, gleichsam dabilis, wägi gleichsam libralilis, släti
firmus, welche mlul. lauten: genaeme, gebaere, gaebe, waege, staete. In
dritter conj. stimmen ablaut des pl. und sg. zusammen, von gadaban
leitet sich gadöfs conveniens, ags. gedcfe, vom ahd. chalan frigere =
altn. kala das adj. chuoli frigidus. In fünfter conj. von niutan uti das
adj. nuts ulilis, unnuts inutilis, ahd. nuzi unnuzi, mhd. nütze, unnütze.
Aus vierter ist mir kein beispiel zur band, warum aber sollte nicht
aus smeitan ein adj. smits ahd. smizi, aus beitan ein bits ahd. bizi
hildbar sein? zu einer menge anderer ist das verbum ausgestorben,
wie zum ahd. räzi, späti, währ-, zähi, drdti, muodi, chuoni, kruoni,
wenn beide letztere nicht anders zu fassen sind.
Anziehend ist es die Sprünge des ablauts aus einer reihe in die
andere zu betrachten.
Die häufigsten erfolgen zwischen beiden arten der zweiten conju-
gation, wobei doch die vocale U und ü die ältere, I und E die jün-
gere form darzustellen scheinen, geht trudan trad trödum, knudan
knad knödum dem tretan trat trätum, chnelan chnat chnätum voraus,
so darf dieser maszslab auch an andere Wörter gesetzt werden, dem
goth. mena ahd. mäno altn. mäni steht ags. möna engl, moon zur
seite; erscheint nicht möna älter und auf die ablaute munan man mö-
num leitend? möna würde zu minan man menum berechtigen, eben
852 darum liegt das ags. adverb söna engl, soon dem goth. suns näher als
das mhd. sän*. Aber auch zwischen der vierten und fünften conj.
* Lobe hält zu suns und söna unpassend das nhd. schon, welches das mhd.
schöne, ahd. scöno adv. von schoene scöni goth. skauns ist, auf goth. alsu skau-
niba lauten würde.
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iS
m
ABLAUT
591
schwanken I und U; die praeterita dau und snau würden nach fünfter
reihe ein praes. diuan sniuan fordern, welche das euphonische gesetz
der spräche in divan snivan wandelt; im pl. praet. entspränge duum
snuum, was gleich unerträglich gewesen wäre und der sprachgeist be-
quemte sich dafür zu divum snivum, womit ganz in den ablaut der
dritten reihe gegriffen wurde, deren speivan spaiv, hneivan hnaiv den
pl. spivum hnivum darbieten, snivun belegt Marc. 6, 53; Philipp. 3,
16 findet sich snßvun, vielleicht dasz mundartlich sniva snav snevum
nach zweiter conj. galt, wie umgekehrt das mhd. kresen kras repere
in krisen kreis (Servat. 1856) überspringt, vgl. Schm. 2, 395. Wech-
sel zwischen vierter und fünfter reihe bekunden goth. heiv familia, ags.
lnvan familiäres, altn. hiu hiun hion famulitium, ahd. hiwisci hiuwisci
familia, mhd. hirat und hiurät, nhd. heirat und heurat; mhd. Krimhilt
und Kriemhilt (gramm. 1, 188); kric und kriec; kit (ahd. eint = qui-
dit) und kiut (gramm. 1, 192), ohne dasz es nötliig wäre aus solchen
einzelnen formen vollständige ablaute zu folgern, unbedenklich aber
ist mhd. die doppelgestalt schrien schrei schrirn geschrirn und schriu-
wen schrou schruwen geschriuwen. noch merkwürdiger geht das ahd.
pliuwan plou pluun pliuwan gothisch nach erster conj. bliggvan blaggv
bluggvun bluggvans und die plurale pluun bluggvun weisen den mit-
telpunct der Begegnung, nicht anders verhält sich das ahd. adj. triuwi
fidus zu goth. triggvs altn. tryggr, woher der bekannte mannsname
Tryggvi, während ahd. triuwön trüön confidere dem goth. gatrauan,
altn. trüa begegnet, goth. siggvan saggv suggvun bleibt auch im ahd.
singan sanc der ersten conj. zugethan, altn. syngja sang zeigt wenig-
stens im y für i des praesens neigung zur fünften, die sich im schwed.’
sjunga noch entschiedner entfaltet, dessen praet. bald sang, bald söng853
lautet, mit siggvan aber läszt sich auch den begriffen nach goth. siu-
jan sivida, ahd. siuwan süta, lat. suere vereinen, hiernach dürfte man
versucht sein, den stammnamen Inguio Ingo goth. Iggvs Iggvus wie
triggvs und bliggvan, mit tilgung des nasallauts, jenem volksnamen
Eovan im cod. exon. 320, 8 zu vergleichen, den ich oben s. 472 in
Eävan änderte. Zumal Beachtung fordert, wo in einer und derselben
mundart mit verschiednem sinn doppelgestalt der wurzel nach zwei
conjugationen sich entwickelte. Ulfilas hat in zweiter conj. stikan stak
slßkum, was dem gr. gtiLhv entspricht, woher sich stiks oziyt-irj, staks
oziy(.ia, stikls calix (vgl. s. 823) leiten; in erster, mit eingehender
nasalis, stiggan stagg pungere, wovon sich noch ein verwandtes stig—
qan stagq impingere1, ruere sondert, dem sich lat. stinguere anschlieszt.
ahd. stgehan stah stächum, wovon still ictus, stechal calix, stichil apex
und stingan pungere, stungan eompungere, stunc punctum, ags. sli-
can und stician slicode pungere, stingan stang stungon stimulare. wie
der name Franke mit den wurzeln frei und frech Zusammenhänge zeigte
s. 512. 513.
Sobald die spräche in folge des ablauts einer andern reihe nah
kommt, ist es ihr verstattet in sie überzugehn und oft wird eine zu-
gefiigte liquida brücke des Übergangs. Es scheint schon ein wichli-
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592
ABLAUT
ger salz, dasz manche wurzeln erster conjugation sich blosz aus gemi-
nation der liquida herleiten und ursprünglich der zweiten gehören,
die ags. Umstellung irnan birnan setzt rinan brinan voraus, kein rin-
nan brinnan, und allem anschein nach ist drffc goth. inbranjada crema-
tur Joh. 15, 6 kein fehler, sondern zeigt uns noch die echte form
branjan von brinan. dafür streiten auch die alten Zusammensetzungen
manasejis manamaurfnja manariggvs, alamans alafmrba Alamöds und ahd.
Alaman alahalba alahant (grannn. 2, 628), ja das merkwürdige mhd.
sunewende (mythol. s. 584) und sunegiht Lanz. 7051. schon darum
musz NN in manna und mannisks unorganisch erscheinen, weil manags
ahd. manac mhd. manec einfaches N hat und die wurzel munan man
854munum gleichfalls; noch gebieterischer heischen es die skr. Manus und
manuschja. wie aber Mannus und manna, entsprosz auch ahd. minna
memoria, animus, amor und minnön amare, eigentlich meminisse der-
selben wurzel. unbedenklich lege ich älteren wurzeln, aus welchen
brinnan und sunna stammen, nur einfaches N bei. mhd. brimmen bram
brummen rugire folgte ahd. noch zweiter conj. preman pram prämun,
und die analogie wird sich weiter ausdehnen.
So unser ablaut; wie steht es um ihn in den urverwandten
sprachen ?
Auch diesen mangelt er nicht, ist aber zu keinem waltenden
gesetz erhoben worden, nur in einzelnen spuren und reihen zu
erkennen.
Was eben schon die geschichte unserer spräche durchschimmern
liesz, dasz verba erster conjug. mit ihrem uns gleichsam eingebornen
dreiklang I A U fgramm. 1, 561—563) dennoch unursprünglich seien,
wird durch die Wahrnehmung ihrer fast gänzlichen abwesenhcit in
jenen andern sprachen bestätigt, es gibt weder ein lat. noch skr.
verbum mit positionslanger wurzel, dessen tempora ein I A U wech-
seln lieszen. Starke wurzeln auf Ml\l NN erscheinen nirgend. LL ha-
ben zwar die lat. cello pello vello fallo, die gr. ßdXXio 'ipuXXco reXXio
riXXo) u. s. w. allein es pflegt sich im praet. zu vereinfachen: pello
pepuli, percello perculi und nur ausnahmsweise zu haften, dann aber
ohne ablaut: vello velli, fallo fefelli, welcher unterschied mich an den
des ahd. fallan fial und altn. falla feil (s. 838) gemahnt. ßuXXco bil-
det ßaXto tßaXov und ßeßoXtjf,iui. RR im lat. verro verri. lateini-
sche MB NG ND lauten nicht ab: lambo lambi, mando mandi, pando
pandi; es sei denn, dasz sie ihre nasalis ausstoszen, d. h. die form
in unsere zweite conj. übertreten lassen: tango tetigi, pango pepigi,
doch pungo pupugi bleibt, diese tilgung des N in tango tetigi, findo
fidi, scindo scidi gleicht der altn. form binda batt, hrinda liralt, vinda
vatt. die composita von pango tango schwächen A in I: contingo com-
pingo; andern grund hat I in mingo. verto verli (= goth. vairjia
varf>), volvo volvi, solvo solvi wissen nichts von ablaut. dem goth.
855 binda band entspricht die sanskritwurzel bandh, zeugt aber das praet.
babandha, d. h. das A des goth. praet. ist dem ganzen skr. verbum
in jedem tempus eigen. Nur im griecli. sind wichtige annäherungen
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an deutsche weise: ufitXyw ufioXyog, vgl. lat. mulgeo gotli. miluks.
ufitQyo) ä/Liogyt]. fitXnai fioXnrj. fitfKfOfiai ftOfKprj. (pd-tyyp/ncu (p&oy-
yog. Titf.17110 nOfuitj. ntQÖo) ntnoqda. 7it(j(Xü> ntnoyfra.
Den ablaut unsrer zweiten conj., wie schon aus dem eben gesag-
ten hervorgeht, erkennen lat. und gr. verba in einzelnen gestaltungen
an. hierher gehören tetigi pepigi pepuli, die ein älteres praesens tago
pago pelo vorausselzen, wie tuli = tetuli ein älteres telo. für cecini
cecidi hat sich cano cado erhalten, zu precor gehört proco procus
goth. fraihna frah fröhum fraihans. Ungleich reicher ist die gr. spräche,
doch musz ich oft zum erweis der ähnlichkeit abgeleitete subst. hinzu-
nehmen. vtfiio vtfiog vofirj vofiog und vofiog, wie das lat. nemus
und nomen zeigen den laulwechsel des goth. nima nam numans, den
Übergang der begriffe s. 29. 153. 497; im aor. l'vei/ua sehe ich das
fl des goth. pl. neinum. ytvco yivog ylvofiai ytyova yövog ytlvo-
fiai, lat. gigno genus führen auf ein goth. kinan kan kunans, wovon
kuni, welchem qinan qan qenum nahe kommen musz (s. 847.) fitvio
fj.tf.iova gotli. man munum, lat. memini. xti'vto xtvü i'xtiva xtvog
Ttvcov xovog rovoco verlangen ein goth. jiina {»an Jienum Jrnnans, wo-
her jianjan tendere und ahd. donar (gotli. jiunrs) ictus nubis, ahd.
dono tendicula. ntvofiai növog novrjQog. xtfivco xtfuo zofiog. ßdXXto
ßoXrj. (ptQto yoQog (p6f)ogy lat. fero forum (Varro 4, 32) goth. baira
bar baurans. (p&tiQio cp&tQid i'y&ojou tqj&uQijv (f&OQa (fdoQog,
goth. hitlaira? was ich aus dem ags. daru nocumentum ahd. lara, ags.
derian ahd. terian terran nocere, ahd. tarön nocere schliesze*. cptßo-
fiai nt(f>oßa (poßüo cpoßog. otßofiai ooßtco. GXQtcpco tGZQOcpa S56
GTQtnzog GXQOCpi]. TQt<f>W XtXQOCfU TQOtfrj. TQtTlÜ) tXQanOV XQOnr\.
xXtnxco xXtnog xXontj, goth. hlifa hlaf. Xiyaiv Xtyog XtxzQOv Xoyog
Xoyog goth. liga lag. ßQtyo) ßQO/rj. zQt'yio TQoyog, goth. {»ragja
ein jiriga voraussetzend. dtyo/jai dtdey/uai doxog 8oyr\. ötQXü)
dguxdi dtdoQxa ÖtdQoxa. xixxm xtxto xtxvov xoxog xoxtvg. i'dco
odovg. fitöto walle, fiediov fitdecov herscher, von göttern gebraucht,
fttdifivog ein masz, fiodiog desgleichen, lat. modius und modus, mode-
rari walten, meditari bedenken, mita mat metum, alts. metod ags. meo-
tod altn. miöludr vom göttlich waltenden (mytliol. s. 1199); das lat.
metior und gr. fiixQov sind vorboten der lautverschiebung. Auch die
sl. und lillh. spräche lassen verschiedentlich E in 0 (d. h. nach deut-
scher weise I in A) ablauten. sl. tepl” und topl” calidus, von der
skr. wurzel tap (s. 231); das sl. pepel” cinis lautet poln. popiot böhm.
popel. bred” und hrod” vadum wechseln, teku curro tok” cursus,
fluxus. nesu fero, nesti und nositi ferre. vedu duco, vesti und vo-
dili ducere, voshd’ dux. grebu sepelio, grob” sepulcrum. Litth. deru
paciscor, dora pactum padorus honestus. slegiu tego, stogas tectum.
* für latro galt alid. scado, lantscado (qui terram laedit, perdit) ags. sceada,
und ebenso ahd. lantderi (Graff 5, 440.) mit gleichem fug nannten die Griechen
ein schädliches, verderbliches insect (pd’eiQ von cpd’slQeiv, das unsere spräche
geradeso lüs, die Gothen ohne zweifei lins hieszen von liusan perdere, consumere,
devorare (Graff 2, 263.)
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594
ABLAUT
Icku curro, takas semita, curriculum, isztoka deeursus. zelu vireo,
zalias viridis, zole herba. wedu duco, wesli ducere, wadas dux, wa-
dzioti ducere. neszu fero, naszta onus. Im sanskrit und zend waltet
A rein durch: tan tendere tatana, vah vehere, vahämi veho, zend. va-
zämi; sad sedere, sasada sedi; svap dormire, sasvapa dormivi. dies A
macht mir wahrscheinlich, dasz das gr. O in ytyova fit/uova rtXQOffa
u. s. w. eher dem skr. A gleich stehe als dem goth. U, wie es auch
in vielen andern fällen dem A entspricht.
Dem ablaut A 0 unsrer dritten conjugation ist lat. A und Ä, gr.
O und H gleichzustellen, wie ahd. muotar pruodar goth. brö{)ar, lat.
mäter fräter, gr. fir\xi]Q (fQüxtjQ, zumal die pronomina sa sö gr. o rj
lehren; man vgl. ferner lat. räpum ahd. ruoba, lat. rädix altn. rot,
lat. fägus gr. cprjyog goth. böka, gr. ijdvg ahd. suozi, gr. firjv fu]vr\
ags. möna, goth. mena, ahd. mäno. nfjvoq lat. panus scheint ablaut
zu ahd. fano, ags. fona und verschieden von dem zu funan gehörigen
857 fön (s. 847.) skr. käs tussire, litth. köstu tussio, ahd. huosto tussis,
böhm. kasel, po^n. kaszel; skr. jära adulter goth. hörs, von einem
gramm. 2, 42 vermuteten haran hör mingere. Wie im pl. ablaut der
zweiten conj. und Ö scheinen auch hier A und Ii gleich berech-
tigt. In der lat. schwachen conj. entspricht k dem Ö der gothischen
z. b. in piscäri piscätus : fiskön fiskö[)s. Als lebendigen ablaut wüste
ich blosz lat. lavo lävi, caveo cävi, faveo fävi, paveo pävi anzuführen;
alo hat alui, käme es mit altn. ala öl auch in der form überein, so
müste es lauten alo äli. gr. d-dXXai xt&i]Xa, &anw rtd-i]nu, xtd'-
vaf-itv d-vr\GYM.
Das goth. El AI I vierter conjugation begegnet sichtbar griechi-
schem EI 011, wodurch zugleich das hohe alter des goth. EI für das
theoretische UI gerechtfertigt scheint, ausnahmsweise steht AI = lat.
AE und goth. AI in ul'9'iot' ignis goth. aids, ags. Ad, ahd. eit (vgl.
Al’xvi] lat. Aetna.) in 01 ist O an die stelle von A getreten, wie
wir vorhin gr. o = goth. sa erblickten, eldto oida 1'df.itv deckt sich
mit goth. veita vait vitum, und oloda mit vaist. u.ttö<o duiöog. Xetrao
ItXoina thnof.txv — leiba laif libum, welches aus laifs Xomog zu fol-
gern. goth. Leiha laih taihum weist auf ein fehlendes de/xu) dtdor/.a
fdtxoftty, wovon dstxvv/.u übrig ist. goth. leiga laig ligum, dessen
schwache ableitung laigö allein vorkommt, würde ein gr. Xeiyco XI-
Xoiya tXiyofiiv darthun. trxe II. 18, 520 videbatur, l'or/.u videtur.
xtif.iai und xoif.iuco gehören dem ablaut und begriffe nach zusammen,
xwf.ii], der ort wo die leute schlafen, ist Verengung, von xoi'/ir], aber
dem litth. kiemas vicus, wie dem goth. haims altn. heimr entsprechend,
so dasz die volle formel heima haim himum wäre. Xtfiog (mit I, frü-
her Xiifiog) fames und Xoifiog pestis; vgl. altn. sultr f. sveltr fames,
goth. svillan mori, svulls mors, ncttloi net'oo) ntnoiOa l'nidov. ötlÖO)
ölöta Stdoixu. auf ftttyjo fituntya — goth. meiga maig weisen
ofiryco und fioiyog, vgl. oben s. 305 und vorhin haran hör. axt/yu)
oxoTyog (jxt'yog. xtiyoq murus, moenia, xoiyog murus, paries, wozu
auch xtyvt] kunst, baukunst gehört, das für xtlyvr] gesetzt scheint
<L
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I ‘U/ivvJ’ t/ßj CL.
' 0 I I
E / . ’
f , HöS
^ (uUfi** V.Cö^(^>A
u^^s^uL 17
/»
lüT
595
jWuf
(M
fossa, vallum, piscina, wofür man 858
ollte. wie Ttyrrj für rtlyvv] (oder
5h t nun auch f/cu für fl'yw, dessen
ov von eriw, mit tYy/o aber knüpft
u das AI des goth. aih und aigum
■jueißco tTtajioißog. [.it.iQOj.UH [it-
i\ nvtlto nvoirj (vgl. nvtü) nvorj
doch besser o?og für oivog (s. 241)
wienas hat IE, wie vorhin in kie—
dem golh. AI, sondern EI gegcn-
noiyJXog aber faihs ahd. leb. gr.
onjugation, wie dort rttWo trtijiu
yvi] nvkö und [itQog zeigen, dem
s mit kurzem, goth. stairö mit ge-
WriL
iWfil 'Alidt
c>* ^ i/Wl , p
[L^ o* *****
*1
W G*y\ oSo*r oi. ,
itverhältnis U OE I — golh. EI AI
ür EI neue bestätigung bringt; das
reifen, da coelum dem gr. y.otbj ecu
im goth. haihs, hoedus dem golh. cicMU
\ poena, münio in moenia abzulau-
s tig, communis weniger das golh.
s gameins. doch ist auch spüma
aiz, ags. svät, man nehme es dann
heint aber in einzelnen wötern I,
I entspricht: fides fidus lauten ab859
. hiv; vinum goth. vein, ahd. win;
idare, trihulare aus lat. pünire. den
_________ .. . .. ... .________„.^tsius**. Dem golh. AI näher wird
auch AE für lat. OE geschrieben: caelum haedus maestus und so be-
greift sich caedo neben cüdo. des Tacilus Schreibung Aeslii (s. 719)
stimmt nicht allein zu der angenommnen abkunft des namens aus goth.
aislan, sondern auch zu des Pytheas JQoiiiovtg für Oiavitoveg (wie
xiojirj f. y.ot[i7].) Verdichtetes E für OE wäre dem I für EI analog,
und scheint in der späteren Schreibung des mittelalters, welche hedus
fedus cecus d. i. hödus fedus cecus an die stelle von hoedus foedus
coeeus setzt, und in den romanischen sprachen umzugreifen; gleich-
wol besitzt es auch schon das alte latein in allen schwachen verbis
* die Vermittlung der hegrilfe lehrt Su/co, ich gehe, fahre hindurch, und
aviyco, ich trage, halte (wie sich auch halten und haben vertreten.) olfios via
scheint verwandt, vielleicht o’t’aco feram und sogar alts. ehu, das gehende oder
tragende thicr, wofür oben s. 30 goth. aihvus = lat. equus vermutet wurde.
k'yco ist demnach nicht fiir Fiyco = veho zu hallen (Bopp vgl. gr. s. 639) und
man unterscheide von t'yto aig sowol ayco lat. ago, altn. ek ok, sl. vedü (oben
s. 60) als skr. vahämi, zend. vazämi, sl. vezu, lat. veho, goth. viga, wovon o/os
— ahd. wakan (s. 60), so nah sich die Vorstellungen liegen, denn oysco heiszt
auch ich trage, ertrage.
** in der ayssprache mochten Ü und OE (punio poena) an einander grenzen,
etwa wie das niederländische OE den laut U empfängt.
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594
AßLAI
teku curro, takas semita, curriculuu
zalias viridis, zole Iierba. wedu duco
dzioti ducere. neszu fero, naszta oni
A rein durch: tan tendere tatana, val
zämi; sad sedere, sasada sedi; svap (
macht mir wahrscheinlich, dasz das g
u. s. w. eher dem skr. A gleich steh
in vielen andern fällen dem A entspri
Dem ablaut A 6 unsrer dritten <
0 und H gleichzustellen, wie ahd. m
mäter fräter, gr. fnqxrjQ (fQüxrjQ, zuir
lehren; man vgl. ferner lat. räpum i
lat. fägus gr. cprjyog goth. böka, gr.
ags. möna, goth. mena, ahd. mäno.
zu ahd. fano, ags. fona und verschied*
857 fön (s. 847.) skr. käs tussire, litth.
böhm. kasel, pbln. kaszel; skr. jära
gramm. 2, 42 vermuteten haran hör r
zweiten conj. fi und 0 scheinen auch
ligt. In der lat. schwachen conj. ents
z. b. in piscäri piscätus : fiskön fiskö[>s
ich blosz lat. lavo lävi, caveo cävi, fav
alo hat alui, käme es mit alln. ala öl
mttste es lauten alo Ali. gr. &uXXto i
rafiev flvyoxio.
Das goth. EI AI I vierter conjugr
schem EI 011, wodurch zugleich das
theoretische UI gerechtfertigt scheint.
AE und goth. AI in ai'&cov ignis goth. aids, ags. Ad, ahd. eit (vgl.
Al'xvrj lat. Aetna.) in Ol ist O an die stelle von A getreten, wie
wir vorhin gr. o =» goth. sa erblickten, ei'dw otda l'dfiev deckt sich
mit goth. veita vait vitum, und olod-n mit vaist. at(S<o uuidog. Xeinco
XiXoma i7.mof.tev — leiba laif liburn, welches aus laifs Kotnog zu fol-
gern. goth. leiha laih tailuun weist auf ein fehlendes öetxa) dtdoixa
edixofiev, wovon deixvvfti übrig ist. goth. leiga laig ligum, dessen
schwache ableitung laigö allein vorkommt, würde ein gr. Xet'/to Xe-
loiya eh/Ofiev darthun. er/.e 11. 18, 520 vidchatur, \orxa videtur.
xeiftiu und xoifiuw gehören dem ablaut und begriffe nach zusammen,
xiofii], der ort wo die leute schlafen, ist Verengung, von xoifii], aber
dem litth. kiemas vicus, wie dem goth. haims alln. heimr entsprechend,
so dasz die volle forme! heima haim himum wäre, hfiog (mit i, frü-
her Xtiftog) fames und Xoifiog pestis; vgl. alln. sultr f. svellr fames,
goth. sviltan mori, svulls mors, ntifho netoto nenoiSa eniHov. öeidio
dlÖiu Sedoixu. auf fielyw fie/ioiya — goth. meiga maig weisen
dfilyco und fioiyog, vgl. oben s. 305 und vorhin haran hör. OTtiyw
oxoTyog ortyog. xtiyog murus, moenia, xoTyng murus, paries, wozu
auch xtyvTj kunst, baukunst gehört, das für xtlyvrj gesetzt scheint
llAA»
ABLAUT
595
in unsrer spräche gleich ahd. dich fossa, vallum, piscina, wofür man 858
aber ags. Juc, nicht die erwarten sollte, wie xt/vrj für xeiyvt] (oder
altn. flestr für fleislr, nletoxog) steht nun auch t/co für iiyco, dessen
imp. e?/ov augmentiert ist, wie tinov von tnw, mit el/io aber knüpft
sich der ablaut oY/o/uat, dem genau das AI des goth. aih und aigum
entspricht*, ä/net'ßto u/notßrj, tnaf.iei'ßco inaf.ioißog. /uetgo/iiui f.it~
pog /hoiqu. nXti'co nXeiug nXoTov. nvil(x) nvoil] (vgl. nvt(o nvoi/
nach zweiter conj.) iTg läszt sich, doch besser oiog für olvog (s. 241)
zu goth. ains halten und das lillh. wienas hat IE, wie vorhin in kie—
mas. Einigemal steht gr. Ol nicht dem goth. AI, sondern EI gegen-
über : oixog veihs; oivog vein; in noiy.lXog aber faihs ahd. föh. gr.
EI schwankt in das E zweiter conjugation, wie dort xeivco Ivti/ua
yiiyo/nat (pdn'yco und hier l'yco rt/vrj nvko und /utgog zeigen, dem
griech. oxilga entspricht lat. sterilis mit kurzem, goth. stairö mit ge-
brochnem vocal.
Wichtig wird hier das lat. lautverhältnis Ü OE I = goth. EI AI
I, was dem s. 845 gefundnen UI für EI neue bestätigung bringt; das
verdichten in Ü ist leicht zu begreifen, da coelum dem gr. xoiXrj caeXu'm
und altn. heili (s. 681), coecus dem goth. haihs, hoedus dem goth. ratcM
gait entspricht; so scheint pünio in poena, münio in moenia abzulau-
ten, und lat. Onus weniger olog als tlg, communis weniger das goth.
gamains, als ein nicht bestehendes gameins. doch ist auch spüma
ahd. feim, ags. fäm, südor ahd. sueiz, ags. svät, man nehme es dann
für svoedor. Auszcr dem Ü erscheint aber in einzelnen wölern I,
welches genau dem ahd. ags. altn. I entspricht: fides fidus lauten ah859
in foedus; civis ist goth. heiv, ags. hiv; vinum goth. vein, ahd. win;
so rechtfertigt sich ahd. pinön trucidare, trihulare aus lat. pünire. den
Sabinerm hiesz der lat. Liber Loebasius**. Dem goth. AI näher wird
auch AE für lat. OE geschrieben: caelum haedus macstus und so be-
greift sich caedo neben cüdo. des Tacilus Schreibung Aeslii (s. 719)
stimmt nicht allein zu der angenommnen abkunft des namens aus goth.
aistan, sondern auch zu des Pytheas ^Qaiuoveg für Olaxlwvtg (wie
xco^iri f. yoi/,17].) Verdichtetes E für OE wäre dem 1 für EI analog,
und scheint in der späteren Schreibung des miltclalters, welche hedus
fedus cecus d. i. hfidus f^dus eßeus an die stelle von hoedus foedus
coecus setzt, und in den romanischen sprachen umzugreifen; gleich—
wol besitzt es auch schon das alte latein in allen schwachen verbis
* die Vermittlung der begriffe lehrt Sttyjo, ich gehe, fahre hindurch, und
aviyco, ich trage, halte (wie sich auch halten und haben vertreten.) oiftos via
scheint verwandt, vielleicht oioco feram und sogar alts. ehu, das gehende oder
tragende thier, wofür oben s. 30 goth. aihvus = lat. equus vermutet wurde.
syco ist demnach nicht für Fiyca = veho zu hallen (Bopp vgl. gr. s. 639) und
man unterscheide von eyco aig sowol ayco lat. ago, altn. ek 6k, sl. vedu (oben
s. 60) als skr. vahitmi, zend. vazümi, sl. vezn, lat. veho, goth. viga, wovon oyos
= ahd. wakan (s. 60), so nah sich die Vorstellungen liegen, denn oysco heiszt
auch ich trage, ertrage.
** in der aussprache mochten Ü und OE (punio poena) an einander grenzen,
etwa wie das niederländische OE den laut U empfängt.
38*
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m
rjt
596 ABLAUT
auf -ere, wie das goth. AI ausweist, wovon näher cap. XXXIV. Den
kurzen urlaut I kann ich nur in video aufzeigen, das mit vitum und
Yd[itv parallel steht, wie das i in vidi mit Ei in veita und tYdw, dem
Ai in vait, Ol in olda entsprechendes hat das latein nichts; gerade
so ist I in dico dicare, l in dico dicere, nichts dem goth. taili glei-
ches. aber video vidi gleicht dem caveo cävi wie goth. vitum vait
dem faran för. Überhaupt zeigt die gesamte lat. spräche keine Wur-
zel, durch welche die formel Ü (i) OE I lebendig waltete.
Im sanskrit sehn wir dem goth. EI AI I gegenüber i £ I, was
völlig gleich käme der alts. besyüchnung dieser laute, E heiszt guna
von I, d. h. es ist AI und entspringt durch ein dem I vorgetretnes A.
zu olda Yd [.uv, vait vitum stimmt vollkommen vöda vidima (praes.
vödmi vidmas), doch kein I zeigt sich in diesem verbum, wie eigent-
lich auch gr. tldto und goth. veita (in solchem sinn) nicht vorhanden,
blosz zu füllung der formel anderswoher entnommen sind. skr. emi
pl. imas hat hingegen gr. ei[u pl. Y[iev sich zur seite, d. h. t?[it steht
860 für oi[ii. auch *im skr. phöna, sl. pjena, litth. pienas darf sich E dem
goth. AI vergleichen, wenn man aus ahd. feim, ags. fäm ein goth.
faims schlieszen mag. bhid lindere ist das goth. bltan, und hat im
praet. bibheda pl. bibhidima. mögha nubes weist neben dem gr.
0[iiy\7] und litth. migla auf die Wurzel migh, welcher das altn. miga
meig, lat. mejere mingere und das goth. maihstus, vielleicht auch
milhma nubes gehören, was nach Bopp Umstellung von miglma maihlma
ist. hingegen svötas ist goth. hveits, döha vielleicht goth. leik (s. 354.)
für lat. aes, goth. ais gilt skr. ajas, ungefähr wie goth. mais zu ma-
jis, lat. magis, und goth. aikan, ahd. gehan zu lat. ajere sich ver-
halten.
Dem goth. IU AU U fünfter conjugation zunächst treten wieder
die gr. EY OY Y, doch verengen sich EY in langes Y, OY in S2-,
aber vollständig entfaltete verba beibringen kann ich nicht, ytvco (ge-
wöhnlich schon ytio) yevato xt'yvxa tyvoa gleicht dem goth. giuta
gulum, yovg (ahd. guzfaz, nhd. gieszfasz) wird gedeutet aus ydog, aber
ovg ist offenbar goth. ausö. nvevio (gewöhnlich nvtto) nvtvooi nt-
nvtvx.a ntnvv[iou und davon nvovg flatus f. nvoog. (ptvyio ntiptvya
nitpvy[iai, doch der volle ablaut sollte formen wie xtyovxa ntnvovxa
ntcpovyu zeigen! xtv&o) xtvcrio xtxtv&u i'xv&ov xvd-og. nev&w
notitia, ntvd'0[iai ntnvo[iui tnvd~6[iriv. dio) f. qevio, qsv[iu qev-
oig Qvcug. Xtvxog stellbar zu goth. liuhadeins und lat. lucidus, ntvxrj
zu ahd. fiohta, uvq zu ahd. fiuri und lat. pilrus, dqvg zu triu, xXvfh
xlvre zu ahd. hlosö hlosöt!
Im latein D AU U, doch wieder nicht in einem verbum aufzu-
weisen, nur aus einzelnen Wörtern zu gewinnen, auris entspricht dem
goth. ausö, litth. ausis, augeo dem goth. auka. fugio fflgi dem gr.
<ptvyio, düco dem goth.” tiuha, und wie neben dico ein dico, so neben
düco ein duco in educare; fugio filgi analog dem video vidi, caveo
cävi. das verengen von plaudo in plödo gleicht dem des goth. baud
in ahd. pöt. claudo (ahd. sliuzu) nimmt an reclüdo inclüdo.
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M
ABLAUT
597
Im sanskrit Ü Ö U, wiederum gleich dem alts. ablaut lüku 16k
lukun. 6 ist guna des U, folglich AU und dasz es ursprünglich so 861
ausgesprochen wurde lehrt die heilige formel 6m — aum, welche mit
den drei huchstaben A U 31 die göttliche trinität Brahma Vishnus Si-
vus ausdrückt (Bopps gloss. 61a ). die Wurzel bhudsch flectere bil-
det ihr praet. bubhödsch => goth. biuga baug bugum, die wurzcl rud
plorare ruroda = ahd. riuzu roz ruzum, die wurzel budh novisse bu-
bodha. im litth. raudoti llere rauda fletus erscheint der zum goth. AU
stimmende diphlhong.
Die Untersuchungen dieses capilels haben das ergehnis, dasz der
ablaut in unserer spräche dem wesen und der natur des vocalismus
am treusten bleibt und eine gewaltige regel aus ihm entfaltet, die in
den urverwandten sprachen bedeutsame Vorzeichen ankündigen; dasz
zwar die deutschen laute den lateinischen zunächst treten, aber die
griechische spräche vor allen andern in vorneigung zum ablaut mit der
unsrigen grosze gemeinschaft zeigt.
Wenn häufig in deutscher spräche einzelne nomina im ablauts-
verhältnis stehn, ohne dasz verba dazwischen wallen; so bin ich nicht
gemeint, immer den bestand einer wirklichen verbalform aus der for-
mel zu folgern und zu behaupten, die spräche ist so von dem ab-
laut durchdrungen, dasz, könnte man sagen, einzelne Wörter von selbst
in ihn rinnen, zum beispiel das ahd. ahsa axis, alisala axilla und
uochasa ascella sind sich unmittelbar verwandt, doch gab es vielleicht
nie ein verbum ahsan uohs, so genau dies gebildet wäre wie wahsan
wuohs. nicht anders steht dem goth. asts, ahd. ast ramus das altn.
öst arteria aspera, ags. öst nodus, squama, alts. öst nodus in ligno*
zur Seite, ohne dasz man berechtigt würde schon ein astan uost auf-
zustellen.
Diese herschaft der ablaute wird sich noch viel weiter ausgedehnt 862
zeigen, ihr geselz waltet zwar wesentlich mitten in den wurzeln, allein
es äuszert auch merkwürdigen, der beobachtung bisher entgangnen
einflusz auf die Ilexionen und wortableitungen. Im allgemeinen sei hier
blosz angekündigt, dasz wie die kurzen vocale basis der aufsteigenden
ablaute sind, auch in der verbalen flexion kurzer vocal den indicativ,
in der nominalen das masculinum, langer hingegen dort den conjunc-
tiv, hier das femininum behersche.
Welcher Zusammenhang zwischen ablaut und einem andern bil-
dungsmittel der spräche, das er zu begleiten pflegt, obwalte, soll das
nächste capitel ins licht setzen.
* im gedieht von der Socster ^felide (1445 — 1447) s. 591. G48. 671. 700
die redensart 'hoggen op einen ocst’ (‘.Soest), auf einen knoten im holz hauen,
d. h. Schwierigkeiten finden, in einem lied auf die Hildesheimer Stiftsfehde
(1519) s. 194 hauwen up den quast’, mit derselben bedeutung.
4k Xk 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4*. 4k4*.4k4k4k4k4k4k4k1
t
XXXIII.
DIE REDUPLICATION.
863 Wie der einfache vocal durch vorlritt eines andern guniert oder
diphthongiert wird und wie dann die wurzel ablautet haben wir ge-
sehn; dem sprachgenius steht aber noch eine aushülfe zu gebot: er
läszt den anlaut der wurzel selbst vortreten und sich doppeln, das
wort wird gleichsam erst schwächer und zur hälfte angeschlagen, um
dann nochmals desto voller und vernehmlicher zu erschallen.
Am nachdrücklichsten wirkt diese Verdoppelung, wenn nicht das
halbe, sondern ganze wort sich selbst vorangeht z. b. im ahd. sösö
(goth. svasvö), dohdoh, lat. quamquam u. s. w. unsere spräche liebt
es, nach dem grundsatz der ersten und zweiten reihe des ablauts,
dem Alaut einen I oder Ulaut vorher zu schicken, sei es in losen oder
zusammengefügten Wörtern, z. b. blicken blacken Helbl. 3, 317; tim-
pen tampen Tit. 190; enplipfes und enplapfes Helbl. 3, 364; wigen
wagen; gugen gagen; glunken glanken; singsang; Wirrwarr; noch meh-
rere sind gramm. 1, 562 gesammelt, aus welchen allen man einen
schlusz für den höheren rang des A ziehen könnte, insofern die laute
der vorangestellten Wörter oder silben nur eine zweite, schwächere
potenz zu enthalten scheinen.
Solche volle Wiederholungen sind jedoch zu lebhaft, um anders
als sparsam in der rede verwandt zu werden, und ungeeignet einen
wolthätigen hebel der Ilexion, der allenthalben auftreten musz, zu be-
864 gründen, die spräche ist ihrem innersten wesen nach haushältig und
zieht was sie mit geringen miltein erreichen kann jederzeit gröszerem
aufwand vor.
Angemessener in diesem sinn scheinen demnach subslantiva ge-
bildet, welchen es genügt einen theil der wurzel vorauszusenden, ein
merkwürdiges altes beispiel ergibt das ahd. wiwint turbo (Gralf 1,
624), das ich in goth. vaivinds übertrage, und gerade denselben be-
grif drückt auch gr. XuTlaxp, von der wurzel Xu/ußuvio tlußov luxpov-
[xai aus, das wort wird durch die doppelung intensiver und erreicht
die Vorstellung des stürmenden Wirbelwinds; auch juuT/uag von
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REDUPLICATION 599
f.t(ko uaifxdaato enthält sie*, alul. fifaltra fifaltara, noch heute in
Oberdeutschland feifalter pfeifalter, ags. fifealde, verderbt in fiffalde,
uni. vijfwouter scheint minder dem lat. papilio, prov. papalho parpalho,
lomh. parpalia, it. farfalla nachgeahmt, als das urverwandte, vortrefflich
erfundne wort, weil der Schmetterling seine Hügel faltet und entfaltet
und wie ein zeit auf und zusammen schlägt; vielleicht wurde dieser
name des zelts eher von dem thicr entnommen, als umgekehrt, nicht
zu übersehn, dasz unsere spräche auch alle Schmetterlinge einfach fal-
ter zwiefalter lagfalter nachtfalter nennt, wahrscheinlich gehört zu
papilio noch das gr. rjnlaXog jjm'oXog Schmetterling, alp und fieber,
dessen Ursache man dem geisterhaften thier beilegte (mythol. s. 1107.)
das altn. fidrildi, schwed. fjäril weicht aus in die Vorstellung eines
staubgefiederten vögleins.
Im latein zeigen sich mehr solcher wollautenden na men, zumal
für thiere, und es kann dabei onomatopoeie mitwalten, das zirpende
heimchen (ahd. heimili, muhheimo) heiszt cicäda, wie rixri% zu stehn
scheint für rexQiig; der klappernde storch ciconia, der rufende gauch
cucillus, gr. xoxxv'g, skr. kökila, poln. kukawka, serb. kukavatz kuka-
vilza; deutsche Volkslieder des 16 jh. haben gutzgauch, gleichsam den
gugelzenden vogel. noch heute sagen wir für gans gigak, für schnat-
tern gigaken (Schiller schrieb gagaken.) der glühwurm heiszt lat. 865
cicindela, worin candela steckt. Aber noch auszer thiernamen redu-
plicieren andere schall und bewegung ausdrückende Wörter; in der
Schweiz ist gigampfe Schaukel und gigampfen schaukeln, bekannter
sind die lat. susurrus, cincinnus, tintinnum und tinlinnio.
Aber die griechische spräche entfaltet auch in diesen beziehungen
eine solche fülle, dasz ich beispiele nur anrtihren kann und auf andere
arbeiten verweisen musz**. die adjectiva öuidaXog kunstfertig, nai-
nuXog steil führen auf participia Suiöukoetg ncunaXoeig, also auf die
verba öouöüXXco namdXXio, in welchen aber die Verdoppelung durch
das ganze verbum reicht, wie im lat. susurro, titillo, titubo. gr.
ntQneQog lat. perperus mögen sich berühren mit noQcpvQa lat. pur-
pura, vielleicht mit der neugriechischen IIvQni]QOvva (mythol. s. 561.)
Reduplication scheint ferner das lat. memor, memoro, memoria, wozu
ags. mimor meomor gemimor und irisches meamhair memoria bedeut-
sam stimmen; gehört dahin /.uf.ieof.iat, Mi/uag und der göttliche Mimi
unsers alterthums (mythol. s. 352), so gliche dieser wie im begrif
auch in der namensbildung dem gr. zluidaXog.
Man darf erwarten, dasz ebenwol im sanskrit eine fülle solcher
bildungen vorhanden ist, z. b. vivadha bedeutet weg und zugleich pferd
(vgl. oben s. 858); viväha nuptiae, vivähja gener; tiltiri xexQiig oder
texQutov, litlh. teterwa; pippala ficus religiosa u. a. m.
* Zeus liiesz [mifiaxxrjs (oben s. 76), der Wirbelwind, wie Ziu und Phol
turbo (mythol. 184. 262. 599); Wuotans wildes beer fährt zur zeit der herbst-
stiirme im monat Mai/uaxrrjgicov.
** Heinebach de graecae linguae reduplicatione praeter perfectum Gissae 1847
sammelt reichlich und prüfend.
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600
REDUPLICATION
j Skv. et,,*,«,
»rv
Reduplication im eigentlichen verstand ist vorhanden, wenn sie,
gegenüber der einfachen gestalt des praesens, das praeteritum aus-
drückt. wie der ablaut gegen den vocal des praesens absticht, hebt
die Wiederholung des wurzelanlauts den begriT der Vergangenheit
heraus.
Unter den deutschen sprachen gibt fast nur die gothische re-
duplicationen kund; in allen übrigen sind sie verwischt und ver-
wandelt.
866 Durehgehends hat die gothische reduplicationssilbe den diphthon-
gischen laut AI, über den man sich nicht durch das lat. und griech.
E [an derselben stelle irren lasse, f was die consonanz betrift, so kann
kein zweifei obwalten, wenn die Wurzel mit einfacher anlautet, von
mehrfacher consonanz geht nur der erste buchstab in die reduplica-
tion, d. h. von HL SL BL FL J)L BN PR FR GR nur 11 S B F J) B
F Au# G P F G; doch haften die festeren Verbindungen SP SK ST und IIV,
'vföfeT ^ letztere fast nothwendig, weil dafür in der schrift das unauflösbare
lGtjk£Y \ Zeichen 0 dient.
' '/ ' Wichtig ist nun das Verhältnis der redupliciercnden verba zu den
ablaulenden: reduplicieren können nur solche gothische wurzeln, deren
vocal einem ablaut des praet. entspricht; kein reduplicierendes goth.
verbum hat den vocal des praesens der ablautenden.
Hiernach ergeben sich vorerst fünf reduplicierende conjugationen,
den fünf ablautenden parallel.
I. halda haihald haihaldum haldans. valda vaivald vaivaldum val-
dans. gastalda gastaistald gastaistaldum gastaldans. salta saisalt sai-
saltum saltans. fal{)a faifalj) faifal|)um falj)ans. usatya (senesco) usai-
al|) usaial|mm usalfwns. pragga paipragg paipraggum praggans. blanda
baibland baiblandum blandans.
II. faha faifah faifahum fahans. haha haihah haihahum hahans.
mutzumaszen vielleicht ara aiar aiarum arans, neben dem schwachen
arja arida. langes £ des pluralablauts hat slöpa saizlöp saizlöpum sle-
pans und vermutlich auch ldösa baibles baiblesum blösans.
III. hvöpa hvaihvöp hvaihvöpum hvöpans. blöta baiblöt baiblö—
tum blötans.
IV. afaika afaiaik afaiaikum afaikans. laika lailaik lailaikum lai-
kans. ga|)Iaiha ga])ai{>laili gal)ai{daibum gajdaihans. skaida skaiskaid
skaiskaidum skaidans. haita haihait hailiailum haitans. maita maimait
maimaitum maitans. fraisa faifrais faifraisum fraisans.
V. blaupa haihlaup haihlaupum blaupans. auka aiauk aiaukum
867 aukans. flauta (superbio) faiflaut faiflauluin flautans. stauta staistaut
staistautum stautans. wahrscheinlich auch bauta (tundo) baibaut bai-
bautum bautans.
Das einzige slcpan und blösan befremdet, sie tragen den plural-
ablaut slipa slap slepum, blisa blas blesum zur schau, ebwol kein
reduplicierendes verbum auf U, I, U mit den pluralablauten der ersten,
viert en, fünften reihe gebildet erscheint, vielleicht ist dem slßpan alul.
släfan analog, dasz goth. fahan und hahan ahd. fähan lauten.
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REDUPLICATION 601
Es sind aber auszerdera noch drei reihen anzusetzen, welchen
eigen ist, der reduplication den ablaut Ö zu gesellen.
VI. flöka faiflök faiflökum flekans. teka taitök taitökum tekans.
reda rairöj) rairödum rödans. gröta gaigröt gaigrötum gretans. löta
lailöt lailötum lötans. bedenklich scheint das aus der unsichern les-
art saisvör Marc. 6, 19 gefolgerte svöran insidiari, und durch keine
analogie gestützt, denn ags. servian, ahd. sarön würde allenfalls auf
sarvan saisarv nach I führen, vgl. goth. sarva machinae.
VII. laia lailö lailöura laians. saia saisö saisöum saians. vaia
vaivö vaivöum vaians. zu vermuten auch faia ({iff-Kpo/ucu) faifö fai—
föum faians und maia (meto) maimö maimöum maians.
VIII. baua baibö baiböum bauans. bnaua baibnö baibnöum
bnauans, welche beide noch des helegs fürs praet. ermangeln, baua
baibau nach V ist so wenig annehmbar, als saia saisai gilt; auch schei-
nen VII und VIII gerade vocalisch ausgehende wurzeln zu enthalten,
deren AI und AU des aufschlusses bedarf und dem in IV und V un-
gleich ist. hauan haihö fehlt bei Ulfilas durchaus, er verdeutscht
Ö£quv durch bliggvan oder slahan.
Von den übrigen deutschen sprachen gewährt, wie schon s. 661
gesagt wurde, die ags. unverkennbare Überreste der reduplication, doch
nur in vier Wörtern, die ich in Andr. und Elene aufgewiesen habe:
lace leolc leolcon läcen; hätan hebt höhton bäten; loete leort leorton
beten; nede reord reordon raeden und ebenso ondraede ondreord on-
dreordon ondraeden. wer sieht nicht in leolc höht reord zusammen-
drängungen von laeläc liaehät raeröd = goth. lailaik haihait rairöd? ent-
stellter ist leort, vielleicht nach analogie von reord? aus laelöt leolt, 868
welche letzte form angemessen schiene; immer sind es noch die wur-
zelhaften anlaute L H R, die mitten im praet. auftauchen, man dürfte
andre mehr rathen, für feallan ein altes feofell, für heävan lieoho,
für sävan (serere) seoso, für mävan (metere) meomo, für graetan geort
=■ geogret, doch die Verengung kann verschiedncn weg eingeschla-
gen haben.
Im ahd. bietet sich bei Kero (ed. Ilattemer p. 57) dar piheialt,
das noch nahe hegt an plheihalt = goth. bihaihald; warum sollte die
ältere spräche nicht auch heiheiz, leiläz, meimeiz = haihait, lailöt mai-
mait besessen haben? jenes wichtige fifaltara läszt ein ahd. fifalt fei-
falt <= goth. faifaljv vermuten, das keronische heialt ist schätzbar auch
darum, weil es ahd. EI an der stelle des goth. Al zeigt, und uns des
echten diphthongs nochmals versichert.
Weitere spur hat die altn. spräche, sie bildet von röa remigare
ein praet. reri, von söa serere seri, wo die ags. spräche rövan reov,
sävan seov bietet, man weisz nicht, wie die Gothen rudern ausdrück-
ten, röan oder raian? das praet. unbedenklich rairö, welches im altn.
reri übrig ist; seri aber steht für sesi seso = goth. saisö, und selbst
das lat. sero scheint aus seso entsprungen, folglich reduplicative form.
Aber nun musz auch altn. gröa virere praet. greri, ags. grövan greov
ein goth. gröau gaigrö sein, während nüa neri dem goth. bnaua baibnö,
^5
y>le.Yu^
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IIU
602
REDUPLICAT10N
allein snüa sneri dem blosz ablautenden snivan snau gegenüber liegt,
gnua fricare praet. greri scheint gleichviel mit nüa*. aus snivan snau
könnte sich reduplicierendes snauan saisnö entfaltet haben?**
869 Nun fragt es sich vor allem: was ist aus den golh. reduplicie-
renden Wörtern geworden, seit ihre eigenlhümliche form erlosch?
Statt des ags. lieht leolc leort reord stellt sich bald hßt lßc let
rßd ein, statt des ahd. heialt hialt (vielleicht erst hialt, wie fifaltara?)
und hßlt, und in allen übrigen Wörtern berscht, ohne spur des redu-
plicierenden consonanls, ein diphthongischer, wie cs scheint, zusam-
mengedrängter vocallaut, ags. EO oder £, ahd. IA IE oder £: ags.
heold — haihald, veold = vaivald, feng == faifah, sceod — skaiskaid,
hleop = haihlaup, slßp == saislßp, let = lailöt, grßt = gaigröl; ebenso
ali'd. hialt wialt fiang sciad bliaf sliaf plias liaz, oder auch: healt wealt,
oder hßlt wölt fßng. Also scheint der schlusz gestattet: wie löc auf
leolc lailaik, heit hialt auf heialt heihalt haihald zurückführen, setzt
auch in allen übrigen die verengte form eine immer weilere und ur-
sprünglich reduplicierende voraus.
Einigemal bietet Notker, der sonst liez hielt hieng scied u. s. w.
mit IE schreibt, IU, nemlich liowen hiu hiuwen und loufen liuf liufen ;
wirkte hier das U des diphlh. AU OU in haihlaup haihlaupum nach?
oder das 0 im vermuteten haihö hailiöum? Tatian gewährt hio liof
und von ruofan riof, von wuofan wiof, neben liez hielt, während bei
Olfried liaz hialt zu liaf riaf wiaf stimmen; wissen möchte ich, ob
dieser von howan gleichfalls Ina bildete? Noch mhd. dauern solche
unterschiede: hiu Nib. 2221, 3 hiuwen Nib. 2215, 1 und liuf Nib.
877, 3 in C, liufen Er. 2447, neben hiew Wh. 392, 16 hiewen und
870 lief liefen bei den meisten***, und von ruofen finde ich blosz rief
riefen; kaum noch darf man zu bouwen und nouwen ein starkes hiu
und niu erwarten.
Aus gleichem gründe steht den altn. falla fßll, halda heit, hlanda
blett, ganga geck, hanga heck, sveipa svßp, heita hßt, leika lßk, grata
grßt, lata Ißt, bläsa bles entgegen hlaup hliop, ausa ios, höggva hio,
bua bio, und blßs neben ios bestätigt mir den angenommnen unter-
schied zwischen golh. baiblßs und haibö =* altn. bio, haihlaup = altn.
hliop, ahd. liuf, obschon gaigröt lailöt altn. grßt Ißt lauten, ahd. liaf
und liuf, mhd. lief und liuf schwanken.
* die gewohnhcit« dieser praeterita seri sneri gneri reri scheint auch unor-
ganisches freri congelavit für fraus und sleri percussit für slö herbeigeführt zu
haben, sleri steht fornm. sög. 10, 394 und der pl. slöro 10, 403.
** Völuspä bietet Strophe 6. 9. 27. 29 in Rasks ausgabe die wiederkehren-
den zeilen:
l>£t gengengo regin öll ä rökstola
ginnheilög god ok um pat gettuz,
was mich gramm. 1, 916 an reduplication denken liesz, obschon eher gegängo
zu erwarten wäre; wahrscheinlich aber ist gengengo bloszer Schreibfehler (Munchs
ausg. s. 185) und gengo zu lesen.
*** hiu liuf könnten schwäbisch scheinen, hie (hiew) lief bairisch; nhd.
hieb lief.
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KEDUPLICATION
603
Noch etwas anders verhalten sich die ags. feallan feoll, veallan
veoll, healdaa heold, hleäpan hleop, vöpan veop, rövan reov, heävan
heov, blävan bleov, sävan seov, mävan meov zu spannan spenn, blan-
dan blend, fangan feng, hätan het, läcan 16c, slaepan slep, graetan gret,
laetan 16t, ondraedan ondröd. batten aber 16c 16t r6d früher leolc leort
reord, so scheint ihr vocal unabhängig von dem des praesens.
Im nhd. hat sich überall IE eingesetzt, nicht blosz in hielt gieng
fieng hieng (unhochdeutsch ist ging fing hing) hiesz schlief rieth, son-
dern auch in hieb und lief.
Man könnte darauf verfallen, dasz diese ahd. IA, mhd. nhd. IE
der praelerita nicht aus zusammendrängung älterer reduplicalion ent-
springen, vielmehr einen eignen ahlaut bilden; gerade fand die tlieo-
rie s. 849 eine lücke, die sich hier zu füllen schiene, dem A und
() zur seite stehn sollte A und E, und wie Ö aus UA gienge E her-
vor aus IA, nach analogie des goth. f6ra h6r = ahd. fiara hiar. ahd.
lallan fial, haltan hialt, salzan sialz wären also nicht vergleichbar dem
goth. haldan haihald, saltan saisalt, sondern entsprossen aus reinem
ahlaut, so gut wie stanlan stuont, waskan wuosk? Diese ansicht hätte \
allen schein, wenn blosz A, IA erschiene, schwindet aber vor dem
bedenken, dasz auch ahd. EI, IA; Ö, IA; Ä, IA gelten, deren IA un-
möglich ahlaut von EI Ö Ä sein kann, und noch mehr davor, dasz
die historischen, auf Verengung zielenden Übergänge, wie sie heialt,
hebt leolc leort reord an hand gehen, für nichts geachtet werden müs-
ten. Es bleibt also dabei, dies IA ist aus dem zusammendruck der871
reduplicalionssilbe entsprungen*.
Ohne die gothische reduplicalion würde freilich niemand geahnt
haben, dasz ein so wirksamer hebel der verbalflexion auch in der
deutschen spräche walte und die IE unsrer heutigen praeterita nur aus
ihm zu deuten seien.
Es fällt auf, dasz er den slavischen und lilthauischen conjugatio-
nen gänzlich abgeht, zwar redupliciert auch kein keltisches praeleri-
tum, merkwürdig aber ist, dasz zuweilen aus irischen intransitiven
transitiva mit reduplicalion geleitet werden, z. h. freagh ich antworte,
fiafraigh ich mache antworten, frage; reagh ich walle, riaraigh
ich theile aus; claidh ich grabe, ceachlaidh ich zerstöre; mair
ich lebe, meamhair ich mache bleiben, erinnere mich** (vgl. me-
mor s. 865); dieser zug hängt offenbar zusammen mit der Zeu-
gung deutscher transitiva aus dem ahlaut intransitiver (s. 850.)
Überhaupt aber scheint die reduplicalion dem neuen sprachgeist immer
weniger zuzusagen, wie uns die gothische, den Romanen die latei-
nische reduplicalion erloschen ist, zeigt sich die lateinische und golhi-
sclie seihst schon als eine in abnahme und aussterben begriffene form,
doch
* auch Bopp stimmt zu, vgl. gramm. s. 833. es sei erinnert an das ahd.
priestar, ags. preost aus presbyter, ahd. fliedima mhd. flieme aus phlebotomum
(gramm. 1, 188.)
** Leo in Haupts zcitschr. 3, 531.
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und erst aus dem griechischen und sanskrit vermögen wir ihre durch-
greifende macht zu erkennen. Selbst die Neugriechen haben sich der
reduplication und damit des alten praeteritums entäuszert.
Die lateinische zählt nur noch einige zwanzig verba, während die
gothische, wäre uns ihr umfang vollständig bekannt, mehr als doppelt
so viel besitzen würde.
Aber der im golhischen einförmige reduplicationsvocal hat im la-
tein günstige manigfalligkeit. doch niemals lautet er A, sondern schwa-
ches E erscheint, wenn die wurzel A oder selbst schon E führt; pa-
872 rio peperi, fallo fefelli, pario peperi, pedo pepedi, pendo pependi, pen-
deo pependi, tendo tetendi, cano cecini, auf mano führt memini, cado
cecidi, pago pango pepigi, tango tetigi. I, 0 und U bleiben, wo sie
in der wurzel sind: scindo sciscidi (nachher blosz scidi, in der alten
gestalt dem goth. skaiskaid ähnlich), disco didici f. didisci, posco po-
posci, spondeo spopondi f. spospondi, tondeo totondi, mordco momordi,
curro cucurri, «pungo pupugi. nur pello bekommt pepuli, nicht pepelli
und statt cucurri galt, nach Gellius, auch cecurri. aus tuli latum f.
tlatum ist ein verlornes tello tetuli oder tollo tutuli zu schlieszen? vgl.
tollo sustuli. caedo hat cecidi. für E und 0 mögen ältere A ge-
golten haben, z. b. für peperi ein papari, für momordi ein mamardi.
do dedi und sto steti sind keine reduplicationcn, wie das nächste ca-
pitel darthun soll.
Von groszer ausdehnung ist die griechische reduplication, da sie
nicht nur jedes praeteritum act. med. und pass, bilden hilft, sondern
auch in alle modos reicht bis in die participien, welche lat. und go-
thisch nie reduplicieren, und wie die goth. spräche überhaupt kein
praet. imperat. oder infinit. auszudrUcken vermag, ist auch dafür von
keiner reduplicationsform die rede; dem latein stehn wenigstens die
praet. inf. pepulisse cucurisse u. s. w. zu diensten. Nur der latei-
nische vocalwechsel in der reduplicalionssilbe gebricht der griech. con-
jugation, welche, wie die gothische Al, für consonantisch anlautende
verba durchgehends E verwendet und diesem die media oder tenuis
des Stamms vorlreten läszt; lautet er auf aspirata an, so wird ent-
sprechende tenuis wiederholt, um der härte zweier aspiraten auszu-
weichen (s. 361.) Dagegen hat die griech. spräche, namentlich für
die starken verba, im geleite der reduplication häufig ablaut: ntf-inM
ntno/ucpu, ntQdto ntnoQd-a, dtgxco dlÖOQxa (warum nicht jutXmo
/ue/noXncc?), ytvco ytyovu, /utvio f.it(.iova, TQtqto zlzooqu, Santo
TtihjTia, SaXXro TtdrjXa, Xtlnto XeXoina, ntiSco ntnoid'a, nur bei
cpevyio nttptvya, xevSco xtxzvSa nicht, wo aber mit Sicherheit auf
ein älteres ntcpovya xexovda^ darf geschlossen werden, auch für
jvtztco zzzvna auf ein älteres zezovna.
873 Im sanskrit gilt reduplication beinahe in griechischer allgemein-
heit, dazu lateinischer Wechsel des vocals in der reduplicalionssilbe,
ablaut aber nur in den unsrer vierten und fünften conjugation entspre-
chenden reihen: bhid = lat. lindere fidere, goth. beitan, praet.
bibhöda pl. bibhidima; bhudsch = goth. biugan, praet. bubhö-
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REDUPLICATION 605
dscha fll. bubhudschima; rud <= ahd. riozan, praet. ruröda pl. ruru-
dima; tup = Tvnrtiv, praet. tulöpa pl. tutupima. hingegen die uns-
rer ersten und zweiten conj. vergleichbaren lauten nicht ab’; bandh
ligare, praet. babandha pl. babandhima; mard inordere, mamarda ma-
mardima; tan tendere, tatana tatanima; svap dormire, susvapa susva-
pima; tap urere, tatapa tatapiraa; sad sedere, sasada sasadima. es
gilt aber auch tatäna, tatäpa, sasäda unserm pluralablaut zweiter conj.
ähnlich, wie wenn griech. ntno[.i(fa ytyovu. A enthielten, das in der
Wurzel zu O, im praefix zu E geschwächt wurde? doch gleicht dem
O unser U in bundum, munum.
Es sind aber wichtigere Schlüsse aus diesen Vergleichungen zu
entnehmen.
Am meisten überraschen musz, dasz die fremde, urverwandte
reduplication sich weder im laut noch in einzelnen wurzeln der gothi-
schen anschlieszt, wol aber unsern fünf ablauten: gr. /.iffiora, lat.
inemini ist golh. man, gr. xtxlona, das ich mutmaszen darf, golh.
hlaf, skr. sasada goth. sat, gr. ötdoixu golh. taih, skr. bibhöda golh.
bait, skr. ruröda ahd. röz = goth. raut. Was ist natürlicher als die
annahme, dasz einmal in früherer zeit für man hlaf sat taih raut eine
goth. reduplicierte form galt?, deren vordem vocal ich nicht zu be-
stimmen wage (nur Al wird er nicht gewesen sein), wofür ich hier
versuchsweise I setzen will: miman, hihlaf, sisat, titaih, riraut?* die
vordersilbe wäre abgefallen, wie wir sie ausnahmsweise dem gr. oiöa
und skr. vöda mangeln sehn, welches letztere vollständig vivöda lauten
sollte. Nicht anders entgeht sie aber auch vielen lateinischen praete-
ritis und ein lambo lelibi, facio fefaci (vgl. osk. fefakust), faveo fe-874
fävi, paveo pepävi (wozu das subst. cicäda stimmt), dico dedoeci (wie
coepi auf cecoepi weist), duco didauci wären im hintergrund der
spräche zu erwarten; haben diese lat. praeterita ihre reduplications-
silbe abgelegt, wie lange zeit kann sie den gothischcn schon entzogen
gewesen sein.
Allein der reduplicalionstrieb war darum nicht in ihr verschwun-
den, sondern bedacht sich einen neuen weg zu suchen. Näher zuge-
sehn (s. 866) so tragen unsere reduplicierenden goth. wurzeln gerade
den vocal der fünf ablautenden an sich: halda scheint aus einem hilda
bald, falia aus faiha fah, blöta aus blata blot, haita aus heita halt,
flauta aus fliuta flaut zu sprieszen. Da nun den ablaut, wie wir fan-
den, ursprünglich reduplication geleitete, so kann man sagen, dasz die
gothischen reduplicationen einer zweiten potenz angehören, und ihnen
alte reduplicationen erster potenz vorangegangen sind.
Beide arten der reduplication entfernen sich darin von einander,
dasz die alte auf wurzeln mit kurzem vocal, die neue auf wurzeln mit
langem beruht, dort walten A I U, hier positionslange Wurzelsilben
oder diphthonge. beide streben allmälich nach einsilbigkeit, doch die
* längst hat Bopps Scharfsinn (vgl. gramm. s. 843. 848. 850) diese redupli-
cationen vorausgcsehn, nur dasz er maiman haihlaf saisat taitauh rairaut ansetzen
würde.
. i'pv- *~i ** '
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REDUPLICATION
erste art wirft die reduplicationssilbe fort, die zweite sucht mduplica-
lions und Wurzelsilbe zusammen in eine zu drängen, dort bleibt dem
verkürzten praet. alle manigfaltigkeit des ablauts, hier entspringt ein-
förmiger diphthong. man begreift den grund des Unterschieds; die
kurze silbe konnte leicht aphaeresis erfahren, die lange widerstand und
gab sich nur zur Verschmelzung her.
Die lat. griech. skr. reduplication richtet das aus was unser ab-
laut, d. h. zeugt aus dem praes. ein praet., die gotli. reduplication
hingegen setzt das praet. wieder zurück als praesens, und bildet mit
nochmaliger reduplication ein neues praeteritum. da aber das deut-
sche ablautspraet. in der regel lange silbe hat, nemlich in erster conj.
durch position, in dritter, vierter, fünfter durch natürliche vocallänge,
so steht auch dem neugesetzten praesens diese länge zu, und man
wird begreiflich finden, warum zur reduplicationssilbe der diphthong
875 AI verwendet wird, was einen gegensalz macht zu den kurzen voca-
len der alten» reduplication an gleicher stelle, zugleich entfernt sich
aller zwcifel, den man über die natur dieses Al hegen könnte.
Die einzige zweite gotli. conjugation hat in ihrem praet. sg. kur-
zen vocal und scheint ihn auch in die neue reduplication hinüber zu
nehmen, wenigstens nach dem gotli. faifah und hailiah. doch die nei-
gung zur länge zeigt sich wiederum im ähd. fähan und hälian, wie
im gotli. slepan selbst, das mit pluralablaut gebildet wurde.
Mit demselben fi scheint aber auch die sechste gothische redupl.
conjugation aufzutreten und eines neuen ablauts in 0 fähig geworden
zu sein, dem sich in den übrigen dialecten nichts verwandt findet,
lailöt rairöd haben ahd. ein praet. liaz riat, wie haihait oder saislöp
ahd. hiaz sliaf lauten.
In den vocalauslautigen wurzeln der siebenten und achten conj.
darf man dem Al und AlJ wahre und ursprüngliche natur eines diph-
lliongs abstreiten, bauan z. b. entfallet AU wie der gen. maujös von
mavi, wo die wurzel mag keinem zweifei unterliegt, kann also der
Wurzel bag angehören, folglich das 0 in baibö entsprungen sein wie
in slöjan stauida. nicht anders uriheile ich Uber die andern verba
dieser beiden conjugationen, von denen ich näher zu handeln weiterer
gelegenheit aufspare.
Zwischen beiden reduplicalionen, der alten und neuen, für ein-
zelne Wörter berührung und Übergang nachzuweisen ist schwerer als
es scheinen sollte, golh. flauta ntQneQivoiicu, faiflaut entspricht dem
ahd. flözu fliaz, das ich aus flaozlihlio elate (Graff 3, 753) folgern
darf, dies flözan geht nun hervor aus dem ablautenden fliuzu flöz,
welchem kein entsprechendes golh. fliuta flaut aufzuweisen ist*, dem
876altn. reduplicierenden snüa sneri, welches etwa im golh. saisnau ge-
lautet haben könnte, nmsz das gotli. snivan snau voraus gegangen sein.
* mit beiden kann das gotli. flödus, ahd. fluot, ags. fiöd wenigstens nicht
unmittelbar Zusammenhängen, ich möchte cs fl-ödus (für flutödus) nehmen und
mit dem -ödus in mannisködus auhjödus vergleichen.
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REDUPLICATION
altn. taka tök lautet ab, gotli. tekan laitök aber redupliciert; dies wort
enthält auch eine berühmte ausnahme von der laulverschiebung, die
ich s. 421 nicht hätte unbeigebracht lassen sollen: kein zweifei, dasz
lat. teligi und gr. Tttaywv hinzu gehören und auch in der redupli-
cation eintreffen, selbst den vocal des imperativischen zi] darf man
zum Ö in tök und taitök hallen, die altn. ablaulende form nehme ich
für älter, die golh. reduplicierende für jünger und erst aus der ablau-
tenden gebildet, fast wie tetigi und laitök verhalten sich sciscidi und
skaiskaid, die form mit langem vocal musz auch hier jünger sein als
die mit kurzem; scindo scidi geht wie findo fidi, und ihr N gleicht
dem in tango und contingi, welches im praet. contigi die reduplica-
tion fahren läszt.
Jene keltische eigenheit/ die reduplication für transitiva zu gebrau-
chen, wie unsere spräche den ahlaut, verbürgt uns den frühen und
naturgemäszen Ursprung der gothischen reduplication; um so viel älter
sein musz die den ablaut begleitende.
Ob der ablaut selbst etwas der flexion unwesentliches sei? ob
tatapa und babandha auf gleicher linie stehe mit bibheda und ruröda?
ist eine frage, die so weit hinter die äuszerste grenze deutscher spräche
zurückweicht, dasz ich billig nicht darauf einzugehn habe.
tük. M, äkt -4^ -4k Jfc.
XXXIV
SCHWACHE VERBA.
877 Uie grammatik empfindet ein bedilrfnis überall von der grund-
lage jüngere zulhat, von dem ursprünglichen abgeleitetes, von dem
inneren äuszeres zu unterscheiden, wie mancherlei man auch mit die-
sen Vorstellungen verbinde; es scheint zulässig und förderlich sie durch
den namen des starken und schwachen auszuzeichnen, das starke soll
gleichsam den typus angeben, das schwache die mittel, welche ihn,
wenn er sich abnützt, ergänzen und erweitern, nach unaufhaltba-
rem vorschritt nimmt in der spräche das starke element ab, das
schwache zu.
Man darf schon von den vocalen A I U die starken laute, E und
0 die schwachen heiszen. in der flexionslehre tritt aber der gegen-
satz noch lebhafter vor, und in der deutschen conjugation wie decli-
nalion scheint es unerläszlich eine schwache form der starken an seite
zu stellen.
Das starke verbum beruht auf ablaut und reduplication, welche,
wie wir sahen, eng in einander gewoben sind, der ablaut gieng mit-
ten in der wurzel selbst vor und die reduplication trat an ihre spitze.
Alle schwachen verba werden durch drei characteristische vocale ab-
geleitet und bilden ihr praeteritum nur durch den hinten zutretenden,
mit jenen vocalen sich verschmelzenden eines hilfworts, welches seiner
878 natur nach nothwendig ein starkes gewesen sein musz. Während also
die starken verba unabgeleitet und ablautend sind, erscheinen die schwa-
chen abgeleitet und unablautend.
Die folgende Untersuchung hat sich zuerst auf die beschaffenhcit
jener vocale, dann auf die auxiliaren consonanten zu richten.
In den drei vocallauten offenbart sich wieder eine bedeutsame
Übereinkunft zwischen deutscher und lateinischer spräche, gerade wie
die gothische ableitung der schwachen form durch I, ü, AI, die ahd.
durch I, Ö, £, geschieht die lateinische durch I, Ä, £. cap. XXXII
lehrte aber, dasz lat. Ä dein goth. Ö entspricht und lat. £ aus OE
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Mi
SCHWACHE VERBA.
m
609
Gleich dem I und
AE hervorgieng, also goth. AI sich zur seite hat.
A stehn A und 0, EI und AI im ablaulsverhältnis.
Wie treirend ist die gleichung gothischer, althochdeutscher und
lateinischer wortgestalten:
golli. vasja vasida. fiskö fisköda. haha habaida
ahd. weriu werita. fiscöm fiscöta. hapern hapöta
lat. vestio vestivi. pisco piscävi. habeo habui
ich habe mir gestattet für piscari das ungebräuchlich gewordne piscare
aufzustellen, goth. haba steht für habaia, lat. habui für habövi, wie
delövi zeigt, die ahd. formen halten das kennzeichen der ableitung
am treusten fest; es wäre überflüssig auch die der übrigen und jün-
geren sprachen anzuführen, in welchen das characteristische der vocale
schwindet oder zusammenfallt.
Doch eine lücke ist schon in der ältesten deutschen und latei-
nischen conjugation vorhanden, die man sich erfüllt denken könnte,
wie mit dem ablaut AI, sollten auch mit dem ablaut AU verba abge-
leitet sein, deren praesens goth. -a für -aua, das praet. aber -auda
flectieren würde, im latein hätte das praes. -oo, das praet. -övi zu
lauten, weil auch hier der Verengung des Al in E eine des AU in Ö
ähnlich eingetreten sein dürfte.
In dieser Vermutung bestärkt mich die griechische spräche, deren
drei schwache conjugationen auf den characteristischen lauten Ä £ 0 879
beruhen, von welchen das letzte, nämlich co Verengung des ov scheint,
mithin jenem AU entspräche, ti/uuio Ttn'/urjxa steht für rerifxaxa.
(piXeio ntcpiXrjxu vergleicht sich dem lat. habeo habui. yjivooco xe-
yQvocoxa würde einem lat. -oo -övi zur seite stehn. liier mangeln
also die mit I abgeleiteten verba; es wäre unpassend das E in (fiXtco
aus I zu deuten, da das H in (fiXrjOco necpiXyxa deutlich auf die dem
lat. E in delevi entsprechende länge weist.
Unsere ableitungen mit I sind grüsztentheils transitiva, die aus
den praeteritis starker verba entspringen, wogegen die mit Ö und AI
abgeleiteten in der regel verba intransitiver und neutraler bedeutung
umfassen. Das latein hat aber oft transitiva auf are : domare doinui,
goth. tamjan tamida; nominare nominavi, goth. namnjan namnida.
So verhält es sich mit den ableitungsvocalen; ich schreite fort zu
den consonanten des practeritums.
Wie vom ablaut des sg. praet. gewöhnlich zu einem andern des dual,
und pl. übergegangen wird, welcher sich hernach im ganzen conj. behauptet.
nam
nömu
nenmm
namt
nömuts
nömufi
nemun
nemjau
nömeiva
nemeina
nemeis
nemeits
nemeij)
nemi
nemeina
so musz die gesamte schwache conjugation, weil ihr, wie vorhin ge-
sagt wurde, ein starkes verbum hilfe leistet, denselben typus an sich
tragen; ihr wird angehängt im gothischen:
-da
-dödu
-dödum
-des
-döduls
-deduf»
-da
-dedun
-dfidjau
-dedeiva
-dedeima
-dödeis
-dedeits
-dedeij)
-dedi
-dedeina
39
. 4^. MK ■
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
SCHWACHE VEIIBA
was ich nun auf die drei conjugationen anwenden will:
ind. vasida vasides vasida
vasidßdu vasidöduts
vasidödum vasidedu[) vasidödun
conj. vasidedjau vasidödeis vasidödi
vasidödeiva vasidödeits
vasidödeima vasidödeifi vasidödeina
ind. fisköda fisködös fisköda
fisködödu fisködöduts
fisködfidum fisködöduji fisködödun
conj. fisködödjau fisködödeis fisködödi
fisködödeiva fisködödeits
fisködödeima fisködfideif) fisködödeina
ind. habaida habaidös habaida
habaidödu habaideduts
habaidödum habaidöduji habaidödun
conj. habaidödjau habaidedeis habaidedi
habaidedeiva habaidedeits
habaidßdeima habaidödeij) habaidedeina
aber erlischt die erweiterung des pl. und conj. und i
lautet blosz:
-ta -tös -ta -ti -tis -ti
-tum -tut -tun -tim -tit -tln
folglich:
werita weritös werita weriti weritis weriti
weritum weritut weritun weritim weritit weritin
fiscöta fiscötös fiscöta fiscöti fiscötis fiscöti
fiscötum fiscötut fiscötun fiscölim fiscötit fiscötin
hapöta hapötös hapeta hapöti hapötis hapöti
hapötum hapötut hapötun hapötim hapetit hapötin
Im goth. und ahd. paradigma sind alle personen durch eigne endun-
gen genau geschieden (falls ich im ahd. conj. die erste und dritte
person richtig -ti und ti bestimmt habe), mit einziger ausnahme von
I und III sg. ind., deren -da und ahd. -ta zusammenfällt, wie auch
in der ganzen starken conjugation nam cepi und nam cepit, bad pe-
tii und bad petiit, bait momordi und bait momordit zusammen fallen,
nicht anders stimmen ags. verede und verede, fiscöde und fiscöde
überein.
Nur die altn. spräche, obschon sie in starker form beide perso-
nell auf gleichen fusz setzt und wie die goth. für beide nam bad beit
gebraucht, verleiht nach Rask s. 270 in schwacher conj. der I praet.
sg. -da, der III aber -di, unterscheidet folglich I varda von III vardi,
8811 fiskada von III fiskadi. heutzutage empfangen jedoch beide perso-
nell einförmiges -di. Offenbar gebührt dem indicativ überall kein -i,
sondern nur dem conjunctiv, und wenn es sich aus dem conj. in die
III ind. eindrängte, so kann man blosz sagen, dasz die I ind. das or-
ganische -a besser wahrte; zuletzt nahm auch sie -i an. ein alter
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SCHWACHE VERBA
Gll
tr
und echter unterschied zwischen -a und -i in beiden personen scheint
unbegründet*.
Die gestalt dieses auxiliars musz aber nun näher erwogen wer-
den. kein zweifei, dasz in ihm unser heutiges verbum cthun enthal-
ten ist**, aber wie es ehmals noch vor ein tritt der lautverschiebung . V; UW •
beschaffen war. da die schwache verbalbildung lange vor dem Wan-
del der stummen consonanten sich zugetragen hat, so begreift man,
warum sie ihm widerstand; ihre Überbleibsel im goth. ags. und altn.
lauten wie in den urverwandten auf D, die hochdeutschen daher auf
T an.
Nun gehn aber die begriffe des thuns und gebens in einander 882
über, dedisset wird durch ahd. täli verdeutscht (Graff 5, 290), den
Angelsachsen hiesz dön gode : reddere deo; god däghvamlice us död
üre neäde : deus quotidie nobis suppeditaif necessaria. noch heute
sagt der Niedersachse: do mi dat holt ins : reiche, gib mir das buch
einmal, einem thun bedeutet was einem geben : machen dasz er habe.
Thun ist also unmittelbar und buchstäblich das lateinische dare,
do das dat, welches sein praeteritum, dem anschein nach, reduplicie-
rend bildet:
dedi dedisti
dedimus dedistis
doch die composita nehmen I für E an:
addidi addidisti
addidimus addidistis
ebenso wenn die reduplication ins praesens vorzurücken und für do ein
dedo zeugend den begrif zu verstärken scheint:
dedidi dedidisti dedidit
dedidimus dedidistis dediderunt.
Hier aber öfnet für unsere sprachen den Vermutungen sich ein weites
fehl. Wir würden sichrer gehn, hätte sich in der goth. spräche jenes
einfache verbum gesondert erhalten; doch gerade diesmal ist von ihr
für den begrif des thuns ein lautverschobnes taujan gebildet worden,
dedit
dederunt
addidit
addiderunt,
* was auch durch die jüngere Verwendung eines unsuffigierten auxiliars be-
stätigt wird (gramm. 4, 94.)
** Munch will in dem tavidö feci auf der inschrift des goldnen horns eine
ältere gothische form für tavida finden und den ausgang -da der dritten person
beimessen, zu geschweigen, dasz auf dem denkmal keine dritte person vorkommt,
und der mundart, in welcher es abgefaszt ist, für beide personen -dö (oder gar
-do, denn das 0 in horna hat dieselbe runc) zustchn könnte; so erblicke ich
auch bei Vergleichung der urverwandten sprachen keinen grund, um der ersten
person tavidö, der dritten tavida zuzusprechen, im sanskrit heiszt die erste per-
son tatäna tetendi, die dritte wiederum tatäna tetendit (Bopp s. 846) und diese
Übereinkunft beweist mehr als die abweichung des lat. tetendi von tetendit oder
des gr. yeyova von ysyove, selbst im latein und gr. walten hier nur kürzen,
keine längen, sogar das altn. -a und -i würde nicht für -ö und -a streiten, ta-
vidö oder tavidö mag aber wol bemerkt werden als dialectische abweichung, wie
sie bei einem volkstamm der kimbrischeu halbinsel vorkam, welchem man das
horn und die inschrift beizulegen hat. mir fällt ein, dasz auch in einer glosse
zum bairischen Rudlieb II, 226 zugilprechoto (lorifregi) steht für zugilprechota.
39*
612
SCHWACHE VERBA
auf welches ich hernach zurücklenken will, gleichwol musz sie früher
ein praeteritum in alter gestalt besessen haben, und aus dem £ in
deds facinus und jenen Suffixen dedum deduf) dedun darf ich folgern,
dasz es lautete:
dada dast dada
dödum döduj) dedun,
nemlich £ ist pluralablaut zweiter conjugation und führt auf ein A des
sg., also dada, dieses aber auf ein praesens dida. weil nun die theo-
rie (s. 873) begehrt, vor allen ablautenden jtraeterilis eine reduplica-
tion zu ergänzen, würde, wie von nima ni^a#? von giha gigaf, sich
von dida ein didada ergeben und jenem lat. dedidi von dedo aufs haar
gleichen.
Die altn. spräche stimmt darin zur gothischen, dasz sie das ge-
883 trennt stehende verbum nirgends aufzuweisen hat; desto öfter tritt es
in der ahd. alts. ags. und fries. auf, doch genügt hier die angabe aus
dem ahd. und ags.
ahd. leta täti teta
tätum tätut tätun
ags. dide didest dide
didon didon didon.
sichtbar entspricht tätum dem goth. dödum, wogegen leta mehr zum
ags. dide neigt, meine annahme eines goth. dada , wie sie der ab-
laut rechtfertigte, wird aber durch das skr. dadäu == dedi (Bopps vgl.
gramm. s. 864) mächtig unterstützt.
Zumal wichtig ist mir die ahd. II praet. täti, weil sie genau mit
allen starken formen nämi päti käpi u. s. w. überein trift, also vom
schwachen ausgang -tos absteht, steckt in der ahd. schwachen lle-
xion das suffix teta, warum empfängt die II nicht -li, sondern tos?
sicher nur deshalb, weil zur zeit des Ursprungs schwacher form die
starken praeterita noch gar nicht auf -i ausgiengen; aus dem tös folgt
also, dasz auch nämi käpi päli damals andern ausgang hatten, nem-
lich einen dem goth. -t entsprechenden, die goth. starke flexion zeigt
uns in dieser person die formen namt gaft und hast (s. 362), nach
solchem hast habe ich dast = didast = dedisti anzusetzen gewagt,
von dast aber wird es nicht schwer halten das goth. suffix -des ab-
zuleiten; dem goth. ans trabs, ansts gratia, bansts horreum entspre-
chen die altn. Wörter äs äst und häs, von hladan entspringt das ahd.
hlas onus , altn. blass, goth. runs cursus steht für runsts. kann ab-
leitendes T ausfallen, um so viel eher das der flexion, wir sahen ags.
is für ist eintrelen (s. 266); warum sollte nicht die häufige Verwen-
dung eines auxiliären anhangs -dast in des gewandelt haben? aus -dös
aber war der Übergang in ahd. -tös bald gefunden und es kommt
sogar -des und -tas wirklich vor (gramm. 1, 869), Notker schreibt
-tost, was dem mhd. -test nahe steht, unser heutiges deutsch ist
instinctmäszig für die II praet. und praes. starker wie schwacher form
zum ST zurückgekehrt, welches der lat. 11 praet. sg. unauslöschlich
eingeprägt war.
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SCHWACHE VERBA.
613
Nicht geringerer bedeutung scheint der vocalische ausgang der884
formen dada teta und dide so wie der suffixe -da -la; denn waren dast
und täti starker flexion gemäsz, so musz es auch -a gewesen sein, man
darf ahnen, dasz im höheren alterthum unserer spräche, dessen zeit
unermittelt bleiben mag, nicht blosz das schwache praet. auf -da,
sondern auch das starke auf -a ausgegangen sein werde: es folgt noth-
wendig aus der gestalt des im schwachen praet. haftenden und ein-
verleibten starken, während die losen starken praeterita des vocali-
schen ausgangs sich entledigten, blieb ihm die auf anderm fusz ste-
hende schwache form getreu, nam gaf bad und alle übrigen müssen
also einmal gelautet haben nama gaba bada, vielmehr, weil ihnen auch
vornen die reduplication entgieng, ninama gigaba bibada, womit die
deutschen verbalgestalten den lat. inemini cecini, gr. fA.ef.iova yeyova,
skr. babandha tatana um ein gutes näher rücken, alle deutschen und
schon die gothischen praeterita stellen sich verstümmelt dar und for-
dern im anlaut wie auslaut ergänzung.
Zu so weitgreifendem rückgang in die geschichte unserer spräche
ermächtigte -da -des -da; wir wollen seinen eignen stamm noch ge-
nauer prüfen.
Der ablaut dödum leitete auf dada, dada auf didada und ein prae-
sens dida, dessen endung vorläufig dahin gestellt bleiben mag; diesem
dida didada zunächst lag das lat. dedo dedidi. gewis aber ist die
kürzung -da aus dada und ahd. -ta aus tala, -tum aus tätum von
hohem aller; auch das lat. do erscheint aus dedo gekürzt, folglich
verhält sich dedi zu dedidi, wie lego zu lelegi oder favi zu fefavi.
dedo ist keine erweiterung aus do, umgekehrt do abstumpfung aus
dedo; dedo enthält so wenig reduplication als bibo, vielmehr lauten
die stamme D1D BIß und erst in dedidi geht reduplication zu, wie sie
in bebibi zugehn würde, wenn eine solche form gälte, ein beweis
liegt auch in deditum bibitum, die wieder keine reduplication ein-
schlieszen, deren das lat. supinum unfähig ist. Reduplication steckt
weder im goth. dada noch ahd. teta, denn wie vermöchte dada in
dedum abzulauten, wäre das vordere da bloszes praefix und unWurzel- 885
haft? ahd. teta ist Schwächung von tata, ohne welches wieder kein
tätum möglich erschiene; im golli. suffix ergrif die abstumpfung blosz
den sg. -da, nicht den pl. -dedum, im ahd. fortschreitend auch den
pl. -tum für tätum, folglich den ganzen conjunctiv. Wie sollte das
lat. dedi reduplication sein und von welchem stamm? gesetzt, leitete
sich dare von DA, wie flare von FLA, so entspränge ein reduplicie-
rendes dedavi, wie flo flavi f. feflavi bildet; niemand wird doch dedi
aus dedai für dedavi erklären.
Aber noch sind andere, höchst merkwürdige gestalten dieses
worts zu betrachten.
Vorhin führte die theorie zu einem goth. praesens dida; in der
that aber lautete es ahd. tuom, mhd. tuon, alts. döm, was auch ein
goth. döm ahnen läszt. dies tuom, döm steht nun parallel dem goth.
im, altn. em, ags. eom, ahd. pim, mhd. nhd. bin, lat. sum. beides
614
SCHWACHE VERBA
sind Überreste uralter, im goth. und lat. verbum sonst allenthalben
erlosclmer flexion, wie sie in den andern urverwandten sprachen de-
sto deutlicher auftritt. tuom lautet skr. dadämi, zend. dadhämi, gr.
ölScofu, litth. dümi, sl. damj; im und pim aber skr. asmi, zend. ahmi,
gr. dfU, litth. esmi, sl. jesmj; wie konnte Bopp in seinem paradigma
\ iaaA e* s. 638 das ahd. tuom unangeführt lassen ?fes trift mit dem litth.
62» O dümi fast noch im klang zusammen, wie goth. döm aus didöm (ana-
log dem -da aus dada) unmittelbar gr. d/dtofu erreichen würde, in
-ämi -(Of.u -öm -uom stimmt der lange vocallaut, denn gr. ß hat hier
die stelle des gewöhnlichen H (in r/oi?]fu ri&rjfu und vielen andern.)
was kann aber deutlicher meinen ansatz einer wurzel DID oder DAD
erweisen, als diöcofu und dadämi, die, ohne alle reduplication, gebil-
det sind*, wie skr. vahämi, zend. vazämi, lat. veho, goth. viga von
der wurzel VAII? demnach steht ahd. tuom, in welchem aus der wur-
886zel nichts als das einzige T haftet, für tetuom, tituom und verhält
sich zu einer gangbaren praesensform titu ungefähr wie gr. ddxvvfu
zu detxvvio oder wie gr. SiScofu zum lat. do = dedo, oder wie litth.
dümi zu düdu.
Auch das part. praet. dieses worts zeichnet sich aus; es lautet
ahd. kitän (ketuan K. 25a wird bei Ilattemer 47 in ketaan berich-
tigt) mhd. getan, nhd. gelhan, alts. aber giduan, ags. gedön, engl,
done, fries. den und schon dieser Wechsel ist seltsam, ich bin noch
unsicher, wie die abgestumpfte und verengte form zu deuten sei. nach
dem ahd. tätum sollte letan, wie von trätum tretan gebildet werden;
mir fällt bei, ob nicht das ahd. Ä gegenüber dem ags. Ö erklärung
finde in dem unterschied zwischen ahd. trätum und goth. trödum
(s. 848)? vielleicht darf auch dön sich vergleichen dem lat. döno
und dönum?
An die anomalie von tliun reiht unmittelbar die von stehn und
gehn; auch bei diesen Wörtern scheint neben der gewöhnlichen flexion
eine alte auf M (griech. MI) nach zu zucken, jenem tuom tuos tuot
gleicht ein ahd. stäm stäs stät oder auch stäm steis steit, und gerade
so schwanken gäm gäs gät und gern geis geit; die regelmäszige form
aber lautet stantu stentis stentit, gangu gengis gengit.
Offenbar verhält sich, wie tuom zu litth. dümi gr. di'Scofii, auch
stäm oder stäm zu litth. stowmi; auf die gr. form werde ich hernach
zu reden kommen, das latein bietet sto steti, wie do dedi. war
nun dedi unreduplicativ, so musz es auch steti sein, und nicht, wie
man annimmt, entsprungen aus stesti; vielmehr verkündigt es eine
wurzel STAT, parallel dem DAD, der wurzel von dedi. diese wurzel
wird denn auch durch das lautverschobne goth. stöfj pl. stöfmm be-
stätigt, welches ablaut von staj)an erscheint, und nach der oben ge-
fundnen regel ein volleres redupliciercndes stistöj) voraussetzt; die
praesensformen sind jedoch durch nasales N in standan standa erwei-
* Scöaco und SeScoxa (= SiScöaco und Se’SiScoxa) tilgen Si-, wie lat. do
und dedi de-.
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SCHWACHE VERBA
tert worden, gleich diesem goth. standa stöj) verhalten sich das ags.
stende stöd stödon und altn. stend stöd stödu; ahd. aber begann das
N auch ins praet. vorzurücken und sluant stuanlum, stuont stuontum, 887
neben dem noch vorbrechenden stuat stuatum, stuot stuotum zu erzeu-
gen. das praesens standa, stantu verhält sich aber zu jenem alter-
thümlichen ahd. stäm oder stem, wie sich tetu oder titu = dedo ver-
halten würde zu tuom — didio/ui. Das ahd. part. praet. lautet kistan-
tan, das ags. standen, das altn. aber stadinn, und noch merkwürdiger
das golli. stöjtans 1 Cor. 4, 11 (wo ungastöj)anai instabiles), welches
zum lat. stätus auch darin stimmt, dasz aus ihm ein neues verbuni
gastöjianan (Rom. 14, 4) abgeleitet wird, wie aus Status statuere, nur
dasz diese beiden kurzes A empfangen, welches man dem part. von
sisto im gegensatz zu dem von sto einräumt. Vielleicht schlieszt uns
dies den Wechsel kurzer und langer vocale auf im ahd. stäti constans,
stätan statuere (mhd. staete und staeten) und ags. stede stabilis (oder
wäre dies stede?) neben stadol basis ahd. stadal. noch seltsamer
scheint kurzes U oder 0 in den gewis verwandten ahd. kastudita sta-
tuit, fundavit, kasludnös fundas, ags. stod und studu postis, altn. stod
fulcrum, stydja studdi fulcire, wobei auch altn. stedi fulcrum, incus
und ahd. stuzzan fulcire nicht zu übersehn wäre, in welchem letztem
T weiter zu Z wird, wie schon goth. {) in D = ahd. T ausgewichen
war. Diese Wurzel durchläuft beinahe die ganze abstufung der lin-
guallaute und der vocale. um die vocale zu einigen, läge es sogar
nahe an ein goth. stujtan staj> stöjmm (wie trudan trad trödum) zu
denken, aus welchem erst der neue ablaut staj>an stöj) stöjium ge-
sprossen wäre; diesem stujian entspräche dann aber auch ahd. stedan
stat stätum, woher stat locus und stäti stabilis flössen, in studan hätte
das U gehaftet, den langen vocal des goth. stöj) zeigen endlich ahd.
urstuodali resurrectio und einstuodali purus, urstuodali perspicax (Graff
6, 654.) Alle diese formen aber bestätigen die annahme einer lin-
gualisch ausgehenden wurzel STAT.
Weiter, setzt standa slöjt ein sistöj) voraus, so fordert auch sto
steti ein älteres sisteti, aus welchem füglich die nebenform sisto, und
zugleich das gr. Vor^tt zend. histämi, skr. tistämi aufgeklärt wird. 888
die reduplication ist aus dem praet. ins praesens zurückgedrungen und
'larrj/ui histämi finden sich nicht ganz auf gleicher linie mit dldw/iu
dadhämi, weil in diesen die wurzel DID DAD enthalten, dort aber
STAT verhüllt ist, für cla%rtf.n sollte man für histämi statämi
oder stathämi gewarten. die skr. gestalt scheint versetztes stitämi sta-
tämi. histämi und 'iorrj/ui tauschen S mit II nach dem bekannten
gesetz (s. 299); hier aber zeigt sich einleuchtend H als der spätere
und verderbte laut, denn histämi kann nur aus sistämi entsprungen
sein, das lat. sisto bildet ein praet. stiti (exsislo exstiti* resisto re-
stiti) wie sto steti (consto constiti, exsto exstiti, resto restiti), so dasz
exsisto und exsto resisto und resto, bei ungleicher bedeutung, ein glei-
ches praet. bilden, analog scheinen dedo und do, doch jenes be-
kommt dedidi, dieses dedi und die Zusammensetzungen addo addidi,
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616
SCHWACHE VERBA
abdo abdidi u. s. w., mit dedo gibt es keine; dedo ist, wie dedidi
zeigt, unreduplieativ, sisto reduplicativ. ,
Wiederum läuft dem alid. tuom und stäm stöm ein gärn gßm pa-
rallel, woneben sich die nasale form gangu giang, fast wie stantu
stuant einstellt; dem golh. praesens gagga findet sich zur seite kein
gaigagg, sondern gaggida, aber auch dies erscheint nur ausnahmsweise
und das üblichste praet. lautet iddja iddjes iddja, pl. iddjödum iddjfi-
du|) iddjedun ganz nach analogie des schwachen -da -des -da, dedum
dßduj) dödun, nur mit durchgängiger einschaltung eines I. dies goth.
iddja hat in allen übrigen deutschen sprachen seines gleichen blosz
in dem ags. eode pl. eodon, was noch im altengl. yode fortdauerte,
endlich aber einem andern hilfswort erlegen ist.
Jedermann sieht, dasz iddja und eode eines Stamms sind mit dem
skr. 6mi, gr. tifxi und litth. eimi, deren praesens wieder jene auch in
gäm und gfim waltende MIform zur schau trägt, das lat. eo und sl.
«Wiek idu ist ohne sie, letzteres zeigt aber inlautendes D, wie es dem lin—
guallaut von iddja und eode zu begegnen scheint, der litth. inf. eiti
öentuA eh* U,K* s^* stimmen und vergleichen sich dem itum des lat. supinums,
vielleicht dem gr. verbaladjectiv hog heog, wofür auch Irrjrog hrj-
,889rtog Vorkommen (Buttm. s. 554); streift das ans goth. iddja? dessen
praesens unsicher zu rathen ist. starkformiges ida könnte wie gagga
gaggida schwaches idida empfangen, woraus mit versetztem laut iddja
erwuchs, denn organisch wird das mitten in -da eingeschaltete I nicht
sein, natürlicher scheint mir aber die annahme einer reduplicierlen
form, wie aus gr. l'd'co ein praet. törjda = lat. fidi (für ededi?*) er-
wuchs, mag aus Ido) = lat. eo ein l'StjSa oder etwas dergleichen
entspringen, was sich nachher in fja, jon. i]ia verengte; denn ich
kann Buttmann und seinen nachfolgern nicht zugeben, dasz dies fja
für das imperfectum jjeiv stehe: es ist deutliches perfectum. an sol-
ches fja reicht nun iddja ziemlich nahe und zeigt, schon mit seinem
unverschobnen D, zurück in höchstes alterthum. sein -a und -fidum
sind dem -da und -dödum blosz analog, wie es ein idada idödum sein
würden dem vermuteten didada didödum. gleich dem -da hätte auch
-a in iddja den auslautenden vocal der flexion bewahrt.
Hat für diese drei uralten und mit einander schritt haltenden
verba meine aufstellung der wurzeln DID STA[> und ID grund, so kom-
men sie fast gebieterisch zu statten der nothwendigkeit des geselzes
consonantisch auslautiger stamme, und DA STA I als solche gellen zu
lassen ist falscher schein, vocalisch auslautendes ansehn hat ahd. tuom,
litth. dümi nicht minder als skr. 6mi, gr. fifii, litth. eimi und doch
erkannten wir in tuom tituom; wie 6mi zu ergänzen sei entscheide
ich nicht.
* und hier sähen wir endlich den grund, warum goth. itan das praet. 6t,
altn. eta ät und noch mhd. ezzen zuweilen äz bilden; in den vocalanlaut konnte
sich ein nachgefiihl der alten reduplieation (goth. itat = 6t) werfen, nicht wenn
die wurzel consonantisch anlautete.
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SCHWACHE VERBA
617
Selbst den romanischen sprachen ist die eingefleischte analogie
nicht ganz erloschen, dare und stare bilden das ital. praet. detli oder
diedi pl. dettero; stetti pl. stettero, ganz wie lat. deili und steli, und
neuer beweis dafür, dasz in diesem nicht reduplication obwalte, welche 890
der romanische sprachgeist überhaupt von sich ausgeschlossen hält.
An den platz von ire ist aber ein seltsames andare getreten, dessen
praet. wiederum andetti oder andiedi, pl. andettero lautet, wie im span,
früher andido pl. andidieron, andodieron (Diez 2, 149.); prov. anei
anieron, wie dei = dedi, estei = steti. hierbei könnte nun leicht
einflusz des goth. iddja oder auch hlosz analoge anwendung des Suf-
fixes diedi «= dedit walten, dann schiene aber auch schon dem span,
praesens ando auxiliäres do und dare verwachsen, aufzuhellen bleibt
nur das vorausgellende an oder vielleicht and, wobei zunächst ans lat.
vadere zu denken ist, wie sich im praes. beide formen vertheilen: it.
vo, vai, va, andiamo andate vanno; prov. vauc, vas, va pl. anam anatz
van. and für vand könnte sich zu vad und vo wie standa zu stöf> und
sto verhalten; möglicherweise kann hei anar das baskische noa eo in
betracht kommen, auch die abweichung des franz. aller fällt auf, des-
sen abkunft aus ambulare unwahrscheinlich ist.
Im roman. estar berühren sich esse stare und exstare exsistere,
wie gr. ei fit und eif.it einander nahe treten *.
Ich musz noch einmal auf den hegrif des thuns kommen, ihn 891
drückt die altn. spräche durch gera aus (schwed. göra, dän. giöre),
was dem ahd. karawan parare, mlul. gerwen, nhd. gerben, in dem
eingeschränkten sinn von parare corium entspricht, gerade so hat das
goth. taujan tavida den allgemeinen sinn von agere, facere, das ags.
tävian, ahd. zouwan zouwita den engeren von parare. das ahd. machön
alts. macön, ags. macian bedeutet facere, struere und entgeht der goth.
Wie altn. spräche; noch heute unterscheiden wir machen facere von
thun agere. allen unsern sprachen eigen ist goth. vaurkjan, ahd. wur-
chan, ags. vyrcean, altn. yrkja operari.
Ist aber goth. taujan der Wurzel nach verwandt mit ahd. tuon,
ags. dön? und wird in tavida tavidßdum die eigne wurzel suffigiert?
ubw Q'vhUi
1fr
* es ist anziehend noch andere seltsame ausdrücke der alten spräche für den
begrif des gehens zu bemerken. Ulfilas gebraucht auszer snivan vnayeiv, cpd'ä-
veiv (vgl. altn. snüa vertere) einmal auch Marc. 2, 23 skevjan für oSov notelv.
mit diesem skövja eins sein musz das ags. ford scio proficiscor, welches auszer
Caedm. 67, 20 wieder nicht vorkommt; aber es mag darin auch die noch unent-
hiillte wurzel des goth. sköhs calceus, altn. skör, ahd. scuoh, ags. sceo stecken,
schuh ist das, worauf man geht, wie calceus von calcare terram, oder das poln.
chodaki pl. bastschuhe von chodzic gehen stammt. Die goth. spräche hat kein
dem alts. giwltan giwöt, ags. gevitan gevät entsprechendes gaveitan, gavait für pro-
ficisci; einige ahd. mundarten, namentlich T. zeigen jedoch arwizan arweiz disce-
dere (Graff 1, 1116) und auch das Hild. lied hat gihueit discessit. zwischen die-
sem veitan vitan ire und vitan scire musz Zusammenhang obwalten; ohne zweifei
gehört dazu auch das ags. viton uton und mnl. weten, welche sich mit infinitiven
verbinden und ein imperativisches eamus, agamus ausdrücken (gramm. 4, 89.
90. 944.)
■v-
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618
SCHWACHE VERBA
in diesem fall müste angenommen werden, dasz aus jenem dida dada
dedum ein schwaches dadvjan dadvida entsprossen, alhnälich aber in
daujan davida (wie mir bauan nur aus bagvan erklärbar scheint) ge-
schwächt, endlich, als die Lautverschiebung begann, zu taujan tavida
geworden sei, das sich ahd. weiter in zouwan schob, im eingewachs-
nen -da -dedum, so wie im subst. döds und dödja haftete das alte
unverschobne D, während der anlaut T annahm und auf gleiche weise
verhalten sich ahd. Z und T in zowita. ähnliche mischung verschob-
ner und unverschobner form zeigt die spräche in dags = dies, neben
dem vermutlichen goth. Tius und erweislichen ags. Tiv, ahd. Zio
= deus.
Wir sahen goth. -da für -dada neben -dödum, aber ahd. -ta für
-tata, -tum für -tätum eintreten, also das wesen der schwachen form
auf bloszem T beruhen, noch weiter geht nicht selten die mnl. mund-
art, indem sie sich make für makede, leve für levede, dienese für
dienedese, makese für makedese u. a. m. gestattet, vgl. Ifuyd. op
St. 1, 116. 117. hier ist sogar das characteristische D ausgefallen.
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XXXV
sens bedeutung des futururas beilegen, so drückt das ags. beo bis
bid gewöhnlich ero, das gr. t?/ui bei den Attikern ibo aus. zu beo
fügt sich das sl. budu ero.
Nächst dem trägt es sich zu, dasz ablaute des pl. praet. ind.,
welchen, wie wir wissen, die des gesammten praet. conj. gleich sind,
rückwärts steigen und den sg. praet. ind. einnehmen, so gilt uns
nhd. neben dem frischeren ward ein abstracteres wurde mit schein-
bar schwacher form; das mhd. gan, vergan ist ganz verdrängt durch
ein aus dem alten pl. gunnen oder dem conj. günnen stammendes gönnt,
mit dem praet. gönnte, und in den sg. der meisten praet. vierter conj.
ist heute der pl. ablaut gedrungen, für mhd. sneit reit streit greif reiz
sagen wir schnitt ritt stritt grif risz und mitunter hört man sogar sdwAfc/'fv& out,
stürbe erwürbe f. starb erwarb. Ein weit älteres beispiel des in den
ind. gerückten conjunctivs werde ich im verfolg bei dem worte viljan893
behandeln. Die gesamte ahd. mhd. alts. und ags. spräche haben in
ihre II. praet. ind. die conjunctive flexion mit dem pluralablaut des
ind. eingelassen (s. 487. 651. 661), so dasz ahd. punti ligasti, käpi
dedisti formell dem goth. bundeis ligaveris, gßbeis dederis entspricht,
und auf diese weise durchgängig.
Viel öfter geschieht aber, dasz das praeteritum wieder den sinn
des praesens empfängt und in unsrer spräche konnte dies desto rein-
licher bewirkt werden, seit die schwache form eingeführt war, mit-
telst welcher nun augenblicklich ein neues praeteritum sich schaf-
fen liesz.
Solche praeteritopraesentia entspringen hauptsächlich für die älte-
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620
VERSCHOBNES PRAETERITUM
sten, einfachsten abstractionen und erlangen in der spräche sehr bald
auxiliare Verwendung, so dasz sie allenthalben wiederkehren und der
rede durch ihren unter praesensformen gemengten ablaut klang und
manigfaltigkeit bereiten. Nicht minder günstig mischen sich die aus
ihnen gezeugten schwachen praeterita mit den übrigen starken oder
schwachen, da sie von letztem durch die abwesenheit des hier un-
denkbaren ableitungsvocals sichtbar abstechen.
Meistentheils erlischt das zum grund liegende alte praesens,
einigemal aber dauert es neben dem praeteritopraesens fort, welchem
jedoch eine verschiedne, ahstractere bedeutung zuzuslehn pflegt.
Jedes verbum dieser anomalie unterscheidet also praesens und
praeteritum der bedeutung nach, verleiht aber beiden die flexion des
praeteritums, und zwar dem praesens die des starken, dem praeteri-
tum die des schwachen, im pl. indic. haben demnach beide tempora
den ausgang -um -ut -un.
Es kann nicht von ungefähr sein, dasz das gesetz sich in alle
fünf reihen des ahlauts erstreckt, niemals aber begegnet es in den
reduplicationsreihen, d. h. nie zeigt eine unsrer reduplicationen sich
ins praesens zurückgeschoben, also nie wird aus einem reduplicieren-
den praet. ein schwaches zweiter potenz gebildet, wieder, dünkt mich,
894 ein beweis für das jüngere alter der deutschen reduplicationen gegen-
über den ablauten, d. h. den alten reduplicationen.
Diese ächone anomalie erblicken wir in fortschreitender ahnahme,
die gothische, nur unvollständig überschaubare spräche bietet bei wei-
tem die meisten fälle, unser heutiger sprachstand die wenigsten dar.
da gleichwol in den zwischen beiden liegenden dialecten noch solcher
verba einzelne auftauchen, die den Gothen abgehen, so darf geschlossen
werden, dasz diesen manche, nunmehr verschollene, zu geböte standen.
Im gothischen erscheinen folgende dreizehn:
kann kant kann kunjia kunjiös kun[ia
kunnum kunnuj) kunnun kunjiedum kunjieduj) kunjiödim
j>arf j>arft jiarf jiaurfta jiaurftes jiaurfta
fiaurbjun fiaurbuji fiaurbun jiaurftödum jianrftöduj» jiaurftödun
dars darst dars daursta daurstös daursta
daursum daursuj) daursun daurstedum daurstöduji daurstödun
skal skalt skal skulda skuldös skulda
skulum skuluj) skulun skuldödum skuldeduji skuldedun
man mant man munda mundes munda
munuin munuji munun mundödum mundcduji mundödun
mag mäht mag mahta mahles mahta
magum maguj) magun mahtödum mahtöduj) mahtödun
nah naht nah nauhta nauhlös nauhta
nauhum nauhuj) nauhun nauhtödum nauhtödiij) nauhlödun
ög öht og öhta öhtes öhta
ögum ögufi ögun öhtödum öhtöduji öhtödun
möt möst möt mösta möstes mösta
mötum mötuf) mötun möstödnm mösleduj) mostödum
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VERSCHOBNES PRAETERITUM
621
IV äih äiht äih alhta alhtös alhta
alhum alhuf) ai’hun alhlödum aihteduj) afhtödun
vait vaist vait vissa vissös vissa
vitum vituj) vitun vissödum vissßdu[> vissedun
lais laist lais lista listßs lista
lisum lisuj) lisun listödum listeduj) listedun
V däug däuht däug daühta daühtes daühta
dugum duguj) dugun daühtödum daühtöduj) daühtedun
Hier beibt nun einiges über vocale und consonanten zu erörtern, in 895
I III IV und V scheinen alle ablaute regelrecht, zwischen äi und al,
äu und aü habe ich nach meiner theorie unterschieden, die huchstaben
bei Ulfdas erbringen keinen beweis dafür, in III kann die anomalie
keinen vocalwechsel, nur einförmiges ö zeigen, das ist in Ordnung.
Desto auffallender sind die plurallaute der zweiten eonjugation, sowie
der sich danach richtenden schwachen praelerita. warum heiszt es
nicht skelum wie von stilan stelum, mßgum wie von ligan legum, mö-
num wie von niman nömum? ja, was verursacht, dasz selbst magum
von skulum munum abweicbt, uud gar nicht von neuem ablautet, son-
dern den vocal des sg. festhält? fehlerhaft sein kann er nicht, da
auch die ahd. formen von der gewöhnlichen regel sich entfernen; das
verhalten so uralter verba musz einer freiheit der ablaute zugeschrie-
ben werden, die ihrer eigentlichen, sich erst niedersetzenden Ordnung
vorausgieng. sehen wir doch überhaupt die zweite eonjugation sich
in zwei arten spalten, je nachdem schon I oder noch das alte U wal-
tet; die goth. spräche schützt das letztere vor liquiden im part. praes.
stulans baurans numans, während sie vor mutis I setzt, es sei denn
schon im praesens U enthalten, wie in trudan trudans. skal und man
ziehen es selbst in den pl. praet., die muta in mag magum hat A vor
sich, zu den vocalen in skulum munum magum stimmen auszer skulda
munda mahta auch die uralten substantiva skula skuldö muns gamunds
und mahts; ohne zweifei sind sie vollkommen organisch.
Niemals zeigt eine goth. anomalie zweiter conj. E noch 0, doch
mag hier gleich gesagt werden, dasz vom alls. farman sperno farmanst
farman ein pl. farmuonun möglich scheint, nach dem praet. farmuon-
stun Hel. 161, 7, wofür 81, 14 fälschlich farmunste steht, wo auch
die andere hs. farmönsta d. i. farmuonsta gewährt, dieser Wechsel
von munan mönum vergliche sich wieder dem funa fön (s. 847) und
nun glaube ich auch ein andres bisher räthselhaftes vocalverhältnis an-
schlieszen zu können, binah oportet, ganah sufficit zeugen auszer
binaühts und ganaüha auch ein adj. ganöhs, wovon weiter ganöhjan
erwächst; gerade so erscheint ahd. neben ginuht abundantia das adj.896
ginuogi sufficiens; dieser wecbsel zwischen U und 0 nölhigt also
wieder ein naühan nah nöhum anzuselzen; welches völlig zu trudan
trad trödum gefüg ist.
Bei den consonanten ist die abslufung des schwachen -da dedum
ins äuge zu fassen, nach L und N bleibt es unverändert in skulda
munda; nach N für NN hingegen wird es -jta -j)ödum : kunjm, ohne
4k 4k .4k ■«**•*■-4k 4k 4k .M*. ^4*. 4k
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622
VERSCHOBNES PRAETERITUM
zweifei auch in dem bei Ulfilas nicht vorkommenden ann unnum un[)a;
ich habe den grund dieses merkwürdigen, wahrscheinlich für alle goth.
Nh wichtigen Wechsels noch nicht entdeckt. Nach H und S, desglei-
chen wenn wurzelhafte gutturalis oder lingualis selbst in H oder S
gewandelt wird, geht es über in -ta-t6dum : afhum aihta, nauhum
nauhla, magum mahta, dugum dauhta, lisum lista, daursum daursta,
mötum mösta, ja für vitum vista tritt sogar die assimilation vissa ein,
folglich ist mösta vissa mahta zurückzuleiten auf mötda vitda magda.
Dies -ta für -da darf nicht als lautverschiebung angesehn werden, son-
dern als festgehaltnes urverwandtes T, wie es z. b. in mactus (neben
mox s. 281) und nox noctis waltet, wegen SS für ST vgl. oben
363.
Die ahd.
spräche hat solcher verba eilf:
II
897
an anst an onda ondös onda
unnum unnut unnun ondum ondut ondun
chan clianst chan chonda chondös chonda
chunnum chunnut chunnun chondum chondut chondun
darf darft darf durfta durflös durfta
durfum durfut durfun durftum durftut durftun
tar tarst tar torsta torstös torsta
turrum turrut turrun torstum torstut torstun
scal scalt scal scolta scoltös scolta
sculum sculut sculun scoltum scoltut scoltun
mac mäht mac mahta mahtös mahta
makum makut makun mahtum mahtut mah tun
nah naht? nah? ginohta? ginohtös? ginohta?
nuhum ? nuhul? nuhun? ginohtum? ginohtut? ginohtun?
muoz muost muoz muosa muosös muosa
muozum muozut muozun muosum muosut muosun
6h? 6ht? 6h? ehta? 6htös? 6hta?
eikum eikut eikun 6h tum? 6htut? öhtun ?
weiz weist weiz wissa wissös wissa
wizzum wizzut wizzun wissum wissut wissun
touc loht touc tohla tobtos tohta
tukum tukut tukun tohtum tohtut tohtun.
Dem goth. man, ög, lais entspricht «also kein ahd. man, uok, leis mehr,
uud zwei andere nah und 6h scheinen im ausslerben begriffen, da von
jenem nichts übrig ist, als pinah oportet und ginah sufficit, von 6h
blosz der pl. eigum eigut eigun im gebrauch; die nomina gimund, list,
6ht, vielleicht auch naht bezeugen das frühere vollständige dasein der
anomalie. pikan bigan, coepi, nahm ich anstand beizufügen, weil das
oft erscheinende praet. pikonda pikunsta dem chonda und onda abge-
sehn sein könnte, das regelmäszige praes. pikinnu und praet. pikan
aber unbeeinträchtigt walten; erwiesen sein würde die anomalie, so-
bald sich ein pikanst coepisti für pikunni aufzeigen liesze.
Sonst stimmt fast alles zu den goth. Verhältnissen, in den ano-
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XERSCHOBNES PRAETERITUM
623
malien zweiter conj. sind sculum, makum, wahrscheinlich auch nuhum
wie goth. skulum, magum, nauhum. neben magum gewähren aber
einzelne denkmäler mugum und dann im praet. mohta. nur das EI
des pl. ind. eigum und aller conjunctivformen weicht von dem kurzen *
I ab, das man hier erwarten sollte, wird aber durch das ags. ägon
und altn. eigu bestätigt; entweder ist also meine Unterscheidung des
goth. äih und afhum, väih vafhum, gatai'h gataihum, läihv lafhvum, f)äi
pai’hum, f)räih {iraihum falsch, oder blosz in eigum Verwirrung einge-
treten, und für letzteres redet die richtige Scheidung der ahd. zeh
zihum, leh lihum. doch könnte man sagen, das AI des sg. äih sei in
den plural gedrungen gleich dem A des sg. mag in magum, und dann
wäre auch goth. äihum oder äigum zu schreiben. Was die conso-
nanten der schwachen form angeht, so entsprechen onda und chonda
nach der lautverschiebung dem goth. kunfia, ferner scolta dem goth. 898
skulda und ganz genau durfta torsta* malita töhta dem goth. [»aurfta
daursta mahta dauhta, wodurch zugleich bestätigt wird, dasz hier das
goth. T nicht das gewöhnliche, der Verschiebung in ahd. Z unterlie-
gende sein könne. Anstatt muosa zeigt sich auch muosta, gleich dem
goth. mösta; ST und S haben hier dasselbe recht, und letzteres sahen
wir s. 360 eben so in visus und laog für vistus lorog. nicht anders
schwanken wissa und westa, wo goth. vissa gilt; nach kurzem vocal
pflegt SS, nach langem einfaches S aus der ervveichung zu entsprin-
gen. die II praes. zeigt muost und weist und es braucht kaum ge-
sagt zu werden, dasz das S in solchen ST ganz vom Z in muoz muo-
zum, weiz wizum ahsteht und gleich dem RS in tarst torsta durch
die Verbindung mit T haftete, wie schön und empfindbar war in der
ahd. aussprache muozum debemus und muosum debuimus, wizzum sci-
mus und wissum scivimus gesondert; aber wie verhüllt liegt im ahd.
muosa und wissa, im goth. mösta und vissa das der schwachen flexion
wesentliche -da!
Es würde ermüden, wollte ich diese anomalie durch alle unsere
sprachen ausführen, mir genügt anzugeben, was die übrigen dabei eig-
nes zeigen und was sie zulängst bewahren, ann dauert ags. und altn.
fort und bildet das richtige praet. ags. ude, altn. unni, wie cann kann
cude kunni. gan und vergan erhielten sich über die mhd. zeit hinaus,
bis zu Burkard Waldis, und wichen endlich dem regelmäszigen gönnt,
vergönnt, das aus dem alten pl. gebildet wurde, für goth. gadars ga-
daursum gadaursta, ahd. tar turrum torsta, mhd. tar lürren torste
steht ags. dear durron dorste, mnl. dar dorren dorste; das altn. |iora,
schwed. töras hat andern anlaut, einfaches R (nicht RR = RS) und
regehnäszige flexion. man dauert im ags. geman (oder gemon) gemu-
non so wie im altn. man munum fort. ags. beneah uud geneah habe
ich zu Elene s. 152 aufgewiesen, das praet. lautete benohte genohte; 899
wahrscheinlich ist das altn. regelmäszig flectierte nä consequi, impe-
* als torsta entsprang, muste noch das praes. tars tursum lauten, das
allmählich zu tar turrum wurde; im praet. war S durch folgendes T gebunden.
UhrllrrlS ndV YT)i#[>-i^ «'tt üh irt»
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624 VERSCHOBNES PRAETERITUM
trare verwandt, mag mahta heiszt altn. mä pl. megum, praet. mätli,
in welcher form gleichen schritt hält knä possum, pl. knegum, praet.
knätti, unterschieden von kann novi pl. kunnum, praet. kunni. zu
knä gehören die der anomalie nicht unterworfnen ahd. chnähan chnäta,
ags. cnävan cneov part. cnaven, beide noscere ausdrückend, die zwei
anomalien dritter conj. golh. ög und möt gehrechen der altn. spräche,
doch läszt sich aus dem verhalten der regelmäszigen öga ögadi me-
tuere und ötta öttadi terrere ein verlornes altes 6 ött 6, pl. öum oder
ögum ahnen, goth. aih aihta besteht im alts. 6h ögun öhta, ags. äh
ägon ähte, fries. äch ügon ächte, altn. ä ätt ä pl. eigum, praet. ätti,
inf. eiga, über Wandlung des EI in Ä grumm. I, 458. mnd. entfaltete
sich ein regelmäszig schwaches egen habere, decere, merere, dessen
III praes. eget und praet. egede lautet, dem goth. daug, ahd. mhd.
touc zur seite steht noch alts. dög, mnl. döch, ags. deäh zur seite;
nhd. beginnt für taug, das noch Opitz, Chr. Weise, der Simplicis-
simus haben, fehlerhaftes taugt, praet. taugte; schon das altn.
duga, dän. due hat schwache form. Statt der goth. dreizehn, ahd.
eilf anomalien hat die mhd. spräche nur neun, die nhd. sechs be-
halten.
Ilervorzuheben ist noch, dasz in die ags. II praet., welche ahd.
wie goth. immer auf -t ausgeht, der conjunctivische vocal und ablaut
vorzudringen beginnt, wie es im regelmäszigen starken praet. berscht,
neben väst novisti, älist habes (EI. 725), meaht potes, dearst audes
reiszt schon äge dürre duge cunne unne ein.
Unmittelbar an die eben erörterte anomalie schlieszt sich noch
eine einzelne mit der besonderheit, dasz das verlorne alte praesens
ind. zwar auch aus dem praet., aber ganz conjunctiver gestalt ersetzt
wird, d. h. überall waltet der pluralablaut. im praesens gilt also nur
conjunctivflexion, Wie sie einem starken praet. gebührt, während das
900 schwache praet. noch beide modos, ind. und conj. auf die gewöhn-
liche weise scheidet.
Dem goth. praes. viljau vileis vili, pl. vileima vileij* vileina, wel-
ches sowol volo als velim ausdrückt, steht im praet. vilda vildßs vilda
pl. vildedum vildeduf) vildedun für volui und vildedjau vildedeis vildedi
u. s. w. für veilem oder voluerim zur seite. alle diese ablaute mit I
weisen zurück auf einen stamm veila vail vilum.
Ahd. findet manigfalte mischung der formen nach modus und
tempus statt, die zuletzt Übergänge in den ablaut erster oder zweiter *
conjugation herbei führte; man kann an diesem verbum die eigenheit
fast aller einzelnen denkmäler prüfen, ich habe sie bereits gramm. 1,-
884 angegeben und erklärt, wozu auch Graff 1, 817—820 verglichen
werden mag. in der III sg. wili = goth. vili behauptete sich das
praet. conj. am längsten, doch daneben drängte wcllfi mit praesens-
llexion vor, die den ganzen plural einnahm, weil nun solches welle
* auf wilan wal führt nemlich das abgeleitete transitive vvelian wellan eligere,
goth. valjan.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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conjunctiv suelle suellßm suellöt
er suillu glich, so gelangte man
isens und praeteritumsbegrif über-
ind auf wolle wollßm wolta statt
goth. viljan — vilda näher lagen,
enn bereits das sie begründende
HbU iuch die ags. spräche im praet.
v»\M 7 ’ * ...
«fa».
behauptet, mhd. herscht wolte,
aus einer ags. urkunde des neun-
Brkwürdige formet auszuheben: ic
icksvoll beide tempora verbunden
vvillu inti will5 oder ein lat. cvolo
ciiuit uiiu nun rin
1 zeigt
5 goth. adverb vaila bene unmittel-901
erbum selbst nicht mehr auftauehen-
vorstellungen des willigen, gefälligen, guten
^ . j' nah, wie wir noch heute ‘gern und gut5 zu verknüpfen
M^CCa 'wela steht aber nicht für w61a weila, sondern ist mit
* LUr* l J. , » . , . ..
L,v _ gebildet, was wieder durch die nebenform wola be-
V wo?*«*- W P. ’ ...... , ,
j<^ —nicht anders vertreten sich die substantiva welo und
musjL die hauptfrage dieser Untersuchung aufgewor-
vas war grund und anlasz aller bisher besprochnen
ine zweifei ein aus dem begrif solcher Wörter von
!er Übergang der bedeutung des praeteritums in die
und ich darf noch weiter gehend aufstellen: die ab-
"" führt jedesmal zurück auf eine sinn-
wird uns ein lichter blick in das
,, und glückt es mir nicht alle for-
lie nothwendigkeit des Verfahrens ein-
i
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gignere voraus, dessen NN so unur-
l rinnan und brinnan (s. 853), so dasz
Bn sein musz, welche auch kuni genus
stätigt. * im gr. ytvvuio dieselbe ge-
C/Tq mnni. kann drückt demnach aus was
/ | ursprünglich gr. ytyova, das aber in vofe a^ome-*
J :h, wogegen yiyvcooxio yivcöaxco und = •
tunnan empfangen, man dürfte sagen, mooi
no durch ableitung in den hegrif des
i / r /\
'Tue a^nxiA jrvfXTULl, SV<y 0.oltx, a>arr\a/ nexjrjuy
VmtuUU- cJnanru, & °
kan könum (wie funa fan fönum s. 847) zu
cliuoni audax erklärbar, über welches ich
nathen batte, kuna kan künum darf aber,
neben dem oben s. 847 gemutmaszten qina
i/^ au.A Ku.t£<)<,
CutTö
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
624
VERSCHOBNES PRAETERITUM
trare verwandt, mag mahta heis
in welcher form gleichen schritt
knätti, unterschieden von kann
knä gehören die der anomalie nie
ags. cnävan cneov pari, cnaven, t
anomalien dritter conj. goth. ög u
doch läszt sich aus dem verhalte
tuere und otta öttadi terrere ein '
ögum ahnen, goth. aih aihta bes
ägon ähte, fries. äch ägon ächte,
inf. eiga, über Wandlung des EI in
sich ein regelmäszig schwaches egt
III praes. eget und praet. egede la
touc zur seite steht noch alts. dög
nhd. beginnt für taug, das noch (
simus haben, fehlerhaftes taugt,
duga, dän. due hat schwache form. Statt der goth. dr
eilf anomalien hat die mhd. spräche nur neun, die nh
halten.
Ilervorzuheben ist noch, dasz in die ags. II praet.,
wie goth. immer auf -t ausgeht, der conjunctivische voca
vorzudringen beginnt, wie es im regelmäszigen starken pr
neben väst novisti, älist habes (EI. 725), meaht poles,
reiszt schon äge dürre duge cunne unne ein.
Unmittelbar an die eben erörterte anomalie schlies;
eine einzelne mit der besonderheit, dasz das verlorne s
ind. zwar auch aus dem praet., aber ganz conjunctiver gt
wird, d. h. überall waltet der pluralablaut
conjunctivflexion, \Vie sie einem starken p
900 schwache praet. noch beide modos, ind.
liehe weise scheidet.
Dem goth. praes. viljau vileis vili, p]
ches sowol volo als velim ausdrückt, stel
pl. vildedum vildeduf) vildedun für volui 1
u. s. w. für veilem oder volucrim zur se
w'eisen zurück auf einen stamm veila vail
Ahd. findet manigfalle mischung (
tempus statt, die zuletzt Übergänge in d
conjugation herbei führte; man kann an
fast aller einzelnen denkmäler prüfen, i
884 angegeben und erklärt, wozu auch
werden mag. in der III sg. wili = j
praet. conj. am längsten, doch daneber
flexion vor, die den ganzen plural einn
fr
vo
SJQ V'
* auf wilan wal führt nemlich das abgelei
goth. valjan.
* n
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VERSCHOBNES PRAETERITUM
625
wellßm weitet gegenüber willu dem conjunctiv suelte sueltem suellöt
mit dem part. praet. suollan gegenüber suillu glich, so gelangte man
leicht bei einem verbum, dessen praesens und praeteritumsbegrif über-
all schwankte, auf den inf. wollan und auf wollö woltem wolta statt
und neben wellan — welta, die dem goth. viljan — vilda näher lagen,
jünger müssen die Oformen sein, wenn bereits das sie begründende
LL aus LI hervorgieng; doch hat auch die ags. spräche im praet.
volde entfaltet, die altn. aber vildi behauptet, mhd. herscht wolte,
mnl. wilde neben woude.
Nicht enthalten kann ich mich aus einer ags. urkunde des neun-
ten jh. (bei Kemble 2, 121) die merkwürdige formel auszuheben: ic
Alfred cvilio and ville3, wo nachdrucksvoll beide tempora verbunden
stehn, sie läszt sich in ein ahd. Svillu inti will5 oder ein lat. ‘volo
velimque1 übertragen.
Es ist wahrscheinlich, dass, das goth. adverb vaila bene unmittel-901
har zu viljan gehört und den im verbum selbst nicht mehr auftauchen-
den ablaut vail zeigt. Vorstellungen des willigen, gefälligen, guten
liegen einander nah, wie wir noch heute ‘gern und guf zu verknüpfen
pflegen, ahd. wela steht aber nicht für wela weila, sondern ist mit
dem pluralen I gebildet, was wieder durch die nebenform wola be-
stätigt wird, nicht anders vertreten sich die substantiva welo und
wolo opulentia.
Nun aber musst die hauplfrage dieser Untersuchung aufgewor-
fen werden: was war grund und anlasz aller bisher besprochnen
anomalien? ohne zweifei ein aus dem begrif solcher Wörter von
selbst flieszender Übergang der bedeutung des praeteritums in die
des praesens; und ich darf noch weiter gehend aufstellen: die ab-
stracte Vorstellung des praesens führt jedesmal zurück auf eine sinn-
liche des praeteritums. Hier wird uns ein lichter blick in das
geheimnis der spräche gestattet, und glückt es mir nicht alle for-
men aufzulösen, so soll doch die nothwendigkeit des Verfahrens ein-
leuchten.
kann novi setzt ein kinnan gignere voraus, dessen NN so unur-
sprünglich sein musz wie das in rinnan und brinnan (s. 853), so dasz
die ältere form kina kan gewesen sein musz, welche auch kuni genus
ylvog und ahd. chind proles bestätigt. * * im gr. yavvüa) dieselbe ge-
mination und ebenso im ahd. chunni. kann drückt demnach aus was
lat. genui und vielteicht^auch ursprünglich gr. ytyora, das aber in vofe
den sinn von natus slim auswich, wogegen yiyvwoxio yivtoaxco und = -nomt,-* •
lat. nosco = gnosco den von kunnan empfangen, man dürfte sagen, mooi
kinnan geht durch ablaut, gigno durch ableilung in den begrif des 5c*a
gprux. apruxK <xtUJ, SV<Y ttoL-r», Q>a.-r\o/ aajrvu/
cbTUJU. duITi*u. & "
* kuni vermag sogar auf kuna kan könum (wie funa fan fönum s. 847) zu
leiten und damit würde köns ahd. chuoni audax erklärbar, über welches ich
neulich bei Haupt 6, 543 anders gerathen hatte, kuna kan könum darf aber,
meiner ansicht nach, auszer und neben dem oben s. 847 gemutmaszten qina
qan qönum gelten.
(JöHv.KUTvj>S TVoVuä . VOXT^>-5eT'0// O-llÄ KU*«)«, ^
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sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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i ober»
VERSCHOBNES PRAETER ITUM
erkennens über, zeugen und erkennen sind vielfach in einander grei-
fende Vorstellungen *.
goth. Jrnrf bedeutet egeo, was wir heute durch ich darbe oder
bedarf ausdrücken. gerade nun wie aus lat. ago egeo scheint mir
auch aus einem verlornen goth. [tairba, das gleichfalls agere facere
operari bedeutet haben muss, fiarf abzuleiten, wohnt diesen Wörtern
zumal der sinn des opferns bei (mythol. s. 27) so mag jtarf auszu-
legen sein: ich habe dargebracht, d. li. bin jetzt ohne opfergegen-
stände und warte auf neue; es war priesterlicher ausdruck **. ahd.
wird das kirchliche azymus mit derp, ags. mit J>eorf übertragen, das
war noch das heidnische wort für opferbar; der bedächtigere Ulfdas
meidet ein ihm wahrscheinlich zu gebot stehendes [tairbs zu brauchen
und verdeutscht getreuer durch unbeistjöfjs. leicht ist meine s. 809
vorgetragne deutung des dakischen Dorpaneus falsch und Thaurbaneis
Dorfuni ein priestername, denn die slavische und finnische spräche,
wie ich schon s. 328 ausführte, bezeugen diesen merkwürdigen Zu-
sammenhang der begriffe opus sacrificium und necessitas. sogar
das lat. ‘opus est’ kommt meiner erklärung unseres ‘darf* zu
statten ***.
gadars audeo vergleicht sich zunächst dem gr. d-aQoho (S-a^ta)
— ahd. tar turrum) und das adj. d'UQovq = d-Qaovg ist das litth.
drasus audax; man sehe auch s. 195. das zum grund liegende dairsa
musz einen sinnlichen begrif enthalten, den ich noch nicht bestimmt
kenne, die Vorstellung des begehrens, wie sie im lat. aveo liegt, das
wol mit audeo ausus sum (für avisus? nach gaudeo gavisus) nah ver-
wandt sein wird, ist mir nicht sinnlich genug, gadars müste sagen:
ich habe gefochten, gekämpft. das mhd. wägen andere (denn
ahd. wäkön fehlt) stammt von wigen und bedeutet etwas wie com-
movere. oei-fiayr ■piuyr>o.ye. . «^eb-rauen U.u^toJbt-y
skal debeo setzt skila voraus, aber der begrif, welchen ich die-
sen Wörtern beilege, wird überraschen, skila musz heiszen ich tödte
oder verwunde, skal ich habe getödtet, verwundet und bin zu wergeld
verpflichtet, von skila ist übrig das goth. skilja lanio schlächter,
tödter 1 Gor. 10, 25, ich denke das ahd. scelmo pestis (wie heim
von hilu)fund scelmlc morticinus, vielleicht auch altn. skilja discrimi-
nare, intelligere, wenn man die bedeutung dilaniare discindere diffindere
unterlegen darf. Aber nun wird alles bedenken schwinden, warum bei
Ulfdas dulgs debitum, ags. dolg ahd. tolc hingegen vulnus, altn. dölgr
hostis aussagen; wunden waren dem alterlhum gleich dem lodschlag
hauptgegenstand der composition. f jetzt erläutern beide ausdrücke
* cognoscere uxorem Genes. 4, 1. 17. 25, sin wip erkennen. Diut. 3, 55.
** und bestärkt dieser nicht in dem was ich s. 819 sage?
*** Stco Seofiai binde und Seco 8e$uai mangle, bedarf, bitte dürfen nicht
von einander gesondert werden, ol Seö/uevot sind die bittenden und Set lieiszt
oft was XQrj. auch goth. binda für bida mag verwandt sein mit bidja peto.
-f- vgl. s. 325. 653 und meine Vorrede zu Rösslers rechtsdenkm. aus Böhmen
und Mähren. Prag 1845.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
4k Jk ^ .4k .4k 4k*4k 4k 4k 4k ^ 4k 4k kkjJk 4k 4k 4k 4k 4k 4l^'
VERSCHOBNES PRAETERITÖM 627
sculd und dulgs einander auf das bündigste. Wie lange zeit mochte
schon verstrichen sein, seit den Gothen diese kriegerischen Wörter
in die bedeulung jeder andern schuld iibergegangen waren und das
verbum skal die ahstraction unserer anomalie angenommen hatte?
Luc. 7, 41 erscheinen sogar dulgis skula unmittelbar zusammen. Ich
kann aber noch andere zeugen aufrufen. das lett. waina ist wiederum
beides wunde und schuld, wainigs der schuldige, assinswainiges der
auf dem blutschuhl haftet, das litth. wainas aber bedeutet ldosz krieg,
wie das poln. woina, böhra. wogna, altsl. voi, wozu man unsere Dul-
gibini bellatores halte. Buchstäblich nah tritt das litth. skelu *= skal,
skeleti = skulan, skola = skulds, preusz. skellänts schuldig, skallisna
debitum, daneben aber litth. skeliu findo, skyle fissura, skaldau fnulo,
lett. skaldiht findere; dies skeliu begegnet jenem goth. skila und aus
dem begrif des spaltens, hauens, tödtens gieng die Vorstellung wunde
und schuld hervor. *
man oifiui vo/lu^co Xoyi^oficu verlangt ein altes mina cogilo und 904
sagt also aus: ich habe mich bedacht, erinnert, es muss früher miman
gelautet haben, und entspricht den buchstaben wie dem begriffe nach
völlig dem gr. (itfiova, lat. memirii, litth. menu und atmenu, primenu. 6Kr*-
im abgeleiteten ufarmunnön und im ahd. minnön sehn wir unorgani- woimana .
sches NN, wie in kunnan und brinnan entfaltet, gerade wie aus litth.
menu rainnejau und minnimas.
mag dvvufiui ia/vco drückte wahrscheinlich aus, was kann: ich EheJi öei
habe gezeugt, ich vermag, vigeo, polleo. magn magan potentia. magus {jyZ'SS vov.
nuig, Tfy.vov, mavi = magvi xopdotov, nuQd-tvog sind die erzeugten waXu
kinder. ihm im hintergrunde hegen wird migan, welches sich be- »tL ekti
rühren könnte mit meilia maih migum (s. 857) und mit gr. (iiyvv(ii «cm <*.&«*
in der homerischen bedeutung. Aus den urverwandten sprachen ge-
hört hierher lat. magnus fortis, mactus pollens und vielleicht mox = >Xo /[
valde; litth. macis macnis vis, macnus potens, macnorus vir fortis,
pamacziju auxilior, polleo, moku possum, inlelligo, mokinnu doceo; sl.
mogu possum, nemoschtsch infirmitas, pomoschtsch’ auxilium, moschtschi
die helfenden, kräftigen reliquien (s. 148); ir. mac (gen. mic) filius,
macaomh juvenis. wahrscheinlich ist auch (ityag hierher zu nehmen,
dessen G sich wie das in (.iiyvvf.ii und lat. magnus (neben litth.
macnus) verhält und uns des Übergangs von mag in mikils versichert,
vgl. skr. mahat und gr. fiaiCcov goth. maiza für mahiza majiza?
lat. major. einer so uralten Wurzel musz noch manches andre zu-
fallen.
* schelten (ahd. sceltan scalt scultun) heiszt jemanden seiner schuld zeihen,
sie ihm vorwerfen, die ‘sceltrere bceser geltere* Iw. 7162 (vgl. anm. zu Iw. s. 349.
544 und RA. s. 613. 953) waren also ursprünglich solche die einen des tod-
schlags ziehen, und da die blutrache erblich war, so erklärt sich daraus Nib. 936
‘dem man itewizen sol, daz sine mäge ieman mortlich hänt erslagen*. zu schei-
tern brauchte man aber spielleute, was wieder licht werfen kann auf das wesen
der heidnischen spielleute, vgl. s. 820. hier werden Wörter und brauche wichtig
für das älteste recht.
40*
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VERSCHOBNES PRAETER1TUM
nah nur übrig in ganah uqxu und hinab sofort oder dti (den
gr. salz nävxa t'&oxiv, aXX’ ov nuvxa ovf.aftQti 1 Cor. 10, 23
verdeutscht Ulf. schön: all binah, akei ni all dang.) die bedeutung
von nah musz also der von mag nicht sehr weit abgelegen haben,
doch wage ich nicht die des zum gründe liegenden naihan anzugeben.
905 auf jeden fall gehört dazu nahts, lat. nox, litlh. naktis, sl. noschtsch’,
die vermögende, genügende, ruhige? (mythol. s. 698.)*
ög metuo geht zurück auf aga tremo, von welchem auch agjan
tremefacere terrere und agis tremor, metus übrig sind, ög heiszt also
eigentlich: ich habe geschaudert, gezittert, toxtavog altn. aegir kann
den schauer, aber auch die zitternde bewegung der flut ausdrücken.
skr. edsch tremere (Bopps gloss. p. 59.)
möt, gamöt ist /togtio, capio, aus yioquo leitet sich ebenso yqrj
ab, gamötjarx bedeutet dnavxdv vnavxäv, aber welcher sinnliche be-
grif wurzelt darin? was hiesz mata, dessen praet. möt ausdrückt:
ich fasse, finde raum? noch bleibt es mir dunkel.
aih tyco, xtxxrji.iai, von eigan schaflen, arbeiten: ich habe ge-
schah, errungen, erworben; obvvol man sinnlicheren begrif haben
möchte, dasz xxdo/nai y.txi'tjj.iai unmittelbar mit xxttvio xxuvü txxova
zu verknüpfen und ursprünglich auf kriegsheute, spolium, unser hröo-
rauba zu ziehen, nach dieser analogie aber auch eiga aih zu fassen
^ sei, soll hier als bloszer einfall mitgetheilt werden, den sonst nichts
ro Jfou stützt, es wäre ein gegenstück zu skal von skilan, doch anders ge-
ioo wendet. xxtQug ist habe, eigenthum, xd xxtqta todtenehre.
xy. ■uÄ'.pZwA'*- 4^ vait gleich dem gr. otöa bedeutet novi und fordert veitan videre,
lo • laooUjC) && das noch in den Zusammensetzungen inveitan und fraveitan forllebt;
, eigentlich sagt es aus: ich habe gesehn. das lat. scio ist unser
huih saihva. vc^l. ß>opjx 2 au£^.|»-125^ wonaJ, au.& l>uc)/> •
a-Yry' jajs wiederum olda, von einem verlornen leisa, dem ich die be-
^oujlo deutung calco, calce et pede premo beilege, lais heiszt also genau
* lüupuxv^j itio was wir nocli heute ausdrücken: ich habe es an (oder mit) den füszen
<^iuuUi/öu abgetreten — ich vveisz es längst, von dieser sinnlichen Vorstellung
ist übrig: ahd. leisa vestigium, leisanön imitari d. i. einem nachtreten,
auf der spur folgen**, foraleiso anteambulo, praevius, goth. laists
lyrog, ahd. laist, ags. laeste calopodium, goth. laistjan secpii, persequi,
906 vestigium premere, ahd. leistan, ags. laestan, ahd. liso (goth. leisaha?)
leX . £ouviJSserisim, pedetentim. hingegen herscht abstracte Vorstellung im goth.
Si rui£ laisjan docere, ahd. löran, goth. lists, ahd. list ars, scientia, goth.
lubjaleisei (f UQfiaxti'a. Mit unrecht haben die Altenburger und Schulze
laists von leisan gesondert und schon letzterm wort die abstracte be-
deutung beigelegt.
U)Gicie,w
“fy eiben
* umgekehrt den Griechen SsiSia vi>£ oxorla, naoa ro Ssivov. Lobeck
rbem. p. 254.
** vgl. gr.^fitd'oSos, eigentlich nachgang, folge, dann aber forschung.
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VERSCHOBNES PRAETERITUM
daug prosum, valeo * ** lenkt zurück auf diuga oder diuha, welchem
man wieder den sinnlichen begrif des zeugens Zutrauen könnte, wozu
dauhtar (s. 266. 269), wie zu kann kind, zu mag magus und mavi
stimmen, im sanskrit ist eine Wurzel duh mulgere, emulgere, der
Bopps gloss. 173 lat. duco und goth. tiulia vergleicht; wäre duhitä
das gesäugte kind und daug Cich habe gesogen, bin aufgesäugt, er-
starkt1, so hätte sich in daug und dauhtar der laut nicht verschoben, 'üo
vgl. ahd. dühan premere (Graff 5, 1 i 7.)v»ov\'Vouo aytattLc.-.v'ä
Mich dünkt, was in diesen Wahrnehmungen sicher ist, müsse auch
dem ungewissen und gewagten wege bahnen, nothwendig aber scheint
es einer so bedeutenden ricbtung, wie die ganze anomalie des zurück-
geschobnen praeteritums ist, analogie des Verfahrens für form und
begrif beizumessen. In bezug auf die form habe ich noch etwas
wichtiges nachzuholen.
Die inhnitive des sinnlichen begrifs kinnan [)airban dairsan skilan
>an diugan sind in der
rhanden und nur noch
i folgern.
i und participia praes.
ie participia den seit- 907
laben belege für den
n Marc. 4:
Joh.
skulan;
; lisan;
! die participia kun-
agands ögands aigands
ls mit der bedeutung
seien» wcue uieiKwuraig, wen es um nsanus legens colligens zusammen-
stiesze. vielleicht darf man aus dem pl. lisum scivimus den neuen
stamm lisa las herleiten, etwa wie aus meiha maig migum ein neues
miga mag spross? auffallend ist unagands 1 Cor. 16, 10. Philipp. 1,
14 für unögands (ögands Marc. 5, 33. Luc. 8, 25. 18, 2); dies
agands wäre demnach Überrest jenes sinnlichen agan und sollte die
sinnliche bedeutung tremens haben.
Wie im goth. sind im ahd. die inf. chunnan durfan turran sculan
(und scolan) makan eikan wizzan tukan gerecht und danach die part.
chunnanti u. s. w. anzusetzen, sculanti und scolanti, lukanti und
tokanti (der beleg togantöm probis bei Graff 5, 371 lehrt, dasz 5,
369 tugan zu schreiben war, nicht tügan.) über das EI in eikan
äuszerte ich mich vorhin (s. 899.)
MM** Cl*vt
* bei Ulf. erscheint lediglich III sg., eben so in den ahd. quellen nur III sg.
und pl., weshalb sich Graff 4, 369 einbildet, I und II seien unstatthaft; das
wäre als wollte man, weil auch im Iwein keine I und II auftaucht, sie der gan-
zen mhd. spräche ableugnen, Waith. 55, 30 steht aber tiigest valeas, und Beov.
1047 dohte valueris.
** die glossare hätten überall diese infinitive ansetzen, nicht daneben ein
minan agan und leisan aufstellen sollen.
/ 4k .414k 4k ÜK. .4k
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628
VERSCHOBNES PRAETERITUM
nah nur übrig in ganah uQxti und binah t'£ton oder da (den
gr. salz nävra i'^eoriv, äXX* ov nuvxa ovfKptQti 1 Cor. 10, 23
verdeutscht Ulf. schön: all binah, akei ni all daug.) die bedeutung
von nah musz also der von mag nicht sehr weit abgelegen haben,
doch wage ich nicht die des zum gründe liegenden naihan anzugehen.
905 auf jeden fall gehört dazu nahts, lat. nox, litlh. naktis, sl. noschtsch’,
die vermögende, genügende, ruhige? (mythol. s. 698.) *
6g metuo geht zurück auf aga tremo, von welchem auch agjan
tremefacere terrere und agis tremor, metus übrig sind, ög heiszt also
eigentlich: ich habe geschaudert, gezittert, coxeavog altn. aegir kann
den schauer, aber auch die zitternde bewegung der flut ausdrücken.
skr. ödsch tremere (Bopps gloss. p. 59.)
möt, gamöt ist /coquo, capio, aus /WQtco leitet sich ebenso /QV
ab, gamötjarx bedeutet anavxäv vnavxäv, aber welcher sinnliche be-
grif wurzelt darin? was hiesz mata, dessen praet. möt ausdrückt:
ich fasse, finde raum? noch bleibt es mir dunkel.
aih f
schaft, ei
möchte, t
zu verknü]
rauba zu
sei, soll 1
ro Ödön.2‘& stützt, es
rofdrocr scto wendet.
iy 42j) vait {
U) . das noch
, eigentlich
.uuh saihva. vo
Ca™. jajs wiederum oiöa, von einem verlornen leisa, dem ich die be-
()Ou2lo deutung calco, calce et pede premo beilege, lais heiszt also genau
X Sci'o was wir noch heute ausdrücken: ich habe es an (oder mit) den füszen
uU>udu 1>M-abgetreten = ich weisz es längst, von dieser sinnlichen Vorstellung
ist übrig: ahd. leisa vestigium, leisanön imilari d. i. einem nachtreten,
auf der spur folgen**, foraleiso anteambulo, praevius, goth. laists
tyyog, ahd. laist, ags. laeste calopodium, goth. laistjan sequi, persequi,
906 vestigium premere, ahd. leislan, ags. laestan, ahd. liso (goth. leisaba?)
le.X 8al. (aiytjsensim, pedetentim. hingegen herscht abstracte Vorstellung im goth.
S) nuS laisjan docere, ahd. löran, goth. lists, ahd. list ars, scientia, goth.
lubjaleisei (paQf.iaxf.ia,. Mit unrecht haben die Altenburger und Schulze
laists von leisan gesondert und schon letzterm wort die abstracte be-
deutung beigelegt.
U)ßLi^w
“Fyeiben
* umgekehrt den Griechen SsiSia vv£ oxozia, naga r6 Seivov. Lobeck
rbem. p. 254.
** vgl. gr.^/ze9'o§os, eigentlich nachgang, folge, dann aber forschung.
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llw
VERSCHOBNES PRAETERITUM
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daug prosum, valeo * lenkt zurück auf diuga oder diuha, welchem
man wieder den sinnlichen begrif des zeugens Zutrauen könnte, wozu
dauhtar (s. 266. 269), wie zu kann kind, zu mag magus und mavi
stimmen, im sanskrit ist eine wurzel duh mulgere, emulgere, der
Bopps gloss. 173 lat. duco und goth. tiuha vergleicht; wäre duhitä
das gesäugte kind und daug Cich habe gesogen, bin aufgesäugt, er-
starkt1, so hätte sich in daug und dauhtar der laut nicht verschoben, 3auiCv>
vgl. ahd. dühan premere (Gralf 5, 11 7.)'Joy»'Pouc.
Mich dünkt, was in diesen Wahrnehmungen sicher ist, müsse auch
dem ungewissen und gewagten wege bahnen, nothwendig aber scheint
es einer so bedeutenden richtung, wie die ganze anomalie des zurück-
geschobnen praeteritums ist, analogie des Verfahrens für form und
begrif beizumessen. In bezug auf die form habe ich noch etwas
wichtiges nachzuholen.
Die infinitive des sinnlichen begrifs kinnan f>airban dairsan skilan
minan migan naihan agan matan eigan veitan leisan diugan sind in der
spräche, mit ausnahme von veitan, nicht mehr vorhanden und nur noch
aus dem praet. wie aus andern Wortbildungen zu folgern.
Dagegen werden für die abstraction infinitive und participia praes.
jederzeit im pluralablaut gezeugt und man darf die participia den seit- 907
neren inf. mit beweisen lassen, die glossare haben belege für den
inf. nicht achtsam genug hervorgehoben: kunnan Marc. 4, 11. Joh.
14, 5; jiaurban; gadaursan II Cor. 10, 2. Philipp. 1, 14; skulan;
gamunan Luc. 1, 72; magan; ögan; aigan; vilan Marc. 7, 24; lisan;
dugan; und mit dem conjunctivischen I viljan. ** die participia kun-
nands ftaurbands gadaursands skulands munands magands ögands aigands
vitands dugands haben kein bedenken, aber lisands mit der bedeutung
sciens wäre merkwürdig, weil es mit lisands legens colligens zusammen-
stiesze. vielleicht darf man aus dem pl. lisum sciviinus den neuen
stamm lisa las herleiten, etwa wie aus meiha maig migum ein neues
miga mag spross? auffallend ist unagands 1 Cor. 16, 10. Philipp. 1,
14 für unögands (ögands Marc. 5, 33. Luc. 8, 25. 18, 2); dies
agands wäre demnach Überrest jenes sinnlichen agan und sollte die
sinnliche bedeutung tremens haben.
Wie im goth. sind im ahd. die inf. chunnan durfan turran sculan
(und scolan) makan eikan wizzan tukan gerecht und danach die part.
chunnanti u. s. w. anzusetzen, sculanti und scolanti, lukanti und
tokanti (der beleg togantöm probis bei Graff 5, 371 lehrt, dasz 5,
369 tugan zu schreiben war, nicht trtgan.) über das EI in eikan
äuszerte ich mich vorhin (s. 899.)
* bei Ulf. erscheint lediglich III sg., eben so in den ahd. quellen nur III sg.
und pl., weshalb sich Graff 4, 369 einbildet, I und II seien unstatthaft; das
wäre als wollte man, weil auch im Iwein keine I und II auftaucht, sie der gan-
zen mhd. spräche ableugnen, Waith. 55, 30 steht aber tügest valeas, und Beov.
1047 dohte valueris.
** die glossare hätten überall diese infinitive ansetzen, nicht daneben ein
minan agan und leisan aufstellen sollen.
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630
VERSCHOBNES PRAETERITUM
Haben diese infinitive den ablaut des praet., so wäre der gedanke
natürlich, dasz auch das characteristische U der flexion des praet. in
sie eingienge, und z. b. ein inf. vitun neben jenem veilan stünde, wie
lat. scivisse neben scire; praesensbedeutung könnte dem vitun ver-
bleiben, wie dem lat. esse oder unserm sein, welchen beiden, ihrer
form nach, eigenheit des praesens zusteht, wirklich zeigt die altn.
spräche die inf. skulu und munu = meminisse, obschon die übrigen
kunna unna fmrfa mega knega vita eiga vilja lauten. Noch vortheil-
hafter wäre ein solcher inf. praet. für die nicht anomalen, starken
908 wie schwachen verba, um giban dare von gebun dedisse, teihan dicere
von talhun dixisse, salbön ungere von salbödedun unxisse zu unter-
scheiden; nur käme die gestalt allzusehr mit der III pl. überein, wie
uns nhd. geben dant und geben dare zusammen fallen.
Nicht genug, dasz mehrere dieser anomalen verba heute ausge-
storben sind, beiylj£ andern haben auch die abstracten begriffe gewech-
selt; zu den verschobnen formen gesellen sich Verschiebungen der
bedeutung, diese verba sind die abstractesten der spräche, ihre auxi-
liäre Vorstellung musz oft in einander übergehn, kann ist uns nicht
mehr novi sondern possum, darf nicht mehr egeo sondern licet, soll
zwar noch debeo, aber auch volo, mag nicht mehr possum sondern
volo lubet, musz nicht mehr capio sondern debeo. in bedarf und
vermag dauert aber der alte sinn von darf und mag. der Engländer
umschreibt sein futurum erster person durch I shall, we shall, zweiter
und dritter person aber durch thou will, he will, ye will, they will
(grarnm. 4, 182 — 184); es ist höflich, dasz der redende von sich
sollen, von andern wollen gebraucht. Noch heute ist diese Umschrei-
bung in Deutschland verschieden nach der gegend: am Rhein sagt
man: Cich will kommen’, in Berlin Cich werde kommen.3
Die eigenheit der anomalie bewährt sich auch in richtungen der
syntax. von ihnen abhängig ist z. b. eine gothische ausdrucksweise
des passivums (grannn. 4, 58. 59) oder die construction des reinen
infmitivs (4, 92) oder die ellipse des infmitivs (4, 132), des auxiliären
haben bei Umschreibung des inf. praet. (4, 174.) dahin darf man
ferner das praefix ge- vor infmitiven nach können und mögen rechnen
(2, 847), die fügung des part. praet. nach sollen, wollen, taugen
(4, 128) endlich die ihrer eignen part. praet. (4, 167. 168.) Die
abweichende form dieser anomalen verba gestattet und bedingt zugleich
auszerordentliche constructionen.
Begegnen sich in solchen auxiliären, die gelenke der rede her-
gebenden Wörtern urverwandte sprachen, was könnte ein stärkeres
zeugnis ihres hohen alterthums sein? am allernächsten tritt die grie-
909 chische in ihrem ytyova fitfiova oiöa l'/io fragoto) unserm kann
man vait äih dars, und für mag ög daug dürfen wenigstens ange-
schlagen werden fA.iywf.it loxeavog d-vyärrjQ, von dreizehn in der
spräche waltenden wurzeln sind fünf entschieden gemeinschaftlich, dasz
skr. vßda in form und praesensbedeutung dem vait gleichstehe, ist
schon oft angeführt worden; skr. drs ist gadaursan. aus
arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
CO
CO
CD
X
©
c, 4k>. 4L^^Jik.-4k-43i'4.Ä'
VERSCHOBNES PRAETERITUM
dem latein gleichen gigno memini video und volo (sogar mit dem vocal-
wechsel in volo velim.) die slavische zunge entspricht in mogu dem
mag, in vidjeli videre vjedjeti cognoscere dem vitan, in veljeli, (Mikl.
p. 9) serh. voljeti, poln. wolec, böhm. wolili dem goth. viljan, lat.
veile ; trjeba (s. 328) läszt sich zu jtarba halten, zumal merkwürdig
sind die litth. einstimmungen; zinau ist goth. kann, moku mag, skelu ^vVou.
skal, menu man, drystu dars, weizdmi video und weliti viljan. hier
stimmen sieben Wörter, vielleicht berührt sich auch litth. lett. turru
habeo teneo mit darf, am fernsten liegt uns aber hier die keltische
spräche.
Nicht wenige lat. und griechische praelerila, auszer den ange-
führten, überkommen praesensbedeutung, novi hat den sinn von scio
und berührt sich sogar, weil es für gnovi steht, buchstäblich mit kann;
coepi heiszt, wie unser began, incipio; odi ich hasse; perii ich bin
verloren, was pereo. gr. bXcoXu bei Homer noch perii, bei den At-
tikern pereo; oY/coxa ich bin dahin (gegangen), perii; rt&rtna slupeo,
von einer wurzel, die mit &suo/jai nahverwandt gewesen sein wird,
so dasz der begrif entsprang: ich habe angeschaut, angestaunt, das
will sagen: staune, verwundere mich, vgl. dü[.ißog stupor und &av[xa
miraculum, von mirari. uvcoya jubeo moneo impello will ich einmal
mit ürwyu II. 14, 168 für^ uvtcoyu aperui von uvolyw aperio zu-
sammenstellen und an die zwiefache bedeulung unseres luka, claudo
und vello traho (s. 664) erinnern, d-v/iibg uxcoye kann heiszen voluptas
trahit, animus jubet, es hat mich angezogen, gelockt und locken ge-
hört zu lukan YXxeofrut. ä[A.(pißtßi]xu tueor, eigentlich circumivi.
xtxXrt/uou ich heisze', bin genannt worden. ntnu[.iui, wie xtxry/uai,
ich besitze, habe erworben, nu/.iu = xrij/nu, für die sinnliche be-
deutung halte ich aber pasco, da tnaGÜf.irjv ausdrückt sowol ich asz
als ich warb und auch vtf.iw vef.io/iiai beides pasco und possideo;910
dem Tiuo/uai und pasco verwandt ist das goth. födja, alul. fuotiu
(Graff 3, 378.) Auch hier läszt die spräche ins nomadenleben zurück-
schauen, ob der besitz auf die herde oder auf kriegsbeute zu leiten
sei, verschlägt nichts.
Man darf nach allem, was vorgebracht ist, schlieszen, dasz än-
derungen der grammatischen form immer innerlich durch den begrif
angeregt werden; die Vorstellung kann aber auch wechseln, ohne dasz
sich die form ändert, in 'unserm ich heisze ist gelegen sowol ich
werde genannt als ich bin genannt worden und gr. uxovco bedeutet
oft nicht ich höre sondern habe gehört ■=» ich weisz. Die lat. Um-
schreibung des passiven praeteritums ist in der roman. spräche durch
die bank ins praesens geschoben, d. h. franz. je suis aimd drückt
nicht mehr aus amatus sum, welchem es wörtlich entspricht, sondern
amor, denn amor konnte auf andere art nicht übertragen werden, und
nun musle für den begrif amatus sum j’ai etd ahne gesetzt werden,
gerade so bezeichnet das goth. bindada vincior, gabundans im vinctus
sum, ahd. aber kipuntan pim vincior, kipunlan was vinctus sum, bis
wir zuletzt heute, mit pedantischer häufung der hilfswörter, das praes.
ptttT
oScjSoC oho
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
VERSCHOBNES PRAETERITUM
durch ich werde gebunden, das praet. durch ich bin gebunden worden
wiedergeben.
Wie stiehl dies unbeholfne schieben der form ab gegen das be-
holfne durch bloszen ahlaut. denn wenn auch, wie wir sahen, die
urverwandten sprachen in manchen Wörtern sowol schoben als die
sinnliche bedeutung zur abslracten werden lieszen; hat sich doch,
gleich dem ablaut, diese ganze vortheilhafte anomalie nirgend so voll-
kommen entfaltet wie bei uns.
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XXXVI
Ich gehe auf ein ganz andres fehl über, um an neuem, noch 911
unversuchtem heispiel die gewalt des ablauts darzulegen.
Schon s. 274 wurde gesagt, dasz die trilogie A I U, auf deren
grundlage alle ablaute ruhen, auch die flexion meistere; es entspringen
nach ihr jedesmal drei declinationen des nomens, sowol des substan-
tivischen als adjectivischen. rcder Qw ^ tw uU wn/j ir*
Unter den drei kurzen vocalen ist A der edelste, unentbehrlichste
und allgemeinste, er waltet gleichsam von seihst, und begleitet, auch
wo er ungeschrieben bleibt, die consonanz; man kann sagen, obschon
unsichtbar wird er hörbar. Wie die älteste schrift ganz ohne vocale
war, die der leser den gesetzten consonanten hinzufiigte, läszt auch
das sanskrit jedes nach consonanten in und auslautende A unbezeich-
net, während dem bestimmteren I und U bereits Zeichen verliehen
sind: A folgt den consonanten an sich mit. Diesem gesetz angemessen
ist noch, dasz in der gothischen wortableitung zwischen mula und
liquida das A gewöhnlich nicht geschrieben wird, I und U aber in
gleicher läge ausgedrückt erscheinen; es heiszt agl (aglaitei) tagl stikls
fugls tagr akrs liggrs bagms ajm, wahrscheinlich auch magn vis, vagns
currus, hingegen ubils mikils ragin faginö hakuls hvöftuli fairguni. In
solchen fällen pflegt nun die ahd. spräche auch das A zu schreiben,
dessen nothwendigkeit zugleich aus der von ihm gewirkten brechung
des I und U erhellt: akaleizi zakal stechal fokal zahar achar finkar9I2
makan wakan, wie michil rekin hachul.
Dies hier nur beiläufig, um daraus folgern zu können, dasz auch
in der flexion, obgleich sie andern gesetzen unterliegt als die ablei—
tung, der vocal A häufig ausgefallen sein mag und darum, wie in der
flexion zu ergänzen ist, wogegen I und U länger dauern. Es ist also
der theorie geboten, und Bopps glänzende forschungen haben davon
vielfachen beweis geführt, themata mit A denen mit I und U zur seite
zu stellen.
Mein augenmerk ist nun der Wechsel des vocallauts in unsrer
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634
DECLINATIONSVOCALE
declination, d. h. was sich in jeder reihe auf der grundlage des A I U
entfaltet.
Im substantiv laufen den drei männlichen declinalionen drei weib-
liche dergestalt parallel, dasz die zweite und dritte, organischerweise,
für beide geschlechter ganz zusammenrinnen, in der ersten aber zwi-
schen den geschlechtern zwar analogie, doch bestimmte Verschieden-
heit obwaltet.
Ein paradigma der vollen und ursprünglichen flexion soll voran-
gehn, dann das der wirklichen folgen.
sg. dagas gastis sunus giba dßdis handus
dagis gastais sunaus gib ös dödais handaus
dagi gastai sunau gibö dödai handau
dagan gastin sunun giba dödin handun
pl. dagßs gasteis sunius gibös dedeis handius
dage gastijß sunivß gibö dödijö handive
dagam gastim sunum giböm dßdim handum
dagans gaslins sununs gibös dfidins handuns
die wirklich bestehende goth. flexion lautet aber
sg. dags gasts sunus giba dfif)S handus
dagis gastis sunaus gibös dödais handaus
daga gasta sunau gibai dedai handau
dag gast sunu giba död handu
pl. dagös gasteis sunjus gibös dedeis handjus
dagö gastß sunive gibö dedß handive
dagam gas tim sunum giböm dödim handum
dagans gastins sununs gibös dedins handuns
913 Was nun an dem früheren vocalstand allmälich geändert wurde und
zu gründe gieng, musz die analogie der ablaute ermitteln; sie hat
theoretisch die alte, verdunkelte bahn der declinalionen herzustellen.
Vorerst leuchtet ein, dasz die plurale besser erhalten sind und
das vocalverhältnis reiner gewahren lassen, wie gastim sunum, gastins
sununs zu dagam dagans stehn, fordert auch sunus ein gastis dagas.
Dann aber kann nicht bezweifelt werden, dasz die dritte decli-
nation in beiden geschlechtern, die zweite im weiblichen unversehrt
geblieben ist, anders ausgedrückt, dasz die reihen U und I in ihrem
ablaut fast ungestört schalten, gerade wie es in vierter und fünfter
reihe der conjugation zu bemerken war.
Offenbar ist in der dritten declination nur eine und zwar ganz
geringe änderung des reinen ablauts eingetreten, der nom. pl. sunjus
und handjus musz aus älterem diphthongischem sunius handius hervor-
gegangen sein, weil diesem IU das EI der zweiten declinalionen gleich
läuft, consonantierungen des im diphlhong anlautenden I sind auch
sonst aufzuweisen, gerade so musz im persönlichen pronomen jus für
ius stehn (wie El in veis bezeugt) und nhd. je ensprang aus mhd. ie.
die parallele handaus handau : dedais dödai begehrt auch im masc.
ein gastais gastai = sunaus sunau, wofür sich späterhin gastis gasta
aus erster deck einschlich.
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DECLINATIONSVOCALE
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Es überrascht den unvorbereiteten, in den flexionen sunus sunaus
sunius ganz die ablaute gutum gaut giutan, in den flexionen gastis
gastais gasteis die ablaute bitum bait beitan zu gewahren, ist aber
der kurze vocal in -is -us grundlage der daraus entfalteten -ai -au
und endlich -ei -iu, so wird man auch den laut und ablaut vierter
und fünfter conj. auf dieselbe weise zu fassen haben, wie schön
scheint es, dasz die vocale der flexion ihren Wechsel nach dem ablaut
der wurzel ordnen.
Nur der gen. pl. hinterläszt noch einen zweifei. wenn sich sunivö
handivö zu sunius handius verhalten wie J)ivi zu j)ius, trivis zu triu, 914
knivus zu kniu; darf man auch im gen. pl. von gasteis spur des El
erwarten, und ich habe auf ein älteres gastije dödijö für gaslö dedö
gerathen, wieder auf analogie der pronominalformen eis ijos und ija
gestützt, in beiden formen -ivö und -ije erscheint das^Snlautende E
unabhängig von den diphthongen 1U und EI, da wir es ebenso im gen.
pl. dage erblicken.
Alle flexionen der ersten declination sind aus ursprünglichem A,
wie die der zweiten und dritten aus I und U hervorgegangen.
In der conjugation ergab sich, dasz A drei ablautsreihen zeugte,
wie sie in der ersten, zweiten und dritten conjugation erscheinen,
dieser vocal ist gleichsam zu mächtig, als dasz er immer nur einen
weg, wie I und U einschlüge, er versucht sich nach mehrfacher rich-
tung. doch darf man die erste conj. als aus Wörtern bestehend er-
kennen, die einer jüngern, nicht der ursprünglichen formalion ange-
hören.
Nun weist sich aus, dasz in der ersten männlichen declination
\ die flexionen I fl. in der ersten weiblichen lediglich Ö
ie vocale gerade so wie
in der flexion von giba
fara för; der einförmige
migen för förum, wäh-
andum lebhaft wechseln
aber im sg. musle schon
ise beiden casus parallel
den gotli. dat. sg. gibai
igedrungen, wie in den
der ersten, zum über-
tigung im ahd. gebö bei
flexionsvocale der ersten
n gen. sg. -is halte ich
geäuszerle jetzt zurück,
hiede er sich vom nom. 915
er nom. dagas übertrete
nalog dem gastis gastais,
uit. auch darum scheint
aius sonst gar kein I in
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DECLINATIONSVOCALE
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Es überrascht den unvorbereiteten, in den flexionen sunus sunaus
sunius ganz die ablaute gutum gaut giulan, in den flexionen gastis
gastais gasteis die ablaute bitum bait beilan zu gewahren, ist aber
der kurze vocal in -is -us grundlage der daraus entfalteten -ai -au
|Aj und endlich -ei -iu, so wird man auch den laut und ablaut vierter
und fünfter conj. auf dieselbe weise zu fassen haben, wie schön
scheint es, dasz die vocale der flexion ihren Wechsel nach dem ablaut
der wurzel ordnen.
Nur der gen. pl. liinterläszt noch einen zweifei. wenn sich sunivß
handivß zu sunius handius verhalten wie j)ivi zu j)ius, trivis zu triu, 914
knivus zu kniu; darf man auch im gen. pl. von gasleis spur des El
erwarten, und ich habe auf ein älteres gastijß dßdijö für gasiß dedß
gerathen, wieder auf analogie der pronominalformen eis ijos und ija
gestützt, in beiden formen -ivö und —ije erscheint das^t&lautende E
unabhängig von den diphlhongen IU und EI, da wir es ebenso im gen.
pl. dagö erblicken.
Alle flexionen der ersten declination sind aus ursprünglichem A,
wie die der zweiten und dritten aus I und U hervorgegangen.
In der conjugation ergab sich, dasz A drei ablautsreihen zeugte,
wie sie in der ersten, zweiten und dritten conjugation erscheinen,
dieser vocal ist gleichsam zu mächtig, als dasz er immer nur einen
weg, wie I und U einschlüge, er versucht sich nach mehrfacher rich-
tung. doch darf man die erste conj. als aus Wörtern bestehend er-
kennen, die einer jüngern, nicht der ursprünglichen formalion ange-
hören.
Nun weist sich aus, dasz in der ersten männlichen declination
heben dem A die flexionen I E, in der ersten weiblichen lediglich Ö
zeigen, in dieser weiblichen verhalten sich die vocale gerade so wie
im ablaut der dritten conjugation. man sieht in der flexion von giba
nur -a und -ö wechseln, wie in der wurzel fara för; der einförmige
pl. gibös gibö giböm gibös gleicht dem einförmigen för förum, wäh-
rend dödais dßdeis dedim, handaus handius handum lebhaft wechseln
wie graip greipa gripum, gaut giuta gutum. aber im sg. muste schon
deshalb gibös gibö vermutet werden, weil diese beiden casus parallel
stehn mit dödais dedai, handaus handau; in den goth. dat. sg. gibai
ist also -ai aus dem dßdai zweiter deck eingedrungen, wie in den
männlichen dat. gasta das -a aus dem daga der ersten, zum über-
flusz findet der theoretische dat. gibö bestätigung im ahd. gebö bei
Notker.
Schwerer wird es sein sich über die flexionsvocale der ersten
männlichen declination zu verständigen. I im gen. sg. -is halte ich
für organisch und nehme das oben s. 646 gcäuszerte jetzt zurück,
denn wäre der gen. dagas echt, so unterschiede er sich vom nom. 915
dagas gar nicht, da es doch scheint, dasz der nom. dagas übertrete
in den gen. dagis wie nam in nima und analog dem gastis gastais,
sunus sunaus, wie in gripüm graip, gutum gaut. auch darum scheint
das I in dagis gerecht, weil der sprachgenius sonst gar kein I in
EU
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DECLINATIONSVOCALE
dieser decl. verwendet hätte, wie er doch in nima nam nömum die
ganze lautleiter auf und ab steigt, dasz ahd. -is im sg. keinen Um-
laut anregt, kann nicht eingeworfen werden, da zur zeit des begin-
nenden umlauts -is bereits in -es geschwächt war; aus gleichem
grund hat der ahd. nom. sg. käst und tät keinen umlaut, obschon
gastis dßdis im hintergrund lag.
Noch mehr auffallen wird das gemutmaszte dagi für daga im dat.
sg., aber daga wäre unanalog dem gastai sunau, welche dem gen.
gleichen ahlaut haben; ferner stehn die dat. pl. gastim sunum ah von
gastai sunau, folglich musz auch dagam abstehn von dagi. das -i
wird endlich bestätigt durch die altn. flexion -i in degi fiski hrafni
iötni u. s. w., sogar zeigt sich ausnahmsweise in degi umlaut, ein
Zeichen des echten I.
Auch im nom. pl. habe ich dagös an die stelle von dagös ein-
zuführen gewagt, da der zweiten ablautsreihe, die sich in der ersten
männlichen declination abspiegelt, £ zusagt und mit diesem £ ein
passender gegensatz zur ersten weiblichen decl. entspringt, wollte
man 0 aus der neugefundnen Unterart der zweiten conj. rechtfertigen,
so müste im gen. und dat. sg. U statt I walten, für unmöglich halle
ich nach dieser Unterart auch golh. oder vorgolhische masculina mit
dem nom. -as, gen. -us, nom. pl. -ös nicht; wie aber die verba mit
der wurzel 1 überwiegen, werden auch die masc. mit dem gen. -is
überwogen haben und für sie begehrt die theorie den plur. -ös. Dies
£ finde ich endlich durch das ahd. Ä in tak<\ bestätigt, welches um-
gekehrt in den weiblichen pl. gebä für gebö eindringt.
Auf die flcxionsconsonanten ist es mir hier nicht abgesehn, leicht
aber wird sich das dem acc. sg. heigelegte N verlheidigen lassen,
schon aus dem NS des pl., aber auch aus der adjectivischen flexion
916 und der urverwandten, wie sollte dem acc. masc. erster und zweiter
decl. der vocal A und I entgehn, da ihm die dritte U läszt? den
vocal musz aber N für M geleitet haben; ein flexionsloser acc. sg.
masc. wäre eben so unursprünglich, als es die vocallose I und III sg.
praet. nam graip gaut ist.
Aus allen diesen Wahrnehmungen ergibt sich, dasz die vocale
der flexionen unsrer declination mit den ahlauten der conjugation Zu-
sammentreffen, die zweite und dritte decl. beider geschleckter mit
dem ahlaut der vierten und fünften conjugation; in die zweite und
dritte theilen sich masc. und fern, der ersten declination, die ablaute
der ersten conj. scheinen in der declination undargestellt, was deren
schon aus andrer Ursache enlnommne (s. 853. 854) abkunft aus
verbis zweiter conjugation bestätigt.
Eine so wunderbare Übereinkunft kann aber kein spiel des Zu-
falls sein, sondern bezeugt, wie unsre spräche innerlich von dem ge-
setz der ablaute durchdrungen ist, und dasz ich recht gethan habe,
die declinalionen nach den conjugationen, d. h. beide nach dem typus
des vocalismus A I U zu ordnen.
Doch allein die gothischen flexionen waren noch so durchsichtig,
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4k4k 4k M. 4k 4k 4k 4k 4k 4k 4k j
DECLINATIONSVOCALE ' 637
dasz sie das Verhältnis zu erschauen und zu entwickeln gestatteten,
weshalb ich auch die übrigen jüngeren sprachen hier fast unberück-
sichtigt lasse, aus deren flexion blosz einzelne bestätigungen der golhi-
schen oder selbst einer älteren vorhergegangnen geschöpft werden
können. In der altn. flexion, die sonst manche Vollkommenheit besitzt,
ist die quantität der vocale allzuwenig erkennbar, um sich sichere
Schlüsse zu erlauben; aus dem gegensalz der gen. sg. dags und magar
sonar giafar tannar (= goth. dagis magaus sunaus gibös tunjjaus)
folgre ich indessen, dasz dies altn. -ar immer -är mit langem vocal
anzusetzen ist, der sich einförmig aus den goth. längen bildete und
den Übergang des S in R herbeiführte, da nach dem kurzen vocal in
dagis S haftete. Anführenswerth scheint mir noch aus der ags. de-
clination, dasz substantiva auf -u den gen. und dat. sg. gleichförmig
auf -a bilden, es heiszt sunu fdius, suna filii, suna filium, sunu filium
und eben so im fern, band manus, handa manus, handa manui, hand 917
manum, obschon hier dem nom. und acc. das ~u entgangen ist. diese
gen. und dat. scheiden sich günstig von den subst. erster deck, welche
im masc. den gen. -es, dat. -e bekommen, ohne zweifei war es
eigentlich -ä, dem goth. -aus -au entsprechend, und vielleicht ent-
sprungen aus -eä. suneäs handeäs wandelten sich allmälich in sunäs
handäs, dann suna handä, endlich suna handa. da Caedm. 233, 15
steht con sumera3, darf man auch vinlra — goth. vintrau vermuten
und sumera bestätigt das vermutete goth. sumrus.
In bezug auf die goth. flexion habe ich noch zweierlei anzu-
erkennen.
Zur ersten declination beider geschlechter sind auch alle mit I
abgeleiteten substantiva zu zählen, deren I vor den flexionsvocal tretend
sich dem lautgeselz nach in J wandelt, beim masc. sind also die
formen harjis harja harjös harje harjam harjans ebenso der Aflexion
zugehörig wie dagis daga dagös dagß dagam dagans. wenn aber im
acc. sg. hari die ableitung in den auslaut rückt, wird sie nur schein-
bar zur flexion, und auch dieser Casus müste, wie dag in dagan, in
harjan ergänzt werden, der nom. sg. sollte haris, nicht harjis lauten
und sich dadurch vom gen. unterscheiden. Feminina gleicher ableitung
z. b. halja, banja, brakja, sunja flectieren haljös haljai halja pl. haljös
haljö haljöm haljös, ganz wie giba; nur langsilbige pflegen im nom.
sg. das A abzustreifen und wieder das ableitende I vorzuschieben:
bandi, kunfh, verschieden vom acc. bandja kun|)ja. dahin gehören
auch mavi und j)ivi, weil sie aus magvi Jjigvi erwachsen.
Eine andere bemerkung geht das neutruin an, das nur zwei de-
clinationen zeigt, die erste und dritte, d. h. Wörter mit der A und
U flexion; nichts aber was der zweiten männlichen und weiblichen
entspräche, also keine I flexion. wahrscheinlich war diese früher den-
noch vorhanden und nur ausgestorben, wie auch die neutrale U flexion
im aussterben begriffen, auf wenige Wörter eingeschränkt und für den
pluralis nicht mehr ganz erkennbar ist. Man darf die neutrale flexion
überhaupt so kennzeichnen, dasz sie ihre gen. und dat. der männlichen, 918
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638
DECLINATIONSVOCALE
ihre nom. und acc. der weiblichen flexion gemäsz bildet. In der
ersten decl. treten wiederum zahlreiche ableitungen mit I ein, welches
im nom. und acc. sg., wie im acc. sg. masc. und zuweilen nom. sg.
fern, auslautend wird, dies I hüte man sich für das eigenthümliche I
zweiter decl. zu halten, denn wie das masc. haris in harjas, der acc.
hari in harjan, harjam, musz auch der nom. und acc. neutr. vaurd in
vaurdam, folglich kuni in kunjam vervollständigt werden.
Kürzer sein kann ich nach betrachtung unsrer substantivdeclination
über die adjectivische. denn die characteristische Verschiedenheit der
deutschen adjectivflexion von der substantivischen, was die abweichung
der flexionsconsonanten beider angeht, so merkwürdig sie ist, will ich
hier wieder nicht besprechen; es liegt mir daran, nach der grundlage
der vocale A I U auch in der adjectivflexion zu forschen.
Und da stellen sich, wie eben beim neutrum, die erste und dritte
declination unzweifelhaft, schwieriger die zweite heraus.
Im sg. erster männlicher decl. blinds blindis blindamma blindana
geben die vocale keinen anstosz, indem sie zu dags dagis daga stim-
men, und der acc. blindana die vermutete vollere form dagan bestärkt,
auch das fern, blinda blindaizös blindai blinda verträgt sich im nom.
und acc. mit giba, im dat. blindai mit gibai, und im genitivischen
ausgang -os auch mit gibös; die einschallung von aiz kann aber, wie
beim dat. masc. die von amin auf gründen beruhen, die den vocalis-
mus der eigentlichen flexion nichts angehn, allein im pl. fügt sich
nur der acc. blindans blindös zu dagans und gibös, allenfalls auch
das auslautende -6 und -6 der gen. blindaizö blindaizö zu dagö gibd,
während das ai im nom. masc. und dat. aller geschlechter mit der
substantivflexion unvereinbar scheint. Nun möchte ich dies AI wieder,
gleich dem in gibai, für eingedrungen aus der zweiten declination
halten, und wie dagös auch blindös als organische form des nom. pl.
masc. aufstellen; doch zu AI fügt sich auch das ahd. £, denn gothi-
919 schem fi würde ahd. Ä gerecht sein; dazu ist das bedenkliche AI der
dative pl., vielleicht das AI in aizö aizö ebenfalls durch ahd. £ ver-
treten. AI und Ö des masc. und fern, stehn sich fast zur seile wie
die characteristischen vocale der dritten und zweiten schwachen con-
jugation (habaida salböda.) ich werde auf dieses AI zurückkommen.^£2-
Der dritten decl. folgen adj. wie hardus, tulgus, filus, faihus,
qairrus, seifms, fiaursus u. a. m. und ihre eigenheit zeigt sich darin,
dasz sie den nom. sg. beider geschlechter gleichsetzen, gerade wie
sunus und handus Zusammentreffen, auszer dem nom. müsten aber
auch die übrigen casus dem U und dessen ablauten huldigen; man
darf höchstens einen gen. fdaus nach dem üblich gebliebnen adv.
folgern, der sich zu blindis wie sunaus, handaus zu dagis verhielte,
andere flexionen sind aber nicht aufzubringen und schwer zu rathen,
es scheint dasz der sprachgeist sich hier frühe schon vergrif und, wie
es bei adj. zweiter decl. geschieht, alle formen in die erste declination,
mit zugefügter Iableitung, wandte, denn man stöszt von f)aursus auf
' , den acc. sg. fern, ftaursja, acc. masc. fiaursjana, wo beidemal [)aursu,
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DECLINATIONSVOCALE
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oder von hnasqus auf den dat. pl. hnasqjaim, wo hnasqum zu er-
warten gewesen wäre.
Nicht geringere mühe kostet es, wenn spuren der zweiten de-
clination erkannt werden sollen, auch hier ist, wie für hardus gleich-
heit der flexionen beider geschlechter anzunehmen, und einzelne stellen
des goth. textes führen darauf hin: fria[)va söls ist, caritas benigna
est, yj)t]OTeveTcu 1 Cor. 13, 4; usj)röf)eins ist bruks, gagudei ist
bruks, yvf.ivu.oia torlv MytXi/uog, rj da avoeßtia ibcplXifiog fort
1 Tim. 4, 8; garehsns bruks vas, institutum utile fuit Skeir. 48, 11;
laiseins skeirs visandei, doctrina clara existens; fravaurhts vas navis,
äfiaQTia vty.Qu Rom. 7, 8. diese stellen gewähren die weiblichen
nom. söls bruks skeirs und navis, deren form zugleich männlich ist,
und zwar- unterdrücken die drei ersten beispiele das I ganz wie die
weiblichen subst. döj>s ansts u. s. w., in navis aber scheint auch der
characterislische vocal geborgen und für das neutr. vtv.Qov wäre gleich- 920
falls navi, wie im neutr. dritter deck filu hardu nothwendig. aber
neben solchem navi scheint ein neutr. sei bruk analaugn für söli bruki
analaugni zulässig, war nun schon für die substantiva gefahr da, sich
mit den Iableitungen erster deck zu mischen, so ist bei den adj. diese
mischung entschieden erfolgt, indem alle obliquen Casus dorthin aus-
weichen, z. b. von söls kommen die flexionen söljamma söljai, als
wäre der nom. sölis => söljas und nicht sels «=• sölis. Die obliquen
Casus zweiter und dritter deck sinken also auf dem uns zugänglichen
stand der gothischen spräche mit den Iableitungen erster deck zu-
sammen, d. h. die ableitung hat sich mit dem thema der flexion
gemengt.
Im ahd. und den übrigen dialecten hat, wie man erwarten kann,
diese einmal eingeschlagne abirrung noch weiter umgegriffen, so dasz
von dem organischen unterschied der drei adjectivdeclinationen nicht
mehr die rede ist, sondern practisch zwei angesetzt werden können,
die gewöhnliche dem goth. blinds entsprechende und eine andere mit
dem character I, welchem jedoch die flexion der ersten deck nachfolgt
und wovon die ursprüngliche zweite declination sehr verschieden ge-
lautet haben musz. Bei solcher mengung der formen ist es schwer,
wo nicht unmöglich für einzelne adjectiva zu entscheiden, welcher der
drei declinationen sie ursprünglich gehörten.
In der gothischen spräche kommt hier ein andres mittel zu statten,
die offenbar nach dem unterschied der drei declinationen entsprungne
adverbialform auf BA, welcher das thema A I U ganz in folge jener
flexion vortritt (s. 458.) von blinds wird also das adverb blindaba,
von söls söliba, von hardus harduba lauten, und wirklich sehn wir
nach diesem grundsatz eine menge adjectiva erster declination gebildet;
es heiszt frödaba veihaba gerödaba bal[>aba raihtaba baitraba ubilaba
gabigaba und aus dem abgeleiteten gabauris — gabaurjas folgt richtig
gabaurjaba Marc. 6, 20, aus sunis =» sunjas sunjaba 1 Thess. 2, 13.
hingegen führt analaugns nach zweiter deck auf das adv. analaugniba
Joh. 7, 20. 26, unanasiuns invisibilis auf unanasiuniba, usstiurs auf921
auv[
ok
rc<x\) lÄi
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640
DECLINATIONSVOCALE
usstiuriba, andaugs auf andaugiba Joh. 16, 25. 10, 24; weil indessen
diese adj. im obliquen casus nach erster deel. übertreten, und ihre
nominative unsicher anzuselzen sind, so liesze sich denken, dasz das
oblique -ja ein unorganisches -jaba statt -iba in einzelnen fällen ber-
beigeführt habe, adverbia dritter declinalion bilden sich regelmäszig:
harduba agluba glaggvuba manvuba; doch weil hardus j)aursus im
obliquen casus gleichfalls -ja annehmen, wäre auch fitr die adv. ver-
irrung möglich.
Den übrigen sprachen ist diese schöne adverbialbildung erloschen;
ahd. sehn wir einförmiges -o an die stelle der golh. manigfaltigkeit
getreten und mhd. folgt dem adverbialen -e für die abgeleiteten adj.
sogar ein günstiger rückumlaut mit, der sich nun auch auf die ur-
sprünglichen zweiter und dritter deck erstrecken musz, d. h. den adj.
süeze herte steht ein adv. suoze harte zur seite, statt des goth. sutiba
harduba.
Endlich läszt auch die comparation ihren maszstab an diese ad-
jectiva legen, doch nicht ganz einstimmig und sicher, von adj. erster
deck wie fröds raihts svinjis findet sich frödöza raihtöza svinjiöza ge-
steigert, also wäre frödösts raihtösts svinpösts zu erwarten, und
1 Cor. 15, 19 wird armöslai pauperrimi gefunden, ans adj. zweiter
deck wie azöts sdöds sutis ergibt sich azetiza spediza sutiza, folglich
azetists spedists“ sulists und in der dritten sollte harduza hardusts
compariert werden, wofür ich keinen beleg kenne, umgekehrt stei-
gern sich offenbare adj. erster deck z. b. faus und manags mit I fa-
viza managiza managists, worin sich Verwirrung zeigt. Übrigens erhebt
sich 0 aus dem A nach dem ablaut dritter conj. und es könnte auch
in zweiter deck AI, in dritter AU gemulmaszt werden, ein älteres
sutaiza und hardauza. in der that erscheint Eph. 4, 9 ein Superlativ
undaraists infimus, dem ein comp, undaraiza entsprechen musz, und
wofür man nothwendig einen positiv undaris, nach zweiter deck, an-
zusetzen hat. Die ahd. Steigerung unterscheidet Ö und 1, im einzelnen
922 richtiger als die golhische, z. b. es heiszt managöro managöst, wo-
gegen das jenem undaraiza undaraists entsprechende untaröro untaröst
entschieden in die Öform fällt.
Es ist zeit diese erwägung der deutschen declinationsvocale zu
schlieszen, um noch einige blicke auf die urverwandten sprachen zu
richten.
Am ersten zieht mich hier die lat. flexion an, wegen ihrer groszen
einstimmung mit der unsrigen. Auch im latein ergeben sich drei de-
clinationen nach dem thema A I U und zumal entscheidend wird die
analogie, dasz die flexion mit I und U wieder beiden geschlecbtern
gemein ist, die flexion A aber einen unterschied der geschlechter nü-
thig macht, oft stimmen selbst einzelne Wörter, nach den declinalio-
nen, so wenig befremden kann, dasz sie zuweilen andern überwiesen
werden. Man halte ventus zu vinds, aqua zu ahva, follis zu balgs,
nox zu nahts, currus zu sunus, manus zu handus; es musz doch lie-
fen grund haben, dasz follis und nox einer deck angehören wie balgs
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DECLINATIONSVOCALE
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und nahts (ich sehe hier von einigen anornalien ab, die nahts treffen),
currus und manus einer decl. wie sunus und handus, venlus und aqua
hingegen zwei declinationen fordern, wie vinds und ahva. Was die
einzelnen flexionen angeht, so stimmt das -i in venti zu dem in vin-
dis, das u in ventus ventum scheint aber aus currus currum einge-
drungen und läszt ein älteres ventas ventam ahnen, welches letztere
zugleich das gemulmaszte golh. vindan = vindam bestärkt, im gen.
pl. gleicht die ervveiterung ventorum gegenüber aquarum der golh.
adjectivflexion blindaizö und blindaizö; darf man daraus ein früheres
vindaize und ahvaizö folgern, an deren platz vindö und ahvö trat? auch
das -i des nom. pl. venti stimmt zum adjectivischen in boni, wie sich
aquae und bonae begegnen, während vindös und blindai abstehn, aber
ahvös und blindös gleich sind, das kurze -a des weiblichen nom. sg.
entspricht dem goth. in ahva und bestätigt den parallelen vocal in
ventas für ventus; aber das AE im gen. dat. sg. aquae (wofür alllat.
AI galt, aquai) erreicht blosz den goth. dat. ahvai und scheint gleich
diesem AI aus der Iform eingedrungen, weshalb das goth. Ö in ahvös
organischer ist. für goth. Ö darf man sonst lat. Ä erwarten (fiskön923
piscäri), welches auch im abl. aqua, gen. pl. aquarum und acc. pl.
aquäs eintritt, da doch der nom. pl. AE behält, um dem gen. sg. gleich-
zustehn. der acc. sg. aquam ist ein zeuge für das vermutete ahvan
= ahvam. das A in aquarum entspricht aber dem 0 in ahvö, folg-
lich darf man auch dem parallelen bonärum, coecärum ein älteres goth.
gödözö blindözö für godaizö blindaizö an die seite geben, ich weisz
nicht, ob aus bonorum coecorum ein männlicher gen. pl. gödeze blin-
dözö zu sclilieszen ist? im hintergrund der lat. pl. -Is darf man aber
-obus und -abus erwarten, ventobus und aquabus, nach den gen.
-orum und -arum und nach analogie von -ibus und -ubus; den be-
weis führt duobus duabus, ambobus ambabus und die kürzung queis
f. quihus. Die lat. Idcclinalion für beide gescldechter liegt vor äugen:
pater flecliert wie mater, und die dative patri matri, palribus matri-
bus sind entscheidend; zuweilen haftet noch das I im nom. sg. wie
in sentis silis. Ebenso deutlich erscheint die gleichheit beider ge-
schlcchler in currus sensus quercus domus, mit dem gen. sg. -us,
dat. -ui, ähnlich dem goth. -aus, -au; die pluralcasus haben-us-uum
-ubus -us, wie die der dritten -es -ium -ibus -es. Endlich entspre-
chen die lat. adjectiva bonus bona dem goth. göds göda nach dem
substantivischen unterschied von ventus und aqua; für beide geschlech-
ter aber gilt fortis forlis, dulcis dulcis, wie im goth. söls sels, sutis
sutis und das neutr. forte dulce stimmt zu dem vermuteten suti, viel-
leicht auch söli (oder sei?), lat. adjectiva der Udeclinalion mangeln,
waren aber früher gewis vorhanden.
Ohne mühe ergibt sich nun auch die analogie der griechischen
formen, bei denen ich zumal angeben will, worin sie sich vor dem
die substantiva Ivy.og und (.iovoa entsprechen in
lupus und aqua, goth. vulfs und ahva, hjy.og weist
also auf ein älteres Ivy.ug, doch musz das O frühe schon die stelle
41
latein auszeichnen,
der flexion den lat
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T T1
I
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DECLINATIONSVOCALE
von A vertreten haben, weil durch es auch das -ov des gen. bedingt
erscheint, diesem gen. -ov, wie dem lat. -i, mangelt das auslautende
924S, welches in den übrigen declinationen haftet, aber auch dem goth.
dagis vulfis zusteht; dagegen hat es die gr. spräche dem gen. fern.
f.LOvorjg, wie die goth. dem ahvös bewahrt, wo es das lat. aquae
gleichfalls entbehrt, der gr. gen. masc. stimmt zum lateinischen, der
gen. fern, zum gothischen. ahd. sehen wir das S dem gen. masc.
wolfes erhalten, dem gen. fern, ahö entzogen. Den kurzen vocal des
weiblichen nom. sg. wahren aber nur die wenigsten gr. Wörter, mei-
stentheils dringt H aus dem gen. auch in den nom. vor: xi/.itj xo/litj
xw/urj, qualitativ entspricht es dem goth. 0. Das jota subscriptum der
dat. sg. -w -« -tj gleicht dem lat. -ae für -ai und macht glauben,
dasz auch im masc. -o aus -oi erwuchs. Die acc. -ov -uv -rtv be-
gegnen dem lat. -um -am und zeugen für goth. -an statt -am. Im
nom. pl. gleichen -oi und -ui dem lat. -i -ae, das S der goth. da-
gös vulfös ahvös entbehrend, wie es die goth. männlichen adj. gödai,
nicht die fern, gödös entbehren. Dem gen. pl. mangelt die Unterschei-
dung beider geschlechter, wie sie im goth. -ö und -ö, im lat. -orum
-arum an den tag tritt, das -otg und -aig der dat. pl. wird nicht
vom lat. -is -is, aber vom altlat. -obus -abus erreicht; ähnlicher ist
das goth. -aim der adjective, als das geschlechtscheidende -am und
-öm der substantive.
In der gr. dritten decl. sind die Überbleibsel sowol der I als
Uflexion aufzusuchen, aber für beide geschlechter gleichförmig, das
I tragen Wörter wie ocpig noXig ydgtg mit dem acc. sg. ocpiv noXtv
yugtv, gleich jenem veralteten goth. gaslindödin, zur schau; die übri-
gen Casus erfahren vielfache einmischung andrer elemente. U zeigen
iy&vg ßoxgvg vavg mit dem acc. ly&vv ßoxgvv vuvv, es verschlägt
nichts, dasz die entsprechenden lat. piscis navis zum I, das goth.
fisks sogar zum A gehören, seinen Ilexionen nach gehört lyfrvg zu
currus und sunus.
Die gr. adj. stimmen darin ganz zu den lateinischen, dasz ihre
flexion der substantivischen völlig gleich ist, während bei uns die subst.
von der adjectivischen eigenthümlich absteht. novrjgog novi]gu tren-
nen die geschlechter wie malus mala, ubils ubila, wogegen sie zusam-
925menfallen in tägig tägig, wie in dulcis dulcis und sutis sutis; wenn
noXvg und nXuxvg yXvxvg ein fern. noXXrj nXaxeta yXvxtta bilden,
so sind das spätere abweichungen vom Organismus, der auch für’s
fern, noXvg yXvxvg begehrt, wie goth. fdus. auch gilt das zusam-
mengesetzte uäaxgvg für beide geschlechter. die nculra lägt noXv
yXvxv sind wie lat. forte dulce und goth. navi (vtxgov) filu. diese
spuren des U im adj. hat die gr. spräche vor der lat. voraus, woge-
gen die lat. substantiva auf U fester stehn als die griechischen.
Auffallender noch als die lat. und gr. nähern sich die lillhaui-
sclien flexionsvocale den gothischen und hier offenbart sich eine der
unmittelbarsten Verwandtschaften beider sprachen. Aber hier geht
selbst die volle pracht des A auf und wilkas = Xvxog vulfs steht noch
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DECL1NATIONSVOCALE
mit seinem dat. pl. wilkams dem awis = big ovis mit dem dat. pl.
awims und dem sunus = goth. sunus mit dem dat. pl. sunums ent-
gegen. diesen dat. pl. wilkams awims sunums gleichen unmittelbar
die goth. vulfam avim (wenn ich richtig vermute) und sunum, was
kann einleuchtender sein! Feminina auf -a machen den dat. pl. -öms,
ranka ranköms wie giba giböm, der gen. sg. bekommt -6s, ranka ran-
kos, galvva galwös wie goth. giba gibös; der dat. rankai galwai läszt
wenigstens keinen zweifei über das hohe alter des goth. gibai, wofür
mir ein noch älteres gibö wahrscheinlich ist; sogar in den abweichun-
gen von der theorie waltet demnach ähnlichkeit. der gen. sg. masc.
wilko entfernt sich von dagis, wie Ivnov und lupi, während rankös
wie jiiovortg und gibös abstehn von aquae. Nicht zu übersehn, dasz
den litth. wilkas und ranka auch ableitungen zur seite stehn, die ihr
I vor die flexion einschallen: sweczias, gen. sweczio, dat. pl. svve-
cziams; wyniczia, gen. wynicziös, dat. pl. wynicziöm, und wiederum .
werfen einige fern, im nom. sg. das -a weg: marti wie goth. mavi.
diese abgeleiteten formen unterscheiden sich hier kennbar von der
wahren Iflexion in awis, gen. awiös, dat. pl. awims, danlis, gen. dan-
ties dat. pl. dantims, ganz wie sich der theorie nach goth. harjas dat.
pl. harjam von gaslis dat. pl. gastim scheiden mitste. In der Uflexion
begegnen sunus gen. sunaus, dat. sunui, acc. sunu, nom. pl. sunus,
gen. sunü, dat. sunums, acc. sunüs überraschend der goth. flexion, nur926
dasz die goth. Verhältnisse noch reiner erscheinen, da sich z. b. der
litth. nom. sg. und pl. mengen, die geschieden sein sollten, wie der
nom. sg. awis vom nom. pl. awys (goth. aus aveis.) Die litth. adjec-
tivdeclination stimmt beinahe, doch nicht ganz zu der substantivischen
und hat annäherungen an die deutsche weise, zumal im dat. sg., der
von wilkas wilkui, von geras aber geram lautet, welches geram dem
goth. godamma gleicht; ich beabsichtige aber hier keine erörterung
der flexionsconsonanz. naujas novus schaltet I ein, wie goth. niujis
f. niujas. der 1 und Uflexion fallen die adj. didis magnus, platus latus,
saldus dulcis zu, welche jedoch keine gleichlautenden fern, bilden, son-
dern diesen didi, plati, saldi verleihen, gewis unorganisch.
Über die slavische flexion beschränke ich mich auf eine einzige
bemerkung. wie die goth. spräche oft das A der flexion unausge-
drückt läszt, pflegen sl. nominative auch das I und U nicht zu setzen,
sondern an deren stelle ein bloszes 1 und ” zu verwenden, nach ihrem
allgemeinen schon -s. 283 entfalteten laulgesetz. ogn’ entspricht also
dem skr. agnis, lat. ignis, litth. ugnis, goth. aubns (für auhnis pl.
auhneis), aber s”in” dem goth. litth. sunus, tr’n” dem goth. Jiaurnus.
Man begreift, da lat. -us auch für die -asform eindrang, dasz ebenso
sl. ” zugleich das ursprüngliche a zu vertreten hat, z. b. in vl”k” litth.
wilkas, pl”k” litth. pulkas, prach” litth. parakas; darum ist auslauten-
des ’ weit seltner.
4k Jk 4k 4t, 4k 4k 4k 4k 4k 4k^4k
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XXXVII.
DER INSTRUMENTALIS.
927 Lnsere spräche vermag, gleich der griechischen, nicht mehr als
vier casus, denn die spuren des vocativs und instrumentalis sind sehr
beschränkt, und nur im sg., ja fast nur in einer einzigen declination
wahrnehmbar, dem pl. wie dem femininum überhaupt entzogen, auch
der lat. unterschied zwischen daliv und ablativ schwindet im pl. und
haftet blosz im sg., nicht einmal durch alle declinationen. Den gegen-
satz hierzu bildet die casusfülle der litlhauischen, slavischen und die
noch gröszere der finnischen spräche.
Mit dem reichthum der conjugalion hält also die declination nicht
gleichen schritt, sonst mttste der vollen entfaltung griech. verbalfor-
men auch eine der nominalen zur seite stehn, die romanischen spra-
chen, noch lebendiger conjugation mächtig, gehn der declination bei-
nahe ganz verlustig.
• Den lat. dativ und ablativ pflegt die romanische spräche einfach
so zu umschreiben, dasz sie für jenen die praeposition a (lat. ad), für
diesen aber de verwendet, da nun de zugleich den genitiv umschreibt,
so werden gen. und abl. durch dasselbe mittel ersetzt, im begrif des
' dativs liegt näherung und Zuneigung, in dem des ablativs entfernung,
welchen unterschied auch unsere praepositionen zu und von ausdrücken;
928 den genitiv aber umschreibt unsere lässige volksprache sogar mit bei-
den praepositionen: er ist vater von dem kind oder zu dem kind sagt
sie statt vater des kindes. hieraus folgt, dasz ablativ und genitiv,
oder instrumental und genitiv, dem begrif und der gestalt nach einan-
der sehr nahe liegen.
Es ist unscheinbar, gleichwol bedeutsam in der geschichte uns-
rer sprachen, dasz die gotlusche, sonst formgewaltigere, in der ent-
faltung des instr. hinter der ahd. zurückbleibt.
Der golli. instrumentalis ist nirgend am nomen, blosz noch am
männlichen und neutralen pronomen zu spüren, und seinen character
bildet der vocal E. erinnern wir uns aus s. 844, dasz die Verdich-
tung E auf diphthongisches IA zurückleitet, so kann nicht befremden,
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mfi
INSTRUMENTALIS
645
warum an der stelle dieser £ ahd. IU und verengt IJ einlrete, da ahd.
IA und IU öfter tauschen, im sanskrit und zend werden aber die in-
strumentale durch das dem goth. £ entsprechende Ä bezeichnet (Bopp
vgl. gr. s. 187—189.)
Die persönlichen ungeschlechtigen pronomina zeugen keinen instru-
mentalis, nur die demonstrativen und interrogativen.
In gleicher reihe stehen {>6, hvö und svö und beide erstere ent-
sprechen dem ahd. diu, huiu, alts. thiu, huiu. unverbunden findet sich
goth. {»6 blosz in {>6 haldis eo magis Sk. 4, 3 =■ ahd. diu halt (Graff
5, 29), häufig aber in den praeposilionalverknüpfungen bijtö und dujtö
— ahd. pidiu, zidiu, welchen sich noch andre von Graff 5, 31—35
belegte gesellen, eben so oft erscheinen die ahd. formein: diu
mezzu, diu dingu u. a. m. (Graff 5, 29.) mhd. dauern bediu,
zediu fort, nhd. zuckt der instr. nur noch in desto = ahd. des diu,
mhd. deste.
live, dem zendischen khä entsprechend, kommt unverbunden vor
II Cor. 11, 21 = ahd. huiu, später wiu und hiu (Graff 4, 1186) und
praepositional in duhvö = ahd. zihuiu zihiu ziu (Graff a. a. o.), des-
gleichen anhuiu piliuiu fonahuiu (Graff 4, 1184); endlich in den ad-
jectiven hvölauds und hveleiks, wofür kein ahd. huiulih, sondern hue-
lih (Graff 4, 1207) auftrilt, alts. huilic, mhd. nhd. welch.
Stutzig macht svö, an dessen pronominaler abkunft und instru-929
mentaler bedeutung im allgemeinen nicht zu zweifeln ist: es drückt
aus ibg, hat aber neben sich ein sva ovtio, und beide verbunden svasvö
entsprechen dem lat. sicut. ahd. verflieszen beide partikeln in sö,
ags. in svä, wie die Zusammensetzungen sösö und sväsvä lehren. Auch
entfernt sich svö darin von hvö, dasz den Verbindungen hvelauds und
hveleiks parallel kein svelauds svöleiks, vielmehr svalauds svaleiks ge-
bildet werden, ahd. lautet letzteres sölih und bald verkürzt solih
sulih, nhd. solch, ags. svelc svilc. Bei .der demonstrativen bedeutung
dieses svalauds und svaleiks hatte ich seine Wurzel in dem pronomi-
nalstamm sa sö, skr. sa sä gesucht (gramm. 3, 43), Bopp hingegen
(vgl. gramm. s. 189. 487. 589) findet sie im urstamm des unge-
schlechligen pronomens dritter person sva, aus welchem das V häufig
schwindet (oben s. 262); leicht aber vereinigen sich beide annahmen
in der Wahrnehmung, dasz auf höherem standpunct auch sa sö aus
sva svö entspringe und mit jenem pron. dritter person genau verwandt
sei*, lauds in hvölauds und svalauds hält Bopp s. 5S8. 589 zum
skr. vant und lat. -lens in opulentus virulentus.
Die demonstrative natur des sva ergibt sich nicht nur aus dem
gegensatz zwischen svalauds und hvelauds, svaleiks und hvöleiks, die
dem lat. tanlus quantus, talis qualis entsprechen; sondern auch aus
der hildung eines ganz analogen ags. J>ylic, alln. jwilikr, welche wie-
* ich erkühne mich nicht, so nahe es läge, das demonstrative T oder TH
in tad und pata mit dem linguallaut des pronomens zweiter person zu ver-
gleichen.
4k 4k 41k JU 4k 4k 4kJ|k4k 4k4k:
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646
INSTRUMENTALIS
derum talis ausdrücken und denen ein goth. f)61eiks, folglich auch [>e-
lauds entsprechen würde, es war aber überflüssig sie einzufübren,
da schon svaleiks und svalauds vorhanden waren, und blosz die ags.
spräche hat diesen einflusz, denn die altn., welcher {ivilikr eigen ist,
entbehrt dafür eines mit sva zusammengesetzten pronomens.
930 Auszer f»e hvö und sve sva erscheinen nun auch die golhischen
formen {ich hvfih und svah, zu deren deutung ich einen abrisz der
formen für den pronominalbegrif hic haec hoc, weil sie auch in den
iustrumental greifen, einschalten musz.
Die goth. spräche, einstimmig mit der lateinischen, drückt diese
Verstärkung der demonstralion durch ein suffix II aus, welches dem
lat. G genau entspricht, so erwachsen aus sa so jiata die gramm. 3,
27 näher aufgeführten sah söh jialuh. angenommen, dasz das voll-
ständige suffix UII lautete, zeigen es nur die mit A, S oder M aus-
lautenden Casus und A schwindet, also bei f»ata ftamma Jiana f)is |)i-
zös jians J)ös |)aim wird angehängt jiatuh Jtammuh fianuh |nzuh [>izö-
zuh {>anzuh |)özuh £aimuh, wogegen die langen vocale der flexion haf-
ten und das U verzehren, bei so {nzai |)6 f>ai [nze jnzö demnach söh
[)izaih f»öh jiaih Jhzöh jhzöh, und hierher fällt auch die suffixion des
instrumentalen j)ö, welche Jieh lautet, dasz der nom. sg. masc. nicht
suh, sondern nur sah heiszen kann, ist leicht einzusehn.
Die geschichte dieser form in den übrigen deutschen sprachen
zu verfolgen fällt aber schwer, ich halte mich zuerst an den noch
zum goth. Jianuh stimmenden altn. acc. sg. masc. fienna, der im
scliwed. denna den ganzen sg. erfüllt, ebenso nähert sich der altn.
» nom. sg. neutr. jielta dem goth. jiatuh und steht zum einfachen f»at,
wie jiatuh zu fiata. diesem jjetla entspricht schwed. dclta, dän. dette,
alts. thit thitt thet, fries. thit, mnl. dit ditte, nnl. dit, ahd. diz (mit
dem harten Z, wie in scaz) und dizi, mlul. diz und ditze, bei dich-
tem, die sich der ml. mundart nähern, z. b. im gr. Rud., bei Iler-
bort, im passional und in urkunden auch noch dit; nhd. endlich dies
oder dieses, doch hört man unterm volk noch ditz. Sehr auffallend
weicht von allen ab das ags. Jhs, welches sich auch im nordenglischen
dialect, wie im heutigen engl, tliis findet und einen durchgreifenden
unterschied der ags. und engl, mundart von jeder übrigen niederdeut-
schen und nordischen hergibt. Der vocalauslaut der formen j>etta detta
dizi ditze, und selbst noch die aussprache des Z, lassen den abfall
931 des -h ahnen, folglich ein dem goth. j)atuh nahe kommendes ncutrum
erwarten. Andere casus zeigen aber, nach dem Wechsel zwischen H
und S (s. 299. 305), suffigiertes -s, wobei vorzüglich der nom. sg.
fern. alts. thius und ags. jieos, der ags. acc. sg. fein, jiäs und nom.
acc. pl. aller geschlechter j»As, sowie der alts. instr. sg. thius, ags.
jieos in betracht kommen, weil hinter dem -s kein flexionsvocal folgt,
offenbar ist aus dem alts. nom. thiu die suffigierte form thius und aus
dem instr. thiu suffigiertes thius hervorgegangen, die sich verhalten
wie goth. j>6 und jieh, es heiszt lieh 62, 24. 142, 4 mid thius,
147, 18. 161, 29 mid thius folcu, 119, 8 after thius. warum nun
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INSTRUMENTALIS 647
hat der ags. nom. sg. fern. jieos und nicht seos? wie doch gothischem
soll entspräche? im ags. j)äs erscheint suffigiertes j)ä, was dem goth.
Jmh d. i. suffigiertem |jö entspricht. Hiermit sind aber die organi-
schen formen zu ende, denn der sprachgeist musz sich geteuscht
und dies auslautende -s für wurzelhaft genommen haben, weil er ihm
für die übrigen Casus die gewöhnlichen flexionen nachschickt, da es
doch als suffix nothwendig auslauten und die flexion vor sich haben
sollte, so beurlheile man die ahd. dtisör deses desemu desan u. s. w.,
blosz im neulr. diz und dizi mangelt der falsche stamm, genauer zu-
gesehn, gewähren die frühesten ahd. denkmäler noch einige spuren
des organischen zustandes, ich meine den nom. acc. pl. neutr. deisu,
der ans ags. J^äs mahnend aus deis d. i. dei-s entsprungen ist, und
vom gewöhnlichen disiu disu seine flexion entlehnt, ganz analog wird
im Isidor der acc. sg. fern, dheasa statt des gewöhnlichen desa ge-
tröden, sichtbar ist deasa suffigiertes dea, und sollte blosz deas wie
ags. fiäs lauten, lügt aber nochmals die unorganische flexion bei, so
dasz hier das -a des weiblichen acc. zweimal ausgedrückt steht, in
de-a und deas-a. der ahd. instr. lautet disu, disiu, ein älteres diusiu
oder noch besser dius wäre möglich, einem solchen instr. diusu =
alts. thius, ags. jieos gleicht aufs haar das altn. j)vlsa, wofür aber
bald das scheinbar regelrechte [iessu einreiszt. J)visa [>eos thius ent-
sprechen alle dem goth. f)öh. der wechselnde vocal in jaeos J)äs deisu
deasa diusu {wisa, der wechselnde consonant in {)enna fmlta jrnssu
Jivisa entscheidet schnurstracks wider die annahme eines Stammes fies
oder dis.
Allein unsrer spräche stand für dieselbe demonstrative Vorstellung
ehmals auch noch ein andrer einfacher pronominalstamm zu gebot,
dessen wurzcl III lautete und, wie es scheint, im goth. bis hija hita,
his hizös his, himma hizai himma, liina hija hita declinierte, gleich
dem persönlichen pronomen is si ita, nur den nom. sg. f. setze ich
abweichend an. es ist jedoch auszer himma und hita nur aus hina-
dag (neben himmadaga) der acc. sg. masc. hina zu entnehmen, und
aus der partikel hör neben hidrö (analog dem j>ar und |>a[)rö) ein instr.
hö zu folgern, die ahd. adverbia hiutu, hiuru und hinaht (für hia-
nalit), mhd. hiute hiure hinaht und hinle, nhd. heute heuer und heint
(s. 432) kundigen uns ebenso den instr. hiu und acc. f. hia an, aus
der partikel hiar = goth. hör (s. 844) neben dem instr. hiu = goth.
hö entnehme ich willkommne bestätigung der identität des instrumen-
talen IA IU = £. Das ags. heodäg bezeugt den instr. heo, dessen
diphthong zu dem in Jieos stimmt, wichtiger ist, dasz die ags. und
fries. spräche ihrem geschlechtigen pron. dritter person überfill den
anlaut II verleihen, d. h. für goth. is si ita he heo hit verwenden,
was den Zusammenhang der persönlichen und demonstrativen pron.
ins licht setzt, von mir aber hier nicht weiter ausgeführt wer-
den soll.
Dies goth. his hija gleicht aber, nach dem Wechsel zwischen H
und SZ (s. 385) dem litth. szis szi, mit welchem wiederum szendien
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648
INSTRUMENTALIS
oder sze diena heute und szymet heuer (von metas jahr) gebildet wer-
den; es gleicht noch mehr dem stamm des lat. hic haec, dessen II
hier (wie in habere und haban) mit der deutschen spirans zusammen-
trift, da sie gewöhnlich dem lat. G entspricht, ich sagte dem stamm,
denn man gewahrt leicht, dasz mit der einfachen reinen gestalt dieses
pronomens allerwärts eine suffigierte gemischt wird, das suffix ist aber
C, wie bei sa so [>ata H, und schon diese analogie reizt zu genauerer
betrachtung der lat. formen.
933 Fast alle lat. pronomina mengen ihre flexionen; jenen einfachen
stamm mag man aus der analogie von is und quis ralhen. ich vermute:
bis hea hid pl. hi hae hea
hujus hujus hujus horum harum horum
hui hui hui hibus hibus hibus
hum ham hid hos has hea
ho ha ho bis his his
ti
hea folgt dem ea und ist umgesetztes AE, welches kein organischer
nom. sg. f. sein kann, quae wird also wieder aus quea herrühren;
durch diese änderung werden auch nom. sg. und pl. f. geschieden,
wie sich nom. pl. f. und neutr. sondern, welche ursprünglich nicht
zusammengefallen sein können, hum und ham ergehen sich aus hunc
und hanc, vgl. tum tune, num nunc mit tarn nam. durch ho erklärt
sich hodie, bei welchem kein hoc die anzunehmen ist. der meiste
zweifei bleibt hängen auf hid, welches zwar dem id quid folgt; doch
hoc folgt leichter aus hod, welchem quod zur seite träte.
Das suffix scheint die bedeutung nicht zu ändern, höchstens zu
stärken; die volle gestalt wäre
Sg'
. hic heac hoc pl. hic haec heac
hujuscev hujusce hujusce horunc liarunc horunc
huic huic huic hibusce hibusce hibusce
hunc hanc hoc hosce hasce heac
hoc hac hoc hisce hisce hisce
sich im goth. nach -s uh statt h anhieng, so hier ce statt c in
hosce hasce hisce; lat. que entspricht dem goth. uh. heac für haec
ist gleich nolhwendig wie hea; hic steht für hisc oder hisce, hoc für
hodee, assimiliert hocce, vielleicht wie ecce für idee? die doppelform
hoc und hocce kann dann hicce haecce huncce hergebeigefiihrt haben,
hibusce und horunc liarunc kommen vor. huic hunc hanc hoc haben
die einfache form verdrängt, umgedreht trugen die einfachen hi hae
den sieg davon, dem nom. sg. neutr. schiene hocce anpassender als
hoc, welches günstig dem abl. verbliebe.
934 Nach dieser abschweifung kehre ich zum deutschen instrumental
zurück, die goth. jie und J>6h, bijie und bifiöli, hvö und hvfih, duhve
und duhvöh werden, ihrem sinne nach, so unmerklich oder gar nicht
verschieden gewesen sein, wie die lat. hoc und hocce, bis und hisce.
bif>6h scheint gern zu stehn, wenn unmittelbar Jian folgt Luc. 4, 42.
5, 4. 7, 12. Joh. 13, 12. und so verbinden sich auch uhjian, selbst
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INSTRUMENTALIS
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in die engere assimilation uf)[)an, was weiter auszuführen nicht hier-
her gehört, svah Joh. 15, 9. 17, 18 drückt aus was sonst einfa-
ches sva.
Seltsam jedoch erscheint dies instrumentale suffix -6h einigemal
dativischen ausgängen angehängt und von hvazuh hvammöh, von hvarji-
zuh hvarjammöh, von ainshun ainumm6hun (Rom. 12, 17) gebildet, wo
man hvammuh hvarjammuh ainummahun erwartet, offenbar sind dies
abirrungen der Schreiber oder der ausspracbe selbst, keine wahrhafte
instrumentalform, so findet sich auch hvanöh für hvanuli (analog dem
jianuh) geschrieben, nach dem öftern unorganischen Wechsel der laute
U und Ö. man könnte sich begnügen zu sagen, dasz sich in solchen
fällen A in fi oder Ö verlängere (wie in sva sv6, sa so); debei würde
aber der einflusz des U in uh, oder auch des bloszen II auf die vor-
stehenden vocale nicht angeschlagen.
Bisher haben wir gesehn, dasz der golhische instrumental auf
wenige pronomina und die damit gebildeten partikeln eingeschränkt ist;
der ahd. hat ein weiteres fehl, und doch ein enges im vergleich zu
einigen andern urverwandten sprachen, in der regel läszt er sich noch
am sg. männlicher und neutraler nomina erster declinalion ausdrücken;
also nicht am fern, überhaupt, nicht im pl. und nicht an männlichen
und neutralen Wörtern der andern declinationen.
Dieser ahd. instr. endigt nun auf ü, welchem man nothwendig
länge ertheilen musz, da es aus IU verdichtet ist (wie lühhan claudere
aus liuhhan, üf aus iuf = goth. iup) und golhischem E = IA ent-
spricht. auch haben die pronominalinstr. diu liuiu hiu IU behalten
und noch einzelne subslantiva zeigen es in den ältesten denkmälern,
z. b. Diut. 1, 27 lb ex ruinis fona falliu und im Hild. billiu, wo der
dat. lalla, billa lauten würde, allmälich aber mag sich dies U wie
andere längen in den flexionen gekürzt haben. Mit der zweiten hälfte 935
des neunten jh. erlischt der regehnäszige instr. und schon N. bedient
sich seiner nicht mehr, er hat ihn nur noch in den partikeln ziu be-
diu zediu mittiu und mit allo, so erhält er sich bis durch die mhd.
zeit in bediu zediu zwiu, wogegen es schon mit alle betalle heiszt.
Ahd. des diu wurde schon bei Notker des te, bei Willeram des de,
mhd. deste, nhd. desto, welches uns der letzte Überrest des instr.
geblieben ist.
Hauptursache der untergehenden form war, dasz die praepositio-
nen, welche der blosze instr. entbehrlich machte, allmälich neben ihm
ausgedrückt wurden, wenn es im Hild. lied noch heiszt csperü wer-
paff, so steht schon daneben ‘mit görü infähaff und cbretön mit sind
billiff, statt des schöneren gerü infähan, bretön sinü billiu, oder in der
vindemia basileensis cmid aldil waiffü rip1 statt aldü waifü rip. Isid.
VIIIa, 3C csines mundes gheistü standit al iro meghiff, spiritu oris
ejus omnis virlus eorum; XVIIIb, 1 cquhad heilegü glieistu sprach in
oder mit heiligem geist; T. 47, 2 aber schon cquid mit wortff; T. 44,
12 ‘choufit mit scazzff; T. 196 ‘giwälitan mit wizü giwätf, statt
giwäliü, dem subst. wird die instr. form erlassen, weil sie das
650
INSTRUMENTALIS
ailj. ausdrückt, der dativ würde bei der praep. eben so deutlich
sein, wie er es auch im pl. oder bei femin. ist. Die angezog-
nen beispiele lassen aber nicht zweifeln, dasz der ahd. instrumen-
tal sich auf männliche und neutrale substantiva und adjecliva er-
streckte.
Gleiches gilt vom altsächsischen, das IU in den pronominalen thiu
thius liuiu (oder hui, wenn so für hiu deutlich zu lesen) telhiu be-
thiu fanthiu u. s. w. wahrenden subst. und adj. hingegen zeigen ver-
engtes Ü z. b. ‘mid durthü (lolio) obarsßu lieh 77, 23; ‘farcöpös
mid tlnnu cusstV 147, 19.
Der ags. instr. schwankt zwischen den lauten -ß und -y, nicht
blosz im pronomen, sondern auch subst. und adj., wie diese vocale
sonst in andern Wörtern einander vertreten (gramm. 1, 366), weshalb
sich solches E nur unsicher dem goth. £ gleichstellen läszt. denn
gewöhnlich entspricht dem goth. E ags. M (gramm. 1, 360), zuwei-
936len jedoch £ (1, 361); um so weniger darf man kurzes -e ansetzen,
einigemal erscheinen beide formen -ß und -y unmittelbar neben-
einander.
Auszer den pronominalen jte oder jty, |>ys oder jteos, und hvä-
drß (ahd. diu huedarü), bieten zumal die gedichle viel beispiele für
subst. und adj., ohne und mit praeposition. ich lasse in den belegen
das verbum weg: blidß mödß exon. 138, 23; Ißgenß sveordß El. 756;
fyrene sveordß Csedm. 18, 17. 95, 8; ealde mecß Caedm. 209, 5;
mägenß miclß Caedm. 216, 15; f>y sidß Caedm. 173, 10; odrß side
(alts. odar sidü) Beov. 5337. 6197. Andr. 706. 808. 1675. 1700;
brantß ccolß Andr. 273; miclß mägenjtrymmß El. 734; cordrß miclß
(agmine magno) Andr. 1205; cordrß ne lytlß (copiä non parva) exon.
36, 19; [tinß feorß Andr. 284; J)y fyrslß Beov. 5142; fty ftriddan
dägß El. 185. 485; geald yfel yfele (rependit malum malo) El. 493;
bei comparativen: lytlß aer (paulo prius) El. 663; sßl and |>y fast—
licor El. 795; {>ß glädra (eo laetior) El. 955; micle leofre (multo
gratius) Beov. 5298. mit praeposition: mid eallß (ahd. mit allü) exon.
60, 28; mid hearhtmß El. 864; mid dysigß El. 706; mid jjy folcß
Andr. 1643; mid Jiy vaegß Andr. 1594; mid f>y billß Caedm. 177, 17
= ahd. mit diu billiu; mid jtyslicß jireätß exon. 32, 23. Von den
dativflexionen sind also die instrumentalen abweichend, die dalive wür-
den lauten: blidum mode, lßgenum sveorde u. s. w. Nicht selten wird
aber auch statt der instrumentalen form des adjectivs die schwache
gebraucht, z. b. deoran sveordß Beov. 1116; biteran slradß Beov.
3489; blödigan gäre Beov. 4876 für deorß bilerß blödigß, ja nach
vorangehendem instrumentalem artikel: mid j)y ealdan ligß exon. 94,
28; in solchen fällen mag gestattet sein, dem subst. die dativflexion
sveorde stracle gäre lige zu verleihen*.
* zu comparativen fügt die ags. spräche den datiV, nicht den instr., wie das
beigesetzte adj. entscheidet, man sagt: cßnra vilduin eoforc, audacior apro fero,
nicht cenra vildö eoforß. ebenso heiszt es ahd. hluttrör leohte, nicht leohtft.
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INSTRUMENTALIS 651
Die altn. spräche steht hier bedeutend von der ahd. alts. und 937
ags. ab: sie kennt die dem gotli. jpe hvö, ahd. diu huiu entspreclienden
formen |>vi hvi, braucht sie aber eingeschränkt nur für das neutrum,
nicht mehr für das masc. und ausgedehnt zugleich für den dativ. an-
ders ausgedrückt, das neutrum hat im sg. die dem masc. gleiche da-
tivgestalt jieim hveim eingebiiszt und insgemein an dessen stelle den
instr. gesetzt, was den character VI betrift, so erklärt er sich aus
UI d. i. umgestelltem IU, der auslaut wurde aber nach der regel ver-
längert. Eine andre schranke des altn. ist die, dasz er sich über
jene pronomina hinaus nur auf adj., gar nicht mehr auf subst. er-
streckt, welche gerade umgedreht ihre dalivform auch für den instru-
mentalbegrif gelten lassen, die adjectivischen neulra besitzen blosz
den instr. auch für den dativ, die masculina blosz den dativ auch für
den instr. dieser adjectivische instr. des neutr. geht aber nicht auf
-vi sondern auf -u aus, welches wiederum früher -ü und Verdichtung
des ursprünglichen IU gewesen sein musz; ich wage aber nicht dem
-u die länge zu ertheilen, weil schon häufig -o steht, auf diesem
wege allein kommen fm und hvi mit den adj. instrumentalen gödu
blindu u. s. w. unter einen hut. Darin ist die altn. synlax im vor-
theil, dasz sie ihre durch das neutrale adj. hervorgehobnen instrumen-
tale meistens noch ohne praeposition construiert und ihr chöggva hvössu
sverdi’ ist so deutlich wie das ahd. chouwan huassü suerliV und bes-
ser als das nlul. cmit scharfem schwerte hauen5, aber ahd. clangti
gerü werfan’ müste altn. ausgedrückt werden claungum geiri\ Ssem.
66b heiszt es caurgo baki vera’, allein cleika lausum hala5, weil bak
neutrum, hali masc.
Schweden und Dänen bleibt vom instr. nichts übrig als die par-
likeln ty und hvi, dän. ti (einige schreiben thi) und hvi. den (star-
ken) adj. ist längst alle flexion erloschen, in den partikeln laufen aber 938
die bedeutungen so und warum zusammen mit denen von denn und wie.
Die griechische spräche weisz von gar keinem instr. oder abl.,
die lat. scheidet dat. und abl. nur im sg. nicht mehr im pl., doch
im sg. auch für feminina. die litthauische sondert dativ, instrum. und
localis überall in pron. subst. und adj., im sg. wie pl. und in beiden
geschlechtern. auch die Slaven sondern, und entralhen der praepo-
sition.
Um solches mangels oder solcher schranke willen steht unsre
spräche wieder näher der gr. und lat., ferner der sl. und litth., die
an eine noch gröszere finnische casusfülle grenzen, aber den ahd.
und ags. dialect sehn wir mehr dem latein, den goth. mehr dem grie-
chischen angeschlossen: der nordische hält eine mitte zwischen dem
ags. und gotliischen.
dasz der Gothe nur den dat. setzen kann verstellt sich, die lat. spräche stellt
aber richtig zu comparativen den abl. nicht den dat., denn der dat. veranlaszt
Zweideutigkeit, z. b. ein goth. liuböza mis kann ausdrtickcn carior mihi und
carior me.
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XXXVIII.
SCHWACHE NOMINA.
939 Au ich vor langen jahren einen ins äuge fallenden unterschied
deutscher conjugation wie declination zum erstenmal benannte, schweb-
ten mir noch nicht alle gründe vor, welche die wähl desselben aus-
drucks für beide falle rechtfertigen und rathsam erscheinen lassen,
aber es ist in der natur unsrer spräche tief enthalten, dasz sie einer
ursprünglichen und inneren form der flexion im verfolg der zeit noch
eine andere, äuszerliche hinzufüge, die jene vertreten und ersetzen
helfe (s. 877.) Wie zu dem ablautenden praet. ein mit consonanten
gebildetes sich gesellte haben wir wahrgenommen; nicht anders kommt
zu der alten declination eine neue, durch einschaltung von N erzeugte,
heidemal wird die alte einfache aber mächtige flexion stark, die jün-
gere , auf äuszerem hebel beruhende schwach heiszen dürfen, beide-
mal kann zuletzt das kennzeichen schwacher form dort bloszes D oder
T, hier bloszes N sein, und wenn sogar jenes D in der mnl. mund-
art ausficl (s. 891), erblicken wir in allen unsern sprachen beim nom.
sg. jedes geschlechts, in fries. und altn. aber für sämtliche casus das
N schwacher declination wegfallend; dann ist von der schwachen form
nichts mehr übrig als der durch das unterdrückte D und N bedingt
gewesene auslaulende vocal. die verkürzte gestalt des nom. sg.
schwacher deck gegenüber dem vollständigen pl. hat unverkennbare
940 analogie zum gothischen sg. schwacher praet. gegenüber dem pl.
Noch entscheidender tritt aber diese analogie darin hervor, dasz im
hintergrund der schwachen flexion jedesmal eine starke liegt, und wie
das angehängte -da auf das starke praet. dada zurückgeht, ebenso
dem eingeschalteten N ursprünglich die starken flexionen beigefügt
wurden. Das in der schwachen conjugation enthaltne verbum cthun*
hatten auch, wie nachgewiesen wurde, die urverwandten sprachen,
und es wird sich nachher ausweisen, dasz ihnen das characteristische
N unsrer schwachen declination ebensowenig gebracb; allein die deut-
sche Sprache, ihrer ganzen art und weise nach, entfaltete aus beiden
ein durchgreifendes gesetz, und eben diese gemeinschaftliche anwendung
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SCHWACHE NOMINA 653
Leider formen ist es, welche der für beide eingeführten gleiclimäszigen
benennnung das sieget aufdrückt.
Das Verhältnis starker und schwacher declination läuft nun auf
zwei eng verflochtne grundsälze hinaus, der erste ist, dasz die starke
substantiven und adjectiven eine zwar ähnliche, aber wesentlich ab-
weichende form angedeihen läszt, die schwache hingegen beide unter
einer und derselben form vereint, der andere, dasz substantiva einer
von beiden formen, entweder der starken oder schwachen überwiesen,
adjectiva beider zugleich fähig sind, substantiva, ihrem hegrif zufolge,
bestimmten gegenständen zugetheilt müssen ein festeres element an
sich tragen als adjectiva, die eine allgemeinere, mehrern gegenständen
gebührende eigens'chaft ausdrücken. wie jedes einzelne adjectiv steiger-
bar erscheint und aus seinem positiv einen comparativ und Superlativ
entwickelt, hat unsere spräche seine beweglichkeit noch dadurch er-
höht, dasz sie zugleich fast auf allen diesen stufen auch den unter-
schied starker und schwacher flexion gelten läszt. diese manigfalten,
der syntax und dem wollaut förderlichen adjectivgestalten bilden ein
unterscheidendes merkmal deutscher spräche gegenüber den meisten
urverwandten. Nur ausnahmsweise wird einzelnen unsrer adjective
starke oder schwache form entzogen und nur ausnahmsweise sind
suhstantiya gleichfalls beider formen tlieilhaft.
Aus dem gesagten folgt, dasz die schwache flexion der nomina 941
noch weit dynamischer sei als die der verba. man könnte sich denken,
dasz im verbum beide formen, starke und schwache nebeneinander
und mit verschiedner anwendung walteten; gewissermaszen hat auch
jene das praet. verschiebende anomalie beide zusammen aufgeslellt.
in der regel aber steht dem verbum wie dem substantivum nur die
eine oder die andere flexion zu gebot, und es ist abweichung vom
Organismus, dasz ahd. neben prähta prählun auch ein pranc prungun
vorkommt, dasz wir heute neben holl und wob auch bellte und webte
uns gestatten oder umgekehrt die Volkssprache für jagte und kaufte
ein jug und kief zu brauchen wagt, denn hier hat eine form die
andre verdrängt, ohne dasz beide zugleich in verschiedenem sinn an-
gewendet würden; so sind allenthalben eine menge substantiva aus
der starken declination in die schwache oder aus der schwachen in
die starke tibergetreten, wenigstens bezeugen solche Übergänge die
möglichkeit einer gleichzeitigen anwendung beider flexionen auch für
das verbum und substantivum.
Um nun auf das wesen der schwachen nominalflexion selbst
einzugehn, so ist vor allem wahrzunehmen, dasz sie hauptsächlich
von der Aform gilt, wonach auch ihr vocalismus ganz beschaffen
sein musz.
Im masc. berschen kurze, im fern, lange vocale, das neutrum
wird aus masc. und fern, zusammengesetzt, so dasz sein gen. und
dat. jenem, nom. und acc. diesem folgen, spur des Instrumentalis
nirgend, auf das paradigma der subst. mag gleich das der adj.
folgen:
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s
n
OH
654
942
SCHWACHE NOMINA
sg. hana tuggö hairtö
hanins tuggöns hairtins
hanin tuggön hairtin
hanan tuggön hairtö
pl. hanans tuggöns hairtöna
hananö tuggönö hairtanö
hanam tuggöm hairtam
hanans tuggöns hairtöna
sg. blinda blindö blindö
blindins blindöns blindins
blindin blindön blindin
blindan blindön blindö
pl. blindans blindöns blindöna
blindanö blindönö blindanö
blindam blindöm blindam
blindans blindöns blindöna
Der schöne vocalvvechsel erklärt sich leicht; alle männlichen
flexionen erscheinen der zweiten conj. gemäsz, in den weiblichen
waltet ganz der schwere ablaut der dritten des sg. und pl. tuggö
tuggöns wie för förum. die neulralflexion bietet durch mischung
beider günstigste Verschiedenheit, mit der starken flexion begegnet
sich die schwache allein im acc. pl. masc. blindans und dat. pl. aller
geschlechter des subst., da hanam tuggöm hairtam lauten wie dagam
giböm vaurdam. doch die adj. dat. pl. blindam blindöm blindam stehn
ab von blindaim blindaim blindaim.
Nun fragt es sich aber auch nach den vocalen der schwachen
flexion für Wörter der I und Uform ? offenbar gehört jener an der
häufige diphthong EI, welcher durchaus nur in weiblichen Wörtern,
dem Ö der Aform parallel erscheint; man sollte AI erwarten, da
sich in schwacher conjugation Ö und AI zur seite stehn und beide
Ö und AI (nicht EI) ablaute der dritten und vierten reihe sind,
dies EI haben eine menge schwacher subst., die sich aus adjec-
tiven oder andern subst. herleiten: managei manageins managein,
managein pl. manageins manageinö manageim manageins, ganz wie
tuggö, nur dasz überall EI an des Ö stelle tritt. Von adjectivischen
Wörtern aber empfangen dasselbe EI höchst auflallend drei classen,
deren masculina und neutra der Alorm huldigen, nemlich die
weiblichen Superlative auf UM, alle und jede weiblichen compa-
ralive und alle weiblichen parlicipia praesentis: frumei, hleidumei;
blindözei maizei; gibandei salböndei. das Verhältnis wird am an-
schaulichsten werden, wenn ich die männliche uud neutrale form
hinzustelle :
943
sg. fruma
frumins
frumin
fruman
frumei
frumeins
frumein
frumein
frumö
frumins
frumin
frumö
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fruraans
frumanö
frumam
frumans
grund dieses
frumeins
frumeinö
fruraeim
frumeins
frumöna
frumanö
frumam
frumöna
merkwürdigen Unterschieds in den formen
der drei geschlechter? ich zweifle nicht, dasz hier das fern, dem
ursprünglichen character I allein treu geblieben ist, während masculina
und neulra, wie wir auch bei der starken flexion häufig wahrnahmen,
zum A übergiengen. darum stehn den weiblichen schwachen subst.
auf -ei keine männlichen zur seite, sondern nur auf -a oder -ja, wie
zu frumei und gibandei das masc. fruma, gibanda lautet. Da die
Iflexion masc. und fern, völlig gleichselzt, so darf man vermuten, dasz
früher auch das adjectivische masc. frumei maizei blindözei hatte, ja
ich erwehre mich des Schlusses nicht, dasz ursprünglich allen positiven
der adj. zweiter declination eine für masc. und fern, gleiehlautige
schwache form auf -ei zustand, also vom starken söls sels ein schwaches
sölei sßlei gebildet wurde, eine spur scheint wirklich noch Eph. 6,
16 eine hs. zu gewähren, die statt des neueren c|>is unsfiljins’ der
andern das alte cj)is unsöleins’ gibt, im gen. pl. fern, würde ich -einö
dem -einö vorgezogen haben, stände nicht ausdrücklich manageinö
Luc. 2, 31, gödeinö, hazeinö Philipp. 4, 8.
Nach diesem aufschlusz über I wäre auch den adjectiven mit U
ihre schwache form leicht zu weissagen, sie hätte dem EI paralleles
IU, oder dem vermuteten AI entsprechendes AU zu zeigen, dem
starken hardus hardus zur seite sollte ein schwaches hardiu hardiu
gen. hardiuns? oder lieber hardau hardau, gen. hardauns zustehn.
Eph. 3, 10 bietet für csö managfalfm handugei’ eine hs. dar csö
filufaihu handugei\ von filufaihus nolvnoUilog. filufaihiu oder filufaihau
wäre annehmbarer, hierher gehören endlich zwei schwache subslan-
tiva, die ich früher falsch aufgefaszt habe: alabalstraun Luc. 7, 37
acc. von alabalstrau, und byssaun Luc. 16, 19, dativ von byssau,
deren geschlecht ich unbestimmt lassen will, es sind zwei fremde,
wahrscheinlich den Gothen längst aufgenommne Wörter, uXaßuGTQog
und ßvooog, wie das dem ersten eingeschaltete L bestätigt, zugleich
würde damit das vermutete hardau wahrscheinlich, doch mag die
spräche, wie sie vom starken hardus jmursus den acc. masc. hardjana
jjaursjana bildet, längst auch ein schwaches hardja hardjö, jiaursja
[jaursjö nach der Aform vorziehen.
Genug von den vocalen der goth. schwachen flexion; wichtiger
ist es auf das kennzeichen N zu achten, welches wir blosz dem nom.
sg. und dat. pl. aller geschlechter mangeln sehn, es heiszt hana
tuggö hairtö, blinda blindö blindö, managei frumei gibandei, und ebenso
im dat. pl. hanam luggöm hairtam blindam blindöm blindam manageim
frumeim gibandeim, ohne N. doch scheint es ausnahmsweise im dat.
pl. einiger masc. und ncutra zurückgeblieben, von aha maritus wird
nicht abam sondern abnam, von valö aqua, namö nomen nicht vatam
namam, sondern vatnam namnam gebildet, wobei freilich auch der
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H" 'T V 'T 1
656
SCHWACHE NOMINA
vorstehende vocal schwindet, denn es sollte heiszen abanam vatanam
namanam. da aber zugleich die gen. pl. gekürzt werden und abnö
für abanö, vatne namnö f. vatane namanö, ja im nom. acc. pl. neutr.
vatna nanma f. valöna namöna; so hat man allen fug aus dem ge-
kürzten gen. pl. auhsnö boum den dat. pl. aiihsnam zu folgern, wäh-
rend der sg. auhsa auhsins, der nom. acc. pl. auhsans behält, starke
singulare abns auhsns oder vatn namn anzusetzen wäre unstatthaft.
Lassen diese dative pl. abnam auhsnam vatnam namnam ein älteres
abanam auhsanam vatanam namanam ahnen, warum soll man nicht
weiter gehn und auch den nom. sg. mit dem character N in einklang
zu stellen suchen? die folgenden formen dürften leicht noch gewagter
erscheinen als die s. 912 für die starke declination vorgeschlagnen:
915
sg. lianans tuggöns hairtön
haninis tuggönös hairtinis
hanini tuggönö hairtini
hananan tuggöna hairtön
pl. hananös tuggönös hairtöna
hananö tuggönö hairtanö
hananam luggönöm hairtanam
hananans tuggönös hairtöna
und desgleichen im schwachen adj.; auf ähnliche weise würden sich
auch die feminina auf EI gestalten und ein nom. sg. manageins fru-
meins einem pl. manageineis frumeineis entgegenzusetzen sein. Solche
formen hätte die wirkliche flexion nur im gen. pl. aller geschlechter
und nom. acc. pl. neutr. bewahrt, angenommen aber, der vocal der
penultima sei im gen. dat. sg. masc. neutr. durch einen rückgrif der
ultima bestimmmt worden und haninis für hananis entsprungen; so
gewinnen wir aus dem I des dat. hanin = hanini willkommne be-
stätigung des s. 915 gemutmaszten dagi für daga. vocalischen aus-
gang des dat. sg. forderte schon das -s des gen. sg. die dreisilbigen
hairtöna hanane tuggönö hairtanö begehren aber nothwendig auch drei
silben für alle übrigen flexionen, mit ausnahme des nom. sg., dessen
zweisilbigkeit der einsilbigkeit von dags neben den zwei silben dagis
dagö dagam parallel steht, eine noch ältere gestalt hananas tuggönas
hairtonan (?) würde auch der nom. sg. zeigen dürfen.
Damit ich mich nicht versleige, die wirklichen gekürzten formen
lassen sich zwar aus den volleren begreifen, aber diese liegen ganz
auszer dem bereich der geschickte unsrer spräche und es musz, seit
die abstumpfung statt fand, bereits undenkbare zeit verstrichen sein.
Dessen werden wir zumal durch einige pronominalformcn vom
höchsten alter versichert, offenbar nemlich ist mit seinen beiden vo-
calen das ehrwürdige sa so dem liana tuggö, noch klarer dem blinda
946 blindö analog *, und im interrogativum hvas hvö hat sich sogar das
* geht diese analogie so weit, dasz man aus sa sö, dessen übrige easus
untergegangen sind, einen gen. sins und söns, wie blindins und blindöns folgern
dürfte? man erwäge was nachher über das ags. heo neben manegeo gesagt
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H
Im
SCHWACHE NOMINA
657
männliche kennzeichen erhalten, welches mit seinem gen. hvis dem
vermuteten dagas dagis zu statten kommt, hvas läszt also auch auf
ein älteres sas schlieszen. aber schon im skr. sa sä, zend. ho hä, irr>
gr. o i] steht dem fern, ein vocalisch auslautendes masc. zur seite, Sa,voYa so.
während das lat. fragwort quis quae zu hvas hvö stimmt, das gr. re- 7lofP ■')']■
lativum og ij gleichfalls -s behauptet, auch ist der bedeutung nach &A4-.
das skr. sa sä pronomen dritter person, kein demonstrativum wie das
goth. sa so, gr. 6 rj.
Bevor ich mir weitere Schlüsse erlaube, musz die schwache form
der übrigen deutschen sprachen erwogen werden.
Alul. ist der reine vocal A ganz aus der schwachen deck ge-
schwunden und durch 0 ersetzt worden, es heiszt hano hanon für
goth. hana hanan und im pl. hanon hanonö lianom hanon für goth.
hanans hananß hanam hanans. denn nur hanonö hanom kann man
den gen. dat. pl. nach der theorie ansetzen, wenn sich schon all—
mälich aus dem fern. 0 eindrängte und hanonö hanom entsprang,
mehrere denkmäler gehen dem acc. sg. und nom. acc. pl. masc. -un
für -on, doch ist -on besser, weil dem -o des nom. sg. entsprechend
und dem goth. -an näher, gen. und dat. sg. haben I gehegt. Notker
decliniert: hano lianen hanen hanen, pl. hanen hanon hanon hanen;
das -o im nom. sg. hielt stand, wie noch mhd. in den eigennamen
Otto Hesso Boppo Omo, nhd. in Otto Hugo (s. 840.) der lange vocal
des gen. pl. -önö wirkt spät nach, nicht nur in Notkers -ön, sondern
auch im abgestumpften -o, wie cs Grieshabers predigten zeigen: der
hailigo santorum 1, 54. 55. der töto ewarto gehain 1, 52. 152.
fiumf joch ohso 1, 44. der behalleno servatorum 1, 49. der relilo
justorum 1, 154 weck der guoto werche via bonorum operum 1, 164.947
166, welches letzte beispiel lehrt, dasz das -o der starken gen. pl.
längst in -e geschwächt war. Schwache feminina wahren den goth.
vocal nur im gen. dat. pl. zunkönö zunköm = tuggönö tuggöm, aber der
nom. sg. hat Ä zunkä, alle übrigen Casus haben Ü für Ö : zunkün. zunkä
für tuggö möchte ich fassen wie ahd. takä für goth. dagös, nach dem
schwanken des pluralablauts zweiter eonj.; wie ahd. trälum für goth.
trödum eintrat, scheint mir auch takä für dagös, zunkä für tuggö
gesetzt, die alten glossae cassell. lassen nicht umsonst schwache
feminina auf -e statt -ä ausgehn, sie schreiben F, 15. 16 zweimal
rnarhe d. i. marhß für jumenta (— jumentum) equa, statt des ge-
wöhnlichen merihä gen. merihün und, wodurch man der quantität
sicher wird, E, 15 altee articulata * *. so gut in ahd. flexionen goth. Ö
i
werden wird, und dasz die altn. spräche äuszerlich csä inn’ häuft (gramm. 4,
879. 431), folglich könnte schon in sa sö ein suffix N gelegen haben.
* articulata musz ein romanischer ausdruck statt des lat. articulus sein,
altö == altä membrum, articulus, ein sonst unerhörtes wort, verständigt uns end-
lich über das mhd. altvil, mnd. aldefil hermaphroditus, der mehr als ein glied
hat, welcher ausdruck in mhd. eigennamen scheint (Marchwart Altfil MB. 2, 344 a.
1180. Marquart Altvil MB. 7,450 um 1190) und im Ssp. 1, 4. ich nehme dazu
das allgäuische altelos bei Schmeller 1, 52, welsche aelod membrum, selbst lat.
42
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ä
s * * * *
658
SCHWACHE NOMINA
haftet, nicht zu UO wird, kann hier auch £ stehn geblieben, nicht
zu Ä geworden sein, diesem £ werden wir auch bei den Angelsachsen
begegnen, allmälich schwächt sich aber der laut des ahd. weiblichen
nom., sei er -ä oder -6 gewesen, in kurzes -a, und Notker schreibt
entschieden zunga, behält jedoch das unorganische, oblique -ün.
Schwache neutra bilden auch ahd. ihren nom. und acc. der weiblichen,
ihren gen. und dat. der männlichen form gemäsz: herzä herzin herzin
herzä, pl. herzün herzonö herzom herzün (im gen. dat. pl. hernach
herzönö herzom.) Überall sind in der ahd. form die goth. -s des
gen. sg. und nom. acc. pl. gewichen, so dasz in hanin goth. hanins
948 und hanin, in zunkün goth. luggöns und tuggön zusammenfallen, auch
der acc. sg. hanon zunkün nicht mehr vom acc. pl. wie goth. hanan
von hanans, tuggön von tuggöns geschieden werden kann. Beim adj.
verhält sich alles ebenso.
Den goth. weiblichen subst. auf -ei entsprechen ahd. auf -i,
zahlreich erscheinend, aber ihrer flexion nach einen doppelten ausweg
nehmend, entweder führen sie das schwache N auch in den nom.
sg. (was meiner Vermutung eines älteren goth. managein und noch
älteren manageins für managei zu statten kommt) und lassen alle
Casus gleichlauten: manakin manakin manakin manakin; oder streifen
umgedreht überall das N ab und bilden ein scheinbar starkes manaki
manaki manaki manaki. den goth. comparativen maizei blindözei ent-
spricht aber kein ahd. ausgang auf -i, vielmehr sind alle feminina,
wie schon die goth. masc. und neutra, jetzt auch der Aform zugethan
und lauten mörä plintörä. Die- participia praes. hingegen haben die
ursprünglich schwache form kepanti kepanti kepanti = goth. gibandei
gibandei gibandei, wofür hernach gibanda gibandei gibandö gilt, als
scheinbar starke mit abgeworfner flexion für alle geschlechter gesetzt,
weshalb vielleicht richtiger kepanti kepanti kepanti zu schreiben wäre; *
aber sie fügen auch die starke flexion hinzu: kepantör kepantiu kepantaz
und bilden die gewöhnliche schwache kepanto kepantä kepantä. die
schwache flexion ist also hier zweimal, nach der Iform organisch,
nach der Aform unorganisch angewandt.
Mhd. sind alle schwachen flexionsvocale verdünnt zu E, doch
besteht die gleichheit der substantivischen und adjectivischen. noch
immer tauchen einzelne feminina wie menigin vinsterin auf, obwol
menege vinstere vorherschen.
Nhd. ist vielfache Verderbnis eingerissen, beim masc. die ge-
ringste, denn subst. wie affe bote bube hase knabe ochse waise halten
949 noch die mhd. regel, welcher auch alle schwachen männlichen adj.
ohne ausnahme folgen, dagegen haben sich viele subst. verändert,
indem sie 1) den gen. -ens für -en bilden; boge brate brunne daume
SKy . OtY'«.«- artus und gr. ägd'Qov (mit R = L) mögen verwandt sein, das letzte fügt sich
we/mbYuw . der lautverschiebung = goth. aid, ahd. alt.
* nicht zu übersehn das I im acc. masc. farlihantian praestolantem Diut.
1, 266».
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iirl
SCHWACHE NOMINA
659
gaume glaube, aus welchem gen. gleichwol noch kein nom. -en zu
folgern ist, da nach alter gewohnheit der nom. sg. richtiger ohne -n
bleibt, obschon ihn einige Schriftsteller auf -en bilden, so gut es
goth. heiszt hana hanins, kann auch nhd. gesagt werden daume daumens.
2) einige Wörter weichen ganz in die starke decl. aus: liahn hahns,
mond monds statt des mhd. hane hanen, mäne mänen; einzelnen genügt
es den nom. acc. sg. stark zu setzen, alles übrige geht schwach: menscli
menschen, fürst fürsten, narr narren, wieder andere schwanken im
gen.: schmerz Schmerzes und schmerzens, greif greifes und greifen;
greis greises und greisen. Die Verwirrung steigt dadurch, dasz ein-
zelnen starken Wörtern, deren -e aus -u entsprang, schwache flexion
ertheilt wurde: friede friedens, schatte Schattens •= goth. frifms frifnius,
skadus skadaus; diesen darf noch weniger im nom. sg. -en gegeben
werden, umgekehrt müsle rabe den nom. sg. raben — ahd. hraban
gen. hrabanes behalten und statt des gen. raben vielmehr rabens.
Noch mehr aus ihrer fuge gerathen sind die feminina, für welche nhd.
der grundsatz durchgreift, dasz alle subst. den sg. stark, d. h. un-
veränderlich auf -e, den pl. schwach, d. h. auf -en bilden, wir flec-
tieren den sg. zunge zunge zunge zunge statt des mhd. zunge zungen
zungen zungen, den pl. noch wie mhd.; hingegen zwar den sg. gäbe
gäbe gäbe gäbe wie mhd., aber den pl. gaben gaben gaben gaben,
statt des mhd. gäbe gäben gäben gäbe, in den gen. pl. starker fern,
erster deck war schon ahd. die schwache form kepönö cingedrungcn
statt des goth. gibö und nicht anders lautet der mhd. gen. pl. -en
für -e; zuletzt ergrif sie nhd. den ganzen pl. Zwischen subst. und
adj. ist der einklang gestört, da subst. alle casus auf -e, schwache
adj. aber den gen. und dat. sg. auf -en, nom. und acc. auf -e bilden,
im letzten casus weicht also die nhd. von der mhd. declination, ahd.
hiesz es dia plintün coecain, mhd. die blinden, nhd. die blinde. Die
wenigen schwachen neutra sind nhd. fast ganz verschwunden wie unter-950
einander abgeirrt: herz herzcns, ohr olirs, äuge auges; die adj. haben
ihre form behauptet, menge helle schwere u. s. w. sind im sg. nach
starker weise ganz unveränderlich.
Auf ähnliche, doch verschiedne weise wurde mnl. die schwache
flexion beeinträchtigt, nemlich alle subst. entziehen dem acc. sg. sein
-n und machen ihn dem nom. gleich, man könnte sagen: masc. und
fern, werden wie neutra behandelt, dagegen lassen alle adj. jedem
obliquen casus des sg. sein -en, und entziehen es dem nom. acc. pl.
Nnl. fallen im subst. starke und schwache deck zusammen, d. h.
was nhd. blosz für das fern, durchgesetzt ist, dasz der sg. starke, der
pl. schwache form annimmt, gilt hier für alle geschlechter. ebenso
macht das adj. keinen unterschied zwischen starker und schwacher
declination, weicht aber vom subst. ab, indem es für den gen. dat.
acc. sg. masc. -en behauptet.
Anziehender ist die belrachlung der ags. schwachen flexion, in
welcher A vorherscht und nichts erscheint, was dem goth. und ahd. I
des gen. dat. sg. masc. neulr. gleichkäme, der nom. sg. masc. hana,
42*
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660
SCHWACHE NOMINA
acc. hanan stimmt ganz zur goth. form, und der nom. acc. pl. hanan
weicht vom goth. hanans nur durch den mangel des -s ab. dagegen
empfängt auch gen. dat. sg. hanan hanan statt des goth. hanins hanin
und der gen. pl. hanena statt des goth. hananö*; für -ena begegnet
einigemal -ona: vaerlogona foedifragorum Caedm. 145, 22; fullvona
baptizatorum Caedm. 117, 9. der dat. pl. hat hanum, was sich zu
dagum verhält wie goth. hanam zu dagam. Das -e des nom. sg. fern,
und neutr. in tunge eäge = goth. tuggö augö malmt an jenes ahd.
altö und marhe der gl. cass. (s. 947); ich bin fast sicher dasz es
lang war, so dasz tungö auch für den gen. pl. tungöna begehrte, wie
neben tuggö tuggönö. wahrscheinlich drang nun -ena auch in den
951 männlichen gen. pl. hanena vor, gerade wie ahd. hanönö nach zunkönö
eingeführt wurde, der frühete ags. gen. pl. masc. wäre wol hanana?
doch die übrigen -an der weiblichen flexion auf -6n zurückzuführen
scheint gefährlich, die adjectivische schwache declination hält mit
der substantivischen, wie im goth. ahd. mhd., völlig gleichen schritt.
Beov. 3908b (in einer der ersten ausg. mangelnden zeile) liest man
cj)a selestane’ felicissimi oder felicissimos, für sölestan, ist dies spur
eines vocals nach dem -n? zur bestätigung dess. 945 vermuteten goth.
-anös? Beachtenswerth ist endlich die Verschiedenheit des ags. de-
monstralivums se und seo von blinda und ldindö, da doch goth. sa
so mit blinda blindö stimmen; das wird sich nur aus mengung des
demonstrativen und persönlichen pronomens erklären, denn offenbar
ist seo das ahd. siu ■=* goth. si, wofür ags. heo gilt, seo und heo
berühren sich aber nach dem Wechsel zwischen S und H. wie dem
allem sei, dies EO in seo, heo musz Zusammenhängen mit der ags.
scheinbar starken flexion menegeo für das goth. managei, ahd. manaki,
welches menegeo überall im sg. unverändert bleibt und dem obliquen
Casus niemals N verleiht; bald aber reiszt dafür bloszes -o ein: menigo
mullitudo, aedelo nobilitas, braedo latitudo = ahd. manikt, edili preitf.
lassen sich diese ags. seo heo menegeo dem ahd. siu und plintiu ver-
gleichen? ** Das ags. part. praes. lautet stark für alle geschlechter
gifende gifende gifende und schwach se gifenda, seo gifende, jiät gifende.
ln der nordanglischen, friesischen und nordischen mundart be-
gegnet nun jene schon s. 665. 680 und 754 angezeigte apocope des
schwachen N für alle casus mit einziger ausnahme des gen. pl., dessen
dreisilbige und langvocalische gestalt dazu beitrug das N zu hegen.
Das fries. masc. zeigt durchgehends -a, auszer dem gen. pl. -ena
952und dat. pl.-um: hona bona hona bona, dem ags. hana hanan hanan
hanan nah kommend, auch hier geben fern, und neutr. dem nom.
sg. -6 tungö, ägö, dem gen. dat. acc. fern, möchte ich tungä tungä
tungä beilegen; das neutr. fordert den gen. dat. äga äga, acc. agö.
die schwachen adj., so viel ich sehe, fügen sich zu den subst.
* merkwürdig cod. cxon. 323, 13 violane divitiarum, was Thorpe unrichtig
für einen eigennamen nimmt, alts. welono.
** man sehe oben s. 945 die anmerkung über goth. sa sö = ags. se seo.
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SCHWACHE NOMINA
661
Das altn. masc. hat den sg. hani hana hana hana, was beinahe
die goth. vocale hana hanins hanin hanan wechselt; ohne zweifei ist
dies keinen umlaut wirkende -i unorganisch, das -a der andern casus
gleicht dem ags. -an und fries. -a. Ich will, eh ich zum pl. gelange,
auch erst den sg. der beiden andern geschlechter erwägen, dem nom.
sg. fern, und neulr. wird man -ä heimessen dürfen, wie es zum ahd.
-ä stimmt und der quantität des goth. -6 angemessen ist. nicht an-
ders traue ich dem gen. dat. acc. fern, ursprüngliches -ü zu, so dasz
tüngä tüngü ganz dem ahd. zunkä zunkün entspräche; an der qualität
des U ist kein zweifei, weil davon umlaut des A abhängt: ammä ümmü,
harpä hörpü. dem neutrum würde ich beilegen: hiartä hiarta hiarta
hiartä, nemlich gen. und dat. nach männlicher weise. Aufmerksamkeit
fordert aber der männliche und weibliche nom. pl. hanar und tüngur,
ist das einmischung der starken form? so liesze sich hanar allerdings
fassen wie dagar fiskar, nicht aber tüngur, weil die erste starke decl.
giafar darbietet und auch goth. dagös wie gibös. Richtiger wird also
das -r in hanar tüngur für einen Überrest der ältesten schwachen
form gellen und dem goth. -s in hanans tuggöns gleichstehn, also
das s. 945 gemutmaszlc ältere hananös tuggönös bestätigen, der Um-
gestaltungen folge könnte gewesen sein: aus hananas entsprang hanans,
dann hanäs, hanär, endlich hanar; aus tüngönös tüngöns, tüngös, tüngür,
endlich tüngur. In der ahd. und ags. Ilexion wurde der character N
fcstgehalten und die hinter ihm stehende flexion aufgehoben, in der
altn. aber N syncopiert, das folgende S behauptet und allmälich in R
gewandelt, ausnahmsweise haftet auch noch N, nemlich im pl. einiger
masculina z. b. gumnar gotnar von gumi, goti, zumal in den gen. pl.
gumna, gotna und bragna skatna oxna von bragi skati oxi, deren nom. 953
pl. bragar skatar oxar lautet; die analogie zum goth. gen. pl. abnft
(s. 944) ist unverkennbar, regehnäszig aber bleibt dieses N sogar in
allen weiblichen und neutralen gen. pl. tüngna = goth. tuggönö,
harpna = ahd. harfönö, hiartna ■==> goth. hairtanü und kein zweifei
kann walten, dasz auch der nom. pl. tüngur hiörtu hervorgieng aus
tüngnur hiörtnu. Die schwachen adj. stimmen im sg. vollkommen zu
den schwachen substantiven, weichen aber im pl. ab, welcher ohne
ausnahme für alle Casus jedes geschlechts den einförmigen ausgang -u,
das lieiszt den der obliquen weiblichen casus des sg. empfängt. Das
demonslrativura sä sü «= goth. sa so entfernt sich vom nom. sg. -i -a
der nomina und bezeugt deren unorganischen verhalt, wahrscheinlich
hat im masc. hlosz der auslaut die Verlängerung nach sich gezogen
und sä sü stehn für fea so, wie tüngu für tüngo, so dasz auch hani
auf ein ursprüngliches hana zurück weist.
In der flexion der comparative und part. praes. hat die altn.
Sprache den goth. Organismus gewahrt, d. h. masc. und neulr. haben
die gewöhnliche schwache form des positivs, masc. blindari meiri ge-
fandi, neulr. blindara meira gefanda. feminina hingegen blindari meiri
gefandi unveränderlich durch alle casus und ohne zweifei war dies -i
ursprünglich -i, vom -i der masc. ganz verschieden.
662
SCHWACHE NOMINA
Die vorgenontmne Zergliederung der schwachen formen in den
verschiednen dialeclen unsrer spräche lehrt nun, dasz das kennzeicheu
N dem gebrauch, nicht seinem Ursprung nach dem nom. sg. und dat.
pl. abgehe, im dat. pl. wich es dem zu nahen folgenden M, im nom.
sg. pflegen auch die urverwandten sprachen häufig den consonant zu
tilgen, den die obliquen casus entfalten, es wird den blick erweitern,
wenn wir vor allem die analogie des N auch in ihnen aufsuchen und
zugleich andere consonanlen an seiner stelle -finden.
Im slavisclien sind es vorerst einzelne neutra, deren obliquer
casus ein solches N darbietet: imja nomen gen. imene, pl. intena,
poln. imi§ gen. inhenia, pl. imiona, böhm. gme gen. gmene. sjcmja
954 seinen, poln. sientie, bölun. seine, plemja soboles poln. plemie, böhm.
pleme. vrjemja tempus, böhm. wfcme. brjemja onus, poln. brzemie,
böhni. bi eine, v’imja über, poln. wymie, böhm. werae wynte. russ.
temja sinciput poln. ciemiQ gen. ciemienia, böhm. teilte tymie. im
böhmischen ist allmälich auch im nom. N üblich geworden und für
gme wird lieber gmeno, für seine weine lieber semeno wemeno ge-
setzt. offenbar entspricht nun imja imene (oben s. 153) dem gotli.
iianto namins auch im genus, während ahd. naino namin, ags. nama
naman männlich sind, das altn. nafn nafns aber starke form zeigt,
nicht anders gleicht sjemja dem ahd. sämo särniii, welches wort golh.
und altn. gebricht und durch fraiv, friof oder frio vertreten wird; ich
dachte an das wort s. 493 beim namen der Semnonen. Statt ramo
humerus scheint gleichfalls ramja gen. ramene gegolten zu haben, die
poln. form lautet rantic, die böhmische rame oder lieber rameno;
nach s. 327 entspricht golh. arms, ahd. aram, wozu sich kein N
gesellte, man müsle denn die eigennamen Armin Irmin Irmino (vgl.
s. 825) anschlagen, wobei nicht zu iiberschn ist, dasz den Slovenen
rame in der Zusammensetzung verstärkt, wie unser irman, ramenvelik
bedeutet sehr grosz, wie irmanperaht sehr glänzend, irman würde
sich zu ramja verhalten wie altn. nafn zu imja.
Es gibt aber auch slavische inasculina, die das N dem nom. sg.
wie dem obliquen casus lassen: koren’ radix, poln. korzen, böhm.
koren; planten’ flamma, poln. planten, böhm. planten; iesen’ auctumnus,
poln. jesieh, höhnt, gesen; iatsch’men’ hordeuni, poln. jeczntien, böhni.
geeilten; pr’sten’ annulus, poln. pierscieh, böhm. prsten u. a. nt., ein-
zelne zeigen den nom. ohne N: kant”i lapis neben kanten’, poln. kamien,
höhnt, kamen und plam”i neben planten’. Neutra, die den begrif
junger gehurt ausdrücken, schallen T ein: djetja naiöiov gen. djetjate,
poln. dziccie gen. dzieciecia, böhm. djte gen. djtete; sltrjebja nüXog
gen. shrjebjate, poln. zrebic gen. zrebiecia; russ. telja vitulus, poln.
ciele gen. cielocia; serb. prase praseta porcellus, poln. prosic prosiecia.
hierzu darf man das ahd. junkidi foetus, pullus, kinözidi par boum,
955 kinestidi, besser kinislidi pullus (Haupt 3, 464) hallen. S entfallet
sich in nebo coelum gen. nebese, slovo verbutn slovese, kolo rola
kolese, tschoudo ntiraculunt tschoudese. diesem S identisch ist das
dem ahd. pl. vieler Wörter für junge tliicre u. s. w. zugehende R:
SCHWACHE NOMINA
663
lamp lempir, chalp chelpir, liuon huonir, loup loupir, welchen ein
goth. lamb lambiza, kalb kalbiza, hon höniza entsprechen würde, wo-
für aber lamba gilt, es erhellt aber, dasz S und T dasselbe ausrich-
ten was N.
Gleich lehrreich werden litthauische nomina auf -ü, deren oblique
Casus N einschalten, akmü lapis bat den gen. akmenio (oder akmens),
pl. akmenys und ist jenes sl. kam”i, kamen’, skr. asman (Bopps gloss.
23b) und mit R statt N ahd. hamar malleus, d. i. steinwaffe; im altn.
hamar hat sich neben malleus noch die bedeutung saxum, rupes be-
wahrt (vgl. oben s. 610.) wandü aqua, gen. wandenio oder wandens,
lett. uhdens, skr. uda, sl. voda, ohne N, altn. vatn gen. vatns (wie
nafn), schwed. vatten, goth. schwachformig vatö vatins (wie namö
namins, wonach auch goth. hamö saxum möglich wäre), ahd. aber
wazar (mit R wie in hamar) ags. Väter und gr. vdioQ vdarog. piemü
gen. piemenio oder piemens hirtenknabe, diminut. piemenatis, und
piemene hirtenmädchen, gr. noi^irtv noi^ivog hirte, notf-ivr] herde;
scheint das not- pie- zu nwv pecu faihu gehörig, so wäre ein goth.
faihma faihmins möglich, wobei mir das alts. fehmia femia Ilel. 9, 22
alle, faemne, fries. fämne wieder einfällt, die ich s. 652 unter ganz
andern gesichtspunct faszte, es könnte dem litth. piemene entsprechen
und im hirtenstand entsprungen sein, stomü stomenio stomens slatura
vergleiche ich dem goth. stöma stömins vnooxuoig. szarmü gen.
szarmens ist das ahd. harmo harmin f.ivyu’ki]. lemü lemens baum-
stamm, vielleicht altn. limi frons arborum. aszmü aszmens das lat.
acumen, vgl. goth. alima alimins spirilus. szü canis gen. szunnio oder
szunnies szuns ist unser hunds und schon s. 38 besprochen, menu
oder mienü entspricht dem goth. mtina mönins ahd. mäno mänin, ent-
faltet aber im gen. nicht mienenio sondern mit S mienesio, wozu auch
der nom. mienesis vorkommt, der dem lat. mensis und sl. mjesjalz’,956
skr. mäs luna und mäsa mensis gleicht, das gr. (.irjv /urjrog bleibt
wie das deutsche wort ohne S.
In der lat. spräche sind zahlreiche bihlungen auf -men gen. -minis
neutral, haben also das N auch im nom. sg. wie die böhmischen
Wörter, dem namö imja entspricht nomen, dem simo sjemja seinen,
und auf gleicher reihe stehn carmen gerrnen fragmen gramen slamen
stramen tegmen omen limen inguen numen rumen gluten u. a. m.
männlich nur oscen, tibicen, Hamen, vielleicht sanguen f. sanguis, aber
andere masc. werfen das N im nom. weg: turbo turbinis, cardo, ordo,
margo, sermo sermoriis, carbo carbonis, zumal aber horno hominis
und nemo neminis. * liomo ist vollkommen das goth. guma gumins,
ahd. komo komin, und dem pl. bomines gumans vergleicht sich der
litth. pl. zmones vom sg. zmogus; altpreusz. lautet der sg. smunents,
acc. pl. smunentinans. das lett. zilweks gehört aber zum sl. tschlovjek”.
Eine menge lat. feminina haben N im gen. ratio rationis = goth. rajijö
* sömo st'münis soll entspringen aus semihomo. die verschiedne quantitüt
hindert einen Wechsel zwischen H und S anzunehmen.
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SCHWACHE NOMINA
raftjöns. Alles was unsern schwachen substantiven entspricht musz
demnach in der dritten lat. declination gesucht werden.
Ebenso auch in der dritten griechischen. ux/nwy uxf.iovog.
dai/xcoy dai'/iiovog. dxwv dxovog. utjdwv urjdoyog. ytXiSwv ytXi-
Sovog. Xif.ir\v Xi/ueyog. rj(.iwv ij/uovog. Xti/nwy Xti/nwyog. /urjv /.ifj-
vog, nicht f-irjvavog, wie dem goth. möna menins gemäsz wäre, xvwv
y.vyog gleicht dem litth. szü szunnies. yfrwv yd-ovog ist das lat.
humus, zu welchem homo, wie zu %&i6v x&oyiog, der irdische gehört;
das goth. guma homo scheint aber verwandt mit göma palatum (nach
dem ablaut guma gam gömun, wie funa fan fönun), weil erde gleich
dem himmel als gähnend gedacht wird*; vgl. sl. zemja zemlja, litth.
zieme. Neutra schalten im obliquen casus T ein, wie jene sl. be-
nennungen junger thiere: uq/liu uQf.iu.xog, axofia oxofiuxog, Sofia
957 Sofiaxog, Swfia Süfiuxog, owfiu awfiuxog, xXifia y.Xi'fiaxog, fitXi
fieXtxog, nQuyfia rcQuyfiaxog, ruyfiu xuyfiuxog**, selbst einzelne, die
dem nom. sg. R verleihen: vSwq => alul. wazar, ags. väter, gen.
vSuxog, (pQtaQ qtgaaxog, dtXtuQ StXiaxog, ovS-uq ovfruxog, ahd.
ütar, nhd. euter. (fQtuQ kann mit brunna brunnins für bruna brunins
verwandt sein, ovg wxog, jon. ovag ovaxog gleicht dem goth. auso
ausins, litth. ausis ausiös, lat. auris, sl. oucho gen. ouschcse, poln.
böhm. ucho, serb. uvo gen. uva und uveta, wTas zu wxog stimmt;
xtQag xtqaxog, /uQtg yuQixog. Dasz dem T ganz die function des
N überwiesen ist, lehrt augenscheinlich ovo(.iu oyo/tiaxog neben namö
namins und imja imene; Bopp im glossar p. 193b bemerkt, dasz das
gr. suffix ~[xar insgemein dem skr. -man entspreche, was sich nach
der skr. lautlehre leicht erklärt, da N in einer reihe mit dentalem
T steht.
fi Im sanskrit entsprechen neutra auf -an den lat. auf -en: näman
'gen. nämanas = nomen nominis, karman opus, factum gen. karmanas
=> lat. carmen carminis, von der wurzel kri facere, ahd. garawan
parare, wie jto/^<« von notaw, weil das dichten ein schaffen und
wirken ist; mit unrecht hat man carmen für casmen genommen,
neutra auf -i entfalten N erst im genitiv: aksi aksnas oculus, gr. 0001,
wovon noch der dual, ooot übrig, asthi asthnas os ossis, gr. öoxtoy,
sl. kost’, väri aqua, gen. värinas. das masc. räjä rex zeugt den gen.
räinas, wozu man rägni regina vergleiche, einigemal schaltet nur der
gen. pl. N ein, z. b. nada flumen, nadas fluminis, aber nadänam flu-
minum, ganz wie das ags. däg mitunter den gen. pl. dagena bildet
und alle ahd. starken feminina den schwachen gen. pl. annehmen.
Es hat sich gezeigt, dasz in den urverwandten sprachen auszer
dem N und an dessen stelle auch T und S aus dem nom., der ihrer
oft entbehrt, erwachsen. Derselbe trieb waltet, wenn dem nom. sg. R
* rore fioi ’/ävoi evqem yßiiv. II. 4, 182. 8, 150. atä avrov yaia
fiiXcuva näoi yävoi. II. 17, 417.
** alfia aifiaros scheint das ahd. nhd. seim nectar, der aus blut und honig
bereitet wurde (mythol. s. 294. 436. 856.) in sanguis hat sich N erst vor G
entwickelt.
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mangelt, das die obliquen casus mit sich führen; heispiele lieferten958
s. 266. 267 die zendischen pala mäta bräta dughdha, seihst das skr.
duhitä, das litth. mote sessü dukte, das sl. mali und d”schtschi, deren
oblique casus von dem R zeugen (s. 268.) Etwas ähnliches ist noch
das im serbischen noin. schwindende und vocalisierte L: soko falco,
kotao lebes, orao aquila, gen. sokola kotla orla, wo die übrigen sl.
dialecte das L schon dem nom. geben.
Wie nun TSR und L in allen diesen fällen nicht zur flexion
gehören, sondern bildungsmitlel sind, welche sich zwischen Wurzel
und flexion schieben und nur ausnahmsweise, wenn die flexion abfällt,
in den auslaut treten; so musz ein gleiches von dem N gellen und
die ganze grundlage der vorhergehenden crörterungen des deutschen
N dadurch bestätigt werden, je stumpfer die eigentliche flexion ward
und erlosch, desto mehr gewann dies N, ja nach seinem dahinschwinden
sogar der von ihm herbeigeführte vocal den schein einer wirklichen
flexion. zumal merkwürdig ist, wenn sich für einzelne substantiva
starke und schwache form vereinen und jeder gewisse casus zufallen,
wie im golh. fön funins funin fön und umgekehrt in manna mans
mann mannan. Beachtung fordert auch der gramm. 4, 585 berührte,
nicht erschöpfte unterschied starker und schwacher form für einzelne
substantiva. wenn lat. pavus pavi und pavo pavonis neben einander
gelten, so begegnet auch goth. gards gardis und garda gardins, goth.
auhsus auhsaus und auhsa auhsins, oder vom altn. mannsnamen ün
wird Yngl. saga cap. 29, 30 als gleichbedeutend auch Ani angegeben,
auszer ahd. johhalm lorum findet sich johhalrna und in Zusammen-
setzungen nimmt ahd. mhd. tac gern die schwache form -tago an;
häufig erscheint aber für tagö der gen. pl. taganö, mhd. tagen MS. 1,
92a mnl. daghen Rein. 3153. 3154, und wie schon gesagt wurde
ags. dagena. Von starken masc. werden häufig schwache feminina
moviert (gramm. 3, 333), aber auch schwache masc. abgeleitet, z. b.
aus fogal der mannsname Fogalo Fogilin, oder aus fatar pater fatirio
patruus. ha9*w Ha9aw>
Um so leichPer müssen solche subslantivbildungen ergehn, als sich 959
in unsrer spräche von frtihauf ein dynamischer unterschied starker und
schwacher form für jedwedes adjectiv feslsetzte und innig mit der
syntax vermählte, aus dem adjectivischen begrif aber vielfache Übertritte
in den substantivischen stattfinden. Man wird erwarten, dasz auch in
den urverwandten sprachen einzelne adjectiva auftauchen, deren nom.
sg. das N fehlt, deren oblique casus es entfalten, so bildet das skr.
adj. ^>arma»felix den gen. sarmanas, dat. sarmani, acc. sarmanam, oder
das gr. f-itXag taXag den gen. (.uXuvog tdXuvog, wie schon der weib-
liche nom. sg. {.itXutva ruXatvu, der neutrale /utXuy r6Xav gewährt,
allein daneben, was die hauptsache ist, erscheint keine des N überall
entrathende form, welche man die starke nennen könnte; diese doppel-
gestalt des adjectivs musz für ein entscheidendes merkmal unsrer
spräche genommen werden.
Und hier, dünkt mich, wird unsere syntax aufschlitsse über die
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m
It.t t 7 uuj
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SCHWACHE NOMINA
flexion herbeiführen. Die regel der anwendung beider gestalten des
adjeclivs lautet ihrem hauptgrundsatz nach dahin, dass schwache form
durch den bestimmten artikel bedingt sei, starke hingegen walte, wo
dieser nicht eintrete (gramm. 4, 526. 557.) wir sagen blinder blinde
blindes, aber der blinde die blinde das blinde; im gen. blindes blinder
blindes, aber des blinden der blinden des blinden, und so unterschied
schon der Gothe zwischen blinds blinda blindata und sa blinda so
blindö Jiata blindd, gen. blindis blindaizös blindis und jhs blindins
ftizös blindöns jjis blindins, durch alle Casus hindurch. Da nun der
artikel selbst in einem früheren sprachstand, wie ihn z. b. das latein
noch kund lliut, ganz abgieng, und sich erst allmälich aus den leben-
digen demonstrativen, gleichsam als abstraction der demonstration ent-
faltete; so leuchtet ein, dasz die alte spräche überhaupt zu keiner
doppelgestalt des adjeclivs geführt wurde und ihrer nicht bedurfte.
Vielmehr musz die schwache form durch denselben trieb entsprungen
sein, der auch hernach den artikel aufbrachte: um es kurz zu sagen,
960 sie scheint nichts als suffigiertes und einverwachsnes deinonstrativum,
zu welchem hernach noch ein andres als äuszerlicher artikel gefügt
wurde.
Bekanntlich sind unsrer spräche, wie fast allen andern, zwei
verwandte, dem grad nach verschiedne demonstrativa zuständig, der
die das = golli. sa so (»ata, welches dein lat. iste isla istud, und
jener jene jenes — golh. jains jaina jainata, welches dem lat. ille illa
illud in der bedeutung entspricht, aus dem ersten hat die deutsche
spräche, in groszer einslimmung mit der griechischen, den äuszerlich
vertretenden artikel sa so Jvata, ö 1) ro entnommen, während die ro-
manischen töchler der lateinischen spräche ihn durch ahkürzung des
ille illa gewannen. Dem deutschen vorstehenden artikel musz jedoch
die schwache adjeclivforrn lange vorausgegangen sein, welche ich aus
einem suftix des gelinderen demonstrativums jener jene jenes herleite,
stumpfte sich lat. ille illa in romanisches le la ab, welches zwar ge-
trennt steht, doch mit praeposilionen verschmilzt (al del dal); um wie
viel mehr konnte sich das dem adj. selbst verwachsende suffix eines
fast vocalisch beginnenden pronomens kürzen? allem anschein nach
ist das J in jains unursprünglich, wie ahd. encr neben gener, das
alln. iun neben hinn und noch entschiedner das irische an, slav. on
ona, litlli. ans ana (vgl. oben s. 369) bezeugen, blinda blindö blindö
leitete nach den vorausgehenden Untersuchungen (s. 945) zurück auf
blindans blindöns blindön, der gen. blindins blindöns blindins auf blin-
dinis blindönös blindinis; wie nahe treten diese formen einem ange-
fügten demonstrativ, aus dessen stamm es vorzüglich dem Nlaute galt,
und wobei die vocalverhällnisse nicht genau angeschlagen werden
können. Dasz blinda blindö blindö an sich schon ausdrückte was das
nachherige sa blinda so blindö {»ata blindö, folgere ich aus drei von
verschiedenen enden her zusammentreffenden gründen:
1) Wir selm oft in der spräche das zuerst innerlich ausgedrücktc
hernach äuszerlich wiederholt, dem schwachen praet. war das verbum
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iiiiii
SCHWACHE NOMINA
667
tliun einverleibt, die jüngere spräche bedient sich eines auxiliären thuns
zur allgemeinen Umschreibung des verbalbegrifs (gramm. 4, 94.) die 961
alte verbalflexion bezeichnet an sich schon die personell, welche später
im pronomen von auszen zugefügt werden. Schon den Gothen vertritt
jains zuweilen den artikel; cin jainamma daga* unterscheidet sich wenig
von cin jiamma daga’ und nicht immer häuft Ulfilas die im gr. text
gehäuften pronomina, wenn er es auch Ihun darf (gramm. 4, 446.
447.) die mnl. spräche braucht auszer die die dat auch ghene ghene
ghönt als wirklichen artikel, was dem franz. le la aus ille illa und
dem alln. inn in it gleicht, welches letztere pronomen zwar nur vor
adjectiva, nicht vor substantiva gestellt wird, was auf solche weise
fühlbar vorgesetzt erscheint, kann sich also in der schwachen adjectiv-
flexion heimlich befinden.
2) steckt in blinda = blindans das N von jains, so musz auch
im altn. blindi das N von inn stecken, und nicht anders in goth. hana,
altn. hani. die altn. spräche, zu suffixen geneigt, versucht aber, als
sich das gefühl für den gehalt der schwachen form geschwächt oder
verloren hatte, nochmals allen, starken wie schwachen, substantiven
dasselbe pronomen anzuhängen, und dagrinn falit haninn augat drückt
wiederum aus: der tag, das fasz, der hahn, das äuge (gramm. 4, 375.)
nur ist das junge suffix ungeschickter als das alte, denn dieses tritt
zwischen wurzel und flexion, jenes setzt sich hinten an die flexion
und nimmt sie in die mitte, im goth. hanins folgt das S erst nach
dem N, im altn. dagsins steht das S in der mitte und wird hinten
nochmals, also zweimal gesetzt. Man begreift aber, dasz das altn.
suffix nicht zu adjecliven trat, weil in deren schwacher form, durch
den gegensatz der starken, die Vorstellung der bestimmtheit noch zu
fühlbar war; später fügten es Schweden und Dänen auch an adj.
(gramm. 4, 380.)
3) die syntax lehrt, dasz alle comparative, namentlich die mit UM
gebildeten, sodann alle parlicipia praes., wenn sie adjectivisch gefaszt
werden, organischer weise nur der schwachen form folgen (gramm.
4, 519—521), also auch ohne vorstehenden artikel. zugleich ge- 1
wahrten wir vorhin,f dasz gerade diese Wörter im fern. EI zeigen, 962
dies EI ursprünglich eben wol dem masc. und neutr. zugestanden
haben werde, in solchem EI, oder richtiger in dem ableitenden I,
was den Wörtern unsrer zweiten decl. zum gründe liegt, musz wieder
etwas pronominales enthalten sein, und am adj. den begrif der be-
stimmlheit hervorheben, welchen späterhin das suffix N, oder der aus-
wendige artikel hervorhoben. Nun darf ich gewicht darauf legen, dasz
auch im latein und griech. alle comparative und part. praes. der
Ideclination gehören, während positive und part. praet. meistens der
Adeclination folgen, genau wie bei uns. Und bestätigt nicht die gleich-
lieit des masc. und fein, melior melior, coecior coecior (wie fortis
fortis und söls söls) die gemutmaszte von blindözei blindözei, frumci
frumei statt des jüngern blindöza blindözei, fruma frumei? die masc.
und neutra wichen, wahrscheinlich schon sehr früh, in die Aform aus,
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j .txtjllB
668
SCHWACHE NOMINA
wie es die meisten positive oder endlich alle der adj. auf I thaten.
io un«. ü» wa.-rf.die goth. weiblichen comparalive maizei major, juhizei junior begegnen
-ardW dem zendischen fern, masjöhi und skr. javijasi (Bopps vgl. gr. s. 418.)
cW Das 1QN griechischer comparative habe ich schon gramm. 3,
650. 657 unsrer schwachen form, hoffentlich mit recht, verglichen;
wie nah steht /ueiCwv /uei^oyog dem goth. maiza maizins, wofür ein
älteres maizei maizeins angenommen werden musz, in welchem auch
das I enthalten ist. scheint sein I heim wandel des r in Z
eingebüszt zu haben; doch eine menge andrer comp, wie rjdiwy sutiza,
vtuXklwv ßeXTtW lassen es gewahren.
Diese einstimmung der griech. und lat. comparalive zu den deut-
schen nicht allein in dem auftauchenden kennzeichen N, sondern auch
im I, das noch den deutschen femininen eigen blieb, ist gewis be-
deutsam, und wird noch durch die abwesenheit der starken form für
unsere comparative erhöht.
Doch wir stehn nicht einmal mit unsrer doppelgestalt der positive
allein in der geschichte der sprachen, denn sie begegnet auch in der
litlhauischen und slavischen, deren Urverwandtschaft in so vielen andern
963 fällen hervorlrilt; nur dasz hier nirgend unser kennzeichen N, vielmehr
das vocalische I waltet, und der Zusammenhang mit dem einverleibten
pronomen noch unverkennbarer wird.
Die Litthauer besitzen ein pronomen der dritten person jis ji
(gen. jo jös, dat. jam jei u. s. w.), welches dem lat. is ea und goth.
is si, ags. he heo entspricht und jedem adj. angehängt werden kann,
um dessen bedeulung bestimmt oder emphatisch und demonstrativ zu
machen, geras gera steht wie das goth. göds göda, gerasis geroji
aber wie das goth. sa göda so gödö. didis ist grosz, didisis der
grosze, grazus schön, graZusis der schöne, ebenso verhalten sich die
obliquen casus. gero ist goth. gödis, gerojo f)is gödins, geram gö-
damma, geramjam j)amma gödin. Man sieht, dasz das pronomen zu
der flexion, nicht zwischen wort und flexion tritt, und es gleicht in
diesem stück dem altn. suffix -inn, nicht dem deutschen N, welches
seine stelle zwischen wort und flexion fand.
Den Slaven war ein dem lat. is ea id, goth. is si ita, litth. jis
ji identisches pronomen eigen, dessen nom. in jedem numerus verloren
gegangen ist und durch on ona ono (goth. jains jaina jainata) ersetzt
wird, die obliquen casus haben sich aber davon erhalten und lauten
im gen. sg. masc. iego, dat. iemu, acc. i, den fehlenden nom. lehrt
uns das die adjectiva bestimmt machende suffix. dem starken oder
unbestimmten adj. svjat” sanctus, gen. svjata, dat. svjatu, acc. svjat”
steht nemlich das schwache oder bestimmte svjat”i, gen. svjatago, dat.
svjatomu, acc. svjat”i gegenüber, und der anhang der pronominalformen
liegt klar vor äugen. * Wie im litth. gerasis lautet aber das pro-
* meine in der vorrede zu Vuks serb. gramm. aufgestellte Vermutung, dasz
die obliquen casus der slav. schwachen und starken adjectivform mit einander
tauschen miisten, habe ich längst fahren lassen.
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m
SCHWACHE NOMINA
669
nominalsuffix aus und nimmt die flexion in seine mitte, denn in svjat”i
ist ” das element der flexion. Zur deutschen schwachen flexion veiha
veihö veihö =* svjat”i svjataja svjatoe fügt sich aber vollkommen, dasz 964
auch alle sl. comparative, gleich den deutschen, nur dieser schwachen
flexion fähig sind. Doch dem slav. und litth. schwachen adj. entspricht
keine substantivflexion, während die deutschen schwachen adj. formen
auch beim substantiv erscheinen.
Aus der ganzen in diesem capitel gepflogenen Untersuchung geht
hervor, dasz es zwei pronominalelemente von gleich hohem alter sind,
die dem nomen eingeschaltet oder angehängt werden.
Alle urverwandten sprachen zeigen ein dem nom. sg. bald gelas-
senes bald entzogenes N in allen obliquen fällen, welches aus dem
nachgewiesnen pronomen goth. jains, litth. ans, sl. on, ir. an abstammt,
da sich homo hominis und guma gumins, carmen carminis und karman
karmanas, szarmü szarmens und harmo harmin, siemie siemienia und
semen seminis, sämo samin, aber auch f,ui%(ov fxel^orog und maiza
maizins decken; so darf an dem gleichen grund der substantivischen
und adjectivischen flexion nicht gezweifelt werden. Aber erst unsere
spräche hat das gesetz durchgeführt, dasz allen adjecliven die doppel-
gestalt, und den schwachen der bestimmte begrif zustehe.
Pronominales I scheint in die lat. comparative und participia
praesentis eingedrungen, ist aber in unsrer spräche nur am fern, zu
gewahren, die lat. melior melior melius, carior carior carius u. s. w.
zeigen es vor der flexion, wie das golh. maizei gen. maizeins, frumei
frumeins. in der litth. und sl. form tritt aber das Ipronomen hinter
die flexion, wie im jüngern nord. suffix das inn in it hinter die sub-
stantivflexion. gleich der deutschen spräche haben die litth. und sl.
die regel der bestimmten bedeutung aus der form entfaltet, in den
gesteigerten graden liegt von natur etwas bestimmtes; schwer zu sagen
fällt, inwiefern das I der comparative mit dem unsere zweite declination
überhaupt bildenden I Zusammenhänge oder nicht?
Vom unbestimmten den bestimmten begrif des adjectivs zu unter- 965
scheiden sagte dem fortschreitenden sprachgeist zu, # gleichviel ob er
es durch eigne schwache form oder, wie in den romanischen sprachen,
durch vorangestellten artikel erreichte, unsere spräche häufte sogar
beide mittel.
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XXXIX.
DER DUALIS.
966 Es ist eine schöne in den neueren sprachen entbehrte eigen-
schaft der älteren, die sinnlich wahrnehmbare zweiheit durch beson-
dere formen auszudrücken, auf die vollkommenste weise geschieht es,
wenn sie zugleich am nomen und vcrbum hervortreten, wie in der
griechischen spräche; höchst lebendig mahlt das ooot (putivw d'iuei-
ad~7]v II. 17, 679. tm dt ol oaot Xaf.miod'rjv 11. 15, 607. 19, 365.
Für unsre Sprachgeschichte hat es nun groszen werth, dasz auszer
dem sanskrit und griechischen auch das litthauische und altslavische
dieser beiden dualgestalten allenthalben mächtig erscheint, während sie
bereits im altdeutschen aussterben, im latein beinahe, im keltischen
völlig erloschen sind, allein auch die griecli. duale beginnen schon
sich mit pluralen zu mischen und ihnen allmälich zu weichen; ‘im
neuen testament fand Ulfdas gar kein vorbild mehr* für seine gotli.
duale, die desto echter im gotli. hafteten, die heutigen slavischen
dialecte, mit einziger ausnahme des slovenischen, haben dem dual ent-
sagt und nur einzelne Überreste davon behalten; in der litlhauischen
mundart dauert »er, in der lettischen und preuszischen hat er aufge^
hört. Bei uns steht unter den Schriftsprachen der verbaldualis blosz
der gothischen zu gebot; den nominalen besitzt sie, gleich allen tibri-
967gen, weder in subst. noch adj., blosz im persönlichen pronomen; ein-
zelne volksmundarten bewahren merkwürdige spur von beiden.
Ich will zuerst den verbalen dualis, dann den nominalen be-
handeln.
Dasz die gotli. spräche dem dualis praet. im starken verbum den
ablaut des pluralis, im schwachen das DfiD des pluralis verleihe, ist
schon s. 879 gesagt worden.
Die gothische dualtlexion selbst erstreckt sich überall nur auf die
erste und zweite person und ist für die dritte nicht mehr vorhanden,
welche sich des plurals bedienen musz. dem gr. activum fehlt liinge-
* im griecli. N. T. kein dualis, vgl. VViners grammatik auQ. 3. p. 150.
gen die erste person des dualis, da doch dem passivum alle drei per-
sonell zustehn.
Die golh. zweite person des dualis endigt ohne ausnahme auf
TS: gibats gebuts gibaits göbeits, nasjats nasideduts nasjaits nasidö-
deits, salböts salbödöduts salböts salbodedeits. in dem T erkennt man
leicht einen durch den engen verband mit S der Verschiebung entzog-
nen laut.
Den character der ersten person läszt undeutlich der indicativ,
deutlich der conjunctiv erkennen: ein VA des dl. steht dem MA des
pl. zur seite: gibaiva göbeiva, gibaima gebeima; nasjaiva nasidedeiva,
nasjaima nasidödeima. Im indicativ aber geht das praes. dl. auf ÖS,,
praet. auf U aus: gibös göbu, nasjös nasidedu. weist nun das -am
der prima pl. praes. auf ein älteres -ams, amas, gibam auf gibams
gibamas, so scheint auch das duale -6s zurückftihrbar auf -aus und
-avas. die Verdichtung ÖS gleicht dem als guna des U ebenfalls aus
AU hervorgegangnen skr. Ö (s. 860.) Nicht anders wird für das goth.
-u des dl., -um des pl. praet. ein früheres -uvs und -ums gefordert
werden dürfen.
Den ausgang S zeigen auch die skr. duale, nicht plurale: bharä-
vas bharämas ■= goth. bairös bairam; bharathas bharatha = bairats
bairi{). die lat. pl. haben S in beiden personen: ferimus fertis. der
sl. und lillh. aber zeigt den vocalischen auslaut der goth. conjunctive,
sl. in erster person -va, in zweiter und dritter -ta; litth. in erster
-wa, in zweiter -ta, die dritte mangelt und wird, wie im goth. durch
den pl. vertreten, zum sl. -ta -ta stimmt gr. -tov -tov. offenbar 968
gereicht sl. neseva, litth. sukawa dem vermuteten goth. gibavas für
gibös zur beslätigung; neseta sukata fügt sich zu gibats, das früher
auch einmal gibatas gelautet haben kann*.
Belege für die goth. duale des praet. schöplen wir zumal aus
den anomalen verbis, deren praet. Bedeutung des praes. gewonnen hat;
Christus sagt Marc. 10, 38. 39 zu Jacobus und Johannes: hva vileits?
sie antworten: fragif ugkis ei ains af taihsvön Jieinai jah ains af hlei-
dumein Jieinai sitaiva. iji Iesus qaji, ni vituls hvis bidjats, magutsu
driggkan stikl? i{> eis qöpun : magu. statt vileima 10, 35 sollte aber
stehn vileiva. Joh. 10, 30 heiszt es: ik jah atta meins ain siju, Joh.
17, 22 vit ain siju, wo der text mit pluralformen hat rjf.uTq tv ta/utv.
iofxtv ist lat. sumus, goth. sijum, litth. esme, aber siju entspricht
dem litth. eswa, steht also für sijuvs oder sijuvus, isijuvus, skr.
asvas.
* das altsl. verbuni subst. bildet den dualis iesva iesta iesta pl. iesm’i iestc
sut’, fut. budeva budeta budeta, pl. budem bildete budut. das sloven. praes. bat
den dl. sva sta sta, pl. srao ste so; fut. dl. bodeva bodeta bodeta, pl. bodemo
bodete bodejo (oder zusammengezogen dl. bova bota bota, pl. bomo bote bojo.)
altpolnisch stand ein dl. iestesvva iestesta iestesta dem pl. iestesmy iestescie sa
und im fut. ein dl. bedziewa bedzieta bedzieta dem pl. b^dziemy bedziecie beda
zur seite, heute sind aber die dualformen erloschen, ähnliches gilt vom alt-
böhmischen.
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672
DUALIS
Der ahd. und mhd. Schriftsprache scheinen diese dualformen völ-
lig zu entgehn und schon in der alten Übersetzung von Mallli. 20, 22
liest man: ni wizut huaz ir bitit, magut ir trincan den khelih? quä-
tun imo : magumes; alles im pl. ausgedrückt. Die glossae cass. II,
18 haben pergile sindos. wäre pergamus und der dual gemeint, so
böte sindos ganz die erste person dar, nach gothischer weise, sindöts
für die zweite person zu ändern wäre gewagt, aber wenn diese in
ahd. spräche bestand, konnte sie nicht anders lauten. Wir finden
nemlich noch heute allgemein in bairischer und Ostreich, volksprache
statt der zweiten person des pluralis, welcher kein -s gebührt, die
969 formen gebts bringts gehts saufts habts thuts seids könnts sollts u. s. w.
sowol im.ind. als imperativ verwendet, in solchem gebts sehe ich
gerade zu das goth. gibats, und wie in diesem das TS keiner lautver-
schiebung unterlag, dauert es bis auf heule, nur hat, was wir her-
nach durch die analogie des pronomens bestätigt sehn werden, die
behauptete dualform sich an die stelle der pluralen gesetzt; es befrem-
det, dasz bei dem steirischen Oltocar, welcher das dualpronomen noch
kennt, keine spur dieser zweiten person auf -ts erscheint, aber auch
keine der übrigen deutschen sprachen weisz davon das geringste, nir-
gend zeigt sich in der volksprache etwas der ersten person des goth.
dualis (gibös gebu, siju v6su) entsprechendes.
Länger zu verweilen haben wir bei dem nominalen und prono-
minalen dualis.
Im skr. gewähren nom. acc. und voc. dl. die endung -äu, im
vfidadialect häufig -ä : vrkäu oder vrkä duo lupi, bhruväu duae palpe-
brae, näväu duae naves gegenüber den nom. pl. vrkas bhruvas nävas.
nicht anders bildet das adj. durmanäs = gr. dvojuerrfg den dl. dur-
manasäu, pl. durmanasas. feminina auf -ä und neutra auf -am geben
dem dl. -fi : dharä terrae, dliarö duae terrae; dänam donum, dänö duo
dona. auf gleiche weise dväu duo, dve duae, dve duo; ubhäu ambo,
ubliö ambae, ubhe ambo und läu tö te = gr. rto tu tw.
Dem skr. -äu entspricht gr. -o> : Xvx(o vuw vtjoo), dem skr. -6
der feminina gr. -u : /coqu ti/liu, die neutra behalten -w : dcöpco tiqo-
ßurio. ebenso: xuXoj xuXu xu).ai und tio tu tm. dvco (und all-
mälich dvo) u/ncpco gelten für alle geschlechter.
Die sl. duale verleihen dem masc. -a, dem fein, -je, dem neutr.
-a : vl”ka Ivxco (pl. vF’tschi Xvxoi); rutschje slova duo verba.
ebenso die adjectiva. dva dvje dva duo duae duo; oba obje oha ambo
ambae ambo.
Litth. dl. masc. -u, fein, -i : wilku Xvxm, ranki geru
xaXto, geri xalu. du duo, dwi duae; abbu ambo, abbi ambae. tu
tco, tie tu.
Im latein haftet die letzte spur des dualis an den Wörtern duo
970 und ambo, welche ihrem begrif nach keinen pl. ertragen ; doch ist fürs
fern, und alle obliquen casus die pluralflcxion eingedrungen: duae am-
bae u. s. w.
Bei den Gothen musz die nominale dualform noch länger ausge-
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DUALIS
673
rottet gewesen sein, da in den entsprechenden Wörtern alle drei ge-
schlechter auf sie verzichten: tvai tvös tva, bai bös ba ist rein plu-
rale flexion, und ebenso im artikel j>ai j)ös f)ö (für f>a).
Wie wenn im neutrum ahd. zuei, alts. tuö, ags. tvä ein Überrest
dualer flexion steckte? denn die plurale würde ahd. zuiu, ags. tu for-
dern. es kommt dazu, dasz auch im neutralen artikel ahd. dei neben
diu erscheint und ags. sogar nur {)ä für alle geschlechter, da nach
maszgabe der adj. die pluralflexion jie |>a f>e fordern würde, auf die-
sem wege liesze sich selbst das nhd. zwei für alle geschlechter recht-
fertigen. dem ags. tvä tvä für fern, und neulr. entspricht auch bä
bä für ambae ambo, während die masculina tvögen und bögen bekom-
men. Endlich entfernen sich auch die genitive ahd. zueio, ags. tvöga
und bega von der erst später einreiszenden pluralform zueiero ags.
tvögra bögra; ja in diesem casus sticht auffallend das goth. tvaddjö
und baddjö ab von der adjectivischen pluralflexion izö jnzö blindaizö.
ich habe bei andrer gelegenheit ausgeführt, dasz diese genitive zueio
tvöga böga gleichstehn würden den substantivischen eio und goth. addjö
ovorum. Solches alles weiter zu verfolgen gehört aber in die lehre
vom adjectivischen Z oder R, welches substantiven mangelt; hier reichte
hin glaublich gemacht zu haben, dasz das EI in dei zuei zueio irgend
etwas verrathe von erloschner dualform.
Nun bleiben noch die vielgestaltigen duale des persönlichen pro-
nomens darzulegen, welche zu allerlängst fortdauern.
Im skr. stehn sich dl. und pl. erster und zweiter person so ge-
genüber:
dl. nom. äväm pl. vajam
gen. ävajös asmäkam
dat. ävabhjäm asmabhjam
acc. äväm asmdn
dl.
pl. jtijam
jusmäkam
jusmabhjam
jusmän
juväm
juvajös
juvabhjäm
juväm
allein es gelten auch gekürzte formen für den dl. erster person näu,971
für den pl. nas; für den dl. zweiter person väm, für den pl. vas,
durch alle casus.
Die gr. spräche stellt dem nom. acc. dl. vioi', gen. dat. vwiv den
pl. fjf-itTg ttfiug, fj/iiwv in zweiter person aber o(pwi atfwiv
dem v/iiaTg v/uug, vf.iwv vpiv zur seite. Tjy.
Der altsl. dl. erster person hat im nom. acc. na, fern, nje/im
gen. najo, dat. nama; zweiter person nom. acc. va vje, gen. vajo, dat.
vama. das na nje, va vje folgt ganz der analogie von dva dvje. der
pl. erster person lautet nom. m”i, gen. nas, dat. nam, acc. n”i, zwei-
ter person aber nom. v”i, gen. vas, dat. vam, acc. v”i. Irrthümlich c)aA
legt Dobrowsky inst. 491 va und vje der ersten person bei, da doch
najo na, wie vajo va fordert, auch begegnen sich näu vwi und na, Ua.
so wie vam o(pm und va. ^.
Die lat. plurale nos und vos gleichen den skr. kürzungen nas und
vas, wie den sl. gen. nas vas.
Slovenisch lautet in erster person der dl. nom. ina mö, gen. naju,
dat. nama, acc. naju; der pl. nom. mi me, gen. nas, dat. nam, acc.
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WT T T
674
DUALIS
nas. in zweiter der dl. nom. va v6. gen. vaju, dat. vama, acc. vaju;
der pl. nom. vi v6, gen. vas, dat. vam, acc. vas. merkwürdig ist das
M in ma m6, welches zu dem in mi stimmt, statt ma me wird aber
häufig midva, fern. medv6 gefunden, welches sichtbar aus dem pl. mi
m6 und dem zahlwort dva dvd zusammengefügt ist; ebenso für va v6
vidva vedv6*.
Altpolnische denkmäler zeigen wenigstens noch aus der dualform
naiu waiu = altsl. najo vajo. altböhmische nagu wagu.
Der litth. dl. erster person muddu fern, mudwi und zweiter per-
son judu judwi scheint mit der zweizahl du und dwi zusammenge-
972 setzt, gen. mumü und muma dwejü, jumil und juma dwejü. dat.
mum dwiem, jum dwiem. der pl. lautet mes, musd, mums, mus, und
zweiter person jus, jusü, jums, jus. in dritter person hat der dl.
judu jidwi, gen. jü, dat. jem jom; der pl. nom. jie jos gen. jü, dat.
jems joms.
Diesen litthauischen formen schlieszt sich zunächst die gothi-
sche an:
dl. nom. vit pl. veis dl. jut pl. jus
gen. ugkara unsara igqara izvara
dat. ugkis ' unsis igqis izvis
unbelegt ist der einzige nom. dl. zweiter person, aber jut folgt aus
dem pl. jus und der analogie des litth. judu.
Die ahd. duale müssen blosz gerathen werden:
nom. wiz pl. wir dl. iz pl. ir
gen. unchar unsar inchar iuwar
dat. unch uns incli iu
acc. unchih unsih inchih iuwih
da sich nichts als 0. III. 22, 32 unker zweio darbietet und daraus
nur unsicher auf die östlichen dialecte geschlossen werden darf. 0.
IV. 31, 11.-12 selbst, wo man wiz erwartet hätte, steht der pl.
wir; nicht anders setzt die alte Verdeutschung von Matth. 20, 22 ir
kein iz. die accusative unchih und inchih nach analogie der plurale
bleiben sehr ungewis, zumal auch die ags. form unausgemacht er-
scheint.
Ebenso wenig lassen rein mhd. quellen, wie oft dazu anlasz wäre,
duale blicken**, nicht einmal Stricker, Ilelbling und Suchenwirt, ge-
schweige Wolfram und Lichtenstein, aber einzelne strenger landschaft-
973 liehe denkmäler und urkunden aus Baiern oder Ostreich gewähren den
dualis der zweiten, wie der ersten person. der nom. lautet ez, der
* man unterscheidet auch duale dritter person nom. ona fern, one neutr.
ona, gen. oneh, dat. onema von den pluralen oni öne oni, gen. oneh, dat. onem.
** Wackernagel Waith, von Klingen 9b wagt es zweimal inc für iu zu setzen,
und doch geht, i u c h voraus und folgt i r unmittelbar. Nib. 250, 1 ist für iuch
beide kein it = iz beide zulässig, da iz nur dem nom. zustehn könnte, nicht
dem acc. in Rudolfs weltchron. cod. guelferb. 86b liest man : David sprach ez
must sein, mich sant her der vater mein, daz ich enck (den beiden brüdern)
zezzen pra;cht; doch dies enk rührt sicher vom bairischen abschreiber her.
DUALIS
075
gen. encher, der dat. acc. ench und wiederum das possessivum encher.
gewöhnlich gilt auch ir und ewer ewcli daneben und einigemal zeigt
die dualform entschieden duale bedeutung, oft aber weicht sie schon
in plurale aus. von den dichtem kommen zumal Ottocar und der
'TWhner in betracht, beispiele aus jenem findet man cap. 450. 451,
wpr£ien ir und ew, ez und enkch untereinander
gedieht (Ls. 1, 638) den
" er wirtin, da sult
na; doch auf der
jn fich sol körnen
i wäre, anderwärts
W|
'ml
w\
Vt
m
wenn man schawet
i verstön, man fund
Ein andrer dichter
>olt dy äugen ab im
Die von Keller her-
indige prosa des 14 jli.
den ez mir gesworn
wr ieglicher mag mich
t dienern: ich wil reiten
nach reiten, daz tut e z.
ualformen verbunden: ir
V
die gemainen straz,
zumal merkwürdig stehn s. 54 pIuraF
rilter beleibt ez hie! Urkunden des j. 1314 in MB. 1, 234. 235:
davon wil ich und gebewt enk; davon wellen und gepieten enk allen,
daz ir. In einem briefe Martin Pullers vom j. 1443 heiszt es am
schlusz: wer aber, dasz Ös all auf ain tag nicht komen möcht, so
komt dennoch als ös kürzlichist mögt. Ein nachtheil war, dasz im
nom. ez der dualis zweiter person und der sg. neutr. dritter zusam-
menfiel, während goth. jut von ita, wahrscheinlich auch noch ahd. iz
von iz oder ez geschieden wäre.
Den festen grund dieser dualformen bewährt aber ihre allgemeine 974
fortdauer unter dem volk in Ostreich und Baiern* bis auf heute ganz
für den begrif des pl., dessen formen sie verdrängen, der nom. lau-
tet: es ös esz isz, aber auch ez und besonders zu merken ist die
von Schmeller (mundarlen Baierns s. 187) aus einigen landstrichen an-
geführte form tez und tiz, bei Höfer dös und döz, gen. überall enker
enka, dat. acc. enk, zuweilen enksz. in Ostreich hört man auch wei-
cheres enger und eng, im Eipeldauer jahrg. 18 t 5 lieft 2 s. 62 heiszt
es zum beispiel: freszts nur zue aus engern kesseln ös wackern män-
ner, laszts eng enger fleisch nur schmecken, vorign jahr warts ös
selber in der sosz, bisz eng wieder draus garbetet habts. man sieht
hier, vom verbalen -ts ist das Ös unabhängig, wie auch beide ver-
schiednen Ursprung haben, da freszts goth. fraitats, ös goth. jut lau-
tet, und ich kann Schmeller nicht beipflichten, der sie s. 190. 313
* schon in Jac. Freys gartenges,ellschaft 1556 cap. 43. 56 wird das bairi-
sche es und enk als characteristisch hervorgehoben.
43*
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Er
674
DUALIS
1849.
nas. in zweiter der dl. nom. va v4. gen. vaju, dat. vama, acc. vaju;
der pl. nom. vi v6, gen. vas, dat. vam, acc. vas. merkwürdig ist das
M in ma m6, welches zu dem in mi stimmt, statt ma me wird aber
häufig midva, fern. medv6 gefunden, welches sichtbar aus dem pl. mi
m6 und dem zahlwort dva dvd zusammengefügt ist; ebensn f«- —
vidva vedvö*.
Altpolnische f|"|
naiu waiu = altsl.
Der litth. dl. ;
son judu judwi st------
972 setzt, gen. mumü
mum dwiem, jum t
zweiter person jus.
judu jidwi, gen. jü, H
jems joms.
Diesen litthauisi
sehe an:
dl. nom. vit
gen. ugkara
dat. ugkis ________________________
unbelegt ist der einzige^rom» ui. zwülltii person, aber jut folgt aus
dem pl. jus und der analogie des litth. judu.
Die ahd. duale müssen blosz gerathen werden:
nom. wiz pl. wir dl. iz pl. ir
gen. unchar unsar inchar iuwar
dat. unch uns inch iu
acc. unchih unsili incliih iuwih
da sich nichts als 0. III. 22, 32 unker zweio darbietet und daraus
nur unsicher auf die östlichen dialecte geschlossen werden darf. 0.
IV. 31, 11.’ 12 selbst, wo man wiz erwartet hätte, steht der pl.
wir; nicht anders setzt die alte Verdeutschung von Matth. 20, 22 ir
kein iz. die accusative unchih und inchih nach analogie der plurale
bleiben sehr ungewis, zumal auch die ags. form unausgemacht er-
scheint.
Ebenso wenig lassen rein mhd. quellen, wie oft dazu anlasz wäre,
duale blicken**, nicht einmal Stricker, Helbling und Suchenwirt, ge-
schweige Wolfram und Lichtenstein, aber einzelne strenger landschaft-
973 liehe denkmäler und urkunden aus Baiern oder Ostreich gewähren den
dualis der zweiten, wie der ersten person. der nom. lautet ez, der
* man unterscheidet auch duale dritter person nom. ona fern, one neutr.
ona, gen. oneh, dat. onema von den pluralen oni önc oni, gen. oneh, dat. onem.
** Wackernagel Waith, von Klingen 9b wagt es zweimal inc für iu zu setzen,
und doch geht iucli voraus und folgt ir unmittelbar. Nib. 250, 1 ist für iuch
beide kein it = iz beide zulässig, da iz nur dem nom. zustehn könnte, nicht
dem acc. in Rudolfs weltchron. cod. guelferb. 86b liest man : David sprach ez
must sein, mich sant her der vater mein, daz ich enck (den beiden briidern)
zezzen prcecht; doch dies enk rührt sicher vom bairischen abschreiber her.
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DUALIS
075
gen. encher, der dat. acc. ench und wiederum das possessivum encher.
gewöhnlich gilt auch ir und ewer ewcli daneben und einigemal zeigt
die dualform entschieden duale bedeutung, oft aber weicht sie schon
in plurale aus. von den dichtem kommen zumal Ottocar und der
Teichner in betracht, beispiele aus jenem findet man cap. 450. 451,
in der letzten stelle werden ir und ew, ez und enkch untereinander
angewandt, der Teichner läszt in einem gedieht (Ls. 1, 638) den
engel zu Joachim sagen: du solt keren haim zu diner wirtin, da sult
ez ain kint gewinnen, d. i. ihr beide, du und Anna; doch auf der
seite vorher hiesz es: Joachim, nu g6 hin wider, von ttch sol komen
ain kindalin, wo enk an der rechten stelle gewesen wäre, anderwärts
(cod. vind. 3010, 56 a) sagt er zu den frauen: wenn man schawet
in enckhern muet, als ir redt von unser tät, ich versten, man fund
nicht drät under euch allen ein fravvn volkomen. Ein andrer dichter
des 14 jh. (cod. vind. 2269, 4 a): es frawen solt dy äugen ah im
zukehen; 9“ davon sol es enk nit ivesen zorn. Die von Keller her-
ausgegebne Verdeutschung der gesta Rom. in lebendige prosa des 14 jh.
gewährt mehrere belege: s. 60 pei dem aide, den ez mir gesworn
habt; s. 106 ez seit (ihr seid) siben maister, ewr ieglicher mag mich
wol fristen; s. 156 sagt der kaiser zu seinen dienern: ich wil reiten
die gemainen sträz, und weit ez dem steig nach reiten, daz tut ez.
zumal merkwürdig stehn s. 54 plural und dualformen verbunden: ir
rilter beleibt ez hie! Urkunden des j. 1314 in MB. 1, 234. 235:
davon wil ich und gebewt enk; davon wellen und gepieten enk allen,
daz ir. In einem briefe Martin Pullers vom j. 1443 heiszt es am
schlusz: wer aber, dasz Ös all auf ain tag nicht komen möcht, so
komt dennoch als Ös kürzlichist mögt. Ein nachlheil war, dasz im
nom. ez der dualis zweiter person und der sg. neutr. dritter zusam-
menfiel, während goth. jut von ita, wahrscheinlich auch noch ahd. iz
von iz oder ez geschieden wäre.
Den festen grund dieser dualformen bewährt aber ihre allgemeine 974
fortdauer unter dem volk in Ostreich und Baiern* bis auf heute ganz
für den begrif des pl., dessen formen sie verdrängen, der nom. lau-
tet: es ös esz isz, aber auch ez und besonders zu merken ist die
von Schmeller (mundarten Baierns s. 187) aus einigen landstrichen an-
geführte form tez und tiz, bei Höfer dös und döz, gen. überall enker
enka, dat. acc. enk, zuweilen enksz. in Ostreich hört man auch wei-
cheres enger und eng, im Eipeldauer jahrg. 1815 lieft 2 s. 62 heiszt
es zum beispiel: freszts nur zue aus engern kesseln ös wackern män-
ner, laszts eng enger fleisch nur schmecken, vorign jahr warts ös
selber in der sosz, bisz eng wieder draus garbetet liabts. man sieht
hier, vom verbalen -ts ist das ös unabhängig, wie auch beide ver-
schiednen Ursprung haben, da freszts golh. frai'tats, ös goth. jut lau-
tet, und ich kann Schmeller nicht beipflichten, der sie s. 1.90. 313
iö :
* schon in Jac. Freys gartenges.ellschaft 1556 cap. 43. 56 wird das bairi-
sche es und enk als characteristisch hervorgehoben.
43 *
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676
ttt TJT..T
DUALIS
gleich stellt, wenigstens waren sie es anfänglich nicht, spricht das
volk wirklich: dents wölltsz (den ihr wollt) dasztsz künntsz (dasz ihr
könnt); so scheint das Vergröberung aus: dens wöllts, daszs kilnnts.
in gebts = goth. gibats darf man freilich, wie in allen verbalflexionen,
ein suffigiertes pronomen wittern, aber es musz abweichen von ös
=> jut, wie auch ein ahd. köpats neben iz gemutmaszt werden
darf *.
In Niederhessen bei Cassel gilt ein tä oder dä für ihr, z. b. dä
kenger (ihr kinder) dä lite (ihr leute), was dä sagt (was ihr sagt),
verschieden von dem unbetonten de des artikels (de kenger die kin-
der.) ich vergleiche es jenem östr. dös, döz, bair. tisz, das wol auch
besser disz zu schreiben wäre, und sehe darin eine alte dualform, der
975 wir hernach im altn. j)it begegnen werden, dä stände dann für
das, däsz? weder aus hochd. ir noch nd. gi läszt sich dies dä
herleiten.
Wir schreiten fort zu den niederdeutschen, besser und voller be-
wahrten dualformen. Die alts. lauten:
nom. wit pl. wi dl. git pl. gi
gen. unker user inker iuwer
dat. unk us ink iu
acc. unk us ink iu
wit wird durch Hel. 4, 24. 5, 2. 167, 16; git durch 4, 14. 17.
34, 22. 109, 18 dargethan. wärun wit nu atsamna 5, 2 gilt von
Zacharias und Elisabeth; so sculun git firilio barn halön te incun han-
dun 34, 22 von Andreas und Petrus. Gleich entschieden sind die
ags. duale
nom. vit pl. ve
user
gen. uncer
dat. unc
acc. uncic?
us
usic
dl. git
incer
inc
incic?
pl. ge
eover
eov
eovic
da usic und eovic (ahd. unsih
nur die acc. verursachen bedenken.
iuwih) feststehn, so glaube ich ist das Caedm. 174, 19 vorkommende
uhe iw viom. iricit verlesen für incic, denn im acc. kann kaum jt stehen,f oder
vlttgit' liesze sich für incit das bairische enksz anschlagen, und auch ahd.
unchiz inchiz vermuten? nach der analogie von incic incit richtet sich
dann uncic uncit.
In den friesischen gesetzen bietet sich keine gelegenheit zum
dualis, der in der alten spräche sicher vorhanden war, da er noch
heute, wie sich nachher zeigen wird, fortdauert.
Weder die mnd. noch mnl. Schriftsprache verralhen eine spur
desselben; wie verhalten sich die heutigen mundarten? unter den west-
fälischen bietet sich im herzogthum Westfalen und der grafschafl Mark
der dual zweiter person, nemlich für den nom. gätt oder iät, entspre-
* die schwäbische und schweizerische volksprache hat keine duale, auch nicht
die der sette comuni. Stald. dial. s. 103. 104. Schmeller über die sette comuni
s. 670. 671. otocV. tec/por^\Tne,.
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üMli
nü
DUALIS
677
chend dem alts. git, dessen i in iä gebrochen erscheint; der gen. lau-
tet inker, dat. und acc. ink. ich zweifle nicht am Vorhandensein die-
ser formen auch noch in andern gegenden.
Westfriesische und ostfriesische duale kennen weder Halbertsma
noch Ehrentraut s. 21; desto reichhaltiger sind die nordfriesischen. 976
auf dem festlande waltet die nordfriesische spräche am reinsten in dem
Risummoor, in den gemeinden Risum, Lindholm, Niebüll und Detzbüll;
doch ist merkwürdig, dasz die beiden letzten Örter, welche Risum und
Lindholm gerade gegenüber liegen und kaum eine viertelmeile davon
entfernt sind, den dualis gar nicht kennen, zu Risum und Lindholm
unterscheiden die sogenannten Ostermoringer dl. und pl. folgender-
maszen:
dl. wat pl. we dl. jat pl. i
unker üser junker jaringe
unk üs junk jam
unk üs junk jam
allein noch genauere formen gelten auf der Insel Silt*, nemlich auszer
den beiden ersten personen auch für die dritte:
I wat pl. wü II at pl. i III jat pl. ja
unk üs junk ju jam jam
obgleich mir die Verschiedenheit von at und jat, wie das zusammenfal-
lende jam des dl. und pl. einiges bedenken macht, doch sahen wir
vorhin (s. 971) auch die slovenische und litth. spräche duale dritter
person für drei oder zwei geschlechter bilden, und dasz zumal oblique
Casus des dl. und pl. einander begegnen ist sehr begreiflich.
Aber die hauptsache bleibt der in Nordfriesland noch fortgefühlte
abstand des duals vom plural. cwat san hier man alliene’ wird einer
sagen, der sich selbander befindet, der zwei lämmer oder rinder trei-
bende hirt ruft ihnen zu cwan jat gonge, ik wal junk noch stiöre’
wollt ihr gehn, ich will euch wol lenken, ein knabe sagte zu seinen
beiden apfelbäumen: cjat drege so fole aple, ik wal junk insen skudde,
dat jals falle läite\ ihr tragt so viel äpfel, ich will euch einmal schüt-
teln, dasz ihr sie fallen laszt. es liegt in solchen dualen etwas kind-
liches und lebendiges.
Die altn. duale und plurale stehn so gegeneinander:
dl. vit pl. ver dl. it, [>il pl. er, f»er 977
ockar vär yckar ydar
ockr oss yckr ydr
ockr oss yckr ydr
statt vit it pflegt man zu schreiben vid id oder nach Rasks lehre vid
id, beides ist schlecht und der analogie des goth. ags. vit entgegen;
auch haben vit und it gute handschriften. aber für yckar yckr sollte
gesetzt werden ickar ickr = goth. igqara igqis. die nebenform [>it
-------------------- u 'x in daK ocA<y g&ky t^ot*, &4S jfc» O^f •
* J. P. Hansens leselust in nordfriesischer spräche, zweite ausg. Sonder-
burg 1833 vorrede XV. XVI.
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■
DUALIS
mahnt ans bair. döz, niederhess. dä, wenn schon letzteres auch aus
dem pluralen {»er ableitbar wäre.
Die färöischen formen sind:
dl. vit pl. vear dl. tit dl. tear
okkara vär tikkara tiara
okkun osun tikkun liun
okkur os tikkur tiur
hier ist das T in der zweiten person aus dem nom. auch in die obli-
quen casus eingetreten.
Aus norwegischer volksmundart gibt Ilallager vorr. s. XII blosz
die obliquen casus in erster person aakons aakon, in zweiter dokkers
und dekan an; ohne zweifei gelten auch die nominative.
In einzelnen schwedischen landschaften. werden noch spuren der
dualform sein, Ihre unter wi fuhrt wit aus Westbotnien an, Almqvists
spräklära s. 252. 261 vid und vir, id und ir aus Dalarne, der form
nach offenbar unterschiedne duale und plurale; s. 286 aus Iemlland
dä und däcken oder ecken = it, yckr. Säves abhandlung des goth-
ländischen dialects in Molbechs tidsskrift bd. 4 gedenkt s. 235 kei-
ner duale.
Schon grannn. 4, 294 und oben s. 654 wurde angemerkt, dasz
die ags. und altn. spräche beim dualis nur einen eigennamen aus-
drücken und den des redenden oder angeredeten als bekannt voraus-
setzen. vit Scilling heiszt ich und Schilling; uncer Grendlcs mein und
Grendels; säto vit Völundr, saszen ich und V. so könnte oben s. 973
978bei Teichner gesagt sein: ez Anna, du und Anna, doch weisz ich kei-
nen beleg; aber nordfries. steht bei Hansen s. 161 wat en Kornelis
für ich und K., s. 175 wat en Ellen, ich und Ellen, s. 173 jat en
Booi, s. 174 jat en Ellen, nur dasz der ags. und altn. ausdruck durch
weglassung des und schöner und gedrängter wird.
Ihrem begrif nach berühren sich mit dem dualis die pronomina
weder und jeder, das goth. hvajiar, ahd. huedar, mhd. weder == lat.
uter, gr. noxtgog f. xoxtQog erfragt einen von zweien, das ahd.
nihuedar mhd. enwöder, lat. neuter leugnet beide, ahd. eogahuedar,
mlid» ieweder, mhd. jeder, lat. uterque gesteht Jieide zu.
Da unserm adjectiv und, auszer dem persönlichen, dem übrigen
pronomen die dualform mangelt, so verdient hier erwogen zu werden,
dasz unsre syntax mit zwei subjecten verschiedncs geschlechts das adj.
im pl. neutr. verbindet (gramm. 4, 279.) wenn nun ba framaldra
vösun Luc. 1, 7 ä/ucpoxtgoi nqoßtßr\y.öxtg rjoav überträgt, so könnte
dafür in älterem griechisch gestanden haben a^icpco nQoßtßrjxoxt ijxr;v.
mag der mhd. unterschied zwischen beide und beidiu, zwischen zwöne
zwö zwei noch so willkommen sein, die gr. u/ucpio und dvio lassen
auch eine uralte deutsche, auf alle geschlechter gehende dualform
ahnen.
Hält man die nominale und verbale flexion der duale zu einan-
der, so können sie offenbar nicht auf dieselbe weise genommen wer-
den. das T in vit jut scheint aus dem anlaut der zweizahl zu ent-
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DUALIS
679
springen, wie das litth. judu nachweist; vi- und ju- bekennen aber
den stamm der plurale veis und jus. ist gibös aus gibavas, so mag
das -vas freilich mit veis und vit sich berühren, doch das -ts in gibats
kann mit dem lingualanlaut der zweizahl wieder nichts gemein haben.
Allein das skr. -ävas im verbum läszt sich, wie mir scheint, dem
-äu, gr. -w im nomen vergleichen, zumal der gr. vocal dieselbe Ver-
engung darbietet, die wir in gibös gewahrten. Bopp s. 237 sieht
in äu eine Verstärkung des pluralen -as und deutet u aus vocalisier-
tem s.
Auch äväm und vajam gehören zu vit veis, wie juväm und jtijam 979
zu jut jus, wiewol die skr. duale keine zweizahl anhängen.
Dobrowsky s. 491 gerieth auf falsche fährte, als er das va des
pronomens zweiter person der ersten beilegte, weil im verbum die erste
person -va endige, denn dasz va vas vam dem pronomen zweiter per-
son eigen sind lehrt die analogie des lat. vos, wahrscheinlich aber
fehlt dem sl. va und lat. vos im anlaut die silbe ju, d. h. sie stehn
für juva juvos, wodurch sie dem skr. juväm, goth. jut näher rückten.
Der beiden personell des dl. im obliquen casus zuständige kehl-
laut scheint ursprünglich nur dem acc. gebührend (vgl. mih dih sih
unsih iuwih), hernach in den gen. und dat. vorgedrungen, so wie ich
das -s von unsis izvis ugkis unsis für dativisch nehme und dem mis
jius sis vergleiche, in unsis wäre das S zweimal, im ags. uncic in-
cic, wenn diese formen richtig sind, das C zweimal ausgedrückt.
Wol zu beachten ist die Übereinkunft der litth. uud goth. judu
jut, insgemein aber das lange beharren der pronominalduale in den
entlegensten volksmundarten, nachdem ihnen die Schriftsprache schon
früh entsagt hat.
Der keltischen spräche gebricht zwar alle dualform, aber einige
ihrer zweige, zumal derfarmorische, pflegen bei gliedern des leibs, die [Ltfe&t&e urx)
als zwei gedacht werden müssen, jedesmal dem pluralis die zweizahl
vorzusetzen: ann daou lagad die zwei äugen, ann diou skouarn die , „
zwei obren, auch wenn kein nachdruck auf der zahl hegt. AzMJfr-
Die finnische spräche enträlh des dualis überall, die lappische '
besitzt ihn nicht im nomen, aber im pronomen und verbum. der uns
fern hegenden grönländischen, die an flexionen überflieszt, ist er allent-
halben, im nomen und verbum zuständig, welches ich darum bemerke,
weil sein allgemeines kennzeichen Iv an jenes K unsrer obliquen casus
des pronomens gemahnt: uanga ich, bildet den dl. uaguk, pl. uagut,
iblit du, den dl. illiptik, pl. illipse. ebenso nuna land, dl. nunäk, pl.
nunät; iglo haus, dl. igluk, pl. iglut.
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XL.
RECHT UND LINK.
980 Für die geschieh le der spräche stehn noch reiche ergebnisse
bevor, wenn sie allmälich, auszer den lauten, ableitungen und flexionen,
über die ganze fülle sinnlicher Vorstellungen den wortvorrath aller ur-
verwandten sprachen befragen und erforschen wird. Dann musz sich
auf manigfalter stufe darthun, wo die einzelnen sprachen einander
suchen oder fliehen und eine viel gröszere Sicherheit des vergleichen
entspringen als sie bisher gewonnen werden konnte, ich erlese mir
hier beispielsweise einen hegrif, dessen ausgemacht sinnlicher Ursprung
auf das natürlichste den Übertritt in die abstraction anbietet.
Die Vorstellung des rechten und linken geht von der gestalt des
menschen und von deren Verhältnis zu dem ihn umgebenden raum
aus. den ersten gegensatz bieten die beiden bände dar: was zur star-
ken, schwertführenden hand liegt lieiszt das rechte, was zur andern
das linke.
Am himmel gibt auf und niedergang der sonne den osten und
westen an, die von Süden und norden d. i. mittag und nacht durch-
schnitten sind, soll auf diese richtungen der hegrif des rechten und
linken angewandt werden, so musz man einen festen standpunct
nehmen.
Das alterthum fand ihn in der kehrung gegen osten, wie der
981 tag mit dem morgen beginnt, wendet der vom schlaf erwachende
mensch sein antlitz gegen die sonne und betet: was hinter ihm liegt
ist westen, was zu seiner rechten Süden, was zu seiner linken nor-
den. diese Stellung ist dem uraufenthalt der menschheit angemessen
und darum drückt das hehr, jainin zugleich recht und südlich, smaul Smrf
link und nördlich aus. nicht anders bedeutet das skr. daksina auszer
dexter auch meridionalis (Bopps gloss. 162b.) merkwürdig begegnet
man derselben Vorstellung wieder bei den keltischen Völkern, den Iren
und Galen bezeichnet deas dexter und australis, luaidh sinister und
septenlrionalis; den Welschen deheuol recht und südlich, chwith link
und nördlich, cledd the left und north.
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ÜK
m
RECHT UND LINK
681
Hierbei ist nun weiter zu beachten, däsz das alterthum die Woh-
nung der götter nach norden setzte, in dieser himmelsgegend lag der
indische götterberg Meru wrie das römische domicilium Jovis (Servius
zu Aen. 2, 693.) zufolge Varro war die cdeorum sedes’ ausdrücklich
im norden, die gegend über den Boreas hinaus dachten sich die Grie-
chen als eine selige und als die heimat gottgeliebter menschen. auch
unsern Vorfahren müssen die götter im norden gewohnt haben *, denn
man betete gen norden gewandt (horfa, lita i nordr, mythol. s. 30), 982
aus welchem grund nachher die gen osten schauenden Christen einen
nördlichen sitz des teufels annahmen (mythol. s. 293.)**
Die göttliche seite des himmels galt aber nothwendig für die heil-
volle, günstige, blitz und donner, vögelflug und thierangang auf der
seite der götter war ein Zeichen ihrer gnade, auf der entgegenstehen-
den ihres zorns. denn blitze, vögel und thiere wurden von den göt-
tern entsandt. Hieraus folgt also, dasz dem hohen alterthum die linke
seite als die heilbringende erscheinen muste. sehr merkwürdig ist des
Plinius meldung 28, 2: in adorando dexteram ad osculum referimus
totumque corpus circumagimus, quod in laevum fecisse Galliae re-
ligiosius credunt. die betenden Gallier kehrten sich links, d. h.
nordwärts.
Ebenso schaute der römische augur gegen osten und bestimmte
die rechte seile gegen Süden, die linke gegen norden: augur, deos
precatus regiones ab Oriente ad oecasum determinavit; dextras ad me-
ridiem partes, laevas ad septentrionem esse dixit. Livius l, 18; und
Juba bei Plutarch quaest. roman. 78 den römischen brauch erläuternd:
roTg nQog rag uvazoXag unoßXinovaiv Iv uqigtiqu ylrtrai r6 ßo-
qtiov, o drj tov y.oG/uov dt^tbv tvioi rO-tviui xal y.u&vntQT£QOv.
Festus s. v. sinistrae aves sinislrumque est sinistimum auspicium i.
quod sinat fieri. . . . sinistra meliora auspicia quam dextera esse exi-
stimanlur. Servius ad Aen. 2, 693: sinistras partes septentrionales
* erklärt sich daraus, dasz im altbairischen recht die grenze eines noch un-
eingefriedigten hofs gegen mittag morgen und abend durch beilwurf, gegen mit-
ternaclit aber durch schattenfall bestimmt wurde ? si autem curtis adhuc cinctus
non fuerit, jactet securem saiga valentem contra meridiem, orientem atque occi-
dentem; a septentrione vero ut umbra pertingit, amplius non ponat sepem. nach s>cJ\u
den andern drei himmelsseiten durfte der erwerber das beil auswerfen und so StÄGLttivi&aJow
weit es fuhr sich aneignen; nach norden hin entschied aber der schattenfall (von
seinem hause oder bäume her? vgl. RA. s. 105 'als der schemm sich erstrecket’.)
es musz für frevelhaft gegolten haben gegen die heilige seite zu werfen. In lan-
gobardischen urkunden bei Fumagalli findet sich die grenze da mane, da meri-
die, da sera ausgedrückt, die nordseite aber benannt 'a nulla ora , gleichsam war
sie unbegrenzt. Vielleicht heiszt den Jiitländern in diesem sinn der norden
schwarz: 'swott nuoren’, die unbegrenzte, dunkle seite, vgl. Peter Foersom om
samlinger of danske landskabsord hos den jydske almue i Ribeegnen. Kiöbenh.
1820 s. 11. 12. 24. Auch der Este scheut die nordseite (abergl. n° 43.1
** Voraucr hs. 94, 16 von Lucifer: chot, wolti sizzin nordin; die dem
teufel absagendeu musten sich nordwärts kehren, in einer predigt bei Leyser
135, 34 heiszt 'zu den genädin oder ungenädin’ ad austrum und ad aqui-
lonem.
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RECHT UND LINK
esse disciplina augurum consentit, et ideo ex. ipsa parte significantiora
esse fulmina, quoniam altiora et viciniora domicilio Jovis. Günstiger
vogelangang war der von der linken seite: sinistra monet cornix. Virg.
ecl. 9, 15; non temere est, quod corvus cantat mihi nunc ab laeva
983 manu. Plaut. Aulul. IV. 3, 1. impetritum, inauguratum ’st: quovis
admittunt aves. picus et cornix est ab laeva, corvus porro ab dex-
tera. Plaut. Asin. II. 1, 12.
Cicero aber nimmt des Unterschieds wahr zwischen rümischem
und griechischem brauch, de divinatione 2, 39: quae autem est inter
augures conveniens et conjuncta Constantia? ad nostri augurii consue-
tudinem dixit Ennius,
quum tonuit laevum bene tempestate serena.
at homericus Ulixes apud Achillem querens de ferocitate Trojanorum,
nescio quid, hoc modo nuntiat:
prospera Iuppiter bis dextris fulgoribus edit.
ita nobis sinistra videntur, Grajis et barbaris dextra meliora. quam-
quam haud ignoro, quae bona sint sinistra nos dicere, etiam si dex-
tra sint.
Die gemeinte stelle ist aus II. 9, 236
Zevs Ss ocpi KQOviSrje ivSe^ia orj/iaxa tpaivcov
daronTtzei.
wie es auch 11. 2, 353 heiszt:
aaxQanxcov , evaiai.ua or/fiaxa <paiva>v,
vgl. de'giov z/iog xeqag Eurip. Phoen. 1189 und maQ^og ex rwv
de£iwv. der de'&bg OQvig weissagt heil Od. 15, 160. 525, hingegen
der uQiGjeQog OQvig unlieil. Od. 20, 242. Didymus ap. schol. Ari-
stoph. av. 704: rj Girrrj xal ei' rt roiovxov bqveov de^iä nQog eQW-
rag (pulveren, eyib f.dv, io ytevxinne, öe^irj gIttt]. den Griechen
waren folglich die ßoQeia auch de£iä, den Römern aber die septen-
trionalia sinistra.
Wie nun die Umdrehung erklären? mir scheint es, die Griechen
und alle andern mit ihnen hierin übereinstimmenden Völker, in der
Wanderung gegen westen begriffen, musten sich gewöhnen den blick
nach abend statt nach morgen zu richten, und der heilbringende nor-
den trat für sie zur rechten seite, während er früher zur linken ge-
standen hatte*, ihre alten hofnungen lagen ihnen jetzt im rücken
* man pflegt den unterschied zwischen Griechen und Römern anders aufzu-
fassen. Entweder läszt man den gr. vogelschauer gegen mitternacht, den römi-
schen gegen mittag blicken, so dasz jenem die glücklichen vögel rechts von osten,
die unglücklichen links von westen fliegen, diesem aber die glücklichen links von osten,
die unglücklichen rechts von westen, aber das schauen des röm. augurs gegen
morgen erhellt aus Livius und Plutarch, welchem gemäsz, da sich beiden Völkern
rechts und links umdreht, der griechische gen abend gerichtet sein musz, wie
sich auch sonst aus der identität zwischen recht und nördlich ergibt. 11. 12, 239.
240 geht freilich der rechte flug nach osten, der linke nach westen; das scheint
aber von norden ostwärts, von stiden westwärts. Oder man nimmt an, der Grieche
habe nach sich, der Römer nach den göttern gerechnet, für die rechts sei, was
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RECHT UND LINK
683
und sie strebten vorwärts gegen westen. Die früher ausgezognen Rö- 984
mer und bis ans äuszerste ende des welttheils gelangten Kelten hatten
den alten brauch entweder beibehalten oder im neuen, festen Wohn-
sitz wieder angenommen.
Lege man aus wie man wolle, worauf es mir ankommt ist, dasz
gleich den Griechen auch die barbaren die rechte seite für die glück-
hafte hielten; an welche Völker Cicero dabei dachte ist uns freilich
verborgen. Unser einheimisches alterthum gewährt folgende Zeugnisse,
bei Burcard von Worms (um 1025) heiszt es p. 198 c: credidisti quod
quidam credere solent, dum iter aliquod faciunt, si cornicula ex sini—
stra eorum in dexteram (das homerische tni degid) illis cantaverit,
inde se sperant habere prosperum iter. bei Petrus blesensis ep. 65
(f um 1200): de jocundo gloriantur hospitio, si a sinistra in dextram
avis sancti Martini volaverit. dies ist weder keltisch noch römisch, 985
sondern deutsch, und uralter thiersage gemäsz. dem Tibert begegnet
l’oisel saint Martin, assez si le liucha k destre, et li oisiax vint ä se-
nestre. Ren. 10473, er wollte ihn rechts locken, aber das vöglein
flog links, in übler Vorbedeutung, dasselbe wird Reinaert 1051—1054
erzählt, und musz tief in der fabel gegründet sein, auch im Cid heiszt
es gleich eingangs:
a la exida de Vivar ovieron la corneja diestra,
e entrando a Burgos ovieron la siniestra,
das erste Vorzeichen war günstig, das andere unheilvoll. Olaf Trygg-
vason beachtete, ob die krähe auf ihrem rechten oder linken fusz stand,
und weissagte sich daraus gutes oder böses. Auch Hartlieb (mythol.
s. 1083) erklärt das fliegen zur rechten hand für glücklich, das zur
linken für unglücklich, der adler müsse dem reisenden taschenhalb
fliegen’, d. i. wieder zur rechten, vgl. ecbasis 335 von einem hirten:
capsidile suo gestabat in inguine dextro; cin die taschen mähen5 sagt
man in Baiern, wenn der immer von der rechten zur linken mähende
mäher sich umkehrt und in entgegengesetzter richtung zurück mäht
(Schm. 1, 459.)* * Der gemeine mann in Baiern und der Schweiz
denkt sich Süden voran, norden hinten (Schm. 2, 704. Stald. dial.
234); der Oberpfälzer setzt zur betheurung stral, blitz immer noch
'hintane5! (Schm. 2, 217), womit ausgedrückt wird, dasz der blitz—
für die menschen links, saszen nun die götter im norden, so wäre ihnen der
westen rechts, der osten links gewesen (womit Varro bei Festus s. v. sinistrae
aves stimmt) und die menschen hätten den standpunct von siiden gegen norden
zu nehmen, vgl. Niebuhrs röm. gesch. 2, 701. 702 Hermanns gottesd. alt. s. 185.
O. Müllers Etrusker 2, 128. 129. diesen beiden deutungen gemäsz wären die
östlichen vögel die heilbringenden, nach meiner die nördlichen. Merkwürdig ist,
dasz gleich den Griechen und Germanen auch die Aegypter den standpunct von
osten aus nahmen: ^4iyvnnoi yd.Q oi'ovrcu r« fiev ecya rov xoo/uov tcqoow-
nov elvai, t« Se itgos ßoQQciv Se£id, rd Se tcqos votov aQiorega. Plut. de
Iside 32.
* auch auf der insei Gothland gilt eine benennung der rechten seite nach
demmähen : hafdum, den högra sidan, der man vid slätter hugger in med lian ;
den motsatta kallas äutränningi (ütrenningi.) Almqvist s. 427 b.
'6
-^4*^. -
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stral von hintenher, also von nordwärts fahren solle, das heilige, gün-
stige Zeichen, wie jenes dt^iov /dibg tIquq. dies norden im hinter-
grund würde ganz zur griechischen ansicht stimmen, dasz westen rechts,
osten links gedacht werden müsse*.
986 Aus dem slavischen und litthauischen Volksglauben läszt sich
gewis manches zur bestätigung anführen, was ich nur nicht kenne.
Wenn bei den Liefländern das geschlachtete opferthier auf die linke
Seite fiel, war es Zeichen des zorns der gütter und bedeutete Unheil.
So viel von anwendung der Vorstellung recht und link auf die
himmelsgegenden; ich will nun die manigfachen ausdrücke unsrer spra-
chen erwägen, in denen für das rechte herscht unter allen urver-
wandten Völkern grosze einstimmung, für das linke desto gröszere Ver-
schiedenheit. überall aber ist der trieb wahrzunehmen, comparative
und Superlative formen zu entfalten, wieder als positive zu setzen und
von neuem zu steigern.
Skr. daksa, daksina, gr. öt'^iog, St^irtQog, lat. dexter, dexterior,
dextimus, sl. des’n”, serb. desni, littli. deszinis (aus deszine zu fol-
gern), ir. gal. deas, welsch de und dehevol, armor. dehou. ein golh.
taihsvs zu entnehmen aus cin taihsvai’ Marc. 16, 5. Col. 3, 2, vom
weiblichen noin. taihsva; gewöhnlich schwach masc. taihsva, ahd. ze-
sawo, mhd. zesewe zeswe und zesme (ahd. zesamo, golh. taihsuma?),
doch auch starkformig cdiu zeswiu hant’ frauend. 487, 16. cmin zes-
wiu hant’ das. 27, 17. ags. nur ein einzigmal con teso’ Caedm. 232,
4. wiederum stark und zu nehmen wie bearo bearves, scado scad-
ves. Gewöhnlich steht für die rechte hand das blosze adj. gr. degiu,
d'e^ira^d, lat. dextera, litth. deszine, ir. gal. deas, golh. taihsvö gen.
-öns, ahd. zesawä, mhd. zesewe. welsch sagt man deheulaw (von
llaw, ir. lamh manus.) in der alts. nl. fries. und nord. mundart ist
dies wort nicht zu spüren, wie es auch nhd. ausstarh, doch musz es
die fränkische besessen haben, denn aus ihr scheint das franz. toise,
mlat. tesia übrig, was ein masz wie dextrus ausdrückt**, der it.
spräche verbleibt destro und destra, der span, diestro diestra, das
altfranz. deslres destre ist erloschen gleich dem sl. des’n”, nur des-
987 nitza boshija bleibt den Russen für gottes hand. Da de&og dexter
deas zugleich fein, gewandl*** ausdrücken, so könnte ungewis blei-
ben, ob sie von der Vorstellung des sinnlichen rechten oder diese von
jenen abzuleiten seien? mir scheint immer noch taihsvö der wurzel
teihan nuntiare angehörig, weil sie weist und zeigt; ist das S einge-
schaltet wie in veihs vicus, wie in fuhs neben fohä? oder superlati-
vischer art, wie dexter = decister? welchem oben s. 593 testar aus
Testarbant verglichen wurde, genau musz aber taihsvö geschrieben
* heiszt es in einer predigt bei Griesh. 2, 116. 117: ze der gerehton ab-
siton i. ad austrum, ze der linggon absiton i. ad acfuüonem, so scheint das un-
klare , gelehrte deutung.
** über tesia und dextrus nachzusehn Gue'rards prolegomena zu den cartu-
laires de France tom. 1. p. CLXX11I.
*** behend, was aus dem adv. be hende, bei der hand, entsprungen ist.
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mm
man
Bi
'«üi
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werden mit al nach dem pl. praet. taihum, wie das e der übrigen spra-
chen zeigt.
Der übliche alts. und ags. ausdruck für die rechte hand und
Seite ist suithora und svidre, d. h. fortior, citior, die stärkere, ge-
schwindere, raschere, sollte man auch suiftora gesagt haben? vgl.
s. 594.
Die alts. psalmen 59, 7. 62, 9. 72, 24 und Wiggerts bruchst.
90, 19 bieten forthora, vorlhere = dextera, die vordere, vorangehende
(ganz im gegensatz zu jenem bairischen vornen für sitd und hinten für
nord, wenn man darin links und rechts sehn darf.) hierzu stimmt
vordere hant in Ssp. 1, 18. 2, 12. 15 Gosl. stat. 78, 30 und das
friesische ferre hond — prior, potior, dextera (Richthof. 734 b.)
Altn. hoegri hönd, hendi hinni hcegri Saem. lb, schwed. högra
handen, dän. hüire haanden , von hcegr dexter, commodus, behaglich,
welchem ein ahd. huogi, ags. hege entsprechen würde, ebenso altn.
hcegrameginn ad dextrum latus.
Mlul. diu bezzer hant MSH. 3, 225 a manus potior = dextera,
wie man nhd. zu kindern sagen hört: gib die schöne hand*. ostfries.
de säum bann. Ehrentraut 1, 100. schwed. vackra handen, die wackere,
rechte hand. Almqvist s. 335. 468. Den Letten heiszt die rechte
hand die gute, labba rohka, gegenüber der linken kreisa, den Esten988
die rechte häkässi, gute hand.
Dagegen findet sich mlul. fast noch niemals diu rehte für diu
zeswe, sondern reht drückt nur rectus, justus aus, wie das ahd. reht**
gireht, golh. raihts, garaihts. wann und woher ist, fragt es sich, reht
für dexter in unsere mundarl eingedrungen? wahrscheinlich damals als
auch im franz. droit d. i. directus, rectus das alte destre verdrängte,
zuerst liest man rehlinlialp im Alhis B*, 115, rehthalp Engelli. 3071
(wo aber leicht zeswenhalp zu ändern wäre) und geloben mit der reh-
ten hant im Renner 12098, auch myst. 123, 5 steht der linken hant
die gerehte gegenüber und Griesh. 2, 116. 117 ze der gerehton u.
linggon absilon; den rehlen dümen. Swsp. s. 171. diesen romani-
schen einflusz spürte die mnl. spräche früher; bei Maerl. 1, 202 liest
man die rechter hant, 1, 158 die rechter borst, I, 265. 270 dat
rechtre oge, 2, 341 ter rechter siden; ja 1, 351 die rcchtre justus,
immer in comparalivischer gestalt (gl. zu Ssp. 2, 36), statt welcher
allmälich die positivische eingeführt wurde, um die gleiche zeit begann
auch im engl, right das ags. svidre zu ersetzen.
Gerade so wich den Slaven das alte desni vor dem neuen prawy,
das eigentlich justus bedeutete, die rechte hand hiesz nun poln. pra-
wica, böhm. prawice, russ. pravaja ruka und daher walach. pravila.
nur den Serben dauert desni und desnitza, den Slovenen ist desna
* in Gothland ruft man den kindern zu: gullhandi! die goldhand d. i. die
rechte. Almqvist 426 b.
** bi rehtemen O. I. 1, 52 weist auf ein superlativisches rehtemo, goth.
raihtuma.
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desniza üblicher als praviza, Südslaven hängen also dem alten aus-
druck an, wie Italiener dem destro destra, Spanier dem diestro
diestra *.
Unter den ausdrücken unsrer spräche für link ist der älteste das
goth. lileiduma und die linke hand oder seite (föra) heiszt hleidumei.
ein ahd. hlitumo hlitamo ist unerhört, doch ich ahne Zusammenhang
989 mit dem ahd. hlitä, mhd. lite, bair. leite, clivus, abhang, weil das ab-
schüssige zugleich das krumme ist und dem aufrechten, geraden ent-
gegen steht, es musz ein hieinan hlain hlinum recuhare gegeben ha-
ben, wovon goth. hlains collis und ahd. hlinen recumbere, gr. xh'veiv,
lat. reclinare, der recumbens und reclinans ist gegensatz vom aufrech-
ten, und wir gelangen immer zur Vorstellung des obliquen und ge-
krümmten, die sich mit der des linken berührt, vielleicht darf das
bair. hinterleitig in betracht kommen, das von einem nach norden
oder im mittagschatten eines waldes liegenden feldstück gilt (Schm. 2,
520.) da auch das altn. hlid latus montis, devexitas bedeutet und
D behauptet, so mag ich das schwed. lätta sinistra manus, gotländi-
sehe leta (Molbechs hist, tidsskr. 4, 215. Almqvist s. 438) nicht ver-
gleichen, deren T sich vielmehr zum bair. Schweiz, letz perversus obli-
quus (Schm. 2, 530 Stald. 2, 167 Tobl. 296) halten läszt, welches
schon im ahd. lezi lezi leizi (Graff 2, 316) erscheint. Nah aber dem
hleiduma liegen ir. gal. clith, welsches cledd link, armor. kleiz
und klei.
Ungleich ausgebreiteter ist das ahd. alts. winistar und von der
hand gebraucht winistrü, ags. vinstra, fern, vinstre, fries. winistere,
altn. vinstri, schwed. vänster, dän. venster. dieser ausdruck herscht
noch mhd. vor: winister Anno 821. winster Karajans denkm. 36, 10.
En. 5212. Maria 163, 16. 194, 38. 208, 31. Er. 6704. Iw. 599.
Parz. 9, 25. 295, 24. 304, 21. MS. 1, 157 a. Diut. 1, 228. Wi-
gal. 2545. 6257 (var.) Helmbr. 61. 628. und im Barl., nicht bei
Walter, Conrad noch im Renner, s. 306 nahm ich unmittelbare be-
rührung zwischen winistar und lat. sinister, durch bloszen Wechsel des
V und S an, auf jeden fall tragen beide die auch in aQiortQog vor-
brechende Superlativ- und comparativbildung ST und R zur schau. Da
nun altn. vsenn pulcher, vaenstr pulcherrimus mit vinstri gemeinschaft
haben können, wobei auch das superlativische alts. wänamo oder wa-
namo (s. 653)? pulchre, wänami claritas, splendor anzuschlagen wäre;
so ergäbe sich Verwandtschaft mit dem skr. väma, das zugleich sini-
ster und pulcher bedeutet, letzteres in Zusammensetzung mit Wörtern,
990die ein glied des leibs ausdrücken (Bopps gloss. p. 316a.) M er-
schiene in N geschwächt, die bedeutung aber wäre der schönen hand,
welche wir vorhin für die rechte geltend machten.
Lenkä laeva, sinistra (manus) bieten schon sehr alle ahd. glos-
sen dar (Graff 2, 231), doch lange zeit überwog winisträ. mit der
* für dexter haben die Finnen oikia, die Esten öige, die Lappen in Nor-
wegen olgisli, in Schweden älkes.
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lengern viusle Lanz. 1928, zer linken hant Iw. 599, beidemal in den
Varianten, linkin vuozis Athis E, 56. ze der lingen silon. Griesh. 1,
11. linggon 2, 117. zer linggen hant Waith. 83. 32. zer lenken
hant Karl 42 a. Suchenw. 29, 31, wo nicht in diesen beiden lenken
zu setzen, den linken fuoz Trist. 7046, linker hant 10943, lingen
slten Troj. 12817 und ferner Wigal. .6257. 6557. MS. 2, 235 a.
Renn. 6313. 12431. 23335. 24398. Livl. ehr. 7614. 7874. myst.
123, 5; lingihant vocab. opt. 128. glinggen arm Hätzl. 195, 86. ein-
zelne dichter, z. b. Wirnt, brauchen beide, winster und link. nhd.
hat link alle andern ausdriieke besiegt, wenn man in urk. rechtere
hand, linkere Schulter liest und auf dem linkeren fusz, so scheint das
niederdeutsch. Das mnl. slink möchte ich der hrabantischen mundart
aneignen: Lanc. 3511. 3514. 20877. Rose 3824. 7326. Jezus 38.
197. 198. doctr. 1, 860, doch begegnet es auch bei Maerl. 2, 341
ter rechter en ter slinker siden und 1, 102 metter slinke (: minke);
slinke mouwe belg. mus. 7, 447. nnl. ist slink neben luchter zuge-
lassen. zu diesem slink gehört slenken sich einkritmmen, zusammen-
ziehen, S aber ist bloszer Vorsatz, wie in slikken lecken und andern
mehr. N vor K scheint nasale erweiterung der wurzel, so dasz sich
link zum gr. Xaiog, lat. laevus halten liesze, worauf ich zurückkom-
men werde; nur musz auch litth. lenkin flecto linkus flexibilis erwo-
gen werden, weil das biegen ein krümmen ist.
Tenk gehört der bairischen, üstreichisehen mundart, doch ent-
hält sich seiner Wolfram, allein Nithart MSH. 3, 213 a. 225 a. 282a,
Stricker, Helbling 7, 1042, Helmbr. 87, Albrecht im Tit. 5941, Apol-
lonius, Wolkenst. s. 254, auch Ruprecht von Freisingen, das Ofner
stadthuch §. 341 und die gesta Romanor. ed. Keller s. 7. 8. 70. 80.
81 gewähren es, Iw. ’ 599 wird es in einer lesart eingeschwärzt.
Schm. 1, 384 schreibt denk und führt denkisch für linkisch an, das991
auch bei Wolkenst. s. 157 steht, ohne zweifei nahverwandt ist das
it. stanco (mano stanca) und zanco, so wie das walach. steng = link;
in den sette communi heiszt es schenke hand = tenke. stanco be-
deutet sonst schwach und matt, aber alle diese Wörter sind unroma-
nisch. wahrscheinlich darf man denk und lenk gleichsetzen, wie din-
gua und lingua, dacrima und lacrima (s. 353. 354) und dann müssen
die it. formen aus den deutschen aufgenommen und entstellt sein.
Lerz ist ebenwol bairisch, aber auch weiter iin miltlern Deutsch-
land gekannt als tenk. Wolfram Wh. 46, 8 zer zeswen und zer 1er-
zen (: herzen); Athis A*, 120 zuo der lerzin silen; Herbort 9080
mit der lerzen hant, 13584 um die lerzen; Frib. Trist. 6698 die zes-
wen und die lerzen (: herzen); Amgb. 15b der zeswen und der lerzen
(: kürzen); Tit. 3646 zer lerzen hende; 5950 in arm sin den lürzen;
Oltoc. 27b zer zeswen und zer lerzen. ich vermute auch mit U
statt I lurz, und der alte druck hat Tit. 3646 zer lürtzen hende;
nach Schm. 2, 490 soll man in Würzburg lurz für link sagen. Nun
gilt aber auch mit beiderlei vocal, RK für RZ. lirk oder lerk : mit
der lirken viusle Lanz. 1928. diu lirke sinistra manus Martina 73 b.
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V^<XYi.TA.
Frauenlob 54, 11; zuo den lerken 410, 16. Conrad MS. 2, 199 b
reimt lurc : burc, Schmiede 82. 1696 zer zöswen und zer lUrken :
würken (auszerdem finde ichs nicht in seinengedichten), Ottocar 191 b
an zesvven und an lerken : werken. Wie sind diese der ahd. und
allen übrigen deutschen sprachen wildfremden lerz und lurz, lerc und
lurc zu fassen? es gibt ein verbum lerken balbutire in Diemers ausg.
der Vorauer hs. 34, 12, lirket balbutit bei Frauenlob 134, 12, und
gerade so steht Hätzl. 101, 60 nun ich mit miner zungen lerz : herz
(für lerze : herze.) was heiszt ebenda 72, 233 den muot erlerzen?
aulheitern? fragm. 31 c scheint äne liirzen : gekürzen wiederum ohne
zaudern, stottern, im kolocz. cod. 185, 1048 aber lurzten schmeichel-
* ten. lurken lurggen lorggen für stottern, stammeln kennt auch Stal—
der 2, 186 und mit der Vorstellung des linken ungeschickten läszt
992 sich die des Stotterns leicht verbinden, kaum ist lerz aus letz obli-
quus, noch weniger lerk aus link entsprungen, obwol sie höher auf-
wärts der wurzel laevus zufallen könnten.
Wir nähern uns dem wieder mit L anlautenden ausdruck der nie-
derdeutschen spräche, es müsle sich aus denkmälern des Übergangs
der ags. in die altengl. ermitteln, wann vinstra gewichen und left oder
lift an dessen stelle getreten sei. kein ags. werk zeigt eine spur die-
ses worts, aber es musz schon im 13 jh. allgemein durchgedrungen
sein, weil es um dieselbe zeit die niederländischen Sprachdenkmäler
kennen, mir sind nur etwas spätere belege zur band: a lifte hälfe
aus Chaucers rose 163 und on thi left half aus Ploughman 887. die
heutige form ist left. die heutige westfriesische volksprache stellt die
lofterhöan der rjuchterhöan entgegen (lapekoer 18, 51), die ostfriesi-
sche de läft haun der säum liaun (Ehrenlrauls arch. p. 100.) andere
schreiben lefter hond. Der gewöhnliche mnl. ausdruck ist luchter,
comparalivisch und mit CHT für FT wie in eracht hacht lucht f. craft
haft luft : ter luchter siden Ileinaert 1054. ter luchter hant Esop
p. 316 und oft bei Maerl. 2, 21. 3, 171 luchtre ore 3, 207. Flo-
ris 981. Fergtlt' 1084. 3601. Haupt 1, 103. nnl. luchter neben
link, in Overyssel lochterhand. mnd. lochter : to der lochteren hant.
Reineke 948. Goslar, bergges. 21. lochteren siden Bruns rom. ged.
138, man schrieb auch luchter z. b. Kantzow s. 55. 63. in der heu-
tigen niederdeutschen mundart hat link oder lunk das lucht oder luch-
ter fast verdrängt*. Dies left lift luft lucht könnte dem alts. 16f, fries.
lfif (Richtli. 165, 5) debilis, infirmus verwandt scheinen, falls sich ein
ablaulendes lifan I6f lifun (liban 16f libun) neben hilihan annehmen
liesze, aus dessen pluralis lift weiter geleitet wäre; auch lat. obliquus
und liquis mögen zu linquo gehören.
Doch es ist zeit das gr. Xaiog, lat. laevus selbst ins äuge zu
fassen, ihm gleicht ahd. I6o löwes (Graff 2, 295) malum, perversi-
993tas? wofür man goth. laiv laivis rathen könnte; Schm. 2, 406 hat
ein oberpfälzisches lei leiw malus infirmus aeger. entschiedner entspricht
* up der lichten oder luchten = linken. Lappenbergs Elbkarte s. 15.
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das sl. ljev” sinister, böhm. poln. lewy, sl. Ijevitza sinistra manus,
poln. lewica, böhm. lewice. wahrscheinlich sind link und left blosze
erweiterungen dieser Wurzel.
2xaiog und scaevus sind inlautend ganz ähnlich dem Xcuog lae-
vus, scaevola bezeichnet einen linkhändigen, wiederum entspricht das
sl. schoui sinister (Mikl. p. 108), schouitza manus sinistra, die neueren
sl. sprachen haben es aufgegeben, doch besteht slov. shevi, poshevi
schräg, das nhd. schief, nd. scheef, nnl. scheef, in hochd. mundarten
scheib scheb ist obliquus, varus, mangelt aber der alten spräche; man
darf damit nicht vermengen das mhd. schiech timidus, fugax, nhd.
scheu, doch verwandt scheint altn. skackr obliquus pravus und bair.
schiegk varus (Schm. 3, 320.) aber dem oxcuog und oxohog scae-
vus schoui vergleicht sich das skr. savja sinister (Bopps gloss. 371.)
Aus demselben savja leitet Bopp, mich dünkt gezwungen, sowol
sinister sinistimus als auch uQioxiQog, indem jenes für sivister, dieses
für oaFioriQog gesetzt sei. mehr schein hat doch die vorhin vor-
getragne Verwandtschaft zwischen sinister und winistar oder, will man
sie nicht, zwischen sinister und goth. sinisla nQtoßvxtQog d. h. prior,
princeps. * uQiaxtQog läszt sich einfach als nochmalige comparation
von uyioxog ansehn, wie aus den Superlativen fruma auliuma miduma
ein neuer superl. frumists auhumists midumists entsprang, ist nun
aqiaxog unser ahd. öristo goth. airista primus, so wäre freilich in
aQicntQÖg die Vorstellung prior, potior zu suchen, welche sich für
den begrif des rechten bei den Griechen, des linken bei den Römern
eignet, wie nun, wenn die Griechen das früher auf die rechte hand
angewandte wort nachher, als sich ihre ansicht umdrehte, von der
linken gelten lieszen? ihnen war im verlauf der zeit die rechte potior
geworden; doch der alte ausdruck blieb bestehn, die Deutschen hin-
gegen benannten die rechte die vordere. Hat aber der Zusammenhang 994
zwischen väma winistar und vamstr pulcherrimus grund, so wäre die
nach der indischen, also urdeutschen ansicht passende Vorstellung
wiederum, nachdem sich der deutsche slandpunct verkehrt halte, un-
treffend geworden-, dennoch haften geblieben, man fuhr auf deutsch
fort, den unverstandnen namen der schönen hand für die linke zu
gebrauchen, nachdem ihr der Vorzug entrissen war. Dies Verhältnis
der Worte winistar und uQioxtQÖg scheint mir die oben zur grundlage
genommne entwicklung nicht wenig zu rechtfertigen, auch darf die
Verwandtschaft von uQioxog und öristo unter dem kurzen vocal des
gr. worts nicht leiden; in uqigxou prandium dauert die länge.
Auf ähnliche weise musz tvwvvfxog für link gefaszt werden, die
linke seite war boni ominis nach der alten später aufgegebnen ansicht.
schon Herodot 7, 109 evtovv/nov yaiQog, und in der schiacht liiesz
der linke Hügel eviopvf.iou xtqug. so bedeutet im N. T. avan'Vf.iog
den gegensatz von dtgiog.
* aus der Zigeunersprache führt Polt 1, 208. 2, 479 ein seltsames styngo-
nestor für link an.
44
fJVJtW.
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* * ~ ' "
90
RECHT UND LINK
Bei den Griechen findet man auch die linke hand ausgedrückt
durch trtQu, die andere, der rechten entgegengesetzte, schlechte,
die späteren verwenden d-uztQog in solchem sinn, z. b. bei Procop
b. goth. 1, 6 stellt tnl d'aztqa dem tv dtlgioTg gegenüber, die rechte
ist die erste, vordere hand, die linke die andere, nachfolgende, in
den deutschen gestis Roman, ed. Keller s. 137 bedeutet candre hant’
gleichfalls die linke, ebenso Ssp. 1, 63: cenen senewolden schilt in
der anderen hant.J
Die Litthauer stellen der deszine entgegen die kaire, linke (Szirwid
schreibt kayre poln. lcwica, kayras poln. levvy.) ich zweifle, ob sich
dazu unser quer obliquus, transversus (ahd. duerah, ags. {iveor, goth.
Jwairhs) halten läszt, wofür litth. skersas, Iett. schkehrs gilt; möglich
wäre auch unser krumm, ahd. chrump, lat. curvus und sl. kriv” obli-
quus verwandt, sehr gewagt vergleicht Bopp (malay. spr. s. 148) zu
kaire das skr. kara hand. den Finnen ist kurakäsi die linke hand,
995 den Esten kurra, kurri, d. h. die schlechte, schlimme, ebenso den
Lappen kärro, kuro, das scheint dem kaire näher zu liegen, in un-
serm alten recht heiszt bei persönlichen Verhältnissen der unfreiere
stand diu erger hant, manus deterior, was ich aber für linke nicht
gebraucht finde.
Noch gewähren die keltischen sprachen einen merkwürdigen aus-
druck: ir. ciotan, ciotog manus sinistra, gal. ciotach, welsch chwith,
chwithig. davon ist das dänische keite manus sinistra, keithaand, was
die alte gemeinschaft keltischer spräche mit germanischem boden be-
zeugt, und in den nordöstlichen (eigentlich schwedischen) dialecten
nicht erscheint, aber die Norweger sagen kjeiva, kjeivhändt, die Jüten
kave, kavhaand, die Schonen kaja. auch in Vestgötland kjäva sinistra
manus und auf der insei Gothland gilt kajtu sinistra, kajlliaundet link-
handig, Almqvist s. 268. 320. 432. *
Schwierig ist das an die stelle des alten seneslre getretne franz.
gauche, welches allen übrigen roman. sprachen, auch der graubünd-
nerischen und wallonischen gebricht; doch geht Roquefort viel zu weit,
wenn er 2, 538 meint, es sei erst gegen den Schlusz des 17 jh.
aufgekommen, denn schon Rabelais 1, 6, als er des Gargantua gebürt
beschreibt, sagt: print son chemin ä gauche et sortit par l’oreille
senestre. im roman de Geoflroi de Mayence aus dem begin des 16 jh.
lese ich ch. 17 pied gauche. das wort war sicher schon im 15 jh.
gangbar, aber wie entsprang es? gauchir declinare, sich zur seite
wenden, links drehen scheint das allfranz. gucnchir (Garins 1, 16.
155), guenche guanche ist tour, detour, und beide Wörter enstammen
dann dem mhd. wenken, wank, gauche ist also seitwärts gedreht,
gewendet, d. h. link, die blume souci = solsequium hiesz prov. flor
dal gauch (altd. wäld. 1, 125.) an das gr. yavaög ist kein gedanke.
996 Endlich das span, izquierdo rührt her aus dem baskischen izquerra,
___________________ jDiet
* auf der insei Silt heiszt der hauptort Keitum; hängt dieser name mit
keit link zusammen?
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r..nrrr^ir.i
44*
RECHT UND LINK 691
ezquerra (escu ezquerra manus sinislra.) zurdo, denke ich, ist das-
selbe, nur mehr entstellt. *
Wir sehn dasz die meisten sprachen die alten echten ausdriieke
für den begrif des rechten und linken allmälich fahren lassen und
andere, oft bei fremden nachbarn entlehnte dafür cinsetzen. man kann
nicht sicher sagen entlehnte; denn solche Wörter mögen gleichsam auf
dem boden kleben, unter dem volke fortdauern und sich dann auch
eingang in die Schriftsprache suchen.
* die dichter und das volk entnehmen benennungen der rechten und linken
hand oder seite von dem, was sie faszt oder an ihr getragen wird. Aeschylus
nennt die rechte hand SoQinaXros, speerschwingende; wenn aber das welsche
cledd, cleddeu nicht blosz link und norden, sondern auch schwert ausdrückt, ist
das vom hängen des Schwerts an der linken seite zu verstehn, falkenliand,
sperberhand bezeichneten unserm alterthum bald die rechte bald die linke (s. 44.
45.) säupliandi und braudhandi auf Gothland ist die rechte und linke, weil jene
das trinkglas, diese das brot beim frühstück greift (Ahlqvist s. 417. 428.) Zn
dem pflüger steht das linke pferd und rad nahe, das rechte fern, darum heiszt
in Schonen främans recht, tdmans link (Almqvist s. 266. 274), in Lolland framands
oder tilmands, framandet tilmandet (Molbechs dial. lex. s. 134.) der Seeländer
gebraucht flermer und närmer (ferner und näher), der Gothländer fjärare und
nämare (Almqvist s. 422. 444), der Jütländer frahaands und tilhaands in gleichem
sinn, nicht anders bedeutet den niedersächsischen fuhrleuten tor hand die linke,
van der hand die rechte seite (brem. wb. 2, 577) und ich vermute einen irthum,
wenn Schmid im schwäb. wb. s. 259 zu der hand, zuderhändig für rechts, von
der hand, vonderhändig für links ausgibt, wie auch das holstein. wb. 2, 97 vanjer-
hand für linker hand, tojcrhand für rechter hand nimmt. Unter handpferd vor
dem wagen versteht man das zur rechten hand des sattelpferds ziehende, wie im
mittelalter dextrarius, franz. destrier das zur rechten hand geführte war, qui per
dexteram ducitur. Dem galischen pflüger heiszt die linke seite der furche ban
weisz, die rechte dearg roth, denn dearg röthen bedeutet pflügen, das land rotli
aufreiszen. CtXbaw . l^ros , macfna burvb u.. LA
aaS . ßanaiobe., extetior äuu>vu.Tn eouoium axaMuJu. ,
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XLI.
MILCH UNI) FLEISCH.
997 Ln zweiten und dritten capitel ist eine darstellung der sprach-
lichen auf die nothwendigste speise des hirtenlehens bezug habenden
Verhältnisse unterblieben, damit sie ausführlicher könnte nachgeholt
werden, denn vorzugsweise scheint sie über die Urverwandtschaft der
eingewanderten Völker licht zu verbreiten geeignet. Was der hirt zur
nahrung bedarf lehren die homerischen verse Od. 4, 87
evd'a fiiiv ovre avat iitiSsvrjS ovre ri Tcoi/urjv
zvoov y,ai ygeicüv, ovSs y/.vy.t(>oXo yaXaxroe,
und noch Tacitus sagt von den Germanen: cibi simplices, agrestia
poma, recens fera aut lac concrelum.
Aulfallend stimmt bei allen Deutschen und Slavcn die benennung
der milch zusammen: goth. miluks, ahd. miluh, mhd. milch, ags.
meoloc meolc, engl, milk, fries. melok, altn. miölk, schwed. mjülk,
dän. melk, und den Lappen mag ihr melke milke aus Scandinavien
zugegangen sein, da alle übrigen finnischen sprachen andre Wörter
zeigen, altsl. mljeko, russ. moloko, poln. böhm. slov. mleko, serb.
mlijeko, wendisch mloko (den Lüneb. Wenden melauka.) durchgehende
in beiden sprachen berscht anlautendes M; nach der lautverschiebung
würde aber goth. K in miluks statt des sl. K in mljeko G begehren.
998 Dies G bestätigt sich sobald wir in die wurzel eindringen: milch
ist das gemolkne, aus dem euter gedrückte, gezogne, nach dem ahd.
milchu malch darf ein goth. milka malk vermutet werden und ihm
entsprechen sl. ml”zu inf. ml”sli, litth. melzu milszti, lat. mulgeo und
mulceo, beide mit dem praet. mulsi und der bedeutung palpo, leni
manu tracto, endlich gr. u^tlyio. mulgere scheint aber gerechter als
mulcere, wie gr. ä/niXyco und sl. Z in ml”zu, das aus G, nicht aus
K deutbar wird (s. 382), bestätigen. Miklosich s. 50 will mljeko
nicht einmal unmittelbar von ml”zu abgeleitet wissen; ich mutmasze
dasz es für mljekto steht und K durch das folgende T entsprang, wie
musz nie T gefolgt sein, weil sonst miluhts milhls entsprungen wäre.
MILCH
693
Aber das gr. d/ueXy(o hat, nach dem Wechsel s. 318, die neben-
form d/uegyio und b[.i6qyvvpu y immer mit den bedeutungen des aus-
drückens und abstreichens. dies R scheint sogar älter als L, da es
auch dem skr. mridsch abstergere, mulcere eigen ist (Bopps gl. 269b),
von welchem sich jedoch kein ausdruck für den begrif der milch her-
leitet, so wenig als von dem lillh. milszti.
Im sanskrit heiszt die milch dugdha (Bopps gloss. 108 b. 172a),
hindost, düdh, zigeun. tchud (Pott 2, 296); den Persern bedeutet dogh
huttermilch, dugdha scheint zu stehn für dukta, von der Wurzel duli
extrahere, emulgere (Bopp 17 3a), welches sich dem lat. ducere, goth.
tiuhan, ahd. ziohan vergleichen läszt (s. 906), also ist dugdha gerade
entsprungen wie miluks aus milkan.
Schwieriger sind die griechischen und lateinischen ausdrücke.
ydXa, wie der gen. ydXaxxog yXdxxog lehrt, fordert die volle gestalt
ydXaxx, K schwand wie in yvvrj yvvaixög, KT schwand wie im
voc. dva von dva'E, uvaxxoq. statt ydXa braucht aber Homer auch
yXdyog II. 2, 471. 16, 643, ohne lingualis und darum wieder mit
media, nicht tenuis. das lat. lac rnusz ebenfalls nach dem gen. laclis
in lact vervollständigt werden, was sich auch aus dem it. latte, port.
leite, franz. lait (früher laict) ergibt.
Wie nun lact und ydXaxx zu nehmen? in lac lactis scheinen999
die consonanten freilich gestellt wie im sl. mljeko = mljekto, dem-
nach wäre lac von mulgeo abzuleiten und aus inalg mlag male mlac
entsprungen? aber die lat. spräche entäuszert sich sonst nie eines
anlautenden M, und noch weniger will es gelingen ydXa und yXdyog
auf d/xeXyco zurückzuführen; yXdyog aus /nXdyog, ydXaxx aus [xdXaxx
(oben s. 326) hat sonst keine analogien für sich.
Bopp schlägt ganz andern weg ein und deutet (gloss. 108b) nach
dem Wechsel zwischen L und D (s. 354. 355) lact aus skr. dugdha
dukta, ydXaxx aber aus einer Zusammensetzung, deren erster theil
Überrest des uralten skr. gä vacca (oben s. 32) enthielte, die no-
maden nannten ihre milch yd-Xaxx, kuhmilch, weil sie sie vorzugs-
weise aus der kuh molken, allmälich wurde das verkürzte und unver-
standne ydXa auf jede andre milch angewandt. *
Diese scharfsinnige Worterklärung spricht um so mehr an, als
sie, wie wir hernach sehn werden, der bildung des ausdrucks ßovxvQOv
begegnet; was sie aber entschieden rechtfertigt ist das Verhältnis der
keltischen ausdrücke.
Neben welschem llaeth gilt nemlich blitli (und in Zusammen-
setzungen flith, z. b. cyndilh erste milch), neben irischem lacht zu-.
gleich bleacht bliocht, oder nach galischer Schreibung bliochd. die
armorische form ldaz mahnt ans provenz. lach, spanische leche.
Nun könnten (wie ich s. 326. 332. 380 glaubte) diese BL wieder
* -AfpooSirr^ ycJ.a, bovid’cov ya).a ward so zulässig wie trtjtoßovxoXoi
und iTtTtol ßovxoXeovro II. 20, 221.
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hervorgegangen scheinen aus ML nach der in keltischer zunge * ein-
tretenden berührung zwischen B und M (s. 368. 373) vgl. bean mnd
1000 (s. 370.) bleacht würde bei vorstehendem possessiviun ar eclipsis
erleiden; ar mbleacht (sprich mleacht) unsere milch. Da aber die
eclipse jederzeit den laut mildert, so inusz hier bleacht der ursprüng-
liche, folglich darf zwar mleacht aus bleacht, nicht aber bleacht aus
mleacht entsprungen sein. Und aus welchem grund hätte die spräche
neben bleacbt auch noch lacht entwickelt? ja sie besitzt sogar ein
unserm milch und dem sl. mljeko entsprechendes meilg, das noth-
wendig von bleacht verschieden ist und dessen Verwandtschaft mit
milch ganz unmöglich macht. **
Jene keltische doppelform erklärt sich treflich durch die annahme,
dasz lacht und llaeth, gleich dem lateinischen lac, blosz milch, bleacht
und blith hingegen wie das gr. yaXa, eigentlich kuhmilch ausdrücken,
allmälich aber den allgemeinen hegrif annahmen. bleacht entsprang
also aus boleacht, von bo vacca, und das ir. bo bhleacht, milchkuh
ist ein pleonasmus, der erst möglich wurde, nachdem sich das B in
bleacht verdunkelt hatte, nicht anders wäre ein gr. ßoog yuXa.
Zu beachten ist auch die abweichung der gescblechter. während
alle deutschen Wörter weiblich, sind die slavischen, lateinischen, grie-
chischen stets neutral, und ebenso das skr. dugdha. unter den ro-
manischen folgt das spanische leche, unter den keltischen das ir.
bleacht dem deutschen gcnus. it. latte, franz. lait, welsches llaeth
nnd blith sind männlich, d. h. behaupten die ursprüngliche neutual-
form, welche für diese sprachen überhaupt in der männlichen aufgeht,
als erzeugnis betrachtet ist lac wie ovum granum u. s. w. besser
neutral; unsere spräche wandelte aber butyrum in ein weibliches
butter, wie sie ihre meisten baumfrüchte eichel büchel schiebe hirne
kirsche pflaume weiblich setzt (gramm. 3, 377. 563.)
1001 Die Untersuchung ergibt, dasz, so lange in der Wurzel mridsch
R waltete, mithin auch im gr. ujutgyio, nur die allgemeine bedeutung
des drückens galt, und erst dann auf das melken angewandt wurde,
als R in L übergieng, u/utXyco, mulgeo mulgeo, mel2u, ml”zu. allen
auswandernden Völkern musz schon, vor ihrer trennung, dies L gemein
gewesen sein, das subst. milch bildeten aber nur die Deutschen und
Slaven aus dem verbum, den Iren steht meilg ohne verbum zu. die
meisten übrigen blieben dem skr. dugdha getreu, nur dasz sie sämt-
lich dessen D in L wandelten, während das lat. ducere, goth. tiuhan
den linguallaut festhielt, aber ihm die im skr. duh enthaltne bedeutung
* auch skr. brft loqui ist zend. mrü, gr. ßqaSvs ergibt sich aus fiQaSvs =
skr. mrid und das böhm. mrawenec wird entstellt in brawenec (Nemnich s. v.
formica), vgl. oben s. 327 und auch läQßoQvftoi f. (s. 564.)
** diesen keltischen sprachen stehn noch andere ausdrtickc für die milch zu
gebot: ir. at und geat, welche vielleicht dasselbe sind; ir. gal. ceo; ir. leim oder
luim; ir. segh; ir. arg; ir. gal. bainne; ir. finn, fionn. die letzten (arg, bainne
und fionn) bedeuten eigentlich weisz, die weisze, wie auch die Schweden hvit
für milch sagen.
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iHii
MILCH. BUTTER
695
des melkens entzog, in yula und yXuyog bewahrte die Zusammen-
setzung das alte gä kuh, in bleacht ho kuh.
i Die Litthauer haben für milch pienas, die Leiten peens, wozu
das skr. phäna spuma (Bopp 236b), sl. pjena spuma, ahd. feim, ags.
fäm, engl, foarn, vielleicht das lat. spuma von spuere selbst stimmen,
deren S blosz vorgeschoben scheint, sicher gehören dazu das finn.
piimä lac coagulatum und est. piim lac, denn die begriffe lac, flos
lactis, milchschaum vertreten einander.
Vielleicht darf man goth. daddjan, ahd. tähan laclare zum skr.
duh und dugdha nehmen, als unverschobne formen, während sich
tiuhan ziohan (vgl. T. 145, 13) verschob, dies mahnt auch ans gleich
unverschobne golh. dauhtar skr. duhitä (s. 266. 269), welches ent-
weder das säugende kind (s. 906) oder die melkende tochter be-
zeichnen kann, auf solche weise liesze sich mulier (it. mogliere, sp.
muger) an mulgere knüpfen und sogar femea faemne feima, die s. 652
und 955 anders gedeutet wurden, an fern, fäm milch, mulier und
femina wären melkerinnen, wie ags. hläford und hlaefdige (s. 663)
auf die vertheilung des hrots im haus gehn, diese sind unter acker-
bauenden aufgekommen, jene unter hirten.
Wie feim den sich auf der Oberfläche des wassers und der milch
ansetzenden schäum, nach Schmeller 1, 531 waldfaim den schäum
beim kochen der mölke bezeichnen, und ahd. feim zugleich repurgium
ausdrückt (Graflf 3, 519); liegt auch in unserm rahm flos lactis (bei 1002
Hans Sachs milraum, hei Ilelbling 1, 1055 milchrilm) eigentlich das
mhd. räm, ansatz von schmutz (Schm. 3, 81.) schmant oder schmand
ist in vielen deutschen gegenden verbreitet und aus dem böhm. smant
und smetana, poln. smielana, walach. smentana. das schweizerische
nidel (Stahl. 2, 236) weisz ich nicht abzuleilen; sollte es mit nudel,
der mchlspeise (Schm. 2, 682) verwandt sein? man sehe hernach
baltudo für käse und mehl. Von hohem alter scheint das in Nieder-
deutschland gültige sahne, nnl. zaan, bei Kilian säen, welches für
schäum auf der milch und dem hier gebraucht wird; schon Frisch 2,
149b leitet davon richtig das Schweiz, und bair. senn, senner, sender
milchknecht, käseknecht, und sennin, sendin, sennerin milchmagd
(Stahl. 2, 371. Schm. 3, 253.) ein mögliches ahd. sännio sennio
und sännia sennia für melker, melkerin würde jener deutung von fämea
fsemne aus lern fäm zu statten kommen, sennweide bezeichnet berg-
weide oder alpe für melkvieh.
Für butter und käse haben unsre Vorfahren schon in früher zeit
den heimischen namen entsagt und von den Romanen die mit der
vollkommneren bereitung erlernten ausdrücke angenommen, unter den
alphirlen aber, scheint es, halten noch echtdeutsche.
Bovtvqov, lat. butyrum sichtbar von ßovg und rvQog gebildet,
besagt also kuhkäse, wie yciXa kuhmilch. Plinius 28, 9: e lacte fit
et butyrum, barbararum gentium lautissimus cibus, et qui divites a
plebe discernat. plurimum e bubulo, et inde nomen; dasz das wort
skylhisch sei behauptet er nirgend, it. buliro, burro, franz. beurre
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696
BUTTER
(wie verre f. vitrum.) ein ahd. butera ist nicht vor dem 1 1. jln
aufzuweisen, doch mag es früher, wie schon hei den Angelsachsen,
üblich gewesen sein, bei Älfric sagt der schafhirte: cyse and buteran
ic dö, caseum et bulyrum facio, woraus ein weiblicher nom. butere
zu schlieszen ist. ebenso fries. butere, gen. butera. nnl. boter, engl,
butter, die Scandinaven haben das wort nicht angenommen.
1003 Bei den Alemannen der Schweiz, des Oberrheins und Elsasses *,
nicht aber ostwärts des Schwarzwalds hei den übrigen Schwaben,
noch den Baiern und Tirolern lebt bis auf heute fort cder anke1 oder
tancche’; die Deutschen am Monte Bosa sagen ‘anccho1 (Schott s. 263.)
doch enthalten sich des Wortes einzelne gegenden der Schweiz, na-
mentlich Appenzell, wo man weder butter noch arike, sonder schmalz
hört (Tobler s. 85a.) kein mhd. dichter braucht den ausdruck, der
vocab. optimus p. 22 hat putirum anke und ein hofrodel für Ein-
siedeln (weisth. 1, 159) das masc. ancke. in den erhaltnen Schriften
Notkers, dem es nicht entgehn würde, ist kein anlasz dazu, aber die
gl. flor. Diut. 2, 233a haben butirum anco. es reicht in ältere zeit
hinauf, nicht nur geben die keronischen glossen bei Goldast das fern,
ankä butyrum und ankana muletralia (Frisch. 1, 29b) sondern schon
die alte glosse des 8 jh. Diut. 1, 525a: piduingit anchünsmero, ex-
primit butyrum, vgl. anesmero axungia bei Graff 6, 833. Dies ahd.
ancho oder anchä setzt ein verbum anchön voraus, welchem sowol
das lat. ungere als skr. andsch ungere, oblinere (ßopps gloss. 5a)
entspricht, vgl. andschna collvrium und ätja butyrum liquidum (Bopp
28b.) die Italiener verwenden unto und unguento für schmalz oder
butter, walach. untul butyrum.
Geradeso bezeichnet den Slaven maslo unguentum und butyrum,
russ. böhm. maslo, poln. maslo, von der wurzcl mazati = skr. masdsch
ungere, immergere, welches mir keine metalhese von andsch (wie
Pott 1, 235 dafür hält), sondern das ahd. mestan saginare, alere zu
sein scheint.
Ahd. smero unguentum, adeps, arvina sahen wir vorhin mit dem
gen. anchün verbunden, anesmero und chuosmero bedeuten butyrum,
smeroldeip axungia (Graff 4, 1111.) ein golh. smairv stände zu
1004rathen, Ulfilas gewährt nur smairjir nioTrjg (ahd. smerdar?) ags. smeru,
nhd. schmeer. alln. ist smiör, schwed. dän. smür das gangbare wort
für bulyrum geblieben, wurzel goth. smairvan? ungere, illinerc. **
Altn. skaka massa butyri recentis ex acetabulo, von skaka quatere,
agitare, butter stoszen.
Litth. sweslas, lett. sweests butyrum, von mir unbekannter wurzel.
Ir. und gal. im, gen. ime butyrum, welsch ymenyn, wozu man
ir. imileadaim ungere und iomainim umrühren, umdrehen halte.
* in der Schweiz, dem Oberelsasz und Breisgau ist anke siisze butter, im
Unterelsasz geschmolzne, schmalz, ankedroster bodensatz der geschmolznen.
droster = ahd. trestir faex, quisquiliae.
** man vgl. noch ahd. spint, ags. spind adeps; ahd. unsliht arvina, sevum;
alts. hrusel, ags. hrysel arvina, abdomen, bair. rösel (Schm. 3, 135.)
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BUTTER. KÄSE. MOLKE
697
Wie zu deuten das span, manteca butter, mantequilla ausgelassene -CUe/*
butter, mantequera butterfasz? das bask. burra stammt aus franz.
beurre.
Ich schreite fort zu höchst merkwürdigen lappischen und finni-
schen ausdrücken, die noch mit scandinavischen und unsrigen Zusam-
menhängen, zugleich den Übergang aus dem begrif der hulter in den
des käses verdeutlichen.
Finnen und Esten heiszt die butter voi, Lappen wuoi, Ungern
vaj. das finn. woileipä panis butyro illitus gleicht jenem ahd. sme-
rohleip. woi aber scheint mir das ags. hvaeg serum lactis (bei Übler
379 liquor casei), engl, whay whey, nnl. wei mölke, buttermilch, Vev<«>iy,
oslfries. wei, dietmars. hei, bei Neocorus 1, 138 dat lioie (heie) edder
waddeke.
Die Lappen nennen den käse wuosta, das sich offenbar von wuoi
ableitet; minder deutlich ist das finn. juuslo, est. juust, doch sicher
dasselbe wort, wie nun die Lappen ihr milke von den Scandinaven
überkamen, scheinen sie umgekehrt diesen genauere käsebereitung ge-
wiesen zu haben und daher rührt das altn. oslr, schwed. dän. ost,
gothländ. ust, nordschleswigische und jütische vost. bängt vielleicht
mit ostr das altn. ister adeps (oben s. 199) zusammen? ich würde
mich nicht wundern, auch auf ein altniederländisches weist oder ags. 1005
hvaest für käse zu stoszen. Die Dietmarsen kneten gepreszte milch
unter butter und nennen das käsebutter (Neoc. 1, 138.)
Frühe und fast allgemeine Verbreitung erlangte das lat. caseus:
lac concretum et formis pressum, et ipsa casei pressi forma. Varro
5, 108: hoc primum debuit pastoribus caseus, e coacto lacte ut
coaxeus dictus, vgl. 6, 43. für unreines S spricht auch das ital.
cacio und cacivola, die Spanier haben queso. ital. aber auch von der
forma, in welche der käse gedrückt wurde, formaggio, prov. formatge, bicd Xgnr-ma.
franz. fromage. ahd. chäsi Graff 4, 500, pilidi chäses formellas casei /
Diut. 1, 508a, alts. käsi kiesi', ags. cfise cyse, engl, cheese, fries.
kise tzise. walach. kasch caseus, auch irisch cais, galisch caise,
welsch caws, kaum erst nach engl, cheese.
TvQog war wol nicht ursprünglich auf den begrif des festen,
gepreszten käses eingeschränkt, wie schon ßovrvQov lehrt, läszt sich
dazu halten poln. twarog, böhm. twaroh, -nhd. quark (wie man querk
für twerc sagte) weicher frischer käse? das Y ist lang und schon
deshalb berührung mit serum unwahrscheinlich, denn niemals findet
sich cvQog, da doch wo T und S tauschen jenes stets das ältere ist.
auch unterscheiden die Neugriechen von tvqi käse rty'gog mölke.
Der frische käse oder quark hiesz den Griechen rQocpaklg, TQO(päkiov
von rqicftHV ydka, die milch gerinnen lassen *, ydka ^Qt^pai Od. 9,
246. tvqov TQtytiv Theocr. 25, 106.
Bei der käsebereitung sondern sich die dünnen flüssigen und
dicken zähen theile. jene heiszen ahd. chäsiwazzar käsewasser Graff 1,
sonst auch ayj^eiv yd.la, woher oyiarov ya%a geronnene milch.
698
KÄSE. MOLKE
1129, nhd. mölke, gr. opo? oQQog, neugr. rtygog, lat. serum, it.
siero, sp. suero, finn. hera (II für S), Schweiz, sirme sirmund sirte
sirbele (Stahl. 2, 375), mlat. seracium. andere mlat. Wörter dafür
sind tenucla (Graff 1, 1129 und Ducange 6, 543) von tenuis (tenue
lac?) und balducta, balbuca (Ducange 1, 549 mit dem dunkeln gegen-
satz trema); noch auf der voralbergischen weide sagt man balüt
‘ (Tobler 457.)
1006 Darf zu serum und rt,i()og das skr. sara salz und geronnene
milch, pers. schir milch, osset. achsir gehalten werden?* Naher liegt
das sl. s”ir” caseus, poln. ser, bölim. syr seyr, sloven. serh. sir, sor-
bisch ssydr, liineb. wend. saroo, lelt. Seers, litth. suris, *est. seir seer,
welche sämtlich käse, nicht mölke ausdrücken. aber die mölke heiszt
poln. serwatka, böhm. syrowatka, sloven. sirolka, .welche deutlich zu
ser syr sir gehören, wenn schon beide Wörter mit altsl. sourov” hu-
midus crudus, poln. surowy, böhm. syrowy verwandt sein mögen,
litth. suris aber könnte gemahnen an surus salsus. abweichend sind
litth. iszrugos, lettt. suhkalas. Almqvist 259a führt aus Dalarne an
stjyr (spr. schiyr) lür saure, dicke milch.
Zeigte nun das sorbische ssydr inlautende erweiterung des syr,
so möchte ich auch das Schweiz, ziger heranziehen, worunter man
heute die feste, nicht die dünne masse aus der geronnenen milch
versteht, doch hat Graff 5, 631 ziger seracium und den weiblichen
acc. die cigeren butyrum. Bonerius 15, 23 stellt als eszbare speise
zusammen cbröt, ziger und ksese guot’, wonach ziger etwas geringeres
als käse zu sein scheint, zigerlinge in urk. bei Zellweger n° 65,
234. 239 (s. 346) sind eine art käse. Bergmann unterscheidet für
den Bregenzerwald dünnen trinkbaren sieger von dickem eszbarem
zieger und will unstatthaft ziger aus d’siger deuten, die romanische
spräche in Graubünden sagt tschigrun tschegrun und auch in die an-
grenzende Lombardei ist das wort gedrungen, Monte im vocabol. di
Como erklärt zigra: ricolta inipastata con sale e pepe, und zincarlinn:
formaggio fresco di vacca, d’ infima qualiti), impastato con sale e pepe.
vielleicht musz bei ziger das lappische zhiuoggar (sclnved. lapp, tjuog-
gar) frustum casei excisum erwogen werden, frischer mit labe be-
sprengter milchkäse heiszt zhiuuko.
1007 Dem ziger pflegt in der Schweiz entgegenzustehn der oder die
schotte, denn in beiden Wörtern schwankt das geschlecht. schon
Graff 6, 425 hat ahd. scotto battudo, was bedeutet baltudo? man
schlägt danach vergebens die neue ausg. von Ducange auf, doch ge-
währt eine stelle s. v. tenucla cvel batuto lactis.3 es ist also geschlagne
milch, und slekimelo battudo (Graff 2, 713) geschlagner teig, wie
baltudo von batuere wird scotto stammen von scultan scottan, alts.
__________________ . Gk ^cobLa., e*cocA-q. . ,
* auch unser lab coagulum bedeutet salz (Schm. 2, 407), wodurch man die
milch gerinnen macht, sonst finde ich für coagulum im vocab. opt. 22* renna
oder keslupp, ahd. cbesiluppa (Graff 2, 77) und noch nhd. renne, böhm. klag,
litth. eble.
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KÄSE. MOLKE
699
scuddian quatere quassare und geschüttelte geschlagne gestoszne ge-
butterte milch aussagen. Nach Stalder 2, 473 ist schotte der dünne,
ziger der dicke milchniederschlag, schotte also was in Vorarlberg siger
oder schottagsig heiszt (von sigen, niederfallen.) Tobler s. 457 läszt
aber die schotta aus ziger und mölke bestehn, da sie doch eben seihst
mölke scheint, im Pinzgau heiszt 'schotten5 was beim nochmaligen
sieden des käsewassers gewonnen wird und das im kessel zurück-
bleibende wasser cjutten.5 Matth. Kochs reise nach Salzburg s. 303.
wieder anders Schmeller 3, 416 aus dem Tiroler gebrauch: schotte
sei quark aus süszer mölke, topfe aus saurer, im Zillerthal unter-
scheide man caufler schotten5 aufsteigenden süszen von 'bodenschotten5
zu boden fallendem saurem, schottig werden bezeichnet serescere,
was in andern theilen Deutschlands holtig werden, holteln. die grau-
bündnerische form von schotte lautet scotgia scotchia, die italienische
scotta. in der Crusca wird definiert: ricotta, fior di siero rappreso
al fuoco, scotta aber: siero non rappreso, che avanza alla ricotta.
ricotta ist also geronnenes, scotta ungeronnenes serum. Mond s. v.
scotta sagt: latte o siero, da cui si e cavata la ricotta. ricotta stammt
aus lat. recocla, scotta nicht aus excocla, sondern aus deutschem
schotta. Übrigens läszt auch II. Sachs III. 3, 8C 'schotten trinken5
und 1, 483d verbindet er 'wasser, milch und schotten.5
Was in der Schweiz ziger, heiszt in Tirol, ßaiern, Ostreich topfe
(Höfer 3, 231), vermutlich ahd. topfo, d. i. zusammen laufende ge-
rinnende milch, wie der kreisel trochus topf genannt wird (Graff 5,
385) und der töpfer dreht, nach Schm. 1, 451 ist topfen quark. 1008
Wolkensteiner s. 181: unversait ist dir mein dicker schotten von
meiner röten gais. 'sim, topfen hab ich selber gnuoc.5 altn. doppa
bulla, umbella.
Altn. ist misa, ostmisa serum, was wieder aus dem lapp, missu
entnommen scheint, und noch in einzelnen schwedischen landschaften
fortlebt, in Jemtland mäss (Almqv. 292), in Angermanland messan,
skum af ostblandning (Almqv. 304), in Ilelsingland mossu messu missu
(399a.) den Osseten heiszt misin buttermilch.
Der schwedische ausdruck für serum lautet vassla, in Vestgötland
wird vatlle (Almqv. 336a), in Norwegen vasle varsle, in Dänmark valle
(assimiliert für vasle) gesagt, dazu nehme ich das niedersächs. waddik v'OoöeKe_
watlke, osnabr. wakke, liefländ. waddak (brem. wb. 5, 161.) es >wan®^u*U.e^
scheint darin weniger jenes hvaeg und wei, als der begrif von wat ^ *1 —
nasz, altn. votr udus, vos udor gelegen, vgl. water wasser, doch auch
finn. vahto spuma.
In den keltischen sprachen gilt für serum gal. meog, ir. meidhg,
welsch maidd. man wird an das finn. maito lac erinnert.
Den Walachen ist brinza, den Polen bryndza, den Böhmen brynza
Schmierkäse, den Walachen urda käsebutter, den Serben urda geron-
nene milch, den Böhmen urda dicke schafmolke, den Ungern orda
topfe; wäre dies urda = uzda zu juusto und ostr (s. 1004) ge-
hörig ?
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700 FLEISCH
Leider sind uns skythische, thrakisclie, getische bcnennungen der
milch, butter und des käses unüberliefert, sogar die gothischen der
butter und des käses gehn ab; in der Übersetzung des alten testa-
ments wären sie enthalten gewesen, vielleicht sagte Ulfilas für butter
agkö oder smairv, schwerlich schon für käse kdsi, eher skudja*, duppa
1009 oder usts, uzdö; möglich aber auch sind ganz andere Wörter, man
darf annehmen, dasz die früheren ahd. ausdrücke, seit einführung des
Wortes chäsi, auf geringere käsearten angewandt wurden, wie die
Lillhauer, nachdem kiefas unter ihnen gangbar war, suris auf einen
bestimmten salzkäse einschränkten.
Ich gelange zu den benennungen des fieisches und eigentlich
blosz , des eszbaren, thierischen, welches die meisten sprachen von
dem menschlichen unterscheiden; doch begreift es sieb, dasz die aus-
drücke für beide in einander übergehn und auch der todte leichnam
dabei in betracht gezogen werden musz.
Das älteste wort unsrer spräche für eszbares fleisch sehen wir
wieder dem sl. und skr. begegnen, goth. inims in der einzigen stelle
1 Cor. 8, 13 für XQtag, weil alle übrigen nur crap£ boten; altsl.
mjaso, russ. mjaso, böhm. maso, serb. meso, poln. mieso, litlh. miesa,
lett. meesa, preusz. mensa mensas. die poln. und preusz. nasalform
stimmt zum anusvära des skr. mänsa (Bopp s. 262a) und das N
reicht ans goth. M. schon oben s. 337 überraschte mich die gleich—
heit der form mit lat. mensa, goth. mes, ahd. mias, ir. mias (s. 844),
jetzt wag ich auch die analogie der begriffe aufzuweisen: sollte nicht
mensa ursprünglich der fleischtisch, opferlisch gewesen sein? wie
mims und mös in der wortgestalt mögen die genera abgewichen haben,
mjaso ist neutrum, mensa fern.
Bopp will zu mänsa unser ahd. muos, alts. mos cibus nehmen,
das gerade nicht von fleischspeise, sondern von puls und pulmentum
(nhd. gemüse) gilt, doch rechnet Ssp. 1, 24 meste swin tö der mös-
dßle. in meiner abh. über diphth. s. 45 halte ich hingegen das ahd.
qhuec mardaro caro viva für mastaro und den altsuevischen namen
Masdras verglichen, die vielleicht näher stehn zu mastan saginare,
1010 welches selbst höher hinauf mit mänsa verwandt sein könnte, aber
auch gr. [.iao&6g /naarog /iia^og und ahd. manzo über (Graff 2, 818)
kommen in betracht, zumal für lat. mamma in heutigen deutschen volks-
mundarten mams, mems gesagt wird, was ganz an jenes goth. mims
reicht, fleisch kann leicht von der fleischigen brust gelten, wie von
dirnen, die ‘ihre brust entblöszen gesagt wird, dasz sie ihr fleisch
auslegen, nun steht gerade Col. 1, 22 goth. mammö für a«p§.
Der übliche goth. ausdruck für (r«p£ und gco/uu ist aber leik,
* was gar verwandt sein könnte mit dem dunkeln skaud in skaudaraip ifias,
altn. bedeutet skaud retrimentum, wozu unser schote siliqua, hülse die man
wegwirft zu gehören scheint, der gelwe schöte in Reinbots Georg 4594 be-
zeichnet eine pflanze, die noch heute gelber schote heiszt (Nemnich s. v. lotus
corniculatus), engl, butterjags, westgötländ. gjöksmör (kukuksbutter), von der
buttergelben färbe des krauts. Bon. 81, 38 Schotter dan ein swln.
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^ -A}
FLEISCH
701
ahd. lih, ags. lic, altn. lik, die uns nie das gr. xpeag bezeichnen,
aber Finnen verwenden ihr liha, Esten ihr lihha vom menschlichen
lind thierischen fleisch, mit leik vergleicht sich das skr. döha corpus
caro cadaver (Bopp p. 176a), wogegen mein früheres bedenken (s. 354)
mir nun schwindet.
Ahd. lip, alts. ags. altn. lif bedeuten vita, nicht corpus, doch
wird dem altn. lif auch der sinn von ahdomen, uterus heigelegt.
mlui. aber ist lip, nhd. leib corpus, wie wir leib und leben verbinden,
mnl. finde ich lif für beide begriffe gebraucht z. b. Karel 1, 1691.
2, 88; nnl. lif corpus. engl, life nur vita, schwed. lif, dän. liv aber
vita und corpus, alvus.
Ahd. potah corpus cadaver, ags. bodig, engl, body, gal. bodhaig.
Mhd. äs cadaver morlicinum-fundgr. II. 27, 31. Wh. 222, 13.
Karl 52b, andere belege bei Ben. 1, 64, nhd. aas. nnl. aas. schwed.
as, dän. aadsel neben aas esca, altn. äta esca. die wurzel ist itan
ahd. ezan, wie esca für edca etca steht von edere (s. 352. 358);
cs gibt mehr Übergänge aus dem T in S, so scheint mats cibus ver-
wandt mit mös, ahd. muos pulmenlum, und aus gr. ßXrjTOv ward
dakisches ßXrjg (s. 204.)
Bedeutsam stimmt skr. kravja caro (Bopp p. 88) zu gr. xglag
f. xQtFug, zu goth. hraiv, ahd. hreo, mhd. rö, ags. hraev, altn. hrae
und zum lat. caro carnis wie corpus, die sich zu jenen verhalten wie
cornix corvus zu hraban; auch ir. gilt carna für fleisch; da ferner
das blutende fleisch und blut einander nahe hegen, vergleichen sich
lat. cruor, litth. kraujas, sl. kr”v’, poln. böhm. krew, ir. cru, welsch 1011
crau, welche alle blut ausdrücken. in diesem wort treffen also sämt-
liche urverwandte sprachen zusammen nur mit abweichender form und
hedeulung: wer sollte im mlat. rö und franz. corps oder chair die-
selbe wurzel vermuten?
Das ahd. lleisc, alts. flöse, ags. flsesc, engl, flesh, nl. vlösch,
fries. fläsc scheint ursprünglich fettes fleisch zu bedeuten, wie man
aus fleisc caro, arvina bei Graff 3, 775 und dem altn. flesk, schwed.
fläsk, dän. flesk lardum ersieht, wofür ahd. speh nhd. speck gilt, die
Deutschen müssen also gern fettes fleisch genossen haben, aber schon
den ags. dichtem war fheschoma gleichbedeutend mit licboma. der-
selben wurzel ist das sl. pf’f in den freising, denkm. pulti,
russ. plof, sloven. polt fleisch und haut, böhm. polt, poln. polec
Speckseite, litth. pallis Speckseite, lelt. paltas blutwurst. unser aus-
lautendes -sc scheint zu nehmen wie in altn. beiskr dän. besk mor-
dax acerbus von blta.
Da der nord. spräche, wie wir sahen, flesk lardum ist, so drückt
sie o«p£ und x.Qtag durch andere Wörter aus.
ou()'£ durch altn. hold, schwed. hüll, dän. buhl; holdgröinn heiszt
Saem. 271a ins fleisch gewachsen, ags. ist hold cadaver Matth. 24,
28. es begegnet dem ir. colan body, flesh, gal. colann body.
y.Qtag durch altn. kiöt, schwed. költ, dän. köd kiöd; die Nieder-
länder setzen kuit für den fleischigen theil des beins, die wade, wie
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FLEISCH
702
man plattcl. sagt: he het kiit in de bene, fleisch in den heinen,
starke waden. ktlten lieiszt den bauch aufschneiden, ausweiden,
schlachten, kütelhank fleischbank, engl, gut f. eingeweide. im hochd.
ist nichts ähnliches, vgl. ir. cua eszbares fleisch, unverwandt aber
ist lat. cutis, altn. hüd.
2d()'§ selbst scheint schwerer deutung. die Aeoler sagten für
oupxsg ovgy.tg, für guqE,i ovpy.toi (Ahrens s. 78.) man braucht kein
digamma gFuq\'% f. guq'6, zu hülfe zu rufen, ßenfey 1, 423 hat, dünkt
mich, treffend auf das skr. asridsch und asra sanguis (Bopp 25b. 26a)
gewiesen, litth. ist srawju ich blute, lelt. assins sanguis, und wir
1012 empfangen dadurch bestäligung des skr. kravja caro und litth. kraujas
sanguis. den Lazen lieiszt das blut dischir. *
Das sl. tjelo, böhm. telo, slov. telö, serb. lijelo, poln. ciato be-
deutet ow/iia und ouq"£, leih und leichnam.
Gleichen sinn hat das litth. kunas, ir. gal. cun.
Ir. und gal. ist feol, feoil eszbares fleisch und fett, fuil blut;
welsch cig das thierische, cnawd das menschliche fleisch, jenem cun
und kunas ähnlich, ir. und gal. auch bruith thierisches eszbares fleisch.
altsl. troup” cadaver nTW/ua, poln. trup, böhm. traup, slov. truplo.
Den Lappen ist eszbares geschlachtetes fleisch piärgo, biergo,
ungeschlachtetes ädtje, oaadzhie, menschliche haut (schwed. hüll) aber
asse, illje, like.
Während also skr. döha und mänsa, goth. leik und mimz, gr.
od()'§ und y.Qtagy altn. hold und kiöt, sl. tjelo und mjaso, ir. feol und
cun unterschieden sind, fallen in unserm fleisch und im lat. caro beide
begriffe zusammen.
Wichtiges aber ergibt sich aus allen diesen benennungen der
milch und des fleisches für die durchdringende nahe oder ferne Ver-
wandtschaft der europäischen Völker.
Führten beide hauptnamen der milch zurück auf sanskrilwurzeln,
so verbürgt zugleich die einstimmige abweichung aller europäischen
sprachen in zwei consonanten von dem sanskrit das feste, eigentluim-
liche band unter ihnen, milch wie lac zeigen L, aber in milch ent-
sprang es aus R, in lac aus D. unmittelbarer berühren sich phena
und pjena, feim und piimä.
Auf die namen der einfachen Stoffe des fleisches und der milch
konnte die römische herschaft nicht einwirken, aber für die bereilung
der milch verbreitete sie ihr selbst erst von den Griechen erborgtes
butyrum und ihr caseus über einen groszcn theil von Europa, nur
1013nicht nach dem Norden, der das einheimische smiör feslhallend von
den lappischen nomaden ost und misa empfieng. lapp, wuoi greift über
in ags. hvaeg,- nl. wei, und lapp, zluuoggar scheint sogar bis ans
Schweiz, ziger zu reichen; uralt sein musz die Übereinkunft des finn.
hera mit lat. serum und sl. ser, sir.
* nach der s. 721 angezognen stelle tranken die Geten sogar pferdeblut mit
milch vermischt.
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HIRTEN
703
Mögen die Kelten auch cais aus caseus entlehnt haben, ihr im
butter und meog serum stehn höchst eigentümlich, wie sie für die
einfache milch eine fülle von Wörtern bewahren.
Über dem gr. xvQog schwebt ein dunkel, das vielleicht durch die
thrakischen und golh. benennungen wäre erhellt worden.
Wie wunderbar stimmen mänsa mimz mjaso miesa, deha leik liha
und kravja hraiv yqtug caro zusammen, fleisc und kiöt bestimmen
aber einen gegensatz zwischen den übrigen Deutschen und Scandinaven,
und während fleisc dem sl. plot, begegnet hold dem keltischen colan.
es mag eine zeit gegeben haben, wo alle Deutschen ein dem golh.
mimz entsprechendes wort besaszen, wofür sich allmälich die be-
stimmteren ausdrücke fleisc und kiöt als allgemeine benennung ein-
führten.
Zur sonderung der Alemannen von den Baiern tragen zumal anke,
ziger, schotte und topfe bei. mit Langobarden oder Burgunden schei-
nen schotte und ziger auch ins obere Italien vorgedrungen.
Fragt es sich endlich nach den namen der nomaden selbst, so
müssen sie alle auf herde und weide bezug haben.
Der hairdeis führt die hairda (sl. tschrjeda), wie der noif.irjv die
noi/iivrj, von nwv faihu pecu (s. 28.) noif.i7]v ist litth. pienni (oben
s. 955.) ahd. hirti, litth. kerdzus. von ahd. chortar ags. corder
leitet sich chortari pastor (oben s. 706), wozu man stelle das mhd.
‘das vihe chören3 Maria 158, 37. von haltan custodire heiszt der hirt
ahd. haltari, die hirtin haltarä, noch heute in Ostreich und Salzburg
halter, halterin, vgl. das eddische geitr halda Ssem. 163a . altn. gaeta
custodire, gaetir custos, hesta gaeta Saem. 266 b; ahd. warten, fihuwart
custos pecoris, alts. chuward custos equorum. altn. völlr campus, 1014
pratum, schwed. vall solum herbidum, valla, gä i vall pascere, vallhjon
custos. ahd. weida pascuum, weidari pastor. gr. vo/uog weide, vo-
yitvg hirt. lat. pascere und pastor, sl. pasli und past”ir’, pastva
pascuum, poln. pasd und pasterz, vgl. föstra alere nutrire, föstri
nutrilor. gr. ßooxsiv, ßoxrtQ ßioxcog ßcoxyg ßovxrjg und skr. pasu,
lat. pecu.
Von ohso wird gebildet ahd. ohsinari, von ovis lat. opilio, von
vervex berbix berbicarius berger, von böhm. krawa krawar, vom litth.
kiaule kiauliszus; zu suin sus unmittelbar gehörig scheint ahd. suein
subulcus, ags. svän subulcus und bubulcus, altn. sveinn puer, famulus.
gr. uinoXog f. alyonoXog, bei Homer aber ainoXog aiycov von noXea),
ßovxoXog und innoßovxoXog von xoXeco, beide verba bedeuten ich
treibe.
Für unser südliches hirlenleben kommen zwei ausdrücke in be-
tracht, sennalp in der Schweiz, in Tirol, Baiern und Steier, schweigalp
in Ostreich, Schwaben bis in die Schweiz, dort sind scnnhütten, senner
und Sennerinnen, hier schweigen, Schweiger und schweigerinnen.*
sennen heiszt käse bereiten (Schm. 3, 253), wie ich vorhin (s. 1002)
* vgl. für die Donaugegend Jägers Ulm s. G04—606.
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704
HIRTEN
vermutete, die milch abrahmen und gerinnen machen. Schott redet
auch hei den Deutschen auf Monte rosa von Sennhütten und Senne-
rinnen, ohne uns bestimmt zu sagen, dasz unter ihnen dieser name
gelte; sein glossar versäumt schotte und ziger oder was dort dafür
gesagt wird anzugeben, s. 98 meldet er, dasz im deutschen Wallis,
in Tirol und Steier nur frauen, in Niederwallis, der Schweiz und
Oberwallis aber männer die alpenwirtschaft besorgen, vgl. Schm. 3, 253.
Sueiga ist schon in. ahd. glossen armentum, vaccaritia und sueigari
armentarius (GralT 6, 862), das denkmal von der Schwabenehe ver-
bindet cswaner und swaige3 und vorher Cchüriche und chuzal’; Schm.
3, 531 erklärt schwaig durch viehhof, N. ps. 50, 21 sagt: chalber,
nals 1‘one dero sueigo genomeniu. das wort erscheint aber in keiner
andern unsrer sprachen.
1015 Auf den salzburgischen alpen heiszen die sennhülten kaser (Matth.
Koch s. 302), Schm. 2, 335 schreibt käser; ahd. zi den chäsarum
ad cameram pastoralem (Graff 4, 525), der sg. lautete wahrscheinlich
chäsara. mlat. fromageria locus ubi casei fiunt vel asservantur. davon
wird der alpknecht käser, die sennerin käserin (span, quesara) genannt,
der käser aber auch melcher, und diese von der milch und käse-
bereitung entnommnen ausdrücke bestätigen meine deutung des senners
und der sennerin.
Von der alp selbst führt der Schweiger, senner oder käser zugleich
den namen alper, alber, wie auf den steirischen alpen planiniz, von
planina alp oder bergweide serb. bergwald, poln. plonina. die senne-
rin oder schweigerin ist gleichviel mit der alperin oder almerin. auch
heiszt in Baiern der alpweideplalz leger, hochleger und niederleger
(hochalpe und niederalpe) und davon der käse legerkäs MB. 2, 83
(a. 1443) vgl. Schm. 2, 453.
Die Engländer mit einem wort, das ich nirgends erklärt finde,
nennen kuhweide und milcherei dairy. ich will eine Vermutung wagen:
den Angelsachsen war dägrim diluculum, aurora, wie aefenrim crepus-
culum, für dägrim hat die ags. Chronik das erweichte däirim und
daraus könnte leicht dairy geworden sein, das also die zeit des tag-
anbruchs, wo gemolken wird, bezeichnet, ein solcher ausdruck aus
dem hirtenleben war das homerische vvxrog u/uoXyat bald für des
morgens, bald des abends dämmerung. aus dem galischen airidh wird
dairy nicht entsprungen sein, Macleod gibt die erklärung: hillpasture or
suminerresidence for herdsmen and cattle, unser Sommerfrische (s. 19.)
Alle diese ausdruckesweisen athmen einfache sitte eines hohen
altertlmms, wo frau und tochter des hirlen wie dienende mägde (vgl.
s. 71) die herde molken, butter und käse bereiteten, wo milch butter
und käse die weisze speise (in Schweden hvit mat), fleisch die rolhe
war. gewis unter nomaden zuerst entsprang das durch die ganze
volkspoesie ziehende gleichnis von milch und blut, und der monats-
namc Thrimilci (s. 80. 92. 110. 798.) den Lappen ist geronnene
1016 und zerstückle milch eine arl münze (Klemm 3, 21), wie die haut
des viehs, der pelz des wilds das älteste geld war.
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HIRTEN
705
Der hirt zeigt uns das einfache Vorbild des fürsten, des noi/urjv
7mu>v, und sein haselstab* erscheint wieder im zepter der könige.
Den gegensatz der tirolischen senner und heimer, die rückfahrt
von der ahn, den stolz das unflätigste liemd nach hause zu bringen,
die durch alle tlieile Deutschlands verbreitete silte des killgangs oder
gasselgehns hat Sleub in seinem schon s. 23 angezognen huch leben-
dig geschildert, man vgl. Tobler s. 421b. manches davon soll in
meinem werk über die deutsche sitte in helleres licht gesetzt werden.
* hafa i hendi lieslikylfo. Ssem. 136b„ das Miilbauser stadtrecht sagt von
dem liirten, der das notligeschrei einer frau vernimmt: di lierte sal och volge
mit siner kulin unde mit sime crummin stabe, unde sal daz vi laze ste.
45
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
XLII.
SCHLUSS.
1017 Unsere spräche verleugnet weder ihren Ursprung aus Asien, noch
den raum, der ihr in Europa angewiesen wurde, die Deutschen fan-
den ihre stelle in der mitte von Römern und Kelten gegen Süden und
westen, von Lappen, Finnen, Litthauern und Slaven gegen norden und
osten, aus diesem osten her geschah der einzug und noch lange zeit
hielten die hintersten Germanen ferne strecken besetzt, welche nachher
von Slaven, zuletzt von Ungern und Türken zugedeckt wurden, die alte
deutsche spräche vermittelt sich also durch Thrakien auch mit der
griechischen und ohne dies Verhältnis würden wol manche ihrer eigen-
heilen unaufgeklärt bleiben.
Die Stellung der europäischen sprachen gegeneinander musz aber
weit länger als unsre geschichle hinauf reicht bestanden haben, da sie
nicht blosz auf äuszerlich von den nachbarn erborgte Wörter, sondern
auf innere seit undenklicher zeit waltende gemeinschaft oder abneigung
gegründet ist. man langt nicht aus damit diese von nachweisbarem
angrenzen oder fernliegen abhängig zu machen, vielmehr können auch
ältere in der geschichte verschollene Verhältnisse wirksam gewesen sein,
wie z. b. lieszen sich einzelne eigenheiten der zendischen lautregel,
die im griechischen und welschen sich wiederholen, anders fassen?
1018 uralte berührung musz gewaltet haben, doch niemand kann sagen zu
welcher zeit und an welchem ort.
Sprachliche Verwandtschaft zeigt sich in den einfachen lauten,
bildungen, flexionen, fügungen und dem wortvorralb.
Den vocalismus des sanskrit hat allein die gothische spräche ur-
lautcr bewahrt, aus der trilogie A I U entsprieszt die der declina-
tionen, und die zwiefache der diphthonge, deren Verdichtung längen
herbeiführt (s. 843.)
Nur im sanskrit konnte guna, nur im deutschen konnte ablaut
durchdringen, jenes als reines lautgesetz, dieser als dynamische, die
wurzeln des verbums wie die flexionen des nomens bcherschende re-
gel. was sich in den übrigen urverwandten sprachen dem guna
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CO
0
.c
o
m
SCHLUSS 707
und ablaut vergleichen läszt sind nichts als bruchstücke und annähe-
rungen.
Vocalbrechungen haben eine gewisse analogie zu den diphthongen,
die sich auch darin erzeigt, dasz aus beiden Verengungen hervorgehn,
ähnlich dem £ und 0 entspringen E und 0, mit dem unterschied jedoch,
dasz jene, gleich den diphthongen, länge bewirken, E und 0, gleich
den brechungen, kurz bleiben, die gebrochnen vocale sind also nur
pseudodiphthongischer natur und gehn durch Uuszern anlasz, die diph-
thonge unsers ablauts quellen aus innerm trieb hervor.
Den brechungen zur seite hat unsere spräche im verlauf der zeit
auch umlaute entfaltet, die äuszerlich hervorgerufen zuletzt dynami-
schen schein gewinnen, wie in den nhd. pluralen und conjunctiven.
Solcher bewegung der vocale gegenüber waltet auch die der con-
sonanten und man kann sagen, dasz ähnlich dem deutschen vocalismus
der keltische consonantismus dynamisch ward (s. 368. 391.) von der
keltischen consonantregel erscheint unsere spräche gleichsam nur an-
geweht (s. 377.)
Dafür haben die deutschen consonanten eine innere, den übrigen
urverwandten sprachen fast unerhörte Umwälzung erfahren, dasz die
gothische, niederdeutsche und nordische auf gleichem fusz stehende
lautverschiebung kein ohnmächtiger trieb war. geht hervor aus ihrem
wiederholen bei den hochdeutschen Stämmen, der ganze kreis aller
stummen consonanten muste durchlaufen werden.
Was die übrigen consonanterscheinungen betritt, so ist unsere
spräche gleich dem sanskrit, latein, den Slaven, Litthauern und Iren
dem S, die zendische, griechische, welsche, finnische dem H zugethan
(s. 299. 300), wonach sich der gr. Hermes zusammenstellt mit Sar-
mana *. Dagegen lieben es die Slaven kehllaute in ziselier zu wandeln,
ihrem Z in az entspricht wieder das zendische azem, skr. aham (s. 257.
260), wie zend. vazämi skr. vahämi, lat. veho, goth. wiga lautet; sl.
zlato ist goth. gulj), sl. zima lat. hiems, gr. /ei/iiMy, bereza alul. pi-
richa; litth. SZ hat goth. H zur seite (s. 385.) ein solches Z — H
scheint auch bei Geten und anderwärts (s. 712) aufzutauchen, später
treten Zischlaute unter Schweden, Friesen, Engländern vor (s. 387.
388.) dem litth. szü und aszwa begegnet selbst skr. svä asvä, zend.
spA aspa, sl. p’s” psa, während die übrigen den reinen kehllaut halten
(s. 38. 40.) R aus S entstehn läszt die deutsche allmälich gleich
der lat. spräche (s. 314.) fragendes K haben skr. zend., latein, litth.
sl. und laulverschobnes II die deutsche spräche, P die griecli. osk.
* dasz die Griechen für vXrj früher sagten avXrj = lat. sylva (s. 303) erhellt
aus dem ort ^y.anrrjavXrj in Thrakien, wo Thukydides im bann den ersten pe-
lop. krieg schrieb, man sehe sein leben von Marcellinus, auch bei Herod. 6,
46 zu lesen ix ^Sxmtrr^ovXrjs, nicht Zxamrii vlrfi. Steph. byz. hat SSy.mtrrj
vXt], der name mahnt mich an unsre deutsche sage von dem scheftewalt (cod.
pal. 361, 91"), walt aber, alts. wald, ags. veald erhebt groszern anspruch auf
Verwandtschaft mit saltus und aloos (nach dem Wechsel zwischen V und S), als
alts. ags. holt, ahd. holz.
45*
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708 SCHLUSS
welsche (s. 346) und gleiche lautneigung wiederholt sich noch in an-
dern Wörtern.
Die aspiralion ist im skr. griech. deutschen und keltischen mäch-
tig entfaltet (s. 344. 359. 380. 390), hei Kelten und einigen West-
deutschen auch aspiralion der mediae (s. 345.) hingegen sind die
1020 Litlhauer ohne aspirata (s. 344. 380), die Slaven ohne TH TH
(s. 344), die Römer ohne CII TII und ihr F musz beide mit ver-
treten.
Das gr. digamma gleicht dem lat. V, welschen GW und irischen
F (s. 296. 297), aber auch deutsche mundarten lassen ihr V in W,
GW und G übertreten, wie digamma schwand, schwanden uns V vor
VL VR (vgl. altn. s. 297), II vor 1IL IIR und in der mitte von Zu-
sammensetzungen (s. 298. 544) oder den Romanen deutsches II im
anlaut; unser H seihst ist last nur erweichtes CII. lat. gieng II her-
vor aus älterem F (s, 348.)
Während die lappische, finnische, estnische, ungrische spräche
kein genus unterscheiden, sind im sanskrit, zend, griech., lat., deut-
schen und slav. drei geschlechler entfaltet, im litthauischen, romani-
schen, keltischen gebricht das neulrum aber ist wahrscheinlich aus-
gestorben, wie im dänischen masc. und fern, zusammengeronnen sind.
In der deutschen lateinischen griechischen und keltischen decli-
nation gelten nur wenig, im sanskrit, slavischen und litthauischen aber
viel casus (s. 927.)
Die vollendeteste verbalflexion erscheint im sanskrit und griechi-
schen, grosze vorziige hat auch die lateinische, lillhauische und slavi-
sche; die deutsche, keltische und romanische stehen nach, doch ist
der gothischen noch reduplication mit dem sanskrit, griech. und lat.
gemein,' welche Litthauern, Slaven und Kelten abgeht, äuszerlich aber
erscheint die golh. reduplication,. und was ihr in den übrigen deut-
schen sprachen entspricht, als jüngere, der schon eine ältere, zu den
gr. und lat. Wörtern stimmende musz vorausgegangen sein (s. 874.)
In sämtlichen urverwandten sprachen treffen zusammen cardina-
lia (s. 239), persönliche pronomina (s. 257), verbum subslanlivum
(s. 265) und Verwandtschaftswörter (s. 266); auszerdem eine anzahl
einzelner Wörter, wie sol (s. 301), nox (s. 276), cor (s. 329), vul-
pes (s. 332), pecu (s. 28), canis (s. 38), nomen (s. 153), vermis
(s. 383), duxgv (s. 403), dexter (s. 986.)
1021 Oft aber entfernen vom sanskrit die europäischen sprachen sich
darin, dasz sie einen buchstab der wurzel verwandeln, und namentlich
pflegt in ihnen L statt des skr. R oder D aufzulreten: skr. sürjas
lat. sol; skr. sara lat. sal gr. uXg goth. salt; skr. dirghas sl. dl”g”
litlh. ilgas; skr. deha goth. leik; skr. d6vr lat. levir; skr. dugdha lat.
lac. doch in einzelnen sprachen haftet die alte lingualis, z. b. das
litlh. adj. surus salsus bewahrt sein R, und darum scheint gr. dui]Q
alterthümlicher als lat. levir. nicht anders verhalten sich dingua tuggö
zunkä zu lingua, duy.Qv tagr zahar zu lacrima, sidabras zu silapar,
ahd. pad ags. bäd altn. bod zu ßaXavnov balneum. zumal belehrend
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SCHLUSS
709
ist, wenn beide formen mit verschiedner bedeutung neben einander auf-
treten, z. b. vargs = skr. vrka und vulfs = lat. vulpes (neben lupus
= Xvxog — wilkas) s. 347.
Cap. XIII — XVII sind eine menge Wörter ausgehoben worden,
die in den urverwandten sprachen zusammen stimmen, und man
weisz wie vielfach sich auch ihre praeposilionen und conjunclionen
begegnen.
Grosz ist der einklang griechischer zur deutschen spräche, wo-
bei ich besonders die gr. vorneigung zum ablaut (s. 861), die gr. und
goth. reduplication, und die noch nicht genug ins licht gesetzte gleich- 0,xarn,[,\ö66
heit des infinitivischen ausgangs auf N anschlage, wichtig scheint die
begegnüng~ von oida und vait, l'yco und aih, d'aqotco und gadars, /.u-
fiovu und man, ytyova und kann, obschon mit abweichendem sinn,
<pi'io und visa (s. 430), SlSwfu und tuom (s. 887), Ybr^/it und stäm
(s. 888), fju und iddja (s. 889), d/.akyco und milka, vtf.ao und nima,
rqtyco und [tragja, xXtnrto und hlifa, nllxto und flihlu. man erwäge
ferner 6 tj to und sa so jiata, f.irtv und möna (s. 352), Sdxqv und
lagr, yövv und kniu, oSovg und tun|ms, d-tvv.q und ahd. tenar, xqtag
und hraiv, &rtQ und dius, vielleicht auch und biari (s. 844),
ovg und sil, oig und aus, yr\v und gans, oqvig und arn ags. earn
altn. örn, nwv und faihu, yoTqog und gris, tyivog igil, xvtov und
hunds, OQfpuvog und arbja *, axöxog oxid und skadus, &vqa und 1022
daurö, yvvtj und qinö, Sqvg und triu, St-vÖqov und timbr (s. 336),
xdlu(.iog bahn, trog und aj>n, vvE, und nahts, nrjnog und hof, dxorrj
und hein (s. 434), frv/iiog und toum, nolv und filu, und
maiza, (.itycng und mikils, noixlXog und faihs, ywXog und halts, varms
und &t()/ii6g (s. 799.) Nicht zu übersehn auch, wenn ein wort zwar
in andern urverwandten sprachen gleichfalls vorhanden, in der gr. und
deutschen durch besonderheit der form oder des sinns sich auszeich-
net. invög drückt wie goth. auhns, ahd. ovan, schwed. ugn furnus
aus, ist aber das skr. agnis, lat. ignis, sl. ogn’, litth. ugnis, P in ln-
vog verhält sich wie in 'innog equus. ('dwp lautet auf R aus wie
das ahd. wazar, ags. väter, welsche dwr, während goth. vatö, sl. voda
ohne R sind, wiederum stimmt jivq zu ahd. fiur, ags. altn. fyr, die
Gothen haben funa. Bei so entscheidender übereinkmift darf man doch
glauben, dasz unsere Vorfahren im höheren alterlhum den Griechen
örtlich näher standen, als nachher, und hier musz Thrakien in betracht
kommen, welches im norden Griechenlands unmittelbar an den von
Thessalien und Boeolien ausgcgangnen aeolischen dialect sliesz (s. 629.)
darum zeigt das aeol. nlovqtg ntavQtg (wahrscheinlich auch nhoQtg)
für rtaaaqtg (s. 242) den zum osk. petora, welschen pedwar, goth.
fidvör stimmenden labialanlaut. mahnt aber der makedonische yoq-
maiog (s. 105) an den sl. srpen und an unsern herbist (s. 798), so
hat man guten fug auch einen thrakischen monatsnamen dieser art
* denn der erbe ist orbus, waise, wie auch hcres dem gr. xtfgos sl. sir”,
litth. sirrata entspricht, skr. arbha proles. "Bopp 19*.
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SCHLUSS
vorauszusetzen, da die monatsnamen sich gern verrücken und in süd-
lichem land schon den juli geerntet werden kann, liesze vielleicht der
welsche gorphenhof, dessen deutung s. 103. 376 anders versucht
wurde, mit jenem yopmuiog und srpen, die in unsern august fallen,
sich verknüpfen.
Mit dem latein haben wir die s. 287 ff. geschilderte lauterkeil
der vocale gemein, dann im ganzen die enlhaltsamkeit heim abstufen
der mutae (s. 358. 362.) auch stimmt der allraälich eintretende
wandel des S in II (s. 310. 314), welcher Griechen Slaven Litthauern
Kelten wenig zusagt. In der flexion scheint von gewicht die analogie
1023 der lat. vocallaute schwacher verba (s. 878) und noch mehr beim
nomen (s. 922.) nicht minder gleicht sich das R der comparative
(s. 315) und IM UM der Superlative, auszer dem persönlichen pro-
nomen begegnet is ea id dem is si ita und hic haec hoc (s. 933)
dem goth. his hija, liodie dem hiutu. habere ist haban, scire saih-
van (s. 348), videre vilan, veile viljan, noscere gnoscere ahd. clinä-
han ags. cnävan und novi coepi empfangen praesensbedeutung, doch
tritt das verschieben nicht so deutlicli hervor wie im deutschen und
griechischen. Viel einzelne Wörter treffen mit unsern zusammen: ver-
tere vair[)an, molere malan, arare arjan, augere aukan, lucere liuhan,
monere manön, silere silan, tacere Joahan, serere saian, mulgere mel-
chan, lendere {lanjan, vehere vigan (s. 586); vir vair, homo hominis,
guma gumins, femina fremne, hoslis gasts, orbus arbja, equus aihvus,
pecu faihu, caper häfer, aper ebar eofor, pullus fula, porcus farah,
ovis aus, canis hunds, hoedus gait, anser f. hanser gans, piscis fisks,
vermis vaurms* aes ais, semen sämo, cornu horn, granum kaum, ovum
addi? ahd. ei, mel milif), mensa mös, armus arms, ansa axis = amsa
liumerus, corpus hraiv mhd. r6, dens tunfms, coxa hahsa (s. 681),
pellis fdl, cutis hild, genu kniu, vultus vlits, vestis vasti, monile ahd.
manili (vgl. menele Gosl. slat. 104, 36. 105, 10), hortus gards, mare
marei, aqua ahva, aequor oceanus altn. oegir ags. ögor, calamus halm,
ventus vinds, nomen namö; coecus Iiaihs, communis gamains, angustus
aggvus, paucus faus, longus laggs, vivus qius, tenuis dunni, medius
midja, viridis gehört zu aurts vaurts, apricus ahd. äpar äparo (Graft 1,
99) mhd. aeber Parz. 120, 5. sollte laetus f. daetus stehn und dem
altn. teitr ahd. zeiz entsprechen? doch ist der inlaut unverscho-
ben. Unter den monatsnamen habe ich julius dem jiuleis gleich-
gesetzt.
Die slavischen und deutschen lautverhältnisse scheinen einander
groszentheils zu widerstreben, bei den Slaven hat die aspiration ge-
ringen, der Zischlaut desto gröszern umfang; goth. Z entfaltete sich
aus R, ahd. Z aus TI1, sl. Z hingegen aus G, wie das zendische aus
1024H. auch in der stelle, welche sie dem L und R neben der muta
anweisen, weichen deutsche und sl. spräche ab (s. 325. 331.) doch
theilt das hoehd. und sl. organ miteinander die neigung zu J (s. 306.)
Redeutsamer erscheint in der flexion die doppelform sl. adjective
(s. 693) als ein anklang zur deutschen weise. In vielen einzelnen
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Wörtern herscht außerordentliche Ähnlichkeit: raogu mag, m’njeti mu-
nan, veljeti viljan, vidjeti videre vitan, brati bairan, drati tairan, kusiti
kiusan, djeliti dailjan, vlasti valdan, nuditi naujijan, grepsti graban,
doiti daddjan, znali chnähan, imu nima, lizati laigön, f’gati liugan,
liobiti ahd. liupan, plakali flökan, r”idati ahd. riozan, mozati abd. me-
stan, mljeti malan, peku peschtschi ahd. pachan alln. baka, pljasati
poln. plasac goth. plinsjan, postiti fastan, slouli ahd. hlosen, stati stan-
dan, sjejati saian, vielleicht ist auch pasti und padati dem ahd. fallan
(s. 839) gleich, mit Übergang des D in L, wobei besonders litth. pulti
zu erwägen, substantiva: shena qinö, s”in” sunus, svekr’ svaihra
(s. 304), gost gasts, skot skat, govjado bos böhm. howado pecus un-
ser kuh (s. 32), svinja svein, osT asilus, jesh’ litth. ezys ahd. igil
skr. äkhu, or’l” ara, lebed’ alpiz, m”isch’ müs, zvjer’ dius, noga vgl.
ahd. nakal und anchala (s. 340), ramo arms, pjast’ fast, pr’si poln.
piers böhm. prs vielleicht goth. brusts, rebro rippi, tschrjevo hrif
(s. 383), oko augö, oucho ausö, mljeko miluks, mjaso mimz, pl”t’
ahd. fleisc, jaitze ahd. ei, drjevo triu, dub” timbr, tr’n” fiaurnus, be-
reza piricha, zrno kaum, louk” lauk, smok’V smakka, iabl”ko apfal,
sjemja sämo, kam”i hamar (s. 955), more marei, voda vatö, zlato gulf»,
srebro silubr, st’klo stikls (s. 823), kotl” katils, shoupel” svibls (vgl.
sulphur), sol” salt, med” mel vgl. miödr mulsum, chljeb” hlaifs, snjeg”
snaivs, imja namö, noschtsch nahts, slama halm, metsch mßkeis, do-
lina dalei, dv’r’ daurö, igo juk, l’st’ lists, sljed” altn. slod, kolo ags.
hveohl engl, wheel altn. hvel schwed. hjul (die Verwandtschaft mit
jul s. 302 zweifelhaft), shr”n”v” qairnus, trud {)ruts (s. 336), monisto
mani altn. men, liod” goth. laujis ahd. liut, pl”k” volk ags. folc, dl”g”
goth. dulgs, f’isuschtscha goth. jiusundi (s. 253.) adjecliva: on” jains,
ion” juggs, nov” niujis, s”it” satur, tzjel” hails, nag” naqaj)s, pl”n” fulls, 1025
ljot’ liuts ahd. lioz, shiv” qius, innog” manags, dohr” tapfar. Diese
beispiele weisen entschiednen und gewis uralten Zusammenhang zwi-
schen Deutschen und Slaven und gestatten die s. 322 vermutete gleich—
heit des volksnamens Sueven und Slaven. stimmen sl. jar und Ijeto
zu unserm jahr und lenz (s. 73), so kann auch die Übereinkunft zwi-
schen listopad gruden und unserm laubrisi und hartmonat nicht be-
fremden. Gewicht in die wagschale legen darf vorzüglich das eintref-
fen von ausdrücken aus dem birtenleben und ackerbau, wie mljeko,
mjaso und ploug” (s. 56) mit miluks mimz und ahd. pfluoc, aber auch
von zlato und srebro mit gulj) (vgl. finn. kulta) und silubr. beide Völ-
ker, als unter ihnen die edeln metalle gangbar wurden, müssen in
nahem verkehr gestanden haben; dem erz und eisen geben sie abwei-
chende namen, das ist merkwürdig und läszt nicht zweifeln, dasz ihnen
diese in andrer zeit zukamen, goth. ais stimmt schon zum skr. ajas
und eisarn scheint blosz daraus abgeleitet, nähert sich aber der kel-
tischen benennung. das s. 9 unangeführle sl. mjed’ aes bezeichnet
im poln. mied£, böhm. med kupfer oder messing. ich finde auch ein
welsches pres für engl, brass.
Litthauische und sl. zunge stehn zu einander noch näher als eine
SCHLUSS
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SCHLUSS
von beiden zur deutschen, lind vieles, worin sie dieser begegnen, ist
ihnen gemeinschaftlich; doch hat auch jede ihre eignen beziehungen
mit unsrer spräche, leider kennen wir den gehalt der litth. nicht so
vollständig und nicht aus so alten ([uellen wie den der slavischen;
beinahe sinkt das litthauische herab zur volksmundart: desto gewalti-
ger erscheint seine anlage. Unverkennbare Verwandtschaft zeigen die
litth. declinationsvocale mit den deutschen und griechischen (s. 925)
und die doppelform des adj. (s. 963) mit der unsrigen. die einstim-
mung litth. verba zu unsrer anomalie wurde s. 909 angegeben. Gleich
den sl. Wörtern kommen überein waldyti valdan, imti niman, laizvli
laigön, malti malan, klausyti hlosen, stoweti standan, gelbeti hilpan,
pulti fallan, raudoti riozan; zyne qinö, sunus sunus, asilas asilus, erre-
1026 lis ara, fvveris dius, akis augö, ausis ausö, miesa mimz, kraujas liraiv
(s. 1010), lapas laufs , mares marei, sliklas slikls, kalilas katils, me-
dus milif), spegas snaivs, naklis nahts, durrys dauro, girna qairnus,
obolys apfal, jungas juk, tukslantis fiusundi; ans jains, jaunas juggs,
naujas niujis, lengwas leihts, gyws qius, solus sads. delna ist das sl.
dkn’ und ir. dearna, folglich ahd. tenar gr. divan. diena das sl.
d’n’ lat. dies gotii. dags. Andere aber sind unslavisch, docli in ge-
ringerer zahl: zmogus guma, aszvva aihvus, pedas fötus, ratas ahd.
rad, wardas ahd. wort, menü mena, kwetys hvaiteis; drysli gadaursan;
anlras an[>ar (s. 341.) Werth hat für bestimmung der alten heimat
der Langobarden im nordosten, dasz zwei dunkle ausdrilcke ihres ge-
setzes durch litthauische erhellt werden: treno durch trainys (s. 697.
800) und modula medela (s. 696), wozu man auch madili assis, lauc-
medili fulmen d. i. donnerkeil (Graft' 2, 707) und altn. meidr arbor
nehme, durch litth. rneilis arbor lignum, folglich holzbret. warum
sollte nicht das oft angeführte gelische xpovoruvi] wie litth. kregzde
zugleich gothischcs und langobardisches wort gewesen sein? zu laub-
risi und harlmonat fügen sich wiederum die litth. lapkristis und gro-
dinnis (s. 99.)
Wol eignen sich beiden sprachen, der sl. und litth., Wörter, die
uns gebrechen oder zu gebrechen scheinen, bei näherer forschung
aber in veränderter gestalt vorlreten. das lat. ros, sl. rosa, litth. rasa,
bat undeutsches aussehn, nimmt man hinzu griech. dgooog, so bietet
sich die goth. wurzel driusan cadere dar und das ahd. trör, ags.
dryre, altn. dreyri humor, cruor, der thau ist das fallende, slilla, gutta,
humor. sl. mjesjatz und lat. mensis, litth. menü gen. menesio sind
nur anders abgeleitet als menöjis mänöt, gehören aber zu mena und
{.irjv, wogegen luna und louna blosz lat. und sl. scheinen, im ir. luan
1027 sich wiedeffinden*. sl. nebo, skr. nabhas, erkennen die wurzel unsc-
* luna entspringt aus lucina (und Lucina ist wie Luna mondgöttin) ähnlich
dein lumen = lucimen = altn. liomi lux aus der wurzel liuhan. doch musz das
wort auch ahd. für die erscheinungen des mondlichts gegolten haben, vgl. niuwi-
lune neomenia (Graff 2, 222) und unser heutiges laune scheint von Veränderlich-
keit der mondphasen abzuleitcn. Berthoid s. 302: wan der mäne sö gar un-
stete ist, in sö maniger lüne; Karl 77*: verfluochet si diu h'ine, in der du
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res nibul alln. nifl, lat. nubes nebula, gr. vtqog vecpefo], sl. nebo bil-
det den gen. nebese, entspricht also dem litth. debesis (wie dewyni
= newyni s. 244.) sl. oba, litth. abbu, lat. ambo, gr. äfxcpw
scheinen im goth. bai und bajöf)s den anlautenden vocal einzu-
biiszen.
Selbständig zeigt sich das litthauische, wenn es kein zu zlato
und gulj) stimmendes wort hat, sondern auksas = lat. aurum f. ausum,
weder mljeko noch miluks sondern penas = skr. phena und so in viel
andern fällen, doch neben auksas besteht sidabras = silubr und
srebro.
Die wortreichen und ausgebildeten keltischen sprachen stehn uns
^Deutschen dennoch ferner als die slavische und litthauische; unver-
kennbar haben sie gröszere neigung zum latein. allein es folgt schon
aus ihrer Urverwandtschaft, dasz sie auch vielfach mit dem deutschen
und slavischen Zusammentreffen, jener gleichen benennung des goldes
und Silbers bei Deutschen und Slaven steht bedeutsam entgegen das
zu aurum und argentum gefiige or und airgjod, aur und arian, wäh-
rend sich Griechen und Litlhauer gerade in beide wortstämme theilen,
ÜQyvQog aQyvQiov zu argentum, auksas zu aurum, sidabras zu silber
stimmen, und /Qvoog sich kaum von zlato und gold trennen lassen
wird. Die Kelten müssen also gleichzeitig mit den Römern diese
edlen metalle gekannt und genutzt haben, jaran und haiarn nähern
sich aber stark dem nord. iarn und engl, iron, die doch aus eisarn
hervorgegangen scheinen, ir. umha gehört wol zu welschem efydd.
Ich gebe beispiele von andern der keltischen und deutschen zunge
gemeinsamen Wörtern, ir. mac goth. magus, ir. fear welsch gwyr
goth. vair lat. vir, ir. each goth. aihvus lat. equus, ir. gabhar welsch
gafr lat. capra caper ags. häfer altn. hafr, ir. apa welsch epa ags. apal028
ahd. affo, ir. cu welsch ci lat. canis goth. hunds, ir. muc welsch
moch nhd. mucke, welsch erydd eryr goth. ara (ir. iolar fiolar), ir.
seabhac welsch hebog ahd. hapuh (s. 797), ir. iasg welsch pysg goth.
fisks (s. 380), welsch baran ags. vrenna engl, wren, ir. croidhe
(welsch calon) hairtö, ir. corp lat. corpus goth. hraiv, ir. dcad welsch
dant lat. dens goth. tunfms, ir. dearna ahd. tenar, welsch aelod ahd.
altä gr. V.Q&QOV (s. 946), ir. lamh welsch llaw goth. löfa altn. löfi
(vgl. glöfi ags. glofa ehirotheca), ir. darach (vgl. quercus f. duercus?)
welsch dar deru derwen armor. derf, gr. öqvg sl. drjevo goth. triu,
ir. droighean welsch draen sl. tr’n” goth. j)aurnus, ir. ubhal welsch
afal ahd. apfal litth. obolys sl. jabf’ko, ir. muir welsch mör lat. mare
goth. marei, ir. dear deur welsch dagr goth. tagr, welsch haul goth.
sauil (s. 301), ir. salan welsch halen lat. sal goth. salt, ir. noehd
welsch nocht goth. nalits, ir. dja welsch dyw lat. dies goth. dags, ir.
samhra ahd. sumar (s. 798), ir. aodh ahd. eit ags. äd, ir. righ goth.
reiks lat. rex, ir. baolh goth. bauj)s, ir. caoc caec lat. coecus goth.
würde geboren; Albr. Tit. 1261: Unheil mit siner löne; Jeroschin (nach Frisch
2, 628a): in des brächmondes Kine.
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SCHLUSS
haihs, ir. nuadh welsch newydd goth. niujis, ir. sean welsch hen goth.
sins sinista lat. senior, ir. saith lat. satur goth. sads, ir. noclid welsch
noeth lat. nudus goth. naqajis, ir. cead lat. centum goth. hund (s. 250.)
keltische verba stimmen selten und gerade das zeugt von der geringe-
ren beriihrung: ir. cluinsin ahd. hlosßn, welsch gwyllysu wollen, ir.
araim welsch aradu goth. arjan lat. arare.
Viele Wörter bagegnen lateinischen, die unsrer spräche fremd sind:
ir. beith welsch bedwen betula, ir. brac welsch braich brachium, ir.
laeth welsch llith lac, ir. luan welsch llan luna (vgl. s. 1026), ir.
coileach welsch ceiliog gallus (vgl. litth. gaidys, lett. galis), ir. mil
welsch mel lat. mel, ir. und welsch tir terra, und andre in menge.
Mythologische bezöge, wie die vom welschen Gwydion auf Wodan,
vom ir. beallein auf Phol, vielleicht von nerth virtus auf Nerthus blei-
ben aber von gewicht.
Ein vorhin behauptetes näheres Verhältnis der keltischen zur la-
1029 teinischen spräche geht mehr auf den wortvorrath als die flexion, da
die lat. flexion der slavischen, litthauischen und deutschen offenbar
mehr zngewandt ist als der keltischen, die durch ihre consonanzver-
slufung ein eigenthiimliches ansehn gewinnt.
Nicht zu tibersehn ist auch, dasz in einzelnen worlgeschlech-
tern die keltische spräche von der lat. ab, auf seite der übrigen
tritt, wie in den angeführten apa ubhal darach droighean seabhac
u. a. m.
Gar nicht in den kreis unsrer urverwandten sprachen gehört die
finnische und was ihr zufällt, obgleich sie schon sehr frühe in Europa
eingewohnt gewesen sein und neben jenen ihr lager aufgeschlagen
haben musz. ihre lautverhältnisse und flexionen sind ganz abweichend
gestaltet; das eine genüge, dasz sie gar keine geschlechter unterschei-
det, aber weit gröszere casusfülle als selbst die slavische und litthaui-
sche aufstellt. Dagegen berühren sich einzelne finnische nomina, sel-
ten verba, wahrscheinlich seit undenklicher zeit mit deutschen und
urverwandten, finnische zumal mit gothischen, lappische mit nor-
dischen.
äiti, sisar, tylär sind bereits s. 267. 271 angegeben, dem goth.
mafia begegnet finn. malo, dem marei meri, dem mulda mulla, dem
paida paita, dem leik liha , dem hvajiö vahto, dem namö nimi, dem
gulj) kulla, dem ahana akana, dem goth. valö sl. voda dän. vand finn.
vesi gen. veden, ungr. viz und nach dieser analogie dürfen wir zum
goth. handus ahd. hant, die durch alle deutschen sprachen gehn, aber
allen urverwandten fremd sind, das finn. käsi gen. käden, lapp, kät,
lex. s.ctL p.XU. tscheremiss. kid, ungr. kez halten, finn. muurainen stimmt zum wel-
schen myrionen, armor. merionen, altn. maur, scliwed. myra, mnl.
miere, sl. mravii, gr. finnisches repo gen. revon zum altn.
refr, schwed. räf, finn. moukari malleus zum dän. mukker, nnl. moker,
finn. airo remus zum altn. är, finn. pelto zum alts. folda, finn. ansas
trabs zum goth. ans, finn. tapa mos gen. tavan zum alts. thau, ahd.
dau (s. 232), finn. nikuli merges zum schwed. nek, dän. neg (s. 758),
V(b
l .(Nh'iniSVr.
f-
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SCHLUSS
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finn. neiti filia zum ir. naoidhe kind und sl. neti, goth. nif>jö, lat. nep-
tis (s. 271), finn. hanhi gleicht dem lat. anser (s. 304. 402. 478), 1030
finn. hera dem lat. serum (s. 1005), finn. hartio scapula dem ahd.
harti, finn. napa dem ahd. napalo, finn. tarvet wurde s. 328 (vgl. 909)
der goth. Wurzel fiaurban überwiesen, finn. manaan ist lat. moneo,
ahd. manön. finn. arpi gen. arven cicatrix, est. arm, altn. ör, schwed.
ärr, dän. ar, und mit vortretendem N alul. narwa (nicht närwa) Graff
2, 1097, mhd. narwe Herb. 13683 nhd. narbe, mnd. nare Ssp. 1,
63. 68. Der Gothe unterscheidet zwischen aurts herba (wovon aurtja
yttoyyog, aurtigards xtjnoq) und vaurts pt£«, dem Finnen ist yrli yyrti
(dem Lappen urtes) herba, juuri radix, diese verwandtschalt wurde
schon s. 329 berührt, ich will hier einiges näher ausführen, ein ahd.
orz herba darf gefolgert werden aus orzön excolere anpflanzen (Graff
1, 477), gewöhnlich aber steht wurz für herba, olus, wurzä und wur-
zald für radix; auch ein ags. ort ergibt sich nach ortgeard hortus,
engl, ortyard orchard neben veortgeard engl, wortyard, doch veort,
vyrt engl, wort ist herba und zuweilen (Caedm. 247, 19) radix, wel-
chen begrif sonst vyrtrüma oder röt engl, root ausdrückt, das altn.
urt (auch jurt), schwed. dän. urt ist überall nur herba, urtagardr hor-
tus, verschieden von röt radix, schwed. rot, dän. rod*. Bedeutsam
kommt endlich die finn. und lapp, conjunction ja (und) mit der goth.
und ahd. jah überein.
Unsere deutsche spräche schlieszt sich demnach, und das ist aller
meiner forschungen ergebnis, leiblich zunächst an die slavische und
lilthauische, in etwas fernerm abstand an die griechische und lateini-
sche an, doch so dasz sie mit jeder derselben in einzelnen trieben
zusammenhängt, noch weiter ab liegt ihr die keltische, obwol sich
auch hier die Verwandtschaft kund gibt, viel entlegner und eigentlich
unverwandt sind die finnischen sprachen.
Durchdringende kennzeichen, wodurch wir uns von allen andern 1031
Völkern unterscheiden, gibt es vier: den ablaut, die laulverschiebung,
das schwache verbum und das schwache nomen. den laut haben wir
zweimal verschoben, den ablaut zum waltenden gesetz der starken
conjugation erhoben, die schwache declination auf substantive wie ad-
jective angewandt.
Eigenheiten, woran man die gothische spräche auf der stelle er-
kennt, sind das DD in addi baddjß tvaddjö daddjan vaddjus iddja
(s. 351), das ZD in Azdiggs gazds razda huzd (s. 313), das GM in
bagms, das ZN in razn, das ZV in izvis ubizva, das ZG in azgö, das
j)L j)R in jdaihan Jdiuhan {trafstjan (s. 350.) merkwürdige spur des
ZD in bairischer und tirolischer mundart: uscht f. ahd. ort — goth.
uzd (Schm. 1, 112), in Tirol osclit. im Chiemgau ist meschder was
sonst merder holzschlägel (Schm. 2, 614); das bestärkt die verwandt-
* röt ist = lat. radix, zu aurts und urt, vaurts und wurz aber halte ich das
lat. viridis von virere (welsch gwyrd), wie auch vom sl. zcleny viridis sich zelina
herba virens (griinigkeit), vom litth. zalias viridis zole herba, gramen ableitet.
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SCHLUSS
scliaft der Gothen und Hochdeutschen, vgl. auch dulfis und tuld (s. 92),
noch mehr die goth. ahd. conjunction jah. goth. ist brusts ahd. prust
gegenüber dem ags. breost, altn. briost.
Die goth. spräche zeigt aber manche ihr unter den deutschen
allein zuständige Wörter, an deren stelle die übrigen andere ausdrücke
verwenden, so stimmt das goth. milij) zwar zu gr.fdh fitXtrog, lat.
mel mellis (f. meltis?), ir. mil, welschem mel (vgl. ags. milisc mul-
sus, d. i. mellis liabens saporem) und dem D andrer urverwandter
sprachen (s. 355.) allein ahd. gilt honac mhd. honec alts. honig
hanig ags. fries. hunig engl, honey altn. hunäng; aus welcher wurzcl
her rührt dies seltsame wort? ich habe ans littli. kunas leib ge-
dacht, weil wir (s. 1011) sahen, dasz die Vorstellungen leib, blut
und seim (al/ua) verflieszen, mythisch aber nectar aus blut bereitet
wird, es mag ein verschollnes hun gegeben haben, aus dem honac
hunäng geleitet wurde, wie honig ist auch das allen übrigen deut-
schen sprachen gemeine verbum fallen, das ich zu sl. pasti hielt
(s. 355), den Gothen abgängig.
Andere eigenlhümlich gothische Wörter manvjan u. s. w. hebt
meine vorrede zu Schulze hervor, unter den Wortbildungen machen
1032 sich zumal die nomina auf -ubni und adverbia auf -ba bemerklich,
unter den partikeln ei dasz, uf unter, and durch.
'Wenn gleich der gothische und deutsche wortvorrath insgemein
gröszere Übereinkunft mit dem latein als dem griechischen zeigt; er-
scheint doch in einzelnen zügen der goth. flexion mehr annäherung
an das griechische, wie in sa so |iata 6 r\ to, im df.it (beide aus
ismi io fit abkommend), iddja fja, vait otda, den Superlativen -ists
und -iiTTog.
Die entfaltung des R aus S, der fast gänzliche Untergang des
dualis (s. 4S9), hingegen das stärkere vortreten des dem lat. ablaliv
ähnlichen instrumentalis (s. 488. 938) stellt den hochdeutschen stamm
näher zum latein.
Begreiflicherweise ist den Gothen auch oft fremd geblieben was
den übrigen Deutschen mit Slaven und Litthauern gemein war, z. b.
fleisc pl”t’ (s. 1011) und smerza s’mrY littli. smertis, denn das ahd.
wort musz ursprünglich den begrif der todespein enthalten haben, die
sich allmälich milderte in den des heftigen Schmerzes; zu den Altnor-
den drang der ausdruck nicht, doch haben die Schweden und Dä-
nen smärta smerte vielleicht von uns aufgenommen, aber schon ags.
galt das starke verbum smeortan dolere wie ahd. smerzan. Dafür
stimmt der Golhe mit dem Slaven in mimz plinsjan dulgs und anderm
mehr. Aber wie ganz ahd. klingen viele goth. Wörter, z. b. atisks
ezisc (mhd. ezesch escli, Swsp. s. 168. 171), aglaitei akaleizt, eisarn
isarn, gadiliggs katilinc, liuha|i hobt (altn. lios) arvjö thoptav ahd.
arawun u. s. w.
Bairisch und schwäbisch müssen wir allmälich fester unterschei-
den lernen, so vieles sie gemein haben, jenes bairische oscht lischt
wird in Schwaben nur ort lauten, bair. hie lief, schwäb. hiu liuf
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SCHLUSS
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wurde s. 869 gemutmaszt, auch Griesh. 1, 15 bestätigt liuf. bairisch
ist ertag und sunwend sunbend, schwäbisch zistag sungicht (s. 508.
853); bairisch gerhabe Vormund (Rupr. von Freis. 44), schwäbisch
pfleger oder sicherbote (Swsp. 52.) das prohibitive inin fiir ni (gramm.
3, 742) scheint alamannisch und findet sich schon in der alten glosse
Diut. 1, 495b, auch das et für als nach comparaliven (Griesh. vor-1033
rede 2, VI) verdient auhnerksamkeit. dagegen haften in der bairi-
schen Volkssprache dualformen, keine in der schwäbischen, sollte nicht
ahd. pia bairisch, pini schwäbisch sein ? auch mlul. sagt Wolfram hie,
der Glicheser und Rudolf hine bin (nicht bine bin), woher das nhd.
biene rührt. Grieshabers predigen 1, 15. 2, 122. 123 hat den pl.
Lina apes. andere ausdrücke lehrte die milchbereitung, anke und ziger
sind schwäbisch, schweizerisch, topfe bairisch. Schmeller sollte die
unbefugte aufnahme schwäbischer ausdrücke in sein bairisches Wörter-
buch dadurch gut machen, dasz er den unterschied beider mundarten
einmal ausführte.
Die fränkische spräche glänzt durch ihr CH statt des II der
übrigen (s. 543.) der niederländischen mangelt TU und für hochd.
FT bietet sie CHT (s. 349.) sie scheint einige fränkischbatavische
bestandtheile in sich aufgenommen zu haben, in denen sie sich von
dem altsächsischen entfernt, das ihr sonst fast zum gründe liegt.
Die reiche angelsächsische spräche bietet noch manches mit der
golhischen, was im hochdeutsch ausgestorben ist, namentlich das se
seo |)ät — sa so |>ata, eode = iddja *, bycgan = bugjan, ge(a^)an
•■= gadaban. doch stimmt sie auch oft zur ahd., z. b. in dide —
teta (s. 883), welches der golh. und alln. spräche fehlt, manches
andere thcilt sie mit der alln., z. b. das schon angeführte breost =
briost, äled = eldr, söt fuligo, grid pax (s. 757.) eigenthiimlich ags.
ist f>is, engl, this (s. 930.)
Des ags. grundlage bleibt gleiclnvol das alts. und heban heofon,
geban geofon (s. 655.) sind für diesen sprachstamm characteristisch;
ags. veordig vurdig praedium agellus, engl, worth, alln. urd saxetum
entspricht noch der word des Ssp. 1, 34. 2, 48; ags. spearc scin-
tilla, engl, spark, mnd. spark Ssp. 2, 51 nnl. sparkel. auch die Ver-
schiebung des R (s. 330) gehört dahin. VL und VR haben beide mit 1034
den Gothen gemein, ahd. und alln. gilt bloszes L und R, z. b. alts.
wriso lautet ahd. riso.
Das ags. cläd, fries. kläth, altn. klaedi gebricht der goth. ahd.
und alts. spräche; erst mhd. wird kleit üblich.
Man musz darauf bedacht sein von der niedersächsischen volks-
mundart die westfälische sorgsam zu scheiden; nur letztere hat z. h.
die Überbleibsel des duals im pronomen.
In der ausgibig und ungestört erhaltnen altn. spräche sind be-
r
* ich habe bedacht, ob nicht in der bekannten stelle des Hildebrandliedes
'her aet östar hina3 ein alttluiringisches praet. fiir iddja oder eode stecken könne?
wenigstens sollte aeta geschrieben sein.
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greiflich viele berührungen mit der gothisclien gesichert worden, die
unsrer hochdeutschen verloren giengen, ohne dasz dadurch der wesent-
lich hochdeutschere character des gothischen beeinträchtigt wird. Eigen-
thümlich ist im altn. der abgang des is si ita, ahd. er siu ez (s. 756)
und der praepositionen bi du {jairh (s. 756) so wie in Zusammen-
setzungen der partikeln ga- bi- und us- (s. 664. 755.) überhaupt
die neigung zum suffix, wodurch mit dynamischer Wirkung eine be-
stimmte form des nomens, auszer der schwachen, und ein passivum
entsprungen ist (s. 754), da wo goth. und ahd. spräche den artikel
dem nomen und das reflexive pronomen dem verbum vorausstellen
oder getrennt verbinden, die schwache noiriinalflexion ist durch den
Wegfall ihres nothwendigen N (s. 952. 953) verdunkelt worden, wie
er auch sonst diesem idiom zusagt (s. 338.) solchen angehängten
artikel darf man eine zweite potenz der schwachen form, die auch
auf einverleibung desselben pronomens beruht (s. 960), nennen.
Sonst fügt sich in lauten und Wörtern die nordische spräche un-
gemein zur gothischen, z. b. im U des troda = trudan, ahd. tretan
(s. 848.)
Wie das hochdeutsche dem slavischen einflusz war das nordische
dem lappischen und finnischen, das westnordische zugleich dem kelti-
schen ausgesetzt, repo drang ins altn. refr, schwed. räf, dän. räv
vor, alle übrigen Deutschen behielten fauhs oder fauhö. beim nieder-
ländischen miere (s. 1029) weisz man nicht, ob es auf welsches my-
rionen oder finn. muurainen zurückgehe, engl, blieb emmet, ags.
1035ämette, ahd. ameizä, mhd. ameize; sagte der Gothe amaitö? finn. mou-
kari verlor sich bis ins nnl. moker. aber lapp, wuosta, finn. juusto
verbreitete sich allgemein im norden, lapp, wuoi, finn. voi vielleicht
ins ags. hvseg, niederl. wei, wenn dieser Zusammenhang der richtige
ist. keltische gemeinschaft bezeugen altn. triona (s. 380) hold (s. 1011)
und dän. keit (s. 995); doch die Übereinkunft des keltischen clith
cledd mit gothischem hleidumei (s. 989) kann nicht räumlich verstan-
den werden, sie musz uralt sein.
Alle deutschen sprachen, wie weit auch ihre äste und zweige
von einander getrieben haben, fallen sichtbar demselben stamm zu und
bekennen eine mütterliche diota (jfiuda), nach der sie genannt sind;
je höher man zurücksteigt, desto ähnlicher werden sich Gothen, Hoch-
deutsche, Niederdeutsche, Scandinaven, und alle sind gleiches Ursprungs.
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SS!
REGISTER.
A 633.
A zu E 195.
A zu I, U werdend 192.195.
A zu 0 196. 197. 200.
aas 701.
feber, mhd. 710.
ablaut 584 ff. 538. 636.
accipiter 35. 281.
Acinaces 85. 131. 152.
acker 43.
ackerbau 14 f. 38 ff. 132.
Actumerus 403.
adjectivflexion 638. 665 ff.
aes 7.
Aestier 122. 499 ff. 503.
affe 284.
afres, malb. 384.
ags. dialecte 462.
ags. spräche 453 f. 459 ff.
717.
abd. spräche 340 f.
-aib, -aiba 477.
aise, frz. 247.
A I U 200 ff.
alah, ahd. 224.
Alanen 156. 160. 331 f.
Alamannen 346. 347 f.
448 f. 539.
Alces 84. vgl. 224.
alphabet 191. 240.
altar 81 f.
altn. spräche 523 ff. 718.
alts. spräche 449 ff.
altvil 657.
Amalae 313.
ambactus 93 f. vgl. 118.
374 f. 380.
Ambronen 443 f.
amme 189.
Ammius 519.
amsa, goth. 236.
Anartes 139.
andare, it. 238. 335. 617.
andere band 690.
Angeln 345. 419 f. 356.
438. 446 f. 458.
Angelsachsen 446. 457 ff.
Anglia 458.
Angrarii 437 f. 456.
Angrivarii 430. 438.
anke 696.
Anses 312 f.
Ansivarii 542. 543.
antahtoda, antsibunta, alts.
173 f. 175.
antlitz 289.
Aorsi 140. 156. 159.
apfel 285.
aran 39. ar<x
aratrum 39.
arbeit 39.
arena 244.
aries 24.
arm 229.
Armalausi 349.
Armenien 572.
Arminius 427.
art 39.
Artemis 154.
artikel 666.
artikelsuffix 667.
arx 224. A
Asaland 534. 572
Asciburgium 534. '
aspiratae 242. 276 f. 293.
-astes, fränk. 378.
Astingi 314. vgl. 333.
atta, goth. 189.
Attila 332.
Attuarii 401. 409 ff.
audire 247.
augenleuchten 89 f.
aurora 9.
aurum 7.
Austravia 499.
avena 47. 49.
Avionen 330 f.
£tz, mhd. praet. 616
az6ts, goth. 247.
B und W 301.
Baduhenna 406.
Baiern 350 f. 352. 355 f.
vgl. 485.
bair. dual 672. 674 f.
bair. mundart 715.
bair. und schwäb. 716 f.
Bajuvarii 542.
Balthae 313. 540.
-bant 412 f. 477.
Barden 475. 479.
hart 231. vgl. 246.
ßastarnen 321 ff. 556.
Bataven 400. 403. 405 f.
batav. namen 408.
Batten 403.
battudo 698.
Batua, Betuwe 405.
beide 286.
belgische Thiiringe 417 ff.
Beiisar 301. 316.
bellagines 317.
Bergio 522.
Berhtacultus 355.
bernstein 499 f.
Bessi 138. 150. 194. 313.
betze 27.
beudus 377.
biber 285. 294.
46
yMfM
essisches Staatsarchiv
** ***A
720
biene, bie 717.
U vytä Bikki 27-327-
ß>oir«.böt»Ve»>
IAO
bve cl\u.r\
'f
bindan 295.
Bingen 346.
birke 286.
biruun, biruwis, ahd. 219.
bis, imper. 301 f. vgl. 339.
blau 279.
Bleda 332.
bilde 289.
blinder Hesse 393 f. vgl.
541.
bluteid 96 f.
bock 25. 30.
bohne 2S5. 294.
Bojen 116.
Borkum 413. 473.
Bornholm 486.
Borthari 371.
Bortrini 371.
Brabant 412.
brache 43 f.
a l»\cvbrain, engl. 280.
^ //bronze 7. 8.
Bructerer 371 f. 470.
bruder 185 ff. 294.
brüderschaft 92 f. 96 f.
brunne 279.
Bucinobantes 412.
Burgunden 474 ff. 485 ff.
bürg, beiden 489 f.
bürg, spräche 490.
Buri 495 f.
Buridava 496.
bursa 95.
busy, engl. 256 f.
.butter 695 f. 702.
BuAoyvv», •
c
CaptUah
caesaries 9.
Caesia silva 338.
Canninefaten 407 f.
caper 25. 29. 285.
Carini 485. 4S6.
carmula, ahd. 229.
caro, lat. 701.
caseus 697.
Cassel 403.
CH, fränk. 379 f. 384. 385.
387. 390.
Chamaven 370 f.
Chariovalda 408.
Charudes 440 f.
Chasuarii 409. 433 f.
Chatten 345. 348. 393 ff.
400 f. 427.
Chattuarii 401. 409 f. 542.
Chauken 466 ff.
REGISTER.
chempho 442 f.
Cherusken 355. 426 ff.
434. 439.
cherusk. fürstenstamm428.
chrenechruda 387 f.
chreodiba, ahd. 161.
chunna, malb. 384 f.
cimbricum scutum 442.
coecus 713.
coelum 473.
cogito 281.
comparation 667 f.
consonantismus,
—, ahd. 256. 297 f. 304.
—, dän. 299.
—, fränk. 377 f.
—, goth. 254 f. 299.
—, griech. 252 ff.
—, kelt. 259 ff.
-, lat. 252.
—, litth. 270 f.
—, mhd. 258. 298.
—, nhd. 298.
—, Notkers 256 f. vgl.
297 f.
—, roman. 271 f.
—, slav. 268 f.
—, Wolframs 257 f.
corpus 701. 713.
Costoboci 139.
cruor 701.
curia 280.
custos 260.
Cvenas 517.
D
D und L 248 f.
D und S 247.
Dacia 509.
Dacus 509.
dadsidas, fränk. 381.
Dahae 156 f. 159. 571.
dairy, engl. 704.
Daken 124 f. 134 ff. 157.
306. 496. 508. 564.
dakische namen 141 ff.
vgl. 194. 223. 305.
559 f.
damf, ahd. 162.
Danchwolf 379.
Dänen 134. 136. 425**.
508 ff.
Dani 508.
darben 230. 626.
darf 626.
datisca 148.
dauhtar 695.
Daukionen 508.
-dava, dak. Ortsnamen 141.
561.
Davus 133.
deba, malb. gl. 161.
decaden 172 ff. vgl. 178.
Decebalus 135. 561.
declination 634 ff. 653 ff.
—, griech. 641 f.
—, lat. 640 f.
—, litth. 642 f.
demonstrativpronomen
646.
dens 713.
depandorn, ahd. 162.
-deus, fränk. 377. 378.
Deutsche 117 ff. 158. 542.
548 ff.
deutsche Wörter bei den
Römern 118.
dexter 684. 4*2/
dialecte 574 ff. 578 ff.
Diar 510.
dies 288.
digamma 207 ff.
Diobessi 313.
Dioscoridcs 141 f.
dis, goth. 295.
Dispargum 378.
Dithmarschen 439. 445.
do, lat. 613.
dolmetsch 228.
dorf 285.
dormire 229.
dorn 229.
Dorpaneus 561. 626.
Dortmund 433. 436.
Drenthe 412. DvanGt-Go-eAeÄ ^Aö
driesch 44.
dructis, lex sal. 380.
du, goth. 295.
dualis 670 ff.
—, altn. 677.
—, bair. 675.
—, hess.? 676.
—, mhd.? 674.
—, niederd. 676 f.
—, östr. 675.
dulcis 227.
dulgs, goth. 626. ,
Dulgubini 433. 22 2> üntvne*
dult 51 f. 553.
düster 236. 245.
E
E, Ursprung 193 ff. 196.
200. 203.
easy, engl. 247.
eher 25 f. 41.
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mm
REGISTER.
721
-jolle
edda 220. 528 ff. fränk. spräche 374 ff. 381.
eddo, erdo, ahd. 220. 382. 387.
247. Edica 326 ff. -6h, goth. anomal 649. EI, goth. 586. frastisibja, goth. 91. frauennamen 14. freude 17. friche, franz. 44.
eilf 171 f. Friesen 412. 464 ff. 470 f.
eisenkraut 88. fries. spräche 472 f.
Eitelwelf 395. frijön 278.
Electeo 375. Frisiabones 466.
Engern 437 f. Fulda 399.
Engriones 404. equus 21. 244. erbe 39. 709. fulluht, ags. 460. funus 284. Fur^alfny Ki>l furche 41.
erbse 46. Fuse 399. 430.
essich 300. Esten 122. 501. fuszspur 97.
Eudoses 346. 513. Externsteine 457. G
Eygotaland 514. Gallier 115 f. Gambrivii 367.
F gandr, ahn. 282. Oanaieri gans 334. &bo
F und H 244 f. Gärdene 511.
F und TH 245 f. -gast 378.
fahl 228. gauche, frz. 690.
fahs 287. Gaudae 140.307.309.312.
Fairguneis 84 f. 245. vgl. 377. 555.
Falen 438 f. -gaudus 377.
falke 211. 553. Gaut 538 f.
falkcnarten 36 f. Gautar 312. 514.
falkenjagd 31 ff. 129. 569. ftemne, femina 695. feim 695. Gautigoth 309. Gavain 211. Geätas 312. vgl. 377. Sl^-
feld 43. fßmea 695. ferkel 26. ferrum 7. feste 51. 77. fifaltra 599. füum 295. gebären der thiere 18. Gebeleizis 131. £te£>r©J\a gehn 616. 617. 572 Geismar 402. ‘ Gelduba 368. G6ne—, G6no— 376 f. Genovefa 378. 379.
Finnen 121 f. Genserich 334.
finnische spräche 6. 29. Gepiden 324 f.
179. 189.226.229.241. Germanen 374. 545 ff.
292. 527. 714. gerste 46.
fitter, malb. 385. Getenll8.119.120.123 ff.
flalis 278. 127 ff. 1380.155 ff. 194.
flaz, ahd. 279. 305 f. 308 f. 555 ff. 563
fleisch 700 ff. ff. 568.
foederati 315. Geten u. Gothen gleichbe-
Fosi 543. deutend 128. 323. 501.
fragen 278. 287. 565.
fragvvörter 242 f. getische namen 140 f. vgl.
franiea 359 f. 362. 194. 306.
francisca 361 f. getraide 44 f.
Franciscani 361. getraidenamen 46.
Franken 358 ff. 370. 374 ff. GG, goth. 23S.
vgl. 390. 399. 540. 547. 577. glesum 499. r. Godar 533. Glom™ b2
Godheimr 533.
God|>iod 507. 558.
gold 8. vgl. 229. 282.
Götaland 514.
Gothen 126 0'. 153. 305 0".
335 f. 501 f. 507. 556 f.
566.
goth. spräche 200 0'. 319 f.
338. 340 f. 578. 715.
goth. liexameter 318.
Gothi 125. 308.
Gothinen 126. 134. 502 f.
gothisches spiel in Bvzanz
316 f.
Gothones 125. 157. 308.
götter 85 01.
Göz, ahd. 309. 538.
-göz 539.
graben 286.
grand, nhd. 48.
gras 465.
Greuthungi 314. 543.
Gugerni 367 f. vgl. 491. (jud^a. IS#'
Gundioch 489.
Gungingi, Guningi 478.
Gustaf 491.
Gujta 309. 541.
Gujtans 313.
Guttonen 501 f.
gutturale gezischt 272 f.
H
H, anlautend 214.
—, deutsches 209.
—, finn. 213.
—, fränk. 3S0.
—, ir. 206.
H in der lautverschiebung
303.
H und F 244 f.
H und S 209 ff. 707.
haar und hart 397. 570.
haber 47.
ba“292f' 35' HoM
halter, hirt 703.
Hamalant 370.
liammer 280.
hamster 236.
handmiile 47 f.
hano 281.
Harier 159. 496.
Harlunge 330.
barm 229.
hartmhnot 69. 75.
hariic, ahd. 82.
Harudes 440.
Hassii 401.
9A
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722
Hattuarii 401. 409 f.
haupt des besiegten ab-*
geschlagen 99 f. 102.
164. 442.
Headobeardan 479.
Heissi, Hese 432.
lieisze pflugschar 42.
heiter 281. 290.
Heliand .449 ff.
hemera, ahd. 212.
Herbede 409.
herbst 53. 553.
Hercules 245. *VU.
heres, lat. 709.
heri, lat. 310.
Hermes 87.
Herminonen 577. 580.
Hermunduren 414 ff. 421.
Heruler 329 f. vgl. 416.
herz 231. 280.
Hessen 393 ff. 401 ff. vgl.
542.
hetja 401.
Hetvare 410. 542.
hi, pronominalstamm 647.
hic haec hoc 648.
liiems 52.
Hilleviones 522.
himmels einfall 322.
hircus 29. 233.
liirse 45.
hirten 12 f. 21. 78. 703.
hirundo 143.
Hleidra 511.
hleiduma, goth. 686..
Hoc 468.
-höc, -höh 468.
Hochdeutsche 307. 337 ff.
hoclid. spr. 307. 582..
U I hof 83. 281.
ItoLrorg^ Holtsaten 439. 440f.
honig 716.
hören 247. 281. vgl. 303.
hornung 59. 64.
hovar, ahd. 286.
Hredgotan 312.
Hugas 468 f.
hund 26 f.
Hund 395.
hundert 174ff. vgl., 178.
Hunnen 331 f. 5\b.
huntari 343 f.
hure 280.
Hygeläc 410 f. 468.
I
1 mit U wechselnd 192 f.
Ibor 476.
] 3 UTY»VTU
REGISTER.
let)u.'vic'2>?o iwl.705.
iddja, goth. 616. vgl. 717.
Ingaevonen 438. 456. 575
ff.
instrumentalis 341. 644 ff.
—, ags. 650.
—, ahd. 649.
—, altn. 651.
invidia 303.
invit, ags. 303.
invvitte, ahd. 303.
lornandes 310. 313. 317.
331. 565.
Iring 314. 415.
Irmino 375 ff. 381. 382.
Iscaevonen 575 ff.
ist 185.
Ister 139.
jah, und 715.
jahrszeiten 52 f.
jains 666.
jecur 244.
jener 666.
jer, russ. 197 f. 206. 207.
iiuleis, goth. 57 f. 66. 75 f.
vgl. 211. 317.
julius 55. 75 f. vgl. 211.
jus izvara izvis, goth. 219.
J fiten 511 ff.
Juthungi 349f. 512.
K
K fragend 242 f.
K gequetscht 272 f.
K und P wechselnd 243 f.
kalb 23.
kann 625 f.
Karl 230.
käse 697. 702.
kaser 704.
kät, mhd. 354.
Katzenellenbogen 394.
keite, dän. 690.
Kelten 16.82. 111. 115 ff.
159 503
keltisch 29. 198. 200. 603.
713 ff.
keltisch u. deutsch 713.
keltisch u. lat. 714.
Kenemare 407.
kiesel 244.
Kimbern 440 ff. 577.
Kinnin 407 f.
kiöt, altn. 701.
kirche 223. vgl. 300.
kleid 717.
knote 280. 289.
komoni, sl. 21.
könige pflügend 42.
körn 47 f. vgl.
Kotinen 502.
Köz, ahd. 377
kräuternamen 583.
kuh 23.
Kvenland 517.
229. r
lAb
L
L unstät 227 ff.
L vocalisiert 224 f.
L und D 248 f.
L und N 239.
L und R 223 f.
lac, lat. 228. 693.
lachen 281. 126= ^
laden 281. 290.
laetus 338. a
laevus 688 f.
lais, goth. 628.
laist, ahd. 628.
lamm 24.
lang 228.
Langobarden 345. 350.
474 ff. 478 ff. 485.
langob. spr. 479 f. 484 f.
Laon 370.
lappisch 226.’
lat. spräche 200 ff.
lat. und ahd. 341.
lat. und deutsch 710.
laumaent 65.
laune 712. lcvu\
laut 281.
lautabstufung 251 ff. 309.
lauter 296.
lautverschiebung 275 ff.
305. 306. 337 f. 377.
379. 480. 562. vgl. 292.
—, anlautend 277 ff.
—, ausnahnien 293 ff. 297.
303.
—, in- u. ausl. 284 ff.
—, etrusk. 292.
—, zögernd 339.
—, zwischen fmn. u. ungr.
spr. 292.
laz, höriger 288. 338.
leber 244.
left, engl. 688.
leik, goth. 253. 701.
Leire 511.
Lemovii 498.
lenz 53.
lerk, lirk 687 f.
lerz 687.
letz, bair. 686.
Liberi 314. 540.
lidus, litus 338. 377.
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• . . REGISTER. 723
liechen, mhd. 462. mel, lat. 716. YnemtiYiuin Nassau 404 f.
lingua 248 f. mensa 236. 700. 6Sy nasz 235. 405.
linke band 686 f. mensis 247. 712. / nebel 713.
. linke seite heilbringend merda 231. neid 303 f.
681. metalle 6 ff. Nemeter 346 f.
liquidae 217 ff. 290. meth 249. 290. Nerigon 521.
lis. lat. 224. metiri 288. nesthocker 17.
Litthauer 118 f. milch 692 ff. Neustria 370. 539.
litthauische spräche 196. mims, goth. 236. 700. nex 287.
200 ff. 239. 320. 711 f. mispel 234 f. Niederdeutsche 423 ff.
litth. u. deutsch 715. mist 213. niederd. spräche 449 ff.
Huf, mhd. 602. modula, medela 4S3. 712. 579. 5S2.
LL, welsch 215. mohn 2S7. niuklahs 17.
Lotkk« locus 287. mölke 698. nisse 2S1. 288.
SZZ löffel 285. monate 53 ff. 553 f. norden götterwohnung 681.
Icenelin 290. monatsnamen, Nordleudi 439.
Loc^\ longus 228. —, ags. 5611. Nordmannen 505.
cs,* lucht, luchter, nd. 688. —, ahd. 58 f. Nortkalbingi 439. ~>±'J
lucus 43. —, alban. 74. Norweden 521.
luna 712. —, altn. 66. Norwegen 521 f.
lupus 233. vgl. 243. —, bask. 74. nubes 713.
Lygier 344. 492 f. 557. —, fries. 64. nudus 286.
—, ind. 79. 54.
M —, kelt. 72 f. 0
—, lat. 55 f. •
M und N 234 ff. 238. —, litth., lapp. usw. 70 f. O, Ursprung 193 ff. 196.
—, altn. 237. —, mhd. 60 f. 203.
—, lat. 237. —, niederd. 62. obst 288.
maecheninc 303. —, niederl. 63. 65. Obstzucht 16.
Maden 402. 405. —, roman. 61. ochse 22.
mag 627. —, scandin. 65. Odinn 534 f. 538.
magnus 627. —, slav. 67 ff. odium 288.
Mähren 353. —, ungar. 74. Odoaker 326 f.
mUl 287. Mongolen 153. Oegir 532.
malberg, glosse 383 ff. mors 231. olbente, mhd. 29. 286.
malia, malb. 384. mucke 713. orchard, engl. 715.
mallobergus 389. vgl. 394. Mugilonen 495. Osnabrück 456. Osi 45% 4°)^
Mannheimr 533. müle 48. Ost 597. i J
Mannus und seine söhne mulier 695. Ostarliudi 437.
571 f. Münster 456. Ostfalen 437 f.
Marciana silva 348. vgl. 515. munter 235. Ostgothen 310 f.
mardaro, ahd. 700. muspilli 289. 483. ostr, altn. 697.
margarita 162. mutae 240 ff. 276 ff. 290. Ostrogothae 312.
margr, altn. 524. —, ahd. 257. 277. Osttliüringe 416.
Marklo 437. —, finn. 241. Otfried 382.
Markomannen 350 ff. 355. -, lat. 241. 244. Ovid 137. vgl. 189.
marpahis 481. —, litth. 241. ovis 24. 47.
Marsaci 430. -, sl. 248.
Marsen 430 ff. mutter 185 ff. 296. p
Massageten 155 ff. mvrkr, altn. 230.
materies 289. P fragend 242 f.
matte 404 f. N P und K wechselnd 243 f.
Mattiaci 404 f. P und T 245.
Mattium 402. 404 f. N 234 ff. 655 ff. 662. pascere 703.
Matyketen 156. nackt 714. Passau 406.
mediae 241. Nakanarvali 497. pastor 703.
medisch 159. name 107. pax 278.
Medofulli 457. namengebung 108. pedere 278.
Medway 457. Narisci 352. perina 278.
’ IW-VV Ml VV ftl, SV ■ W In 'tV Ml W Ml V V In1 V .
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REGISTER.
724
personalpron. 673.
Peucini 323. 578.
pferd 21 fg. 30.
pflüg 40 fl1. 48.
PH, anlaut ia hochd. Wör-
tern 299 ff.
PH und CH wechselnd
244 f.
PH und TH 245.
Phol 87.
Pii 567.
Pipin 378.
Plectrudis 378. 380.
podor, malb. 384.
polnische spr. 235.
polvgamie 13. 131 f.
Potrimpos 86. vgl. 230.
praeteritopraesentia 619 ff.
pranger 300.
Priantae 140.
priester 88. 567. 568.
pronom. pers. 179 ff. vgl.
184 f.
Pytheas 117.
Q
Q abfallend im anlaut 52.
qinö, gotli. 587 f.
QU==ZW 269.
Quaden 353 ff.
R
R, 241. anlautend 215.
II, ags., engl. 231.
R aus S 218 f. 221 ff.
227. vgl. 280. 339. 350.
R unstät 229 ff. 233.
R verschwindend 220.
rahm 695.
ratio 289.
raudus 8.
Raumaricae 312.
rö, mhd. 701.
recht und link 680 ff.
rechte liand 684 f. 691.
rechts heilbringend 682 f.
reduplication 598 ff.
Reidgotaland 514 f.
Reidgotar 312.
reliquien 103 ff.
Reudigni 498. 515. 539.
lind 22 f.
Ripuarii 368. 542.
rlsen, mhd. 462.
roggen 45.
root, engl. 715.
ros, lat. 712.
rotte, mhd. 143. vgl. 170.
Roxolanen 519 f.
Rugier 328 f. 498.
runen 110 f.
Russen 520.
RZ, poln. 223.
s
S 214. 217. 221. 241.
S und D 247.
S und H 209 ff. 707. :
S und TH 247 f.
sa, sö, gotli. 656 f.
Sacae 156. 157. 158. 159.
424.
Sachsen 159. 424 ff. 434
ff. 446 ff. 458.
sächs. schwert 425.
Sajgeatas 312.
sahne 695.
saihvan 244. 287.
Salier 369 f. 374. Hä-
salz 210. 713.
Samogeten 119. 131.
156 f.
Sarmaten 120 f. 141. 159.
vgl. 212. 227. Scunuz*
sarpere, lat. 212.
Sarus 519.
Sattagyden 158. 309.
sau 26.
Sauromaten 153.
Saxnöt 425.
saxum 424.
scal 626.
Scandinavien 505 ff.
Scania 505.
Scanzia 505.
Schädel trinkgefäsz 100 ff.
105.
schelme, mhd. 164.
schelten 627.
schild 154.
schlachten (thiere) 18.
schmachlriemen 107.
schmeer 696.
schmerz 716.
schöps 24.
schote 700.
schotte 698 f.
Schrift 109 ff.
schuh 617. 226-
Schwaben(335lT348. 355.
394. $. Suüujyv
schwäb. und bair. 716 f.
schwach und stark in dem-
selben worte 665.
schwache nomina 652 ff.
657 (ahd.). 658 (nhd.)
659 (ags.). 661 (altn.).
in and. sprachen 662 ff.
schwache verba 607 ff.
schwarz 289.
Schweden 515 ff.
Schweiger 703.
schwein 25.
Schweiz 488 f.
schwertcultus 354 f. 426.
542.
Schwester 185 ff. vgl. 255.
scire 244. 287.
Scoringa 476.
scotta, ital. 699. 703.
Sedusier 346.
Segest 378. 428.
selb 228.
Semana silva 344 ff.
Semnonen 344 f.
sennen 703 f.
senner 695.
Serbi 120.
serum, lat. 698. 702.
seusius 377.
Shamrock 211.
Sibeche 27. 327.
Sicambria 365 f.
Sif, altn. 149.
Sigambern 363 ff. 369.374.
378. 396. 577.
Sigipedes 324 f. 367.
silber 8. vgl. 224.
Silingi 495.
Sirmien 120.
sirus 164.
siscsang, ahd. 164.
Sithonen 140. 308. 517 f.
skäldskaparmäl 530.
Skiren 325 ff.
Skythen 84. 85. 87. 90.
95. 98. 103. 118. 153 f.
157, 160 f. 331.
Skvthien 152 ff.
skythisch 162 ff. 177. 223.
244.
slavan, gotli. 225.
Slaven 119 f. 133. 226.
slav. und deutsch 711.715.
slink, nl. 687.
Slovenen 226.
solin 188.
sol, lat. 211.
soldurii 93. 95. 155.
soll 626.
solmonad 64 f. 77.
sommer 52. vgl. 221.
somnus 212. vgl. 225.
sonesti, fränk. 383.
sonorpahir 483.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
REGISTER.
725
sperber 37.
Sperling 37.
spiration 206 ff.
sporkel 64. 60. 63.
spott der Völker über ein-
ander 542.
spuma 278.
Sron, ST zu SS, S 255 f.:
xGv Stammhelden 539.
. / stammsage 572.
stanco, ital. 687.
stehn 614 f.
Steier 327.
Stephanus Byzant. 566.
sterben von thieren 19.
stier 22.
stierhaut 90 f. 95.
stoppeln 48.
Sturmaren 443.
Stutenmilch 501.
Suardones 329 f.
suavis 212. 227.
Sueci 517.
Sueven 226. 342 f. 345 f.
395 f. 347. 350. 352.
353. 355. 393.
Sueven = Slaven711. 226.
Suiones 516.
sunesta, malb. 383. 384.
sunufatarung 455.
Suovenen 227. 342.
Susat 366.
sva, svü 645.
svade, ags. 227.
SviJjiod 507. 518.
swigen 225.
T für TH 308. 338.
T zeigend 242 f.
tachtich, mnl. 173.
tag 288.
talpa 303.
Tamasiten 519.
Tanculfus 379.
Tanfana 84. 162. 432.
tapfer 285.
Tarabosti 568.
tasche 683.
Tatian 382.
tatte, vater 189.
taurus 22.
tausend 176 f. 178. vgl.
385
Tectosagen 117. 160. 353.
503.
t6kan, goth. 607.
telpan, ahd. 303.
Temerinda 163. 195.
tempel 82 f.
templum 162.
Tencterer 371 f.
tenk 687.
tenne 2S4.
tepere 161. vgl. 236.
Testerbant 412.
Tetraxiten 311. 332. 544.
Teutonen 444 f. 499. 513.
548 f.
teutsch oder deutsch? 549.
texaga, malb. 386.
T1I, fränk. 380.
TH und F 245 f.
TH und S 247 f.
Thaiphali 135. 306. 313 f.
vgl. 318. 439. C*?
Thervingi 314. 415.
thier 20. Thoaarnui
Thoringi 417. a 672.
Thraker 123 ff. 136. o69.
Thrakien 709. "TT\Yu<£ IS(>.
Jjrsell, altn. 283. 287.
f>ramstei, goth. 236. 453.
Thrövendas 522.
Thule 521.
thun 611. 613 f.
tlnir 245. XWu.r>e£3a,
Thurilinge 416.
Thüringe 415 ff. 44T. 539.
Thyrsageten 156.+iux>hach;
tochter 185 ff. 695. KTp
tod 284. '/
todesmuth 89.
todtenbäume 3. 349.
toise, frz. 684.
ToliStoboji 503.
topfe 699.
torf 229. 282.
torg, schvved. 230.
Totila 189 f.
Toxaris 152. 154.
träge 296.
trahere 284. 288.
Trausi 433.
treu 296.
Triballer 135.
Triboken 346 f.
trilogie in der spräche 191.
206. 240.
trilogien der götter 84.
trinkhörner 570.
Tschuden 153.
Tubanten 411 f.
tubrugi, langob. 482.
tuerc, ahd. 291. 297.
Tungern 546 f.
tuom, ahd. 284.
Turcilingi 325 f. 416.
Turpinus 381.
Twente 412.
Tyrageten 156.
u
Ü für U 195. 198.
Ubier 368.
umlaut 193. 199.
Uppsviar 516.
Usipetes 373 f. 407.
Usipi 373.
206 ff. 214. VoUbrucUW fec»
airjaa, goth. 290. 302. J
V
vairjm,
Vandalen 332 f.
vandal. namen 334 f.
Vangionen 346 f. Vamr
vargs, goth. 230. 233.
Vaermgjar 316.
Varini 419 f. 421.
vater 185 ff. 189. 296.
Vaterland 549.
Vedergeätas 312. 514.
Veneti 333.
verbum substant. 340 f.
verschobenes praeteritum
619 ff.
Victohali, Victovali 497.
Vidivarii 500 f.
Vidsides lied 311 f. 328.
330. 332. 356. 415.
500. 515. 522.
vieh 20 ff.
Vindelici 333.
Vindili 476. 577.
vintrus 52. vgl. 381.
viss, goth. 255.
Yithones 501.
Vitländer 501.
vivus 280.
vocale der declination
633 ff. 654.
vocale 191 ff. 585 ff. 633 ff.
—, ags. 459 f. 586.
—, ahd. 203. 585 f.
—, alts. 449. 585.
—, deutsche 204.
—, finn. 204.
—, fränk. 375 ff.
—, getische 194.
—, goth. 193. 200 ff. 319.
585 ff.
—, griecli. 196. 203.592 ff.
—, irische 198 f.
—, lat. 195. 200 ff. 595 f. .
litth. 196. 200 ff.
© Hessisches Staatsarchiv M
CMC
42>
726
vocale, sl. 197 f. 204.
—, welsche 199.
volborn 554.
volk 229.
volksnamen 108. 155.
vordere hand 685.
vrastmunt, mhd. 91.
vuljius, goth. 290.
vulpes 233. 709.
w
W, deutsches 209.
W und B 301.
wagen 43.
waizen 45.
walapauz 483.
wald 707.
waldwachs 463.
wannoweho 36.
warac, ahd. 230.
Warasci 352.
warm 284. 554.
Warnen 446. A^a.
Waske 9. *
wattke 699.
weide 12. 20. 289. 703.
weiden 289. 703.
weif 27.
Welfen 395.
itxbvtj 281. 304.
cixvXos 303.
auiXyo) 693.
Avagzoi 306.
dgiozegös 689.
Aonaoidxcu 158.
ßdgtiov 23.
Bazavoi 406.
Bovadxzegoi 371.
ßovzvgov 695.
ydXa 693.
yXcSaact 231.
dcojg 248. 282. 708.
Adoi 157.
Ados 132 f. 313.
didxovos 94.
didoi/ui 614.
Aloi 133 f. 157. 313. 510.
dgd(Tos 222. 712.
Aovvoi 495.
^ kj ’Efrjxnalos 163.
r.r ' 7 fzcuqos 9< f.
™ eXco 595.
Cid 46.
REGISTER.
welsche vocale 199.
Werini 420 f. weroetv 2,18
Werra 340. 398. vgl. 421.
wesan, ahd. 301.
Wesegothae 310.
Weser 340. 456.
westen 310.
Westfalah 32.
Westfalen 437 f.
Wetterau 514.
whay, engl. 697.
Widder 24.
wilde Sahsen 435.
will 284. 624 f.
wind 303.
Winden 120. 133. 226.
Winiler 333. 476.
winkel 235.
winster 686.
winter 52. vgl. 381.
winzer 300.
Wirnt 301.
Wisbaden 373. 404.
witwenverbrennung 98.
Wlachen 226.
wolf 233.
Wolfdanch 379.
word, Ssp. 717.
worth, engl. 717.
wrcn, engl. 713.
Ci qu' 121.
Zovfxoi 495.
ijXios 211.
iddnztiv 161.
&vtjaxtu' 284.
QgyC 136. vgl. 2S4.
’lyyQiMvis 404. 438.
ligaS 36.
— t'Cw 222.
innos 244.
i'oos 253. 255.
lÖTZJfM 615.
xAcdtiv 281.
xovidss 281. Kotvv I4<>
Koqccxoi 84. 224.
Jlaids 688 f.
Avxos 233.
Maiwzis 163.
pidyaiga 303.
pdyvvui 627.
fivQfXf]C 229.
pivs 222.
Wuotan 535.
wurz 231. 232. 715.
X Y
X, frank. 380. 390.
yrias, fränk. 381.
1 Ijß.
z
Z, ahd. 277. 293.
—, armor. 277.
—, goth. 217. 219 f. 319.
zahlen 167 ff. vgl. 178 f.
243.
zahngeld 108 f.
Zalmoxis 86. 130 f. 136.
152. 155. 163. 536.
zange 372.
Zeitalter 1 ff.
zeter 355.
ziege 25.
zier 287.
ziger 698.
zimber 235.
zins 300.
Ziuwari 355. vgl. 426. 542.
ZU = QU 269.
zwei 673.
zwölf 171 f.
ovopizc 304.
Ovxqo/uvqos 403.
bgrpavös 709.
ocp&a^uos 90.
b(pgvs 304.
oy’/.os 229.
IlXtiazoi 567 f.
noXios 228.
71 vqos 45.
adgC 702.
Sißit'oi 120. 495.
aiydv 225.
alzos 45.
axcaos 689.
Zovßdzzoi 403.
Tctßiz i 161. 162.
zQtyiiv 287. 291.
Tvgayyizaz 156.
tvqos 697.
v, aussprache 196. ,
vXt] 707.
vs 41. i-jS
zpvio 301 f.
x = lat. f 244.
Druck von J. B. Uirsclifeld in Leipzig.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Gri
K ■
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77