S p.ö st
D ii rr!) Jb
Kinder- und Hausmärchen
gesammelt
durch die Brüder
Jacob und Wilhelm Grimm.
Kleine Ausgabe.
Elnunddreißigste Auflage.
Mit acht Bildern in Farbendruck
nach Zeichnungen von
Paul Meyerheim.
Berlin
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung
Harrwitz und Goßmann
1883.
3 V 3&-/H /t&l A t
Bräder Grimm
Museum
Kassel
Inhalt
Seite
1. Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich .... 1
2. Marienkind..................................... 6
3. Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen 13
4. Der Wolf und die sieden jungen Geißlein.... 25
5. Der treue Johannes............................ 29
6. Der gute Handel............................... 39
7. Die zwölf Brüder............................. 45
8. Das Lumpengesindel............................ 52
9. Brüderchen und Schwesterchen.................. 55
10. Die drei Männlein im Walde.................... 64
11. Die drei Spinnerinnen......................... 72
12. Hänsel und Gretel............................. 76
13. Von dem Fischer un syner Fru.................. 86
14. Aschenputtel.................................. 97
15. Frau Holle....................................107
16. Die sieben Raben..............................111
17. Rotkäppchen...................................115
18. Die Bremer Stadtmusikanten....................120
19. Die kluge Else................................125
20. Daumesdick....................................130
21. Daumerlings Wanderschaft......................138
22. Fitchers Vogel............................... . 144
IV
Seite
23. Von dem Machandelboom...........................149
| 24. Dornröschen.....................................160
25. Fundevogel......................................165
26. König Drosselbart...............................169
t 27. Sneewittchen....................................175
28. Rumpelstilzchen.................................187
29. Der Hund und der Sperling.......................191
30. Der Frieder und das Kaiherlieschen..............196
31. Allerleirauh....................................205
32. Jorinde und Joringel............................213
33. Hans im Glück...................................217
i 34. Der Arme und der Reiche..........................224
35. Die Gänsemagd...................................230
36. Die kluge Bauerntochter.........................238
*37. Doktor Allwissend.................................243
38. Der Zaunkönig und der Bär.......................246
39. Die klugen Leute................................250
40. Märchen von der Unke............................256
41. Der arme Müllerbursch und das Kätzchen .... 259
42. Der Jude im Dorn................................264
43. Vom klugen Schneiderlein........................270
44. Schneeweißchen und Rosenrot.....................275
45. Die vier kunstreichen Brüder....................284
46. Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein .... 290
47. Die weiße und die schwarze Braut................300
48. Die drei Faulen.................................306
49. Von dem Tode des Hühnchens......................307
50. Die Sternthaler.................................310
1.
Der Froschkömg oder der eiserne Heinrich.
In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen
hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber
die jüngste war so schön, daß die Sonne selber, die doch so
vieles gesehen hat, sich verwunderte, so oft sie ihr ins Gesicht
schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein großer
dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde
war ein Brunnen: wenn nun der Tag recht heiß war, so ging
das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den
Rand des kühlen Brunnens: und wenn sie Langeweile hatte,
so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und
fing sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.
Nun trug es sich einmal zu, daß die goldene Kugel der
Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe
gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug und ge-
radezu ins Wasser hinein rollte. Die Königstochter folgte ihr
mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der
Brunnen war so tief, daß man keinen Grund sah. Da fing
sie an zu weinen, und weinte immer lauter und konnte sich
gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu
'was hast du vor, Königstochter, du schreist ja, daß sich ein
Stein erbarmen möchte?' Sie sah sich um, woher die Stimme
Grimm, Märchen. - 1
käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken häßlichen
Kopf aus dem Wasser streckte. Mch, du bist's, alter Wasser-
patscher,' sagte sie, 'ich weine über meine goldene Kugel, die
mir in den Brunnen hinab gefallen ist.' 'Sei still,' antwor-
tete der Frosch, 'ich kann wohl Rat schaffen, aber was giebst
du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder herauf hole?' Was
du haben willst, lieber Frosch,' sagte sie, 'meine Kleider, meine
Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich
trage.' Der Frosch antwortete 'deine Kleider, deine Perlen
und Edelsteine und deine goldene Krone, die mag ich nicht:
aber wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle
und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen,
von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein
trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das ver-
sprichst, so will ich hinunter steigen und dir die goldene Ku-
gel wieder herauf holen.' 'Ach ja,' sagte sie, 'ich verspreche
dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wieder
bringst.' Sie dachte aber, 'was der einfältige Frosch schwätzt,
der sitzt im Wasser bei seinesgleichen und quakt, und kann
keines Menschen Geselle sein.'
Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte
seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen kam er
wieder herauf gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf
sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr
schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang
damit fort. Warte, warte,' rief der Frosch, 'nimm mich mit,
ich kann nicht so laufen wie du.' Aber was half ihm, daß er
sein quak quak so laut nachschrie, als er konnte! sie hörte
nicht darauf, eilte nach Haus und hatte bald den armen
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tenmal 'was willst du hier? sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl
List, oder ich werfe dich die Treppe hinab.' Der Küster dachte
'das wird so schlimm nicht gemeint sein,' gab keinen Laut von
sich und stand, als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der
Junge zum drittenmal an, und als das auch vergeblich war,
nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe
hinab, daß es zehn Stufen hinab fiel und in einer Ecke liegen
blieb. Darauf läutete er die Glocke, ging heim, legte sich,
ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die
Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte
nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte
den Jungen und fragte 'weißt du nicht, wo mein Mann ge-
blieben ist? er ist vor dir auf den Turm gestiegen.' 'Nein,'
antwortete der Junge, 'aber da hat einer dem Schallloch ge-
genüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort
geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für
einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur
hin, so werdet ihr sehen, ob ers gewesen ist, es sollte mir leid
thun.' Die Frau sprang fort und fand ihren Mann, der in
einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.
Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei
zu dem Vater des Jungen. 'Euer Junge,' rief sie, 'hat ein
großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe
hinab geworfen, daß er ein Bein gebrochen hat: schafft den
Taugenichts aus unserm Hause.' Der Vater erschrak, kam
herbei gelaufen und schalt den Jungen aus. 'Was sind das
für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben.'
'Vater,' antwortete er, 'hört nur an, ich bin ganz unschuldig:
er stand da in der Nacht, wie einer, der Böses im Sinne hat.
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Ich wußte nicht, wers war, und habe ihn dreimal ermahnt zu
reden oder wegzugehen? 'Ach,' sprach der Vater, 'mit dir er-
leb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich
nicht mehr ansehen? 'Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis
Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so ver-
steh ich doch noch eine Kunst, die mich ernähren kann? 'Lerne
was du willst,' sprach der Vater, 'mir ist alles einerlei. Da
hast du fünfzig Thaler, damit geh in die weite Welt, und sage
keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn
ich muß mich deiner schämen? 'Ja, Vater, wie ihrs haben
wollt: wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in
Acht behalten?
Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig
Thaler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße
und sprach immer vor sich hin 'wenn mirs nur gruselte! wenn
mirs nur gruselte!' Da kam ein Mann heran, der hörte das
Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie
ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte,
sagte er zu ihm 'siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit
des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das
Fliegen lernen: setz dich darunter und warte bis die Nacht
kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen? 'Wenn weiter
nichts dazu gehört,' antwortete der Junge, 'das ist leicht ge-
than; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du
meine fünfzig Thaler haben: komm nur morgen früh wieder
zu mir? Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich da-
runter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror.
machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht ging der
Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden
3
Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinabsteigen
mußte.
Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hof-
leuten sich zur Tafel gesetzt hatte, und von ihrem goldenen
Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas
die Marmortreppe herauf gekrochen, und als es oben ange-
langt war, klopfte es an der Thür und rief 'Königstochter,
jüngste, mach mir auf? Sie lief und wollte sehen, wer drau-
ßen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor.
Da warf sie die Thür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch,
und war ihr ganz angst. Der König sah wohl, daß ihr das
Herz gewaltig klopfte und sprach 'mein Kind, was fürchtest
du dich, steht etwa ein Riese vor der Thür und will dich ho-
len?' 'Ach nein,' antwortete sie, 'es ist kein Riese, es ist ein
garstiger Frosch.' 'Was will der Frosch von dir?' 'Ach, lieber
Bater, als ich gestern im Wald beim Brunnen saß und spielte,
da siel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so
weinte, so hat sie der Frosch wieder herauf geholt: und weil
er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm, er sollte mein
Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr, daß er aus sei-
nem Wasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu
mir herein.' Indem klopfte es zum zweitenmal und rief:
'Königstochter, jüngste,
mach mir auf,
weißt du nicht, was gestern
du zu mir gesagt
bei dem kühlen Brunnenwasser?
Königstochter, jüngste,
mach mir auf.'
1*
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Da sagte der König ‘was du versprochen hast, das mußt du
auch halten; geh nur und mach ihm auf.' Sie ging und
öffnete die Thür, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf
dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief
‘heb mich herauf zu dir.' Sie zauderte, bis es endlich der König
befahl. Der Frosch sprang von dem Stuhl auf den Tisch
und sprach ‘mm schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, '
damit wir zusammen essen.' Das that sie zwar, aber man sah
wohl, daß sies nicht gerne that. Der Frosch ließ sichs gut
schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bißlein im Halse. Endlich
sprach er ‘nun hab ich mich satt gegessen und bin müde,
trag mich hinauf in dein Kämmerlein und mache dein seiden
Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen.' Da fing
die Königstochter an zu weinen, sie fürchtete sich vor dem kal-
ten Frosch, den sie nicht anzurühren getraute, und der nun
in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte. Der König
aber ward zornig und sprach ‘wer dir geholfen hat als du in
der Not warst, den sollst du hernach nicht verachten.' Da
packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte
ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bette lag, kam er gekrochen
und sprach ‘ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: heb
mich heraus oder ich sags deinem Bater.' Da ward sie bitter-
böse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider
die Wand, ‘nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch.'
Als er aber herab fiel, da war er kein Frosch, sondern
ein Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Der
war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und
Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe
verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brun-
5
nen erlösen können, als sie allein, und morgen wollten sie zu-
sammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am
andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen
heran gefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten
weiße Straußfedern auf dem Kopf und gingen in goldenen
Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs, das
war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so be-
trübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden,
daß er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen,
damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der
Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen;
der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten
auf und war voller Freude über die Erlösung. Und als sie
ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn, daß
es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte
er sich um und rief:
'Heinrich, der Wagen bricht.'
Mein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in großen Schmerzen,
als ihr in dem Brunnen saßt,
als ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart).'
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg,
und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche und es
waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Hein-
rich absprangen, weil sein Herr wieder erlöst und glücklich war.
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2.
Marienkind.
Vor einem großen Walde lebte ein Holzhacker mit seiner
Frau, der hatte nur ein einziges Kind, das war ein Mädchen
von drei Jahren. Sie waren aber so arm, daß sie nicht mehr
das tägliche Brot hatten und nicht wußten, was sie ihm soll-
ten zu essen geben. Eines Morgens ging der Holzhacker
voller Sorgen hinaus in den Wald an seine Arbeit, und wie
er da Holz hackte, stand auf einmal eine schöne große Frau
vor ihm, die hatte eine Krone von leuchtenden Sternen auf
dem Haupt und sprach zu ihm 'ich bin die Jungfrau Maria,
die Mutter des Christkindleins; du bist arm und dürftig,
bring mir dein Kind, ich will es mit mir nehmen, und seine
Mutter sein und für es sorgen.' Der Holzhacker gehorchte,
holte sein Kind und übergab es der Jungfrau Maria, die
nahm es mit sich hinauf in den Himmel. Da ging es ihm
wohl, es aß Zuckerbrot und trank süße Milch, und seine Klei-
der waren von Gold und die Englein spielten mit ihm. Als
es nun vierzehn Jahr alt geworden war, rief es einmal die
Jungfrau Maria zu sich und sprach 'liebes Kind, ich habe
eine große Reise vor, da nimm die Schlüssel zu den dreizehn
Thüren des Himmelreichs in Verwahrung: zwölf davon darfst
du aufschließen und die Herrlichkeiten darin betrachten, aber
die dreizehnte, wozu dieser kleine Schlüssel gehört, die ist dir
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verboten: hüte dich, daß du sie nicht ausschließest, sonst wirst
du unglücklich? Das Mädchen versprach gehorsam zu sein,
und als nun die Jungfrau Maria weg war, fing es an und
besah die Wohnungen des Himmelreichs: jeden Tag schloß es
eine auf, bis die zwölfe herum waren. In jeder aber saß ein
Apostel, und war von Licht und Glanz umgeben. Es freute
sich über all die Pracht und Herrlichkeit, und die Englein, die
es immer begleiteten, freuten sich mit ihm. Nun war allein
noch die verbotene Thür übrig, da empfand es eine große Lust
zu wissen, was dahinter verborgen wäre, und sprach zu den
Englein 'ganz aufmachen will ich sie nicht, aber ich will sie
aufschließen, damit wir ein wenig durch den Ritz sehen? 'Ach
nein,' sagten die Englein, 'das wäre Sünde: die Jungfrau
- Maria hats verboten, und es könnte leicht dein Unglück wer-
den? Da schwieg es still, aber die Lust und Neugier in sei-
nem Herzen schwieg nicht still, sondern nagte und pickte or-
dentlich daran, und ließ ihm keine Ruhe. Und als die Eng-
lein einmal hinausgegangen waren, dachte es 'nun bin ich
ganz allein und könnte einmal hinein gucken, es weiß es ja
niemand, wenn ich es thue? Es suchte den Schlüssel heraus,
9 und als es ihn in der Hand hielt, steckte es ihn auch in das
Schloß, und als es ihn hineingesteckt hatte, drehte es auch
um. Da sprang die Thüre auf, und es sah da die Dreieinig-
keit im Feuer und Glanz sitzen und betrachtete alles mit Er-
staunen, dann rührte es ein klein wenig mit dem Finger an
den Glanz, da ward der Finger ganz golden. Da empfand
es eine gewaltige Angst, schlug die Thür heftig zu und lief
fort. Die Angst wollte auch nicht wieder weichen, es mochte
anfangen, was es wollte, und das Herz klopfte in einem fort
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und wollte nicht ruhig werden; auch das Gold blieb an dem
Finger und ging nicht ab, es mochte waschen und reiben, so
viel es wollte.
Gar nicht lange, so kam die Jungfrau Maria von ihrer
Reise zurück. Sie rief das Mädchen zu sich und forderte ihm
die Himmelsschlüssel wieder ab. Indem es den Bund hin-
reichte, blickte ihm die Jungfrau in die Augen und sprach
chast du auch nicht die dreizehnte Thür geöffnet?' Mein,' ant-
wortete es. Da legte sie ihre Hand auf sein Herz, fühlte wie
es klopfte und klopfte, und merkte wohl, daß es ihr Gebot
übertreten und die Thür aufgeschlossen hatte. Da sprach sie
noch einmal 'hast du es gewiß nicht gethan?' Mein,' sagte
das Mädchen zum zweitenmal. Da erblickte sie den Finger,
der von der Berührung des himmlischen Feuers golden ge-
worden war, und sah wohl, daß es gesündigt hatte und
sprach zum drittenmal 'hast du es nicht gethan?' Mein,' sagte
das Mädchen zum drittenmal. Da sprach die Jungfrau Ma-
ria 'du hast mir nicht gehorcht und hast noch dazu gelogen,
du bist nicht mehr würdig im Himmel zu sein.'
Da versank das Mädchen in einen tiefen Schlaf, und
als es erwachte, lag es unten auf der Erde, mitten in einer
Wildnis. Es wollte rufen, aber es konnte keinen Laut her-
vorbringen: es sprang auf und wollte fortlaufen, aber wo es
sich hinwendete, immer ward es von dichten Dornhecken zu-
rück gehalten, die es nicht durchbrechen konnte. Mitten in der
Einöde stand ein alter hohler Baum, das mußte seine Woh-
nung sein. Da kroch es hinein, wenn die Nacht kam, und
wenn es stürmte und regnete, fand es darin Schutz. Aber es
war ein jämmerliches Leben, und wenn es daran dachte, wie
9
es im Himmel so schön gewesen war und die Engel mit ihm
gespielt hatten, so weinte es bitterlich. Wurzeln und Wald-
beeren waren seine einzige Nahrung: die suchte es sich, so weit
es kommen konnte. Im Herbst sammelte es die herabgefal-
lenen Nüsse und Blätter und trug sie in die Höhle, die Nüsse
waren im Winter seine Speise, und wenn Schnee und Eis
kam, so kroch es wie ein armes Tierchen in die Blätter, daß
es nicht fror. Nicht lange, so zerrissen seine Kleider und ein
Stück nach dem andern fiel vom Leib herab. Sobald dann die
Sonne wieder warm schien, ging es heraus, und setzte sich
vor den Baum, und seine langen Haare bedeckten es von allen
Seiten wie ein Mantel. So saß es ein Jahr nach dem an-
dern und fühlte den Jammer und das Elend der Welt.
Einmal, als die Bäume wieder in frischem Grün stan-
den, jagte der König des Landes in dem Wald und verfolgte
ein Reh, und weil es in das Gebüsch geflohen war, das den
hohlen Baum einschloß, stieg er ab, riß das Gestrüppe aus
einander und hieb sich mit seinem Schwert einen Weg. Als
er nun hindurch gedrungen war, sah er unter dem Baum ein
wunderschönes Mädchen, das saß da und war von seinem
goldenen Haar bis zu den Fußzehen bedeckt. Er stand still
und betrachtete es voll Erstaunen, dann redete er es an und
sprach 'wer bist du? warum sitzest du hier in der Einöde?'
Es gab aber keine Antwort, denn es konnte seinen Mund
nicht aufthun. Der König sprach weiter 'willst du mit mir
aus mein Schloß gehen?' Da nickte es nur ein wenig mit
dem Kopf. Der König nahm es auf seinen Arm, trug es auf
sein Pferd und ritt mit ihm heim. Und als er in das könig-
liche Schloß kam, ließ er ihm schöne Kleider anziehen und
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gab ihm alles im Ueberfluß. Und ob es gleich nicht sprechen
konnte, so war es doch so schön und holdselig, daß er es von
Herzen lieb gewann, und es dauerte nicht lange, so vermählte
er sich mit ihm.
Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Königin
einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, als sie allein
in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria und
sprach 'willst du die Wahrheit sagen und gestehen, daß du die
verbotene Thür aufgeschlossen hast, so will ich deinen Mund
öffnen und dir die Sprache wieder geben, verharrst du aber
in der Sünde und leugnest hartnäckig, so nehm ich dein neu-
geborenes Kind mit mir? Da war der Königin verliehen zu
antworten, sie blieb aber verstockt und sprach 'nein, ich habe
die verbotene Thür nicht aufgemacht,' und die Jungfrau Ma-
ria nahm das neugeborene Kind ihr aus den Armen und ver-
schwand damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu
finden war, ging ein Gemurmel unter den Leuten, die Köni-
gin wäre eine Menschenfresserin und hätte ihr eigenes Kind
umgebracht. Sie hörte alles, und konnte nichts dagegen
sagen, der König aber wollte es nicht glauben, weil er sie so
lieb hatte.
Nach einem Jahr gebar die Königin wieder einen Sohn.
In der Nacht trat auch wieder die Jungfrau Maria zu ihr
ein und sprach 'willst du gestehen, daß du die verbotene Thüre
geöffnet hast, so will ich dir dein Kind wieder geben und deine
Zunge lösen: verharrst du aber in der Sünde und leugnest,
so nehme ich auch dieses neugeborene mit mir? Da sprach die
Königin wiederum 'nein, ich habe die verbotene Thür nicht
aufgemacht,' und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den
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Armen weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als
die Leute hörten, daß das Kind abermals verschwunden sei,
sagten sie laut, die Königin hätte es gefressen, und des Kö-
nigs Räte verlangten, daß sie sollte gerichtet werden. Der
König aber hatte sie so lieb, daß er es nicht glauben wollte,
und befahl den Räten bei Leibes- und Lebensstrafe nichts
mehr darüber zu sprechen.
Im dritten Jahre gebar die Königin ein schönes Töch-
terlein, da erschien ihr auch wieder nachts die Jungfrau Ma-
ria und sprach 'folge mir? Sie nahm sie bei der Hand und
führte sie in den Himmel und zeigte ihr da ihre beiden älte-
sten Kinder, die lachten sie an und spielten mit der Weltkugel.
Als sich die Königin darüber freute, sprach die Jungfrau
Maria 'willst du nun eingestehen, daß du die verbotene Thüre
geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück
geben? Die Königin antwortete zum drittenmal 'nein, ich
habe die verbotene Thür nicht geöffnet? Da ließ sie die
Jungfrau wieder zur Erde hinab sinken und nahm ihr auch
das dritte Kind.
Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle
Leute laut 'die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß
verurteilt werden!' und der König konnte seine Räte nicht
mehr zurückweisen. Es ward ein Gericht über sie gehalten,
und weil sie nicht antworten und sich nicht verteidigen
konnte, ward sie verurteilt auf dem Scheiterhaufen zu ster-
ben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie an
den Pfahl festgebunden war, und das Feuer rings umher zu
brennen anfing, da schmolz das harte Eis des Stolzes und
ihr Herz ward von Reue bewegt, und sie dachte 'könnt ich vor
meinem Tode gestehen, daß ich die Thür geöffnet habe.' Da
kam ihr die Stimme, daß sie laut rief 'ja, Maria, ich habe es
gethan!' Und alsbald fing der Himmel cm zu regnen und
löschte die Feuerflammen, und über ihr brach ein Licht her-
vor, und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden
Söhnlein zu ihren Seiten, das neugeborene Töchterlein auf
dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr 'wer seine Sünde
bereut und gesteht, dem ist sie vergeben,' und reichte ihr die
Kinder, löste ihr die Zunge und gab ihr Glück für das ganze
Leben.
13
3.
Märchen von einem, der auszog das Fürchten
}ü lernen.
Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug
und gescheit und wußte sich in alles wohl zu schicken, der
jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen:
und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie 'mit dem wird der
Vater noch seine Last haben!' Wenn nun etwas zu thun war,
so mußte es der älteste allzeit ausrichten: hieß ihn aber der
Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der
Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schauri-
gen Ort, so antwortete er wohl 'ach, Vater, es gruselt mir!'
denn er fürchtete sich. Oder wenn abends beim Feuer Ge-
schichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so
sprachen die Zuhörer manchmal 'ach, es gruselt mir!' Der
jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an, und konnte
nicht begreifen, was es heißen sollte. 'Immer sagen sie, es
gruselt mir! es gruselt mir! mir gruselts nicht: das wird wohl
eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe.'
Nun geschah es, daß der Vater einmal zu ihm sprach
'hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, und mußt
auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du,
wie sich dein Bruder Mühe giebt, aber an dir ist Hopfen und
Malz verloren.' 'Ei, Vater,' antwortete er, 'ich will gerne
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was lernen; ja, Wenns anginge, so möchte ich lernen, daß
mirs gruselte: davon verstehe ich noch gar nichts? Der älteste
lachte, als er das hörte, und dachte bei sich 'du lieber Gott,
was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein
Lebtag nichts: was ein Häkchen werden will, muß sich bei
Zeiten krümmen? Der Vater seufzte und antwortete ihm 'das
Gruseln, das sollst du schon noch lernen, aber dein Brot wirst
du damit nicht verdienen?
Bald danach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da
klagte ihm der Vater seine Not und erzählte, wie sein jüng-
ster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er
wüßte nichts und lernte nichts. 'Denkt euch, als ich ihn fragte,
womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das
Gruseln zu lernen? 'Wenns weiter nichts ist,' antwortete der
Küster, 'das kann er bei mir lernen, thut ihn nur zu mir, ich
will ihn schon abhobeln? Der Vater war es zufrieden, weil er
dachte 'der Junge wird doch ein wenig zugestutzt? Der Küster
nahm ihn also ins Haus, und er mußte die Glocke läuten. Nach
ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn auf-
stehen, in den Kirchturm steigen und läuten. 'Du sollst schon
lernen, was Gruseln ist,' dachte er, ging heimlich voraus, und
als der Junge oben war und sich umdrehte und das Glocken-
seil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schallloch ge-
genüber, eine weiße Gestalt stehen. Wer da?' rief er, aber
die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht.
'Gieb Antwort,' rief der Junge, 'oder mache daß du fort
kommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen? Der
Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glau-
ben sollte, es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zwei-
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wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß,
daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er 'du frierst un-
ten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und
zappeln? Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an,
stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los und holte sie
alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an
und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber
sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre
Kleider. Da sprach er 'nehmt euch in Acht, sonst häng ich
euch wieder hinauf.' Die Toten aber hörten nicht, schwie-
gen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös
und sprach 'wenn ihr nicht achtgeben wollt, so kann ich euch
nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,' und hing sie
nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem
Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der
Mann zu ihm, wollte die fünfzig Thaler haben, und sprach
'nun, weißt du was Gruseln ist?' 'Nein,' antwortete er, 'wo-
her sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht
aufgethan, und waren so dumm, daß sie die paar alten Lum-
pen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.' Da sah der
Mann, daß er die fünfzig Thaler heute nicht davon tragen
würde, ging fort und sprach 'so einer ist mir noch nicht vor-
gekommen.'
Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder
an vor sich hin zu reden 'ach, wenn mirs nur gruselte! ach
wenn mirs nur gruselte!' Das hörte ein Fuhrmann, der hin-
ter ihm her schritt, und fragte 'wer bist du?' 'Ich weiß nicht,'
antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter 'wo
bist du her?' 'Ich weiß nicht.' 'Wer ist dein Vater?' 'Das
Grimm, Märchen. 2
darf ich nicht sagen.' Was brummst du beständig in den Bart
hinein?' 'Ei,' antwortete der Junge, 'ich wollte, daß mirs
gruselte, aber niemand kann mirs lehren.' 'Laß dein dum-
mes Geschwätz,' sagte der Fuhrmann, 'komm, geh mit mir,
ich will sehen, daß ich dich unterbringe.' Der Junge ging
mit dein Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem
Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim
Eintritt in die Stube wieder ganz laut 'wenn mirs nur gru-
selte! wenn mirs nur gruselte!' Der Wirt, der das hörte,
lachte und sprach 'wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier
wohl Gelegenheit sein.' 'Ach schweig stille,' sprach die Wirts-
frau, 'so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt,
es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn
die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.' Der Junge
aber sagte 'wenns noch so schwer wäre, ich wills einmal ler-
nen, deshalb bin ich ja ausgezogen.' Er ließ dem Wirt auch
keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein
verwünschtes Schloß, wo einer wohl lernen könnte, was Gru-
seln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte.
Der König hätte dem, ders wagen wollte, seine Tochter zur
Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche
die Sonne beschien: in dem Schlosse steckten auch große
Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei,
und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele
wären wohl hinein, aber noch keiner wieder heraus gekommen.
Da ging der Junge am andern Morgen vor den König und
sprach 'wenns erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in
dem verwünschten Schloß wachen.' Der König sah ihn an,
und weil er ihm gefiel, sprach er 'du darfst dir noch dreierlei
19
ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und darfst das
mit ins Schloß nehmen.' Da antwortete er 'so bitt ich um
ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem
Messer.'
Der König ließ ihm das alles bei Tag in das Schloß
tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hin-
auf, machte sich in einer Kammer ein Helles Feuer an, stellte
die Schnitzbank mit dem Messer daneben, und setzte sich auf
die Drehbank. 'Ach, wenn mirs nur gruselte!' sprach er, 'aber
hier werd ichs auch nicht lernen.' Gegen Mitternacht wollte
er sich sein Feuer einmal aufschüren: wie er so hinein blies,
^ da schries plötzlich aus einer Ecke 'au, miau! was uns friert!'
^Jhr Narren,' rief er, 'was schreit ihr? wenn euch friert,
kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch.' Und wie er
das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem
gewaltigen Sprunge herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten
und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über
ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie 'Ka-
merad, wollen wir eins in der Karte spielen?' Warum nicht?
antwortete er, 'aber zeigt einmal eure Pfoten her.' Da streck-
ten sie die Krallen aus. 'Ei,' sagte er, 'was habt ihr lange
Nägel! wartet, die muß ich euch erst abschneiden.' Damit
packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und
schraubte ihnen die Pfoten fest. 'Euch habe ich auf die Fin-
ger gesehen,' sprach er, 'da vergeht mir die Lust zum Karten-
spiel,' schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er
aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu sei-
nem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und En-
den schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ket-
2»
20
tett, immer mehr und mehr, daß er sich nicht mehr bergen
konnte; die schrieen gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerr-
ten es aus einander und wollten es ausmachen. Das sah er
ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward,
faßte er sein Schnitzmesser, 'du Gesindel, fort mit dir,' rief
er, und hackte auf sie los. Ein Teil sprang weg, die anderen
schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als er wie-
der gekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer
frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm
die Augen nicht länger offen bleiben und er bekam Lust zu
schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein gro-
ßes Bett; 'das ist mir eben recht' sprach er, und legte sich hin-
ein. Als er aber die Augen eben zuthun wollte, so fing das
Bett von selbst an zu fahren, und fuhr im ganzen Schloß
herum. 'Recht so' sprach er, 'nur besser zu.' Da rollte das
Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwel-
len und Treppen auf und ab: auf einmal, hopp, hopp! warf
es um, das unterste zu oberst, daß es wie ein Berg auf ihm
lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe,
stieg heraus und sagte 'nun mag fahren, wer Lust hast,' legte
sich an sein Feuer und schlief bis es Tag war. Am Morgen
kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah,
meinte er, die Gespenster hätten ihn umgebracht, und er wäre
tot. Da sprach er 'es ist doch schade um den schönen Men-
schen.' Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach 'so
weit ists noch nicht!' Da verwunderte sich der König, freute
sich aber und fragte, wie es ihm gegangen wäre. 'Recht gut,'
antwortete er, 'eine Nacht wäre herum, die zwei anderen
werden auch herum gehen.' Als er zum Wirte kam, da machte
der große Augen. 'Ich dachte nicht,' sprach er, 'daß ich dich
wieder lebendig sehen würde, hast du nun gelernt, was Gru-
seln ist?' Mein,' sagte er, 'es ist alles vergeblich: wenn mirs
nur einer sagen könnte!'
Die zweite Nacht ging er abermals hinauf ins alte
Schloß, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder
an 'wenn mirs nur gruselte!' Wie Mitternacht herankam,
ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer
stärker, dann wars ein bißchen still, endlich kam mit lautem
Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel
vor ihm hin. 'Heda!' rief er, 'noch ein halber gehört dazu,
das ist zu wenig.' Da ging der Lärm von frischem an, es
tobte und heulte, und fiel die andere Hälfte auch herab.
'Wart,' sprach er, 'ich will dir erst das Feuer ein wenig an-
blasen.' Wie er das gethan hatte und sich wieder umsah, da
waren die beiden Stücke zusammengefahren, und saß da ein
gräulicher Mann auf seinem Platz. 'So ists nicht gemeint,'
i sprach der Zunge, 'die Bank ist mein.' Der Mann wollte ihn
wegdrängen, aber der Junge ließ sichs nicht gefallen, schob
ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz.
Da fielen noch mehrere Männer herab, die hatten neun Toten-
beine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel.
Der Junge bekam auch Lust und fragte 'hört ihr, kann ich
mit sein?' 'Ja, wenn du Geld hast.' 'Geld genug,' antwor-
tete er, 'aber eure Kugeln sind nicht recht rund.' Da nahm er
die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund.
'So, jetzt werden sie besser schüppeln,' sprach er, 'heida! nun
gehts lustig!' Erspielte mit und verlor etwas von seinem
Geld, als es aber zwölf Uhr schlug, war alles vor seinen
22
Augen verschwunden: er legte sich nieder und schlief ruhig
ein. Am andern Morgen kam der König und wollte sich er-
kundigen. Wie ist dirs diesmal gegangen?' fragte er. 'Ich
habe gekegelt,' antwortete er, 'und ein paar Heller verloren.'
'Hat dir denn nicht gegruselt?' 'Ei was,' sprach er, 'lustig
hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte, was Gruseln
wäre!'
In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank
und sprach ganz verdrießlich 'wenn es mir nur gruselte!' Als
es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine
Totenlade herein getragen. Da sprach er 'ha, ha! das ist ge-
wiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben
ist,' winkte mit dem Finger und rief 'komm, Vetterchen,
komm!' Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging
hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein toter Mann
darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis.
'Wart,' sprach er, 'ich will dich ein bißchen wärmen,' ging
ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Ge-
sicht: aber der Tote blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus,
setzte sich ans Feuer, und legte ihn auf seinen Schoß, und
rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung
kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm
ein 'wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich,'
brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn.
Über ein Weilchen ward auch der Tote warm und fing an
sich zu regen. Da sprach der Junge 'siehst du, Vetterchen,
hätt ich dich nicht gewärmt!' Der Tote aber hub an und rief
steht will ich dich erwürgen!' Was,' sagte er, 'ist das mein
Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg,' hub ihn auf,
23
warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die
sechs Männer und trugen ihn wieder fort. 'Es will mir nicht
gruseln,' sagte er, 'hier lerne ichs mein Lebtag nicht.'
Da trat ein Mann herein, der war größer als alle an-
dere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte
einen langen weißen Bart. 'O du Wicht,' rief er, 'nun sollst
du bald lernen, was Gruseln ist, denn du sollst sterben.' 'Nicht
so schnell,' antwortete der Junge, 'soll ich sterben, so muß ich
auch dabei sein.' 'Dich will ich schon packen,' sprach der Un-
hold. 'Sachte, sachte, mach dich nicht zu breit: so stark wie
du bin ich auch, und wohl noch stärker.' 'Das wollen wir sehen,'
sprach der Alte, 'bist du stärker als ich, so will ich dich gehen
lassen; komm, wir wollens versuchen.' Da führte er ihn durch
dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und
schlug den einen Amboß mit einem Schlag in die Erde. 'Das
kann ich noch besser,' sprach der Junge und ging zu dem an-
dern Amboß, und der Alte stellte sich neben hin und wollte
zusehen, und sein weißer Bart hing herab. Da faßte der
Junge die Axt, zerspaltete den Amboß auf einen Hieb und
klemmte den Bart mit hinein. 'Nun hab ich dich,' sprach der
Junge, 'jetzt ist das Sterben an dir.' Dann faßte er eine
Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte
und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichtümer
geben. Der Junge zog die Axt raus und ließ den Alten los.
Der Alte führte ihn wieder ins Schloß zurück und zeigte ihm
in einem Keller drei Kasten voll Gold. 'Davon,' sprach er,
'ist ein Teil den Armen, der andere dem König, der dritte
dein.' Indem schlug es zwölfe, und der Geist verschwand,
also daß der Junge im Finstern stand. 'Ich werde mir doch
24
heraus helfen können' sprach er, lappte herum, suchte den
Weg in die Kammer und schlief bei seinem Feuer ein. Am
andern Morgen kam der König und sagte, 'nun wirst du ge-
lernt haben, was Gruseln ist?' Mein,' antwortete er, 'was
ists nur? mein toter Vetter war da, und ein bärtiger Mann
ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber
was Gruseln ist, hat mir keiner gesagt.' Da sprach der König
'du hast das Schloß erlöst, und sollst meine Tochter heira-
ten.' 'Das ist all recht gut,' antwortete er, 'aber ich weiß
immer noch nicht, was Gruseln ist.'
Da ward das Gold herauf gebracht und die Hochzeit ge-
feiert, aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte
und so vergnügt er war, sagte doch immer 'wenn mir nur
gruselte, wenn mir nur gruselte.' Das verdroß sie endlich.
Ihr Kammermädchen sprach 'ich will Hilfe schaffen, das Gru-
seln soll er schon lernen.' Sie ging hinaus zum Bach, der
durch den Garten floß, und ließ sich einen ganzen Eimer voll
Gründlinge holen. Und nachts, als der junge König schlief,
mußte seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den
Eimer voll kalt Wasser mit den Gründlingen über ihn her-
schütten, daß die kleinen Fische um ihn herum zappelten.
Da wachte er auf und rief 'ach was gruselt mir, was gruselt
mir liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist.'
25
4.
Der Wolf und die sieben jungen Geißlein.
Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge
Geißlein, und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder
lieb hat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und
Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach 'liebe
Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor-
dem Wolf: wenn er herein kommt, so frißt er euch alle mit
Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an
seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet
ihr ihn erkennen.' Die Geißlein sagten 'liebe Mutter, wir
wollen uns schon in Acht nehmen, ihr könnt ohne Sorge
fortgehen.' Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf
den Weg.
Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Haus-
thür und rief 'macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist
da, und hat jedem von euch etwas mitgebracht.' Aber die
Geißerchen hörten an der rauhen Stimme, daß es der Wolf
war. Mir machen nicht auf,' riefen sie, 'du bist unsere
Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber
deine Stimme ist rauh: du bist der Wolf.' Da ging der
Wolf fort zu einem Krämer und kaufte sich ein großes Stück
Kreide: die aß er und machte damit seine Stimme fein.
Dann kam er zurück, klopfte an die Hausthür und rief 'macht
26
auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von
euch etwas mitgebracht.' Aber der Wolf hatte seine schwarze
Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen
'wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen
Fuß, wie du: du bist der Wolf.' Da lief der Wolf zu einem
Bäcker und sprach 'ich habe mich an> den Fuß gestoßen, streich
mir Teig darüber.' Und als ihm der Bäcker die Pfote be-
strichen hatte, so lief er zum Müller und sprach 'streu mir
weißes Mehl auf meine Pfote.' Der Müller dachte 'der
Wolf will einen betrügen,' und weigerte sich, aber der Wolf
sprach 'wenn du es nicht thust, so fresse ich dich.' Da fürchtete
sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß. Ja, so sind
die Menschen.
Nun ging der Bösewicht zum drittenmal zu der Haus-
thüre, klopfte au und sprach 'macht mir auf, Kinder, euer
liebes Mütterchen ist heim gekommen und hat jedem von euch
etwas aus dem Walde mitgebracht.' Die Geißerchen riefen
'zeig uns erst deine Pfoten, damit wir wissen, daß du unser
liebes Mütterchen bist.' Da legte er die Pfote ins Fenster,
und als sie sahen, daß sie weiß war, so glaubten sie, es wäre
alles wahr, und machten die Thüre auf. Wer aber hereinkam,
das war der Wolf. Sie erschraken und wollten sich ver-
stecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins
Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das
fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel,
das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf
fand sie alle und machte nicht langes Federlesen: eins nach
dem andern schluckte er in seinen Rachen; nur das jüngste in
dem Uhrkasten das fand er nicht. Als der Wolf seine Lust
27
gebüßt hatte, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der
grünen Wiese unter einen Baum und fing an einzuschlafen.
Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Walde
wieder heim. Ach was mußte sie da erblicken! Die Haus-
thür stand sperrweit auf: Tisch, Stühle und Bänke waren
umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und
Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder,
aber nirgend waren sie zu finden. Sie rief sie nach einander
bei Namen, aber niemand antwortete. Endlich als sie
an das jüngste kam, da rief eine feine Stimme 'liebe
Mutter, ich stecke im Uhrkasten.' Sie holte es heraus und
es erzählte ihr, daß der Wolf doch gekommen wäre und die
anderen alle gefressen hätte. Da könnt ihr denken, wie sie
über ihre armen Kinder geweint hat.
Endlich ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste
Geiß lein lief mit. Und als sie auf die Wiese kam, so lag da
der Wolf an dem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten.
Sie betrachtete ihn von allen Seiten, und sah, daß in seinem
angefüllten Bauch sich etwas regte und zappelte. 'Ach Gott,
dachte sie, 'sollten meine armen Kinder, die er zum Abend-
brot hinunter gewürgt hat, noch am Leben sein!' Da mußte
das Geißlein nach Haus laufen und Schere, Nadel und
Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Ungetüm den Wanst
auf, und kaum hatte sie einen Schnitt gethan, so steckte schon
ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie weiter schnitt, so
sprangen nach einander alle sechse heraus, und hatten nicht
einmal Schaden gelitten, denn das Ungetüm hatte sie in der
Gier ganz hinunter geschluckt. Das war eine Freude! Da
herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider,
28
der Hochzeit hält. Die Alte aber sagte 'jetzt geht und sucht
Wackersteine, damit wollen wir dem gottlosen Tier den
Bauch füllen, so lange es noch im Schlafe liegt.' Da
schleppten die sieben Geißerchen in aller Eile die Steine her-
bei und steckten sie ihm in den Bauch, so viel sie hinein bringen
konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller Geschwindigkeit
wieder zu, daß er nichts merkte und sich nicht einmal regte.
Als der Wolf ausgeschlafen hatte, machte er sich auf die
Beine, und weil er so großen Durst empfand, so wollte er zu
einem Brunnen gehen und trinken. Als er aber anfing sich
zu bewegen, so stießen die Steine in seinem Bauch an einander
und rappelten. Da rief er
'was rumpelt und pumpelt
in meinem Bauch herum?
ich meinte es wären sechs Geißlein,
so sinds lauter Wackerstein.'
Und als er an den Brunnen kam und sich über das Wasser
bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine
hinein, und er mußte jämmerlich ersaufen. Als die sieben
Geißlein das sahen, da kamen sie herbei gelaufen, riefen laut
'der Wolf ist tot! der Wolf ist tot!' und tanzten mit ihrer
Mutter vor Freude um den Brunnen herum.
29
5.
Der treue Johannes.
Es war einmal ein alter König, der war krank und dachte
*das wird wohl das Totenbett sein, auf dem ich liege? Da
sprach er 'laßt mir den getreuen Johannes konnnen. Der
getreue Johannes war aber sein liebster Diener, und hieß so,
weil er ihm sein Lebelang so treu gewesen war. Als er nun
vor das Bett gekommen war, sprach der König 'getreuester
Johannes, ich fühle, daß mein Ende heran naht, und da hab
ich keine andere Sorge als um meinen Sohn: er ist noch in
jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu raten weiß, und
wenn du mir nicht versprichst, ihn zu unterrichten in allem,
was er wissen muß, und sein Pflegevater zu sein, so kann ich
meine Augen nicht in Ruhe zuthun? Da antwortete der ge-
treue Johannes 'ich will ihn nicht verlassen, und will ihm
mit Treue dienen, Wenns auch mein Leben kostet? Da sagte
der alte König 'so sterb ich getrost und in Frieden? Und
sprach dann weiter 'nach meinem Tode sollst du ihm das ganze
Schloß zeigen, alle Kammern, Säle und Gewölbe, und alle
Schätze, die darin liegen: aber die letzte Kammer in dem lan-
gen Gange sollst du ihm nicht zeigen, worin das Bild der
Königstochter vom goldenen Dache verborgen steht. Wenn
er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu ihr empfinden,
und wird in Ohnmacht niederfallen, und wird ihretwillen in
30
große Gefahren geraten; davor sollst du ihn hüten.' Und
als der treue Johannes nochmals dem alten König die Hand
darauf gegeben hatte, ward dieser still, legte sein Haupt auf
das Kissen und starb.
Als der alte König nun zu Grabe getragen war, da er-
zählte der treue Johannes dem jungen König, was er seinen:
Vater auf dem Sterbelager versprochen hatte, und sagte 'das
will ich gewißlich halten, und will dir treu sein, wie ich ihm
gewesen bin, und sollte es mein Leben kosten.' Die Trauer
ging vorüber, da sprach der treue Johannes zu ihm 'es ist
nun Zeit, daß du dein Erbe siehst: ich will dir dein väter-
liches Schloß zeigen.' Da führte er ihn überall herum, auf
und ab, und ließ ihn alle die Reichtümer und prächtigen
Kammern sehen: nur die eine Kammer öffnete er nicht, worin
das gefährliche Bild stand. Das Bild war aber so gestellt,
daß, wenn die Thür aufging, man gerade darauf sah, und
war so herrlich gemacht, daß man meinte, es leibte und lebte,
und es gäbe nichts Lieblicheres und Schöneres auf der ganzen
Welt. Der junge König merkte aber wohl, daß der getreue
Johannes immer an der Thüre vorüberging, und sprach
'warum schließest du mir diese niemals auf!' Es ist etwas
darin,' antwortete er, 'vor dem du erschrickst.' Aber der
König antwortete 'ich habe das ganze Schloß gesehen, so will
ich auch wissen, was darin ist,' und ging und wollte die Thüre
mit Gewalt öffnen. Da hielt ihn der treue Johannes zu-
rück und sagte 'ich habe es deinem Vater vor seinem Tode
versprochen, daß du nicht sehen sollst, was in der Kammer
steht: es könnte dir und mir zu großem Unglück ausschlagen.'
'Ach,' antwortete der junge König, 'wenn ich nicht hinein
31
komme, so ists mein sicheres Verderben: ich würde Tag und
Nacht keine Ruhe haben, bis ichs mit meinen Augen gesehen
hätte. Nun gehe ich nicht von der Stelle, bis du aufge-
schlossen hast.'
Da sah der getreue Johannes, daß es nicht mehr zu ändern
war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen
aus dem großen Bund den Schlüssel heraus. Als er die
Thür der Kammer geöffnet hatte, trat er zuerst hinein und
dachte, der König sollte das Bildnis vor ihm nicht sehen: aber
was half das? der König stellte sich auf die Fußspitzen und
sah ihm über die Schulter. Und als er das Bildnis der
Jungfrau erblickte, das so herrlich war und von Gold und
Edelsteinen glänzte, da fiel er ohnmächtig zur Erde nieder.
Der getreue Johannes hob ihn auf, trug ihn in sein Bett
und dachte voll Sorgen 'das Unglück ist geschehen, Herr Gott,
was will daraus werden!' Dann stärkte er ihn mit Wein,
bis er wieder zu sich selbst kam. Das erste Wort, das er
sprach, war 'ach wer ist das schöne Bild?' 'Das ist die Königs-
tochter vom goldenen Dache,' antwortete der treue Johannes.
Da sprach der König weiter 'meine Liebe zu ihr ist so groß,
wenn alle Blätter an den Bäumen Zungen wären, sie könntens
nicht aussagen; mein Leben setze ich daran, daß ich sie er-
lange. Du bist mein getreuester Johnnes, du mußt mir
beistehen.'
Der treue Diener besann sich lange, wie es anzufangen
wäre, denn es hielt schwer, nur vor das Angesicht der Königs-
tochter zu kommen. Endlich hatte er ein Mittel ausgedacht,
und sprach zu dem König 'alles, was sie um sich hat, ist von
Gold: Tische, Stühle, Schüsseln, Becher, Näpfe und alles
32
Hausgerät: in deinem Schatze liegen fünf Tonnen Goldes,
laß eine von den Goldschmieden des Reichs verarbeiten zu
allerhand Gefäßen und Gerätschaften, zu allerhand Vögeln,
Gewild und wunderbaren Tieren, das wird ihr gefallen.
Wir wollen hinfahren und unser Glück versuchen.' Der
König ließ alle Goldschmiede zusammen kommen: sie arbeite-
ten Tag und Nacht, bis endlich die herrlichsten Dinge fertig
waren. Nun ließ der getreue Johannes alles auf ein Schiff
laden, und zog Kaufmannskleider an, und der König mußte
ein Gleiches thun, um sich unkenntlich zu machen. Dann
fuhren sie über das Meer und fuhren so lange bis sie zur
Stadt kamen, worin die Königstochter vom goldenen Dache
wohnte.
Der treue Johannes hieß den König auf dem Schiffe zu-
rückbleiben und auf ihn warten. 'Vielleicht,' sprach er, 'bring
ich die Königstochter mit, darum sorget, daß alles in Ordnung
ist, laßt die Goldgefäße aufstellen und das ganze Schiff aus-
schmücken.' Darauf suchte er sich in sein Schürzchen allerlei
von den Goldsachen zusammen, stieg ans Land und ging
gerade nach dem königlichen Schloß. Als er in den Schloß-
hof kam, stand da beim Brunnen ein schönes Mädchen, das
hatte zwei goldene Eimer in der Hand und schöpfte damit.
Und als es das goldblinkende Wasser forttragen wollte und sich
umdrehte, sah es den fremden Mann und fragte ihn, wer er
wäre? Da antwortete er 'ich bin ein Kaufmann' und öffnete
sein Schürzchen und ließ sie hinein schauen. Da rief sie 'ei,
was für schönes Goldzeug!' setzte die Eimer nieder und be-
trachtete eins nach dem andern. Da sprach das Mädchen
'das muß die Königstochter sehen, die hat so große Freude
33
an den Goldsachen, daß sie euch alles abkauft.' Es nahm ihn
bei der Hand und führte ihn hinauf, denn es war die Kammer-
jungfer. Als die Königstochter die Ware sah, war sie ganz
vergnügt und sprach 'es ist so schön gearbeitet, daß ich dir alles
abkaufen will.' Aber der getreue Johannes sprach 'ich bin nur
der Diener von einem reichen Kaufmann: was ich hier habe, ist
nichts gegen das, was mein Herr auf seinem Schiffe stehen hat
und das ist das künstlichste und köstlichste, was je in Gold ist
gearbeitet worden.' Sie wollte alles herauf gebracht haben,
aber er sprach 'dazu gehören viele Tage, so groß ist die Menge,
und so viele Säle, um es aufzustellen, daß euer Haus nicht
Raum dafür hat.' Da ward ihre Neugierde und Lust immer mehr
angeregt, so daß sie endlich sagte fführe mich hin zu dem Schiff,
ich will selbst hingehen und deines Herrn Schätze betrachten.'
Da führte sie der getreue Johannes zu dem Schiffe hin
und war ganz freudig, und der König, als er sie erblickte,
sah, daß sie noch schöner war als das Bild und meinte nicht
anders, als das Herz wollte ihm zerspringen. Nun stieg sie
in das Schiff, und der König führte sie hinein; der getreue
Johannes aber blieb zurück bei dem Steuermann und hieß das
Schiff abstoßen, 'spannt alle Segel auf, daß es fliegt wie ein
Vogel in der Luft.' Der König aber zeigte ihr drinnen das
goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schüsseln, Becher, Näpfe,
die Vögel, das Gewild und die wunderbaren Tiere. Viele
Stunden gingen herum, während sie alles besah, und in
ihrer Freude merkte sie nicht, daß das Schiff dahin fuhr.
Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kauf-
mann und wollte heim; als sie aber an des Schiffes Rand
kam, sah sie, daß es fern vom Land auf hohem Meere ging
Grimm, Märchen. Z
34
und mit vollen Segeln forteilte. 'Ach,' rief sie erschrocken,
'ich bin betrogen, ich bin entführt und in die Gewalt eines
Kaufmanns geraten; lieber wollt ich sterben!' Der König
aber faßte sie bei der Hand und sprach 'ein Kaufmann bin
ich nicht, ich bin ein König und nicht geringer an Geburt als
du bist: aber daß ich dich mit List entführt habe, das ist aus
übergroßer Liebe geschehen. Das erstemal, als ich dein Bild-
nis gesehen habe, bin ich ohnmächtig zur Erde gefallen.'
Als die Königstochter vom goldenen Dache das hörte, ward
sie getröstet, und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne
einwilligte seine Gemahlin zu werden.
Es trug sich aber zu, während sie auf dem hohen Meere
dahin fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf
dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben
erblickte, die daher geflogen kamen. Da hörte er auf zu spie-
len und horchte was sie mit einander sprachen, denn er ver-
stand das wohl. Die eine rief 'ei, da führt er die Königs-
tochter vom goldenen Dache heim.' 'Ja,' antwortete die
zweite, 'er hat sie noch nicht.' Sprach die dritte 'er hat sie
doch, sie sitzt bei ihm im Schiffe.' Da fing die erste wieder
au und rief 'was hilft ihm das! wenn sie ans Land kommen,
wird ihm ein fuchsrotes Pferd entgegen springen: da wird
er sich aufschwingen wollen, und thut er das, so sprengt es
mit ihm fort und in die Luft hinein, daß er nimmer mehr
seine Jungfrau wieder sieht. Sprach die zweite 'ist gar keine
Rettung?' 'O ja, wenn ein anderer schnell aufsitzt, das
Feuergewehr, das in den Halftern stecken muß, heraus nimmt
und das Pferd damit tot schießt, so ist der junge König
gerettet. Aber wer weiß das! und wers weiß und sagts
35
ihm, der wird zu Stein von den Fußzehen bis zum Knie?
Da sprach die zweite 'ich weiß noch mehr, wenn das Pferd
auch getötet wird, so behält der junge König doch nicht
seine Braut: wenn sie zusammen ins Schloß kommen, so liegt
dort ein gemachtes Brauthemd in einer Schüssel, und sieht aus,
als wärs von Gold und Silber gewebt, ist aber nichts als
Schwefelund Pech: wenn ers anthut, verbrennt es ihn bis
auf Mark und Knochen? Sprach die dritte 'ist da gar keine
Rettung?' '£) ja? antwortete die zweite, 'wenn einer mit
Handschuhen das Hemd packt und wirft es ins Feuer, daß
es verbrennt, so ist der junge König gerettet. Aber was
hilfts! wers weiß und es ihm sagt, der wird halbes Leibes
Stein vom Knie bis zum Herzen!' Da sprach die dritte 'ich
weiß noch mehr, wird das Brauthemd auch verbrannt, so hat
der junge König seine Braut doch noch nicht; wenn nach der
Hochzeit der Tanz anhebt, und die. junge Königin tanzt,
wird sie plötzlich erbleichen und wie tot hinfallen: und hebt
sie nicht einer auf und zieht aus ihrer rechten Brust drei
Tropfen Blut und speit sie wieder aus, so stirbt sie. Aber
verrät das einer, der es weiß, so wird er ganzes Leibes zu
Stein vom Wirbel bis zur Fußzehe? Als die Raben das
mit einander gesprochen hatten, flogen sie weiter, und der
getreue Johannes hatte alles wohl verstanden, aber von der
Zeit an war er still und traurig; denn verschwieg er seinem
Herrn, was er gehört hatte, so war dieser unglücklich: ent-
deckte er es ihm, so mußte er selbst sein Leben hingeben.
Endlich aber sprach er bei sich 'meinen Herrn will ich retten
und sollt ich selbst darüber zu Grunde gehen?
Als sie nun ans Land kamen, da geschah es, wie die
§*
36
Raben vorher gesagt hatten, und es sprengte ein prächtiger
fuchsroter Gaul daher. Wohlan,' sprach der König, 'der soll
mich in mein Schloß tragen,' und wollte sich aufsetzen, doch der
getreue Johannes kam ihm zuvor, schwang sich schnell darauf,
zog das Gewehr aus den Halftern und schoß ihn nieder. Da rie-
fen die andern Diener des Königs, die dem treuen Johannes
doch nicht gut waren, 'wie schändlich, das schöne Tier zu
töten, das den König in sein Schloß tragen sollte.' Aber der
König sprach 'schweigtund laßtihn gehen, es ist mein getreuester
Johannes, wer weiß, wozu das gut ist!' Nun gingen sie ins
Schloß, und da stand im Saal eine Schüssel, und das ge-
machte Brauthemd lag darin und sah aus nicht anders, als
wäre es von Gold und Silber. Der junge König ging
darauf zu und wollte es ergreifen, aber der treue Johannes
schob ihn weg, packte es mit Handschuhen an, trug es schnell
ins Feuer und ließ es verbrennen. Die anderen Diener
fingen wieder an zu murren und sagten 'seht, nun verbrennt
er gar des Königs Brauthemd.' Aber der junge König sprach
'wer weiß, wozu es gut ist, laßt ihn gehen, es ist mein getreue-
ster Johannes.' Nun ward die Hochzeit gefeiert: der Tanz
hub an, und die Braut trat auch hinein, da hatte der treue
Johannes acht und schaute ihr ins Antlitz: auf einmal er-
bleichte sie und siel wie tot zur Erde. Da sprang er eilends
hinzu, hob sie auf und trug sie in eine Kammer, da legte er
sie nieder, kniete und sog die drei Blutstropfen aus ihrer
rechten Brust und speite sie aus. Alsbald atmete sie wieder
und erholte sich, aber der junge König hatte es mit angesehen,
und wußte nicht, warum es der treue Johannes gethan hatte,
ward zornig darüber, und rief 'werft ihn ins Gefängnis.'
37
Am andern Morgen ward der treue Johannes verurteilt
und zum Galgen geführt, und als er oben stand und gerichtet
werden sollte, sprach er 'jeder der sterben soll, darf vor seinem
Ende noch einmal reden, soll ich das Recht auch haben?' 'Ja,'
antwortete der König, 'es soll dir vergönnt sein.' Da sprach
der treue Johannes 'ich bin mit Unrecht verurteilt und bin
dir immer treu gewesen,' und erzählte, wie er auf dem Meere
das Gespräch der Raben gehört, und wie er, um seinen Herrn
zu retten, das alles hätte thun müssen. Da rief der König, 'o
mein getreuester Johannes, Gnade! Gnade! führt ihn herun-
ter.' Aber der treue Johannes war bei dem letzten Wort, das
er geredet hatte, leblos herabgefallen, und war ein Stein.
Darüber trug nun der König und die Königin großes
Leid, und der König sprach 'ach, was hab ich große Treue so
übel belohnt!' und ließ das steinerne Bild aufheben und in
seine Schlafkammer neben sein Bett stellen. So oft er es
ansah, weinte er und sprach 'ach, könnt ich dich wieder leben-
dig machen, mein getreuester Johannes.' Es ging eine Zeit
herum, da gebar die Königin Zwillinge, zwei Söhnlein, die
wuchsen heran und waren ihre Freude. Einmal, als die
Königin in der Kirche war und die zwei Kinder bei dem
Vater saßen und spielten, sah dieser wieder das steinerne
Bildnis voll Trauer an, seufzte und rief 'ach, könnt ich dich
wieder lebendig machen, mein getreuester Johannes.' Da
fing der Stein an zu reden und sprach 'ja, du kannst mich
wieder lebendig machen, wenn du dein Liebstes daran wen-
den willst.' Da rief der König 'alles, was ich auf der Welt
habe, will ich für dich hingeben.' Sprach der Stein weiter
*wenn du mit deiner eigenen Hand deinen beiden Kindern
— 38 —
den Kopf abhaust und mich mit ihrem Blute bestreichst, so
erhalte ich das Leben wieder.' Der König erschrak, als er
hörte, daß er seine liebsten Kinder selbst töten sollte, doch
dachte er an die große Treue, und daß der getreue Johannes
für ihn gestorben war, zog sein Schwert und hieb mit eige-
ner Hand den Kindern den Kopf ab. Und als er mit ihrem
Blute den Stein bestrichen hatte, kehrte das Leben zurück,
und der getreue Johannes stand wieder frisch und gesund
vor ihm. Er aber sprach zum König 'deine Treue soll nicht
unbelohnt bleiben,' und nahm die Häupter der Kinder, setzte
sie wieder auf und bestrich die Wunde mit ihrem Blut: davon
wurden sie im Augenblick wieder heil, und sprangen herum
und spielten fort, als wäre ihnen nichts geschehen. Nun war
der König voll Freude, und als er die Königin kommen sah,
versteckte er den treuen Johannes und die beiden Kinder in
einen großen Schrank. Wie sie hereintrat, sprach er zu ihr
Hast du gebetet in der Kirche?' 'Ja,' antwortete sie, 'aber
ich habe beständig an den treuen Johannes gedacht, daß er
so unglücklich durch uns geworden ist.' Da sprach er 'liebe
Frau, wir können ihm das Leben wiedergeben, aber es kostet
uns unsre beiden Söhnlein, die müssen wir opfern.' Die
Königin ward bleich und erschrak im Herzen, doch sprach sie
'wir sinds ihm schuldig wegen seiner großen Treue.' Da
freute er sich, daß sie dachte, wie er gedacht hatte, ging hin
und schloß den Schrank auf, und holte die Kinder und den
treuen Johannes heraus und sprach 'Gott sei gelobt, er ist
erlöst, und unsere Söhnlein haben wir auch wieder,' und
erzählte ihr, wie es sich alles zugetragen hatte. Da lebten sie
zusammen in Glückseligkeit bis an ihr Ende.
39
6.
Der gute Handel.
Ein Bauer, der hatte seine Kuh auf den Markt getrieben
und für sieben Thaler verkauft. Auf dem Heimweg wußte
er an einem Teich vorbei, und da hörte er schon von weitem,
wie die Frösche riefen 'ak, ak, ak, ak.' 'Ja,' sprach er für sich,
'die schreien auch ins Haberfeld hinein: sieben Thaler sinds,
die ich gelöst habe, keine acht.' Als er zu dem Wasser heran-
kam, rief er ihnen zu 'dummes Vieh, das ihr seid! wißt ihrs
nicht besser? sieben Thaler sinds und keine acht.' Die Frösche
blieben aber bei ihrem 'ak, ak, ak, ak.' 'Nun, wenn ihrs nicht
glauben wollt, ich kanns euch vorzählen,' holte das Geld aus
der Tasche und zählte die sieben Thaler ab, immer vierund-
zwanzig Groschen auf einen. Die Frösche kehrten sich aber
nicht an seine Rechnung und riefen abermals 'ak, ak, ak, ak.'
'Ei,' rief der Bauer ganz bös, 'wollt ihrs besser wissen als
ich, so zählt selber,' und warf ihnen das Geld mit einander
ins Wasser hinein. Er blieb stehen und wollte warten, bis
sie fertig wären und ihm das Seinige wieder brächten, aber
die Frösche beharrten auf ihrem Sinn, schrieen immerfort 'ak,
ak, ak, ak,' und warfen auch das Geld nicht wieder heraus.
Er wartete noch eine gute Weile, bis der Abend einbrach und
er nach Haus mußte, da schimpfte er die Frösche aus, und
rief 'ihr Wasserpatsch er, ihr Dickköpfe, ihr Klotzaugen, ein
40
groß Maul habt ihr und könnt schreien, daß einem die Ohren
weh thun, aber sieben Thaler könnt ihr nicht zählen: meint
ihr, ich wollte da stehen, bis ihr fertig wärt?' Damit ging
er fort, aber die Frösche riefen noch 'ak, ak, ak, ak' hinter ihm
her, daß er ganz verdrießlich heim kam.
Ueber eine Zeit erhandelte er sich wieder eine Kuh, die
schlachtete er, und machte die Rechnung, wenn er das Fleisch
gut verkaufte, könnte er so viel lösen, als die beiden Kühe
wert wären, und das Fell hätte er obendrein. Als er nun
mit dem Fleisch zu der Stadt kam, war vor dem Thore ein
ganzes Rudel Hunde zusammen gelaufen, voran ein großer
Windhund: der sprang um das Fleisch, schnupperte und bellte
'was, was, was, was.' Als er gar nicht aufhören wollte,
sprach der Bauer zu ihm sta, ich merke wohl, du sagst 'was,
was,' weil du etwas von dem Fleisch verlangst, da sollt ich
aber schön ankommen, wenn ich dirs geben wollte.' Der
Hund antwortete nichts als 'was, was.' 'Willst dus auch
nicht wegfressen und für deine Kameraden da gut stehen?'
'Was, was,' sprach der Hund. 'Nun, wenn du dabei beharrst,
so will ich dirs lassen, ich kenne dich wohl und weiß, bei wem
du dienst. Aber das sage ich dir, in drei Tagen muß ich mein
Geld haben: du kannst mirs nur hinaus bringen.' Darauf
lud er das Fleisch ab und kehrte wieder um: die Hunde machten
sich darüber her und bellten laut 'was, was.' Der Bauer,
der es von weitem hörte, sprach zu sich 'horch, jetzt verlangen
sie alle was, aber der große muß mir einstehen.'
Als drei Tage herum waren, dachte der Bauer 'heute
Abend hast du dein Geld in der Tasche' und war ganz ver-
gnügt. Aber es wollte niemand kommen und auszahlen.
41
Ms ist kein Verlaß mehr auf jemand,' sprach er, und endlich
riß ihm die Geduld, daß er in die Stadt zu dem Fleischer
ging und sein Geld forderte. Der Fleischer meinte, es wäre
ein Spaß, aber der Bauer sagte 'Spaß bei Seite, ich will
mein Geld: hat der große Hund euch nicht die ganze geschlach-
tete Kuh vor drei Tagen heim gebracht?' Da war der Flei-
scher zornig, griff nach einem Besenstiel und jagte ihn hinaus.
Wart,' sprach der Bauer, 'es giebt noch Gerechtigkeit auf
der Welt!' und ging in das königliche Schloß und bat sich
Gehör aus. Er ward vor den König geführt, der da saß
mit seiner Tochter und fragte, was ihm für ein Leid wider-
fahren wäre? 'Ach,' sagte er, 'die Frösche und Hunde haben
mir das Meinige genommen, und der Metzger hat mich dafür
mit dem Stock bezahlt,' und erzählte weitläufig, wie es zu-
gegangen war. Darüber fing die Königstochter laut an zu
lachen, und der König sprach zu ihm 'Recht kann ich dir hier
nicht geben, aber dafür sollst du meine Tochter zur Frau ha-
ben; ihr Lebtag hat sie noch nicht gelacht, als eben über dich,
und ich habe sie dem versprochen, der sie zum Lachen bringen
könnte. Du kannst Gott für dein Glück danken.' 'O,'
antwortete der Bauer, 'ich will sie gar nicht; ich habe daheim
nur eine einzige Frau, und die ist mir schon zu viel: wenn
ich nach Haus konlme, so ist mir nicht anders, als stände in
jedem Winkel eine.' Da ward der König zornig und sagte
'du bist ein Grobian.' 'Ach, Herr König,' antwortete der
Bauer, 'was könnt ihr von einem Ochsen anders erwarten
als Rindfleisch.' Warte,' erwiederte der König, 'du sollst einen
andern Lohn haben. Jetzt pack dich fort, aber in drei Tagen
komm wieder, so sollen dir fünfhundert vollgezählt werden.'
— 42 —
Wie der Bauer hinaus vor die Thür kam, sprach die
Schildwache 'du hast die Königstochter zum Lachen gebracht,
da wirst du was rechts bekommen haben.' 'Ja, das mein ich,'
antwortete der Bauer, 'fünfhundert werden mir ausgezahlt.'
'Hör,' sprach der Soldat, 'gib mir etwas davon: was willst
du mit all dem Geld anfangen!' 'Nun,' sprach der Bauer,
'weil du es bist, so sollst du zweihundert haben, melde dich in
drei Tagen beim König und laß dirs auszählen.' Ein Jude,
der in der Nähe gestanden und das Gespräch mit angehört
hatte, lief dem Bauer nach, hielt ihn beim Rock und sprach
'Gotteswunder, was seid ihr ein Glückskind! ich wills euch
wechseln, ich wills euch umsetzen in Scheidemünz, was wollt
ihr mit den harten Thalern?' 'Mauschel,' sagte der Bauer,
'dreihundert kannst du noch haben, gieb mirs gleich in Münze,
heut über drei Tage wirst du dafür beim König bezahlt
werden.' Der Jude voll Freude über das Profitchen, brachte
gleich die Summe in schlechten Groschen, wo drei so viel
wert sind als zwei gute. Nach Verlauf der drei Tage ging
der Bauer, dem Befehl gemäß, vor den König. 'Zieht ihm
den Rock aus,' sprach dieser, 'er soll seine fünfhundert haben.'
'Ach,' sagte der Bauer, 'sie gehören nicht mehr mein, zwei-
hundert habe ich an die Schildwache verschenkt, und drei-
hundert hat mir der Jude eingewechselt, von Rechtswegen
gebührt mir gar nichts.' Indem kam der Soldat und der
Jude herein, verlangten das Ihrige, das sie dem Bauer
abgewonnen hätten, und erhielten die Schläge richtig zu-
gemessen. Der Soldat ertrugs geduldig und wußte schon,
wies schmeckte: der Jude aber that jämmerlich, 'au weih ge-
schrieen! sind das die harten Thaler?' Der König mußte
43
über den Bauer lachen, und da aller Zorn verschwunden war,
sprach er 'weil du deinen Lohn schon verloren hast, bevor
er dir zu Teil wird, so will ich dir einen Ersatz geben: geh
in meine Schatzkammer und hol dir Geld, so viel du willst.'
Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen und füllte in
seine weiten Taschen, was nur hinein wollte. Danach ging
er ins Wirtshaus und überzählte sein Geld. Der Jude war
ihm nachgeschlichen und hörte, wie er mit sich allein brummte
'nun hat mich der Spitzbube von König doch hinters Licht
geführt! hätte er mir nicht selbst das Geld geben können, so
wüßte ich, was ich hätte: wie kann ich nun wissen, ob das
richtig ist, was ich so eingesteckt habe!' 'Gott bewahre,'
sprach der Jude für sich, 'der spricht despektierlich von unserm
Herrn, ich lauf und gebs an, da krieg ich eine Belohnung,
und er wird obendrein noch bestraft.' Als der König von den
Reden des Bauern hörte, geriet er in Zorn und hieß den
Juden hingehen und den Sünder herbei holen. Der Jude
lief zum Bauer, 'ihr sollt gleich zum Herrn König kommen,
wie ihr geht und steht.' 'Ich weiß besser, was sich schickt,'
antwortete der Bauer, 'erst laß ich mir einen neuen Rock
machen; meinst du, ein Mann der so viel Geld in der Tasche
hat, sollte in dem alten Lumpenrock hingehen?' Der Jude,
als er sah, daß der Bauer ohne einen andern Rock nicht weg-
zubringen war, und weil er fürchtete, wenn der Zorn des
Königs verraucht wäre, so käme er um seine Belohnung und
der Bauer um die Strafe, so sprach er 'ich will euch für die
kurze Zeit einen schönen Rock leihen aus bloßer Freund-
schaft; was thut der Mensch nicht dem andern zu Liebe!'
Der Bauer ließ sich das gefallen, zog den Rock vom Juden
44
an und ging mit ihm fort. Der König hielt dem Bauer die
bösen Reden vor, die der Jude hinterbracht hatte. Mch,'
sprach der Bauer <was ein Jude sagt, ist immer gelogen,
dem geht kein wahres Wort aus dem Munde; der Kerl da
ist imstand und behauptet, ich hätt seinen Rock an.' Was
sott mir das?' schrie der Jude, ttst der Rock nicht mein, hab
ich ihn euch nicht aus bloßer Freundschaft geborgt, damit
ihr vor den Herrn König treten konntet?' Wie der König
das hörte, sprach er Zeinen hat der Jude gewiß betrogen,
mich oder den Bauer,' und ließ ihm noch etwas in harteil
Thalern nachzahlen; der Bauer aber ging in dem guten Rock
und mit dem guten Geld in der Tasche heim und sprach ^dies-
mal hab ichs getroffen.'
45
7.
Die zwölf Brüder.
Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten
in Frieden mit einander und hatten zwölf Kinder, das waren
aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau
'wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein
Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein
Reichtum groß wird und das Königreich ihm allein zufällt.'
Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit
Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Totenkißchen,
und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, davon gab
er der Königin den Schlüssel und gebot ihr, niemand etwas
davon zu sagen.
Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und trauerte,
so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war und den
sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach 'liebe
Mutter, warum bist du so traurig?' 'Liebstes Kind,' ant-
wortete sie, 'ich darfs dir nicht sagen.' Er ließ ihr aber keine
Ruhe, bis sie ging und die Stube ausschloß und ihm die
zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Totenladen zeigte.
Danach sprach sie 'mein liebster Benjamin, diese Särge hat
dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen,
denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr
46
allesamt getötet und darin begraben werden? Und als sie
weinte, während sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und
sagte 'weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns schon helfen
und wollen fortgehen.' Sie aber sprach 'geh mit deinen elf
Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf
den höchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht und
schaue nach dem Turm hier im Schloß. Gebär ich ein
Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann
dürft ihr wiederkommen: gebär ich ein Töchterlein, so will
ich eine rote Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so
schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht
will ich aufstehen und für euch beten, im Winter, daß ihr an
einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht
in der Hitze schmachtet?
Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, gingen sie
hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht,
saß auf der höchsten Eiche und schaute nach dem Turm.
Als die Tage herum waren und die Reihe an Benjamin kam,
da sah er, wie eine Fahne aufgesteckt wurde: es war aber
nicht die weiße, sondern die rote Blutfahne, die verkündigte,
daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das nun hörten,
wurden sie zornig und sprachen 'sollten wir um eines Mäd-
chens willen den Tod leiden! wir schwören, daß wir uns
rächen wollen: wo wir ein Mädchen finden, soll sein rotes
Blut fließen?
Darauf gingen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten
darin, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines ver-
wünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie 'hier
wollen wir wohnen, und du, Benjamin, du bist der jüngste
47
und schwächste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir
andern wollen ausgehen und Essen holen? Nun zogen sie
in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und
Täuberchen und was zu essen stand: das brachten sie dem
Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren
Hunger stillen konnten. In dem Häuschen lebten sie zehn
Jahre zusammen, und die Zeit ward ihnen nicht lang.
Das Töchterchen, das ihre Mutter, die Königin, ge-
boren hatte, war nun herangewachsen, war gut vom Herzen
und schön von Angesicht, und hatte einen goldenen Stern
auf der Stirne. Einmal, als große Wäsche war, sah es
darunter zwölf Mannshemden und fragte seine Mutter 'wem
gehören diese zwölf Hemden, für den Vater sind sie doch viel
zu klein?' Da antwortete sie mit schwerem Herzen 'liebes
Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern? Sprach das Mäd-
chen 'wo sind meine zwölf Brüder, ich habe noch niemals
von ihnen gehört? Sie antwortete 'das weiß Gott, wo sie
sind: sie irren in der Welt herum? Da nahm sie das Mädchen
und schloß ihm das Zimmer auf, und zeigte ihm die zwölf
Särge mit den Hobelspänen und den Totenkißchen. 'Diese
Särge,' sprach sie, 'waren für deine Brüder bestimmr, aber
sie sind heimlich fortgegangen, ehe du geboren warst? und
erzählte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das
Mädchen 'liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und
meine Brüder suchen?
Nun nahm es die zwölf Hemden und ging fort und
geradezu in den großen Wald hinein. Es ging den ganzen
Tag und am Abend kam es zu dem verwünschten Häuschen.
Da trat es hinein und fand einen jungen Knaben, der fragte
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'wo kommst du her und wo willst du hin?' und erstaunte,
daß sie so schön war, königliche Kleider trug und einen
goldenen Stern auf der Stirn hatte. Da antwortete sie
'ich bin eine Königstochter und suche meine zwölf Brüder
und will gehen soweit der Himmel blau ist, bis ich sie finde.'
Sie zeigte ihm auch die zwölf Hemden, die ihnen gehörten.
Da sah Benjamin, daß es seine Schwester war und sprach
'ich bin Benjamin, dein jüngster Bruder.' Und sie fing an
zu weinen vor Freude und Benjamin auch, und sie küßten
und herzten einander vor großer Liebe. Hernach sprach er
'liebe Schwester, es ist noch ein Vorbehalt da, wir hatten
verabredet, daß ein jedes Mädchen, das uns begegnete,
sterben sollte, weil wir um ein Mädchen unser Königreich
verlassen mußten.' Da sagte sie 'ich will gerne sterben, wenn
ich damit meine zwölf Brüder erlösen kann.' 'Nein,' ant-
wortete er, 'du sollst nicht sterben, setze dich unter diese
Bütte, bis die elf Brüder kommen, dann will ich schon einig
mit ihnen werden.' Also that sie; und wie es Nacht ward,
kamen die andern von der Jagd, und die Mahlzeit war be-
reit. Und als sie am Tische saßen und aßen, fragten sie 'was
giebts neues?' Sprach Benjamin 'wißt ihr nichts?' Mein,'
antworteten sie. Sprach er weiter 'ihr seid im Walde gewesen,
und ich bin daheim geblieben und weiß doch mehr als ihr.'
'So erzähle uns' riefen sie. Antwortete er 'versprecht ihr
mir auch, daß das erste Mädchen, das uns begegnet, nicht
soll getötet werden?' 'Ja,' riefen sie alle, 'das soll Gnade
haben, erzähl uns nur.' Da sprach er 'unsere Schwester ist
da,' und hub die Bütte auf, und die Königstochter kam her-
vor in ihren königlichen Kleidern mit dem goldenen Stern
49
auf der Stirne, und war so schön, zart und fein. Da freue-
ten sie sich alle, fielen ihr um den Hals und küßten sie und
hatten sie vom Herzen lieb.
Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in
der Arbeit. Die elfe zogen in den Wald, suchten Gewild,
Rehe, Hasen, Vögel und Täuberchen, damit sie zu essen
hatten, und die Schwester und Benjamin sorgten, daß es
zubereitet wurde. Sie suchte das Holz zum Kochen und die
Kräuter zum Gemüs, und stellte die Töpfe ans Feuer, also
daß die Mahlzeit immer fertig war, wenn die elfe kamen.
Sie hielt auch sonst Ordnung im Häuschen und deckte die
Bettlein hübsch weiß und rein, und die Brüder waren immer
zufrieden und lebten in großer Einigkeit mit ihr.
Auf eine Zeit hatten die beiden daheim eine schöne Kost
zurecht gemacht, und wie sie nun alle beisammen waren,
setzten sie sich, aßen und tranken und waren voller Freude.
Es war aber ein kleines Gärtchen an dem verwünschten
Häuschen, darin standen zwölf Lilienblumen, die man auch
Studenten heißt: nun wollte sie ihren Brüdern ein Ver-
gnügen machen, brach die zwölf Blumen ab und dachte jedem
aufs Essen eine zu schenken. Wie sie aber die Blumen ab-
gebrochen hatte, in demselben Augenblicke waren die zwölf
Brüder in zwölf Raben verwandelt und flogen über den
Wald hin fort, und das Haus mit dem Garten war auch
verschwunden. Da war nun das arme Mädchen allein in dem
wilden Wald, und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau
neben ihm, die sprach 'mein Kind, was hast du angefangen?
warum hast du die zwölf weißen Blumen nicht stehen lassen?
das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben
Grimm, Märchen. 4
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verwandelt.' Das Mädchen sprach weinend 'ist denn kein
Mittel sie zu erlösen? Mein/ sagte die Alte, 'es ist keins
auf der ganzen Welt als eins, das ist aber so schwer, daß
du sie damit nicht befreien wirst, denn du mußt sieben Jahre
stumm sein, darfst nicht sprechen und nicht lachen, und sprichst
du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den
sieben Jahren, so ist alles umsonst, und deine Brüder werden
von dem einen Wort getötet.'
Da sprach das Mädchen in seinem Herzen 'ich weiß ge-
wiß, daß ich meine Brüder erlöse,' und ging und suchte
einen hohen Baum, setzte sich darauf, und spann und sprach
nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein König in
dem Walde jagte, der hatte einen großen Windhund, der
lief zu dem Baum, wo das Mädchen darauf saß, sprang
herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei
mtb sah die schöne Königstochter mit dem goldenen Stern
auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit,
daß er ihr zurief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie
gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf.
Da stieg er selbst auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf
sein Pferd und führte sie heim. Da ward die Hochzeit mit
großer Pracht und Freude gefeiert: aber die Braut sprach
nicht und lachte nicht. Als sie ein paar Jahre mit einander
vergnügt gelebt hatten, fing die Mutter des Königs, die eine
böse Frau war, an, die junge Königin zu verleumden und
sprach zum König 'es ist ein gemeines Bettelmädchen, das
du dir mitgebracht hast, wer weiß, was für gottlose Streiche
sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen
kann, so könnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht,
- 51
der hat ein böses Gewissen? Der König wollte zuerst nicht
daran glauben, aber die Alte trieb es so lange und be-
schuldigte sie so viel böser Dinge, daß der König sich endlich
überreden ließ und sie zum Tod verurteilte.
Nun ward im Hof ein großes Feuer angezündet, darin
sollte sie verbrannt werden, und der König stand oben am
Fenster und sah mit weinenden Augen zu, weil er sie noch
immer so lieb hatte. Und als sie schon an den Pfahl fest-
gebunden war, und das Feuer schon an ihren Kleidern mit
roten Zungen leckte, da war eben der letzte Augenblick von
den sieben Jahren verflossen. Da ließ sich in der Luft ein
Geschwirr hören, und zwölf Raben kamen her gezogen und
senkten sich nieder: und wie sie die Erde berührten, waren es
ihre zwölf Brüder, die sie erlöst hatte. Sie rissen das Feuer
aus einander, löschten die Flammen, machten ihre liebe
Schwester frei, und küßten und herzten sie. Nun aber, da
sie ihren Mund aufthun und reden durfte, erzählte sie dem
Könige, warum sie stumm gewesen wäre und niemals gelacht
hätte. Der König freute sich, als er hörte, daß sie unschuldig
war, und sie lebten nun alle zusammen in Einigkeit bis an
ihren Tod. Die böse Stiefmutter ward vor Gericht gestellt
und in ein Faß gesteckt, das mit siedendem Oel und giftigen
Schlangen angefüllt war, und starb eines bösen Todes.
4»
52
8.
Das Lumpengesindel.
Hähnchen sprach zum Hühnchen 'jetzt ist die Zeit, wo
die Nüsse reif werden: da wollen wir zusammen auf den Berg
gehen und uns einmal recht satt essen, ehe sie das Eichhorn
alle wegholt.' 'Ja,' antwortete das Hühnchen, 'komm, wir
wollen uns eine Lust mit einander machen.' Da gingen sie
zusammen fort auf den Berg, und weil es ein heller Tag
war, blieben sie bis zum Abend. Nun weiß ich nicht, ob sie
sich so dick gegessen hatten, oder ob sie übermütig geworden
waren, kurz, sie wollten nicht zu Fuß nach Haus gehen, und
das Hähnchen mußte einen kleinen Wagen von Nußschalen
bauen. Als er fertig war, setzte sich Hühnchen hinein und
sagte zum Hähnchen 'du kannst dich nur immer vorspannen.'
'Du kommst mir recht,' sagte das Hähnchen, 'lieber geh ich
zu Fuß nach Haus, als daß ich mich vorspannen lasse: nein,
so haben wir nicht gewettet. Kutscher will ich wohl sein und
auf dem Bock sitzen, aber selbst ziehen, das thu ich nicht.'
Wie sie so stritten, schnatterte eine Ente daher 'ihr
Diebsvolk, wer hat euch geheißen in meinen Nußberg gehen?
wartet, das soll euch schlecht bekommen!' und ging damit auf
das Hähnchen los. Aber Hähnchen war auch nicht faul und
stieg der Ente tüchtig zu Leib: endlich hackte es mit seinem
53
Sporn so gewaltig auf sie los, daß sie um Gnade bat und
sich gern zur Strafe vor den Wagen spannen ließ. Hähnchen
setzte sich nun auf den Bock und war Kutscher, und darauf
ging es fort in einem Jagen, 'Ente lauf zu was du kannst!'
Als sie ein Stück Weges gefahren waren, begegneten sie zwei
Fußgängern, einer Stecknadel und einer Nähnadel. Die
riefen 'halt! halt!' und sagten, es würde gleich stichdunkel
werden, da könnten sie keinen Schritt weiter, auch wäre es
so schmutzig auf der Straße, ob sie nicht ein wenig einsitzen
könnten: sie wären auf der Schneiderherberge vor dem Thor
gewesen, und hätten sich beim Bier verspätet. Hähnchen, da
es magere Leute waren, die nicht viel Platz einnahmen, ließ
sie beide einsteigen, doch mußten sie versprechen, ihm und
seinem Hühnchen nicht auf die Füße zu treten. Spät abends
kamen sie zu einem Wirtshaus, und weil sie die Nacht nicht
weiter fahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war
und von einer Seite auf die andere fiel, so kehrten sie ein.
Der Wirt machte anfangs viel Einwendungen, sein Haus
wäre schon voll, gedachte auch wohl, es möchte keine vornehme
Herrschaft sein, endlich aber, da sie süße Reden führten, er
sollte das Ei haben, welches das Hühnchen unterweges ge-
legt hatte, auch die Ente behalten, die alle Tage eins legte,
so sagte er, sie könnten die Nacht bleiben. Nun ließen sie
frisch auftragen und lebten in Saus und Braus. Früh
morgens, als es erst dämmerte und noch alles schlief, weckte
Hähnchen das Hühnchen, holte das Ei, pickte es auf, und sie
verzehrten es zusammen; die Schalen aber warfen sie auf den
Feuerherd. Dann gingen sie zu der Nähnadel, die noch
schlief, packten sie beim Kopf und steckten sie in das Sessel-
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kissen des Wirts, die Stecknadel aber in sein Handtuch,
endlich flogen sie, mir nichts dir nichts, über die Heide da-
von. Die Ente, die gern unter freiem Himmel schlief und
im Hof geblieben war, hörte sie fortschnurren, machte sich
munter und fand einen Bach, auf dem sie hinabschwamm:
und das ging geschwinder als vor dem Wagen. Ein paar
Stunden danach hob sich der Wirt aus den Federn, wusch
sich und wollte sich am Handtuch abtrocknen, da fuhr ihm die
Stecknadel über das Gesicht und machte ihm einen roten
Strich, von einem Ohr zum andern: dann ging er in die
Küche und wollte sich eine Pfeife anstecken, wie er aber an
den Herd kam, sprangen ihm die Eierschalen in die Augen.
^Heute Morgen will mir alles an meinen Kopf,' sagte er und
ließ sich verdrießlich auf seinen Großvaterstuhl nieder; aber
geschwind fuhr er wieder in die Höhe, und schrie ^auweh!'
denn die Nähnadel hatte ihn noch schlimmer und nicht in den
Kopf gestochen. Nun war er vollends böse und hatte Ver-
dacht auf die Gäste, die so spät gestern Abend gekommen
waren: und wie er ging und sich nach ihnen umsah, waren
sie fort. Da that er einen Schwur, kein Lumpengesindel
mehr in sein Haus zu nehmen, das viel verzehrt, nichts be-
zahlt, und zum Dank noch obendrein Schabernack treibt.
55
9.
Brüderchen und Schwesterchen.
Brüderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und
sprach 'seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde
mehr: die Stiefmutter schlägt uns alle Tage, und wenn wir
zu ihr kommen, stößt sie uns mit den Füßen fort. Die harten
Brotkrusten, die übrig bleiben, sind unsere Speise, und dem
Hündlein unter dem Tisch gehts besser: dem wirft sie doch
manchmal einen guten Bissen zu. Daß Gott erbarm, wenn
das unsere Mutter wüßte! Komm, wir wollen mit einander
in die weite Welt gehen? Sie gingen den ganzen Tag über
Wiesen, Felder und Steine, und wenn es regnete, sprach
das Schwesterchen 'Gott und unsere Herzen, die weinen zu-
sammen!' Abends kamen sie in einen großen Wald und
waren so müde von Jammer, Hunger und dem langen Weg,
daß sie sich in einen hohlen Baum setzten und einschliefen.
Am andern Morgen, als sie aufwachten, stand die
Sonne schon hoch am Himmel und schien heiß in den Baum
hinein. Da sprach das Brüderchen 'Schwesterchen, mich
dürstet, wenn ich ein Brünnlein wüßte, ich ging und tränk
einmal; ich mein, ich hört eins rauschen? Brüderchen stand
auf, nahm Schwesterchen an der Hand, und sie wollten das
Brünnlein suchen. Die böse Stiefmutter aber war eine
56
Hexe und hatte wohl gesehen, wie die beiden Kinder fort-
gegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich, wie
die Hexen schleichen, und hatte alle Brunnen im Walde ver-
wünscht. Als sie nun ein Brünnlein fanden, das so glitzerig
über die Steine sprang, wollte das Brüderchen daraus trin-
ken: aber das Schwesterchen hörte, wie es im Rauschen sprach
'wer aus mir trinkt, wird ein Tiger; wer aus mir trinkt,
wird ein Tiger.' Da rief das Schwesterchen 'ich bitte dich,
Brüderchen, trink nicht, sonst wirst du ein wildes Tier und
zerreißest mich.' Das Brüderchen trank nicht, ob es gleich so
großen Durst hatte, und sprach 'ich will warten, bis zur
nächsten Quelle.' Als sie zum zweiten Brünnlein kamen,
hörte das Schwesterchen, wie auch dieses sprach 'wer aus mir
trinkt, wird ein Wolf; wer aus mir trinkt, wird ein Wolf.'
Da rief das Schwesterchen 'Brüderchen, ich bitte dich, trink
nicht, sonst wirst du ein Wolf und frissest mich.' Das Brü-
derchen trank nicht und sprach 'ich will warten, bis wir zur
nächsten Quelle kommen, aber dann muß ich trinken, du
magst sagen, was du willst; mein Durst ist gar zu groß.'
Und als sie zum dritten Brünnlein kamen, hörte das Schwe-
sterlein, wie es im Rauschen sprach 'wer aus mir trinkt,
wird ein Reh, wer aus mir trinkt, wird ein Reh.' Das Schwe-
sterchen sprach 'ach, Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht,
sonst wirst du ein Reh und läufst mir fort.' Aber das Brü-
derchen hatte sich gleich beim Brünnlein nieder geknieet,
hinab gebeugt und von dem Wasser getrunken, und wie die
ersten Tropfen auf seine Lippen gekommen waren, lag es da
als ein Rehkälbchen.
Nun weinte das Schwesterchen über das arme ver-
— 57
wünschte Brüderchen, und das Rehchen weinte auch und saß
I so traurig neben ihm. Da sprach das Mädchen endlich 'sei
still/ liebes Rehchen, ich will dich ja nimmermehr verlassen.'
Dann band^es sein goldenes Strumpfband ab und that es
dem Rehchen um den Hals, und rupfte Binsen und flocht
ein weiches Seil daraus. Daran band es das Tierchen und
führte es weiter und ging immer tiefer in den Wald hinein.
Und als sie lange lange gegangen waren, kamen sie endlich
an ein kleines Haus, und das Mädchen schaute hinein, und
weil es leer war, dachte es 'hier können wir bleiben und
' wohnen.' Da suchte es dem Rehchen Laub und Moos zu
einem weichen Lager, und jeden Morgen ging es aus und
sammelte sich Wurzeln, Beeren und Nüsse, und für das Reh-
chen brachte es zartes Gras mit, das fraß es ihm aus der
Hand, war vergnügt und spielte vor ihm herum. Abends,
lvenHKchwesterchen müde war und sein Gebet gesagt hatte,
legM>M seinen Kopf auf den Rücken des Rehkälbchens, das
war Kissen, darauf es sanft einschlief. Und hätte das
! Brüderchen nur seine menschliche Gestalt gehabt, es wäre
ein herrliches Leben gewesen.
Das dauerte nun eine Zeitlang, daß sie so allein in
der Wildnis waren. Da trug es sich zu, daß der König des
Landes eine große Jagd in dem Wald hielt. Da schallte das
Hörnerblasen, Hundegebell und das lustige Geschrei der
; Jäger durch die Bäume und das Rehlein hörte es und wäre
gar zu gerne dabei gewesen. 'Ach,' sprach es zum Schwester-
lein, 'laß mich hinaus in die Jagd, ich kanns nicht länger
mehr aushalten,' und bat so lange, bis es einwilligte.
'Aber,' sprach es zu ihm, 'komm mir ja abends wieder, vor
58
den wilden Jägern schließ ich mein Thürlein; und damit ich
dich kenne, so klopf und sprich, mein Schwesterlein, laß mich
herein: und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein
Thürlein nicht auf.' Nun sprang das Rehchen hinaus, und
war ihm so wohl, und war so lustig in freier Luft. Der
König und seine Jäger sahen das schöne Tier und setzten
ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie
meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Ge-
büsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward,
lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach 'mein Schwester-
lein, laß mich -herein.' Da ward ihm die kleine Thür auf-
gethan, es sprang hinein und ruhte sich die ganze Nacht
auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen ging
die Jagd von neuem an, und als das Rehlein wieder das
Hifthorn hörte nnd das ho, ho! der Jäger, da hatte eI
keine Ruhe und sprach 'Schwesterchen, mach mir auf, 'ich
muß hinaus.' Das Schwesterchen öffnete ihm die Thüre
und sprach 'aber zu Abend mußt du wieder da sein und
dein Sprüchlein sagen.' Als der König und seine Jäger
das Rehlein mit dem goldenen Halsband wieder sahen,
jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und
behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten
es die Jäger abends umzingelt, und einer verwundete es
ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte, und langsam
fortlies. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen
und hörte, wie es rief 'mein Schwesterlein, laß mich herein,'
und sah, daß die Thür ihm aufgethan und alsbald wieder
zugeschlossen ward. Der Jäger behielt das alles wohl im
Sinn, ging zum König und erzählte ihm, was er gesehen
59
und gehört hatte. Da sprach der König ‘morgen soll noch
einmal gejagt werden?
Das Schwesterchen aber erschrak gewaltig, als es sah,
daß das Rehkälbchen verwundet war. Es wusch ihm das
Blut ab, legte Kräuter auf und sprach ‘geh auf dein Lager,
lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst? Die Wunde aber
war so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr
davon spürte. Und als es die Jagdlust wieder draußen
hörte, sprach es ‘ich kanns nicht aushalten, ich muß dabei
sein; so bald soll mich auch keiner kriegen? Das Schwester-
chen weinte und sprach ‘nun werden sie dich töten, und ich
bin hier allein im Wald und verlassen von aller Welt; ich
laß dich nicht hinaus? ‘So sterb ich dir hier vor Betrübnis,'
antwortete das Rehchen, ‘wenn ich das Hifthorn höre, so
mein ich, ich müßt aus den Schuhen springen!' Da konnte
das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem
Herzen die Thür auf und das Rehchen sprang gesund und
fröhlich in den Wald. Als es der König erblickte, sprach er
zu seinen Jägern ‘nun jagt ihm nach den ganzen Tag bis in
die Nacht, aber daß ihm keiner etwas zu Leide thut? Wie
die Sonne untergegangen war, da sprach der König zum
Jäger ‘nun komm und zeige mir das Waldhäuschen? Und
als er vor dem Thürlein war, klopfte er an und rief ‘lieb
Schwesterlein, laß mich herein? Da ging die Thür auf,
und der König trat hinein, und da stand ein Mädchen, das
war so schön, wie er noch keins erblickt hatte. Das Mädchen
erschrak, als es sah, daß nicht sein Rehlein, sondern ein Mann
herein kam, der eine goldene Krone auf dem Haupt hatte.
Aber der König sah es freundlich an, reichte ihm die Hand
60
und sprach 'willst du mit mir gehen auf mein Schloß und
meine liebe Frau sein?' 'Ach ja,' antwortete das Mädchen,
'aber das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht.'
Sprach der König 'es soll bei dir bleiben, so lange du lebst,
und soll ihm an nichts fehlen.' Indem kam es hereinge-
sprungen, da band es das Schwesterchen wieder an das
Binsenseil, nahm es selbst in die Hand und ging mit ihm
aus dem Waldhäuschen fort.
Der König nahm das schöne Mädchen auf sein Pferd
und führte es in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer
Pracht gefeiert wurde, und war es nun die Frau Königin
und lebten sie lange Zeit vergnügt zusammen; das Rehlein
ward gehegt und gepflegt und sprang in dem Schloßgarten
herum. Die böse Stiefmutter aber, um derentwillen die
Kinder in die Welt hineingegangen waren, die meinte nicht
anders als Schwesterchen wäre von den wilden Tieren im
Walde zerrissen worden und Brüderchen als ein Rehkalb
von den Jägern tot geschossen. Als sie nun hörte, daß sie
so glücklich waren, und es ihnen so wohl ging, da wurden
Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege, und ließen ihr
keine Ruhe, und sie hatte keinen anderen Gedanken, als wie
sie die beiden doch noch ins Unglück bringen könnte. Ihre
rechte Tochter, die häßlich war wie die Nacht und nur ein
Auge hatte, die machte ihr Vorwürfe und sprach 'eine Königin
zu werden, das Glück hätte mir gebührt.' 'Sei nur still,'
sagte die Alte und sprach sie zufrieden, 'wenns Zeit ist, will
ich schon bei der Hand sein.' Als nun die Zeit heran gerückt
war, und die Königin ein schönes Knäblein zur Welt ge-
bracht hatte und der König gerade auf der Jagd war, nahm
61
die alte Hexe die Gestalt der Kammerfrau an, trat in die
Stube, wo die Königin lag, und sprach zu der Kranken
‘fommt, das Bad ist fertig, das wird euch wohlthun und
frische Kräfte geben, geschwind, ehe es kalt wird? Ihre
Tochter war auch bei der Hand, sie trugen die schwache Kö-
nigin in die Badstube und legten sie in die Wanne: dann
schlossen sie die Thüre ab und liefen davon. In der Bad-
stube aber hatten sie ein rechtes Höllenfeuer angemacht, daß
die schöne junge Königin bald ersticken mußte.
Als das geschehen war, nahm die Alte ihre Tochter,
sehte ihr eine Haube auf und legte sie ins Bett an der Kö-
nigin Stelle. Sie gab ihr auch die Gestalt und das Ansehen
der Königin, nur das verlorne Auge konnte sie ihr nicht
wieder geben. Damit aber der König es nicht merkte, mußte
sie sich auf die Seite legen, wo sie kein Auge hatte. Am
Abend, als der König heim kam und hörte, daß ihm ein
Söhnlein geboren war, freute er sich herzlich und wollte
ans Bett zu seiner lieben Frau gehen, und wollte sehen,
was sie machte. Da rief die Alte geschwind cbet Leibe, laßt
die Vorhänge zu, die Königin darf noch nicht ins Licht sehen
und muß Ruhe haben? Der König ging zurück und wußte
nicht, daß eine falsche Königin im Bette lag.
Als es aber Mitternacht war und alles schlief, da sah
die Kinderfrau, die in der Kinderstube neben der Wiege saß
und allein noch wachte, wie die Thüre aufging und die
rechte Königin herein trat. Sie nahm das Kind aus der
Wiege, legte es in ihren Arm und gab ihm zu trinken. Dann
schüttelte sie ihm sein Kißchen, legte es wieder hinein und
deckte es mit dem Deckbettchen zu. Sie vergaß aber auch
das Rehchen nicht, ging in die Ecke, wo es lag, und strei-
chelte ihm über den Rücken. Darauf ging sie ganz stillschwei-
gend wieder zur Thür hinaus, und die Kinderfrau fragte
am andern Morgen die Wächter, ob jemand während der
Nacht ins Schloß gegangen wäre, aber sie antworteten 'nein,
wir haben niemand gesehen? So kam sie viele Nächte und
sprach niemals ein Wort dabei; die Kinderfrau sah sie immer,
aber sie getraute sich nicht jemand etwas davou zu sagen.
Als nun so eine Zeit verflossen war, da hub die Kö-
nigin in der Nacht an zu reden und sprach:
'was macht mein Kind? was macht mein Reh?
Nun komm ich noch zweimal und dann nimmermehr?
Die Kinderfrau antwortete ihr nicht, aber als sie wieder ver-
schwunden war, ging sie zum König und erzählte ihm alles.
Sprach der König 'ach Gott, was ist das! ich will in der
nächsten Nacht bei dem Kinde wachen? Abends ging er auch
in die Kinderstube, aber um Mitternacht erschien die Königin
wieder und sprach:
'was macht mein Kind? was macht mein Reh?
Nun komm ich noch einmal und dann nimmermehr?
Und pflegte dann des Kindes, wie sie gewöhnlich that, ehe
sie verschwand. Der König getraute sich nicht sie anzureden,
aber er wachte auch in der folgenden Nacht. Sie sprach
abermals:
'was macht mein Kind? was macht mein Reh?
Nun komm ich noch diesmal und dann nimmermehr?
Da konnte sich der König nicht zurückhalten, sprang zu ihr
und sprach 'du kannst niemand anders sein als meine liebe
Frau? Da antwortete sie 'ja, ich bin deine liebe Frau' und
63 —
hatte in dem Augenblick durch Gottes Gnade das Leben
wieder erhalten, war frisch, rot und gesund. Darauf erzählte
sie dem König den Frevel, den die böse Hexe und ihre Toch-
ter an ihr verübt hatten. Der König ließ beide vor Gericht
führen, und es ward ihnen das Urteil gesprochen. Die
Tochter ward in den Wald geführt, wo sie die wilden Tiere
zerrissen, die Hexe aber ward ins Feuer gelegt und mußte
jammervoll verbrennen. Und wie sie zu Asche verbrannt war,
verwandelte sich auch das Nehkälbchen und erhielt seine
menschliche Gestalt wieder; Schwesterchen und Brüderchen
aber lebten glücklich zusammen bis an ihr Ende.
64
10.
Die drei Mannlein im Walde.
Es war ein Mann, dem starb seine Frau, und eine
Frau, der starb ihr Mann: und der Mann hatte eine Toch-
ter, und die Frau hatte auch eine Tochter. Die Mädchen
waren mit einander bekannt und gingen zusammen spazieren
und kamen hernach zu der Frau ins Haus. Da sprach sie zu
des Mannes Tochter chör, sag deinem Vater, ich wollt ihn
heiraten, dann sollst du jeden Morgen dich in Milch waschen
und Wein trinken, meine Tochter aber soll sich im Wasser
waschen und Wasser trinken? Das Mädchen ging nach Hans
und erzählte seinem Vater, was die Frau gesagt hatte.
Der Mann sprach ^was soll ich thun? das Heiraten ist eine
Freude, und ist auch eine Qual? Endlich weil er keinen
Entschluß fassen konnte, zog er seinen Stiefel aus und sagte
‘mntm diesen Stiefel, der hat an der Sohle ein Loch, geh
damit auf den Boden, häng ihn an den großen Nagel und
gieß dann Wasser hinein. Hält er das Wasser, so will ich
wieder eine Frau nehmen, läufts aber durch, so will ich
nicht? Das Mädchen that, wie ihm geheißen war: aber das
Wasser zog das Loch zusammen, und der Stiefel ward voll
bis obenhin. Es verkündigte seinem Vater, wie's ausgefallen
war. Da flieg er selbst hinauf, und als er sah, daß es seine
65
Richtigkeit hatte, ging er zu der Witwe und freite sie, und
die Hochzeit ward gehalten.
Am andern Morgen, als die beiden Mädchen sich auf-
machten, da stand vor des Mannes Tochter Milch zum
Waschen und Wein zum Trinken, vor der Frau Tochter aber
stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken. Am
zweiten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum
Trinken so gut vor des Mannes Tochter als vor der Frau
Tochter. Und am dritten Morgen stand Wasser zum Waschen
und Wasser zum Trinken vor des Mannes Tochter, und
Milch zum Waschen und Wein zum Trinken vor der Frau
Tochter, und dabei bliebs. Die Frau ward ihrer Stief-
tochter spinnefeind und wußte nicht, wie sie es ihr von einem
Tag zum andern schlimmer machen sollte. Auch war sie
neidisch, weil ihre Stieftochter schön und lieblich war, ihre
rechte Tochter aber häßlich und widerlich.
Einmal im Winter, als es steinhart gefroren hatte und
Berg und Thal vollgeschneit lag, machte die Frau ein Kleid
von Papier, rief dann das Mädchen und sprach ‘da zieh das
Kleid an, und geh in den Wald und hol mir ein Körbchen
voll Erdbeeren: ich habe Lust danach? ‘Du lieber Gott,'
sagte das Mädchen, ‘rat Winter wachsen ja keine Erdbeeren,
die Erde ist gefroren, und der Schnee hat auch alles zu-
gedeckt. Und warum soll ich in dem Papierkleide gehen? es
ist draußen so kalt, daß einem der Atem friert, da weht ja
der Wind hindurch und die Dornen reißen mirs vom Leib?
‘Willst du mir noch widersprechen?' sagte die Stiefmutter,
‘mach daß du fortkommst, und laß dich nicht eher wieder
sehen, als bis du das Körbchen voll Erdbeeren hast? Dann
Grimm, Märchen. 5
66
gab sie ihm noch ein Stückchen hartes Brot und sprach
^davon kannst du den Tag über essen,' und dachte 'draußen
wirds erfrieren und verhungern und mir nimmermehr wie-
der vor die Augen kommen.'
Nun war das Mädchen gehorsam, that das Papierkleid
an und ging mit dem Körbchen hinaus. Da war nichts
als Schnee die Weite und Breite, und war kein grünes
Hälmchen zu merken. Als es in den Wald kam, sah es
ein kleines Häuschen, daraus guckten drei kleine Haule-
männerchen. Es trat heran, wünschte ihnen die Tageszeit
und klopfte an die Thür. Sie riefen herein, und es ging
in die Stube und setzte sich auf die Bank am Ofen: da
wollte es sich wärmen und sein Frühstück essen.' Die Haule-
männerchen sprachen 'gieb uns auch etwas davon.' 'Gerne'
sprach es, teilte sein Stückchen Brot entzwei und gab ihnen
die Hälfte. Sie fragten 'was willst du zur Winterzeit in
deinem dünnen Kleidchen hier im Wald?' 'Ach,' antwortete
es, 'ich soll ein Körbchen voll Erdbeeren suchen und darf
nicht eher nach Hause kommen, als bis ich es mitbringe.' Als
es nun sein Brot gegessen hatte, gaben sie ihm einen Besen
und sprachen 'kehre damit an der Hinterthüre den Schnee
weg.' Wie es aber draußen war, sprachen die drei Män-
nerchen unter einander 'was sollen wir ihm schenken, weil
es so artig und gut ist und sein Brot mit uns geteilt hat?'
Da sagte der erste 'ich schenk ihm, daß es jeden Tag schöner
wird.' Der zweite sprach 'ich schenk ihm, daß Goldstücke
ihm aus dem Mund fallen, so oft es ein Wort spricht.' Der
dritte sprach 'ich schenk ihm, daß ein König kommt und es
zu seiner Gemahlin nimmt.'
67
Das Mädchen aber that, wie die Haulemännerchen
gesagt hatten, kehrte mit dem Besen den Schnee hinter dem
kleinen Hause weg, und was glaubt ihr wohl, daß es ge-
funden hat? lauter reife Erdbeeren, die ganz dunkelrot aus
dem Schnee hervor kamen. Da raffte es in großer Freude
sein Körbchen voll, dankte den kleinen Männern, lief nach
Haus und wollte es der Stiefmutter bringen. Als es ein-
trat und 'guten Abend' sagte, fiel ihm gleich ein Goldstück
aus dem Mund. Darauf erzählte es, was ihm im Walde
begegnet war, aber bei jedem Worte, das es sprach, fielen
ihm die Goldstücke aus dem Mund, so daß bald die ganze
Stube damit bedeckt ward. 'Nun sehe einer den Ueber-
mut,' rief die Stiefschwester, 'das Geld so hinzuwerfen,'
aber heimlich war sie neidisch darüber, und wollte auch hin-
aus in den Wald und Erdbeeren holen. Die Mutter sprach
'nein, mein liebes Töchterchen, es ist zu kalt, du könntest
mir erfrieren.' Weil sie ihr aber keine Ruhe ließ, so gab
die Mutter endlich nach, nähte einen prächtigen Pelzrock,
den es anziehen mußte, und gab ihr Butterbrot und Kuchen
mit auf den Weg.
Das Mädchen ging in den Wald und gerade auf das
kleine Häuschen zu. Die drei kleinen Haulemänner guckten
wieder, aber es grüßte sie nicht, und ohne sich nach ihnen
umzusehen, stolperte es in die Stube hinein, setzte sich an
den Ofen und fing an sein Butterbrot und seinen Kuchen
zu essen. 'Gieb uns etwas davon,' riefen die Kleinen, aber
es antwortete 'es schickt mir selber nicht, wie kann ich andern
noch davon abgeben?' Als es fertig war mit dem Essen,
sprachen sie 'da hast du einen Besen, kehr uns draußen vor
5*
68
der Hinterthür rein.' 'Ei, kehrt euch selber,' antwortete
es, 'ich bin eure Magd nicht.' Wie es sah, daß sie ihm
nichts schenken wollten, ging es zur Thür hinaus. Da
sprachen die kleinen Männer unter einander 'was sollen wir
ihm schecken, weil es so unartig ist und ein böses neidisches
Herz hat, das niemand etwas gönnt?' Der erste sprach
'ich schenk ihm, daß es jeden Tag häßlicher wird.' Der
zweite sprach 'ich schenk ihm, daß bei jedem Wort, das
es spricht, eine Kröte aus dem Munde springt.' Der dritte
sprach 'ich schenk ihm, daß es eines unglücklichen Todes
stirbt.' Das Mädchen suchte draußen nach Erdbeeren, als
es aber keine fand, ging es verdrießlich nach Haus. Und
wie es den Mund aufthat und seiner Mutter erzählen wollte,
was ihm im Walde begegnet war, da sprang ihm bei jedem
Wort eine Kröte aus dem Mund, so daß alle einen Abscheu
vor ihm bekamen.
Nun ärgerte sich die Stiefmutter noch viel mehr und
dachte nur darauf, wie sie der Tochter des Mannes alles
Herzeleid anthun wollte, deren Schönheit doch alle Tage
größer ward. Endlich nahn: sie einen Kessel, setzte ihn zum
Feuer und sott Garn darin. Als es gesotten war, hing
sie es dem armen Mädchen auf die Schulter und gab ihm
eine Axt dazu, damit sollte es auf den gefrornen Fluß gehen,
ein Eisloch hauen und das Garn schlittern. Es war ge-
horsam, ging hin und hackte ein Loch in das Eis, und als
es mitten im Hacken war, kam ein prächtiger Wagen her-
gefahren, worin der König saß. Der Wagen hielt still und
der König fragte 'mein Kind wer bist du? und was machst
du da? 'Ich bin ein armes verlassenes Mädchen und schliß
69
tere Garn? Da fühlte der König Mitleiden, und als er
sah, wie es so gar schön war, sprach er 'willst du mit mir
fahren?' 'Ach ja, von Herzen gern,' antwortete es, denn
es war froh, daß es der Mutter und Schwester aus den
Augen kommen sollte.
Also stieg es in den Wagen und fuhr mit dem König
fort, und als sie auf sein Schloß gekommen waren, ward
die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert, wie es die kleinen
Männlein dem Mädchen geschenkt hatten. Über ein Jahr
gebar die junge Königin einen Sohn, und als die Stief-
mutter von dem großen Glücke gehört hatte, so kam sie mit
ihrer Tochter in das Schloß und that, als wollte sie einen
Besuch machen. Als aber der König einmal hinausge-
gangen und sonst niemand zugegen war, packte das böse
Weib die Königin am Kopf, und ihre Tochter packte sie
an den Füßen, hoben sie aus dem Bett und warfen sie
zum Fenster hinaus in den vorbei fließenden Strom. Dar-
auf legte sich ihre häßliche Tochter ins Bett und die Alte
deckte sie zu bis über den Kopf. Als der König wieder
zurück kam und mit seiner Frau sprechen wollte, rief die
Alte 'still, still, jetzt geht das nicht, sie liegt in starkem
Schweiß, ihr müßt sie heute ruhen lassen? Der König
dachte nichts Böses dabei und kam erst den andern Morgen
wieder, und wie er mit seiner Frau sprach und sie ihm
Antwort gab, sprang bei jedem Wort eine Kröte hervor,
während sonst ein Goldstück herausgefallen war. Da fragte
er, was das wäre, aber die Alte sprach, das hätte sie von
dem starken Schweiß gekriegt, und würde sich schon wieder
verlieren.
70
In der Nacht aber sah der Küchenjunge, wie eine Ente
durch die Gosse geschwommen kam, die sprach
'König, was machst du?
schläfst du, oder wachst du?'
Und als sie keine Antwort erhielt, sprach sie
'was machen meine Gäste?'
Da antwortete der Küchenjunge
‘sie schlafen feste.'
Fragte sie weiter
'was macht mein Kindelein?'
Antwortete er
"es schläft in der Wiege fein.'
Da ging sie in der Königin Gestalt hinauf, gab ihm zu
trinken, schüttelte ihm sein Bettchen, deckte es zu und
schwamm als Ente wieder durch die Gosse fort. So kam
sie zwei Nächte, in der dritten sprach sie zu dem Küchen-
jungen 'geh und sage dem König, daß er sein Schwert
nimmt und auf der Schwelle dreimal über mir schwingt.'
Da lief der Küchenjunge und sagte es dem König, der
kam mit seinem Schwert und schwang es dreimal über dem
Geist: und beim drittenmal stand seine Gemahlin vor ihm,
frisch, lebendig und gesund, wie sie vorher gewesen war.
Nun war der König in großer Freude, er hielt aber
die Königin in einer Kammer verborgen bis auf den Sonn-
tag, wo das Kind getauft werden sollte. Und als es ge-
tauft war, sprach er 'was gehört einem Menschen, der den
andern aus dem Bett trägt und ins Wasser wirft?' 'Nichts
Besseres,' antwortete die Alte, 'als daß man den Bösewicht
71
in ein Faß steckt, das mit Nägeln ausgeschlagen ist, und
den Berg hinab ins Wasser rollt? Da sagte der König 'du
hast dein Urteil gesprochen,' ließ ein solches Faß holen und
die Alte mit ihrer Tochter hineinstecken, dann ward der
Boden zugehämmert und das Faß bergab gekollert, bis es
in den Fluß rollte.
II.
Die drei Spinnerinnen.
Es war ein Mädchen faul und wollte nicht spinnen,
und die Mutter mochte sagen was sie wollte, sie konnte es
nicht dazu bringen. Endlich übernahm die Mutter eininal
Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schläge gab, worüber es
laut zu weinen anfing. Nun fuhr gerade die Königin vor-
bei, und als sie das Weinen hörte, ließ sie anhalten, trat
in das Haus und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter
schlüge, daß man sie draußen auf der Straße schreien hörte.
Da schämte sich die Frau, daß sie die Faulheit ihrer Tochter
offenbaren sollte und sprach 'ich kann sie nicht vom Spinnen
abbringen, sie will immer und ewig spinnen, und ich bin
arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen? Da ant-
wortete die Königin 'ich höre nichts lieber als spinnen und
bin nicht vergnügter, als wenn die Räder schnurren: gebt
mir eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug,
da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat? Die Mutter wars
von Herzen gerne zufrieden, und die Königin nahm das
Mädchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, führte
sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis
oben voll vom schönsten Flachs. 'Nun spinn mir diesen
Flachs,' sprach sie, 'und wenn du es fertig bringst, so sollst
du meinen ältesten Sohn zum Gemahl haben; bist du gleich
73
arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdroßner Fleiß ist
Ausstattung genug? Das Mädchen erschrak innerlich, denn
es konnte den Flachs nicht spinnen, und wärs dreihundert
Zahr alt geworden, und hätte jeden Tag vom Morgen bis
Abend dabei gesessen. Als es nun allein war, fing es an
zu weinen und saß so drei Tage, ohne die Hand zu rühren.
Am dritten Tage kam die Königin, und als sie sah, daß
noch nichts gesponnen war, verwunderte sie sich, aber das
Mädchen entschuldigte sich damit, daß es vor großer Be-
trübnis über die Entfernung aus seiner Mutter Hause noch
nicht hätte anfangen können. Das ließ sich die Königin ge-
fallen, sagte aber beim Weggehen ^morgen mußt du mir
anfangen zu arbeiten?
Als nun das Mädchen wieder allein war, wußte es
sich nicht mehr zu raten und zu helfen, und trat in seiner
Betrübnis vor das Fenster. Da sah es drei Weiber her
kommen, davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die
zweite hatte eine so große Unterlippe, daß sie über das Kinn
herunterhing, und die dritte hatte einen breiten Daumen.
Sie blieben vor dem Fenster stehen, schauten hinauf und
fragten das Mädchen, was ihm fehlte. Es klagte ihnen
seine Not, da trugen sie ihm ihre Hülfe an und sprachen
'willst du uns zur Hochzeit einladen, dich unser nicht schä-
men und uns deine Basen heißen, auch an deinen Tisch
setzen, so wollen wir dir den Flachs wegspinnen, und das
in kurzer Zeit? ?Bon Herzen gern,' antwortete es, ^kommt
nur herein und fangt gleich die Arbeit an? Da ließ es
die drei seltsamen Weiber herein, und machte in der ersten
Kammer eine Lücke, wo sie sich hin setzten und ihr Spinnen
74
anhuben. Die eine zog den Faden und trat das Rad; die
andere netzte den Faden, die dritte drehte ihn und schlug
mit dem Finger auf den Tisch, und so oft sie schlug, fiel
eine Zahl Garn zur Erde, und das war aufs feinste ge-
sponnen. Vor der Königin verbarg sie die drei Spinnerin-
nen und zeigte ihr, so oft sie kam, die Menge des gespon-
nenen Garns, daß diese des Lobes kein Ende fand. Als die
erste Kammer leer war, gings an die zweite, endlich an
die dritte, und die war auch bald aufgeräumt. Nun nah-
men die drei Weiber Abschied und sagten zum Mädchen
'vergiß nicht, was du uns versprochen hast, es wird dein
Glück sein.'
Als das Mädchen der Königin die leeren Kammern
und den großen Haufen Garn zeigte, richtete sie die Hoch-
zeit aus, und der Bräutigam freute sich, daß er eine so
geschickte und fleißige Frau bekäme und lobte sie gewaltig.
'Ich habe drei Basen,' sprach das Mädchen, 'und da sie mir
viel Gutes gethan haben, so wollte ich sie nicht gern in
meinem Glück vergessen: erlaubt doch, daß ich sie zu der
Hochzeit einlade, und daß sie mit an dem Tisch sitzen.' Die
Königin und der Bräutigam gaben ihre Einwilligung. Als
nun das Fest anhub, traten die drei Jungfern in wunder-
licher Tracht herein, und die Braut sprach 'seid willkommen,
liebe Basen.' 'Ach,' sagte der Bräutigam, 'wie kommst du
zu der garstigen Freundschaft?' Darauf ging er zu der
einen mit dem breiten Platschfuß und fragte 'wovon habt
ihr einen solchen breiten Fuß?' 'Vom Treten,' antwortete
sie, 'vom Treten.' Da ging der Bräutigam zur zweiten
und sprach 'wovon habt ihr nur die herunter hängende Lippe?'
Vom Lecken,' antwortete sie, 'vom Lecken.' Da fragte er
die dritte 'wovon habt ihr den breiten Daumen?' 'Vom
Faden drehen,' antwortete sie, 'vom Faden drehen.' Da
erschrak der Königssohn und sprach 'so soll mir nun und
nimmermehr meine schöne Braut ein Spinnrad anrühren.'
Damit war sie das böse Flachsspinnen los.
76
12.
Hanse! und Gretel.
Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker
mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß
Hansel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen
und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land
kam, konnte er auch das tägliche Brot nicht mehr schaffen.
Wie er sich nun abends im Bett Gedanken machte und sich
vor Sorgen herumwälzte, seufzte er und sprach zu seiner
Frau 'was soll aus uns werden? wie können wir unsere
armen Kinder ernähren, da wir für uns selbst nichts mehr
haben?' 'Weißt du was, Mann,' antwortete die Frau, 'wir
wollen morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald
führen, wo er am dicksten ist, da machen wir ihnen ein Feuer
an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen
wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den
Weg nicht wieder nach Haus, und wir sind sie los.' 'Nein,
Frau,' sagte der Mann, 'das thue ich nicht; wie sollt ichs
übers Herz bringen meine Kinder im Walde allein zu lassen,
die wilden Tiere würden bald kommen und sie zerreißen.'
'O du Narr,' sagte sie, 'dann müssen wir alle vier Hungers
sterben: da kannst nur die Bretter für die Särge hobeln,'
und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte. 'Aber die
armen Kinder dauern mich doch,' sagte der Mann.
77
Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschla-
fen können und hatten auch gehört, was die Stiefmutter zum
Vater gesagt hatte. Gretel weinte bittere Thränen und
sprach zu Hansel 'nun ists um uns geschehen? 'Still, Gre-
tel,' sprach Hansel, 'gräme dich nicht, ich will uns schon
helfen? Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf,
zog sein Röcklein an, machte die Unterthüre auf und schlich
sich hinaus. Da schien der Mond ganz helle, und die weißen
Kieselsteine, die vor dem Haus lagen, glänzten wie lauter
Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viel in sein Rock-
täschlein, als nur hinein wollten. Dann ging er wieder
zurück, sprach zu Gretel 'sei getrost, liebes Schwesterchen,
und schlaf nur ruhig ein, Gott wird uns nicht verlassen,'
und legte sich wieder in sein Bett.
Als der Tag anbrach, noch ehe die Sonne aufgegangen
war, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder, 'steht
auf, ihr Faulenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz
holen? Dann gab sie jedem ein Stückchen Brot und sprach
'da habt ihr etwas für den Mittag, aber eßts nicht vorher
auf, weiter kriegt ihr nichts? Gretel nahm das Brot unter
die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte.
Danach machten sie sich alle zusammen auf den Weg nach
dem Wald. Als sie ein Weilchen gegangen waren, stand
Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück und that das
wieder und immer wieder. Der Vater sprach 'Hänsel, was
guckst du da und bleibst zurück, hab acht und vergiß deine
Beine nicht? 'Ach, Vater,' sagte Hänsel, 'ich sehe nach meinem
weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir
ade sagen? Die Frau sprach 'Narr, das ist dein Kätzchen
78
nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein
scheint.' Hansel aber hatte nicht nach dem Kätzchen ge-
sehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen
aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.
Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach
der Vater ‘nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer
anmachen, damit ihr nicht friert.' Hansel und Gretel tru-
gen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das ward
angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte
die Frau ‘mm legt euch ans Feuer, ihr Kinder, und ruht
euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn
wir fertig sind, kommen wir wieder und holen euch ab.'
Hänsel und Gretel saßen am Feuer, und als der Mit- ,
tag kam, aß jedes sein Stücklein Brot. Und weil sie die
Schläge der Holzaxt hörten, so glaubten sie, ihr Vater wäre
in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein Ast,
den er an einen dürren Baum gebunden hatte, und den der
Wind hin und her schlug. Und als sie so lange gesessen hat-
ten, sielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schlie-
fen fest ein. Als sie endlich erwachten, war es schon finstere
Nacht. Gretel fing an zu weinen und sprach ‘wie sollen wir
nun aus dem Wald kommen!' Hänsel aber tröstete sie. ‘wart
nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann
wollen wir den Weg schon finden.' Und als der volle
Mond aufgestiegen war, so nahm Hänsel sein Schwesterchen
an der Hand und ging den Kieselsteinen nach, die schim-
merten wie neu geschlagene Batzen und zeigten ihnen den
Weg. Sie gingen die ganze Nacht hindurch und kamen
bei anbrechenden Tag wieder zu ihres Vaters Haus. Sie
79
klopften an die Thür, und als die Frau aufmachte und sah,
daß es Hansel und Gretel war, sprach sie 'ihr bösen Kin-
der, was habt ihr so lange im Walde geschlafen, wir haben
geglaubt, ihr wolltet gar nicht wieder kommen.' Der Vater
aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen gegangen, daß
er sie so allein zurück gelassen hatte.
Nicht lange darnach war wieder Not in allen Ecken,
und die Kinder hörten, wie die Mutter nachts im Bette
zu dem Vater sprach 'alles ist wieder aufgezehrt, wir haben
noch einen halben Laib Brot, hernach hat das Lied ein Ende.
Die Kinder müssen fort, wir wollen sie tiefer in den Wald
hinein führen, damit sie den Weg nicht wieder heraus finden;
es ist sonst keine Rettung für uns.' Dem Mann fiels
schwer aufs Herz und er dachte 'es wäre besser, daß du den
letzten Bissen mit deinen Kindern teiltest.' Aber die Frau
hörte auf nichts, was er sagte, schalt ihn und machte ihm
Vorwürfe. Wer A sagt, muß auch B sagen, und weil er
das erste Mal nachgegeben hatte, so mußte er es auch zum
zweiten Mal.
Die Kinder waren aber noch wach gewesen und hatten
das Gespräch mit angehört. Als die Alten schliefen, stand
Hansel wieder auf, wollte hinaus und Kieselsteine auflesen,
wie das vorige Mal, aber die Frau hatte die Thür ver-
schlossen, und Hänsel konnte nicht heraus. Aber er tröstete
sein Schwesterchen und sprach 'weine nicht, Gretel, und
schlaf nur ruhig, der liebe Gott wird uns schon helfen.'
Am frühen Morgen kam die Frau und holte die Kinder
aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das
war aber noch kleiner als das vorige Mal. Auf dem Wege
80
nach dem Wald bröckelte es Hansel in der Tasche, stand oft
still und warf ein Bröcklein auf die Erde. 'Hänsel, was
stehst du und guckst dich um,' sagte der Vater, 'geh deiner
Wege.' 'Ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem
Dache und will mir ade sagen,' antwortete Hansel. 'Narr,'
sagte die Frau, 'das ist dein Täubchen nicht, das ist die
Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.' Hän-
sel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.
Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald,
wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder
ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte 'bleibt
nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müde seid, könnt
ihr ein wenig schlafen: wir gehen in den Wald und hauen
Holz, und abends, wenn wir fertig sind, kommen wir und
holen euch ab.' Als es Mittag war, teilte Gretel ihr Brot
mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann
schliefen sie ein, und der Abend verging, aber niemand kam
zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern
Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte,
'wart nur, Gretel, bis der Mond aufgeht, dann werden
wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zei-
gen uns den Weg nach Haus.' Als der Mond kam, machten
sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die
viel tausend Vögel, die im Wald und im Felde umher
stiegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu Gretel
'wir werden den Weg schon finden,' aber sie fanden ihn
nicht. Sie gingen die ganze Nacht und noch einen Tag
von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald
nicht heraus und waren so hungrig, denn sie hatten nichts
— 81 —
als die paar Beeren, die auf der Erde standen. Und weil
sie so müd waren, daß die Beine sie nicht mehr tragen woll-
ten, so legten sie sich unter einen Baum und schliefen ein.
Nun wars schon der dritte Morgen, daß sie ihres Vaters
Haus verlassen hatten. Sie fingen wieder an zu gehen, aber
sie gerieten immer tiefer in den Wald und waren nahe daran
zu verschmachten. Als es Mittag war, sahen sie ein schönes
schneeweißes Vöglein auf einem Ast sitzen, das sang so schön,
daß sie stehen blieben und ihm zuhörten. Dann schwang es
seine Flügel und flog vor ihnen her, und sie gingen ihm
nach, bis sie zu einem Häuschen gelangten, auf dessen Dach
es sich setzte, und als sie nahe kamen, so sahen sie, daß das
Häuslein ganz aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt,
aber die Fenster waren von hellem Zucker. *Da wollen wir
uns dran machen,' sprach Hänsel, *und eine gute Mahlzeit
halten. Ich will ein Stück vom Dach essen, Gretel, iß du
vom Fenster, das ist süß.' Hänsel reichte in die Höhe und
brach sich ein wenig vom Dach ab, um zu versuchen, wie es
schmeckte, und Gretel stellte sich an die Scheiben und knu-
perte daran. Da rief eine feine Stimme aus der Stube
'knuper, knuper, kneischen,
wer knupert an meinem Häuschen?'
die Kinder antworteten
'der Wind, der Wind,
das himmlische Kind,'
und aßen weiter, ohne sich irre machen zu lassen. Hänsel, dem
das Dach sehr gut schmeckte, riß sich ein großes Stück davon
herunter, und Gretel stieß eine ganze runde Fensterscheibe
heraus, setzte sich und that sich wohl damit. Da ging auf
Grimm, Märchen. ß
82
einmal die Thüre auf und eine steinalte Frau, die sich auf
eine Krücke stützte, kam heraus geschlichen. Hansel und Gre-
tel erschraken so gewaltig, daß sie fallen ließen, was sie in
den Händen hielten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopfe
und sprach 'ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierher ge-
bracht? kommt nur herein und bleibt bei mir, ihr sollts gut
haben? Sie faßte beide an der Hand und führte sie in ihr
Häuschen. Da ward gutes Essen aufgetragen, Milch und
Pfannekuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse. Hernach wur-
den zwei schöne Bettlein weiß gedeckt, und Hänsel und Gre-
tel legten sich hinein und meinten, sie wären im Himmel.
Die Alte hatte sich nur so freundlich angestellt, sie war
aber eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte, und hatte
das Brothäuslein bloß gebaut, um sie herbei zu locken. Wenn
eins in ihre Gewalt kam, so machte sie es tot, kochte es und
aß es, und das war ihr ein Festtag. Als Hänsel und Gretel
sich dem Haus genähert hatten, da hatte sie boshaft gelacht
und höhnisch ausgerufen 'bte sollen mir nicht entwischen?
Früh morgens, ehe die Kinder erwacht waren, stand sie schon
auf, und als sie beide so lieblich ruhen sah, mit den vollen
roten Backen, so murmelte sie vor sich hin 'das wird ein
guter Bissen werden? Da packte sie Hänsel mit ihrer dürren
Hand und trug ihn in einen kleinen Stall. Er mochte schreien,
wie er wollte, es half ihm nichts: sie sperrte ihn mit einer
Gitterthüre ein. Dann ging sie zu Gretel, rüttelte sie
wach und rief 'willst du aufstehen, Faulenzerin, du sollst
Wasser holen und deinem Bruder etwas Gutes kochen, der
sitzt im Stall und soll fett werden. Und wenn er fett ist, so
will ich ihn essen? Gretel fing an bitterlich zu weinen, aber
- 83 —
es war alles vergeblich, sie mußte thun, was die böse Hexe
verlangte.
Nun ward dem armen Hänsel das beste Essen gekocht,
aber Gretel bekam nichts als Krebsschalen. Jeden Mor-
gen schlich die Alte zu dem Stallchen und rief ‘Hänsel, streck
deine Finger heraus, damit ich fühle, ob du bald fett bist.'
Hänsel streckte ihr aber ein Knöchlein heraus, und die Alte,
die trübe Augen hatte, konnte es nicht sehen und meinte, es
wären Hänsels Finger und verwunderte sich, daß er gar nicht
fett werden wollte. Als vier Wochen herum waren und
Hänsel immer mager blieb, da übernahm sie die Ungeduld,
und sie wollte nicht länger warten. ‘Heda, Gretel,' rief sie
dem Mädchen zu, ‘fei flink und trag Wasser: Hänsel mag
fett oder mager sein, morgen will ich ihn schlachten und
kochen.' Ach, wie jammerte das arme Schwesterchen, als es
das Wasser tragen mußte, und wie flössen ihm die Thrä-
nen über die Backen herunter! ‘Lieber Gott, hilf uns doch,'
rief sie aus, ‘hätten uns nur die wilden Tiere im Wald
gefressen, so wären wir doch zusammen gestorben.' ‘Spar
nur dein Geblärre,' sagte die Alte, ‘es hilft dir alles nichts.'
Früh morgens mußte Gretel heraus, den Kessel mit
Wasser aufhängen und Feuer anzünden. ‘Erst wollen wir
backen,' sagte die Alte, ‘ich habe den Backofen schon einge-
heizt und den Teig geknetet.' Sie stieß das arme Gretel
hinaus zu dem Backofen, aus dem die Feuerflammen oben
heraus schlugen. ‘Kriech hinein,' sagte die Hexe, ‘und sieh
zu, ob recht eingeheizt ist, damit wir das Brot hineinschießen
können.' Und wenn Gretel darin war, wollte sie den Ofen
zumachen, und Gretel sollte darin braten, und dann wollte
6»
84
sies auch aufessen. Aber Gretel merkte, was sie im Sinn
hatte und sprach 'ich weiß nicht, wie ichs machen soll; wie
komm ich da hinein?' Dumme Gans,' sagte die Alte, 'die
Oeffnung ist groß genug, siehst du wohl, ich könnte selbst
hinein,' krappelte heran und steckte den Kopf in den Backofen.
Da gab ihr Gretel einen Stoß, daß sie weit hinein fuhr,
machte die eiserne Thür zu und schob den Riegel vor. Hu!
da fing sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief
fort, und die gottlose Hexe mußte elendiglich verbrennen.
Gretel aber lief schnurstracks zum Hansel, öffnete sein
Ställchen und rief 'Hansel, wir sind erlöst, die alte Hexe
ist tot.' Da sprang Hansel heraus, wie ein Vogel aus den:
Käfig, wenn ihm die Thüre aufgemacht wird. Wie haben sie
sich gefreut, sind herumgesprungen und haben sich geküßt!
Und weil sie sich nicht mehr zu fürchten brauchten, gingen
sie in das Haus der Hexe hinein, da standen in allen Ecken
Kasten mit Perlen und Edelsteinen. 'Die sind noch besser
als Kieselsteine' sagte Hänsel, und steckte in seine Taschen
was hinein wollte, und Gretel sagte 'ich will auch etwas
mit nach Haus bringen,' und füllte sich sein Schürzchen voll.
'Aber jetzt wollen wir fort,' sagte Hänsel, 'damit wir aus
dem Hexenwald heraus kommen.' Als sie aber ein paar
Stunden gegangen waren, gelangten sie an ein großes
Wasser. 'Wir können nicht hinüber,' sprach Hänsel, 'ich sehe
keinen Steg und keine Brücke.' 'Es kommt auch kein Schiff-
chen,' antwortete Gretel, 'aber da schwimmt eine weiße
Ente, wenn ich die bitte, so hilft sie uns hinüber.' Da
rief sie
85
^Entchen, Entchen,
da steht Gretel und Hansel.
Kein Steg und keine Brücke,
nimm uns auf deinen weißen Rücken.'
Das Entchen kam auch heran, und Hansel setzte sich auf
und bat sein Schwesterchen sich zu ihm zu setzen. Mein,'
antwortete Gretel, 'es wird dem Entchen zu schwer, es soll
uns nach einander hinüber bringen.' Das that das gute
Tierchen, und als sie glücklich drüben waren und ein Weil-
chen fortgingen, da kam ihnen der Wald immer bekannter
und immer bekannter vor, und endlich erblickten sie von
weitem ihres Vaters Haus. Da fingen sie an zu laufen,
stürzten die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den
Hals. Der Mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seit-
dem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber
war gestorben. Gretel schüttete sein Schürzchen aus, daß
die Perlen und Edelsteine in der Stube herum sprangen,
und Hansel warf eine Handvoll nach der andern aus seiner
Tasche dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie
lebten in lauter Freude zusammen. Mein Märchen ist aus,
dort lauft eine Maus, wer sie sängt, darf sich eine große
Pelzkappe daraus machen.
13.
Von dem Fischer un ftjttcr im
Dar wör mal eens en Fischer UN syne Fru, de mann-
ten tosamen in'n Pißputt, dicht an der See, un de Fischer
güng alle Dage hen un angelb: un he angelb un angeld.
So seet he ok eens by de Angel und seeg jümmer in
dat blanke Water heniu: un he seet un seet.
Do güng de Angel to Grund, deep ünner, un as he se
heruphaald, so haald he enen groten Butt herut. Do
säd de Butt to em 'hör mal, Fischer, ik bidd dy, lat my
lewen, ik bün keen rechten Butt, ik bün'n verwünschten
Prins. Wat helpt dy dat, dat du my dot maakst? ik
würr dy doch nich recht smecken: sett my wedder in dat
Water un lat my swemmen.' Mu,' säd de Mann, 'du
bruukst nich so vel Wöörd to maken, enen Butt, de spreken
kann, hadd ik doch wol swemmen laten.' Mit des sett't he
em wedder in dat blanke Water, do güng de Butt to Grund
un teet enen langen Strypen Blot achter sik. Do stünn
de Fischer up un güng na syne Fru in'n Pißputt.
'Mann,' säd de Fru, 'hest du hüt niks fungen?' Me,'
säd de Mann, 'ik füng enen Butt, de säd he wör en ver-
wünschten Prins, do hebb ik em wedder swemmen laten.'
'Heft du dy denn niks wünschd?' säd de Fru. Me,' säd de
87
Mann, 'wat schull ik my wünschen?' Ach,' säd de Fru, cbat
is doch aewel, hyr man jümmer in'n Pißputt to wanen, dat
stinkt un is so eeklig: du haddst uns doch ene lüttje Hütt
wünschen kunnt. Ga noch hen un roop em: segg em wy
waehlt 'ne lüttje Hütt hebben, he dait dat gewiß.' Ach,'
säd de Mann, 'wat schull ik dor noch hen gan?' 'I,' säd
de Fru, 'du haddst em doch fungen, un heddst em wedder
swemmen laten, he dait dat gewiß. Ga glyk hen.' De
Mann wull noch nich recht, wull awerst syn Fru ok nich
to weddern syn un güng hen nach der See.
Als he dor köm, wör de See ganß grön un gel, un
gor nich meer so blank. So güng he stan un säd
'Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
myne Fru de Jlsebill
will nich so as ik wol will.
Da köm de Butt answemmen und säd 'na wat will se denn?'
'Ach,' säd de Mann, 'ik hebb dy doch sungen hatt, un säd
myn Fru ik hadd my doch wat wünschen schullt. Se mag
nich meer in'n Pißputt wanen, se wull geern 'ne Hütt.' 'Ga
man hen,' säd de Butt, 'se hett se all.'
Do güng de Mann hen, un syne Fru seet nich meer in'n
Pißputt, dar stünn awerst ene lüttje Hütt, un syne Fru seet
vor de Dör up ene Bank. Do nöm syne Fru em by de
Hand un säd to em 'kumm man herin, süh, nu is dat doch
vel beter.' Do güngen se henin, un in de Hütt was en
lüttjen Vörplatz und ene lüttje herrliche Stuw un Kamer,
wo jem eer Bed stünn, un Kaek und Spysekamer, allens up
dat beste mit Gerädschoppen, un up dat schönnite upgefleyt.
88
Tinntüg un Mischen (Messing), wat sik darin hört. Un
achter was ok en lüttjen Hof mit Hönern un Aanten, un en
lüttjen Goorn mit Grönigkeiten un Aast (Obst). 'Süh,' säd
de Fru, 'is dat nich nett?' 'Ja,' säd de Mann, 'so schall't
blywen, un waehl wy recht vergnögt lewen.' 'Dat waehl
wy uns bedenken,' säd de Fru. Mit des eeten se wat un
güngen to Bedd.
So güng dat wol 'n acht oder veertein Dag, do säd de
Fru 'hör, Mann, de Hütt is ok gor to eng, un de Hof un
de Goorn is so kleen: de Butt hadd uns ok wol en grötter
Hus schenken kunnt. Jk much wol in enem groten stenern
Slott wanen: ga hen tom Butt, he schall uns en Slott schen-
ken.' 'Ach, Fru,' säd de Mann, 'de Hütt is ja god nog;
wat waehl wy in'n Slott wanen?' 'I wat,' säd de Fru, 'ga
du man hen, de Butt kann dat jümmer don.' 'Ne, Fru,'
säd de Mann, 'de Butt hett uns erst de Hütt gewen, ik mag
nu nich all wedder kamen, den Butt muchd et vördreten.'
'Ga doch,' säd de Fru, 'he kann dat recht god un dait dat
gern; ga du man hen.' Dem Mann wörr syn Hart so swor,
un wull nich: he säd by sik sülwen 'dat is nich recht,' he güng
awerst doch hen.
As he an de See köm, wör dat Water ganß vige-
lett un dunkelblau un grau und dick, un gor nich meer so grön
un gel, doch wör't noch still. Do güng he stan un säd
'Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
myne Fru de Jlsebill
will nich so as ik wol will.'
'Na, wat will se denn?' säd de Butt. 'Ach,' säd de Mann
89
half bedröft, 'fe will in'n grot steuern Slott wanen.' 'Ga
man hen, se statt vör de Dör,' säd de Butt.
Da güng de Mann hen und dachd he wull na Huus
gan, as he awerst dar köm, so stünn dor 'n groten stenern
Pallast, un syn Fru stünn ewen up de Trepp un wull henin
gan: do nöm se em by de Hand un säd 'funtrn man herin.'
Mit des güng he mit ehr henin, un in dem Slott wör ene
grote Dehl mit marmelstenern Afters (Estrich), un dar wören
so vel Bedeenters, de reten de groten Dören up, un de
Wende wören all blank un mit schöne Tapeten, un in de Zim-
mers luter gollne Stöhl un Dischen, un krystallen Kron-
lüchters hingen an dem Baehn, un so wörr dat all de Stu-
wen und Kamers mit Footdecken: un dat Eten und de aller-
beste Wyn stünn up den Dischen as wenn se breken wullen.
Un achter dem Hufe wör ok' n groten Hof mit Peerd- un
Kohstell un Kutschwagens up dat allerbeste, ok was dor
en groten herrlichen Goorn mit de schönnsten Blomen un
fyne Aaftpömer, un en Lustholt wol 'ne halwe Myl lang,
dor wören Hirschen un Reh un Hasen drin und allens wat
man syk jümmer wünschen mag. 'Na,' säd de Fru, 'is dat nu
nich schön?' 'Ach ja,' säd de Mann, Io schall't ok blywen,
nu waehl wy ok in dat schöne Slott wanen, un waehln to-
freden syn.' 'Dat waehl wy uns bedenken' säd de Fru, 'un
waehlen't beslapen.' Mit des güngen se to Bedd.
Den annern Morgen waakd de Fru to erst up, dat was
jüst Dag, un seeg ut jehm ehr Bedd dat herrliche Land vör
sik liggen. De Mann reckd stk noch, do stödd se em mit dem
Ellbagen in de Syd un säd 'Mann, sta up un kyk mal ut
dem Fenster. Süh, kunnen wi nich König warden aewer all
90
düt Land? Ga hen tom Butt, wy waehlt König syn.' 'Ach
Fru,' säd de Mann, 'wat waehl wy König syn! ik mag nich
König syn.' 'Na,' säd de Fru, 'nmlt du nich König syn, so
will ik König syn. Ga hen tom Butt, ik will König syn.'
'Ach, Fru,' säd de Mann, 'wat wullst du König syn? dat
mag ik em nich seggen.' Worum nich?' säd de Fru, 'ga
stracks hen, ik mutt König syn.' Do güng de Mann hen un
wör ganß bedröft dat syne Fru König warden wull. 'Dat
is nich recht un is nich recht,' dachd de Mann. He wull
nich hen gan, güng awerst doch hen.
Un as he an de See köm, da wör de See ganß
swartgrau un dat Water geerd so von ünnen up un stünk
ok ganß sul. Do güng he stan un säd
'Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
wyne Fru de Jlsebill
will nich so as ik wol will.'
'Na, wat will se denn?' säd de Butt. 'Ach,' säd de Mann,
'se will König warden.' 'Ga man hen, se is't all', säd de Butt.
Do güng de Mann hen, un as he na dem Pallast köm,
so wör dat Slott vel grötter worren, mit enem groten
Toorn un herrlyken Zyrat doran: un de Schildwacht stünn
vör de Dör, und dar wören so vele Soldaten un Pauken
un Trumpeten. Un as he in dat Huus köm, so wör allens
von purem Marmelsteen mit Gold, un sammtne Decken un
grote gollne Quasten. Da güngen de Dören von dem Saal
up, dor de ganze Hofstaat wör, un syne Fru seet up enem
hogen Thron von Gold un Demant, un hadd ene' grote
gollne Krön up un den Zepter in der Hand von purem Gold
91
un Edelsteen, un up beiden Syden by ehr stönnen ses Jum-
fern in eene Reeg, jümmer eene enen Kopps lüttjer as de
annere. Do güng he stan un säd, 'cufy, Fru, büst nu Kö-
nig?' 'Ja,' säd de Fru, 'nu bün ik König.' Do stünn he un
seeg se -an, un as he se do een Flach (eine Zeit lang) so an-
setzn hadd, säd he 'ach, Fru, wat lett dat schön, wenn du
König büst! nu waehl wy ok niks meer wünschen.' Me,
Mann,' säd de Fru, un wör ganß unruhig, 'my wart de
Tyd und Wyl al lang, ik kann dat nich meer uthollen. Ga
hen tom Butt, König bün ik, nu mutt ik ok Kaiser war-
ben.' 'Ach, Fru,' säd de Mann, 'wat wullst du Kaiser war-
ben?' 'Mann,' säd se, 'ga tom Butt, ik will Kaiser syn.'
'Ach Fru,' säd de Mann, 'Kaiser kann he nich maken, ik
mag dem Butt dat nich seggen; Kaiser is man eenmal im
Reich: Kaiser kann de Butt jo nich maken, dat kann un
kann he nich.' 'Wat,' säd de Fru, 'ik bün König und du
büst man myn Mann, wullt du glyk hengan? glyk ga hen,
kann he König maken, kann he ok Kaiser maken, ik will
un will Kaiser syn; glyk ga hen.' Do mussd he hengan.
Do de Mann awer hengüng, wör em ganß bang, un as
he so güng, dachd he by sik 'düt gait un gait nich god:
Kaiser is to utvörschaamt, de Butt wart am Ende möd.'
Mit des köm he an de See, da wör de See noch ganß
swart un dick un füng al so von ünneu up to geren, dat
et so Blasen smeet, un et güng so ein Keekwind aewer
hen, dat et sik so köhrd; un de Mann wurr groen (grauen).
Do güng he stan un säd
'Manutje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
92
myne Fru de Jlsebill
will nich so as ik wol will.'
'Na, wat will se denn?' säd de Butt. 'Ach, Butt,' säd
he, ‘rmm Fru will Kaiser wurden.' 'Ga man hen,' säd de
Butt, 'se is't all.'
Da güng de Mann hen, un as he dor köm, so wör dat
ganße Slott von poleertem Marmelsteen mit albasternen Fi-
guren un gollnen Zyraten. Mr de Dör marscheerden de
Soldaten, un se Llösen Trumpeten und slögen Pauken un
Trummeln: awerst in dem Hufe da güngen de Baronen un
Grawen und Herzogen man so as Bedeenters herüm: damaak-
den se em de Dören up, de von luter Gold wören. Un as
he herin köm, dor seet syne Fru up enem Thron, de wor
von een Stück Gold, und wör wol twe Myl hog: un hadd
ene grote gollne Krön up, de wör dre Elen hog un mit
Briljanten un Karfunkelsteen besett't: in de ene Hand
hadde se den Zepter un in de annere Hand den Reichs-
appel, un up beiden Syden by ehr dor stünnen de Tra-
banten so in twe Regen jümmer een lüttjer as de annere,
von dem allergröttsten Rysen, de wör twe Myl hog, bet
to dem allerlüttjesten Dwaark, de wör man so grot as
min lüttje Finger. Un vör ehr stünnen so vele Fürsten un
Herzogen. Dor güng de Mann tuschen stan und säd 'Fru,
büst du nu Kaiser?' 'Ja,' säd se, 'ik bün Kaiser.' Do
güng he stan un beseeg se sik so recht, un as he se so'n Flach
ansehn hadd, so säd he 'ach, Fru, wat lett dat schön, wenn
du Kaiser büst.' Mann,' säd se, 'wat staist du dor? ik bün
nu Kaiser, nu will ik awerst ok Pabst Warden, ga hen torn
Butt.' 'Ach, Fru,' säd de Mann, 'wat wullst du man nich?
93
Pabst kannst du nich warben, Pabst ist man eenmal in
der Kristenhait, dat kann he doch nich maken.' 'Mann,' säd
se, 'ik will Pabst Warden, ga glyk hen, ik mutt hüt noch
Pabst warben.' Me, Fru,' säd de Mann, 'dat mag ik em
nich seggen, dat gait nich god, dat is to groff, tom Pabst
kann de Butt nich maken.' 'Mann, wat Snack,' säd de Fru,
'kann he Kaiser maken, kann he ok Pabst maken. Ga foorts
hen, ik bün Kaiser und du büst man myn Mann, wullt du
wol hengan?' Do wurr he bang un güng hen, em wör
awerst ganß flau, un zitterd und beewd, un de Knee un de
Waden slakkerden em. Un dar streek so'n Wind aewer dat Land,
un de Wolken flögen, as dat düster wurr gegen Awend: de
Blaeder Waiden von den Bömern, un dat Water güng un
brusd as kaakd dat, un platschd an dat Oever, un von
seern seeg he de Schepen, de schoten in der Not, un danßden
un sprängen up den Bülgen. Doch wör de Himmel noch
so'n bitten blau in de Midd, awerst an den Syden dor
tog dat so recht rod up as en swor Gewitter. Do güng he
recht vörzufft (verzagt) stan in de Angst un säd
'Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
myne Fru de Jlsebill
will nich so as ik wol will.'
'Na, wat will se denn?' säd de Butt. 'Ach,' säd de Mann
'se will Pabst warden.' 'Ga man hen, se is't all,' säd
de Butt.
Do güng he hen, un as he dor köm, so wör dar as en
grote Kirch mit luter Pallastens ümgewen. Do drängd he
sik dorch dat Volk: inwendig was awers allens mit dausend
— 94 —
UN dausend Lichtern erleuchtet, UN syne Fru wör in luter
Gold gekleidet, un seet noch up enem vel högeren Thron,
un hadde dre grote gollne Kronen up, un um ehr dar
wör so vel von geistlykem Staat, un up beiden Syden
by ehr dor stünnen twe Regen Lichter, dat gröttste so dick
un grot as de allergröttste Toorn, bet to dem allerkleensten
KaeksUlicht; un alle de Kaisers und de Königen de legen
vör ehr up de Knee un küßden ehr den Tüffel. 'Fru,' säd
de Mann un seeg se so recht an, 'büst du nu Pabst?' 'Ja,'
säd se, 'ik bün Pabst.' Do güng he stau un seeg se recht
an, un dat wör as wenn he in de Helle Sunn seeg. As
he se do een Flach ansehn hadd, so seegt he 'ach, Fru, wat
lett dat schön, wenn du Pabst büst!' Se seet awerst ganß
styf as en Bom und rüppeld und röhrd sik nich. Do säd
he 'Fru, nu sy tofreden, nu du Pabst büst, nu kannst du
doch niks meer Warden.' 'Dat will ik my bedenken,' säd
de Fru. Mit des güngen se beide to Bedd, awerst se wör
nich tofreden, un de Girighait leet se nich slapen, se dachd
jümmer wat se noch Warden wull.
De Mann slep recht god un fast, he had den Dag
vel lopen, de Fru awerst kunn gar nich inslapen un smeet
sik von een Syd to der annern de ganze Nach, un dachd
man jümmer wat se noch wol warden kunn, un kunn sik
doch up niks meer besinnen. Mit des wull de Sünn up-
gan, un as se dat Morgenrod seeg, richt'd se sik aewer
End im Bedd un seeg dor henin, un as se ut dem Fen-
ster de Sünn so herup kamen seeg, 'ha,' dachd se, 'kunn ik
nich ok de Sünn un de Maan upgan laten?' 'Mann,'
säd se, un stödd em mit dem Ellbagen in de Ribben, 'waak
95
up, ga hem tom Butt, ik will warben as de lewe Gott.
De Mann was noch meist in'n Slaap, awerst he vörschrok
sik so, datt he utt dem Bett füll. He meend he hadd sik
vörhörd, un reef sik de Ogen nt und säd 'ach, Fru, wat
säd'st du?' Mann,' säd se, 'wenn ik nich deSünn un de Maan
kann npgan laten, ik kann bat nich uthollen, un hebb kene
geruhige Stund meer, dat ik se nich sülwst kann npgan laten.'
Do seeg se em so recht gräsig an, dat em so'n Schudder aewer-
leep. 'Glyk ga hen, ik will Warden as de lewe Gott.' 'Ach,
Fru,' säd de Mann, un füll vör ehr up de Knee, 'dat kann
de Butt nich. Kaiser un Pabst kann he maken, ik bidd dy,
sla in dy un blyf Pabst.' Do köm se in de Boshait, de Hör
flögen ehr so wild üm den Kopp, do reet se sik dat Lyfken
up, un geef em eens mit dem Fot un schreed 'ik hol dat
nich nt un hol dat nich länger nt: wullt du hengan?' Do
flöpd he sik de Büxen an un leep wech as unsinnig.
Buten awer güng de Storm un brusde dat he kum
zip den Föten stan kunn: de Huser un de Bömer Waiden
üm, un de Barge bewden, un de Felsenstücken rullden
in de See, un de Himmel wör ganß pickswart, un dat
dunnerd un blitzd, un de See güng in so hoge swarte
Bulgen as Kirchentöörm un as Barge, un de hadden
bawen all ene Witte Krön von Schum up. Do schree he,
un kunn syn egen Word nicht hören,
'Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttse, Buttje in der See,
myne Fru de Jlsebill
will nich so as ik wol will.'
96
'Na, ttat will se denn?' säd de Butt. 'Ach,' säd he, 'se
will Warden as de lewe Gott.' 'Ga man hen, se sitt all
wedder in'n Pißputt.'
Dor fitten se noch Bet up hüt un buffen Dag.
97
14.
Aschenputtel.
Einem reichen Manne dem ward seine Frau krank, und
als sie fühlte, daß ihr Ende heran kam, rief sie ihr ein-
ziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach 'liebes Kind,
bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer
beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herab blicken
und will um dich sein.' Darauf that sie die Augen zu
und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu
dem Grabe der Mutter und weinte und blieb fromm und^
gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes
Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es
, wieder herab gezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere
Frau.
Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die
schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz
von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme
Stiefkind an. 'Soll die dumme Gans bei uns in der Stube
sitzen?' sprachen sie, 'wer Brot essen will, muß es verdienen;
hinaus mit der Küchenmagd.' Sie nahmen ihm seine schö-
nen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an und
gaben ihm hölzerne Schuhe. Dann lachten sie es aus und
führten es in die Küche. Da mußte es so schwere Arbeit
thun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer an-
Grimm, Märchen. 7
98
machen, kochen und waschen. Obendrein thaten ihm die Schwe-
stern alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten es und schüt-
teten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so daß es sitzen
und sie wieder auslesen mußte. Abends, wenn es sich müde
gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern mußte sich
neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer
staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.
Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen
wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mit-
bringen sollte? 'Schöne Kleider,' sagte die eine, 'Perlen und
Edelsteine' die zweite. 'Aber du, Aschenputtel,' sprach er, 'was
willst du haben?' 'Vater, das erste Reis, das euch auf eurem
Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab.' Er kaufte
nun für die beiden Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen
und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen
grünen Busch ritt, streifte ihn ein Haselreis und stieß ihm den
Hut ab. Da brach er das Reis ab und nahm es mit. Als er
nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich ge-
wünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis
von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zu
seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf und
weinte so sehr, daß die Thränen niederfielen und es be-
gossen. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum.
Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und
betete, und allemal kam ein weißes Vöglein auf den Baum,
und das Vöglein warf ihm herab, was es sich nur wünschte.
Es begab sich aber, daß der König ein Fest anstellte, das
drei Tage dauern sollte, und wozu alle schönen Jungfrauen
im Lande eingeladen wurden, damit sich sein Sohn eine
99
Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie
hörten, daß sie auch dabei erscheinen sollten, waren guter
Dinge, riefen Aschenputtel und sprachen Tämm uns die
Haare, bürste uns die Schuh und mache uns die Schnallen
fest, wir gehen zur Hochzeit auf des Königs Schloß.' Aschen-
puttel gehorchte, weinte aber, weil es auch gern zum Tanz
mitgegangen wär, und bat die Stiefmutter, sie möchte es
ihm erlauben. 'Du Aschenputtel voll Staub und Schmutz,'
sprach sie, 'du willst zur Hochzeit und hast keine Kleider!
willst tanzen und hast keine Schuhe!' Als es aber mit Bit-
ten anhielt, sprach sie endlich 'da habe ich dir eine Schüssel
Linsen in die Asche geschüttet, und wenn du die Linsen in
zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mit-
gehen.' Das Mädchen ging durch die Hinterthür nach dem
Garten und rief 'ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen.
all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.'
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein,
und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und
schwärmten alle Vögelein unter demHimmel herein und ließen
sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit dem
Köpfchen und fingen an pik, pik, pik, pik, und da fingen
die übrigen auch an Pik, pik, pik, pik, und lasen alle gutrn
Körnlein in die Schüssel. Kaum war eine Stunde herum,
so waren sie fertig und flogen alle wieder hinaus. Da trug
das Mädchen die Schüssel zu der Stiefmutter, freute sich und
glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie
sprach 'nein, Aschenputtel, du wirst nur ausgelacht, du hast
7*
100
keine Kleider und kannst nicht tanzen.' Als es nun weinte,
sprach sie 'wenn du mir zwei Schüsseln voll Linsen in einer
Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mit-
gehen,' und dachte 'das kann es ja nimmermehr.' Sie
schüttete die zwei Schüsseln Linsen in die Asche, aber das
Mädchen ging durch die Hinterthüre nach dem Garten und
rief 'ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr
Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
die guten ins Töpsrhen,
die schlechten ins Kröpfchen.'
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein,
und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und
schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen
sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihrem
Köpfchen und fingen an pik, pik, pik, pik, und da singen
die übrigen auch an Pik, Pik, pik, pik, und lasen alle guten
Körner in die Schüsseln. Und eh eine halbe Stunde herum
war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus.
Da trug das Mädchen die Schüsseln zu der Stiefmutter,
freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit
gehen. Aber sie sprach 'es hilft dir alles nichts: du kommst
nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tan-
zen; wir müßten uns deiner schämen.' Darauf kehrte sie
ihm den Rücken zu und ging mit ihren zwei stolzen Töch-
tern fort.
Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel
zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief
'Bäumchen, rüttel dich und schütte! dich,
wirf Gold und Silber über mich.'
101
Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter
und ein Paar mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln.
Alsbald zog es Kleid und Pantoffeln an und ging zur Hoch-
zeit. Seine Schwestern aber und die Stiefmutter erkannten
es nicht und meinten, es müßte eine fremde Königstochter sein,
so schön sah es in dem goldenen Kleide aus. An Aschen-
puttel dachten sie gar nicht und glaubten, es läge daheim
im Schmutz. Der Königssohn kam ihm entgegen, nahm
es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte auch mit
sonst niemand tanzen, also daß er ihm die Hand nicht los
ließ, und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach
er 'das ist meine Tänzerin?
Es tanzte bis es Abend war, da wollte es nach Haus
gehen. Der Königssohn aber sprach 'ich gehe mit und be-
gleite dich,' denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen
angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das
Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis der Vater
kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen wär in das Tauben-
haus gesprungen. Da dachte er 'sollte es Aschenputtel sein?'
und sie mußten im Axt und Hacken bringen, damit er das
Taubenhaus entzwei schlagen konnte: aber es war niemand
darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in sei-
nen schmutzigen Kleidern in der Asche, und ein trübes Öl-
lampchen brannte im Schornstein; denn Aschenputtel war
geschwind aus dem Taubenhaus hinten herab gesprungen
und war zu dem Haselbäumchen gelaufen: da hatte es die
schönen Kleider ausgethan und aufs Grab gelegt, und der
Vogel hatte sie wieder weggenommen, und dann hatte es
sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.
102
Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub und die
Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschen-
puttel zu dem Haselbaum und sprach
'Bäumchen, rüttel dich und schütte! dich,
wirf Gold und Silber über mich?
Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab, als
am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der
Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine Schönheit.
Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es kam, nahm es
gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn
die andern kamen und es aufforderten, sprach er 'das ist
meine Tänzerin.' Als es nun Abend war, wollte es fort,
und der Königssohn ging ihm nach und wollte sehen, in
welches Haus es ging: aber es entsprang ihm und lief in
den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schöner
großer Baum mit den herrlichsten Birnen, auf den kletterte
es behend wie ein Eichhörnchen, und der Königssohn wußte
nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der
Vater kam, und sprach zu ihm 'das fremde Mädchen ist
mir entwischt, und ich glaube es ist auf den Birnbaum
gesprungen.' Der Vater dachte 'sollte es Aschenputtel sein?'
und ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber
es war niemand darauf. Und als sie in die Küche kamen,
lag Aschenputtel da in der Asche, wie sonst auch, denn es
war auf der andern Seite vom Baum herab gesprungen,
hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Klei-
der wieder gebracht und sein graues Kittelchen angezogen.
Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort
103
waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab
und sprach zu dem Bäumchen
'Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich?
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so
prächtig und glänzend, wie es noch keins gehabt hatte, und
die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem Kleid
zu der Hochzeit kam, wußten sie alle nicht, was sie vor
Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte ganz
allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er
'das ist meine Tänzerin?
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der
Königssohn wollte es begleiten, aber es entsprang ihm so ge-
schwind, daß er nicht folgen konnte. Der Königssohn hatte
aber eine List gebraucht und hatte die ganze Treppe mit Pech
bestreichen lasten: da war, als es hinab sprang, der linke
Pantoffel des Mädchens hängen geblieben. Der Königssohn
hob ihn auf, er war klein und zierlich und ganz golden.
Am nächsten Morgen ging er damit zu dem Manne und sagte
zu ihm 'keine andere soll meine Gemahlin werden als die, an
deren Fuß dieser goldene Schuh paßt? Da freuten sich die
beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die Älteste
ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anpro-
bieren, und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der
großen Zehe nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu
klein; da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach 'hau
die Zehe ab: wann du Königin bist, so brauchst du nicht mehr
zu Fuß zu gehen? Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte
den Fuß in den Schuh, verbiß den Schmerz und ging her-
104
aus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut
aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mußten aber an
dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem
Haselbäumchen und riefen
'rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck (Schuh):.
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim?
Da blickte er auf ihren Fuß und sah, wie das Blut heraus-
quoll. Er wendete sein Pferd um, brachte die falsche Braut
wieder nach Haus und sagte, das wäre nicht die rechte, die
andere Schwester sollte den Schuh anziehen. Da ging diese
in die Kammer und kam mit den Zehen glücklich in den
Schuh, aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die
Mutter ein Messer und sprach 'hau ein Stück von der Ferse
ab: wann du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß
zu gehen? Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse
ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiß den Schmerz
und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als
seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Als sie an
dem Haselbäumchen vorbei kamen, saßen die zwei Täub-
chen darauf und riefen
'rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck:
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim?
Er blickte nieder aus ihren Fuß und sah, wie das Blut aus
dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz rot
heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd und brachte
105
die falsche Braut wieder nach Haus. Das ist auch nicht
die rechte,' sprach er, 'habt ihr keine andere Tochter?' Mein,'
sagte der Mann, 'nur von meiner verstorbenen Frau ist noch
ein kleines verbuttetes Aschenputtel da, das kann unmöglich
die Braut sein.' Der Königssohn sprach, er sollt es herauf
schicken, die Mutter aber antwortete 'ach nein, das ist viel zu
schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.' Er wollte es
aber durchaus sehen, und Aschenputtel mußte gerufen werden.
Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann
hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den gol-
denen Schuh reichte. Es setzte sich auf einen Schemel, zog
den linken Fuß aus dem schweren Holzschuh, setzte ihn auf
den goldenen Pantoffel, und nur ein wenig brauchte es zu
drücken, so stand es darin, als wär er ihm angegossen.
Als es aber das Gesicht erhob, da sah er, daß es die war,
die mit ihm getanzt hatte, und sprach 'das ist die rechte
Braut!' Die Stiefmutter und die beiden Schwestern er-
schraken und wurden bleich vor Ärger: er aber nahm Aschen-
puttel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem
Haselbäumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Täubchen
'rucke di guck, rucke di guck,
kein Blut im Schuck:
der Schuck ist nicht zu klein,
die rechte Braut die führt er heim.'
Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herab ge-
flogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern,
eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen.
Als die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten
werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich ein-
106
schmeicheln und Teil an seinem Glück nehmen. Als die
Brautleute nun zur Kirche gingen, war die älteste zur
rechten, die jüngste zur linken Seite: da pickten die Tau-
ben einer jeden das eine Auge aus; hernach als sie heraus
gingen, war die älteste zur linken, und die jüngste zur
rechten, da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge
aus. Und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit
auf ihr Lebtag gestraft.
107
15.
Frau Holle.
Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine
schön und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte
aber die häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war,
viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit thun und der
Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mädchen mußte sich
täglich auf die große Straße neben einen Brunnen setzen und
mußte so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern
sprang. Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz
blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte
sie abwaschen: sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel
hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr
das Unglück. Sie schalt es heftig und war so unbarmherzig,
daß sie sprach 'hast du die Spule hinunter fallen lassen, so
hol sie auch wieder herauf? Da ging das Mädchen zu dem
Brunnen zurück und wußte nicht, was es ansangen sollte,
und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein,
um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung, und als
es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer
schönen Wiese: da schien die Sonne und waren viel tausend
Blumen. Auf der Wiese ging es fort und kam zu einem
Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief 'ach, zieh
mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon
längst ausgebacken? Da trat es mit dem Brotschieber herzu
108
und holte alles heraus. Danach ging es weiter und kam
zu einem Baum, der hing voll Äpfel und rief ihm zu 'ach
schüttel mich, schütte! mich, wir Äpfel sind alle mit einander
reif.' Da schüttelte es den Baum, daß die Äpfel fielen, als
regneten sie, und schüttelte so lange, bis keiner mehr oben
war; und als es alle in einen Haufen zusammen gelegt
hatte, ging es auf dem Pfade weiter. Endlich kam es zu
einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau: weil sie ;
aber so große Zähne hatte, ward ihm angst, und es wollte
fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach 'was fürchtest
du dich, liebes Kind? bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im
Hause ordentlich thun willst, so soll dirs gut gehen; nur mußt
du achtgeben, daß du mein Bett sorgsam machst und fleißig -
aufschüttelst, daß die Federn fliegen, dann schneit es in der
Welt*); ich bin die Frau Holle.' Weil die Alte ihm so gut \
zusprach, so faßte sich das Mädchen ein Herz, willigte ein £
und begab sich in ihren Dienst. Es that auch alles zu ihrer
Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig |
auf, daß die Federn wie Schneeflocken umher flogen; dafür
hatte es auch ein gutes Leben bei ihr, kein böses Wort und
alle Tage Gesottenes und Gebratenes. Nun war es eine
Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig und wußte !
anfangs selbst nicht, was ihm fehlte; endlich merkte es, daß
es Heimweh war: und ob es hier gleich viel tausendmal besser
war, als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin.
Endlich sagte es zu ihr 'ich habe den Jammer nach Haus
*) Darum sagt man in Hessen, wenn es schneit, die Frau Holle
macht ihr Bett.
109
kriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so
kann ich doch nicht länger bleiben, ich muß wieder hinauf zu
den Meinigen.' Die Frau Holle sagte 'es gefällt mir, daß
du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir so treu
gedient hast, so will ich dich selbst wieder oben hinbringen.'
Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein gro-
ßes Thor. Das Thor ward aufgethan, und wie das Mädchen
gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und
alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es über und über
davon bedeckt war. 'Das sollst du haben, weil du fleißig
gewesen bist' sprach die Frau Holle, und gab ihm auch die
Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf
ward das Thor verschlossen und das Mädchen befand sich oben
aus der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus, und als
es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief
'kikeriki,
unsere goldene Jungfrau ist wieder hie.'
Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit
Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester
ganz gut aufgenommen.
Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und
als die Mutter hörte, auf welche Art es zu dem großen Reich-
tum gekommen war, wollte sie der andern häßlichen und fau-
len Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie mußte sich
an den Brunnen setzen und spinnen; und damit ihre Spule
blutig ward, stach sie sich in die Finger und stieß die Hand
in die Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen
und sprang selber hinein. Sie kam wie die andere, auf die
schöne Wiese und ging auf demselben Pfade weiter. Als sie
110
zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder 'ach zieh mich
raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst
ausgebacken.' Die Faule aber antwortete 'da hätt ich Lust mich
schmutzig zu machen, bleib sitzen bis du schwarz wirst,' und ging
fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief 'ach, schüttel
mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle mit einander reif.' Sie
antwortete aber 'du kommst mir recht, es könnte mir einer
auf den Kopf fallen,' und ging weiter. Als sie vor der Frau
Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren
großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich
zu ihr. Am ersten Tag that sie sich Gewalt an, war fleißig
und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie
dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am zwei-
ten Tag aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten noch
mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen. Sie machte
auch der Frau Holle das Bett nicht, wie sichs gebührte, und
schüttelte es nicht, daß die Federn aufflogen. Das ward die
Frau Holle bald müde und sagte ihr den Dienst auf. Das
war die Faule wohl zufrieden und meinte, nun würde der
Goldregen kommen. Die Frau Holle führte sie auch zu dem
Thor, als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein
großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. 'Das ist zur Beloh-
nung deiner Dienste' sagte die Frau Holle und schloß das
Thor zu. Da kam die Faule heim und war ganz mit Pech
bedeckt, und der Hahn auf dem Brunnen, als er sie sah, ries
'kikeriki,
unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie.'
Das Pech blieb aber an ihr hängen und wollte, so lange sie
lebte, nicht abgehen.
111
16.
Die sieben Raben.
Ein Mann hatte sieben Söhne und immer noch kein
Töchterlein, so sehr er sich auch eins wünschte; endlich gab
ihm seine Frau wieder gute Hoffnung zu einem Kinde, und
wies zur Welt kam, wars ein Mädchen. Ob es gleich schön
war, so wars doch auch schmächtig und klein, und sollte wegen
seiner Schwachheit die Nottaufe haben. Da schickte der
Vater einen der Knaben eilends zur Quelle, Taufwasser zu
holen, und die andern sechs liefen mit. Jeder wollte aber
der erste beim Schöpfen sein, und darüber fiel ihnen der
Krug in den Brunnen. Da standen sie und wußten nicht
was sie thun sollten, und keiner getraute sich heim. Dem
Vater ward unter der Weile angst, das Mädchen müßte
ungetanst verscheiden, und wußte gar nicht, warum die
Jungen so lange ausblieben. 'Gewiß,' sprach er, 'haben
sies wieder über ein Spiel vergessen;' und als sie immer
nicht kamen, fluchte er im Ärger 'ich wollte, daß die Jun-
gen alle zu Raben würden.' Kaum war das Wort aus-
geredet, so hörte er ein Geschwirr über seinem Haupt in
der Luft, blickte auf und sah sieben kohlschwarze Raben
auf und davon fliegen.
Die Eltern konnten die Verwünschung nicht mehr zurück-
nehmen, und so traurig sie über den Verlust ihrer sieben
112
Söhne waren, trösteten sie sich doch einigermaßen durch ihr
liebes Töchterchen, das bald zu Kräften kam und mit jedem
Tage schöner ward. Es wußte lange Zeit nicht einmal, daß
es Geschwister gehabt hatte, denn die Eltern hüteten sich ihrer
zu erwähnen, bis es eines Tags von ungefähr die Leute von
sich sprechen hörte, das Mädchen wäre wohl schön, aber doch
eigentlich Schuld an dem Unglück seiner sieben Brüder. Da
ward es ganz betrübt, ging zu Vater und Mutter und fragte,
ob es denn Brüder gehabt hätte, und wo sie hingeraten
wären? Nun durften die Eltern das Geheimnis nicht länger
verschweigen, sagten jedoch, es sei des Himmels Verhäng-
nis gewesen, und seine Geburt nur der unschuldige Anlaß.
Allein das Mädchen machte sich täglich ein Gewissen daraus
und glaubte, es müßte seine Geschwister wieder erlösen. Es
hatte nicht Ruhe und Rast, bis es sich einmal aufmachte und
in die weite Welt ging, seine Brüder irgendwo aufzuspüren
und zu befreien, es möchte kosten, was es wollte. Es nahm
nichts mit sich als ein Ringlein von seinen Eltern zum An-
denken, einen Laib Brot für den Hunger, ein Krüglein Wasser
für den Durst und ein Stühlchen für die Müdigkeit.
Nun ging es immer zu, weit weit bis an der Welt Ende.
Da kam es zur Sonne, aber die war zu heiß und fürchterlich
und fraß die kleinen Kinder. Eilig lief es weg und hin zu
dem Mond, aber der war gar zu kalt und auch grausig und
bös, und als er das Kind merkte, sprach er 'ich rieche rieche
Menschenfleisch.' Da machte es sich geschwind fort und kam zu
den Sternen, die waren ihm freundlich und gut, und jeder
saß auf seinem besonderen Stühlchen. Der Morgenstern aber
stand auf, gab ihm ein Hinkelbeinchen und sprach 'wenn du
113
das Beinchen nicht hast, kannst du den Glasberg nicht aus-
schließen, und in dem Glasberg da sind deine Brüder.'
Das Mädchen nahm das Beinchen, wickelte es wohl in
ein Tüchlein und ging wieder fort, so lange, bis es an
den Glasberg kam, dessen Thor verschlossen war. Nun wollte
es das Beinchen hervor holen, aber wie es das Tüchlein
aufmachte, so war es leer, und es hatte das Geschenk der
guten Sterne verloren. Was sollte es nun anfangen? seine
Brüder wollte es erretten und hatte keinen Schlüssel zum
Glasberg. Das gute Schwesterchen nahm ein Messer, schnitt
sich ein kleines Fingerchen ab, steckte es in das Thor und
schloß glücklich auf. Als es hinein getreten war, kam ihm
ein Zwerglein entgegen, das sprach 'mein Kind, was suchst
du?' 'Ich suche meine Brüder, die sieben Raben,' ant-
wortete es. Der Zwerg sprach 'die Herren Raben sind
nicht zu Haus, aber willst du hier so lang warten, bis sie
kommen, so tritt ein.' Daraus brachte das Zwerglein die
Speise der Raben getragen auf sieben Tellerchen und in
sieben Becherchen, und von jedem Tellerchen aß das Schwe-
sterchen ein Bröckchen, und aus jedem Becherchen trank es
ein Schlückchen, in das letzte Becherchen aber ließ es das
Ringlein fallen, das es mitgenommen hatte.
Auf einmal hörte es in der Luft ein Geschwirr und ein
Geweh, da sprach das Zwerglein 'jetzt kommen die Herren
Raben heim geflogen.' Da kamen sie, wollten essen und
trinken, und suchten ihre Tellerchen und Becherchen. Da
sprach einer nach dem andern 'wer hat von meinem Tellerchen
gegessen? wer hat aus meinem Becherchen getrunken? das ist
eines Menschen Mund gewesen.' Und wie der siebente auf
Grimm, Märchen. 8
114
den Grund des Bechers kam, rollte ihm das Ringlein ent-
gegen. Da sah er es an und erkannte, daß es ein Ring
von Vater und Mutter war, und sprach *Gott gebe, unser
Schwesterchen wäre da, so waren wir erlöst.' Wie das
Mädchen, das hinter der Thüre stand und lauschte, den
Wunsch hörte, so trat es hervor, und da bekamen alle die
Raben ihre menschliche Gestalt wieder. Und sie herzten
und küßten einander und zogen fröhlich heim.
115
17.
Rotkäppchen.
Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jeder-
mann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber die
Großmutter, die wußte gar nicht, was sie alles dem Kinde
geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von
rotem Sammet, und weil ihm das so wohl stand und es
nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rot-
käppchen. Da sagte einmal seine Mutter zu ihm 'komm,
Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche
Wein, brings der Großmutter hinaus: sie ist krank und
schwach und wird sich daran laben. Sei aber hübsch artig,
guck nicht gleich in alle Ecken herum, wenn du in die Stube
kommst, und vergiß nicht "guten Morgen" zu sagen. Geh
auch ordentlich und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst
du und zerbrichst das Glas: dann hat die kranke Groß-
mutter nichts.'
Rotkäppchen sagte 'ich will schon alles gut ausrichten,'
und gab der Mutter die Hand darauf. Die Großmutter
aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom
Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete
ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wußte nicht, was das
für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm.
8*
116
'Guten Tag, Rotkäppchen,' sprach er. 'Schönen Dank,
Wolf.' Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?' 'Zur Groß-
mutter.' Was trägst du unter der Schürze?' Kuchen und
Wein, gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke
schwache Großmutter etwas zu gut thun und sich damit
stärken.' 'Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?'
'Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den
drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind
die Nußhecken, das wirst du ja wissen' sagte Rotkäppchen.
Der Wolf dachte bei sich 'das junge zarte Mädchen, das
ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die
Alte: du mußt es listig anfangen, damit du beide er-
schnappst.' Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen
her, dann sprach er 'Rotkäppchen, sieh einmal die schönen
Blumen, die rings umher stehen, warum guckst du dich nicht
um? ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so
lieblich singen? du gehst ja für dich hin, als wenn du zur
Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald.'
Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah,
wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her hüpften
und alles voll schöner Blumen stand, dachte es 'wenn ich der
Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr
auch Freude machen; es ist so früh am Tag, daß ich doch zu
rechter Zeit ankomme,' sprang in den Wald und suchte Blumen.
Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus
stände eine noch schönere, und lief danach und lief immer
weiter in den Wald hinein. Der Wolf aber ging gerades-
wegs nach dem Haus der Großmutter und klopfte an die
Thüre. 'Wer ist draußen?' 'Rotkäppchen, das bringt Kuchen
117
und Wein, mach auf.' 'Drück nur auf die Klinke,' rief die
Großmutter, 'ich Lin zu schwach und kann nicht ausstehen.'
Der Wolf drückte auf die Klinke, trat hinein und ging,
ohne ein Wort zu sprechen, geradezu an das Bett der Groß-
mutter und verschluckte sie. Da nahm er ihre Kleider, that
sie an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und
zog die Vorhänge vor.
Rotkäppchen aber war derweil nach den Blumen ge-
laufen, und als es so viel hatte, daß es keine mehr tragen
konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte
sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, daß die Thüre
aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so
seltsam darin vor, daß es dachte 'ei du mein Gott, wie
ängstlich wird mirs heut zu Mut, und ich bin sonst so gerne
bei der Großmutter!' Es sprach 'guten Morgen,' bekam
aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die
Vorhänge zurück: da lag die Großmutter und hatte die
Haube tief ins Gesicht gezogen und sah so wunderlich aus.
'Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!' 'Daß ich
dich besser hören kann.' 'Ei, Großmutter, was hast du für
große Augen!' 'Daß ich dich besser sehen kann.' 'Ei, Groß-
mutter, was hast du für große Hände!' 'Daß ich dich besser
packen kann!' 'Aber, Großmutter, was hast du für ein ent-
setzlich großes Maul!' 'Daß ich dich besser freffen kann.'
Und wie der Wolf das gesagt hatte, that er einen Satz aus
dem Bett auf das arme Rotkäppchen und verschlang es.
Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich
wieder ins Bett, schlief ein und fing an überlaut zu schnar-
chen. Der Jäger ging eben vorbei und dachte bei sich 'wie
118
kann die alte Frau so schnarchen, du mußt einmal nachsehen,
ob ihr etwas fehlt.' Da trat er in die Stube, und wie er
vor das Bette kam, so lag der Wolf darin. Mnde ich dich
endlich, alter Graukopf,' sagte er, ^ich habe dich lange ge-
sucht.' Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein,
der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben, und sie
wäre noch zu retten, schoß nicht, sondern nahm eine Schere
und fing an dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschnei-
den. Wie er ein paar Schnitte gethan hatte, da sah er das
rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da
sprang das Mädchen heraus und rief ^ach, wie war ich er-
schrocken, was wars so dunkel in dem Wolf seinem Leib!'
Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus
und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte geschwind
große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie
er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren
so schwer, daß er gleich niedersank und sich tot fiel.
Da waren alle drei vergnügt; der Jäger nahm den Pelz
vom Wolf: die Großmutter aß den Kuchen und trank den
Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich
wieder: Rotkäppchen aber dachte *du willst dein Lebtag
nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen,
wenn dirs die Mutter verboten hat.'
Es wird auch erzählt, daß einmal, als Rotkäppchen
der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer
Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten
wollen. Rotkäppchen aber hütete sich und ging gerade fort
seines Wegs und sagte der Großmutter, daß es dem Wolf
begegnet wäre, der ihm guten Tag gewünscht, aber so bös
aus den Augen geguckt hätte: 'Wenns nicht auf offener Straße
gewesen wäre, er hätte mich gefressen.' 'Komm,' sagte die
Großmutter, wir wollen die Thüre verschließen, daß er
nicht herein kann.' Bald danach klopfte der Wolf an und
rief 'mach auf, Großmutter, ich bin das Rotkäppchen, ich
bring dir Gebackenes.' Sie schwiegen aber still und machten
die Thüre nicht auf: da schlich der Böse etlichemal um das
Haus und sprang endlich aufs Dach und wollte warten, bis
Rotkäppchen abends nach Hause ginge, dann wollte er
ihm nachschleichen und wollts in der Dunkelheit freffen.
Aber die Großmutter merkte, was er im Sinn hatte. Nun
stand vor dem Haus ein großer Steintrog: da sprach sie zu
dem Kind 'nimm den Eimer, Rotkäppchen, gestern hab ich
Würste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind,
in den Trog.' Rotkäppchen trug so lange, bis der große
Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Wür-
sten dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte
hinab, endlich machte er den Hals so lang, daß er sich
nicht mehr halten konnte und anfing zu rutschen: so
rutschte er vom Dach herab und gerade in den großen
Trog hinein und ertrank. Rotkäppchen aber ging fröh-
lich nach Haus und that ihm niemand etwas zu Leid.
120
18.
Die Bremer Stadtmusikanten.
Es hatte ein Mann einen Esel, der schon lange Jahre
die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen
Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit
immer untauglicher ward. Da dachte der Herr daran, ihn
aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merste, daß kein
guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg
nach Bremen, dort, meinte er, könnte er ja Stadtmusikant
werden. Als er ein Weilchen fortgegangen war, fand er
einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer,
der sich müde gelaufen hat. Mun, was jappst du so, Packan?'
fragte der Esel. Mch,' sagte der Hund, <weil ich alt bin und
jeden Tag schwächer werde und auf der Jagd nicht mehr fort
kann, hat mich mein Herr wollen tot schlagen, da hab ich
Reißaus genommen; aber womit soll ich nun mein Brot
verdienen? Weißt du was,' sprach der Esel, <ich gehe nach
Bremen und werde dort Stadtmusikant: geh mit und laß
dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute,
und du schlägst die Pauken.' Der Hund wars zufrieden,
und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da
eine Katze an dem Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage
Regenwetter. Mun, was ist dir in die Quere gekommen,
121
alter Bartputzer?' sprach der Esel. Wer kann da lustig
sein, weuns einem an den Kragen geht,' antwortete die Katze,
'weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf wer-
den und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als
nach den Mäusen herum jage, hat mich meine Frau er-
säufen wollen; ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber
nun ist guter Rat theuer: wo soll ich hin?' 'Geh mit
uns nach Bremen, du verstehst dich doch auf die Nacht-
musik, da kannst du ein Stadtmusikant werden.' Die Katze
hielt das für gut und ging mit. Darauf kamen die drei
Landesflüchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf dem Thor
der Haushahn und schrie aus Leibeskräften. 'Du schreist einem
durch Mark und Bein,' sprach der Esel, 'was hast du vor?'
'Da hab ich gut Wetter prophezeit,' sprach der Hahn, 'weil
unserer lieben Frauen Tag ist, wo sie dem Christkind lein die
Hemdchen gewaschen hat und sie trocknen will: aber weil
morgen zum Sonntag Gäste kommen, so hat die Hausfrau
doch kein Erbarmen und hat der Köchin gesagt, sie wollte
mich morgen in der Suppe essen, und soll ich mir heut
Abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus
vollem Hals, so lang ich noch kann.' 'Ei was, du Rot-
kopf,' sagte der Esel, 'zieh lieber mit uns fort nach Bre-
men, etwas Besseres als den Tod findest du überall; du
hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musizieren,
so muß es eine Art haben.' Der Hahn ließ sich den Vor-
schlag gefallen, und sie gingen alle vier zusammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht
erreichen und kamen abends in einen Wald, wo sie über-
nachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter
122
einen großen Baum, die Katze und der Hahn machten sich in
die Äste, der Hahn aber flog bis in die Spitze, wo es am
sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sahe er sich noch ein-
mal nach allen vier Winden um, da deuchte ihn, er sähe in
der Ferne ein Fünkchen brennen, und rief seinen Gesellen
zu, es müßte nicht gar weit ein Haus sein, denn es scheine
ein Licht. Sprach der Esel 'so müssen wir uns aufmachen
und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht.' Der
Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch dran
thäten ihm auch gut. Nun machten sie sich auf den Weg
nach der Gegend, wo das Licht war, und sahen es bald
heller schimmern, und es ward immer größer, bis sie vor
ein hell erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel, als der
größte, näherte sich dem Fenster und schaute hinein. Was
siehst du, Grauschimmel?' fragte der Hahn. Was ich sehe?'
antwortete der Esel, 'einen gedeckten Tisch mit schönem Essen
und Trinken, und Räuber sitzen daran und lassens sich wohl
sein.' 'Das wäre was für uns,' sprach der Hahn. 'Ja, ja,
ach, wären wir da!' sagte der Esel. Da ratschlagten die
Tiere, wie sie es anfangen müßten, um die Räuber hinaus
zu jagen, und fanden endlich ein Mittel. Der Esel mußte
sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund
auf des Esels Rücken springen, die Katze auf den Hund
klettern, und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der
Katze auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie auf
ein Zeichen insgesamt an, ihre Musik zu machen: der Esel
schrie, der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn
krähte; dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube
hinein, daß die Scheiben klirrend niederfielen. Die Räuber
123
fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten
nicht anders als ein Gespenst, käme herein, und flohen in
größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die
vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was
übrig geblieben war, und aßen, als wenn sie vier Wochen
hungern sollten.
Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das
Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner
Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist,
der Hund hinter die Thüre, die Katze auf den Herd in die
warme Asche, und der Hahn setzte sich auf den Hahnen-
balken: und weil sie müde waren von ihrem langen Weg,
schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war,
und die Räuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im
Haus brannte, auch alles ruhig schien, sprach der Haupt-
mann *wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen
lassen,' und hieß einen hingehen und das Haus untersuchen.
Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Küche, wollte
ein Licht anzünden, und weil er die glühenden, feurigen
Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er ein
Schwefelhölzchen daran, daß es Feuer fangen sollte. Aber
die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht,
spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte
zur Hinterthüre hinaus, aber der Hund, der da lag, sprang
auf und biß ihn ins Bein; und als er über den Hof an dem
Miste vorbei rennte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen
Schlag mit dem Hinterfuß; der Hahn aber, der vom Lärmen
aus dem Schlaf geweckt und munter geworden war, rief
vom Balken herab Meriki!' Da lief der Räuber, was er
— 124 —
konnte, zu seinem Hauptmann zurück und sprach <ach, in
dem Haus sitzt eine gräuliche Hexe, die hat mich angehaucht
und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht zerkratzt:
und vor der Thür steht ein Mann mit einem Messer, der
hat mich ins Bein gestochen: und auf dem Hof liegt ein
schwarzes Ungetüm, das hat mit einer Holzkeule auf mich
losgeschlagen: und oben auf dem Dache, da sitzt der Rich- \
ter, der rief "bringt mir den Schelm her." Da machte ich,
daß ich fortkam.' Von nun an getrauten sich die Räuber
nicht weiter in das Haus, den vier Bremer Musikanten ge-
fiels aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten.
Und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch
warm.
125
19.
Die kluge Else.
Es war ein Mann, der hatte eine Tochter, die hieß die
kluge Else. Als sie nun erwachsen war, sprach der Vater
l\m wollen sie heiraten lassen.' 'Ja,' sagte die Mutter,
^wenn nur einer käme, der sie haben wollte.' Endlich kam
von weither einer, der hieß Hans, und hielt um sie an, er
machte aber die Bedingung, daß die kluge Else auch recht
gescheit wäre. '£),’ sprach der Vater, 'die hat Zwirn im
Kopf,' und die Mutter sagte 'ach, die sieht den Wind auf
der Gasse laufen und hört die Fliegen husten.' 'Ja,' sprach
der Hans, wenn sie nicht recht gescheit ist, so nehm ich sie
nicht.' Als sie nun zu Tisch saßen und gegessen hatten, sprach
die Mutter 'Else geh in den Keller und hol Bier.' Da nahm
die kluge Else den Krug von der Wand, ging in den Keller
und klappte unterwegs brav mit dem Deckel, damit ihr die
Zeit ja nicht lang würde. Als sie unten war, holte sie ein
Stühlchen und stellte es vors Faß, damit sie sich nicht
zu bücken brauchte und ihrem Rücken etwa nicht wehe thäte
und unverhofften Schaden nähme. Dann schob sie die Kanne
mit dem Fuße vor sich und drehte den Hahn aus, und wäh-
rend der Zeit, daß das Bier hinein lief, wollte sie doch ihre
Augen nicht müßig lassen und sah oben an die Wand hinauf
— 126 —
und erblickte nach vielem Hin- und Herschauen eine Kreuz-
hacke gerade über sich, welche die Maurer da aus Versehen
hatten stecken lassen. Da fing die kluge Else an zu weinen,
und sprach 'wenn ich den Hans kriege, und wir kriegen ein
Kind, und das ist groß, und wir schicken das Kind in den
Keller, daß es hier soll Bier zapfen, so fällt ihm die Kreuz-
hacke auf den Kopf und schlägts tot.'
Da blieb sie sitzen und weinte aus Leibeskräften über
das bevorstehende Unglück. Oben saßen sie und warteten
auf den Trank, aber die kluge Else kam immer nicht. Da
sprach die Frau zur Magd 'geh doch hinunter in den Keller
und sieh, wo die Else bleibt.' Die Magd ging und fand sie
vor dem Fasse sitzend und laut schreiend. 'Else, was weinst
du?' fragte die Magd. 'Ach,' antwortete sie, 'soll ich nicht
weinen? wenn ich den Hans kriege, und wir kriegen ein Kind,
und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so fällt ihm
vielleicht die Kreuzhacke auf den Kopf und schlägt es tot.'
Da sprach die Magd 'was haben wir für eine kluge Else!'
setzte sich zu ihr und fing auch an über das Unglück zu weinen.
Über eine Weile, als die Magd nicht wieder kam, und die
droben durstig nach dem Trank waren, sprach der Mann zum
Knecht 'geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else
und die Magd bleibt.' Der Knecht ging hinab, da saß die
kluge Else und die Magd, und weinten beide zusammen. Da
fragte er 'was weint ihr denn?' 'Ach,' sprach die Else, 'soll
ich nicht weinen? wenn ich den Hans kriege, und wir kriegen
ein Kind, und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so
fällt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf, und schlägts tot.'
Da sprach der Knecht 'was haben wir für eine kluge Else!'
127
sehte sich zu ihr und fing auch an, laut zu heulen. Oben
warteten sie auf den Knecht, als er aber immer nicht kam.
sprach der Mann zur Frau 'geh doch hinunter in den Keller
und sieh, wo die Else bleibt.' Die Frau ging hinab und
sand alle drei in Wehklagen, und fragte nach der Ursache,
da erzählte ihr die Else auch, daß ihr zukünftiges Kind wohl
würde von der Kreuzhacke totgeschlagen werden, wenn es
erst groß wäre und Bier zapfen sollte, und die Kreuzhacke
fiele herab. Da sprach die Mutter gleichfalls 'ach, was haben
wir für eine kluge Else!' setzte sich hin und weinte mit.
Der Mann oben wartete noch ein Weilchen, als aber seine
Frau nicht wieder kam und sein Durst immer stärker ward,
sprach er 'ich muß nur selber in den Keller gehen und sehen,
wo die Else bleibt.' Als er aber in den Keller kam, und alle
da bei einander saßen und weinten, und er die Ursache hörte,
daß das Kind der Else schuld wäre, das sie vielleicht einmal
zur Welt brächte und das von der Kreuzhacke könnte totge-
schlagen werden, wenn es gerade zur Zeit, wo sie herab
fiele, darunter säße, Bier zu zapfen: da rief er 'was für eine
kluge Else!' setzte sich und weinte auch mit. Der Bräutigam
blieb lange oben allein: da niemand wiederkommen wollte,
dachte er 'sie werden unten auf dich warten, du mußt
auch hingehen und sehen, was sie vorhaben.' Als er hinab
kam, saßen da fünfe und schrieen und jammerten ganz er-
bärmlich, einer immer besser als der andere. 'Was für ein
Unglück ist denn geschehen?' fragte er. 'Ach, lieber Hans,'
sprach die Else, 'wann wir einander heiraten und haben ein
Kind, und es ist groß, und wir schickens vielleicht hierher,
Trinken zu zapfen, da kann ihm ja die Kreuzhacke, die da
128
oben ist stecken geblieben, wenn sie herabfallen sollte, den
Kopf zerschlagen, daß er liegen bleibt! sollen wir da nicht
weinen?' 'Nun,' sprach Hans, 'mehr Verstand ist für meinen
Haushalt nicht nötig: weil du eine so kluge Else bist, so
will ich dich haben,' packte sie bei der Hand und nahm sie
mit hinauf und hielt Hochzeit mit ihr.
Als sie den Hans eine Weile hatte, sprach er 'Frau ich
will ausgehen arbeiten und uns Geld verdienen, geh du ins
Feld und schneid das Korn, daß wir Brot haben.' 'Ja, mein
lieber Hans, das will ich thun.' Nachdem der Hans fort
war, kochte sie sich einen guten Brei und nahm ihn mit ins
Feld. Als sie vor den Acker kam, sprach sie zu sich selbst
'was thu ich? schneid ich ehr, oder eß ich ehr? hei, ich will
erst esien.' Nun aß sie ihren Topf mit Brei aus, und als
sie dick satt war, sprach sie wieder 'was thu ich? schneid ich
ehr, oder schlaf ich ehr? hei, ich will erst schlafen.' Da legte
sie sich ins Korn und schlief ein. Der Hans war langst zu
Haus, aber die Else wollte nicht kommen: da sprach er 'was
hab ich für eine kluge Else, die ist so fleißig, daß sie nicht
einmal nach Haus kommt und ißt.' Als sie aber noch immer
ausblieb, und es Abend ward, ging der Hans hinaus und
wollte sehen, was sie geschnitten hätte: aber es war nichts
geschnitten, sondern sie lag im Korn und schlief. Da eilte
Hans geschwind heim und holte ein Vogelgarn mit kleinen
Schellen und hängte es um sie herum; und sie schlief noch
immer fort. Dann lief er heim, schloß die Hausthüre zu
und setzte sich auf seinen Arbeitsstuhl nieder. Endlich, wie
es schon ganz dunkel war, erwachte die kluge Else, und als
sie aufstand, rappelte es um sie herum bei jedem Schritte,
129
den sie that. Da erschrak sie, ward irre, ob sie auch wirk-
lich die kluge Else wäre und sprach *bin ichs, oder Lin ichs
nicht?' Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten
sollte, und stand eine Zeitlang zweifelhaft: endlich dachte
sie llch will nach Haus gehen und fragen, ob ichs bin oder
ob ichs nicht bin. die Werdens ja wissen.' Sie lief vor
ihre Hausthüre, aber die war verschlossen: da klopfte sie
an das Fenster und rief ^Hans, ist die Else drinnen?'
^Ja,' antwortete der Hans, ftie ist drinnen.' Da erschrak
sie und sprach <ach Gott, dann bin ichs nicht,' und ging
vor eine andere Thür; als aber die Leute das Klingeln der
Schellen hörten, wollten sie nicht aufmachen, und sie
konnte nirgend unterkommen. Da lief sie fort zum Dorfe
hinaus, und niemand hat sie wieder gesehen.
Grimm, Märchen.
9
20.
Daumesdrck.
Es war ein armer Bauersmann, der saß abends beim
Herd und schürte das Feuer, und die Frau saß und spann.
Da sprach er 'wie ists so traurig, daß wir keine Kinder
haben! es ist so still bei uns, und in den anderen Häusern
gehts so laut und lustig her? 'Ja,' antwortete die Frau
und seufzte, 'Wenns nur ein einziges wäre, und wenns auch
ganz klein wäre, nur Daumens groß, so wollt ich schon zu-
frieden sein; wir hättens doch von Herzen lieb.' Nun ge-
schah es, daß die Frau kränklich ward und nach sieben Mo-
naten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern voll-
kommen, aber nicht länger als ein Daumen war. Da
sprachen sie 'es ist, wie wir es gewünscht haben, und es
soll unser liebes Kind sein,' und nannten es nach seiner
Gestalt Daum es dick. Sie ließens nicht an Nahrung
fehlen, aber das Kind ward nicht größer, sondern blieb,
wie es in der ersten Stunde gewesen war; doch schaute es
verständig aus den Augen und zeigte sich bald als ein
kluges und behendes Ding, dem alles glückte, was es anfing.
Der Bauer machte sich einmal fertig in den Wald zu
gehen und Holz zu fällen; da sprach er so vor sich hin
'nun wollt ich, daß einer da wäre, der mir den Wagen
nachbrächte.' 'O Vater,' riefDaumesdick, 'den Wagen will ich
131
schon bringen, verlaßt euch drauf, er soll zur bestimmten
Zeit im Walde sein.' Da lachte der Mann und sprach 'wie
sollte das zugehen? du bist viel zu klein, um das Pferd
mit dem Zügel zu leiten.' 'Das thut nichts, Vater, wenn
nur die Mutter anspannen will, ich setze mich dem Pferd
ins Ohr und rufe ihm zu, wie es gehen soll.' 'Nun,' ant-
wortete der Vater, 'einmal wollen wirs versuchen.' Als die
Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte den Dau-
mesdick dem Pferd ins Ohr: darauf rief der Kleine, wie
das Pferd gehen sollte, 'jüh und joh! hott und har!' Da
ging es ganz ordentlich als wie bei einem Meister, und
der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es
trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog, und der Kleine
'har, har!' rief, daß zwei fremde Männer daher kamen.
'Nein,' sprach der eine, 'was ist das? da fährt ein Wagen,
und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu und ist doch nicht
zu sehen.' 'Das geht nicht mit rechten Dingen zu,' sagte
der andere, 'wir wollen dem Karren folgen und sehen, wo
er anhält.' Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald
hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen
ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm
zu 'siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol
mich herunter.' Der Vater faßte das Pferd mit der lin-
ken und holte mit der rechten sein Söhnlein aus dem Ohr,
das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als
die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten,
wußten sie nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten.
Da nahm der eine den andern beiseit und sprach 'hör, der
kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in
9*
132
einer großen Stadt für Geld sehen ließen: wir wollen ihn
kaufen? Sie gingen zu dem Bauer und sprachen ^ver-
kauft uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben.'
Mein,' antwortete der Vater, 'es ist mein Herzblatt und ist
mir für alles Gold in der Welt nicht feil.' Daumesdick aber,
als er von dem Handel hörte, kroch an den Rockfalten seines
Vaters hinauf, stellte sich ihm auf die Schulter und sagte
ihm ins Ohr Water, gieb mich nur hin, ich will schon wieder
zu dir kommen.' Da gab ihn der Vater für ein schönes Stück
Geld den beiden Männern hin. Wo willst du sitzen?'
sprachen sie zu ihm. 'Ach, setzt mich nur auf den Rand von
eurem Hut, da kann ich auf und ab spazieren und die Gegend
betrachten und falle doch nicht hinunter.' Sie thaten ihm
den Willen, und als Daumesdick Abschied von seinem Vater
genommen hatte, machten sie sich mit ihm fort. So gingen
sie, bis es dämmerig ward, da sprach der Kleine 'hebt mich
einmal herunter, es ist nötig.' 'Bleib nur droben,' sprach
der Mann, auf dessen Kopf er saß, 'ich will mir nichts draus
machen, die Vögel lassen mir auch manchmal was drauf
fallen.' 'Nein,' sprach Daumesdick, 'ich weiß auch, was sich
schickt: hebt mich nur geschwind herab.' Der Mann nahm
den Hut ab und setzte den Kleinen auf einen Acker am Weg,
da sprang und kroch er ein wenig zwischen den Schollen hin
und her und schlüpfte dann auf einmal in ein Mausloch,
das er sich ausgesucht hatte. 'Guten Abend, ihr Herren, geht
nur ohne mich heim,' rief er ihnen zu und lachte sie aus.
Sie liefen herbei und stachen mit Stöcken in das Mausloch,
aber das war vergebliche Mühe, Daumesdick kroch immer
weiter zurück; und da es bald ganz dunkel ward, so mußten
133
sie mit Ärger und mit leerem Beutel wieder heim
wandern.
Als Daumesdick merkte, daß sie fort waren, kroch er
aus dem unterirdischen Gang wieder hervor. 'Es ist hier
auf dem Acker in der Finsternis so gefährlich gehen,' sprach
er, 'wie leicht bricht einer Hals und Bein!' Zum Glück
stieß er an ein leeres Schneckenhaus. 'Gottlob,' sagte er,
'da kann ich die Nacht sicher zubringen,' und setzte sich hinein.
Nicht lang, als er eben einschlafen wollte, so hörte er zwei
Männer vorüber gehen, davon sprach der eine 'wie wirs
nur anfangen, um dem reichen Pfarrer sein Geld und sein
Silber zu holen?' 'Das könnt ich dir sagen,' rief Daumes-
dick dazwischen. 'Was war das?' sprach der eine Dieb er-
schrocken, 'ich hörte jemand sprechen.' Sie blieben stehen
und horchten, da sprach Daumesdick wieder 'nehmt mich mit,
so will ich euch helfen.' 'Wo bist du denn?' 'Suchet nur hier
auf der Erde und merkt, wo die Stimme her kommt,' antwor-
tete er. Da fanden ihn endlich die Diebe und hoben ihn
in die Höhe. 'Du kleiner Wicht, was willst du uns helfen?'
sprachen sie. 'Seht,' antwortete er, 'ich krieche zwischen den
Eisenstäben in die Kammer des Pfarrers hinein und reiche
euch heraus, was ihr haben wollt.' 'Wohlan,' sagten sie,
'wir wollen sehen, was du kannst.' Als sie zu dem Pfarr-
haus kamen, kroch Daumesdick in die Kammer, schrie aber
gleich aus Leibeskräften 'wollt ihr alles haben, was hier ist?'
Die Diebe erschraken und sagten 'so sprich doch leise, damit
niemand aufwacht.' Aber Daumesdick that, als hätte er sie
nicht verstanden und schrie von neuem 'was wollt ihr? wollt
ihr alles haben, was hier ist?' Das hörte die Köchin, die
134
in der Stube daran schlief, richtete sich im Bette auf und
horchte. Die Diebe aber waren vor Schrecken ein Stück
Wegs zurückgelaufen, endlich faßten sie wieder Mut, dach-
ten 'der kleine Kerl will uns necken,' kamen zurück und
flüsterten ihm hinein 'nun mach Ernst und reich uns etwas
heraus.' Da schrie Daumesdick noch einmal, so laut er konnte,
'ich will euch ja alles geben, reicht nur die Hände herein.'
Das horte die horchende Magd ganz deutlich, sprang aus
dem Bett und stolperte zur Thür herein. Die Diebe liefen
fort und rannten, als wäre der wilde Jäger hinter ihnen: die
Magd aber, als sie nichts bemerken konnte, ging ein Licht
anzuzünden. Wie sie damit herbeikam, machte sich Daumes-
dick, ohne daß er gesehen wurde, hinaus in die Scheune:
die Magd aber, nachdem sie alle Winkel durchgesucht und nichts
gefunden hatte, legte sich endlich wieder zu Bett und glaubte,
sie hätte mit offenen Augen und Ohren doch nur geträumt.
Daumesdick war in den Heuhälmchen herumgeklettert
und hatte einen schönen Platz zum Schlafen gefunden: da
wollte er sich ausruhen, bis es Tag wäre, und dann zu seinen
Eltern wieder heim gehen. Aber er mußte andere Dinge
erfahren! ja es giebt viel Trübsal und Not auf der Welt! Die
Magd stieg, wie gewöhnlich, als der Tag graute, schon aus
dem Bett und wollte das Vieh füttern. Ihr erster Gang
war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte und
gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief.
Er schlief aber so fest, daß er nichts gewahr ward, auch nicht
eher aufwachte, als bis er in dem Maul der Kuh war, die
ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. 'Ach Gott,' rief er, 'wie
bin ich in die Walkmühle geraten!' merkte aber bald, wo
135
er war. Da hieß es aufpassen, daß er nicht zwischen die
Zähne kam und zermalmt ward, aber er mußte doch mit in
den Magen hinabrutschen. 'In dem Stübchen sind die
Fenster vergessen,' sprach er, 'und scheint keine Sonne hin-
ein: ein Licht wird gar nicht zu haben sein!' Überhaupt
gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das schlimmste
war, es kam immer mehr neues Heu zur Thür herein und
der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst,
so laut er konnte, 'bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt
mir kein frisch Futter mehr.' Die Magd melkte gerade die
Kuh, und als sie sprechen hörte, ohne jemand zu sehen, und
es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehört
hatte, erschrak sie so, daß sie von ihrem Stühlchen herab-
glitschte und die Milch verschüttete. Sie lief in der größten
Hast zu ihrem Herrn und rief 'ach Gott, Herr Pfarrer, die
Kuh hat geredet.' 'Du bist verrückt,' antwortete der Pfarrer,
ging aber doch selbst in den Stall nachzusehen, was vor
wäre. Aber kaum hatte er den Fuß hinein gesetzt, so rief
Daumesdick eben aufs neue 'bringt mir kein frisch Futter
mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr.' Da erschrak der
Pfarrer selbst, meinte, es wäre ein böser Geist und hieß
die Kuh töten. Nun ward sie geschlachtet, der Magen aber,
worin Daumesdick steckte, ward auf den Mist geworfen.
Daumesdick suchte sich hindurch zu arbeiten und hatte große
Mühe damit, doch endlich brachte er es so weit, daß er Platz
bekam, aber, als er eben sein Haupt herausstecken wollte,
kam ein neues Unglück. Ein hungriger Wolf sprang vorbei
und verschlang den ganzen Magen mit einem Schluck.
Daumesdick verlor den Mut nicht, 'vielleicht,' dachte er,
136
'läßt der Wolf mit sich reden,' und rief ihm aus dem Wanste
zu 'lieber Wolf, ich weiß dir einen herrlichen Fraß.' 'Wo ist
der zu holen?' sprach der Wolf. 'In dem und dem Haus,
da mußt du durch die Gosse hinein kriechen und wirst Kuchen,
Speck und Wurst finden, so viel du essen willst,' und be-
schrieb ihm genau seines Vaters Haus. Der Wolf ließ sich
das nicht zweimal sagen, drängte sich in der Nacht zur Gosse
hinein und fraß in der Vorratskammer nach Herzenslust.
Als er satt war, wollte er wieder fort, aber er war so dick
geworden, daß er denselben Weg nicht wieder hinaus konnte.
Darauf hatte Daumesdick gerechnet und fing nun an in dem
Leib des Wolfs einen gewaltigen Lärmen zu machen, tobte
und schrie, was er konnte. 'Willst du stille sein,' sprach der
Wolf, 'du weckst die Leute auf.' 'Ei was,' antwortete der
Kleine, 'du hast dich satt gefressen, ich will mich auch lustig
machen,' und fing von neuem an aus allen Kräften zu
schreien. Davon erwachte endlich sein Vater und seine Mut-
ter, liefen an die Kammer und schauten durch die Spalte
hinein. Wie sie sahen, daß ein Wolf darin hauste, liefen
sie davon, und der Mann holte die Axt, und die Frau die
Sense. 'Bleib dahinten,' sprach der Mann, als sie in die
Kammer traten, 'wenn ich ihm einen Schlag gegeben habe
und er davon noch nicht tot ist, so mußt du auf ihn ein-
hauen und ihm den Leib zerschneiden.' Da hörte Daumes-
dick die Stimme seines Vaters und rief 'lieber Vater, ich
bin hier, ich stecke im Leibe des Wolfs.' Sprach der Vater '
voll Freuden 'gottlob, unser liebes Kind hat sich wieder
gefunden,' und hieß die Frau die Sense wegthun, damit
Daumesdick nicht beschädigt würde. Danach holte er aus
137
und schlug betn Wolf einen Schlag auf den Kopf, daß er
tot niederstürzte: dann suchten sie Messer und Schere,
schnitten ihm den Leib auf und zogen den Kleinen wie-
der hervor. 'Ach,' sprach der Vater, 'was haben wir für
Sorge um dich ausgestanden!' 'Ja, Vater, ich bin viel in
der Welt herumgekommen; gottlob, daß ich wieder frische
Luft schöpfe!' 'Wo bist du denn all gewesen?' 'Ach Vater
ich war in einem Mauseloch, in einer Kuh Bauch und in
eines Wolfes Wanst: nun bleib ich bei euch.' 'Und wir
verkaufen dich um alle Reichtümer der Welt nicht wieder.'
Da herzten und küßten sie ihren lieben Daumesdick, gaben
ihm zu essen und trinken und ließen ihm neue Kleider machen,
denn die seinigen waren ihm auf der Reise verdorben.
138
21.
Däumerlings Wanderschaft.
Ein Schneider halte einen Sohn, der war klein ge-
raten und nicht größer als ein Daumen, darum hieß er
auch der Daumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und
sagte zu seinem Vater Water, ich soll und muß in die Welt
hinaus.' 'Recht, mein Sohn,' sprach der Alte, nahm eine
Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegel-
lack daran, 'da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.'
Nun wollte das Schneiderlein noch einmal mit essen und
hüpfte in die Küche, um zu sehen, was die Frau Mutter
zu guter Letzt gekocht hätte. Es war aber eben angerichtet,
und die Schüssel stand auf dem Herd. Da sprach es 'Frau
Mutter, was giebts heute zu essen?' 'Sieh du selbst zu',
sagte die Mutter. Da sprang Daumerling auf den Herd
und guckte in die Schüssel: weil er aber den Hals zu weit
hinein steckte, faßte ihn der Dampf von der Speise und trieb
ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt er auf dem
Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die
Erde herab sank. Nun war das Schneiderlein draußen in der
weiten Welt, zog umher, ging auch bei einem Meister in
die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. 'Frau
Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen giebts sagte der
139
Däumerling, 'so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit
Kreide an ihre Hausthüre: Kartoffel zu viel, Fleisch zuwenig,
Adies, Herr Kartoffelkönig.' 'Was willst du wohl, Gras-
hüpfer?' sagte die Meisterin, ward bös, ergriff einen Lappen
und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein aber kroch
behende unter den Fingerhut, guckte unten hervor und streckte
der Frau Meisterin die Zunge heraus. Sie hob den Finger-
hut auf und wollte ihn packen, aber der kleine Daumerling
hüpfte in die Lappen, und wie die Meisterin die Lappen
auseinander warf und ihn suchte, machte er sich in den
Tischritz. 'He, he, Frau Meisterin,' rief er und steckte den
Kopf in die Höhe, und wenn sie zuschlagen wollte, sprang
er in die Schublade hinunter. Endlich aber erwischte sie
ihn doch und jagte ihn zum Haus hinaus.
Das Schneiderlein wanderte und kam in einen großen
Wald: da begegnete ihm ein Haufen Räuber, die hatten vor,
des Königs Schatz zu bestehlen. Als sie das Schneiderlein
sahen, dachten sie 'so ein kleiner Kerl kann durch ein Schlüssel-
loch kriechen und uns als Dietrich dienen. 'Heda,' rief einer,
'du Riese Goliath, willst du mit zur Schatzkammer gehen?
du kannst dich hineinschleichen und das Geld heraus werfen.'
Der Daumerling besann sich, endlich sagte er ja und ging
mit zu der Schatzkammer. Da besah er die Thüre oben und
unten, ob kein Ritz darin wäre. Nicht lange, so entdeckte
er einen und wollte gleich einsteigen. Die eine Schildwache
sprach zur andern 'was kriecht da für eine garstige Spinne:
ich will sie tot treten.' 'Laß das arme Tier gehen,' sagte
die andere, 'es hat dir ja nichts gethan.' Nun kam der
Daumerling durch den Ritz glücklich in die Schatzkammer,
— 140 —
öffnete das Fenster, unter welchem die Räuber standen, und
warf ihnen einen Thaler nach dem andern hinaus. Als das
Schneiderlein in der besten Arbeit war, hörte es den König
kommen, der seine Schatzkammer besehen wollte, und ver-
kroch sich eilig. Der König merkte, daß viele harte Thaler
fehlten, konnte aber nicht begreifen, wer sie sollte gestohlen
haben, da Schlösser und Riegel in gutem Stand waren,
und alles wohl verwahrt schien. Da ging er wieder fort
und sprach zu den zwei Wachen Habt acht, es ist einer
hinter dem Geld? Als der Daumerling nun seine Arbeit
von neuem anfing, hörten sie das Geld drinnen sich regen
und klingen klipp, klapp,-klipp, klapp. Sie eilten hinein und
wollten den Dieb greifen, aber das Schneiderlein, das sie
kommen hörte, war noch geschwinder, sprang in eine Ecke
und deckte einen Thaler über sich, so daß nichts von ihm zu
sehen war; dabei neckte es noch die Wachen und rief Hier
bin ich.' Die Wachen liefen dahin, wie sie aber ankamen,
war es schon in eine andere Ecke unter einen Thaler gehüpft
und rief che, hier bin ich.' Die Wachen sprangen herbei,
Daumerling war aber längst in einer dritten Ecke und.rief
che, hier bin ich? Und so hatte es sie zu Narren und trieb
sie so lange in der Schatzkammer herum, bis sie müde waren
und davon gingen. Nun warf es die Thaler nach und nach
alle hinaus: den letzten schnellte es mit aller Macht, hüpfte
dann selber noch behendiglich darauf und flog mit ihm durchs
Fenster hinab. Die Räuber machten ihm große. Lobsprüche,
^du bist ein gewaltiger Held? sagten sie; ^willst du unser
Hauptmann werden?' Daumerling bedankte sich aber und
sagte, er müßte sich erst in der Welt umsehen. Sie teilten
141
NUN die Beute, das Schneiderlein aber verlangte nur einen
Kreuzer, weil es nicht mehr tragen konnte.
Darauf schnallte es seinen Degen wieder um den Leib,
sagte den Räubern guten Tag und nahm den Weg zwischen
die Beine. Es versuchte zwar bei etlichen Meistern wieder
die Schneiderarbeit, aber sie wollte ihm nicht schmecken,
und endlich verdingte es sich als Hausknecht in einem Gast-
hof. Die Mägde konnten es nicht leiden, denn ohne gesehen
zu werden, sah es alles, was sie heimlich thaten, und gab
bei der Herrschaft an, was sie sich von den Tellern genommen
und aus dem Keller für sich weggeholt hatten. Da sprachen
sie <wart, wir wollen dirs eintränken,' und verabredeten
unter einander ihm einen Schabernack anzuthun. Als die
eine Magd bald hernach im Garten mähte und den Daumer-
ling da herumspringen und an den Kräutern auf und ab
kriechen sah, mähte sie ihn mit dem Gras schnell zusammen,
band alles in ein großes Tuch und warf es heimlich den
Kühen vor. Nun war eine große schwarze darunter, die
schluckte ihn mit hinab, ohne ihm weh zu thun. Unten
gesials ihm aber schlecht, denn es war ganz finster und
brannte da kein Licht. Als die Kuh gemelkt wurde, da rief er
-strip, strap, stroll,
ist der Eimer bald voll?'
Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht ver-
standen. Hernach trat der Hausherr in den Stall und sprach
^morgen soll die Kuh da geschlachtet werden.' Da ward dem
Daumerling angst, daß er mit heller Stimme ries llaßt mich
erst heraus, ich sitze ja drin.' Der Herr hörte das wohl,
wußte aber nicht, wo die Stimme her kam. Mo bist du?'
142
rief er. *Jn der schwarzen,' antwortete er, aber der Herr
verstand nicht, was das heißen sollte, und ging fort.
Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet; glück-
licherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumer-
ling kein Hieb, aber er geriet unter das Wurstfleisch. Wie
nun der Metzger herbeitrat und seine Arbeit anfing, schrie ,
er aus Leibeskräften chackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief,
ich stecke ja drunter.' Vor dem Lärmen der Hackmesser hörte
das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine
Not, aber die Not macht Beine, und da sprang er so
behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins an-
rührte, und er mit heiler Haut davon kam. Aber entsprin-
gen konnte er auch nicht: es war keine andere Auskunft,
er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hin-
unter stopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge,
und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern
aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde.
Endlich im Winter wurde er herunter geholt, weil die
Wurst einem Gaste sollte vorgesetzt werden. Als nun die
Frau Wirtin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich
in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit
ihm nicht etwa der Hals mit abgeschnitten würde, endlich
ersah er einen Vorteil, machte sich Luft und sprang heraus.
In dem Hause aber, wo es ihm so übel ergangen war,
wollte das Schneiderlein nicht länger mehr bleiben, sondern
begab sich gleich wieder auf die Wanderung. Doch seine
Freiheit dauerte nicht lange: auf dem offenen Feld kam es
einem Fuchs in den Weg, der schnappte es in Gedanken auf.
*Ei, Herr Fuchs,' riess Schneiderlein, ^ich bins ja, der in
143
eurem Hals steckt, laßt mich wieder frei? 'Du hast recht,'
antwortete der Fuchs, 'an dir hab ich doch so viel als
nichts; versprichst du mir die Hühner in deines Vaters
Hof, so will ich dich loslassen? 'Von Herzen gern? ant-
wortete der Daumerling, 'die Hühner sollst du alle haben,
das gelobe ich dir? Da ließ ihn der Fuchs wieder los
und trug ihn selber heim. Als der Vater sein liebes
Söhnlein wieder sah, gab er dem Fuchs gerne alle die
Hühner, die er hatte. 'Dafür bring ich dir auch ein schö-
nes Stück Geld mit? sprach der Däumerling und reichte
ihm den Kreuzer, den er auf seiner Wanderschaft erwor-
ben hatte.
Warum hat aber der Fuchs die armen Piephühner zu
fressen kriegt?' 'Ei, du Narr, deinem Vater wird ja wohl
ein Kind lieber sein als die Hühner auf dem Hof?
144
22.
Mchers Vogel.
Es war einmal ein Hexenmeister, der nahm die Gestalt
eines armen Mannes an, ging vor die Häuser und bettelte
und fing die schönen Mädchen. Kein Mensch wußte, wo er
sie hin brachte, denn sie kamen nie wieder zum Vorschein.
Nun trat er auch einmal vor die Thüre eines Mannes, der
drei schöne Töchter hatte, sah aus wie ein armer schwacher
Bettler und trug eine Kötze auf dem Rücken, als wollte er
milde Gaben darin sammeln. Er bat um ein bißchen Essen,
und als die älteste heraus kam und ihm ein Stück Brot
reichen wollte, rührte er sie nur an, und sie mußte in seine
Kötze springen. Darauf eilte er mit starken Schritten fort
und trug sie in einen finstern Wald zu seinem Haus, das -
mitten darin stand. In dem Haus war alles prächtig: er
gab ihr, was sie nur wünschte und sprach 'mein Schatz, es
wird dir wohl gefallen bei mir, denn du hast alles, was dein
Herz begehrt.' Das dauerte ein paar Tage, da sagte er 'ich
muß fortreisen und dich eine kurze Zeit allein lassen, da
sind die Hausschlüssel: du kannst überall hingehen und alles
betrachten, nur nicht in eine Stube, die dieser kleine Schlüs-
sel da aufschließt, das verbiet ich dir bei Lebensstrafe.' Auch
gab er ihr ein Ei und sprach 'das Ei verwahre mir sorg-
fältig und trag es lieber beständig bei dir, denn ginge es
145
verloren, so würde ein großes Unglück daraus entstehen?
Sie nahm die Schlüssel und das Ei, und versprach alles wohl
auszurichten. Als er fort war, ging sie in dem Haus herum
von unten bis oben und besah alles: die Stuben glänzten
von Silber und Gold und sie meinte, sie hätte nie so große
Pracht gesehen. Endlich kam sie auch zu der verbotenen
Thür, sie wollte vorüber gehen, aber die Neugierde ließ ihr
keine Ruhe. Sie besah den Schlüssel, er sah aus wie ein
anderer, sie steckte ihn ein und drehte ein wenig, da sprang
die Thür auf. Aber was erblickte sie, als sie hinein trat:
ein großes blutiges Becken stand in der Mitte, und darin
lagen tote zerhauene Menschen; daneben stand ein Holz-
block und ein blinkendes Beil lag darauf. Sie erschrak so
sehr, daß das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte.
Sie holte es wieder heraus und wischte das Blut ab, aber
vergeblich, es kam den Augenblick wieder zum Vorschein,
sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunter
kriegen.
Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zurück,
und das erste, was er forderte, war der Schlüssel und das
Ei. Sie reichte es ihm hin, aber sie zitterte dabei, und er
sah gleich an den roten Flecken, daß sie in der Blutkammer
gewesen war. 'Bist du gegen meinen Willen in die Kammer
gegangen,' sprach er, 'so sollst du jetzt gegen deinen Willen
wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende? Er warf sie nieder,
schleifte sie an den Haaren hin, schlug ihr das Haupt auf
dem Block ab und zerhackte sie, daß ihr rotes Blut auf dem
Boden dahin floß. Dann warf er sie zu den übrigen ins
Becken.
Grimm, Märchen. 1 o
146
'Jetzt will ich mir die zweite holen,' sprach der Hexen-
meister, ging wieder in Gestalt eines armen Mannes vor
das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stück
Brot, und er fing sie wie die erste durch ein bloßes An-
rühren und trug sie fort. Es erging ihr nicht besser als
ihrer Schwester, sie ließ sich von ihrer Neugierde verleiten,
öffnete die Blutkammer und mußte es bei seiner Rückkehr
mit dem Leben büßen. Er ging nun und holte die dritte.
Die aber war klug und listig. Als er ihr Schlüssel und Ei
gegeben hatte und fortgereist war, verwahrte sie das Ei erst
sorgfältig, dann besah sie das Haus und ging zuletzt in die
verbotene Kammer. Ach, was erblickte sie! ihre beiden lieben
Schwestern lagen, jämmerlich ermordet, in dem Becken.
Aber sie hub an und suchte die Glieder zusammen und legte
sie zurecht, Kopf, Leib, Arm und Beine. Und als nichts
mehr fehlte, da fingen die Glieder an sich zu regen und
schlossen sich an einander: und beide Mädchen öffneten die
Augen und waren wieder lebendig. Wie freueten sie sich,
küßten und herzten einander! Dann führte sie die beiden
heraus und versteckte sie. Der Mann forderte bei seiner
Ankunft Schlüssel und Ei und als er keine Spur von Blut
daran entdecken konnte, sprach er 'du hast die Probe be-
standen, du sollst meine Braut sein.' Er hatte aber jetzt
keine Macht mehr über sie und mußte thun, was sie ver-
langte. 'Wohlan,' antwortete sie, 'du sollst vorher einen
Korb voll Gold meinem Vater und meiner Mutter bringen
und selbst auf deinem Rücken hintragen, dieweil will ich die
Hochzeit hier bestellen'. Darauf ging sie in ihr Kämmerlein,
wo sie ihre Schwestern versteckt hatte. 'Jetzt,' sprach sie
147
‘ist der Augenblick gekommen, wo ich euch retten kann, der
Bösewicht soll euch selbst wieder heimtragen: aber sobald
ihr zu Hause seid, laßt mir Hilfe zukommen.' Dann setzte
sie beide in einen Korb und deckte sie mit Gold ganz zu, daß
nichts von ihnen zu sehen war, und rief den Hexenmeister
herein und sprach ‘mut trag den Korb fort, aber daß du mir
unterwegs nicht stehen bleibst und ruhest, ich schaue durch
mein Fensterlein und habe acht.'
Der Hexenmeister hob den Korb auf seinen Rücken und
ging damit fort, er ward ihm aber so schwer, daß ihm der
Schweiß über das Angesicht lief und er fürchtete totgedrückt
zu werden. Da setzte er sich nieder und wollte ein wenig
ruhen, aber gleich rief eine im Korbe 'ich schaue durch mein
Fensterlein und sehe, daß du ruhst, willst du weiter.' Er
meinte, die Braut rief ihm das zu, und machte sich wieder
auf. Nochmals wollte er sich setzen, da rief es abermals 'ich
schaue durch mein Fensterlein und sehe, daß du ruhst, willst
du gleich weiter.' Und so oft er stillstand, rief es, und da
mußte er fort, bis er endlich ganz außer Atem den Korb
mit dem Gold und den beiden Mädchen in ihrer Eltern Haus
brachte.
Daheim aber ordnete die Braut das Hochzeitsfest an.
Sie nahm einen Totenkopf mit grinsenden Zähnen und
setzte ihm einen Schmuck auf und trug ihn oben vors Boden-
loch und ließ ihn da herausschauen. Dann ladete sie die
Freunde des Hexenmeisters zum Fest ein, und wie das ge-
schehen war, steckte sie sich in ein Faß mit Honig, schnitt
das Bett auf und wälzte sich darin, daß sie aussah wie
ein wunderlicher Vogel und kein Mensch sie erkennen konnte.
10*
148
Da ging sie zum Haus hinaus, und unterwegs begegnete
ihr ein Teil der Hochzeitsgäste, die fragten
'Du Fitchers Vogel, wo kommst du her?'
'Ich komme von Fitze Fitchers Hause her.' -
Was macht denn da die junge Braut?'
'Hat gekehrt von unten bis oben das Haus
und guckt zum Bodenloch heraus.'
Darauf begegnete ihr der Bräutigam, der zurück kam: der
fragte auch
'Du Fitchers Vogel, wo kommst du her?'
'Ich komme von Fitze Fitchers Hause her.'
'Was macht denn da meine junge Braut?'
'Hat gekehrt von unten bis oben das Haus
und guckt zum Bodenloch heraus.'
Der Bräutigam schaute hinauf und sah den geputzten Toten-
kopf: da meinte er, es wäre seine Braut, und nickte ihr zu
und grüßte sie freundlich. Wie er aber samt seinen Gästen
ins Haus gegangen war, da kam die Hilfe von den Schwe-
stern an. Sie schlossen alle Thüren des Hauses zu, daß
niemand entfliehen konnte, und steckten es an, also daß der
Hexenmeister mit samt seinem Gesindel verbrennen mußte.
149
23.
Von dem Mach andelboom.
Dat is nu all lang her, wol twe düsend Johr, do wör
dar een ryk Mann, de hadd ene schöne frame Fru, un se
hadden sik beide sehr leef, hadden awerst kene Kinner, se
wünschden sik awerst sehr welke, un de Fru bedd' so vel
dorüm Dag un Nacht, man se kregen keen un kregen keen.
Vör erem Hufe wör een Hof, dorup stünn een Machandel-
boom, ünner dem stünn de Fru eens im Winter und schelld
sik enen Appel, un as se sik den Appel so schelld, so sneet se
sik in'n Finger, un dat Blöd feel in den Snee. Mch,' säd
de Fru, un süft'd so recht hog up un seeg dat Blöd vör sik
an un wör so recht wehmödig, chadd ik doch een Kind, so
rod as Blöd un so witt as Snee.' Un as se dat säd, so
wurr ehr so recht frölich to Mode: ehr wör recht, as schull
dat wat warden. Do güng se to dem Hufe; un't güng een
Maand hen, de Snee vörgüng: un twee Maand, do wör
dat grön: un dre Maand, do kömen de Blömer ut der Gerd:
un veer Maand, do drängen sik alle Bömer in dat Holt,
un de grönen Twyge wören all in eenanner wussen: dor
sängen de Baegelkens dat dat ganße Holt schalld, un de
Blöiten felen von den Bömern: do wör de softe Maand
wech, un se stünn ünner dem Machandelboom, de rök so
schön, do sprüng ehr dat Hart vör Freuden, un se füll up
150
ere Knee un kunn stk nich laten; un as de soste Maand vörby
wör, do wurren de Früchte dick und stark, do wurr se ganß
still; un de söwde Maand, do greep se na den Machandel-
beeren un eet se so nydsch, do wurr se trurig und krank; do
güng de achte Maand hen, un se reep eren Mann un weend
un säd 'wenn ik starw, so begras my ünner den Machan-
delboom.' Do wurr se ganß getrost und sreude stk, bet de
neegte Maand vörby wör, do kreeg se een Kind so witt as
Snee un so rod as Blöd, un as se dat seeg, so sreude se
stk so, dat se stürw.
Do begrof ehr Mann se ünner den Machandelboom,
un he süng an to weenen so sehr: ene Tyd lang, do wurr dat
wat sachter, un do he noch wat weend hadd, do hüll he up,
un noch een Tyd, do nöhm he stk wedder ene Fru.
Mit de tweden Fru kreeg he ene Dochter, dat Kind
awerst von der eersten Fru wör een lüttje Saehn un wör
so rod as Blöd un so witt as Snee. Wenn de Fru ere
Dochter so anseeg, so had se se so leef, awerst denn seeg se
den lüttjen Jung an, un dat güng ehr so dorch't Hart, un
ehr düchd as stünn he ehr allerwegen im Weg, un dachd denn
man jümmer wo se ehr Dochter all dat Börmaegent towenden
wull, un de Böse gas ehr dat in, dat se dem lüttjen Jung
ganß gramm wurr, un stödd em herüm von een Eck in de
anner un buffd em hier un knuffd em dor, so dat dat
arme Kind jümmer in Angst wör. Wenn he denn ut de
Schol köm, so hadd he kene ruhige Städ.
Eens wör de Fru up de Kamer gan, do köm de
lüttje Dochter ok herup und säd 'Moder, gif my enen Appel.'
'Ja, myn Kind' säd de Fru un gas ehr enen schönen Appel
151
ut der Kist; de Kist awerst hadd enen groten sworen Deckel
mit een grot scharp ysern Slot. Moder,' säd de lüttje
Dochter, schall Broder nich ok enen hebben?' Dat verdröt
de Fru, doch säd se ‘Jet, wenn he ut de Schot kmnmt.'
Un as se ut dat Fenster wohr wurr dat he köm, so wör
dat recht, as wenn de Böse aewer ehr köm, un se grappst
to un nöhm erer Dochter den Appel wedder wech un säd
'du schalst nich ehr enen hebben as Broder.' Do smeet se den
Appel in de Kist und makd de Kist to: do köm de lüttje
Jung in de Dör, do gas ehr de Böse in dat se fründlich
to em sed 'myn Saehn, wullt du enen Appel hebben?' un
seeg em so hastig an. Moder,' säd de lüttje Jung, 'wat
sähst du gräsig ut! ja, gif my enen Appel.' Do wörr ehr
as schull se em toreden. 'Kumm mit my,' säd se un makd
den Deckel up, 'hat dy enen Appel herut.' Un as stk de
lüttje Jung henin bückd, so reet ehr de Böse, bratsch! slög
se den Deckel to dat de Kopp afflög un ünner de roden
Appel füll. Da aewerleep ehr dat in de Angst, un dachd
ckunn ik dat von my bringen!' Da güng se bawen na ere
Stuw na erem Dragkasten un hal ut de bäwelste Schuf-
lad enen Witten Dok un fett’ den Kopp wedder up den
Hals un bünd den Halsdok so üm dat'n niks sehn kunn,
un fett' em vör de Dör up enen Stohl un gas em den
Appel in de Hand.
Do köm dorna Marleenken to erer Moder in de Kaek,
de stünn by dem Für un hadd enen Putt mit heet Water
vör stk, den röhrd se jümmer üm. Moder,' säd Marleenken
Broder sitt vör de Dör un süht ganß witt ut un hett enen
Appel in de Hand, ik hebb em beden he schull my den Appel
152
gewen, awerst he antwörd my nich, do wurr my ganß
grolich.' 'Gah nochmal hen,' säd de Moder, 'un wenn he
dy nich antworden will, so gif em eens an de Oren.' Do
güng Marleenken hen un säd 'Broder, gyf my den Appel;'
awerst he sweeg still. Do gas se em eens up de Oren, da feel
de Kopp herünn, doraewer vörschrock se stk un füng an to
weenen un to roren un löp to erer Moder un säd 'ach, Moder,
ik hebb mynem Broder den Kopp afslagen', un weend un
weend un wull sik nich tofreden gewen. 'Marleenken,' säd
de Moder, 'wat heft du dahn! awerst swyg man still, dat et
keen Mensch markt, dal ist nu doch nich to ännern; wy
willen em in Sur kaken.' Do nöhm de Moder den lüttjen
Jung un hackd em in Stücken, ded de in den Putt un kakd
em in Sur. Marleenken awerst stünn darby un weend un
weend, un de Tranen füllen all in den Putt, un se brukden
gor keen Solt.
Do köm de Bader to Hus un fett’ sik to Disch un
säd 'wo is denn myn Saehn?' Do drog de Moder ene grote
grote Schottel up mit Swartsur, un Marleenken weend
un kunn sik nich Hollen. Do säd de Bader wedder 'wo is
denn myn Saehn?' 'Ach,' säd de Moder, 'he is äwer Land
gan, na Mütten erer Grotöhm: he wull dor wat blywen.'
'Wat dait he denn dor un heft my nich mal Adjüs seggd?'
'O he wull geern hen un bed my of he dor wol sos Wäken
blywen kunn; he is jo woll dor uphawen.' 'Ach,' säd de
Mann, 'my is so recht trurig, dat is doch nich recht, he hadd
my doch Adjüs seggen schullt.' Mit des füng he an to eeten
un säd 'Marleenken, wat weenst du? Broder wart wol
wedder kamen,' 'Ach, Fru,' säd he do, 'wat schmeckt my dat
153
Eeten schön! gyf my mehr!' Un je mehr he eet, je mehr
wull he hebben, un säd 'gest my mehr, gy schölt niks dor
af hebben, bat is as wenn dat all myn wör.' Un he eet un
eet, un de Knakens smeet he all ünner den Disch, bet he
allens up hadd. Marleenken awerst güng hen na ere Commod
und nöhm ut de ünnerste Schuf eren besten syden Dok un
hal all de Beenkens und Knakens ünner den Disch herut
un bünd se in den syden Dok un drog se vor de Dör un
weend ere blödigen Tranen. Dor läd se se ünner den
Machandelboom in dat gröne Gras, un as se se dor hen-
leggd hadd, so war ehr mit eenmaal so recht licht, un weend
nich mer. Do füng de Machandelboom an stk to bewegen,
un de Twyge deden sik jümmer so recht von eenanner un denn
wedder tohop, so recht as wenn sik ener so recht freut un
mit de Hand so dait. Mit des so güng dar so'n Newel von
dem Boom, un recht in dem Newel dar brennd dat as Für,
un ut dem Für da flög so'n schönen Vagel herut, de süng
so herrlich und flög hog in de Lust, un as he wech wör,
do wör de Machandelboom as he vörhen west wör, un
de Dok mit de Knakens wörr wech. Marleenken awerst
wör so recht licht un vergnögt, recht as wenn de Broder
noch lewd. Do güng se wedder ganß lustig in dat Hus
by Disch un eet.
De Vagel awerst flög wech un fett’ sik up enen Gold-
smidt syn Hus un füng an to singen
^mein Mutter der mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
mein Schwester der Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
154
bindt sie in ein seiden Tuch,
legis unter den Machandelbaum.
Kywitt, kywitt, wat vör’n schön Vagel bün ik!'
De Goldsmidt seet in syn Warkstäd un makd ene gollne
Kede, do hörd he den Vagel, de up syn Dack seet un süng,
un dat dünkd em so schön. Do stünn he up, un as he aewer
den Süll güng, do verlör he enen Tüffel. He güng awer
so recht midden up de Strat hen, enen Tüffel un een Sock
an: syn Schortfell hadd he vör, un in de een Hand hadd
he de golln Kede un in de anner de Tang; un de Sünn
schynd so hell up de Strat. Dor güng he recht so stan un
seeg den Vagel an. Magel,' seggt he do, Mo schön kannst
du singen? Sing my dat Stück nochmal.' Me,' seggt de
Vagel, ^twemal sing ik nich umsünst. Gif my de golln
Kede, so will ik dy’t nochmal singen.' *Dor,' seggt de
Goldsmidt, chest du de gollne Kede, nu sing my dat nochmal.'
Do köm de Vagel un nöhm de golln Kede so in de rechte
Pot un güng vör den Goldsmidt sitten un süng
Mein Mutter der mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
mein Schwester der Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legts unter den Machandelbaum.
Kywitt, kywitt, wat vör’n schön Vagel bün ik!'
Do flög de Vagel wech na enem Schoster un fett’ sik
up den syn Dack un süng
Mein Mutter der mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
155
mein Schwester der Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legts unter den Machandelbaum.
Kywitt, kywitt, wat vör'n schön Vagel bün ik!'
De Schoster hörd dat und leep vör syn Dör in Hemds-
ärmels un seeg na syn Dack un mussd de Hand vör de Ogen
hollen, dat de Sünn em nich blend't. Vagel,' seggt he, ‘wat
kannst du schön singen.' Do röp he in syn Dör henin
,Fru, kumm mal herut, dar is een Vagel: seh mal den
Bagel, de kann mal schön singen.' Do röp he syn Dochter
un Kinner un Gesellen, Jung un Magd, un se kömen all
up de Strat un fegen den Vagel an, wo schön he wör,
un he hadd so recht rode un gröne Feddern, un üm den Hals
wör dat as luter Gold, un de Ogen blünken em im Kopp
as Steern. Vagel,' säd de Schoster, ‘tut sing my dat
Stück nochmal.' Me,' seggt de Vagel, ‘twemal sing ik nich
umsünst, du must my wat schenken.' ‘Fru,' säd de Mann,
ha na dem Baehn, up dem bäwelsten Boord dor stan een
Por rode Schö, de bring herünn.' Do güng de Fru hen
un hal de Schö. 'Dor, Vagel,' säd de Mann, ‘mt sing
my dat Stück nochmal.' Do köm de Vagel un nöhm
de Schö in de linke Klau un flög wedder up dat Dack
un süng
‘mein Mutter der mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
mein Schwester der Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
156
bindt sie in ein seiden Tuch,
legts unter den Machandelbaum.
Kywitt, kywitt, wat vorn schön Vagel bün ik!'
Un as he utsungen hadd, so flog he wech: de Kede hadd
he in de rechte un de Schö in de linke Klau. Un he flög
wyt wech na ene Maehl, un de Maehl güng 'klippe klappe,
klippe klappe, klippe klappe:' un in de Maehl dor seeten
twintig Maehlenburßen, de Handen enen Steen un hackden
chick, hack, hick, hack, hick, hack,' un de Maehl güng 'klippe
klappe, klippe klappe, klippe klappe.' Do güng de Vagel up
enen Lindenboom sitten, de vor de Maehl stünn un süng
'mein Mutter der mich schlacht,'
do hörd een up,
'mein Vater der mich aß,'
do Hörden noch twe up un Hörden dat,
'mein Schwester der Marlenichen,'
do Hörden wedder veer up,
'sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,'
nn hackden noch man acht,
'legts unter'
nu noch man fyv,
'den Machandelbaum.'
nu noch man een,
'Kywitt, kywitt, wat vör'n schön Vagel bün ik!'
Do hüll de legte ok up un hadd dat lezte noch hörd. 'Vage!,'
seggt he, 'wat singst du schön! lat my dat ok hören, sing
my dat nochmal.' 'Ne,' seggd de Bagel, 'twemal sing ik
nich umsünst, gif my den Maehlensteen, so will ik dat
157
nochmal singen? 'Ja,' seggt he, 'wenn he mp allem to-
hörd, so schullst du em hebben? 'Ja,' säden de annern
^lvenn he nochmal singt, so schall he em hebben? Do köm
de Vagel herünn, un de Möllers fat'n all twintig mit
Böm an un böhrden den Steen up 'hu uh up, hu uh up,
hu uh up!' Do stök de Vagel den Hals dör dat Lock un
nöhm em üm as enen Kragen, un flog wedder up den
Boom un süng
'mein Mutter der mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
mein Schwester der Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legts unter den Machandelbaum.
Kywitt, kpwitt, wat vör'n schön Vagel bün ik!'
Un as he dat utsungen hadd, do deed he de Flünk von
eenanner, un he hadd in de rechte Klau de Kede un in de
linke de Schö un üm den Hals den Maehlensteen, und flog
lvyt wech nach synes Baders Hufe.
In de Stuw seet de Bader, de Moder un Marleenken
by Disch, un de Bader säd 'ach, wat wart mp licht, my
is recht so god to Mode? 'Ne,' säd de Moder, 'mp is
recht so angst, so recht as wenn en swor Gewitter kummt?
Marleenken awerst seet un weend un weend. Do köm de
Vagel anflegen, un as he stk up dat Dack sett', 'ach,' säd
deWader, 'my is so recht freudig, un de Sünn schynt buten
jo schön, mp is recht, as schull ik enen ölen Bekannten
rveddersehen? 'Ne,' säd de Fru, 'my is so angst, de Täne
klappern mp, un dat is mp as Für in den Adern? Un se
158
reet sik ehr Lyfken up un so mehr, awer Marleenken seet in
en Eck un weend un hadd eren Platen vör de Ogen un
weend den Platen ganß meßnatt. Do seet' sik de Vagel up
den Machandelboom un süng
'mein Mutter der mich schlacht,'
Do hüll de Moder de Oren to un kneep de Ogen to un wull nich
sehen un hören, awer dat brusde ehr in de Oren as de aller-
starkste Strom, un de Ogen brennden ehr un zackden as Blitz,
'mein Vater der mich aß,'
'Ach, Moder,' seggt de Mann, 'dor is en schön Vagel, de
singt so herrlich, de Sünn schynt so warm, un dat rückt as
luter Zinnemamen.'
'mein Schwester der Marlenichen'
Do läd Marleenken den Kopp up de Knee un weend in eens
wech, de Mann awerst säd 'ik ga henut, ik mutt den Vagel
dicht by sehn.' 'Ach, gah nich,' läd de Fru, 'my is as bewd
das ganße Hus un stünn in Flammen? Awerst de Mann
güng henut un seeg den Vagel an.
'sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legts unter den Machandelbaum.
Kywitt, kywitt, wat vör'n schön Vagel bün ik!'
Mit des leet de Vagel de gollne Kede fallen, un se feel dem
Mann jüst üm'n Hals, so recht hier herüm, dat se recht so
schön passd. Do güng he herin un säd 'süh, wat is dat
vör'n schön Vagel, hett my so 'ne schöne gollne Kede
schenkd, un süht so schön ut.' De Fru awerst wör so angst
un füll längs in de Stuw hen, un de Mütz füll ehr von dem
Kopp. Do süng de Vagel wedder
159
'mein Mutter der mich schlacht,'
Ach, dat ik düsend Föder ünner de Gerd wör, dat ik bat
nich hören schull!'
'mein Vater der wich aß,'
Do füll de Fru vör dod nedder.
'mein Schwester der Marlenichen'
Ach,' säd Marleenken, 'ik will ok herut gan un sehn of
de Vagel my wat schenkt!' Do güng se henut.
'sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,'
Do smeet he ehr de Schö herünn.
'legts unter den Machandelbaum.
Kywitt, kywitt, wat vör'n schön Vagel bün ik!'
Do wör ehr so licht un frölich. Do truck se de neen roden
Schö an un danßd un sprüng herin. 'Ach,' säd se, ik wör
so trurig, aZ ik henut güng/ un nu is my so licht. Dat is
mal en herrlichen Vagel, het my en Por rode Schö schenkd.'
'Na,' säd de Fru un sprüng up, un de Hör stünnen ehr to
Barg as Fürsflammen, 'my is as schull de Welt ünner-
gan, ik will ok henut, of my lichter warden schull.' Un
as se ut de Dör körn, bratsch! smeet ehr de Vagel den
Maehlensteen up den Kopp, dat se ganß tomatscht wurr. De
Bader un Marleenken Hörden dat un güngen henut: do
güng en Damp un Flamm un Für up von der Städ, un
as dat vörby wörr, do stünn de lüttje Broder dor, un he
nöhm synen Bader un Marleenken by der Hand, un wö-
ren all dre so recht vergnögt un güngen in dat Hus by
Disch un eeten.
24.
Dornröschen.
Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die spra-
chen jeden Tag 'ach, wenn wir doch ein Kind hätten!' und
kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin
einmal im Bade saß, daß ein Frosch aus dem Wasser ans
Land kroch und zu ihr sprach 'dein Wunsch soll erfüllt werden,
ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen.'
Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin
gebar ein Mädchen, das war so schön, daß der König vor
Freude sich nicht zu lassen wußte und ein großes Fest an-
stellte. Er ladete nicht blos seine Verwandte, Freunde und
Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit
sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer
dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene
Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so mußte eine
von ihnen daheim bleiben. Das Fest ward mit aller Pracht
gefeiert, und als es zu Ende war, beschenkten die weisen
Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit
Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte anit Reich-
tum, und so mit allem, was auf der Welt nur zu wünschen
ist. Als elfe ihre Sprüche eben gethan halten, trat plötzlich
die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, daß sie
161
nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder nur
anzusehen, rief sie mit lauter Stimme ‘Me Königstochter
soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen
und tot hinfallen? Und ohne ein Wort weiter zu sprechen,
kehrte sie sich um und verließ den Saal. Alle waren er-
schrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren Wunsch noch
übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben
sondern nur ihn mildern konnte, so sagte sie ‘es soll aber
kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf,
in welchen die Königstochter fällt?
Der König, der sein liebes Kind vor so großem Unglück
gern bewahren wollte, ließ den Befehl ausgehen, daß die
Spindeln im ganzen Königreiche sollten verbrannt werden.
An dem Mädchen aber wurden die Gaben der weisen Frauen
sämtlich erfüllt, denn es war so schön, sittsam, freundlich
und verständig, daß es jedermann, der es ansah, lieb haben
! mußte. Es geschah, daß an dem Tage, wo es gerade fünf-
j zehn Jahr alt ward, der König und die Königin nicht zu
I Haus waren, und das Mädchen ganz allein im Schloß
z zurückblieb. Da ging es allerorten herum, besah Stuben
' und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich auch an
einen alten Turm. Es stieg die enge Wendeltreppe hin-
auf und gelangte zu einer kleinen Thüre. In dem Schloß
| steckte ein verrosteter Schlüssel, und als es umdrehte, sprang
die Thür auf, und saß da in einem kleinen Stübchen eine alte
Frau mit einer Spindel und spann emsig ihren Flachs.
‘Guten Tag, du altes Mütterchen? sprach die Königs-
tochter, ‘was machst du da?' ‘Ich spinne,' sagte die Alte
und nickte mit dem Kopf. ‘Was ist das für ein Ding, das
Grimm, Märchen. 11
162
so lustig herumspringt?' sprach das Mädchen, nahm die
Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie aber
die Spindel angerührt, so ging der Zauberspruch in Er-
füllung, und sie stach sich damit in den Finger.
In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand,
fiel sie auf das Bett nieder, das da stand, und lag in einem
liefen Schlaf. Und dieser Schlaf verbreitete sich über das
ganze Schloß: der König und die Königin, die eben heim
gekommen und in den Saal getreten waren, sanken nieder
und schliefen ein und der ganze Hofstaat mit ihnen. Da
schliefen auch die Pferde im Stall, die Hunde im Hofe, die
Tauben auf dem Dache, die Fliegen an der Wand, ja, das
Feuer, das auf dem Herde flackerte, ward still und schlief
ein, und der Braten hörte auf zu brutzeln, und der Koch,
der den Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den
Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief. Und der
Wind legte sich, und auf den Bäumen vor dem Schloß regte
sich kein Blättchen mehr.
Rings um das Schloß aber begann eine Dornenhecke
zu wachsen, die jedes Jahr höher ward und endlich das
ganze Schloß umzog und darüber hinaus wuchs, daß gar
nichts mehr davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf
dem Dach. Es ging aber die Sage in dem Land von dem
schönen schlafenden Dornröschen, denn so ward die Königs-
tochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Königssöhne
kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten.
Es war aber alle Mühe vergeblich, denn die Dornen, als
hätten sie Hände, hielten fest zusammen, und die Jüng-
linge blieben darin hängen, konnten sich nicht wieder los
163
machen und starben eines jämmerlichen Todes. Nach langen
langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn in das
Land und hörte, wie ein alter Mann von der Dornenhecke
erzählte, es sollte ein Schloß dahinter stehen, in welchem eine
wunderschöne Königstochter, Dornröschen genannt, schon
seit hundert Jahren schliefe, und mit ihr schliefe der König
und die Königin und der ganze Hofstaat. Er wußte auch
von seinem Großvater, daß schon viele Königssöhne ge-
kommen wären und versucht hätten, durch die Dornenhecke
zu dringen, aber sie wären darin hängen geblieben und
eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der Jüngling
'ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und das schöne Dorn-
röschen sehen? Der gute Alte riet ihm ab, aber er hörte
nicht auf seine Worte.
Nun waren gerade die hundert Jahre verflossen, und
der Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen
sollte. Als der Königssohn sich der Hecke näherte, waren
es lauter große schöne Blumen, die thaten sich von selbst
auseinander und ließen ihn unbeschädigt hindurch: und
hinter ihm thaten sie sich wieder als eine Hecke zusammen.
Im Schloßhof sah er die Pferde und scheckigen Jagdhunde
liegen und schlafen: auf dem Dache saßen die Tauben und
hatten das Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und als er
ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der Wand, der Koch
in der Küche hielt noch die Hand, als wollte er den Jungen
anpacken, und die Magd saß vor dem schwarzen Huhn, das
sollte gerupft werden. Da ging er weiter und sah im Saale
den ganzen Hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem
Throne lag der König und die Königin. Da ging er noch
n*
weiter, und alles war so still, daß einer seinen Atem hören
konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die
Thüre zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief.
Da lag es und war so schön, daß er die Augen nicht ab-
wenden konnte, und er konnte es auch nicht lassen, bückte
sich und gab ihm einen Kuß. Kaum hatte er es mit dem
Kuß berührt, so schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte
und blickte ihn ganz freundlich an. Da gingen sie zusammen
herab, und der König erwachte und die Königin und der
ganze Hofstaat, und sahen einander mit großen Augen an.
Und die Pferde im Hof standen auf und rüttelten sich: die
Jagdhunde sprangen und wedelten: die Tauben auf dem
Dach zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen
umher und flogen ins Feld: die Fliegen an den Wänden
krochen weiter: das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte
und kochte das Essen: der Braten fing wieder an zu brutzeln,
und der Koch gab dem Jungen eine Ohrfeige, daß er schrie:
und die Magd rupfte das Huhn fertig. Und da ward die
Hochzeit des Königsohnes mit dem Dornröschen in aller
Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.
165
25.
Fundevogel.
Es war einmal ein Förster, der ging m den Wald auf
die Jagd, und wie er in den Wald kam, hörte er schreien,
als obs ein kleines Kind wäre. Er ging dem Schreien nach
und kam endlich zu einem hohen Baum und oben darauf
saß ein kleines Kind. Es war aber die Mutter mit dem
Kinde unter dem Baum eingeschlafen, und ein Raubvogel
hatte das Kind in ihrem Schoße gesehen: da war er hinzu
geflogen, hatte es mit dem Schnabel weggenommen und auf
den hohen Baum gesetzt.
Der Förster stieg hinauf, holte das Kind herunter und
dachte ‘hx willst das Kind mit nach Haus nehmen und mit
deinem Lenchen zusammen aufziehen? Er brachte es also
heim, und die zwei Kinder wuchsen mit einander aus. Das
aber, das auf dem Baum gefunden worden war, und weil
es ein Vogel weggetragen hatte, ward Fundevogel ge-
heißen. Fundevoge-l und Lenchen hatten sich so lieb, nein
so lieb, daß wenn eins das andere nicht sah, war es traurig.
Der Förster hatte aber eine alte Köchin, die nahm eines
Abends zwei Eimer und fing an Wasser zu schleppen, und
ging nicht einmal sondern Vielemal hinaus an den Brunnen.
Lenchen sah es und sprach ‘hör einmal, alte Sanne, was
trägst du denn so viel Wasser zu?' ‘Wenn du's keinem Men-
166
schen wiedersagen willst, so will ich dir's wohl sagen? Da
sagte Lenchen nein, sie wollte es keinem Menschen wieder-
sagen, so sprach die Köchin ^morgen früh, wenn der Förster
auf die Jagd ist, da koche ich das Master, und Wenns im
Kessel siedet, werf ich den Fundevogel hinein und will ihn
darin kochen?
Des andern Morgens in aller Frühe stieg der Förster
auf und ging auf die Jagd, und als er weg war, lagen die
Kinder noch im Bett. Da sprach Lenchen zum Fundevogel,
^verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht? Ant-
wortete der Fundevogel ^nun und nimmermehr? Da sprach
Lenchen ^ich will es dir nur sagen, die alte Sanne schleppte
gestern Abend so viel Eimer Master ins Haus, da fragte ich
sie, warum sie das thäte, so sagte sie, wenn ichs keinem
Menschen sagen wollte, so wollte sie es mir wohl sagen:
sprach ich, ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen, da
sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre,
wollte sie den Kessel voll Master sieden und dich hinein
werfen und kochen. Mir wollen aber geschwind aufsteigen,
uns anziehen und zusammen fortgehen?
Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind
an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte,
ging die Köchin in die Schlafkammer und wollte den Funde-
vogel holen und ihn hineinwerfen. Aber, als sie hinein
kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide
fort: da wurde ihr grausam angst, und sie sprach vor sich
*was will ich nun sagen, wenn der Förster heim kommt und
sieht, daß die Kinder weg sind? Geschwind hinten nach,
daß wir sie wieder kriegen?
167
Da schickte die Köchin drei Knechte nach, die sollten
laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen
vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem
laufen sahen, sprach Lenchen zum Fundevogel ‘verläßt du
mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht? Sprach Fundevogel
‘mm und nimmermehr? Da sagte Lenchen ‘werde du zum
Rosenstöckchen und ich zum Röschen darauf? Wie nun die
drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da als
ein Rosenstrauch und ein Röschen oben drauf, die Kinder
aber nirgend. Da sprachen sie ‘hier ist nichts zu machen'
und gingen heim und sagten der Köchin, sie hätten nichts
in der Welt gesehen als nur ein Rosenstöckchen mit einem
Röschen oben drauf. Da schalt die alte Köchin ‘ihr Einfalts-
pinsel, ihr hättet das Rosenstöckchen sollen entzwei schneiden
und das Röschen abbrechen und mit nach Haus bringen;
geschwind und thuts? Sie mußten also zum zweiten Mal
hinaus und suchen. Die Kinder sahen sie aber von weitem
kommen, da sprach Lenchen ‘Fundevogel, verläßt du mich
nicht, so verlaß ich dich auch nicht? Fundevogel sagte ‘nun
und nimmermehr? Sprach Lenchen ‘so werde du eine Kirche
und ich die Krone darin? Wie nun die drei Knechte dahin
kamen, war nichts da als eine Kirche und eine Krone darin.
Sie sprachen also zu einander ‘was sollen wir hier machen,
laßt uns nach Hause gehen? Wie sie nach Haus kamen,
fragte die Köchin, ob sie nichts gefunden hätten, so sagten
sie nein, sie hätten nichts gefunden als eine Kirche, da wäre
eine Krone darin gewesen. ‘Ihr Narren,' schalt die Köchin,
‘warum habt ihr nicht die Kirche zerbrochen und die Krone mit
heim gebracht?' Nun machte sich die alte Köchin selbst auf die
168
Beine und ging mit den drei Knechten den Kindern nach. Die
Kinder sahen aber die drei Knechte von weitem kommen, und
die Köchin wackelte hinten nach. Da sprach Lenchen 'Funde-
vogel, verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht.'
Da sprach der Fundevogel 'nun und nimmermehr? Sprach
Lenchen 'werde du zum Teich und ich die Ente drauf? Die
Köchin aber kam herzu, und als sie den Teich sah, legte
sie sich darüber hin und wollte ihn aussaufen. Aber die Ente
kam schnell geschwommen, faßte sie mit ihrem Schnabel
beim Kopf und zog sie ins Wasser hinein: da mußte die alte
Hexe ertrinken. Da gingen die Kinder zusammen nach
Haus und waren herzlich froh; und wenn sie nicht gestor-
ben sind, leben sie noch.
169
26.
König Drosselbart.
Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen
schön, dabei aber so stolz und übermütig, daß ihr kein Freier
gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab und
trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König
ein großes Fest anstellen und ladete dazu aus der Nähe und
Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle
in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet: erst kamen
die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und
Freiherrn, zuletzt die Edelleute. Nun ward die Königs-
tochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie
etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, 'das Weinfaß!'
sprach sie. Der andere zu lang, 'lang und schwank hat keinen
Gang.' Der dritte zu kurz, 'kurz und dick hat kein Geschick.'
Der vierte zu blaß, 'der bleiche Tod!' Der fünfte zu rot,
'der Zinshahn!' Der sechste war nicht gerad genug, 'grünes
Holz, hinterm Ofen getrocknet.' Und so hatte sie an einem
jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über
einen guten König lustig, der ganz oben stand, und dem
das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. 'Ei,' rief sie
und lachte, 'der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schna-
bel,' und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart.
170
Der alte König aber, als er sah, daß seine Tochter nichts
that als über die Leute spotten und alle Freier, die da ver-
sammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur
sie sollte den ersten besten Bettler zum Mann nehmen, der
vor seine Thüre käme.
Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an unter
dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu
verdienen. Als es der König hörte, sprach er 'laßt ihn
herauf kommen.' Da trat der Spielmann in seinen schmutzi-
gen Kleidern herein, sang vor dem König und seiner
Tochter und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe.
Der König sprach 'dein Gesang hat mir so wohl gefallen,
daß ich dir meine Tochter da zur Frau geben will.' Die
Königstochter erschrak, aber der König sagte 'ich habe den
Eid gethan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben,
den will ich auch halten.' Es half keine Einrede, der Pfarrer
ward geholt, und sie mußte sich gleich mit dem Spielmann
trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König
'nun schickt sich nicht, daß du als ein Bettelweib noch länger
in meinem Schloß bleibst, du kannst nun mit deinem Manne
weiter ziehen.'
Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und
sie mußte mit ihm zu Fuß fortgehen. Als sie da in einen
großen Wald kamen, fragte sie
'ach, wem gehört der schöne Wald?'
'Der gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär er dein.'
'Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!'
171
Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder
'wem gehört die schöne grüne Wiese?'
'Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär sie dein.'
'Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!'
Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder
'wem gehört diese schöne große Stadt?'
'Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär sie dein.'
'Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!'
'Es gefällt mir gar nicht,' sprach der Spielmann, 'daß
du dir immer einen andern zum Mann wünschest, bin ich
dir nicht gut genug?' Endlich kamen sie an ein ganz klei-
nes Häuschen, da sprach sie
'ach Gott, was ist das Haus so klein!
wem mag das elende winzige Häuschen sein?'
Der Spielmann antwortete 'das ist mein und dein Haus,
wo wir zusammen wohnen.' Sie mußte sich bücken, damit
sie zu der niedrigen Thür hinein kam. 'Wo sind die Diener?'
sprach die Königstochter. 'Was Diener!' antwortete der
Bettelmann, 'du mußt selber thun, was du willst gethan
haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf,
daß du mir ein Essen kochst; ich bin ganz müde.' Die
Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und
Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen,
daß es noch so leidlich ging. Als sie die schmale Kost ver-
zehrt hatten, legten sie sich zu Bett, aber am Morgen trieb
172
er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen
sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und
recht, und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann
'Frau, so gehts nicht länger, daß wir hier zehren und
nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.' Er ging aus,
schnitt Weiden und brachte sie heim: da fing sie an zu
flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände
wund. 'Ich sehe, das geht nicht,' sprach der Mann, 'spinn
lieber, vielleicht kannst du das besser.' Sie setzte sich hin
und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr
bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunter
lief. 'Siehst du,' sprach der Mann, 'du taugst zu keiner
Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ichs
versuchen und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr
anfangen: du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware
feil halten.' 'Ach,' dachte sie, 'wenn auf den Markt Leute
aus meines Vaters Reich kommen und sehen mich da sitzen
und feil halten, wie werden sie mich verspotten!' Aber es
half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers
sterben wollten. Das erste Mal gings gut, denn die Leute
kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Ware ab
und bezahlten, was sie forderte: ja, viele gaben ihr das
Geld und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie
von dem Erworbenen, so lang es dauerte, da handelte der
Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte
sich an eine Ecke des Marktes und stellte es um sich her und
hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar daher gejagt
und ritt gerade in die Töpfe hinein, daß alles in tausend
Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wußte
173
vor Angst nicht, was sie anfangen sollte. 'Ach, wie wird
mirs ergehen!' rief sie, 'was wird mein Mann dazu sagen?'
Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. 'Wer setzt sich
auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!' sprach
der Mann, 'laß nur das Weinen, ich sehe wohl, du bist zu
keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in
unsers Königs Schloß gewesen und habe gefragt, ob sie nicht
eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir ver-
sprochen, sie wollten dich dazu nehmen: dafür bekommst du
freies Essen.'
Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, mußte
dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit thun.
Sie machte sich in beiden Seitentaschen ein Töpfchen fest,
darin trug sie nach Haus, was ihr von dem übrig gebliebenen
zu teil ward, und davon nährten sie sich. Einstmals sollte
die Hochzeit des ältesten Königssohnes gefeiert werden, da
ging die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saalthüre
und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren,
und immer einer schöner als der andere hereintrat, und alles
voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem
Herzen an ihr Schicksal und verwünschte ihren Stolz und
Übermut, der sie erniedrigt und in so große Armut ge-
stürzt hatte. Von den köstlichen Speisen, die da ein- und
ausgetragen wurden, warfen ihr die Diener manchmal ein
paar Brocken zu, die that sie in ihr Töpfchen und wollte sie
heim tragen. Auf einmal trat der Königssohn heran, war
in Samt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten
um den Hals, und als er die schöne Frau in der Thüre
stehen sah, ergriff er sie schnell bei der Hand und wollte mit
174
ihr tanzen: aber sie weigerte sich und erschrak, denn sie sah,
daß es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und
den sie mit Spott abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half
nichts, er zog sie in den Saal: da zerriß das Band, an
welchem die Taschen hingen, und die Töpfe fielen heraus,
daß die Suppe floß und die Brocken umher sprangen. Und
wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter
und Spotten, und sie war so beschämt, daß sie sich lieber
tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte. Sie sprang
zur Thüre hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe
holte sie ein Mann ein und brachte sie zurück: und wie sie
ihn ansah, war es wieder der König Droffelbart. Er sprach
ihr freundlich zu fürchte dich nicht, ich und der Spielmann,
der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind
eins: dir zu Liebe habe ich mich so verstellt, und der Husar,
der dir die Töpfe entzwei geritten hat, bin ich auch gewesen.
Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen
und dich für den Hochmut zu strafen, womit du mich ver-
spottet hast.' Da weinte sie bitterlich und sagte 'ich habe
großes Unrecht gethan und bin nicht wert deine Frau zu
sein.' ,Er aber sprach 'tröste dich, die bösen Tage sind vor-
über: jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.' Da kamen die
Kammerfrauen und thaten ihr die prächtigsten Kleider an,
und ihr Vater kam und der ganze Hof, und wünschten ihr
Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart,
und die rechte Freude fing jetzt erst an. Ich wollte du und
ich, wir wären auch dabei gewesen.
27.
Sneewittchen.
Es war einmal mitten im Winter, und die Schnee-
flocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine
Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem
Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach
dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den
Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee.
Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah,
dachte sie bei sich 'hätt ich ein Kind so weiß wie Schnee, so
rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen.'
Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß
wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie
Ebenholz, und ward darum das Sneewittchen (Schnee-
weißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb
die Königin.
Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Ge-
mahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und
übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit
von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen
wunderlichen Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin
beschaute, sprach sie
176
'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?'
und da antwortete der Spiegel
'Frau Königin, ihr seid die schönste im Land?
Nun war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die
Wahrheit sagte.
Sneewittchen aber wuchs heran und ward immer schö-
ner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie
der klare Tag, und schöner als die Königin selbst. Als diese
einmal ihren Spiegel fragte
'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?'
so antwortete er
'Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als ihr?
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid.
Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich
ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen.
Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in
ihrem Herzen, immer höher, so daß sie Tag und Nacht keine
Ruhe hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach 'bring das
Kind hinaus in den Wald, ich wills nicht mehr vor meinen
Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber
zum Wahrzeichen mitbringen? Der Jäger gehorchte und
führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte
und Sneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte,
fing es an zu weinen und sprach 'ach, lieber Jäger, laß
mir mein Leben, ich will in den Wald laufen und nimmer-
mehr wieder heim kommen? Und weil es so schön war, hatte
177
der Zager Mitleiden und sprach ffo lauf hin, du armes Kind,
Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben' dachte
er, und doch wars ihm, als wäre ein Stein von seinem Herzen
gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade
ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab,
nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahr-
zeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in Salz kochen,
und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte
Sneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutter-
selig allein, und ward ihm so angst, daß es alle Blätter
an den Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen
sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen
Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere spran-
gen an ihm vorbei, aber sie thaten ihm nichts. Es lief so
lange nur die Füße noch fort konnten, bis es bald Abend
werden wollte, da sah es ein kleines Häuschen und ging
hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein,
aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da
stand ein weiß gedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern,
jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein
und Gäblein und sieben Becherlein. An der Wand waren
sieben Bettlein neben einander aufgestellt und schneeweiße
Laken darüber gedeckt. Sneewittchen, weil es so hungrig
und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs
und Brot, und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen
Wein; denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen.
Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen,
aber keins paßte: das eine war zu lang, das andere zu kurz,
Grimm, Märchen. 12
178
bis endlich das siebente recht war, und darin blieb es liegen,
befahl sich Gott und schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren
von dem Häuslein, das waren sieben Zwerge, die in den
Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre
sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward,
sahen sie, daß jemand darin gewesen war, denn es stand
nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten.
Der erste sprach 'wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?'
Der zweite 'wer hat von meinem Tellerchen gegessen?' Der
dritte 'wer hat von meinem Brötchen genommen?' Der
vierte 'wer hat von meinem Gemüschen gegessen?' Der
fünfte 'wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?' Der sechste
'wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?' Der siebente
'wer hat aus meinem Becherlein getrunken?' Dann sah
sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine
Dälle war, da sprach er 'wer hat in mein Bettchen getreten?'
Die andern kamen gelaufen und riefen 'in meinem hat auch
jemand gelegen.' Der siebente aber, als er in sein Bett
sah, erblickte Sneewittchen, das lag darin und schlief. Nun
rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrieen vor
Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten
Sneewittchen. 'Ei, du mein Gott! ei, du mein Gott!' riefen
sie, 'was ist das Kind schön!' und hatten so große Freude,
daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen
ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen,
bei jedem eine Stunde, da war eine Nacht herum.
Als es Morgen war, erwachte Sneewittchen, und wie
es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber
179
freundlich und fragten 'wie heißt du?' 'Ich heiße Snee-
wittchen' antwortete es. 'Wie bist du in unser Haus ge-
kommen?' sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen,
daß seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen,
der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wäre
es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein
gefunden hätte. Die Zwerge sprachen 'willst du unsern
Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und
stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten,
so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts
fehlen.' 'Ja,' sagte Sneewittchen, 'von Herzen gern,' und
blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung:
morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und
Gold, abends kamen sie wieder, und da mußte das Essen
bereit sein. Den Tag über war das Mädchen allein, da
warnten es die guten Zwerglein und sprachen 'hüte dich vor
deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist;
laß ja niemand herein.'
Die Königin aber, nachdem sie Sneewittchens Lunge
und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders
als sie wäre wieder die erste und allerschönste, trat vor
ihren Spiegel und sprach
'Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die schönste im ganzen Land?'
Da antwortete der Spiegel
'Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr.'
12»
180
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine
Unwahrheit sprach, und merkte, daß der Jäger sie betrogen
hatte und Sneewittchen noch am Leben war. Und da sann
und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn
so lange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ
ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas aus-
gedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich
wie eine alte Krämerin und war ganz unkenntlich. In
dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben
Zwergen, klopfte an die Thüre und rief schöne Ware feil!
feil!' Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief
'guten Tag, liebe Frau, was habt ihr zu verkaufen?' 'Gute
Mare, schöne Ware,' antwortete sie, 'Schnürriemen von
allen Farben,' und holte einen hervor, der aus bunter Seide
geflochten war. 'Die ehrliche Frau kann ich herein lassen,'
dachte Sneewittchen, riegelte die Thür auf und kaufte sich
den hübschen Schnürriemen. 'Kind,' sprach die Alte, 'wie
du aussiehst! komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren!'
Sneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie und ließ
sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren: aber die Alte
schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Snee-
wittchen der Atem verging, und es für tot hinfiel. 'Nun
bist du die schönste gewesen!' sprach sie und eilte hinaus.
Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben
Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes
Sneewittchen auf der Erde liegen sahen; und es regte und
bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die
Höhe, und weil sie sahen, daß es zu fest geschnürt war,
schnitten sie den Schnürriemen entzwei: da fing es an ein
181
wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig.
Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie
'die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin:
hüte dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht
bei dir sind.'
Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war,
ging vor den Spiegel und fragte
'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?'
Da antwortete er wie sonst
'Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr.'
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so er-
schrak sie, denn sie sah wohl, daß Sneewittchen wieder
lebendig geworden war. 'Jetzt,' sprach sie, 'will ich etwas
aussinnen, das dich zu Grunde richten soll,' und mit Hexen-
künsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm.
Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines andern
alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge
zu den sieben Zwergen, klopfte an die Thüre und rief 'gute
Ware feil! feil!' Sneewittchen schaute heraus und sprach
'geh nur weiter, ich darf niemand hereinlassen.' 'Das
Ansehen wird dir doch erlaubt sein,' sprach die Alte, zog
den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da
gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich bethören ließ und
die Thüre öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach
die Alte 'nun will ich dich einmal ordentlich kämmen.' Das
182
arme Sneewittchen dachte an nichts und ließ die Alte ge-
währen, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare ge-
steckt, als das Gift darin wirkte und das Mädchen ohne
Besinnung niederfiel. 'Du Ausbund von Schönheit,' sprach
das boshafte Weib, 'jetzt ists um dich geschehen,' und ging
fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben
Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie
tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stief-
mutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen
Kamm, und kaum hatten sie ihn heraus gezogen, so kam
Sneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen
war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu
sein und niemand die Thüre zu öffnen.
Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und
sprach
'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?'
Da antwortete er wie vorher
'Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr.'
Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte
sie vor Zorn. 'Sneewittchen soll sterben,' rief sie, 'und
wenn es mein eigenes Leben kostet.' Darauf ging sie
in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand
hinkam, und machte da einen giftigen Apfel. Äußerlich
sah er schön aus, weiß mit roten Backen, daß jeder, der
ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen
183
davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war,
färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauers-
frau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben
Zwergen. Sie klopfte an, Sneewittchen streckte den Kopf
zum Fenster heraus und sprach *ich darf keinen Menschen
einlassen, die sieben Zwerge haben mirs verboten? Mir
auch recht,' antwortete die Bäuerin, Meine Äpfel will ich
schon los werden. Da, einen will ich dir schenken? Mein,'
sprach Sneewittchen, ^ich darfs nicht annehmen? ^Fürchtest
du dich vor Gift?' sprach die Alte, siehst du, da schneide
ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iß du,
den weißen will ich essen? Der Apfel war aber so künstlich
gemacht, daß der rote Backen allein vergiftet war. Snee-
wittchen lüsterte den schönen Apfel an, und als es sah,
daß die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger wider-
stehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte.
Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so siel
es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin
mit grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach Meiß
wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz! diesmal
können dich die Zwerge nicht wieder erwecken? Und als sie
daheim den Spiegel fragte
'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?'
so antwortete er endlich
^Frau Königin, ihr seid die schönste im Land?
Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein böses und
neidisches Herz Ruhe haben kann.
Die Zwerglein, wie sie abends nach Haus kamen,
184
fanden Sneewittchen auf der Erde liegen, und ging kein
Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot. Sie
hoben es auf, suchten, ob sie was Giftiges fänden, schnürten
es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser
und Wein, aber es half alles nichts: das liebe Kind war
tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und
setzten sich alle siebene daran und beweinten es, und weinten
drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah
noch zu frisch aus wie ein lebender Mensch, und hatte noch
seine schönen roten Backen. Sie sprachen ^das können wir
nicht in die schwarze Erde versenken,' und ließen einen Sarg
von Glas machen, daß man von allen Seiten hindurch sehen
konnte, legten Sneewittchen hinein und schrieben mit gol-
denen Buchstaben seinen Namen darauf, und daß es eine
Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf
den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und
bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten
Sneewittchen, erst eine Eule, dann ein Rabe, zuletzt ein
Täubchen.
Nun lag Sneewittchen lange lange Zeit in dem Sarg
und verweste nicht, sondern sah aus als wenn es schliefe,
denn es war noch so weiß als Schnee, so rot als Blut
und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß
ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergen-
haus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den
Sarg und das schöne Sneewittchen darin, und las, was
mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach
er zu den Zwergen llaßt mir den Sarg, ich will euch geben,
was ihr dafür haben wollt.' Aber die Zwerge antworteten
185
‘wir geben ihn nicht um alles Gold in der Welt.' Da sprach
er ffo schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben ohne
Sneewittchen zu sehen, ich will es in Ehren halten wie
mein Liebstes.' Wie er so sprach, empfanden die guten
Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg.
Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den
Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen
Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der gif-
tige Apfelgrütz, den Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem
Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den
Deckel vom Sarg in die Höhe, richtete sich auf und war
wieder lebendig. <Ach Gott, wo bin ich?' rief es. Der
Königssohn sagte voll Freude ^du bist bei mir,' und erzählte,
was sich zugetragen hatte, und sprach ^ich habe dich lieber,
als alles auf der Welt: komm mit mir in meines Vaters
Schloß, du sollst meine Gemahlin werden.' Da war ihm
Sneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit
ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet.
Zu dem Feste ward aber auch Sneewittchens gottlose
Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Klei-
dern angethan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach
'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?'
Der Spiegel antwortete
^Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
' aber die junge Königin ist tausendmal schöner als ihr.'
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so
angst, so angst daß sie sich nicht zu lassen wußte. Sie wollte
zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen: doch ließ es ihr
keine Ruhe, sie mußte fort und die junge Königin sehen.
Und wie sie in den königlichen Saal trat, erkannte sie Snee-
wittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und
konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pan-
toffeln über Kohlenfeuer gestellt, die wurden mit eisernen
Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da mußte
sie in die rotglühenden Schuhe treten und mußte darin
tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.
— 187 —
28.
UurnpelstihchLN.
Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte
eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem Könige
zu sprechen kam, und um sich ein Ansehen zu geben, sagte
er zu ihm 'ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold
spinnen.' Der König sprach zum Müller 'das ist eine Kunst,
die mir wohl gefällt; wenn deine Tochter so geschickt ist, wie
du sagst, so bring sie morgen in mein Schloß, da will ich
sie auf die Probe stellen.' Als das Mädchen kam, führte er
es in eine Kammer, die ganz voll Stroh lag, gab ihm Rad
und Haspel und sprach 'jetzt mach dich an die Arbeit, und
wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh
nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.' Darauf
schloß er die Kammer selbst zu, und sie blieb allein darin.
Da saß nun die arme Müllerstochter und wußte um ihr
Leben keinen Rat, sie verstand gar nichts davon, wie man
Stroh zu Gold spinnen konnte, und ihre Angst ward immer
größer, daß sie endlich zu weinen anfing. Da ging auf
einmal die Thüre auf, und trat ein kleines Männchen herein
und sprach 'guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint
sie so sehr?' 'Ach,' antwortete das Mädchen, 'ich soll Stroh
zu Gold spinnen und verstehe das nicht.' Sprach das
188
Männchen 'was giebst du mir, wenn ich dirs spinne?' Mein
Halsband' sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das
Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und schnurr, schnurr
schnurr, dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte
es eine andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal
gezogen, war auch die zweite voll: und so gings fort bis
zum Morgen, da war alles Stroh versponnen, und alle
Spulen waren voll Gold. Bei Sonnenaufgang kam schon
der König, und als er all das Gold erblickte, erstaunte er
und freute sich: aber sein Herz ward nur noch goldgieriger.
Er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer voll
Stroh bringen, die noch viel größer war, und befahl ihr
das auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben
lieb wäre. Das Mädchen wußte sich nicht zu helfen und
weinte, da ging abermals die Thüre auf, und das kleine
Männchen erschien und sprach 'was giebst du mir, wenn ich
dir das Stroh zu Gold spinne?' 'Meinen Ring von dem
Finger' antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm
den Ring, fing wieder an zu schnurren mit dem Rade und
hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold
gesponnen. Der König freute sich über die Maßen bei dem
Anblick, war aber noch nicht Goldes satt, sondern ließ die
Müllerstochter in eine noch größere Kammer voll Stroh
bringen und sprach 'Me mußt du noch in dieser Nacht ver-
spinnen, gelingt dirs aber, so sollst du meine Gemahlin
werden.' Wenns auch eine Müllerstochter ist,' dachte er,
'eine reichere Frau finde ich auf der Welt nicht.' Als das
Mädchen allein war, kam das Männlein zum dritten Mal
wieder und sprach 'was giebst du mir, wenn ich dir noch
189 -
diesmal das Stroh spinne?' ‘Ich habe nichts mehr, das
ich geben könnte,' antwortete das Mädchen. So versprich
mir, wenn du Königin wirst, dein erstes Kind.' Wer weiß,
wie das noch geht,' dachte die Müllerstochter und wußte sich
auch in der Not nicht anders zu helfen: sie versprach also
dem Männchen, was er verlangte, und das spann dafür
noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der
König kam und alles fand, wie er gewünscht hatte, so hielt
er Hochzeit mit ihr, und die schöne Müllerstochter ward eine
Königin.
Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt
und dachte gar nicht mehr an das Männchen: da trat es
plötzlich in ihre Kammer und sprach ‘mm gieb mir, was du
versprochen hast.' Die Königin erschrak und bot dem Männ-
chen alle Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das
Kind lassen wollte: aber das Männlein sprach ‘nein, etwas
Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.' Da fing
die Königin so an zu jammern und weinen, daß das
Männchen Mitleiden mit ihr hatte: ‘drei Tage will ich dir
Zeit lassen,' sprach er, 'wenn du bis dahin meinen Namen
weißt, so sollst du dein Kind behalten.'
Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf
alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen
Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit,
was es sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tage
das Männchen kam, fing sie an mit Kaspar, Melchior,
Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der Reihe
her, aber bei jedem sprach das Männlein ‘so heiß ich nicht.'
Den zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen,
190
wie die Leute genannt würden, und sagte dem Männlein
die ungewöhnlichsten und seltsamsten vor, 'heißt du vielleicht
Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?' aber es
antwortete immer 'so heiß ich nicht? Am dritten Tag kam
der Bote wieder zurück und erzählte 'neue Namen hab ich
keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen
Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute
Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem
Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar
zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie
'heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut ist, daß niemand weiß,
daß ich Rumpelstilzchen heiß!'
Da könnt ihr denken, wie die Königin froh war, als sie den
Namen hörte, und als bald hernach das Männlein herein
trat und sprach 'nun, Frau Königin, wie heiß ich?' so fragte
sie 'heißest du Kunz?' 'Nein? 'Heißest du Heinz?' 'Nein.'
'Heißest du etwa Rumpelstilzchen?'
'.Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel
gesagt' schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuß
vor Zorn so heftig auf die Erde, daß es bis an den Leib
hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß
mit beiden Händen und riß sich selbst mitten entzwei.
191
29.
Äer Hund und der Sperling.
Ein Schäferhund hatte keinen guten Herrn, sondern einen
der ihn Hunger leiden ließ. Wie ers nicht länger bei ihm aus-
halten konnte, ging er ganz traurig fort. Auf der Straße be-
gegnete ihm ein Sperling, der sprach 'Bruder Hund, warum
bist du so traurig?' Antwortete der Hund 'ich bin hungrig
und habe nichts zu fressen.' Da sprach der Sperling 'lieber
Bruder, komm mit in die Stadt, so will ich dich satt machen.'
Also gingen sie zusammen in die Stadt, und als sie vor
einen Fleischerladen kamen, sprach der Sperling zum Hund
'da bleib stehen, ich will dir ein Stück Fleisch herunter Picken,'
setzte sich auf den Laden, schaute sich um, ob ihn auch niemand
bemerkte, und pickte, zog und zerrte so lang an einem Stück,
das am Rande lag, bis es herunter rutschte. Da packte es
der Hund, lief in eine Ecke und fraß es aus. Sprach der
Sperling 'nun komm mit zu einem andern Laden, da will
ich dir noch ein Stück herunter holen, damit du satt wirst.'
Als der Hund auch das zweite Stück gefressen hatte, fragte
der Sperling 'Bruder Hund, bist du nun satt?' 'Ja, Fleisch
bin ich satt,' antwortete er, 'aber ich habe noch kein Brot
gekriegt.' Sprach der Sperling 'das sollst du auch haben,
komm nur mit.' Da führte er ihn an einen Bäckerladen und
192
Pickte an ein paar Brötchen, bis sie herunter rollten, und
als der Hund noch mehr wollte, führte er ihn zu einem
andern und holte ihm noch einmal Brot herab. Wie das
verzehrt war, sprach der Sperling 'Bruder Hund, bist du
nun satt?' 'Ja,' antwortete er, 'nun wollen wir ein bißchen
vor die Stadt gehen.'
Da gingen sie beide hinaus auf die Landstraße. Es
war aber warmes Wetter, und als sie ein Eckchen gegangen
waren, sprach der Hund 'ich bin müde und möchte gerne
schlafen.' 'Ja, schlaf nur,' antwortete der Sperling, 'ich
will mich derweil auf einen Zweig setzen.' Der Hund legte
sich also auf die Straße und schlief fest ein. Während er da
lag und schlief, kam ein Fuhrmann heran gefahren, der hatte
einen Wagen mit drei Pferden, und hatte zwei Fässer Wein
geladen. Der Sperling aber sah, daß er nicht ausbiegen,
wollte, sondern in der Fahrgleise blieb, in welcher der
Hund lag: da rief er 'Fuhrmann, thus nicht, oder ich mache
dich arm.' Der Fuhrmann aber brummte vor sich 'du wirst
mich nicht arm machen,' knallte mit der Peitsche und trieb
den Wagen über den Hund, daß ihn die Räder tot fuhren.
Da rief der Sperling 'du hast mir meinen Bruder Hund
tot gefahren, das soll dich Karre und Gaul kosten.' 'Ja,
Karre und Gaul,' sagte der Fuhrmann, 'was könntest du
mir schaden!' und fuhr weiter. Da kroch der Sperling unter
das Wagentuch und pickte an dem einen Spundloch so lange,
bis er den Spund losbrachte: da lief der ganze Wein heraus,
ohne daß es der Fuhrmann merkte. Und als er einmal hinter
sich blickte, sah er, daß der Wagen tröpfelte, untersuchte
die Fässer und fand, daß eins leer war. 'Ach, ich armer
193
Mann!' rief er. Moch nicht arm genug' sprach der Sperling
und flog dem einen Pferd auf den Kopf und pickte ihm die
Augen aus. Als der Fuhrmann das sah, zog er seine Hacke
heraus und wollte den Sperling treffen: aber der Sperling
flog in die Höhe, und der Fuhrmann traf seinen Gaul auf
den Kopf, daß er tot hinfiel. 'Ach, ich armer Mann!'
rief er. Moch nicht arm genug' sprach der Sperling, und
als der Fuhrmann mit den zwei Pferden weiter fuhr, kroch
der Sperling wieder unter das Tuch und pickte auch den
Spund am zweiten Faß los, daß aller Wein heraus schwankte.
Als es der Fuhrmann gewahr wurde, rief er wieder 'ach,
ich armer Mann!' aber der Sperling antwortete 'noch nicht
arm genug,' setzte sich dem zweiten Pferd auf den Kopf und
pickte ihm die Augen aus. Der Fuhrmann lief herbei und
holte mit seiner Hacke aus, aber der Sperling flog in die
Höhe, da traf der Schlag das Pferd, daß es hinfiel. 'Ach,
ich armer Mann!' 'Noch nicht arm genug' sprach der Sper-
ling, setzte sich auch dem dritten Pferd auf den Kopf und
pickte ihm nach den Augen. Der Fuhrmann schlug in seinem
Zorn, ohne umzusehen, auf den Sperling los, traf ihn aber
nicht, sondern schlug auch sein drittes Pferd tot. 'Ach, ich
armer Mann!' rief er. 'Noch nicht arm genug,' antwortete
der Sperling, 'jetzt will ich dich daheim arm machen' und
flog fort.
Der Fuhrmann mußte den Wagen stehen lassen und
ging voll Zorn und Ärger heim. 'Ach,' sprach er zu seiner
Frau, 'was hab ich Unglück gehabt! der Wein ist ausge-
laufen, und die Pferde sind alle drei tot.' 'Ach, Mann,'
antwortete sie, 'was für ein böser Vogel ist ins Haus ge-
Grirnm, Märchen. 13
194
kommen! er hat die Vögel aus der ganzen Welt zusammen
gebracht, und die sind droben über unsern Weizen her-
gefallen und fressen ihn auf.' Da stieg er hinauf, und
tausend und abermal tausend Vögel saßen auf dem Boden
und hatten den Weizen aufgefressen, und der Sperling
saß mitten darunter. Da rief der Fuhrmann 'ach, ich
armer Mann!' 'Noch nicht arm genug,' antwortete der
Sperling, 'Fuhrmann, es kostet dir noch dein Leben' und
flog hinaus.
Da hatte der Fuhrmann all sein Gut verloren, ging
hinab in seine Stube und setzte sich hinter den Ofen, und
war ganz bös und giftig. Der Sperling aber saß draußen
vor dem Fenster und rief 'Fuhrmann, es kostet dir dein
Leben.' Da ergriff der Fuhrmann die Hacke und warf sie
nach dem Sperling: aber er schlug nur die Fensterscheiben
entzwei und traf den Vogel nicht. Der Sperling hüpfte
durch das zerbrochene Fenster herein, setzte sich auf den
Ofen und rief 'Fuhrmann, es kostet dir dein Leben.' Dieser,
ganz toll und blind vor Wut, schlägt den Ofen entzwei,
und so fort, wie der Sperling von einem Ort zum andern
fliegt, sein ganzes Hausgerät, Spieglein, Bänke, Tisch
und zuletzt die Wände seines Hauses, und kann ihn nicht
treffen. Endlich erwischte er ihn mit der Hand. Da sprach
seine Frau 'soll ich ihn tot schlagen?' 'Nein,' rief er, 'das
wäre zu gelind, der soll viel mörderlicher sterben, ich will
ihn verschlingen,' und nimmt ihn und verschlingt ihn auf
einmal. Der Sperling aber fängt an in seinem Leibe zu
flattern, flattert wieder herauf, dem Mann in den Mund:
da streckt er den Kopf heraus und ruft 'Fuhrmann, es kostet
195
dir doch dein Leben? Der Fuhrmann reicht seiner Frau
die Hacke und spricht 'Frau, schlag mir den Vogel im Munde
tot.' Die Frau schlägt zu, schlägt aber fehl, und schlägt
den Fuhrmann gerade auf den Kopf, so daß er tot hinfällt.
Der Sperling aber fliegt auf und davon.
18»
196
30.
Der Frieder und das Katherlieschen.
Es war ein Mann, der hieß Frieder, und eine Frau,
die hieß Katherlieschen, die hatten einander geheiratet und
lebten zusammen als junge Eheleute. Eines Tages sprach
der Frieder, 'ich will jetzt zu Acker, Katherlieschen, wann ich
wiederkomme, muß etwas Gebratenes auf dem Tisch stehen
für den Hunger, und ein frischer Trunk dabei für den Durst?
'Geh nur, Friederchen,' antwortete die Katherlies, 'geh nur,
will dirs schon recht machen? Als nun die Essenszeit herbei-
rückte, holte sie eine Wurst aus dem Schornstein, that sie in
eine Bratpfanne, legte Butter dazu und stellte sie übers Feuer.
Die Wurst fing an zu braten und zu brutzeln, Katherlieschen
stand dabei, hielt den Pfannenstiel und hatte so seine Ge-
danken: da fiel ihm ein 'bis die Wurst fertig wird, derweil
könntest du ja im Keller den Trunk zapfen?' Also stellte es
den Pfannenstiel fest, nahm eine Kanne, ging hinab in den
Keller und zapfte Bier. Das Bier lief in die Kanne, und
Katherlieschen sah ihm zu, da fiel ihm ein 'holla, der Hund
oben ist nicht beigethan, der könnte die Wurst aus der Pfanne
holen: du kämst mir recht!' und im Hui war es die Keller-
treppe hinauf; aber der Spitz hatte die Wurst schon im Maul
und schleifte sie auf der Erde mit sich fort. Doch Katherlies-
197
chen, nicht faul, setzte ihm nach und jagte ihn ein gut Stück
ins Feld; aber der Hund war geschwinder als Katherlies-
chen, ließ auch die Wurst nicht fahren, sondern sie mußte mit
ihm über die Äcker Hüpfen. 'Hin ist hin!' sprach Katherlies-
chen, kehrte um, und weil es sich müde gelaufen hatte, ging
es hübsch langsam und kühlte sich ab. Während der Zeit lief
das Bier aus dem Faß immer zu, denn Katherlieschen hatte
den Hahn nicht umgedreht, und als die Kanne voll und sonst
kein Platz da war, so lief es in den Keller und hörte nicht
eher auf, als bis das ganze Faß leer war. Katherlieschen
sah schon auf der Treppe das Unglück. 'Spuk,' rief es, 'was
fängst du jetzt an, daß es der Frieder nicht merkt!' Es be-
sann sich ein Weilchen, endlich fiel ihm ein von der letzten
Kirmes stände noch ein Sack mit schönem Weizenmehl auf
dem Boden, das wollte es herab holen und in das Bier streuen.
'Ja,' sprach es, 'wer zu rechter Zeit was spart, der hats her-
nach in der Not,' stieg auf den Boden und trug den Sack
herab, und warf ihn gerade auf die Kanne voll Bier, daß sie
umstürzte und der Trank des Frieders auch im Keller schwamm.
'Das ist ganz recht, wo eins ist, muß das andere auch sein,'
sprach Katherlieschen, zerstreute danach das Mehl im ganzen
Keller, freute sich am Ende gewaltig über seine Arbeit und
sagte 'wie's so reinlich und sauber hier aussieht!'
Um Mittagszeit kam der Frieder heim. 'Nun, Frau,
was hast du mir zurecht gemacht?' 'Ach, Friederchen,' ant-
wortete sie, 'ich wollte dir ja eine Wurst braten, aber während
ich das Bier dazu zapfte, hat sie der Hund aus der Pfanne
weggeholt, und während ich dem Hund nachsprang, ist das
Bier ausgelaufen, und als ich das Bier mit dem Weizenmehl
198
austrocknen wollte, hab ich die Kanne auch noch umgestoßen:
aber sei nur zufrieden, der Keller ist wieder ganz in Ord-
nung.' Sprach der Frieder 'Katherlieschen, Katherlieschen,
das hättest du nicht thun müssen! läßt die Wurst wegholen
und das Bier aus dem Faß laufen, und verschüttest oben-
drein unser feines Mehl!' 'Ja, Friederchen, das habe ich
nicht gewußt, hättest mirs sagen müssen.'
Der Mann- dachte 'geht das so mit deiner Frau, so mußt
du dich besser vorsehen.' Nun hatte er eine hübsche Summe
Thaler zusammen gebracht, die wechselte er in Gold ein und
sprach zum Katherlieschen 'siehst du, das sind gelbe Gickelinge,
die will ich in einen Topf thun und im Stall unter der Kuh-
krippe vergraben: aber daß du mir gar davon bleibst, sonst
geht dirs schlimm.' Sprach sie 'nein, Friederchen, wills ge-
wiß nicht thun.' Nun, als der Frieder fort war, da kamen
Krämer, die irdene Näpfe und Töpfe feil hatten, ins Dorf
und fragten bei der jungen Frau an, ob sie nichts zu handeln
hätte. 'O, ihr lieben Leute,' sprach Katherlieschen, 'ich hab
kein Geld und kann nichts kaufen; aber könnt ihr gelbe Gicke-
linge brauchen, so will ich wohl kaufen.' 'Gelbe Gickelinge,
warum nicht? laßt sie einmal sehen.' 'So geht in den Stall
und grabt unter der Kuhkrippe, da werdet ihr die gelben
Gickelinge finden: ich darf nicht dabei gehen.' Die Spitz- I
buben gingen hin, gruben und fanden eitel Gold. Da pack- !
ten sie auf damit, liefen fort und ließen Töpfe und Näpfe im
Hause stehen. Katherlieschen meinte, sie müßte das neue Ge-
schirr auch brauchen: weil nun in der Küche ohnehin kein
Mangel daran war, schlug sie jedem Topf den Boden aus und
steckte sie insgesamt zum Zierat auf die Zaunpfähle rings
199
ums Haus herum. Wie der Frieder kam und den neuen
Zierat sah, sprach er ^Katherlieschen, was hast du gemacht?'
*Habs gekauft, Friederchen, für die gelben Gickelinge, die
unter der Kuhkrippe steckten: bin selber nicht dabei gegangen,
de Krämer haben sichs heraus graben müssen.' 'Ach Frau,'
sprach der Frieder, 'was hast du gemacht! das waren keine
Gickelinge, es war eitel Gold, und war all unser Vermögen;
das hättest du nicht thun sollen!' 'Ja, Friederchen,' antwortete
sie, 'das hab ich nicht gewußt, hättest mirs vorher sagen sollen.'
Katherlieschen stand ein Weilchen und besann sich, da
sprach sie 'hör, Friederchen, das Gold wollen wir schon wieder
kriegen, wollen hinter den Dieben her laufen.' 'So komm,'
sprach der Frieder, 'wir wollens versuchen; nimm aber Butter
und Käse mit, daß wir auf dem Weg was zu essen haben.'
'Ja, Friederchen, wills mitnehmen.' Sie machten sich auf
den Weg, und weil der Frieder besser zu Fuß war, ging
Katherlieschen hinten nach. 'Ist mein Vorteil,' dachte es,
wenn wir umkehren, hab ich ja ein Stück voraus.' Nun kam
es an einen Berg, wo auf beiden Seiten des Wegs tiefe Fahr-
gleisen waren. 'Da sehe einer,' sprach Katherlieschen, 'was
sie das arme Erdreich zerrissen, geschunden und gedrückt ha-
ben! das wird sein Lebtag nicht wieder heil.' Und aus mit-
leidigem Herzen nahm es seine Butter und bestrich die Glei-
sen, rechts und links, damit sie von den Rädern nicht so ge-
drückt würden: und wie es sich bei seiner Barmherzigkeit so
bückte, rollte ihm einKäse aus der Tasche fort, denBerg hinab.
Sprach das Katherlieschen ^ich habe den Weg schon einmal
herauf gemacht, ich gehe nicht wieder hinab, es mag ein an-
derer binlaufen und ihn wieder holen.' Also nahm es einen
200
andern Käs und rollte ihn hinab. Die Käse aber kamen beide
nicht wieder, da ließ es noch einen dritten hinablausen und
dachte 'vielleicht warten sie auf Gesellschaft und gehen nicht
gern allein.' Als sie alle drei ausblieben, sprach es 'ich weiß
nicht, was das vorstellen soll! doch kanns ja sein, der dritte
hat den Weg nicht gefunden und sich verirrt, ich will nur den
vierten schicken, daß er sie herbeiruft.' Der vierte machte es
aber nicht besser als der dritte. Da ward das Katherlieschen
ärgerlich und warf noch den fünften und sechsten hinab, und
das waren die letzten. Eine Zeit lang blieb es stehen und
lauerte, daß sie kämen, als sie aber immer nicht kamen, sprach
es 'o, ihr seid gut nach dem Tod schicken, ihr bleibt fein lange
aus; meint ihr, ich wollt noch länger aus euch warten? ich
gehe meiner Wege, ihr könnt mir nachlaufen, ihr habt jüngere
Beine als ich.' Katherlieschen ging fort und fand den Frie-
der, der war stehen geblieben und hatte gewartet, weil er gerne
was essen wollte. 'Nun gieb einmal her, was du mitgenom-
men hast.' Sie reichte ihm das trockene Brot. Wo ist But-
ter und Käse?' fragte der Mann. 'Ach, Friederchen,' sagte
Katherlieschen, 'mit der Butter hab ich die Fahrgleisen be-
schmiert, und die Käse werden bald kommen: einer lief mir
fort, da hab ich die andern nachgeschickt, sie sollten ihn rufen.'
Sprach der Frieder 'das hättest du nicht thun sollen, Kather-
lieschen, die Butter an den Weg schmieren, und die Käse den
Berg Hinabrollen.' 'Ja, Friederchen, hättest mirs sagen müssen.'
Da aßen sie das trockne Brot zusammen, und der Frie-
der sagte 'Katherlieschen, hast du auch unser Haus verwahrt,
wie du fort gegangen bist?' 'Nein, Friederchen, hättest mirs
vorher sagen sollen.' So geh wieder heim und bewahr erst
201
das Haus, ehe wir weiter gehen; bring auch etwas anderes zu
essen mit, ich will hier auf dich warten.' Katherlieschen ging
zurück und dachte 'Friederchen will etwas anderes zu essen,
Butter und Käse schmeckt ihm wohl nicht, so will ich ein
Tuch voll Hutzeln und einen Krug Essig zum Trunk mitneh-
men.' Danach riegelte es die Oberthüre zu, aber die Unter-
thüre hob es aus, nahm sie auf die Schulter, und glaubte
wenn es die Thüre in Sicherheit gebracht hatte, müßte das
Haus wohl bewahrt sein. Katherlieschen nahm sich Zeit zum
Weg und dachte 'desto länger ruht sich Friederchen aus.' Als
es ihn wieder erreicht hatte, sprach es 'da, Friederchen, hast
du die Hausthüre, da kannst du das Haus selber verwahren.'
'Ach Gott,' sprach er, 'was habe ich für eine kluge Frau! hebt
die Thüre unten aus, daß alles hineinlaufen kann, und riegelt
sie oben zu. Jetzt ists zu spät noch einmal nach Haus zu gehen,
aber hast du die Thüre hierher gebracht, so sollst du sie auch
ferner tragen.' 'Die Thüre will ich tragen, Friederchen,
aber die Hutzeln und der Essigkrug werden mir zu schwer:
ich hänge sie an die Thüre, die mag sie tragen.'
Nun gingen sie in den Wald und suchten die Spitzbuben,
aber sie fanden sie nicht. Weils endlich dunkel ward, stiegen
sie auf einen Baum und wollten da übernachten. Kaum aber
saßen sie oben, so kamen die Kerle daher, die forttragen, was
nicht mitgehen will, und Dinge finden, ehe sie verloren sind.
Sie ließen sich gerade unter dem Baum nieder, auf dem Frie-
der und Katherlieschen saßen, machten sich ein Feuer an und
wollten ihre Beute teilen. Der Frieder stieg von der andern
Seite herab und sammelte Steine in seine Tasche, stieg wie-
der hinauf und wollte die Diebe tot werfen. Die Steine
202
aber trafen nicht, und die Spitzbuben riefen 'e§ ist bald Mor-
gen, der Wind schüttelt die Tannäpfel herunter? Katherlieschen
hatte die Thür noch immer auf der Schulter, und weil sie so
schwer drückte, dachte es, die Hutzeln wären schuld, und sprach
'Friederchen, ich muß die Hutzeln hinab werfen? Mein, Ka-
therlieschen, jetzt nicht,' antwortete er, ‘sie könnten uns »er-
raten? 'Ach, Friederchen, ich muß, sie drücken mich gar zu
sehr? 'Nun so thus ins Henkers Namen!' Da rollten die
Hutzeln zwischen den Ästen herab, und die Kerle unten spra
chen 'die Vögel misten? Eine Weile hernach, weil die Thüre
noch immer drückte, sprach Katherlieschen 'ach, Friederchen,
ich muß den Essig ausschütten? Mein, Katherlieschen, das
darfst du nicht, es könnte uns verraten? 'Ach, Friederchen,
ich muß, es drückt mich gar zu sehr? 'Nun so thus ins
Henkers Namen!' Da schüttelte er den Essig aus, daß er
die Kerle bespritzte. Sie sprachen unter einander 'der Tau
tröpfelt schon herunter? Endlich dachte Katherlieschen
'sollte es wohl die Thüre sein, was mich so drückt?' und
sprach 'Friederchen, ich muß die Thüre hinabwerfen? 'Nein,
Katherlieschen, jetzt nicht, sie könnte uns verraten? 'Ach,
Friederchen, ich muß, sie drückt mich gar zu sehr? 'Nein,
Katherlieschen, halt sie ja fest? 'Ach, Friederchen, ich laß
sie fallen? 'Ei,' antwortete Frieder ärgerlich, 'so laß sie
fallen ins Teufels Namen!' Da fiel sie herunter mit star-
kem Gepolter, die Kerle unten riefen voll Schrecken 'der
Teufel kommt vom Baum herab,' rissen aus und ließen
alles im Stich. Frühmorgens, wie die zwei herunter kamen,
fanden sie all ihr Gold wieder und trugens heim.
Als sie wieder zu Haus waren, sprach der Frieder'Ka-
203
therlieschen, nun mußt du aber auch fleißig sein und ar-
beiten? '3a, Friederchen, wills schon thun, will ins Feld
gehen, Frucht schneiden? Als Katherlieschen im Feld war,
sprachs mit sich selber 'eß ich, eh ich schneid, oder schlaf
ich, eh ich schneid? hei, ich will ehr essen!' Da aß Kather-
lieschen, und ward überm Essen schläfrig, und fing an zu
schneiden und schnitt halb träumend alle seine Kleider
entzwei, Schürze, Rock und Hemd. Wie Katherlieschen
nach langem Schlaf wieder erwachte, stand es halb nackigt
da und sprach zu sich selber 'bin ichs, oder bin ichs nicht?
ach, ich bins nicht!' Unterdessen wards Nacht, da lief Ka-
therlieschen ins Dorf hinein, klopfte an ihres Mannes
Fenster und rief 'Friederchen?' 'Was ist denn?' 'Möcht
gern wissen, ob Katherlieschen drinnen ist? 'Ja, ja? ant-
wortete der Frieder, 'es wird wohl drin liegen und schla-
fen? Sprach sie 'gut, dann bin ich schon zuHaus' und lief fort.
Draußen fand Katherlieschen Spitzbuben, die wollten
stehlen. Da ging es zu ihnen und sprach 'ich will euch
helfen stehlen? Die Spitzbuben meinten, es wüßte die
Gelegenheit des Orts und warens zufrieden. Katherlies-
chen ging vor die Häuser und rief 'ihr Leute, habt ihr
was? wir wollen stehlen? Dachten die Spitzbuben 'das
wird gut werden' und wünschten, sie wären Katherlieschen
wieder los. Da sprachen sie zu ihm 'vorm Dorf hat der
Pfarrer Rüben auf dem Feld, geh hin und rupf uns Rü-
ben? Katherlieschen ging hinaus aufs Land und fing an
zu rupfen, war aber so faul und hob sich nicht in die
Höhe. Da kam ein Mann vörbei, sahs und stand still,
und dachte, das wäre der Teufel, dLr so in den Rüben
■HMMMMMÜ
204
wühlte. Lief fort ins Dorf zum Pfarrer und sprach 'Herr
Pfarrer, in eurem Rübenland ist der Teufel und rupft.'
'Ach Gott,' antwortete der Pfarrer, 'ich habe einen lahmen
Fuß, ich kann nicht hinaus und ihn wegbannen.' Sprach
der Mann 'so will ich euch Hockeln' und hockelte ihn hin-
aus. Und wie sie an das Land kamen, machte sich das
Katherlieschen auf und reckte sich in die Höhe. 'Ach, der
Teufel!' rief der Pfarrer, und beide eilten fort, und der
Pfarrer konnte vor großer Angst mit seinem lahmen Fuß
gerader laufen, als der Mann, der ihn gehockelt hatte, mit
seinen gesunden Beinen.
205
31.
Allerleirauh.
Es war einmal ein König, der hatte eine Frau mit gol-
denen Haaren, und sie war so schön, daß sich ihresgleichen
nicht mehr auf Erden fand. Es geschah, daß sie krank lag,
und als sie fühlte, daß sie bald sterben würde, rief sie den
König und sprach 'wenn du nach meinem Tod dich wieder
vermählen willst, so nimm keine, die nicht eben so schön ist,
als ich bin, und die nicht solche goldene Haare hat, wie ich
habe; das mußt du mir versprechen.' Nachdem es ihr der
König versprochen hatte, that sie die Augen zu und starb.
Der König war lange Zeit nicht zu trösten und dachte
nicht daran, eine zweite Frau zu nehmen. Endlich sprachen
seine Räte, 'es geht nicht anders, der König muß sich wieder
■ vermählen, damit wir eine Königin haben.' Nun wurden
Boten weit und breit umhergeschickt, eine Braut zu suchen,
die an Schönheit der verstorbenen Königin ganz gleich käme.
Es war aber in der ganzen Welt keine zu finden, und wenn
man sie auch gefunden hätte, so war doch keine da, die solche
goldene Haare gehabt hätte. Also kamen die Boten un-
verrichteter Sache wieder heim.
Nun hatte der König eine Tochter, die war gerade so
, schön, wie ihre verstorbene Mutter, und hatte auch solche
206
goldene Haare. Als sie herangewachsen war, sah sie der Kö-
nig einmal an, und sah, daß sie in allem seiner verstorbenen
Gemahlin ähnlich war und fühlte plötzlich eine heftige Liebe
zu ihr. Da sprach er zu seinen Räten *ich will meine Toch-
ter heiraten, denn sie ist das Ebenbild meiner verstorbenen
Frau, und sonst kann ich doch keine Braut finden, die ihr
gleicht.' Als die Räte das hörten, erschraken sie und sprachen
^Gott hat verboten, daß der Vater seine Tochter heirate, aus
der Sünde kann nichts Gutes entspringen, und das Reich wird
mit ins Verderben gezogen.' Die Tochter erschrak nicht we-
niger, als sie den Entschluß ihres Vaters vernahm, hoffte
aber ihn von seinem Vorhaben noch abzubringen. Da sagte
sie zu ihm <eh ich euren Wunsch erfülle, muß ich drei Kleider
haben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der
Mond, und eins so glänzend wie die Sterne; ferner verlange
ich einen Mantel von tausenderlei Pelz- und Rauhwerk zu-
sammengesetzt, und ein jedes Tier in eurem Reich muß ein
Stück von seiner Haut dazu geben. Sie dachte aber <das an-
zuschaffen ist ganz unmöglich, und ich bringe damit meinen
Vater von seinen bösen Gedanken.' Der König ließ aber
nicht ab, und die geschicktesten Jungfrauen in seinem Reiche
mußten die drei Kleider weben, eins so golden wie die
Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so glän-
zend wie die Sterne: und seine Jäger mußten alle Tiere
im ganzen Reich auffangen und ihnen ein Stück von ihrer
Haut abziehen, daraus ward ein Mantel von tausenderlei
Rauhwerk gemacht. Endlich als alles fertig war, befahl
der König den Mantel herbei zu holen, breitete ihn vor
ihr aus und sprach ^morgen soll die Hochzeit sein.'
207
Als nun die Königstochter sah, daß keine Hoffnung mehr
war, ihres Vaters Herz umzuwenden, so faßte sie den Ent-
schluß zu entfliehen. In der Nacht, während alles schlief,
stand sie auf und nahm von ihren Kostbarkeiten dreierlei, einen
goldenen Ring, ein goldenes Spinnrädchen und ein goldenes
Haspelchen: die drei Kleider von Sonne, Mond und Sternen
that sie in eine Nußschale, zog den Mantel von allerlei Rauh-
werk an und machte sich Gesicht und Hände mit Ruß schwarz.
Dann befahl sie sich Gott und ging fort und ging die ganze
Nacht, bis sie in einen großen Wald kam. Und weil sie so
müde war, setzte sie sich in einen hohlen Baum und schlief ein.
Die Sonne ging auf, und sie schlief fort und schlief noch
immer, als es schon hoher Tag war. Da trug es sich zu, daß
der König, dem dieser Wald gehörte, darin jagte. Als seine
Hunde zu dem Baum kamen, schnupperten sie, liefen rings
herum und bellten. Sprach der König zu den Jägern ffeht zu
was dort für ein Wild sich versteckt hat? Die Jäger gingen
hin und kamen wieder und sprachen lln dem hohlen Baum
liegt ein wunderliches Tier, das wir nicht kennen und wie
wir noch niemals eins gesehen haben: an seiner Haut ist tau-
senderlei Pelz; es liegt aber und schläft? Sprach der König
leht zu ob ihrs lebendig fangen könnt, dann bindets auf den
Wagen und nehmts mit? Als die Jäger das Mädchen an-
packten, erwachte es, erschrak und rief ihnen zu ‘td) bin ein
armes Kind, das Vater und Mutter verlassen haben, erbarmt
euch mein und nehmt mich mit? Da sprachen sie Mllerlei-
rauh, du bist gut für die Küche, komm nur mit, da kannst
du die Asche zusammen kehren? Also setzten sie es auf den
Wagen und fuhren heim in das königliche Schloß. Dort wie-
208
feit sie ihm ein Stallchen unter der Treppe an, wo kein
Tageslicht hinkam, und sagten Mauhtierchen, da kannst du
wohnen und schlafen? Dann ward es in die Küche geschickt,
da trug es Holz und Wasser, schürte das Feuer, rupfte das
Federvieh, belas das Gemüs, kehrte die Asche zusammen,
und that alle schlechte Arbeit.
Da lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig. Ach,
du schöne Königstochter, wie solls mit dir noch werden!
Es geschah aber einmal, daß ein Fest im Schloß gefeiert
wurde, da sprach sie zum Koch 'darf ich ein wenig hinauf
gehen und zusehen? ich will mich außen vor die Thüre
stellen? Antwortete der Koch 'ja geh nur hin, aber in
einer halben Stunde mußt du wieder hier sein und die
Asche zusammen tragen? Da nahm sie ihr Öllämpchen,
ging in ihr Ställchen, zog den Pelzrock aus und wusch
sich den Ruß von dem Gesicht und den Händen ab, daß
ihre Schönheit hervor kam und es war als käme ein Son-
nenstrahl nach dem andern aus schwarzen Wolken hervor.
Dann machte sie die Nuß auf und holte ihr Kleid heraus,
das wie die Sonne glänzte. Und wie das geschehen war,
ging sie hinauf zum Fest, und alle traten ihr aus dem Wege,
denn niemand kannte sie, und meinten nicht anders, als daß
es eine Königstochter wäre. Der König aber kam ihr ent-
gegen, reichte ihr die Hand und tanzte mit ihr und dachte
in seinem Herzen 'so schön haben meine Augen noch keine
gesehen? Als der Tanz zu Ende war, verneigte sie sich, und
wie sich der König umsah, war sie verschwunden, und nie-
mand wußte wohin. Die Wächter, die vor dem Schlosse standen,
wurden gerufen und ausgefragt, aber niemand hatte sie erblickt.
209
Sie war aber in ihr Ställchen gelaufen und hatte ge-
schwind ihr Kleid ausgezogen, Gesicht und Hände schwarz
gemacht und den Pelzmantel umgethan, und war wieder
Allerleirauh. Als sie nun in die Küche kam und an ihre
Arbeit gehen und die Asche zusammen kehren wollte, sprach
der Koch 'laß das gut sein bis morgen und koche mir da
die Suppe für den König, ich will auch einmal ein bißchen
oben zugucken, aber laß mir kein Haar hineinfallen, sonst
kriegst du in Zukunft nichts mehr zu essen.' Da ging der
Koch fort, und Allerleirauh kochte die Suppe für den Kö-
nig und kochte eine Brotsuppe, so gut es konnte, und wie
es fertig war, holte es in dem Ställchen seinen goldenen
Ring und legte ihn in die Schüssel, in welche die Suppe
angerichtet ward. Als der Tanz zu Ende war, ließ sich
der König die Suppe bringen und aß sie, und sie schmeckte
ihm so gut, daß er meinte niemals eine bessere Suppe ge-
gessen zu haben. Wie er aber auf den Grund kam, sah er
da einen goldenen Ring liegen und konnte nicht begreifen,
wie er dahin geraten war. Da befahl er, der Koch solle
vor ihn kommen. Der Koch erschrak, wie er den Befehl
hörte, und sprach zu Allerleirauh 'gewiß hast du ein Haar
in die Suppe fallen lassen; Wenns wahr ist, so kriegst du
Schläge.' Als er vor den König kam, fragte dieser, wer
die Suppe gekocht hätte. Antwortete der Koch 'ich habe
sie gekocht.' Der König aber sprach 'das ist nicht wahr,
denn sie war auf andere Art und viel besser gekocht als
sonst.' Antwortete er 'ich muß es gestehen, daß ich sie nicht
gekocht habe, sondern das Rauhtierchen.' Sprach der Kö-
nig 'geh und laß es herauf kommen.' Als Allerleirauh
Grimm, Märchen. 14
210
kam, fragte der König 'wer bist du?' 'Ich bin ein armes
Kind, das keinen Vater und Mutter mehr hat.' Fragte
er weiter 'wozu bist du in meinem Schloß?' Antwortete es
'ich bin zu nichts gut, als daß mir die Stiefeln um den
Kopf geworfen werden.' Fragte er weiter 'wo hast du den
Ring her, der in der Suppe war?' Antwortete es 'von
dem Ring weiß ich nichts.' Also konnte der König nichts
erfahren und mußte es wieder fortschicken.
Über eine Zeit war wieder ein Fest, da bat Allerlei-
rauh den Koch wie vorigesmal um Erlaubnis zusehen zu
dürfen. Antwortete er 'ja, aber komm in einer halben
Stunde wieder und koch dem König die Brotsuppe, die er
so gerne ißt.' Da lief es in sein Ställchen, wusch sich ge-
schwind und nahm aus der Nuß das Kleid, das so silbern
war wie der Mond, und that es an. Da ging sie hinauf
und glich einer Königstochter: und der König trat ihr ent-
gegen und freute sich, daß er sie wiedersah, und weil eben
der Tanz anhub, so tanzten sie zusammen. Als aber der
Tanz zu Ende war, verschwand sie wieder so schnell, daß
der König nicht bemerken konnte, wo sie hinging. Sie
sprang aber in ihr Ställchen und machte sich wieder zum
Rauhtierchen, und ging in die Küche, die Brotsuppe zu
kochen. Als der Koch oben war, holte es das goldene
Spinnrad und that es in die Schüssel, so daß die Suppe
darüber angerichtet wurde. Danach ward sie dem König
gebracht, der aß sie, und sie schmeckte ihm so gut wie das
vorige Mal, und ließ den Koch kommen, der mußte auch
diesmal gestehen, daß Allerleirauh die Suppe gekocht hätte.
Allerleirauh kam da wieder vor den König, aber sie sagte,
211
sie wäre nur dazu da, daß ihr die Stieseln an den Kopf
geworfen würden, und daß sie von dem goldenen Spinn-
rädchen gar nichts wüßte.
Als der König zum dritten Mal ein Fest anstellte, da
ging es nicht anders als die vorigen Male. Der Koch sprach
zwar 'du bist eine Hexe, Rauhtierchen, und thust immer
etwas in die Suppe, davon sie so gut wird und dem Kö-
nig besser schmeckt als was ich koche:' doch weil es so bat,
so ließ er es ans die bestimmte Zeit hingehen. Nun zog
es sein Kleid au, das wie die Sterne glänzte, und trat da-
mit in den Saal. Der König tanzte wieder mit der schö-
nen Jungfrau und meinte, daß sie noch niemals so schön
gewesen wäre. Und während er tanzte, steckte er ihr, ohne
daß sie es merkte, einen goldenen Ring an den Finger, und
hatte befohlen, daß der Tanz recht lange währen sollte.
Wie er zu Ende war, wollte er sie an den Händen fest-
halten, aber sie riß sich los und sprang so geschwind unter
die Leute, daß sie vor seinen Augen verschwand. Sie lief,
was sie konnte, in ihr Ställchen unter der Treppe: weil
sie aber zu lange und über eine halbe Stunde geblieben
war, so konnte sie das schöne Kleid nicht ausziehen, son-
dern warf nur den Mantel von Pelz darüber, und in der
Eile machte sie sich auch nicht ganz rußig, sondern ein Fin-
ger blieb weiß. Allerleirauh lief nun in die Küche und
kochte dem König die Brotsuppe und legte, wie der Koch
fort war, den goldenen Haspel hinein. Der König, als er-
den Haspel auf dem Grunde fand, ließ Allerleirauh wieder
rufen, da bemerkte er den weißen Finger und sah den Ring,
den er im Tanze ihr angesteckt hatte. Da ergriff er sie an
14*
212
der Hand und hielt sie fest, und als sie sich losmachen
und fortspringen wollte, that sich der Pelzmantel ein we-
nig auf und das Sternenkleid schimmerte hervor. Der
König faßte den Mantel und riß ihn ab. Da kamen die
goldenen Haare hervor, und sie stand da in voller Pracht
und konnte sich nicht mehr verbergen. Und als sie Ruß
und Asche aus ihrem Gesicht gewischt hatte, war sie schö-
ner als man noch jemand auf Erden gesehen hat. Der
König aber sprach 'du bist meine liebe Braut, und wir
scheiden nimmermehr von einander.' Darauf ward die Hoch-
zeit gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod.
213
32.
Jormde und Joringel.
Es war einmal ein altes Schloß mitten in einem großen
dicken Wald, darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein,
das war eine Erzzauberin. Am Tage machte sie sich zur
Katze oder zur Nachteule, des Abends aber war sie wieder
ordentlich wie ein Mensch gestaltet. Sie konnte das Wild
und die Vögel herbei locken, und dann schlachtete sies, kochte
und briet es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem
Schloß nahe kam, so mußte er stille stehen, und konnte sich
nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn los sprach: wenn
aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so ver-
wandelte sie dieselbe in einen Vogel, und sperrte sie dann
in einen Korb ein und trug den Korb in eine Kammer des
Schlosses. Sie hatte wohl sieben tausend solcher Körbe mit
so raren Vögeln im Schlosse.
Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde: sie
war schöner als andere Mädchen. Die, und dann ein
gar schöner Jüngling, Namens Joringel, hatten sich zu-
sammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen und sie
hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern. Damit sie
nun einsmalen vertraut zusammen reden könnten, gingen
sie in den Wald spazieren. 'Hüte dich,' sagte Joringel,
'daß du nicht so nahe ans Schloß kommst.' Es war ein
schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der
Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes, und die Turtel-
taube sang kläglich auf den alten Maibuchen.
Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnen-
schein und klagte: Joringel klagte auch. Sie waren so be-
stürzt, als wenn sie hätten sterben sollen: sie sahen sich um,
waren irre und wußten nicht, wohin sie nach Haus gehen
sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg, und
halb war sie unter, Joringel sah durchs Gebüsch und sah
die alte Mauer des Schlosses nah bei sich: er erschrak und
wurde totbang. Jorinde sang
'mein Voglein mit dem Ringlein rot
singt Leide, Leide, Leide:
es singt dem Täublein seinen Tod,
singt Leide, Lei—zicküth zicküth, zicküth.'
Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall
verwandelt, die sang 'zicküth, zicküth.' Eine Nachteule mit
glühenden Augen flog dreimal um sie herum und schrie drei-
mal 'schu, hu, hu, hu.' Joringel konnte sich nicht regen:
er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen, nicht reden,
nicht Hand noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter:
die Eule flog in einen Strauch, und gleich darauf kam eine
alte krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager,
hatte große rote Augen und krumme Nase, die mit der
Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, fing die Nachtigall
und trug sie auf der Hand fort. Joringel konnte nichts
sagen, nicht von der Stelle kommen, die Nachtigall war
fort. Endlich kam das Weib wieder und sagte mit dumpfer
215
Stimme 'grüß btd), Zachiel, Wenns Möndel ins Körbel
scheint, bind los, Zachiel, zu guter Stund.' Da wurde
Joringel los. Er fiel vor dem Weib auf die Knie und bat,
sie möchte ihm seine Jorinde wieder geben, aber sie sagte,
er sollte sie nie wieder haben und ging fort. Er rief, er
weinte, er jammerte, aber alles umsonst. 'Un, was soll
mir geschehen?' Joringel ging fort und kam endlich in ein
fremdes Dorf: da hütete er die Schafe lange Zeit. Oft
ging er rund um das Schloß herum, aber nicht zu nahe
dabei. Endlich träumte er einmal des Nachts, er fände eine
blutrote Blume, in deren Mitte eine schöne große Perle
war. Die Blume brach er ab, ging damit zum Schlosse:
alles, was er mit der Blume berührte, ward von der Zau-
berei frei; auch träumte er, er hätte seine Jorinde dadurch
wieder bekommen. Des Morgens, als er erwachte, fing er
an durch Berg und Thal zu suchen, ob er eine solche Blume
fände: er suchte bis an den neunten Tag, da fand er die
blutrote Blume am Morgen früh. In der Mitte war ein
großer Tautropfen, so groß wie die schönste Perle. Diese
Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schloß. Wie er
auf hundert Schritte nahe zum Schloß kam, da ward er
nicht fest, sondern ging fort bis ans Thor. Joringel
freute sich hoch, berührte die Pforte mit der Blume, und
sie sprang auf. Er ging hinein, durch den Hof, horchte
wo er die vielen Vögel vernähme: endlich hörte ers. Er
ging und fand den Saal, darauf war die Zauberin und
fütterte die Vögel in den sieben tausend Körben. Wie sie
den Joringel sah, ward sie bös, sehr bös, schalt, spie Gift
und Galle gegen ihn aus, aber sie konnte auf zwei Schritte
216
nicht an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie und ging,
besah die Körbe mit den Vögeln: da waren aber viele
hundert Nachtigallen, wie sollte er nun seine Jorinde wieder
finden? Indem er zusieht, merkt er, daß die Alte heimlich
ein Körbchen mit einem Vogel nimmt und damit nach der
Thüre geht. Flugs sprang er hinzu, berührte das Körbchen
mit der Blume und auch das alte Weib: nun konnte sie
nichts mehr zaubern, und Jorinde stand da, hatte ihn um
den Hals gefaßt, so schön wie sie ehemals war. Da machte
er auch alle die andern Vögel wieder zu Jungfrauen, und
da ging er mit seiner Jorinde nach Hause und sie lebten
lange vergnügt zusammen.
217
33.
Hans im Glück.
Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da
sprach er zu ihm 'Herr, meine Zeit ist herum, nun wollte
ich gerne wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir meinen
Lohn.' Der Herr antwortete 'du hast mir treu und ehrlich
gedient, wie der Dienst war, so soll der Lohn sein,' und
gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf
war. Hans zog sein Tüchlein aus der Tasche, wickelte den
Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich
auf den Weg nach Haus. Wie er so dahin ging und immer
ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die
Augen, der frisch und fröhlich auf einem muntern Pferde
vorbei trabte. 'Ach,' sprach Hans ganz laut, 'was ist das
Reiten ein schönes Ding! da sitzt einer wie auf einem Stuhl,
stößt sich an keinen Stein, spart die Schnh und kommt fort,
er weiß nicht wie.' Der Reiter, der das gehört hatte, hielt
an und rief 'ei Hans, warum läufst du auch zu Fuß?'
'Ich muß ja wohl, da habe ich einen Klumpen heim zu
tragen, es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei
nicht gerad halten: auch drückt mirs auf die Schulter.'
'Weißt du was,' sagte der Reiter, 'wir wollen tauschen:
ich gebe dir mein Pferd, und du giebst mir deineu Klumpen.'
218
'Von Herzen gern,' sprach Hans, 'aber ich sage euch, ihr
müßt euch damit schleppen.' Der Reiter stieg ab, nahm das
Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest in
die Hände und sprach 'wenns nun recht geschwind soll gehen,
so mußt du mit der Zunge schnalzen und "hopp hopp" rufen.'
Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferde saß und
so frank und frei dahin ritt. Über ein Weilchen fiels ihm
ein, es sollte noch schneller gehen, und fing an mit der
Zunge zu schnalzen und 'hopp hopp' zu rufen. Das Pferd
setzte sich in starken Trab, und ehe sichs Hans versah, war
er abgeworfen, und lag in einem Graben, der die Äcker
von der Landstraße trennte. Das Pferd wäre auch durch-
gegangen, wenn es nicht ein Bauer aufgehalten hätte, der
des Weges kam und eine Kuh vor sich her trieb. Hans
suchte seine Glieder zusammen und machte sich wieder auf
die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem
Bauer 'es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, zumal wenn
man auf so eine Mähre gerät wie diese, die stößt und
einen herab wirft, daß man den Hals brechen kann, ich
setze mich nun und nimmermehr wieder auf. Da lob ich mir
eure Kuh, da kann einer mit Gemächlichkeit hinter her gehen
und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden
Tag gewiß. Was gäb ich darum, wenn ich so eine Kuh
hätte!' 'Run,' sprach der Bauer, 'geschieht euch so ein
großer Gefallen, so will ich euch wohl die Kuh für das
Pferd vertauschen.' Hans willigte mit tausend Freuden ein:
der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.
Hans trieb seine Kuh ruhig vor sich her und bedachte
den glücklichen Handel. 'Hab ich nur ein Stück Brot, und
219
daran wird mirs doch nicht fehlen, so kann ich, so oft mirs
beliebt, Butter und Käse dazu essen: hab ich Durst, so
melk ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was verlangst
du mehr?' Als er zu einem Wirtshaus kam, machte er
Halt, aß in der großen Freude alles, was er bei sich hatte,
sein Mittag- und Abendbrot, rein auf und ließ sich für
seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken.
Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorfe
seiner Mutter zu. Die Hitze war drückender, je näher der
Mittag kam, und Hans befand sich in einer Heide, die wohl
noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß,
so daß ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. 'Dem
Ding ist zu helfen,' dachte Hans, 'jetzt will ich meine Kuh
melken und mich an der Milch laben.' Er band sie an einen
dürren Baum und stellte, da er keinen Eimer hatte seine
Ledermütze unter: aber so sehr er sich auch bemühte, es kam
kein Tropfen Milch zum Vorschein. Und weil er sich un-
geschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Tier
endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor
den Kopf, daß er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sich
gar nicht besinnen konnte, wo er war. Glücklicherweise kam
gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schubkarren
ein junges Schwein liegen hatte. 'Was sind das für Streiche!'
rief er und half dem guten Hans auf. Hans erzählte, was
vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und
sprach 'da trinkt einmal, und erholt euch. Die Kuh will
wohl keine Milch geben, das ist ein altes Tier, das höch-
stens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.' 'Ei, ei,'
sprach Hans, und strich sich die Haare über den Kopf, 'wer
220
hätte das gedacht! es ist freilich gut, wenn man so ein Tier
ins Haus abschlachten kann, was giebts für Fleisch! aber ich
mache mir aus dem Kuh fleisch nicht viel, es ist mir nicht
saftig genug. Ja, wer ein so junges Schwein hätte! das
schmeckt anders, dabei noch die Würste.' 'Hört, Hans,'
sprach der Metzger, 'euch zuliebe will ich tauschen und will
euch das Schwein für die Kuh lassen.' 'Gott lohn euch eure
Freundschaft' sprach Hans und übergab ihm die Kuh und
ließ sich das Schweinchen vom Karren losmachen und den
Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben.
Hans zog weiter und überdachte, wie ihm doch alles
nach Wunsch ginge; begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit,
so würde sie doch gleich wieder gut gemacht. Es gesellte sich
danach ein Bursch zu ihm, der trug eine schöne weiße Gaus
unter dem Arm. Sie boten einander die Zeit, und Hans
fing an von seinem Glück zu erzählen und wie er immer so
vorteilhaft getauscht hätte. Der Bursch sagte ihm, daß
er die Gans zu einem Kindertaufschmaus brächte. 'Hebt ein-
mal,' fuhr er fort und packte sie bei den Flügeln, 'wie schwer
sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden.
Wer in den Braten beißt, muß sich das Fett von beiden
Seiten abwischen.' 'Ja,' sprach Hans und wog sie mit der
einen Hand, 'die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist
auch keine Sau.' Indessen sah sich der Bursch nach allen
Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem
Kopf. 'Hört,' fing er darauf an, 'mit eurem Schweine
mags nicht so ganz richtig sein. In dem Dorfe, durch das
ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem
Stall gestohlen worden; ich fürchte, ich fürchte, ihr habts da
22 l
in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein
schlimmer Handel, wenn sie euch mit dem Schweine er-
wischten: das geringste ist, daß ihr ins finstre Loch gesteckt
werdet.' Dem guten Hans ward bang, 'ach Gott,' sprach er,
'helft mir aus der Not, ihr wißt hier herum besser Be-
scheid, nehmt mein Schwein da und laßt mir eure Gaus.'
'Ich muß schon etwas aufs Spiel setzen,' antwortete der
Bursche, 'aber ich will doch nicht Schuld sein, daß ihr ins
Unglück geratet.' Er nahm also das Seil in die Hand
und trieb das Schwein schnell auf einem Seitenweg fort:
der gute Hans aber ging, seiner Sorgen entledigt, mit der
Gans unter dem Arme der Heimat zu. 'Wenn ichs recht
überlege,' sprach er mit sich selbst, 'habe ich noch Vorteil bei
dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge
von Fett, die herausträufeln wird, das giebt Gänsefettbrot
auf ein Vierteljahr: und endlich die schönen weißen Federn,
die laß ich mir in mein Kopfkissen stopfen und darauf will
ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter
eine Freude haben!'
Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da
ein Scherenschleifer mit seinem Karren: das Rad schnurrte
und er sang dazu
'ich schleife die Schere und drehe geschwind,
und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.'
Hans blieb stehen und sah ihm zu: endlich redete er ihn an
und sprach 'euch gehts wohl, weil ihr so lustig bei eurem
Schleifen seid.' 'Ja,' antwortete der Scherenschleifer, 'das
Handwerk hat einen güldenen Boden. Ein rechter Schleifer
ist ein Mann, der, so oft er in die Tasche greift, auch Geld
MHMHI
222
darin findet. Aber wo habt ihr die schöne Gans gekauft?'
'Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein ein-
getauscht.' 'Und das Schwein?' 'Das hab ich für eine Kuh
gekriegt.' 'Und die Kuh?' 'Die hab ich für ein Pferd be-
kommen.' 'Und das Pferd?' 'Dafür hab ich einen Klumpen
Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.' 'Und das Gold?'
'Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst.' 'Ihr
habt euch jederzeit zu helfen gewußt,' sprach der Schleifer,
'könnt ihrs nun dahin bringen, daß ihr das Geld in der
Tasche springen hört, wenn ihr aufsteht, so habt ihr euer
Glück gemacht.' 'Wie soll ich das anfangen?' sprach Hans.
'Ihr müßt ein Schleifer werden, wie ich; dazu gehört
eigentlich nichts, als ein Wetzstein, das andere findet sich
schon von selbst. Da hab ich einen, der ist zwar ein wenig
schadhaft, dafür sollt ihr mir aber auch weiter nichts als
eure Gans geben; wollt ihr das?' 'Wie könnt ihr noch
fragen,' antwortete Hans, 'ich werde ja zum glücklichsten
Menschen auf Erden: habe ich Geld, so oft ich in die Tasche
greife, was brauche ich da länger zu sorgen?' reichte ihm
die Gans hin und nahm den Wetzstein in Empfang. 'Nun,'
sprach der Schleifer und hob einen gewöhnlichen schweren
Feldstein, der neben ihm lag, auf, 'da habt ihr noch einen
tüchtigen Stein dazu, auf dem sichs gut schlagen läßt und
ihr eure alten Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt hin und
hebt ihn ordentlich auf.'
Hans lud den Stein auf und ging mit vergnügtem
Herzen weiter: seine Augen leuchteten vor Freude, 'ich muß
in einer Glückshaut geboren sein,' rief er aus, 'alles was
ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind.' In-
223
dessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewesen
war, begann er müde zu werden: auch plagte ihn der Hunger,
da er allen Vorrat auf einmal in der Freude über die
erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. Er konnte endlich nur
mit Mühe weiter gehen und mußte jeden Augenblick Halt
machen; dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich.
Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut
es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte.
Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen,
wollte da ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben;
damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte,
legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens.
Darauf setzte er sich nieder und wollte sich zum Trinken
bücken, da versah ers, stieß ein klein wenig an, und beide
Steine plumpten hinab. Hans, als er sie mit seinen Augen
in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf,
kniete dann nieder und dankte Gott mit Thränen in den
Augen, daß er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und
ihn auf eine so gute Art und ohne daß er sich einen Vor-
wurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit
hätte: das einzige wäre ihm nur noch hinderlich gewesen.
So glücklich wie ich,' rief er aus, 'giebt es keinen Men-
schen unter der Sonne.' Mit leichtem Herzen und frei von
aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner
Mutter war.
224
34.
Der Arme und der Reiche.
Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf
Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, daß er
eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, ehe er
zu einer Herberge kommen konnte. Nun standell auf dem
Wege vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine
groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen,
und gehörte das große einem reichen, das kleine einem
armen Manne. Da dachte unser Herr Gott 'dem Reichen
werde ich nicht beschwerlich fallen, bei ihm will ich an-
klopfen.' Der Reiche, als er an seine Thür klopfen hörte,
machte das Fenster auf und fragte den Fremdling, was er
suchte? Der Herr antwortete 'ich bitte nur um ein Nacht-
lager.' Der Reiche guckte den Wandersmann an vom Haupt
bis zu den Füßen, und weil der liebe Gott schlichte Kleider
trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche
hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach 'ich kann euch
nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und
Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine
Thüre klopfte, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand
nehmen. Sucht anderswo ein Auskommen.' Schlug damit
sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte
225
ihm der liebe Gott den Rücken, ging hinüber zu dem
kleinen Haus und klopfte an. Kaum hatte er angeklopft,
klinkte der Arme schon sein Thürchen auf, bat den Wanders-
mann einzutreten und bei ihm die Nacht über zu bleiben.
'Es ist schon finster,' sagte er, 'und heute könnt ihr doch
nicht weiter kommen.' Das gefiel dem lieben Gott und er
trat zu ihm ein. Die Frau des Armen reichte ihm die Hand,
hieß ihn willkommen und sagte, er möchte sichs bequem
machen und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was
es wäre, gäben sie von Herzen gern. Dann setzte sie Kar-
toffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre
Ziege, damit sie ein bißchen Milch dazu hätten. Und als
der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott zu ihnen und
aß mit, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es
waren vergnügte Gesichter dabei. Wie sie gegessen hatten
und Schlafenszeit war, rief die Frau heimlich ihren Mann
und sprach 'hör, lieber Mann, wir wollen uns heut Nacht
eine Streu machen, damit der arme Wanderer sich in unser
Bett legen und ausruhen kann: er ist den ganzen Tag über
gegangen, da wird einer müde.' Won Herzen gern,' ant-
wortete er, 'ich wills ihm anbieten,' ging zu dem lieben
Gott und bat ihn, wenns ihm recht wäre, möcht er sich in
ihr Bett legen und seine Glieder ordentlich ausruhen. Der
liebe Gott aber wollte den beiden Alten ihr Lager nicht
nehmen, doch ließen sie nicht ab, bis er es endlich that und
sich in ihr Bett legte: sich selbst aber machten sie eine Streu
auf die Erde. Am andern Morgen standen sie vor Tag
schon auf und kochten dem Gast ein ärmliches Frühstück.
Als nun die Sonne durchs Fensterlein herein schien, und
Grimm, Märchen. 15
226
der liebe Gott aufgestanden war, aß er wieder mit ihnen
und wollte dann seines Weges ziehen. Doch als er in der
Thüre stand, kehrte er sich um und sprach 'weil ihr so mit-
leidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will
ich erfüllen.' Da sagte der Arme 'was soll ich mir sonst
wünschen als die ewige Seligkeit, und daß wir zwei, so lang
wir leben, gesund dabei bleiben und täglich unser not-
dürftiges Brot haben; fürs dritte weiß ich mir nichts zu
wünschen.' Der liebe Gott sprach 'willst du dir nicht ein
neues Haus für das alte wünschen?' Da sagte der Mann
'ja, wenn er das noch dazu erhalten könnte, wärs ihm wohl
lieb.' Nun erfüllte der Herr ihre Wünsche und verwan-
delte ihr altes Haus in ein neues, und als das geschehen
war, verließ er sie und zog weiter.
Es war schon voller Tag, da stand der Reiche auf und
legte sich ins Fenster. Da sah er gegenüber ein schönes
neues Haus mit roten Ziegeln und hellen Fenstern, wo
sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Er machte große
Augen, rief seine Frau und sprach 'sieh einmal, wie ist das
zugegangen? Gestern Abend stand noch die alte elende Hütte,
und heute ists ein schönes neues Haus; lauf geschwind hin-
über und höre, wie das gekommen ist.' Die Frau ging hin
und fragte den Armen aus, der erzählte ihr 'gestern Abend
kam ein Wanderer, der suchte Nachtherberge, und heute
Morgen beim Abschied hat er uns drei Wünsche gewährt,
die ewige Seligkeit, Gesundheit in diesem Leben und das
notdürftige tägliche Brot, und noch dazu statt unserer alten
Hütte ein schönes neues Haus.' Als die Frau des Reichen
das gehört hatte, lief sie zurück und erzählte ihrem Manne
227
wie das gekommen war. Der Mann sprach 'ich möchte mich
zerreißen und zerschlagen. Hätt ich nur das gewußt! der
Fremde ist auch bei mir gewesen, ich habe ihn aber ab-
gewiesen.' 'Eil dich,' sprach die Frau, 'und setz dich auf
dein Pferd, so kannst du den Mann noch einholen, und dir
auch drei Wünsche gewähren lassen.'
Da setzte sich der Reiche auf und holte den lieben Gott
j ein, redete fein und lieblich zu ihm und sprach, er möchts
j doch nicht übel nehmen, daß er nicht gleich wäre eingelassen
worden, er hätte den Schlüssel zur Hausthüre gesucht, der-
weil wäre er weggegangen: wenn er des Weges zurück käme,
müßte er bei ihm einkehren. 'Ja,' sprach der liebe Gott,
'wenn ich einmal zurück komme, will ich es thun.' Da fragte
! der Reiche, ob er nicht auch drei Wünsche thun dürfte, wie
! sein Nachbar? 'Ja,' sagte der liebe Gott, 'das dürste er
wohl, es wäre aber nicht gut für ihn, und er sollte sich
! lieber nichts wünschen.' Der Reiche aber meinte, er wollte
sich schon etwas aussuchen, was zu seinem Glück gereiche,
wenn er nur wüßte, daß es erfüllt würde. Sprach der liebe
Gott 'reit heim und drei Wünsche, die du thust, die sollen
in Erfüllung gehen.'
Nun hatte der Reiche, was er wollte, ritt heimwärts
und fing an nachzusinnen, was er sich wünschen sollte. Wie
er sich so bedachte und die Zügel fallen ließ, fing das Pferd
an zu springen, so daß er immerfort in seinen Gedanken
gestört wurde und sie gar nicht zusammen bringen konnte.
Er klopfte ihm an den Hals und sagte 'sei ruhig, Liese,'
aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da ward
er zuletzt ärgerlich, und als das Pferd wieder in die Höh
15*
228
stieg, rief er ganz ungeduldig 'so wollt ich, daß du den Hals
zerbrachst!' Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump,
fiel er auf die Erde, und lag das Pferd tot und regte sich
nicht mehr. Da war der erste Wunsch erfüllt. Weil er aber
von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im
Stich lassen, schnitts ab, hings auf seinen Rücken, und
mußte nun zu Fuß nach Haus gehen. 'Du hast noch zwei
Wünsche übrig' dachte er und tröstete sich damit. Wie er
nun langsam durch den Sand dahin ging, und zu Mittag
die Sonne heiß brannte, wards ihm so warm und ver-
drießlich zu Mut; der Sattel drückte ihn aus den Rücken,
auch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich
wünschen sollte. 'Wenn ich mir auch alle Reiche der Welt
und alle Schätze wünsche,' sprach er zu sich selbst, 'so fällt
mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weiß ich
im voraus: ich wills aber so einrichten, daß mir gar nichts
mehr zu wünschen übrig bleibt.' Dann seufzte er und sprach
'ja wenn ich der bayrische Bauer wäre, der auch drei Wünsche
frei hatte, der wußte sich zu helfen, der verlangte zum ersten
recht viel Bier, und zweitens Bier, so viel er trinken könnte,
und drittens noch ein Faß Bier dazu.' Manchmal meinte
er, jetzt hätte er es gefunden, aber hernach schiens ihm doch
zu wenig und zu gering. Da kam ihm so in die Gedanken,
was es seine Frau jetzt gut hätte, die säße daheim in einer
kühlen Stube und ließe sichs wohl schmecken. Das ärgerte
ihn ordentlich, und ohne daß ers wußte, sprach er so hin
'ich wollte, die säße daheim auf dem Sattel und könnt nicht
herunter, statt daß ich ihn da auf meinem Rücken schleppe.'
Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war
229
der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte,
daß sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war.
Da ward ihm erst recht heiß, und er fing an zu laufen und
wollte sich daheim ganz einsam in seine Kammer setzen und
auf etwas Großes für den letzten Wunsch nachdenken. Wie
er aber ankommt und die Stubenthür aufmacht, sitzt da
seine Frau mittendrin auf dem Sattel und kann nicht her-
unter, jammert und schreit. Da sprach er 'gieb dich zufrieden,
ich will dir alle Reichtümer der Welt herbei wünschen, nur
bleib da sitzen? Sie antwortete aber 'was helfen mir alle
Reichtümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze; du
hast mich darauf gewünscht, du mußt mir auch wieder her-
unter helfen? Er mochte wollen oder nicht, er mußte den
dritten Wunsch thun, daß sie vom Sattel ledig wäre und
herunter steigen könnte; und der ward alsbald erfüllt. Als
die Frau wieder auf ihren Beinen stand, stellte sie die Arme
in die Seite und sprach zu dem Mann 'du bist ein Schafs-
kopf, ich hätte es besser gemacht? Also hatte er nichts da-
von als Ärger, Mühe, Scheltworte und ein verlorenes
Pferd: die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm
bis an ihr seliges Ende.
230
35.
Die Gansemagd.
Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl
schon lange Jahre gestorben, und sie hatte eine schöne Tochter.
Wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld und an einen Kö-
nigssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie ver-
mählt werden sollten, und das Kind in das fremde Reich ab-
reisen mußte, packte ihr die Alte gar viel köstliches Gerät
und Geschmeide ein, Gold und Silber, Becher und Kleinode,
kurz alles, was nur zu einem königlichen Brautschatz gehörte,
denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr
eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in
die Hände des Bräutigams überliefern sollte, und jede bekam
ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter hieß
Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde
da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer,
nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß
sie bluteten: darauf hielt sie ein weißes Läppchen unter und
ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und
sprach 'liebes Kind, verwahr sie wohl, sie werden dir unter-
weges not thun?
Also nahmen beide von einander betrübten Abschied: das
Läppchen steckte die Königstochter in ihren Busen vor sich,
setzte sich aufs Pferd und zog nun fort zu ihrem Bräutigam.
231
Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst
und rief ihrer Kammerjungfer 'steig ab und schöpfe mir mit
meinem Becher, den du für mich mitgenommen hast, Wasser
aus dem Bache; ich möchte gern einmal trinken.' Wenn ihr
Durst habt,' sprach die Kammerjungfer, 'so steigt selber ab,
legt euch ans Wasser und trinkt: ich mag eure Magd nicht
sein.' Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter,
neigte sich über das Wasser im Bach und trank, und durfte
nicht aus dem goldenen Becher trinken. Da sprach sie 'ach
Gott!' da antworteten die drei Blutstropfen 'wenn das deine
Mutter wüßte, das Herz im Leibe that ihr zerspringen.' Aber
die Königsbraut war demütig, sagte nichts und stieg wieder
zu Pferd. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der
Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von
neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch
einmal ihrer Kammerjungfer 'steig ab und gieb mir aus mei-
nem Goldbecher zu trinken,' denn sie hatte aller bösen Worte
längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hoch-
mütiger 'wollt ihr trinken, so trinkt allein; ich mag nicht
eure Magd sein.' Da stieg die Königstochter hernieder vor
großem Durst und legte sich über das fließende Wasser, weinte
und sprach 'ach Gott!' und die Blutstropfen antworteten wie-
der 'wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe
that ihr zerspringen.' Und wie sie so trank und sich recht
überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen
waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort, ohne
daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer
hatte aber zugesehen und freute sich, daß sie Gewalt über
die Braut bekäme: denn damit, daß diese die Blutstropfen
verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden. Als
sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Fa-
lada, sagte die Kammerfrau 'auf Falada gehör ich, und auf
meinenGaul gehörst du,' und das mußte sie sich gefallen lassen.
Dann befahl ihr die Kammerfrau auch noch die königlichen
Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und end-
lich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören, daß
sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon spre-
chen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht abgelegt hätte,
wäre sie auf der Stelle umgebracht worden. Aber Falada
sah das alles an und nahms wohl in acht.
Die Kammerjungfer stieg nun auf Falada und die wahre
Braut auf das schlechte Roß, und so zogen sie weiter, bis
sie endlich in dem königlichen Schloß eintrafen. Da war
große Freude über ihre Ankunft und der Königssohn sprang
ihnen entgegen, hob die Kammerjungfer vom Pferde und
meinte sie wäre seine Gemahlin: sie ward die Treppe hin-
aufgeführt, die wahre Königstochter aber mußte unten ste-
hen bleiben. Da schaute der alte König am Fenster und
sah sie im Hofe halten und sah, wie sie fein war, zart und
gar schön, ging alsbald ins königliche Gemach und fragte
die Braut nach der, die sie bei sich hätte und die da unten
im Hofe stände, und wer sie wäre? 'Die habe ich mir unter-
wegs mitgenommen zur Gesellschaft; gebt der Magd was
zu arbeiten, daß sie nicht müßig steht.' Aber der alte König
hatte keine Arbeit für sie und wußte nichts, als daß er sagte
'da hab ich so einen kleinen Jungen, der hütet die Gänse,
dem mag sie helfen.' Der Junge hieß Kürdchen (Kon-
rädchen), dem mußte die wahre Braut helfen Gänse hüten.
233
Bald aber sprach die falsche Braut zu dem jungen König
liebster Gemahl, ich bitte euch thut mir einen Gefallen.' Er
antwortete 'das will ich gerne thun.' 'Nun so laßt den Schin-
der rufen und da dem Pferde, worauf ich hergeritten bin, den
Hals abhauen, weil es mich unterwegs geärgert hat.' Eigent-
lich aber fürchtete sie, daß das Pferd sprechen möchte und ver-
raten, wie sie mit der Königstochter umgegangen war. Nun
war das so weit geraten, daß es geschehen und der treue Fa-
' lada sterben sollte, da kam es auch der rechten Königstochter
zu Ohr, und sie versprach dem Schinder heimlich ein Stück
Geld, das sie ihm bezahlen wollte, wenn er ihr einen kleinen
Dienst erwiese. In der Stadt war ein großes finsteres Thor,
wo sie abends und morgens mit den Gänsen durch mußte,
unter das finstere Thor, sagte sie, möchte er dem Falada seinen
Kopf hinnageln, daß sie ihn doch noch mehr als einmal sehen
könnte. Also versprach das der Schindersknecht zu thun, hieb
den Kopf ab und nagelte ihn unter das finstere Thor fest.
Des Morgens früh, als sie und Kürdchen unterm Thor
hinaus trieben, sprach sie im Vorbeigehen
'o du Falada, da du hangest,'
da antwortete der Kopf
'o du Jungfer Königin, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
das Herz thät ihr zerspringen.'
Da zog sie still weiter zur Stadt hinaus, und sie trieben die
Gänse aufs Feld. Und wenn sie auf der Wiese angekommen
war, saß sie nieder und machte ihre Haare auf, die waren eitel
Gold, und Kürdchen sah sie und freute sich, wie sie glänzten,
und wollte ihr ein paar ausraufen. Da sprach sie
234
'weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen,
und laß'n sich mit jagen,
bis ich mich geflochten und geschnatzt,
und wieder aufgefaßt.'
Und da kam ein so starker Wind, daß er dem Kürdchen sein
Hütchen wegwehte über alle Lande, und es mußte ihm nach-
laufen. Bis es wiederkam, war sie mit dem Kämmen und
Aufsetzen fertig, und er konnte keine Haare kriegen. Da war
Kürdchen bös und sprach nicht mit ihr; und so hüteten sie die
Gänse, bis daß es Abend ward, dann fuhren sie nach Haus.
Den andern Morgen, wie sie unter dem finstern Thor
hinaustrieben, sprach die Jungfrau
'o du Falada, da du hangest,'
Falada antwortete
'o du Jungfer Königin, da du ganzest,
wenn das deine Mutter wüßte,
das Herz thät ihr zerspringen.'
Und in dem Feld setzte sie sich wieder auf die Wiese und fing
an ihr Haar auszukämmen, und Kürdchen lief und wollte da-
nach greifen, da sprach sie schnell
^weh weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen,
und laß'n sich mit jagen,
bis ich mich geflochten und geschnatzt,
und wieder aufgesatzt.'
Da wehte der Wind und wehte ihm das Hütchen vom Kopf
weit weg, daß Kürdchen lange nachzulaufen hatte. Und
als es wieder kam, hatte sie längst ihr Haar zurecht, und es
235
konnte keins davon erwischen; und so hüteten sie die Gänse
bis es Abend ward.
Abends aber, nachdem sie heim gekommen waren, ging
Kürdchen vor den alten König und sagte 'mit dem Mädchen
will ich nicht länger Gänse hüten.' 'Warum denn?' fragte
der alte König. 'Ei, das ärgert mich den ganzen Tag.' Da
befahl ihm der alte König zu erzählen, wie's ihm denn mit ihr
ginge. Da sagte Kürdchen 'morgens, wenn wir unter dem
finstern Thor mit der Herde durchkommen, so ist da ein Gauls-
kopf an der Wand, zu dem redet sie
'Falada, da du hangest,'
da antwortet der Kopf
'o du Königsjungfer, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
das Herz thät ihr zerspringen.'
Und so erzählte Kürdchen weiter, was auf der Gänsewiese
geschähe, und wie es da dem Hut im Winde nachlaufen müßte.
Der alte König befahl ihm den nächsten Tag wieder hin-
aus zu treiben, und er selbst, wie es Morgen war, setzte sich
hinter das finstere Thor und hörte da, wie sie mit dem Haupt
des Falada sprach: und dann ging er ihr auch nach in das
Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er
nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gänsemagd und
der Gänsejunge die Herde getrieben brachten, und wie nach
einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahl-
ten von Glanz. Gleich sprach sie wieder
'weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen,
und laß'n sich mit jagen,
236
bis daß ich mich geflochten und geschnatzt,
und wieder aufgesatzt.'
Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kürdchens Hut weg, daß
es weit zu laufen hatte, und die Magd kämmte und flocht
ihre Locken still fort, welches der alte König alles beobachtete.
Darauf ging er unbemerkt zurück, und als abends die Gänse-
magd heim kam, rief er sie bei Seite und fragte, warum sie
dem allem so thäte? 'Das darf ich euch nicht sagen und darf
keinem Menschen mein Leid klagen, denn so hab ich mich un-
ter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben
gekommen wäre.' Er drang in sie und ließ ihr keinen Frie-
den, aber er konnte nichts aus ihr heraus bringen. Da sprach
er 'wenn du mir nichts sagen willst, so klag dem Eisenofen da
dein Leid' und ging fort. Da kroch sie in den Eisenofen,
fing an zu jammern und zu weinen und sprach 'da sitze ich
von aller Welt verlassen und bin doch eine Königstochter,
und eine falsche Kammerjungfer hat mich mit Gewalt dahin
gebracht, daß ich meine königlichen Kleider habe ablegen müssen,
und hat meinen Platz bei meinem Bräutigam eingenommen,
und ich muß als Gänsemagd gemeine Dienste thun. Wenn
das meine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zersprin-
gen.' Der alte König stand aber außen an der Ofenröhre,
lauerte ihr zu und hörte, was sie sprach. Da kam er wieder
herein und hieß sie aus dem Ofen gehen. Er ließ ihr könig-
liche Kleider anthun, und es schien ein Wunder, wie sie so
schön war. Der alte König rief seinen Sohn und offenbarte
ihm, daß er die falsche Braut hätte: die wäre bloß ein Kam-
mermädchen, die wahre aber stände hier, als die gewesene
Gänsemagd. Der junge König war herzensfroh, als er ihre
237
Schönheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl
wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde ge-
beten wurden. Obenan saß der Bräutigam, die Königs-
tochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern:
aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene
nicht mehr in dem glänzenden Schmuck. Als sie nun gegessen
und getrunken hatten und guten Mutes waren, gab der alte
König der Kammerjungfer ein Rätsel auf, was eine solche
wert wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte
damit den ganzen Verlauf und fragte 'welches Urteils ist
diese würdig?' Da sprach die falsche Braut 'bte ist nichts
Besseres wert, als daß sie splinternackt ausgezogen und in
ein Faß gesteckt wird, das inwendig mit spitzen Nägeln be-
schlagen ist: und zwei weiße Pferde müssen vorgespannt
werden, die sie Gasse auf Gasse ab zu Tode schleifen? 'Das
bist du,' sprach der alte König, 'und hast dein eigen Urteil
gefunden und danach soll dir widerfahren.' Und als das
Urteil vollzogen war, vermählte sich der junge König mit
seiner rechten Gemahlin, und beide beherrschten ihr Reich
in Frieden und Seligkeit.
238
36.
Die kluge Vauerntochter.
Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land,
nur ein kleines Häuschen und eine alleinige Tochter; da
sprach die Tochter 'wir sollten den Herrn König um ein
Stückchen Rottland bitten.' Da der König ihre Armut
hörte, schenkte er ihnen auch ein Eckchen Rasen, den hackte
sie und ihr Vater um, und wollten ein wenig Korn und der
Art Frucht darauf säen. Als sie den Acker beinahe herum
hatten, so fanden sie in der Erde einen Mörsel von purem
Gold. 'Hör,' sagte der Vater zu dem Mädchen, 'weil unser
Herr König so gnädig ist gewesen und hat uns diesen Acker
geschenkt, so müssen wir ihm den Mörsel dafür geben.' Die
Tochter aber wollt es nicht bewilligen und sagte 'Vater,
wenn wir den Mörsel haben und haben den Stößer nicht,
dann müssen wir auch den Stößer herbei schaffen: darum
schweigt lieber still.' Er wollt ihr aber nicht gehorchen,
nahm den Mörsel und trug ihn zum Herrn König und sagte,
den hätte er gefunden in der Heide, ob er ihn als eine Ver-
ehrung annehmen wollte. Der König nahm den Mörsel
und fragte, ob er nichts mehr gefunden hätte? Mein,' ant-
wortete der Bauer. Da sagte der König er sollte nun auch
den Stößer herbeischaffen. Der Bauer sprach, den hätten
239
sie nicht gefunden: aber das half ihm soviel, als hätt ers in
den Wind gesagt; er ward ins Gefängnis gesetzt und sollte
so lange da sitzen, bis er den Stößer herbeigeschafft hätte.
Die Bedienten mußten ihm täglich Wasser und Brot bringen,
was man so in dem Gefängnis kriegt, da hörten sie, wie
der Mann als fort schrie 'ach, hätt ich meiner Tochter gehört!
ach, ach, hätt ich meiner Tochter gehört!' Da gingen die
Bedienten zum König und sprachen das, wie der Gefangene
als fort schrie 'ach, hätt ich meiner Tochter gehört!' und wollte
nicht effen und nicht trinken. Da befahl er den Bedienten,
sie sollten ihn vor ihn bringen, und da fragte ihn der Herr
König, warum er also fort schrie 'ach, hätt ich meiner Tochter
gehört!' 'Was hat eure Tochter denn gesagt?' 'Ja, sie hat
gesprochen ich sollte den Mörsel nicht bringen, sonst müßt
ich auch den Stößer schaffen.' 'Habt ihr denn so eine kluge
Tochter, so laßt sie einmal herkommen.' Also mußte sie vor
den König kommen, der fragte sie, ob sie denn so klug wäre,
und sagte, er wollte ihr wohl ein Rätsel aufgeben, wenn
sie das treffen könnte, dann wollte er sie heiraten. Da
sprach sie gleich ja, sie wollts erraten. Da sagte der König
'komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten,
nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg,
und wenn du das kannst, will ich dich heiraten.' Da ging
sie hin und zog sich aus splinternackend, da war sie nicht
gekleidet; und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich
hinein und wickelte es ganz um sich herum, da war sie nicht
nackend; und borgte einen Esel fürs Geld und band dem
Esel das Fischgarn an den Schwanz, daran er sie fort-
schleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht ge-
240
fahren; und mußte sie der Esel in der Fahrgleise schleppen,
so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und
war das nicht in dem Weg und nicht außer dem Wege. Und
wie sie so daher kam, sagte der König, sie hätte das Rätsel
getroffen und es wäre alles erfüllt. Da ließ er ihren Vater
los aus dem Gefängnis und nahm sie bei sich als seine
Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.
Nun waren etliche Zahre herum, als der Herr König
einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern
mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz
verkauft: etliche hatten Ochsen vorgespannt und etliche Pferde.
Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte
eins ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich mitten
zwischen zwei Ochsen, die vor dem Wagen waren. Als nun
die Bauern zusammen kamen, singen sie an zu zanken,
schmeißen und lärmen, und der Ochsenbauer wollte das
Füllchen behalten und sagte die Ochsen hättens gehabt:
und der andere sagte nein, seine Pferde hättens gehabt,
und es wäre sein. Der Zank kam vor den König, und der
that den Ausspruch, wo das Füllen gelegen hätte, da sollt es
bleiben, und also bekams der Ochsenbauer, dems doch nicht
gehörte. Da ging der andere weg, weinte und lamentierte
über sein Füllchen. Nun hatte er gehört, wie daß die Frau
Königin so gnädig wäre, weil sie auch von armen Bauers-
leuten abstammte: ging zu ihr und bat sie, ob sie ihm nicht
helfen könnte, daß er sein Füllchen wieder bekäme. Sagte
sie ‘Ja, wenn ihr mir versprecht, daß ihr mich nicht verraten
wollt, will ichs euch sagen. Morgen früh, wenn der König
auf der Wachtparade ist, so stellt euch hin mitten in die
241
Straße, wo er vorbei kommen muß, nehmt ein großes Fisch-
garn und thut als fischtet ihr, und fischt also fort und schüttet
es aus, als wenn ihrs voll hättet,' und sagte ihm auch, was
er antworten sollte, wenn er vom König gefragt würde.
Also stand der Bauer am andern Tag da und fischte auf
einem trockenen Platz. Wie der König vorbei kam und das
sah, schickte er seinen Läufer hin, der sollte fragen, was der
närrische Mann vorhätte. Da gab er zur Antwort 'ich fische.'
Fragte der Läufer, wie er fischen könnte, es wäre ja kein
Wasser da. Sagte der Bauer 'so gut als zwei Ochsen können
ein Füllen kriegen, so gut kann ich auch auf dem trockenen
Platze fischen.' Der Läufer ging hin und brachte dem König
die Antwort, da ließ er den Bauer vor sich kommen und sagte
ihm, das hätte er nicht von sich, von wem er das hätte: und
sollts gleich bekennen. Der Bauer aber wollts nicht thun
und sagte immer Gott bewahr! er hätt es von sich. Sie
legten ihn aber auf ein Gebund Stroh und schlugen und
drangsalten ihn so lange, bis ers bekannte, daß ers von der
Frau Königin hätte. Als der König nach Haus kam, sagte
er zu seiner Frau 'warum bist du so falsch mit mir, ich will
dich nicht mehr zur Gemahlin; deine Zeit ist um, geh wieder
hin, woher du kommen bist, in dein Bauernhäuschen.' Doch
erlaubte er ihr eins, sie sollte sich das Liebste und Beste mit-
nehmen, was sie wüßte, und das sollte ihr Abschied sein.
Sie sagte 'ja, lieber Mann, wenn dus so befiehlst, will ich
es auch thun,' und fiel über ihn her und küßte ihn und sprach
sie wollte Abschied von ihm nehmen. Dann ließ sie einen
starken Schlaftrunk kommen, Abschied mit ihm zu trinken:
der König that einen großen Zug, sie aber trank nur ein
Grimm, Märchen. 16
242
wenig. Da geriet er bald in einen tiefen Schlaf, und als
sie das sah, rief sie einen Bedienten, nahm ein schönes
weißes Linnentuch und schlug ihn da hinein, und die Be-
dienten mußten ihn in einen Wagen vor der Thüre tragen
und fuhr sie ihn heim in ihr Häuschen. Da legte sie ihn
auf ihr Bettchen, und er schlief Tag und Nacht in einem
fort, und als er aufwachte, sah er sich um und sagte 'ach
Gott, wo bin ich denn!' und rief seinen Bedienten, aber
es war keiner da. Endlich kam seine Frau vors Bett und
sagte 'lieber Herr König, ihr habt mir befohlen, ich sollte
das Liebste und Beste aus dem Schloß mitnehmen, nun
habe ich nichts Besseres und Lieberes als dich, da hab ich
dich mitgenommen. Dem König kamen die Thränen in
die Augen, und er sagte 'liebe Frau, du sollst mein sein
und ich dein,' und nahm sie wieder mit ins königliche
Schloß und ließ sich aufs neue mit ihr vermählen; und
werden sie ja wohl noch auf den heutigen Tag leben.
243
37.
Doktor Allwissend.
Es war einmal ein armer Bauer, Namens Krebs, der
fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und
verkaufte es für zwei Thaler an einen Doktor. Wie ihm
nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doktor gerade
zu Tisch: da sah der Bauer, wie er schön aß und trank,
und das Herz gin§ ihm danach auf, und er wäre auch
gern ein Doktor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen
stehen und fragte endlich, ob er nicht auch könnte ein Doktor
werden. '£) ja,' sagte der Doktor, 'das ist bald geschehen.'
'Was muß ich thun?' fragte der Bauer. 'Erstlich kauf
dir ein Abcbuch, so eins, wo vorn ein Göckelhahn drin
ist; mach deinen Wagen und deine zwer Ochsen zu Geld
und schaff dir damit Kleider an und was sonst zur Dok-
torei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den
Worten "ich bin der Doktor Allwissend," und laß das
oben über deine Hausthür nageln.' Der Bauer that alles,
wies ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoktert hatte,
aber noch nicht viel, ward einem reichen großen Herrn
Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doktor Allwissend
gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen
müßte, wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der
16*
244
Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und
fragte bei ihm an, ob er der Doktor Allwissend wäre?
'Ja, der wäre er.' 'So sollte er mitgehen und das ge-
stohlene Geld wieder schaffen.' ‘0 ja, aber die Grete,
seine Frau, müßte auch mit.' Der Herr war das zufrie-
den, ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie fuhren zu-
sammen fort. Als sie auf den adeligen Hof kamen, war
der Tisch gedeckt, da sollte er erst mitessen. 'Ja. aber seine
Frau, die Grete, auch,' sagte er und setzte sich mit ihr
hinter den Tisch. Wie nun der erste Bediente mit einer
Schüssel schönem Essen kam, stieß der Bauer seine Frau an
und sagte 'Grete, das war der erste,' und meinte es wäre
derjenige, welcher das erste Essen brächte. Der Bediente
aber meinte er hätte damit sagen wollen 'das ist der erste
Dieb,' und weil ers nun wirklich war, ward ihm angst, und
er sagte draußen zu seinen Kameraden 'der Doktor weiß
alles, wir kommen übel an; er hat gesagt ich wäre der erste.'
Der zweite wollte gar nicht herein, er mußte aber doch. Wie
er nun mit seiner Schüssel herein kam, stieß der Bauer seine
Frau an 'Grete, das ist der zweite.' Dem Bedienten ward
ebenfalls angst, und er machte daß er hinaus kam. Dem
dritten gings nicht besser, der Bauer sagte wieder 'Grete,
das ist der dritte.' Der vierte mußte eine verdeckte Schüssel
herein tragen, und der Herr sprach zum Doktor, er sollte
seine Kunst zeigen und raten, was darunter läge, es
waren aber Krebse. Der Bauer sah die Schüssel an,
wußte nicht, wie er sich helfen sollte und sprach 'ach ich
armer Krebs!' Wie der Herr das hörte, rief er 'da, er
weiß es, nun weiß er auch, wer das Geld hat.'
245
Dem Bedienten aber ward gewaltig angst und blinzelte
den Doktor an, er möchte einmal heraus kommen. Wie er
nun hinaus kam, gestanden sie ihm alle viere, sie hatten das
Geld gestohlen; sie wolltens ja gerne heraus geben und ihm
eine schwere Summe dazu, wenn er sie nicht verraten wollte;
es ging ihnen sonst an den Hals. Sie führten ihn auch
hin, wo das Geld versteckt lag. Damit war der Doktor
zufrieden, ging wieder hinein, setzte sich an den Tisch und
sprach 'Herr, nun will ich in meinem Buch suchen, wo das
Geld steckt.' Der fünfte Bediente aber kroch in den Ofen
und wollte hören, ob der Doktor noch mehr wüßte. Der
saß aber und schlug sein Abcbuch auf, blätterte hin und
her und suchte den Göckelhahn. Weil er ihn nun nicht
gleich finden konnte, sprach er 'du bist doch darin und mußt
auch heraus.' Da meinte der im Ofen, er wäre gemeint,
sprang voller Schrecken heraus und rief 'der Mann weiß
alles.' Nun zeigte der Doktor Allwissend dem Herrn, wo
das Geld lag, sagte aber nicht, wers gestohlen hatte, be-
kam von beiden Seiten viel Geld zur Belohnung und
ward ein berühmter Mann.
38.
Der Zaunkönig und der Dar.
Zur Sommerszeit gingen einmal der Bär und der Wolf
im Wald spazieren, da hörte der Bär so schönen Gesang von
einem Vogel und sprach 'Bruder Wolf, was ist das für ein
Vogel, der so schön singt?' 'Das ist der König der Vögel,'
sagte der Wolf, 'vor dem müssen wir uns neigen;' es war
aber der Zaunkönig. 'Wenn das ist,' sagte der Bär, 'möchte
ich auch gern seinen königlichen Palast sehen: komm und führ
mich hin.' 'Das geht nicht so, wie du meinst,' sprach der
Wolf, 'du mußt warten, bis die Frau Königin kommt.'
Bald darauf kam die Frau Königin und hatte Futter im
Schnabel und der Herr König auch, und wollten ihre Jungen
ätzen. Der Bär wäre gerne nun gleich hinterdrein gegangen,
aber der Wolf hielt ihn am Ärmel und sagte 'nein, du mußt
warten, bis Herr und Frau Königin wieder fort sind.' Also
nahmen sie das Loch in Acht, wo das Nest stand, und trabten
ab. Der Bär hatte aber keine Ruhe, wollte den königlichen
Palast sehen und ging nach einer kurzen Weile wieder vor.
Da waren König und Königin richtig ausgeflogen: er guckte
hinein und sah fünf oder sechs Junge, die lagen darin.
'Ist das der königliche Palast?' rief der Bär, 'das ist ein
erbärmlicher Palast, ihr seid auch keine Königskinder, ihr
247
seid unehrliche Kinder? Wie das die jungen Zaunkönige
hörten, wurden sie gewaltig bös und schrieen 'nein, das sind
wir nicht, unsere Eltern sind ehrliche Leute; Bär, das soll
ausgemacht werden mit dir? Dem Bär und dem Wolf ward
angst, sie kehrten um und setzten sich in ihre Höhlen. Die
jungen Zaunkönige aber schrieen und lärmten fort, und als
ihre Eltern wieder Futter brachten, sagten sie 'wir rühren
kein Fliegenbeinchen an und sollten wir verhungern, bks
ihr erst ausgemacht habt, ob wir ehrliche Kinder sind oder
nicht, der Bär ist da gewesen und hat uns gescholten? Da
sagte der alte König 'seid nur ruhig, das soll ausgemacht
werden? Flog darauf mit der Frau Königin dem Bären
vor seine Höhle und rief hinein 'alter Brummbär, warum
hast du meine Kinder gescholten? das soll dir übel bekommen,
das wollen wir in einem blutigen Krieg ausmachen? Also
ward dem Bär der Krieg angekündigt, und ward alles vier-
füßige Getier berufen, Ochs, Esel, Rind, Hirsch, Reh
und was die Erde sonst alles trägt. Der Zaunkönig aber
berief alles, was in der Luft fliegt: nicht allein die Vögel
groß und klein, sondern auch die Mücken, Hornissen, Bie-
nen und Fliegen mußten herbei.
Als nun die Zeit kam, wo der Krieg angehen sollte,
da schickte der Zaunkönig Kundschafter aus, wer der komman-
dierende General des Feindes wäre. Die Mücke war die
listigste von allen, schwärmte im Wald, wo der Feind sich
versammelte, und setzte sich endlich unter ein Blatt auf den
Baum, wo die Parole ausgegeben wurde. Da stand der
Bär, rief den Fuchs vor sich und sprach 'Fuchs, du bist der
schlauste unter allem Getier, du sollst General sein und
248
uns anführen? 'Gut,' sagte der Fuchs, 'aber was für Zeichen
wollen wir verabreden?' Die Tiere wußten es nicht. Da
sprach der Fuchs 'ich hab einen schönen langen buschigen
Schwanz, der sieht aus fast wie ein roter Federbusch: wenn
ich den Schwanz in die Höhe halte so geht die Sache gut,
und ihr müßt drauf los marschieren: laß ich ihn aber her-
unterhängen, so lauft was ihr könnt? Als die Mücke das
gehört hatte, flog sie wieder heim und verriet dem Zaun-
könig alles haarklein.
Als der Tag anbrach, wo die Schlacht sollte geliefert
werden, hu, da kam das vierfüßige Getier daher gerennt
mit Gebraus, daß die Erde zitterte: Zaunkönig mit seiner
Armee kam auch durch die Luft daher, die schnurrte, schrie
und schwärmte, daß einem angst wurde; und gingen sie da
von beiden Seiten an einander. Der Zaunkönig aber schickte
die Hornisse herab, sie sollte sich dem Fuchs unter den
Schwanz setzen und aus Leibeskräften stechen. Wie nun der
Fuchs den ersten Stich bekam, zuckte er, daß er das eine
Bein aufhob, doch ertrug ers und hielt den Schwanz noch
in der Höhe; beim zweiten Stich mußte er ihn einen Augen-
blick herunter lassen; beim dritten aber konnte er sich nicht
mehr halten, schrie und nahm den Schwanz zwischen die
Beine. Wie das die Tiere sahen, meinten sie, alles wäre
verloren, und fingen an zu laufen, jeder in seine Höhle;
und hatten die Vögel die Schlacht gewonnen.
Da flog der Herr König und die Frau Königin heim
zu ihren Kindern und riefen 'Kinder, seid fröhlich, eßt und
trinkt nach Herzenslust, wir haben den Krieg gewonnen.'
Die jungen Zaunkönige aber sagten 'noch essen wir nicht,
249
der Bär soll erst vors Nest kommen und Abbitte thun und
soll sagen, daß wir ehrliche Kinder sind.' Da flog der Zaun-
könig vor das Loch des Bären und rief ^Brummbär, du sollst
vor das Nest zu meinen Kindern gehen und Abbitte thun
und sagen, daß sie ehrliche Kinder sind, sonst sollen dir die
Rippen im Leibe zertreten werden.' Da kroch der Bär in der
größten Angst hin und that Abbitte. Jetzt waren die jungen
Zaunkönige erst zufrieden, setzten sich zusammen, aßen und
tranken und machten sich lustig bis in die späte Nacht hinein.
250
39.
Die klugen Leute.
Eines Tages holte ein Bauer seinen hagebüchnen Stock
aus der Ecke und sprach zu seiner Frau 'Trine, ich gehe jetzt
über Land und komme erst in drei Tagen wieder zurück.
Wenn der Viehhändler in der Zeitz bei uns einspricht und
will unsere Kühe kaufen, so kannst du sie losschlagen, aber
nicht anders als für zweihundert Thaler, geringer nicht:
hörst du wohl?' 'Geh nur in Gottes Namen,' antwortete
die Frau, 'ich will das schon machen.' 'Ja du,' sprach der
Mann, 'du bist als kleines Kind einmal auf den Kopf ge-
fallen, das hängt dir bis auf diese Stunde nach. Aber das
sage ich dir, machst du dummes Zeug, so streiche ich dir den
Rücken blau an, und das ohne Farbe, blos mit dem Stocke,
den ich da in der Hand habe, und der Anstrich soll ein
ganzes Jahr halten; darauf kannst du dich verlassen.' Da-
mit ging der Mann seiner Wege.
Am andern Morgen kam der Viehhändler, und die Frau
brauchte nicht viel Worte mit ihm zu machen. Als er die
Kühe besehen hatte und den Preis vernahm, sagte er 'das
gebe ich gerne, so viel sind sie unter Brüdern wert. Ich will
die Tiere gleich mitnehmen.' Er machte sie von der Kette
los und trieb sie aus dem Stall. Als er zum Hofthor hinaus
wollte, so faßte ihn die Frau am Ärmel und sprach 'ihr
251
müßt mir erst die zweihundert Thaler geben, sonst kann ich
euch nicht gehen lassen? 'Richtigantwortete der Mann,
'ich habe nur vergessen meine Geldkatze umzuschnallen. Aber
macht euch keine Sorge, ihr sollt Sicherheit haben, bis ich
zahle: zwei Kühe nehme ich mit, die dritte lasse ich euch
zurück, so habt ihr ein gutes Pfand? Der Frau leuchtete
das ein, sie ließ den Mann mit seinen Kühen abziehen und
dachte 'wie wird sich der Hans freuen, wenn er sieht, daß
ich es so klug gemacht habe? Der Bauer kam am dritten
Tag, wie er gesagt hatte, nach Haus und fragte gleich, ob
die Kühe verkauft wären. 'Freilich, lieber Hans,' antwor-
tete die Frau, 'und wie du gesagt hast, für zweihundert
Thaler. So viel sind sie kaum wert, aber der Mann
nahm sie ohne Widerrede? 'Wo ist das Geld?' sragte der
Bauer. 'Das Geld das habe ich noch nicht,' antwortete
sie, 'er hatte gerade seine Geldkatze daheim gelassen, wirds
aber bald bringen; er hat mir ein gutes Pfand zurück-
gelassen? 'Was für ein Pfand?' 'Eine von den drei Kü-
hen, die kriegt er nicht eher, bis er die andern bezahlt
hat. Ich habe es klug gemacht: ich habe die kleinste zurück
behalten, die frißt am wenigsten? Der Bauer ward zornig,
hob seinen Stock in die Höhe und wollte ihr den ver-
heißenen Anstrich geben. Plößlich ließ er ihn sinken und
sagte 'du bist die dümmste Gans, die auf Gottes Erdboden
herum wackelt, aber du dauerst mich. Ich will auf die Land-
straße hinaus gehen und drei Tage lang warten, ob ich
jemand finde, der noch einfältiger ist, als du bist. Glückt
mirs, so sollst du frei sein, finde ich ihn aber nicht, so sollst
du deinen wohlverdienten Lohn ohne Abzug erhalten?
252
Er ging hinaus auf die große Straße, setzte sich auf
einen Stein und wartete auf die Dinge, die kommen sollten.
Da sah er einen Leiterwagen heran fahren und eine Frau
stand mitten darauf, statt auf dem Gedund Stroh zu sitzen,
das neben ihr lag, oder neben den Ochsen her zu gehen
und sie zu leiten. Der Bauer dachte 'das ist wohl eine, wie du
sie suchst,' sprang auf und lief vor dem Wagen hin und her,
wie einer der nicht recht gescheit ist. Mas habt ihr vor,
Gevatter?' sprach die Frau, 'ich kenne euch nicht, wo kommt
ihr her?' 'Wie sollt ihr mich auch kennen, ich bin von dem
Himmel herunter gefallen,' antwortete er, 'und weiß nicht,
wie ich wieder hin kommen soll; könnt ihr mich nicht hinauf
fahren?' Mein,' sagte die Frau, 'ich weiß den Weg nicht.
Aber wenn ihr aus dem Himmel kommt, so könnt ihr mir
wohl sagen, wie es meinem Mann geht, der schon seit drei
Jahren dort ist: ihr habt ihn gewiß gesehen.' 'Ich habe ihn
wohl gesehen, aber es kann nicht allen Menschen gut gehen.
Er hütet die Schafe und das liebe Vieh macht ihm viel zu
schaffen: das springt auf die Berge und verirrt sich in der
Wildnis, da muß er hinterher laufen und es wieder zu-
sammentreiben. Abgerissen ist er auch, und die Kleider wer-
den ihm bald vom Leib fallen. Schneider giebt es dort auch
nicht, der heilige Petrus läßt keinen hinein, wie ihr aus dem
Märchen wißt.' 'Wer hätte sich das gedacht!' rief die Frau,
'ich will euch seinen Sonntagsrock holen, der hängt daheim
noch im Schrank, den kann er mit Ehren tragen. Ihr seid
so gut und nehmt ihn mit.' 'Das geht nicht wohl,' ant-
wortete der Bauer, 'Kleider darf man nicht in den Himmel
bringen, die werden einem vor dem Thor abgenommen.'
253
Mißt ihr was,' sprach die Frau, 'ich habe eben meinen
schönen Weizen verkauft und ein hübsches Geld dafür be-
kommen, das will ich ihm schicken. Wenn ihr den Beutel in
die Tasche steckt, so wirds kein Mensch gewahr.' 'Kanns
nicht anders sein,' erwiderte der Bauer, 'so will ich euch
wohl den Gefallen thun.' 'So bleibt nur da sitzen,' sagte sie,
'ich will heim fahren und den Beutel holen: ich bin bald
wieder da, ich setze mich nicht auf das Bund Stroh, sondern
stehe auf dem Wagen, so hats das arme Vieh leichter.' Sie
trieb ihre Ochsen an, und der Bauer dachte 'sie hat Anlage
zur Narrheit, bringt sie das Geld wirklich, so kann meine
Frau von Glück sagen, denn sie kriegt keine Schläge.' Es
dauerte nicht lange, so kam sie gelaufen und brachte das Geld,
steckte es ihm selbst in die Tasche, und ehe sie wegging,
dankte sie ihm noch tausendmal für seine Gefälligkeit.
Als die Frau wieder heim kam, fand sie ihren Sohn,
der aus dem Feld zurückgekehrt war. Sie erzählte ihm, was
sie für unerwartete Dinge erfahren hätte, und setzte dann
hinzu 'ich freue mich recht, daß ich Gelegenheit gefunden
habe, meinem armen Mann etwas zu schicken; wer hätte sich
vorgestellt, daß er im Himmel an etwas Mangel leiden
würde.' Der Sohn war in der größten Verwunderung,
'Mutter,' sagte er, 'so eins aus dem Himmel kommt nicht
alle Tage, ich will gleich hinaus und sehen, ob ich den
Mann nicht finde; der muß mir erzählen, wies dort aus-
sieht und mit der Arbeit geht.' Er sattelte das Pferd und
ritt in aller Hast fort. Er fand den Bauer, der unter einem
Weidenbaum saß und das Geld, das im Beutel war, zählen
wollte. 'Habt ihr nicht den Mann gesehen,' rief ihm der
254
Junge zu, 'ber aus dem Himmel gekommen ist?' 'Ja, ant-
wortete er, 'der hat sich wieder auf den Rückweg gemacht
und ist den Berg dort hinauf gegangen, von wo ers etwas
näher hat. Ihr könnt ihn noch einholen, wenn ihr etwas
scharf reitet.' 'Ach,' sagte der Junge, 'ich habe mich den
ganzen Tag abgeäschert und der Ritt hierher hat mich
vollends müde gemacht; ihr kennt den Mann, seid so gut,
setzt euch auf mein Pferd und überredet ihn, daß er hierher
kommt.' 'Aha,' meinte der Bauer, 'das ist auch einer, der
hat keinen Docht in seiner Lampe!' 'Warum sollte ich euch
den Gefallen nicht thun?' sprach er, stieg auf das Pferd
und ritt im stärksten Trab davon. Der Junge blieb sitzen,
bis die Nacht einbrach, aber der Bauer kam nicht zurück.
'Gewiß,' sprach er zu sich selbst, 'hat der Mann aus dem
Himmel große Eile gehabt und nicht umkehren wollen, und
der Bauer hat ihm das Pferd mitgegeben, um es meinem
Vater zu bringen.' Er ging heim und erzählte seiner
Mutter, was geschehen war, das Pferd habe er dem Vater-
geschickt, damit er nicht immer zurück zu laufen brauche.'
'Du hast wohl gethan,' antwortete sie, 'du hast noch junge
Beine und kannst zu Fuß gehen.'
Als der Bauer nach Haus gekommen war, stellte er
das Pferd in den Stall neben die verpfändete Kuh, dann
ging er zu seiner Frau und sagte 'Trine, das war dein
Glück, ich habe zwei gefunden, die noch einfältiger sind
als du: diesmal kommst du ohne Schläge davon, ich will
sie für eine andere Gelegenheit aufsparen.' Dann zündete
er seine Pfeife an, setzte sich in den Großvaterstuhl und
sprach 'das war ein gutes Geschäft, für zwei magere Kühe
— 255 —
ein glattes Pferd und dazu einen großen Beutel voll Geld.
Wenn die Dummheit immer so viel einbrächte, so wollte ich
sie gerne in Ehren halten.' So dachte der Bauer, aber dir
sind gewiß die Einfältigen lieber.
256
40.
Märchen von der Anke.
i.
Es war einmal ein kleines Kind, dem gab seine Mutter
jeden Nachmittag ein Schüsselchen mit Milch und Weck-
brocken, und das Kind setzte sich damit hinaus in den Hof.
Wenn es aber anfing zu essen, so kam die Hausunke aus
einer Mauerritze hervorgekrochen, senkte ihr Köpfchen in
die Milch und aß mit. Das Kind hatte seine Freude daran,
und wenn es mit seinem Schüsselchen da saß und die Unke
kam nicht gleich herbei, so rief es ihr zu
^Unke, Unke, komm geschwind,
' komm herbei, du kleines Ding,
sollst dein Bröckchen haben,
an der Milch dich laben.'
Da kam die Unke gelaufen und ließ es sich gut schmecken.
Sie zeigte sich auch dankbar, denn sie brachte dem Kind aus
ihrem heimlichen Schatz allerlei schöne Dinge, glänzende
Steine, Perlen und goldene Spielsachen. Die Unke trank
aber nur Milch und ließ die Brocken liegen. Da nahm das
Kind einmal sein Löffelchen, schlug ihr damit sanft auf den
257
Kopf und sagte <Ding, iß auch Brocken? Die Mutter, die
in der Küche stand, hörte, daß das Kind mit jemand sprach,
und als sie sah, daß es mit seinem Löffelchen nach einer
Unke schlug, so lief sie mit einem Scheit Holz heraus und
tötete das gute Tier.
Von der Zeit an ging eine Veränderung mit dem Kinde
vor. Es war, so lange die Unke mit ihm gegessen hatte,
groß und stark geworden, jetzt aber verlor es seine schönen
roten Backen und magerte ab. Nicht lange, so fing der
Totenvogel an in der Nacht zu schreien, und das Rot-
kehlchen sammelte Zweiglein und Blätter, und bald her-
nach lag das Kind auf der Bahre.
II.
Ein Waisenkind saß an der Stadtmauer und spann,
da sah es eine Unke aus einer Öffnung unten an der Mauer
hervor kommen. Geschwind breitete es sein blau seidenes
Halstuch neben sich aus, das die Unken gewaltig lieben
und auf das sie allein gehen. Alsobald die Unke das er-
blickte, kehrte sie um, kam wieder und brachte ein kleines
goldenes Krönchen getragen, legte es darauf und ging
dann wieder fort. Das Mädchen nahm die Krone auf, sie
glitzerte und war von zartem Goldgespinst. Nicht lange,
so kam die Unke zum zweitenmale wieder: wie sie aber die
Krone nicht mehr sah, kroch sie an die Wand und schlug vor
Leid ihr Köpfchen so lang dawider, als sie nur noch Kräfte
hatte, bis sie endlich tot da lag. Hätte das Mädchen die
Krone liegen lassen, die Unke hätte wohl noch mehr von
ihren Schätzen aus der Höhle herbei getragen.
Grimm, Märchen. 17
258
III.
Unke ruft Huhu, huhu.' Kind spricht 'komm herut?
Die Unke kommt hervor, da fragt das Kind nach seinem
Schwesterchen Hast du Rotstrümpfchen nicht gesehen?'
Unke sagt 'ne, ik og nit: wie du denn? huhu, huhu, huhu?
259
41.
Der arme Müllerbursch und das Kätzchen.
In einer Mühle lebte ein alter Müller, der hatte weder
Frau noch Kinder, und drei Müllerburschen dienten bei ihm.
Als sie nun etliche Jahre bei ihm gewesen waren, sagte er
zu ihnen ^ich bin alt und will mich hinter den Ofen setzen:
zieht aus, und wer mir das beste Pferd nach Haus bringt,
dem will ich die Mühle geben, und er soll mich dafür bis
an meinen Tod verpflegen.' Der dritte von den Burschen
war aber der Kleinknecht, der ward von den andern für
albern gehalten, dem gönnten sie die Mühle nicht; und er
wollte sie hernach nicht einmal. Da zogen alle drei mit
einander und als sie vor das Dorf kamen, sagten die zwei
zu dem albernen Hans *du kannst nur hier bleiben, du
kriegst dein Lebtag keinen Gaul. Hans aber ging doch
mit, und als es Nacht war, kamen sie an eine Höhle, da
hinein legten sie sich schlafen. Die zwei Klugen warteten,
bis Hans eingeschlafen war, dann stiegen sie auf, machten
sich fort, ließen Hänschen liegen und meintens recht fein
gemacht zu haben; ja, es wird euch doch nicht gut gehen!
Wie nun die Sonne kam und Hans aufwachte, lag er in
einer tiefen Höhle: er guckte sich überall um und rief ^ach
Gott, wo bin ich?' Da erhob er sich und krappelte die
17*
260
Höhle hinauf, ging in den Wald und dachte 'ich bin hier
ganz allein und verlassen, wie soll ich nun zu einem Pferd
kommen?' Indem er so in Gedanken dahin ging, begegnete
ihm ein kleines buntes Kätzchen, das sprach ganz freundlich
'Hans, wo willst du hin?' 'Ach, du kannst mir doch nicht
helfen.' Was dein Begehren ist, weiß ich wohl,' sprach
das Kätzchen, 'du willst einen hübschen Gaul haben; komm
mit mir und sei sieben Jahre lang mein treuer Knecht, so
will ich dir einen geben, schöner als du dein Lebtag einen
gesehen hast.' 'Nun, das ist eine wunderliche Katze,' dachte
Hans, 'aber versuchen kann ichs doch, obs wahr ist, was
sie sagt.' Da nahm sie ihn mit in ihr verwünschtes Schlöß-
chen und hatte da lauter Kätzchen, die ihr dienten: die
sprangen flink die Treppe auf und ab, waren lustig und
guter Dinge. Abends als sie sich zu Tisch setzten, mußten
zwei Musik machen; eins strich den Baß, das andere blies
die Trompete und blies die Backen auf, so sehr es nur
konnte. Als sie gegessen hatten, wurde der Tisch weggetra-
gen und die Katze sagte 'nun komm, Hans, und tanze mit
mir.' 'Nein,' antwortete er, 'mit einer Miezekatze tanze ich
nicht, das habe ich noch nie gethan!' 'So bringt ihn ins
Bett' sagte sie zu den Kätzchen. Da leuchtete ihm eins
in seine Schlafkammer, eins zog ihm die Schuhe aus, eins
die Strümpfe, und zuletzt blies eins das Licht aus. Am
andern Morgen kamen sie wieder und halfen ihm aus dem
Bett: eins zog ihm die Strümpfe an, eins band ihm die
Strumpfbänder, eins holte die Schuhe, eins wusch ihn, und
eins trocknete ihm mit dem Schwanz das Gesicht ab. 'Das
thut recht sanft' sagte Hans. Er mußte aber auch der
261
Katze dienen und alle Tage Holz klein machen; dazu kriegte
er eine Axt von Silber und die Keile und Säge von Sil-
ber und der Schläger war von Kupfer. Nun, da machte
ers klein, blieb da im Haus, hatte sein gutes Essen und
Trinken, sah aber niemand als die bunte Katze und ihr
Gesinde. Einmal sagte sie zu ihm 'geh hin und mähe
meine Wiese und mache das Gras trocken,' und gab ihm von
Silber eine Sense und von Gold einen Wetzstein, hieß
ihn aber auch alles wieder richtig abliefern. Da ging
Hans hin und that, was ihm geheißen war; nach voll-
brachter Arbeit trug er Sense, Wetzstein und Heu nach
Haus und fragte, ob sie ihm noch nicht seinen Lohn geben
wollte. 'Nein,' sagte die Katze, 'du sollst mir erst noch
einerlei thun, da ist Bauholz von Silber, Zimmeraxt,
Winkeleisen und was notig ist, alles von Silber, daraus
baue mir erst ein kleines Häuschen.' Da baute Hans das
Häuschen fertig und sagte, er hätte nun alles gethan und
hätte noch kein Pferd; doch waren die sieben Jahre ihm
herum gegangen wie ein halbes. Fragte die Katze, ob er
j ihre Pferde sehen wollte? 'Ja' sagte Hans. Da machte
sie ihm das Häuschen auf, und weil sie die Thüre so auf-
macht, da stehen zwölf Pferde, ach, die waren gewesen
ganz stolz, die hatten geblänkt und gespiegelt, daß sich sein
Herz im Leibe darüber freute. Nun gab sie ihm zu essen und
zu trinken und sprach 'geh heim, dein Pferd geb ich dir nicht
mit: in drei Tagen aber komm ich und bringe dirs nach.'
Also machte sich Hans auf, und sie zeigte ihm den Weg zur
Mühle. Sie hatte ihm aber nicht einmal ein neues Kleid
gegeben, sondern er mußte sein altes lumpiges Kittelchen
262
behalten, das er mitgebracht hatte und das ihm in den sieben
Jahren überall zu kurz geworden war. Wie er nun heim
kam, da waren die beiden armen Müllerburschen auch wie-
der da, jeder hatte zwar sein Pferd mitgebracht, aber des
einen seins war blind, des andern seins lahm. Sie fragten
'Hans, wo hast du dein Pferd?' 'In drei Tagen wirds nach-
kommen.' Da lachten sie und sagten 'ja du Hans, wo willst
du ein Pferd herkriegen, das wird was rechtes sein!' Hans
ging in die Stube, der Müller sagte aber, er sollte nicht an
den Tisch kommen, er wäre so zerrissen und zerlumpt, man
müßte sich schämen, wenn jemand herein käme. Da gaben
sie ihm ein bißchen Essen hinaus, und wie sie abends schlafen
gingen, wollten ihm die zwei andern kein Bett geben, und
er mußte endlich ins Gänseställchen kriechen und sich auf ein
wenig hartes Stroh legen. Am Morgen, wie er aufwacht,
sind schon die drei Tage herum, und es kommt eine Kutsche
mit sechs Pferden, ei, die glänzten, daß es schön war, und
ein Bedienter, der brachte noch ein siebentes, das war für
den armen Müllerbursch. Aus der Kutsche aber stieg eine
prächtige Königstochter und ging in die Mühle hinein,
und die Königstochter war das kleine bunte Kätzchen, dem
der arme Hans sieben Jahr gedient hatte. Sie fragte den
Müller, wo der Mahlbursch, der Kleinknecht, wäre? Da
sagte der Müller 'den können wir nicht in die Mühle nehmen,
der ist so verrissen und liegt im Gänsestall.' Da sagte die
Königstochter, sie sollten ihn gleich holen. Also holten sie
ihn heraus, und er mußte sein Kittelchen zusammenpacken,
um sich zu bedecken. Da schnallte der Bediente prächtige
Kleider aus und mußte ihn waschen und anziehen, und wie
263
er fertig war, konnte kein König schöner aussehen. Danach
wollte die Jungfrau die Pferde sehen, welche die andern
Mahlburschen mitgebracht hatten, eins war blind, das an-
dere lahm. Da ließ sie den Bedienten das siebente Pferd
bringen. Wie der Müller das sah, sprach er, so eins wäre
ihm noch nicht auf den Hof gekommen; ^und das ist für
den dritten Mahlbursch' sagte sie. ^Da muß er die Mühle
haben' sagte der Müller, die Königstochter aber sprach, da
wäre das Pferd, er sollte die Mühle auch behalten: und
nimmt ihren treuen Hans und setzt ihn in die Kutsche und
fährt mit ihm fort. Sie fahren erst nach dem kleinen
Häuschen, das er mit dem silbernen Werkzeug gebaut hat,
da ist es ein großes Schloß, und ist alles darin von Sil-
ber und Gold. Und da hat sie ihn geheiratet, und war
er reich, so reich, daß er für sein Lebtag genug hatte.
Darum soll keiner sagen, daß wer albern ist, deshalb nichts
rechtes werden könne.
264
42.
Der Jude im Dorn.
Es war einmal ein reicher Mann, der hatte einen
Knecht, der diente ihm fleißig und redlich, war alle Morgen
der erste aus dem Bett und abends der letzte hinein, und
wenns eine saure Arbeit gab, wo keiner anpacken wollte,
so stellte er sich immer zuerst daran. Dabei klagte er nicht,
sondern war mit allem zufrieden und war immer lustig.
Als sein Jahr herum war, gab ihm der Herr keinen Lohn
und dachte 'das ist das gescheitste, so spare ich etwas und
er geht mir nicht weg, sondern bleibt hübsch im Dienst.'
Der Knecht schwieg auch still, that das zweite Jahr wie ^
das erste seine Arbeit, und als er am Ende desselben aber-
mals keinen Lohn bekam, ließ er sichs gefallen und blieb
noch länger. Als auch das dritte Jahr herum war, be-
dachte sich der Herr, griff in die Tasche, holte aber noch
nichts heraus. Da fing der Knecht endlich an und sprach
'Herr, ich habe euch drei Jahre ehrlich gedient, seid so gut
und gebt mir, was mir von Rechts wegen zukommt: ich
wollte fort und mich gerne weiter in der Welt umsehen.'
Da antwortete der Geizhals 'ja mein lieber Knecht, du
hast mir unverdrossen gedr^nt, dafür sollst du mildiglich
belohnt werden,' griff.abermals in die Tasche und zählte
dem Knecht drei Heller einzeln auf 'da hast du für jedes
265
Jahr einen Heller, das ist ein großer und reichlicher Lohn
wie du ihn bei wenigen Herrn empfangen hättest? Der gute
Knecht, der vom Geld wenig verstand, strich sein Kapital ein
und dachte 'nun hast du vollauf in der Tasche, was willst du
länger sorgen und dich mit schwerer Arbeit länger plagen?
Da zog er fort, bergauf, bergab, sang und sprang nach
Herzenslust. Nun trug es sich zu, als er an einem Busch-
werk vorüber kam, daß ein kleines Männchen hervor trat
und ihn anrief. 'Wo hinaus, Bruder Lustig? ich sehe du
trägst nicht schwer an deinen Sorgen? 'Was soll ich
traurig sein,' antwortete der Knecht, 'ich habe vollauf, der
Lohn von drei Jahren klingelt in meiner Tasche? Wieviel
ist denn deines Schatzes?' fragte ihn das Männchen. 'Wie-
viel? drei bare Heller richtig gezählt? 'Höre,' sagte der
Zwerg, 'ich bin ein armer bedürftiger Mann, schenke mir
deine drei Heller; ich kann nichts mehr arbeiten, du aber bist
jung und kannst dir dein Brot leicht verdienen? Und weil
der Knecht ein gutes Herz hatte und Mitleid mit dem Männ-
chen fühlte, so reichte er ihm seine drei Heller und sprach
'in Gottes Namen, es wird mir doch nicht fehlen? Da sprach
das Männchen 'weil ich dein gutes Herz sehe, so gewähre ich
dir drei Wünsche, für jeden Heller einen, die sollen dir in
Erfüllung gehen? 'Aha? sprach der Knecht, 'du bist einer
der blau pfeifen kann. Wohlan, wenns doch sein soll, so
wünsche ich mir erstlich ein Vogelrohr, das alles trifft, wo-
nach ich ziele: zweitens eine Fiedel, wenn ich darauf streiche,
so muß alles tanzen, was den Klang hört, und drittens
wenn ich an jemand eine Bitte thue, so darf er sie nicht ab-
schlagen? 'Das sollst du alles haben' sprach das Männ-
266
chen, griff in den Busch, und denk einer, da lag schon
Fiedel und Vogelrohr in Bereitschaft, als wenn sie bestellt
wären. Er gab sie dem Knecht und sprach 'was du dir
immer erbitten wirst, kein Mensch auf der Welt soll dirs
abschlagen?
'Herz, was begehrest du nun?' sprach der Knecht zu
sich selber und zog lustig weiter. Bald darauf begegnete
er einem Juden mit einem langen Ziegenbart, der stand
und horchte auf den Gesang eines Vogels, der hoch oben
in der Spitze eines Baumes saß. 'Gottes Wunder!' rief
er aus, 'so ein kleines Tier hat so eine grausam mächtige
Stimme! wenns doch mein wäre! wer ihm doch Salz auf
den Schwanz streuen könnte!' 'Wenns weiter nichts ist,'
sprach der Knecht, 'der Vogel soll bald herunter sein,' legte
an und traf aufs Haar, und der Vogel fiel herab in die
Dornhecken. 'Geh, Spitzbub,' sagte er zu dem Juden 'und
hol dir den Vogel heraus.' 'Mein,' sprach der Jude, 'laß
der Herr den Bub weg, so kommt ein Hund gelaufen; ich
will mir den Vogel auflesen, weil ihr ihn doch einmal
getroffen habt,' legte sich auf die Erde und fing an sich
in den Busch hinein zu arbeiten. Wie er nun mitten in
dem Dorn steckte, plagte der Mutwille den guten Knecht,
daß er seine Fiedel abnahm und anfing zu geigen. Gleich
fing auch der Jude an die Beine zu heben und in die
Höhe zu springen: und je mehr der Knecht strich, desto
besser ging der Tanz. Aber die Dörner zerrissen ihm den
schäbigen Rock, kämmten ihm den Ziegenbart und stachen
und zwickten ihn am ganzen Leib. 'Mein,' rief der Jude,
"was soll mir das Geigen! laß der Herr das Geigen, ich
267
begehre nicht zu tanzen.' Aber der Knecht hörte nicht
darauf und dachte 'du hast die Leute genug geschunden,
nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,' und fing
von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher auf-
springen mußte und die Fetzen von seinem Rock an den
Stacheln hängen blieben. 'Au weih geschrien!' rief der
Jude, 'geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er
nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.'
'Wenn du so spendabel bist,' sprach der Knecht, 'so will
ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich
dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß es
eine Art hat,' nahm darauf den Beutel und ging seiner Wege.
Der Jude blieb stehen und sah ihm nach und war still,
bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war,
dann schrie er aus Leibeskräften 'du miserabler Musikant,
du Bierfiedler, wart, wenn ich dich allein erwische! ich will
dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du
Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller-
wert bist' und schimpfte weiter, was er nur losbringen
konnte. Und als er sich damit etwas zu gute gethan und
Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter.
'Herr Richter, au weih geschrien! seht wie ein gott-
loser Mensch auf offener Landstraße mich beraubt und
übel zugerichtet hat, ein Stein auf dem Erdboden möchte
sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und
zerkratzt! mein bißchen Armut samt dem Beutel genom-
men! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere!
um Gottes willen, laßt den Menschen ins Gefängnis wer-
fen.' Sprach der Richter 'wars ein Soldat, der dich mit
268
seinem Säbel so zugerichtet hat?' 'Gott bewahr!' sagte der
Jude Zeinen nackten Degen hat er nicht gehabt, aber ein
Rohr hat er gehabt auf dem Buckel hängen, und eine Geige
am Hals; daran ist der Bösewicht leicht zu erkennen.' Der
Richter schickte seine Leute nach ihm aus, die fanden den
guten Knecht, der ganz langsam weiter gezogen war, und
fanden auch den Beutel mit Gold bei ihm. Als er vor
Gericht gestellt wurde, sagte er 'ich habe den Juden nicht
angerührt und ihm das Geld nicht genommen, er hat mirs
aus freien Stücken angeboten, damit ich nur aufhörte zu
geigen, weil er meine Musik nicht vertragen konnte.' 'Gott
bewahr!' schrie der Jude, 'der greift die Lügen wie Fliegen
an der Wand.' Aber der Richter glaubte es auch nicht und
sprach 'das ist eine schlechte Entschuldigung, das thut kein
Jude,' und verurteilte den guten Knecht, weil er auf offener
Straße einen Raub begangen hätte, zum Galgen. Als er
aber abgeführt wurde, schrie ihm noch der Jude zu 'du
Bärenhäuter, du Hundemusikant, jetzt kriegst du deinen
wohlverdienten Lohn.' Der Knecht stieg ganz ruhig mit
dem Henker die Leiter hinauf, auf der letzten Sprosse aber
drehte er sich um und sprach zum Richter 'gewährt mir noch
eine Bitte, eh ich sterbe.' 'Ja,' sprach der Richter 'wenn
du nicht um dein Leben bittest.' 'Nicht ums Leben,' ant-
wortete der Knecht, 'ich bitte, laßt mich zu guter Letzt noch
auf meiner Geige spielen.' Der Jude erhob ein Zeter-
geschrei 'um Gottes willen, erlaubts nicht, erlaubts nicht.'
Allein der Richter sprach 'warum soll ich ihm die kurze
Freude nicht gönnen: es ist ihm zugestanden und dabei soll
es sein Bewenden haben.' Auch konnte er es ihm nicht
269
abschlagen wegen der Gabe, die dem Knecht verliehen war.
Der Jude aber rief 'au weih! au weih! bindet mich an,
bindet mich fest.' Da nahm der gute Knecht seine Geige
vom Hals, legte sie zurecht, und wie er den ersten Strich
that, fing alles an zu wabern und zu wanken, der Rich-
ter, die Schreiber und die Gerichtsdiener, und dem, der
den Juden festbinden wollte, fiel der Strick aus der Hand;
beim zweiten Strich hoben alle die Beine, und der Henker
ließ den guten Knecht los und machte sich zum Tanze fer-
tig: bei dem dritten Strich sprang alles in die Höhe und
fing an zu tanzen, und der Richter und der Jude waren
vorn und sprangen am besten. Bald tanzte alles mit, was
auf den Markt aus Neugierde herbei gekommen war, alte
und junge, dicke und magere Leute unter einander: und die
Hunde, die mitgelaufen waren, setzten sich auf die Hinter-
füße und hüpften mit. Und je länger er spielte, desto
höher sprangen die Tänzer, daß sie sich einander an die
Köpfe stießen und anfingen jämmerlich zu schreien. Endlich
rief der Richter ganz außer Atem 'ich schenke dir dein
Leben, höre nur auf zu geigen.' Der gute Knecht ließ sich
bewegen, setzte die Geige ab, hing sie wieder um den Hals
und stieg die Leiter herab. Da trat er zu dem Juden, der
auf der Erde lag und nach Atem schnappte, und sagte
'Spitzbube, jetzt gesteh, wo du das Geld her hast, oder ich
nehme meine Geige vom Hals und fange wieder an zu
spielen.' 'Ich Habs gestohlen, ich Habs gestohlen,' schrie er,
'du aber hasts redlich verdient.' Da ließ der Richter den
Juden zum Galgen führen und als einen Dieb aufhängen.
270
43.
Vom Klugen Schneiderlern.
Es war einmal eine Prinzessin gewaltig stolz: kam ein
Freier, so gab sie ihm etwas zu raten auf, und wenn ers
nicht erraten konnte, so ward er mit Spott fortgeschickt.
Sie ließ auch bekannt machen, wer ihr Rätsel löste, sollte
sich mit ihr vermählen, und möchte kommen, wer da wollte.
Endlich fanden sich auch drei Schneider zusammen, davon
meinten die zwei ältesten, sie hätten so manchen feinen
Stich gethan und hättens getroffen, da könnts ihnen nicht
fehlen, sie müßtens auch hier treffen: der dritte war ein klei-
ner unnützer Springinsfeld, der nicht einmal sein Hand-
werk verstand, aber meinte er müßte dabei Glück haben,
denn woher sollts ihm sonst kommen. Da sprachen die
zwei andern zu ihm 'bleib nur zu Haus, du wirst mit dei-
nem bißchen Verstand auch nicht weit kommen.' Das
Schneiderlein ließ sich aber nicht irre machen und sagte,
es hätte einmal seinen Kopf darauf gesetzt und wollte sich
schon helfen, und ging dahin, als wäre die ganze Welt sein.
Da meldeten sich alle drei bei der Prinzessin und sagten,
sie sollte ihnen ihr Rätsel vorlegen: es wären die rechten
Leute angekommen, die hätten einen so feinen Verstand,
271
daß man ihn wohl in eine Nadel fädeln könnte. Da
sprach die Prinzessin 'ich habe zweierlei Haar auf dem Kopf,
von was für Farben ist das?' 'Wenns weiter nichts ist,'
sagte der erste, 'es wird schwarz und weiß sein, wie Tuch,
das man Kümmel und Salz nennt.' Die Prinzessin sprach
'falsch geraten; antworte der zweite.' Da sagte der zweite
'ists nicht schwarz und weiß, so ists braun und rot, wie
meines Herrn Vaters Bratenrock.' 'Falsch geraten,' sagte
die Prinzessin, 'antworte der dritte, dem seh ichs an, der
weiß es sicherlich.' Da trat das Schneiderlein hervor und
sprach 'die Prinzessin hat ein silbernes und ein goldenes
Haar auf dem Kopf und das sind die zweierlei Farben.'
Wie die Prinzessin das hörte, ward sie blaß und wäre vor
Schrecken beinahe hingefallen, denn das Schneiderlein hatte
es getroffen und sie hatte geglaubt, das würde kein
Mensch auf der Welt herausbringen. Als ihr das Herz
wiederkam, sprach sie 'damit hast du mich noch nicht ge-
wonnen, du mußt noch eins thun: unten im Stall liegt
ein Bär, bei dem sollst du die Nacht zubringen; wenn ich
dann morgen aufstehe, und du bist noch lebendig, so sollst
du mich heiraten.' Sie dachte aber damit wollt sie das
Schneiderlein los werden, denn der Bär hatte noch keinen
Menschen lebendig gelassen, der ihm unter die Tatzen ge-
kommen war. Das Schneiderlein ließ sich nicht abschrecken
und sprach vergnügt 'frisch gewagt ist halb gewonnen.'
Als nun der Abend kam, ward mein Schneiderlein
hinunter zum Bären gebracht. Der Bär wollt auch gleich
auf den kleinen Kerl los und ihm mit seiner Tatze einen
guten Willkommen geben. 'Sachte, sachte,' sprach das
272
Schneiderlein, 'ich will dich schon zur Ruhe bringen.' Da
holte es ganz gemächlich, als hält es keine Sorgen, welsche
Nüsse aus der Tasche, biß sie auf und aß die Kerne. Wie
der Bär das sah, kriegte er Lust und wollte auch Nüsse
haben. Das Schneiderlein griff in die Tasche und reichte
ihm eine Hand voll; es waren aber keine Nüsse, sondern
Wackersteine. Der Bär steckte sie ins Maul, konnte aber
nichts aufbringen, er mochte beißen, wie er wollte. '@H,'
dachte er, 'was bist du für ein dummer Klotz! kannst nicht
einmal die Nüsse aufbeißen' und sprach zum Schneiderlein
'mein, beiß mir die Nüsse auf.' 'Da siehst du, was du für
ein Kerl bist,' sprach das Schneiderlein, 'hast so ein großes
Maul und kannst die kleine Nuß nicht aufbeißen.' Da
nahm es die Steine, war hurtig, steckte dafür eine Nuß in
den Mund und knack, war sie entzwei. 'Ich muß das Ding
noch einmal probieren,' sprach der Bär, 'wenn ichs so an-
sehe, ich mein, ich müßts auch können.' Da gab ihm das
Schneiderlein abermals Wackersteine, und der Bär arbeitete
und biß aus allen Leibeskräften hinein; aber du glaubst
auch nicht, daß er sie aufgebracht hat. Wie das vorbei war,
holte das Schneiderlein eine Violine unter dem Rock hervor
und spielte sich ein Stückchen darauf. Als der Bär die Musik
vernahm, konnte er es nicht lassen und fing an zu tanzen,
und als er ein Weilchen getanzt hatte, gefiel ihm das Ding
so wohl, daß er zum Schneiderlein sprach 'hör, ist das
Geigen schwer?' 'Kinderleicht, siehst du, mit der Linken
leg ich die Finger auf und mit der Rechten streich ich den
Bogen, da gehts lustig, hopsasa, vivallalera!' 'Geigen,'
sprach der Bär, 'das möcht ich auch verstehen, damit ich
273
tanzen könnte, so oft ich Lust hätte. Was meinst du dazu?
Willst du mir Unterricht darin geben?' Won Herzen gern,'
sagte das Schneiderlein, ‘wenn du Geschick dazu hast. Aber
weis einmal deine Tatzen her, die sind gewaltig lang, ich
muß dir erst die Nägel ein wenig abschneiden.' Da ward
ein Schraubstock herbei geholt und der Bär legte seine Tatzen
darauf, das Schneiderlein aber schraubte sie fest und sprach
‘mm warte, bis ich mit der Schere komme,' ließ den Bär-
brummen, so viel er wollte, legte sich in die Ecke auf ein
Bund Stroh und schlief ein.
Die Prinzessin, als sie am Abend den Bären so ge-
waltig brummen hörte, glaubte nicht anders, als er brrunmte
vor Freuden und hätte dem Schneider den Garaus gemacht.
Am Morgen stand sie ganz unbesorgt und vergnügt auf,
wie sie aber nach dem Stall guckt, so steht das Schneider-
lein ganz munter davor und ist gesund wie ein Fisch im
Wasser. Da konnte sie nun kein Wort mehr dagegen sagen,
weil sies öffentlich versprochen hatte, und der König ließ
einen Wagen kommen, darin mußte sie mit dem Schneider-
lein zur Kirche fahren, und sollten sie da vermählt werden.
Wie sie eingestiegen waren, gingen die beiden andern
Schneider, die ein falsches Herz hatten und ihm sein Glück
, nicht gönnten, in den Stall und schraubten den Bären los.
Der Bär in voller Wut rannte hinter dem Wagen her.
Die Prinzessin hörte ihn schnauben und brummen, es ward
ihr angst, und sie rief ‘ach, der Bär ist hinter uns und will
dich holen.' Das Schneiderlein war fix, stellte sich auf den
Kopf, streckte die Beine zum Fenster hinaus und rief ‘siehst du
den Schraubstock? wenn du nicht gehst, so sollst du wieder
Grimm, Märchen. 18
274
hinein.' Wie der Bär das sah, drehte er um und lief fort.
Mein Schneiderlein fuhr da ruhig in die Kirche und die
Prinzessin ward ihm an die Hand getraut, und lebte er mit
ihr vergnügt wie eine Heidelerche. Wers nicht glaubt, be-
zahlt einen Thaler.
275
44.
Schneeweißchen und Rosenrot.
Eine arme Witwe, die lebte einsam in einem Hüttchen
und vor dem Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei
Rosenbäumchen: davon trug das eine weiße, das andere
rote Rosen; und sie hatte zwei Kinder, die glichen den
beiden Rosenbäumchen, und das eine hieß Schneeweißchen,
das andere Rosenrot. Sie waren aber so fromm und
gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je zwei Kinder auf
der Welt gewesen sind: Schneeweißchen war nur stiller und
sanfter als Rosenrot. Rosenrot sprang lieber in den
Wiesen und Feldern umher, suchte Blumen und fing Som-
mervögel: Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter,
half ihr im Hauswesen, oder las ihr vor, wenn nichts zu
thun war. Die beiden Kinder hatten einander so lieb, daß
sie sich immer an den Händen faßten, so oft sie zusammen
ausgingen: und wenn Schneeweißchen sagte <wir wollen
uns nicht verlassen,' so antwortete Rosenrot sio lange wir
leben nicht,' und die Mutter setzte hinzu <was das eine hat,
solls mit dem andern teilen.' Oft liefen sie im Walde allein
umher und sammelten rote Beeren, aber kein Tier that
ihnen etwas zuleid, sondern sie kamen vertraulich herbei;
das Häschen fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen, das Reh
18*
graste an ihrer Seite, der Hirsch sprang ganz lustig vorbei;
die Vögel blieben auf den Ästen sitzen und sangen was sie
nur wußten. Kein Unfall traf sie: wenn sie sich im Walde
verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich
neben einander auf das Moos und schliefen, bis der Mor-
gen kam, und die Mutter wußte das und hatte ihretwegen
keine Sorgen. Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten
und das Morgenrot sie aufweckte, da sahen sie ein schönes
Kind in einem weißen glänzenden Kleidchen neben ihrem
Lager sitzen. Es stand auf und blickte sie ganz freundlich
an, sprach aber nichts und ging in den Wald hinein. Und
als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Ab-
grunde geschlafen, und wären gewiß hinein gefallen, wenn
sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weiter gegan-
gen wären. Die Mutter aber sagte ihnen, das müßte der
Engel gewesen sein, der gute Kinder bewache.
Schneeweißchen und Rosenrot hielten das Hüttchen
der Mutter so reinlich, daß es eine Freude war hinein zu
schauen. Im Sommer besorgte Rosenrot das Haus und
stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, einen
Blumenstrauß vors Bett, darin war von jedem Bäumchen
eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer
an und hing den Kessel an den Feuerhaken, und der Kessel
war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er
gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die Mut-
ter ^geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor', und
dann setzten sie sich an den Herd, und die Mutter nahm die
Brille und las aus einem großen Buche vor, und die beiden
Mädchen hörten zu, saßen und spannen: neben ihnen lag ein
277
Lämmchen auf dem Boden, und hinter ihnen auf einer
Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf
unter den Flügel gesteckt.
Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen,
klopfte jemand an die Thür, als wollte er eingelassen sein.
Die Mutter sprach 'geschwind, Rosenrot, mach auf, es
wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.' Rosenrot ging
und schob den Riegel weg und dachte es wär ein armer
Mann, aber der wars nicht, es war ein Bär, der seinen
dicken schwarzen Kopf zur Thür herein steckte. Rosenrot
schrie laut und sprang zurück: das Lämmchen blökte, das
Täubchen flatterte auf und Schneeweißchen versteckte sich
hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fing an zu sprechen
und sagte 'fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zuleid,
ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch
wärmen.' 'Du armer Bär,' sprach die Mutter, 'leg dich ans
Feuer und gieb nur acht, daß dir dein Pelz nicht brennt.'
Dann rief sie 'Schneeweißchen, Rosenrot, kommt hervor,
ihr Kinder, der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.'
Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich
auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht
vor ihm. Der Bär sprach 'ihr Kinder klopft mir den Schnee
ein wenig aus dem Pelzwerk,' und sie holten den Besen und
kehrten dem Bär das Fell rein: er aber streckte sich ans Feuer
und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange,
so wurden sie ganz vertraut und trieben Mutwillen mit
dem unbeholfenen Gast, zausten ihm das Fell mit den
Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken und wal-
gerten ihn hin und her, oder nahmen eine Haselrute und
278
schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie.
Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn sie es
gar zu arg machten, rief er 'laßt mich am Leben, ihr Kinder:
Schneeweißchen, Rosenrot,
schlägst dir den Freier tot?
Als Schlafenszeit war und die andern zu Bett gingen,
sagte die Mutter zu dem Bär 'du kannst in Gottes Namen
da am Herde liegen bleiben, so bist du vor der Kälte und
dem bösen Wetter geschützt? Sobald der Tag graute, ließen
ihn die beiden Kinder hinaus, und er trabte über den Schnee
in den Wald hinein. Von nun an kam der Bär jeden Abend
zu der bestimmten Stunde, legte sich an den Herd und
erlaubte den Kindern Kurzweil mit ihm zu treiben, so viel
sie wollten; und sie waren so gewöhnt an ihn, daß die
Thüre nicht eher zugeriegelt wurde, als bis der schwarze
Gesell angelangt war.
Als das Frühjahr heran gekommen und draußen alles
grün war, sagte der Bär eines Morgens zu Schneeweißchen
'nun muß ich fort und darf den ganzen Sommer nicht
wieder kommen? Wo gehst du denn hin, lieber Bär?' fragte
Schneeweißchen. 'Ich muß in den Wald und meine Schätze
vor den bösen Zwergen hüten: im Winter, wenn die Erde
hart gefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können
sich nicht durcharbeiten, aber jetzt, wenn die Sonne die Erde
aufgetaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen
herauf suchen und stehlen: und was einmal in ihren
Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht
nicht wieder an des Tages Licht? Schneeweißchen war ganz
traurig über den Abschied und riegelte ihm die Thüre auf
279
und als der Bar sich hinaus drängte, blieb er an dem Thür-
haken hängen und ein Stück seiner Haut riß auf, und da
war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern
gesehen: aber es war seiner Sache nicht gewiß. Aber der
Bär lief eilig fort und war bald hinter den Bäumen ver-
schwunden.
Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den
Wald, Reisig zu sammeln. Da fanden sie draußen einen
großen Baum, der lag gefällt auf dem Boden, und an dem
Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf und ab, sie
konnten aber nicht unterscheiden, was es war. Als sie
näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten ver-
welkten Gesicht und einem ellenlangen schneeweißen Bart.
Das Ende des Bartes war in eine Spalte des Baumes
eingeklemmt, und der Kleine sprang hin und her wie ein
Hündchen an einem Seil und wußte nicht, wie er sich
helfen sollte. Er glotzte die Mädchen mit seinen roten
feurigen Augen an und schrie 'was steht ihr da! könnt ihr
nicht herbeigehen und mir Beistand leisten?' 'Was hast du
angefangen, kleines Männchen?' fragte Rosenrot. 'Dumme,
neugierige Gans,' antwortete der Zwerg, 'den Baum habe
ich mir spalten wollen, um kleines Holz in der Küche zu
haben: bei den dicken Klötzen verbrennt gleich das bißchen
Speise, das unser einer braucht, der nicht so viel hinunter
schlingt, als ihr grobes gieriges Volk. Ich hatte den Keil
schon glücklich hineingetrieben, und es wäre alles nach
Wunsch gegangen, aber der verwünschte Keil war zu glatt
und sprang unversehens heraus, und der Baum fuhr so
geschwind zusammen, daß ich meinen schönen weißen Bart
280
nicht mehr herausziehen konnte; nun steckt er drin, und
ich kann nicht fort. Da lachen die albernen glatten Milch-
gesichter! pfui, was seid ihr garstig!' Die Kinder gaben
sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart nicht heraus
ziehen, er steckte zu fest. 'Ich will laufen und Leute her-
bei holen,' sagte Rosenrot. Wahnsinnige Schafsköpfe!'
schnarrte der Zwerg, 'wer wird gleich Leute herbei rufen,
ihr seid mir schon um zwei zu viel: fällt euch nichts Besse-
res ein?' 'Sei nur nicht ungeduldig,' sagte Schneeweiß-
chen, 'ich will schon Rat schaffen,' und holte sein Scher-
chen aus der Tasche und schnitt das Ende des Bartes ab.
Sobald der Zwerg sich frei fühlte, griff er nach einem
Sack, der zwischen den Wurzeln des Baumes steckte und
mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus und brummte vor
sich hin 'ungehobeltes Volk, schneidet mir ein Stück von
meinem stolzen Barte ab! lohns euch der Guckguck!' Da-
mit schwang er seinen Sack auf den Rücken und ging fort,
ohne die Kinder nur noch einmal anzusehen.
Einige Zeit danach wollten Schneeweißchen und Rosen-
rot ein Gericht Fische angeln. Als sie nahe bei dem Bach
waren, sahen sie, daß etwas wie eine große Heuschrecke nach
dem Wasser zu hüpfte, als wollte es hinein springen. Sie
liefen heran und erkannten den Zwerg. 'Wo willst du hin?'
sagte Rosenrot, 'du willst doch nicht ins Wasser?' 'Solch
ein Narr bin ich nicht,' schrie der Zwerg, 'seht ihr nicht,
der verwünschte Fisch will mich hinein ziehen?' Der Kleine
hatte da gesessen und geangelt, und unglücklicher Weise
hatte der Wind seinen Bart mit der Angelschnur verflochten:
als gleich darauf ein großer Fisch anbiß, fehlten dem
281
schwachen Geschöpf die Kräfte, ihn herauszuziehen: der Fisch
behielt die Oberhand und riß den Zwerg zu sich hin. Zwar
hielt er sich an allen Halmen und Binsen, aber das half
nicht viel, er mußte den Bewegungen des Fisches folgen
und war in beständiger Gefahr ins Wasser gezogen zu werden.
Die Mädchen kamen zu rechter Zeit, hielten ihn fest und
versuchten den Bart von der Schnur loszumachen, aber ver-
gebens, Bart und Schnur waren fest in einander verwirrt.
Es blieb nichts übrig, als das Scherchen hervor zu holen
und den Bart abzuschneiden; dabei ging ein kleiner Teil
desselben verloren. Als der Zwerg das sah, schrie er sie an
‘ist das Manier, ihr Lorche, einem das Gesicht zu schänden,
nicht genug, daß ihr mir den Bart unten abgestutzt habt,
jetzt schneidet ihr mir den besten Teil davon ab: ich darf
mich vor den Meinigen gar nicht sehen lassen. Daß ihr
lausen müßtet und die Schuhsohlen verloren hättet!' Dann
holte er einen Sack Perlen, der im Schilfe lag, und ohne
ein Wort weiter zu sagen, schleppte er ihn fort und ver-
schwand hinter einem Stein.
Es trug sich zu, daß bald hernach die Mutter die beiden
Mädchen nach der Stadt schickte Zwirn, Nadeln, Schnüre
und Bänder einzukaufen. Der Weg führte sie über eine
Heide, auf der hier und da mächtige Felsenstücke zerstreut
lagen: da sahen sie einen großen Vogel in der Luft schweben,
der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer herab senkte
und endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß. Gleich
darauf hörten sie einen durchdringenden jämmerlichen Schrei.
Sie liefen herzu und sahen mit Schrecken, daß der Adler
ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn
282
forttragen wollte. Die mitleidigen Kinder hielten gleich das
Männchen fest und zerrten sich so lange mit dem Adler
herum, bis er seine Beute fahren ließ. Als der Zwerg sich
von dem ersten Schrecken erholt hatte, schrie er mit seiner
feinen Stimme konntet ihr nicht säuberlicher mit mir um-
gehen? gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen, daß
es überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und
täppisches Gesindel, das ihr seid!' Dann nahm er einen
Sack mit Edelsteinen und schlüpfte wieder unter den Fel-
sen in seine Höhle. Die Mädchen waren an seinen Un-
dank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort und verrichteten
ihr Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder
auf die Heide kamen, überraschten sie den Zwerg, der auf
einem reinlichen Plätzchen feinen Sack mit Edelsteinen aus-
geschüttet und nicht gedacht hatte, daß so spät noch jemand
daher kommen würde. Die Abendsonne schien über die
glänzenden Steine, und sie schimmerten und leuchteten so
prächtig in allen Farben, daß die Kinder stehen blieben und
sie betrachteten. Was steht ihr da und habt Maulaffen
feil?' schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward
zinnoberrot vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltwor-
ten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ und
ein schwarzer Bär aus dem Walde heraus trabte. Er-
schrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr
zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in
seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst 'lieber Herr
Bär, verschont mich, ich will euch alle meine Schätze geben,
seht, die schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das
Leben, was habt ihr an mir kleinem schmächtigen Kerl?
283
ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen: da die beiden
gottlosen Mädchen packt, das sind für euch zarte Bissen,
fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen?
Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem
boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze,
und es regte sich nicht mehr.
Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief
ihnen nach ^Schneeweißchen und Rosenrot, fürchtet euch
nicht, wartet, ich will mit euch gehen.' Da erkannten sie
seine Stimme und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen
war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da als ein
schöner Mann und war ganz in Gold gekleidet. ^Jch bin
eines Königs Sohn,' sprach er, ^und war von dem gottlosen
Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht
als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch
seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente
Strafe empfangen.'
Schneeweißchen ward mit ihm vermählt und Rosenrot
mit seinem Bruder, und sie teilten die großen Schätze mit
einander, die der Zwerg in seine Höhle zusammen getragen
hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ruhig und
glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber
nahm sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster und tru-
gen jedes Jahr die schönsten Rosen, weiß und rot.
45.
Die vier kunstreichen Brüder.
Es war ein armer Mann, der hatte vier Söhne; wie
die heran gewachsen waren, sprach er zu ihnen ‘Hebe Kinder,
ihr müßt jetzt hinaus in die Welt, ich habe nichts, das ich
euch geben könnte: macht euch auf und geht in die Fremde,
lernt ein Handwerk und seht, wie ihr euch durchschlagt.'
Da ergriffen die vier Brüder den Wanderstab, nahmen Ab-
schied von ihrem Vater und zogen zusammen zum Thor
hinaus. Als sie eine Zeit lang gewandert waren, kamen
sie an einen Kreuzweg, der nach vier verschiedenen Gegenden
führte. Da sprach der älteste ‘hier müssen wir uns tren-
nen, aber heut über vier Jahre wollen wir an dieser Stelle
wieder zusammen treffen und in derZeitunser Glück versuchen.'
Nun ging jeder seinen Weg, und dem ältesten be-
gegnete ein Mann, der fragte ihn, wo er hinaus wollte
und was er vor hätte. ‘Ich will ein Handwerk lernen'
antwortete er. Da sprach der Mann ‘geh mit mir und
werde ein Dieb.' ‘Nein,' antwortete er, ‘das gilt für kein
ehrliches Handwerk mehr, und das Ende vom Liede ist,
daß einer als Schwengel in der Feldglocke gebraucht wird.'
‘O,' sprach der Mann, ‘vor dem Galgen brauchst du dich
nicht zu fürchten: ich will dich bloß lehren, wie du holst,
285
was sonst kein Mensch kriegen und wobei dir niemand auf
die Spur kommen kann.' Da ließ er sich überreden, ward
bei dem Manne ein gelernter Dieb, und ward so geschickt,
daß vor ihm nichts sicher war, was er einmal haben wollte.
Der zweite Bruder begegnete einem Manne, der dieselbe
Frage an ihn that, was er in der Welt lernen wollte.
*Jch weiß es noch nicht' antwortete er. 'So geh mit mir
und werde ein Sterngucker: nichts besser als das, es bleibt
einem nichts verborgen.' Er ließ sich das gefallen und
ward ein so geschickter Sterngucker, daß sein Meister, als
er ausgelernt hatte und weiter ziehen wollte, ihm ein Fern-
rohr gab und zu ihm sprach 'damit kannst du sehen, was
auf Erden und am Himmel vorgeht, und kann dir nichts
verborgen bleiben.' Den dritten Bruder nahm ein Jäger
in die Lehre und gab ihm in allen, was zur Jägerei ge-
hört, so guten Unterricht, daß er ein ausgelernter Jäger
ward. Der Meister schenkte ihm beim Abschied eine Büchse
und sprach 'die fehlt nicht, was du damit aufs Korn nimmst,
das triffst du sicher.' Der jüngste Bruder begegnete gleich-
falls einem Manne, der ihn anredete und nach seinem Vor-
haben fragte. 'Hast du nicht Lust ein Schneider zu wer-
den?' 'Daß ich nicht wüßte,' sprach der Junge, 'das Krumm-
sitzen von morgens bis abends, das Hin- und Herfegen
mit der Nadel und das Bügeleisen will mir nicht in den
Sinn.' 'Ei was,' antwortete der Mann, 'du sprichst, wie
I dus verstehst: bei mir lernst du eine ganz andere Schneider-
kunst, dre ist anständig und ziemlich, zum Teil sehr ehren-
voll.' Da ließ er sich überreden, ging mit und lernte die
Kunst des Mannes aus dem Fundament. Beim Abschied
286
gab ihm dieser eine Nadel und sprach 'damit kannst du
zusammen nähen, was dir vorkommt, es sei so weich wie
ein Ei, oder so hart als Stahl: und es wird ganz zu
einem Stück, daß keine Naht mehr zu sehen ist.'
Als die bestimmten vier Jahre herum waren, kamen die
vier Brüder zu gleicher Zeit an dem Kreuzwege zusammen,
herzten und küßten sich und kehrten heim zu ihrem Vater.
'Nun,' sprach dieser ganz vergnügt, 'hat euch der Wind
wieder zu mir geweht?' Sie erzählten, wie es ihnen er-
gangen war, und daß jeder das Seinige gelernt hätte. Nun
saßen sie gerade vor dem Haus unter einem großen Baum,
da sprach der Vater steht will ich euch auf die Probe
stellen und sehen, was ihr könnt.' Danach schaute er auf
und sagte zu dem zweiten Sohne 'oben im Gipfel dieses
Baumes sitzt zwischen zwei Ästen ein Buchfinkennest, sag
mir, wie viel Eier liegen darin?' Der Sterngucker nahm
sein Glas, schaute hinauf und sagte stünfe stnds.' Sprach
der Vater zum ältesten 'hol du die Eier herunter, ohne daß
der Vogel, der darauf sitzt und brütet, gestört wird.' Der
kunstreiche Dieb stieg hinauf und nahm dem Vöglein, das
gar nichts davon merkte und ruhig sitzen blieb, die fünf
Eier unter dem Leib weg und brachte sie dem Vater herab.
Der Vater nahm sie, legte an jede Ecke des Tisches eins
und das fünfte in die Mitte und sprach zum Jäger 'du
schießest mir mit einem Schuß die fünf Eier in der Mitte
entzwei.' Der Jäger legte seine Büchse an und schoß die
Eier, wie es der Vater verlangt hatte, alle fünfe und zwar
in einem Schuß; der hatte gewiß von dem Pulver, was
um die Ecke schießt. 'Nun kommt die Reihe an dich,'
287
sprach der Vater zu dem vierten Sohn, 'du nähst die Eier
wieder zusammen, und auch die jungen Vöglein, die darin
sind, und zwar so, daß ihnen der Schuß nicht schadet.'
Der Schneider holte seine Nadel und nähte, wies der
Vater gefordert hatte. Als er fertig war, mußte der Dieb
die Eier.wieder auf den Baum ins Nest tragen und dem
Vogel, ohne daß er etwas merkte, unterlegen. Das Tier-
chen brütete sie vollends aus, und nach ein paar Tagen
krochen die Jungen hervor und hatten da, wo sie vom
Schneider zusammengenäht waren, ein rotes Streifchen um
den Hals.
'Ja,' sprach der Alte zu seinen Söhnen, 'ich muß euch
über den grünen Klee loben: ihr habt eure Zeit wohl benutzt
und was Rechtschaffenes gelernt: ich kann nicht sagen, wem
von euch der Vorzug gebührt. Wenn ihr Gelegenheit habt
eure Kunst anzuwenden, da wird sichs ausweisen.' Nicht
lange danach kam ein großer Lärm ins Land, die Königs-
tochter wäre von einem Drachen entführt worden. Der
' König war Tag und Nacht darüber in Sorgen und ließ
bekannt machen, wer sie zurück brächte, sollte sie zur Gemahlin
haben. Die vier Brüder sprachen unter einander 'das wäre
eine Gelegenheit, wo wir uns zeigen könnten,' wollten zu-
sammen ausziehen und die Königstochter befreien. 'Wo sie
ist, will ich bald wissen 'sprach der Sterngucker, schaute
durch sein Glas und sprach 'ich sehe sie schon, sie sitzt weit
von hier auf einem Felsen im Meer, aber neben ihr sitzt
der Drache, der sie bewacht.' Da ging er zu dem König
und bat um ein Schiff für sich und seine Brüder, und fuhr
mit ihnen über das Meer, bis sie zu dem Felsen kamen.
288
Die Königstochter saß da, aber der Drache lag in ihrem
Schoß und schlief. Der Jäger sprach 'ich darf nicht
schießen, ich würde die schöne Jungfrau zugleich töten?
'So will ich mein Heil versuchen' sagte der Dieb, schlich
sich heran und stahl sie unter dem Drachen weg, aber so
leis und behend, daß das Untier nichts merkte, sondern
fortschnarchte. Sie eilten voll Freude mit ihr aufs Schiff
und steuerten in die offene See: aber der Drache, der bei
seinem Erwachen die Königstochter nicht mehr gefunden
hatte, kam hinter ihnen her und schnaubte wütend durch
die Luft. Als er gerade über dem Schiff schwebte und sich
herablassen wollte, da legte der Jäger seine Büchse an und
schoß ihn mitten ins Herz. Das Untier fiel tot herab,
war aber so groß und gewaltig, daß es im Herabfallen das
ganze Schiff zertrümmerte. Sie erhaschten glücklich noch
ein paar Bretter und schwammen auf dem weiten Meer
umher. Da war wieder große Not, aber der Schneider
nicht faul, nahm seine wunderbare Nadel, nähte die Bretter
mit ein paar großen Stichen in der Eile zusammen, setzte
sich darauf, ruderte rechts und links und sammelte alle
Stücke des Schiffs. Da nähte er auch diese so geschickt
zusammen, daß in kurzer Zeit das Schiff wieder segelfertig
war und sie glücklich heimfahren konnten.
Als der König seine Tochter wieder erblickte, war große
Freude. Er sprach zu den vier Brüdern 'einer von euch
soll sie zur Gemahlin haben, aber welcher das ist, macht
unter euch aus.' Da entstand ein heftiger Streit unter
ihnen. Der Sterngucker sprach 'hätte ich nicht die Kö-
nigstochter gesehen, so wären alle eure Künste umsonst
289
gewesen: darum ist sie mein? Der Dieb sprach 'was hätte
das Sehen geholfen, wenn ich sie nicht unter dem Drachen
weggeholt hätte: darum ist sie mein? Der Jäger sprach
'ihr wärt doch samt der Königstochter von dem Unge-
heuer zerrissen worden, hätte es meine Kugel nicht ge-
troffen: darum ist sie mein? Der Schneider sprach 'und
hätte ich mit meiner Kunst nicht das Schiff wieder zusam-
men geflickt, ihr wärt alle jämmerlich ertrunken: darum ist
sie mein? Da that der König den Ausspruch 'jeder von
euch hat ein gleiches Recht, und weil ein Jeder die Jung-
frau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben:
aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Königreich
geben? Den Brüdern gefiel diese Entscheidung, und sie
sprachen 'es ist besser so, als daß wir uneins werden? Da
erhielt jeder ein halbes Königreich, und sie lebten mit ihrem
Vater in aller Glückseligkeit, so lange es Gott gefiel.
Grimm, Märchen.
19
290
46.
EinaugleiN) Zweiäuglein und Dreiäuglein.
Es war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß
die älteste Einäuglein, weil sie nur ein einziges Auge
mitten auf der Stirne hatte, und die mittelste Zwei-
äuglein, weil sie zwei Augen hatte wie andere Menschen,
und die jüngste Dreiäuglein, weil sie drei Augen hatte,
und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der
Stirne. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aus-
sah als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern
und die Mutter nicht leiden. Sie sprachen zu ihm 'du
mit deinen zwei Augen bist nicht besser als das gemeine
Volk, du gehörst nicht zu uns? Sie stießen es herum und
warfen ihm schlechte Kleider hin, und gaben ihm nicht
mehr zu essen, als was sie übrig ließen, und thaten ihm
Herzeleid an, wo sie nur konnten.
Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld
gehen und die Ziege hüten mußte, aber noch ganz hungrig
war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben
hatten. Da setzte es sich auf einen Rain und fing an zu
weinen und so zu weinen, daß zwei Bächlein aus seinen
Augen Herabflossen. Und wie es in seinem Jammer einmal
aufblickte, stand eine Frau neben ihm, die fragte 'Zwei-
291
äuglein, was weinst du?' Zweiäuglein antwortete 'soll ich
nicht weinen? weil ich zwei Augen habe wie andere Men-
schen, so können mich meine Schwestern und meine Mutter
nicht leiden, stoßen mich aus einer Ecke in die andere, wer-
fen mir alte Kleider hin und geben mir nichts zu essen,
als was sie übrig lassen. Heute haben sie mir so wenig
gegeben, daß ich noch ganz hungrig bin.' Sprach die weise
Frau 'Zweiäuglein, trockne dir dein Angesicht, ich will dir
etwas sagen, daß du nicht mehr hungern sollst. Sprich
nur zu deiner Ziege
'Zicklein, meck,
Tischlein, deck,'
so wird ein sauber gedecktes Tischlein vor dir stehen und
das schönste Essen darauf, daß du essen kannst, so viel du
Lust hast. Und wenn du satt bist und das Tischlein nicht
mehr brauchst, so sprich nur
'Zicklein, meck,
Tischlein, weg,'
so wirds vor deinen Augen wieder verschwinden.' Darauf
ging die weise Frau fort. Zweiäuglein aber dachte 'ich
muß gleich einmal versuchen, ob es wahr ist, was sie ge-
sagt hat, denn mich hungert gar zu sehr,' und sprach
'Zicklein, meck,
Tischlein, deck,'
und kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, so stand da
ein Tischlein mit einem weißen Tüchlein gedeckt, darauf ein
Teller mit Messer und Gabel und silbernem Löffel, und die
schönsten Speisen standen rund herum, rauchten und waren
noch warm, als wären sie erst eben aus der Küche gekommen.
19*
292
Da sagte Zweiäuglein das kürzeste Gebet her, das es wußte,
'Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit, Amen,' und langte
zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war,
sprach es, wie die weise Frau gelehrt hatte,
'Zicklein, meck,
Tischlein, weg.'
Alsbald war das Tischlein und alles, was darauf stand,
wieder verschwunden. 'Das ist ein schöner Haushalt,' dachte
Zweiäuglein und war ganz vergnügt und guter Dinge.
Abends, als es mit seiner Ziege heimkam, fand es ein
irdenes Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hin-
gestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag
zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar
Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erste Mal und
das zweite Mal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie
es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen 'es
ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal
das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was
ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.'
Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein
mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb,
und sollte achten, was es da vor hätte, und ob ihm jemand
etwa Essen und Trinken brächte.
Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Ein-
äuglein zu ihm und sprach 'ich will mit ins Feld gehen und
sehen, daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter
getrieben wird.' Aber Zweiäuglein merkte, was Einäuglein
im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras
und sprach 'komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen,
293
idj will dir was vorsingen? Einäuglein setzte sich hin und
war von dem ungewohnten Weg und von der Sonnenhitze
müde, und Zweiäuglein sang immer
'Einäuglein, wachst du?
Einäuglein, schläfst du?'
Da that Einäuglein das eine Auge zu und schlief ein. Und
als Zweiäuglein sah, daß Einäuglein fest schlief und nichts
verraten konnte, sprach es
'Zicklein, meck,
Tischlein, deck,'
und setzte sich an sein Tisch lein und aß und trank, bis eL
satt war. Dann rief es wieder
'Zicklein, meck,
Tischlein, weg,'
und alles war augenblicklich verschwunden. Zweiäuglein
weckte nun Einäuglein und sprach 'Einäuglein, du willst
hüten und schläfst dabei ein, derweil hätte die Ziege in alle
Welt laufen können; komm, wir wollen nach Haus gehen.'
Da gingen sie nach Haus, und Zweiäuglein ließ wieder sein
Schüsselchen unangerührt stehen, und Einäuglein konnte
der Mutter nicht verraten, warum es nicht essen wollte, und
sagte zu seiner Entschuldigung 'ich war draußen eingeschlafen?
Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiäuglein 'dies-
mal sollst du mitgehen und achthaben, ob Zweiäuglein
draußen ißt und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt,
denn essen und trinken muß es heimlich? Da trat Drei-
äuglein zum Zweiäuglein und sprach 'ich will mitgehen und
sehen, ob auch die Ziege recht gehütet und ins Futter ge-
trieben wird? Aber Zweiäuglein merkte, was Dreiäuglein
294
im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus ins hohe
Gras und sprach 'wir wollen uns dahin setzen, Drei-
äuglein, ich will dir was vorsingen? Dreiäuglein setzte
sich und war müde von dem Weg und der Sonnenhitze, und
Zweiäuglein hub wieder das vorige Liedlein an und sang
'Dreiäuglein, wachst du?'
aber statt daß es nun singen mußte
'Dreiäuglein, schläfst du?'
sang es aus Unbedachtsamkeit
'Zweiäuglein, schläfst du?'
und sang immer
'Dreiäuglein, wachst du?
Zweiäuglein, schläfst du?'
Da fielen dem Dreiäuglein seine zwei Augen zu und schlie-
fen, aber das dritte, das von dem Sprüchlein nicht war
angeredet worden, schlief nicht ein. Zwar that es Drei-
äuglein zu, aber nur aus List, gleich als schliefe es auch
damit: doch blinzelte es und konnte alles gar wohl sehen.
Und als Zweiäuglein meinte, Dreiäuglein schliefe fest, sagte
es sein Sprüchlein
'Zicklein, meck,
Tischlein, deck,'
aß und trank nach Herzenslust und hieß dann das Tisch-
lein wieder fortgehen
'Zicklein, meck,
Tischlein, weg?
Aber Dreiäuglein hatte alles mit angesehen. Da kam Zwei-
äuglein zu ihm, weckte es und sprach 'ei, Dreiäuglein, bist
du eingeschlafen? du kannst gut hüten! komm, wir wollen
heimgehen.' Und als sie nach Haus kamen, aß Zweiäuglein
wieder nicht und Dreiäuglein sprach zur Mutter 'ich weiß
nrn, warum das hochmütige Ding nicht ißt: wenn sie
draußen zur Ziege spricht
'Zicklein, meck,
Tischlein, deck',
so stcht ein Tischlein vor ihr, das ist mit dem besten Essen
besetzt, viel besser als wirs haben: und wenn sie satt ist,
so sprcht sie
'Zicklein, meck,
Tischlein, weg,'
und alles ist wieder verschwunden; ich habe alles genau mit
angesehen Zwei Augen hatte sie mir mit einem Sprüchlein
eingeschläfert, aber das eine auf der Stirne, das war zum
Glück wach geblieben.' Da rief die neidische Mutter 'willst
dus besser haben, als wir? die Lust soll dir vergehen!' Sie
holte ein Schlachtmesser und stieß es der Ziege ins Herz,
daß sie tot hinfiel.
Als Zwckäuglein das sah, ging es voll Trauer hinaus,
setzte sich am den Feldrain und weinte seine bittern Thrä-
nen. Da stand aus einmal die weise Frau wieder neben
ihm und sprach 'Zweiäuglein, was weinst du?' 'Soll ich
nicht weinen?' antwortete es, 'die Ziege, die mir jeden Tag,
wenn ich euer Sprüchlein hersagte, den Tisch so schön
deckte, die hat meine Mutter tot gestochen; nun muß ich
wieder Hunger und Kummer leiden.' Die weise Frau
sprach 'Zweiäuglein, ich will dir einen guten Rat ertei-
len, bitt dein? Schwestern, daß sie dir das Eingeweide von
der geschlachteten Ziege geben und vergrab es vor der
296
Hausthür in die Erde, so wirds dein Glück sein? Da
verschwand sie, und Zweiäuglein ging heim und sprach zx
den Schwestern 'liebe Schwestern, gebt mir doch etwos
von meiner Ziege, ich verlange nichts Gutes, gebt mir mr
das Eingeweide? Da lachten sie und sprachen 'das kamst
du haben, wenn du weiter nichts willst? Und Zweiäugiein
nahm das Eingeweide und vergrubs abends in aller Stille
nach dem Rate der weisen Frau vor die Hausthüre.
Am andern Morgen, als sie insgesamt erwachter und
vor die Hausthüre traten, so stand da ein wunderbarer
prächtiger Baum, der hatte Blätter von Silber, und Früchte
von Gold hingen dazwischen, daß gewiß nichts Schöneres
und Köstlicheres auf der weiten Welt war. Sie wüsten aber
nicht, wie der Baum in der Nacht dahin gekomnen war,
nur Zweiäuglein merkte, daß er aus den Eingeweiden der
Ziege aufgewachsen war, denn er stand gerade ia, wo es
sie in die Erde begraben hatte. Da sprach die Mutter zu
Einäuglein 'steig hinauf, mein Kind, und brich uns die
Früchte von dem Baume ab? Einäuglein stieg hinauf,
aber wie es einen von den goldenen Äpfeln grüfen wollte,
so fuhr ihm der Zweig aus den Händen: und das geschah
jedesmal, so daß es keinen einzigen Apfel brechen konnte,
es mochte sich anstellen, wie es wollte. Da sprach die
Mutter 'Dreiäuglein, steig du hinauf, du kannst mit dei-
nen drei Augen besser um dich schauen als Einäuglein?
Einäuglein rutschte herunter und Dreiäuglein ßieg hinauf:
aber Dreiäuglein war nicht geschickter und mochte schauen,
wie es wollte, die goldenen Äpfel wichen zurück. Endlich
ward die Mutter ungeduldig und stieg selbst hinauf, konnte
297
aber so wenig wie Einäuglein und Dreiäugloin die Frucht
fassen und griff immer in die leere Luft hinein. Da sprach
Zweiäuglein 'ich will mich einmal hinauf machen, viel-
leicht gelingt mirs eher.' Die Schwestern riefen zwar 'du
mit deinen zwei Augen, was willst du wohl!' Aber Zwei-
äuglein stieg hinauf, und die goldenen Äpfel zogen sich
nicht vor ihm zurück, sondern es war ordentlich als kämen
sie seinen Händen entgegen, also daß es einen nach dem
andern abpflücken konnte und ein ganzes Schürzchen voll
mit herunter brachte. Die Mutter nahm sie ihm ab, und
statt daß sie und Einäuglein und Dreiäuglein dafür das
arme Zweiäuglein hätten besser behandeln sollen, so wur-
den sie neidisch, daß es allein die Früchte holen konnte, und
gingen noch härter mit ihm um.
Es trug sich zu, als sie einmal beisammen an dem
Baum standen, daß ein junger Ritter daher kam. 'Geschwind,
Zweiäuglein,' riefen die zwei Schwestern, 'kriech unter,
daß wir uns deiner nicht schämen müssen' und stürzten über
das arme Zweiäuglein in aller Eil ein leeres Faß, das
gerade neben dem Baume stand, und schoben die goldenen
Äpfel, die es abgebrochen hatte, auch drunter. Als nun
der Ritter näher kam, war es ein schöner Herr, der be-
wunderte den prächtigen Baum von Gold und Silber und
sprach zu den beiden Schwestern 'wem gehört dieser schöne
Baum? wer mir einen Zweig davon gäbe, könnte dafür
verlangen, was er wollte.' Da antworteten Einäuglein
und Dreiäuglein, der Baum gehörte ihnen zu, und sie
wollten ihm einen Zweig wohl abbrechen. Sie gaben sich
auch beide große Mühe, aber sie waren es nicht imstande,
298
denn die Zweige und Früchte wichen jedesmal vor ihnen
zurück. Da sprach der Ritter 'das ist ja wunderlich, daß
der Baum euch zugehören soll und ihr doch nicht Macht
habt etwas davon abzubrechen.' Sie blieben dabei, der
Baum wäre ihr Eigentum: indem sie aber so sprachen,
rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene Äpfel
heraus, so daß sie zu den Füßen des Ritters liefen, denn
Zweiäuglein war bös, daß Einäuglein und Dreiäuglein
nicht die Wahrheit sagten. Wie der Ritter die Äpfel
sah, erstaunte er und fragte, wo sie herkämen. Einäuglein
und Dreiäuglein antworteten, sie hätten noch eine Schwe-
ster, die dürfte sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur
zwei Augen hätte, wie andere gemeine Menschen. Der
Ritter aber verlangte sie zu sehen und rief 'Zweiäuglein,
komm hervor.' Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter
dem Faß hervor, und der Ritter war verwundert über seine
große Schönheit und sprach 'du, Zweiäuglein, kannst mir
gewiß einen Zweig von dem Baum abbrechen.' 'Ja,' ant-
wortete Zweiäuglein, 'das will ich wohl können, denn der
Baum gehört mir' und stieg hinauf und brach mit leich-
ter Mühe einen Zweig mit seinen silbernen Blättern und
goldenen Früchten ab und reichte ihn dem Ritter hin. Da
sprach der Ritter 'Zweiäuglein, was soll ich dafür geben?'
'Ach,' antwortete Zweiäuglein, 'ich leide Hunger und Durst,
Kummer und Not vom frühen Morgen bis zum späten
Abend: wenn ihr mich mitnehmen und erlösen wollt, so
wäre ich glücklich.' Da hob der Ritter das Zweiäuglein
auf sein Pferd und brachte es heim auf sein väterliches
Schloß. Dort gab er ihm schöne Kleider, Essen und Trinken
299
nach Herzenslust, und weil er es so lieb hatte, ließ er sich
mit ihm einsegnen, und ward die Hochzeit in großer Freude
gehalten.
Wie nun Zweiäuglein so von dem schönen Rittersmann
fortgeführt wurde, da beneideten ihm die zwei Schwestern
erst recht sein Glück. 'Der wunderbare Baum bleibt uns
doch,' dachten sie, 'können wir auch keine Früchte davon
brechen, so wird doch jedermann davor stehen bleiben, zu
uns kommen und ihn rühmen; wer weiß, wo noch unser
Weizen blüht!' Aber am andern Morgen war der Baum
verschwunden und ihre Hoffnung dahin; und wie Zwei-
äuglein zu seinem Kämmerlein hinaussah, so stand er zu
seiner großen Freude davor und war ihm also nachgefolgt.
Zweiäuglein lebte lange Zeit vergnügt. Einmal kamen
zwei arme Frauen zu ihm auf das Schloß und baten um
ein Almosen. Da sah ihnen Zweiäuglein ins Gesicht und
erkannte seine beiden Schwestern, Einäuglein und Drei-
Luglein, die so in Armut geraten waren, daß sie umher-
ziehen und vor den Thüren ihr Brot suchen mußten. Zwei-
äuglein aber hieß sie willkommen und that ihnen Gutes
und pflegte sie, also daß die beiden von Herzen bereuten,
was sie ihrer Schwester in der Jugend Böses angethan
hatten.
300
47.
Die weiße und die schwarte Braut.
Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stieftochter
über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als
ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte 'wo führt
der Weg ins Dorf?' 'Wenn ihr ihn wissen wollt,' sprach
die Mutter, 'so sucht ihn selber,' und die Tochter setzte
noch hinzu 'habt ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, so
bringt euch einen Wegweiser mit.' Die Stieftochter aber
sprach 'armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir.'
Da zürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter,
wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, daß sie
sollten schwarz werden wie die Nacht und häßlich wie die
Sünde. Der armen Stieftochter aber war Gott gnädig
und ging mit ihr, und als sie nahe am Dorf waren,
sprach er einen Segen über sie und sagte 'wähle dir drei
Sachen aus, die will ich dir gewähren.' Da sprach das
Mädchen 'ich möchte gern so schön und rein werden wie
die Sonne.' Alsbald ward sie weiß und schön wie der
Tag. 'Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie
leer würde;' den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber
'vergiß das Beste nicht.' Da sagte sie 'ich wünsche mir
301
zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.' Das
ward ihr auch zugesagt, und also schied der liebe Gott von ihr.
Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hause
kam und sah, daß sie beide kohlschwarz und häßlich waren,
die Stieftochter aber weiß und schön, da stieg die Bosheit
in ihrem Herzen noch höher, und sie hatte nichts anders im
Sinn, als wie sie ihr ein Leid anthun könnte. Die Stief-
tochter aber hatte einen Bruder, namens Reginer, den liebte
sie sehr und erzählte ihm alles, was geschehen war. Nun
sprach Reginer einmal zu ihr ‘liebe Schwester, ich will dich
abmalen, damit ich dich beständig vor Augen habe, denn
meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich dich immer anblicken
möchte.' Da antwortete sie ‘aber laß niemand das Bild
sehen.' Er malte sich nun seine Schwester ab und hing das
Bild in seiner Stube auf; er hatte aber seine Wohnung in
des Königs Schloß, bei dem er Kutscher war. Alle Tage
blieb er davor stehen und dankte Gott für das Glück, das
er seiner lieben Schwester verliehen hatte. Nun war gerade
dem König, bei dem er diente, seine Gemahlin verstorben,
welche so schön gewesen war, daß man keine finden konnte,
die ihr gliche, und der König war darüber in tiefer Trauer.
Die Hofdiener sahen es indessen dem Kutscher ab, wie er
täglich vor dem schönen Bilde stand, mißgönntens ihm und
meldeten es dem König. Da ließ dieser das Bild vor sich
bringen und sah, daß es in allem seiner verstorbenen Frau
ähnlich war, nur noch schöner, daß er sich sterblich hinein
verliebte. Er ließ den Kutscher vor sich kommen und fragte,
wen das Bild vorstellen sollte. Als der Kutscher sagte, daß
das seine Schwester wäre, entschloß sich der König keine
302
andere als diese zur Gemahlin zu nehmen, gab ihm Wagen
und Pferde- und prächtige Goldkleider und schickte ihn fort,
seine erwählte Braut abzuholen. Wie Reginer mit der Bot-
schaft ankam, freute sich seine Schwester, allein die Schwarze
war eifersüchtig über das Glück der andern, ärgerte sich über
alle Maßen und sprach zu ihrer Mutter 'was helfen nun
all eure Künste, da ihr mir doch ein solches Glück nicht
verschaffen könnt.' Da sagte die Alte 'sei still, ich will dirs
schon zuwenden,' und durch ihre Hexenkünste trübte sie dem
Kutscher die Augen, daß er halb blind war, und der Weißen
verstopfte sie die Ohren, daß sie halb taub war. Darauf
stiegen sie in den Wagen, erst die Braut in den herrlichen
königlichen Kleidern, dann die Stiefmutter mit ihrer Toch-
ter, und Reginer saß auf dem Bock, um zu fahren. Wie sie
eine Weile gereist waren, unterwegs, rief der Kutscher
'deck dich zu, mein Schwesterlein,
daß Regen dich nicht näßt,
daß Wind dich nicht bestäubt,
daß du fein schön zum König kommst?
Die Braut fragte 'was sagt mein lieber Bruder?' 'Ach,'
sprach die Alte, 'er hat gesagt, du solltest dein gülden Kleid
ausziehen und es deiner Schwester geben.' Da zog sies aus
und thats der Schwarzen an, die gab ihr dafür einen schlech-
ten grauen Kittel. So fuhren sie weiter; über ein Weilchen
rief der Bruder abermals
'deck dich zu, mein Schwesterlein,
daß Regen dich nicht näßt,
daß Wind dich nicht bestäubt,
und du fein schön zum König kommst.'
303
Die Braut fragte 'was sagt mein lieber Bruder?' 'Ach,
sprach die Alte, 'er hat gesagt, du solltest deine güldene
Haube abthun und deiner Schwester geben.' Da that sie
die Haube ab und that sie der Schwarzen auf und saß
im bloßen Haar. So fuhren sie weiter; wiederum über
ein Weilchen rief der Bruder
'deck dich zu, mein Schwesterlein,
daß Regen dich nicht näßt,
daß Wind dich nicht bestäubt,
und du fein schön zum König kommst.'
Die Braut fragte 'was sagt mein lieber Bruder?' 'Ach,'
sprach die Alte, 'er hat gesagt, du möchtest einmal aus dem
Wagen sehen.' Sie fuhren aber gerade auf einer Brücke über
ein tiefes Wasser. Wie nun die Braut aufstand und aus
dem Wagen sich heraus bückte, da stießen sie die beiden hin-
aus, daß sie mitten ins Wasser stürzte. Als sie aber ver-
sunken war, in demselben Augenblick stieg eine schneeweiße
Ente aus dem Wasserspiegel hervor und schwamm den Fluß
hinab. Der Bruder hatte gar nichts davon gemerkt und fuhr
den Wagen weiter, bis sie an den Hof kamen. Da brachte
er dem König die Schwarze als seine Schwester und meinte,
sie wärs wirklich, weil es ihm trüb vor den Augen war und
er doch die Goldkleider schimmern sah. Der König, als er
die grundlose Häßlichkeit an seiner vermeinten Braut er-
blickte, ward sehr bös und befahl den Kutscher in eine Grube
zu werfen, die voll Ottern und Schlangengezücht war. Die
alte Hexe aber wußte den König doch so zu bestricken und
durch ihre Künste ihm die Augen zu verblenden, daß er
304
sie und ihre Tochter behielt, ja daß sie ihm ganz leidlich
vorkam und er sich wirklich mit ihr verheiratete.
Einmal abends, wahrend die schwarze Braut dem
König auf dem Schoße saß, kam eine weiße Ente zum
Gossenstein in die Küche geschwommen und sagte zum
Küchenjungen
'Jüngelchen, mach Feuer an,
daß ich meine Federn wärmen kann.'
Das that der Küchenjunge und machte ihr ein Feuer auf
dem Herd: da kam die Ente und setzte sich daneben, schüt-
telte sich und strich sich die Federn mit dem Schnabel zu-
recht. Während sie so saß und sich wohlthat, fragte sie
'was macht mein Bruder Reginer?'
Der Küchenjunge antwortete
"der liegt in der Grube gefangen,
bei Ottern und bei Schlangen.'
Fragte sie weiter
'was macht die schwarze Hexe im Haus?'
Der Küchenjunge antwortete
'bie sitzt warm
ins Königs Arm.'
Sagte die Ente
'daß Gott erbarm!'
und schwamm den Gossenstein hinaus.'
Den folgenden Abend kam sie wieder und that dieselben
Fragen und den dritten Abend noch einmal. Da konnte es
der Küchenjunge nicht länger übers Herz bringen, ging zu
dem König und entdeckte ihm alles. Der König aber wollte
es selbst sehen, ging den andern Abend hin, und wie die
305
Ente den Kopf durch den Gossenstein herein streckte, nahm
er sein Schwert und hieb ihr den Hals durch, da ward sie
auf einmal zum schönsten Mädchen und glich genau dem
Bild, das der Bruder von ihr gemacht hatte. Der König
aber war voll Freuden, und weil sie ganz naß da stand,
ließ er ihr köstliche Kleider bringen und ließ sie damit be-
kleiden. Dann erzählte sie ihm, wie sie durch List und
Falschheit wäre betrogen und endlich in den Fluß hinab
geworfen worden; und ihre erste Bitte war, daß ihr Bru-
der aus der Schlangenhöhle herausgeholt würde. Und als
der König diese Bitte erfüllt hatte, ging er in die Kam-
mer, wo die alte Hexe saß, und fragte ^was verdient die,
welche das und das thut?' und erzählte den ganzen Her-
gang. Da war sie verblendet, merkte nichts und sprach
'die verdient, daß man sie nackt auszieht und in ein Faß
mit Nägeln legt und vor das Faß ein Pferd spannt und
das Pferd in alle Welt schickt.' Das geschah alles an ihr
und ihrer schwarzen Tochter. Der König heiratete die
weiße schöne Braut und belohnte den treuen Bruder, in-
dem er ihn zu einem reichen und angesehenen Manne
machte.
Grimm, Märchen.
20
306
48.
Die drei Faulen.
Ein König halte drei Söhne, die waren ihm alle gleich
lieb, und er wußte nicht, welchen er zum König nach sei-
nem Tode bestimmen sollte. Als die Zeit kam, daß er ster-
ben wollte, rief er sie vor sein Bett und sprach 'liebe Kin-
der, ich habe etwas Vi mir bedacht, das will ich euch er-
öffnen: welcher von euch der faulste ist, der soll nach mir-
König werden.' Da sprach der älteste 'Vater, so gehört
» das Reich mir, denn ich bin so faul: wenn ich liege und
will schlafen, und es fällt mir ein Tropfen in die Augen,
so mag ich sie nicht zuthun, damit ich einschlafe.' Der
zweite sprach 'Vater, das Reich gehört mir, denn ich bin
so faul: wenn ich beim Feuer sitze mich zu wärmen, so
ließ ich mir eher die Fersen verbrennen, eh ich die Beine
zurückzöge.' Der dritte sprach 'Vater, das Reich ist mein,
denn ich bin so faul: sollte ich aufgehängt werden und
hätte den Strick schon um den Hals, und einer gäbe mir
ein scharf Messer in die Hand, damit ich den Strick zer-
schneiden dürfte, so ließ ich mich eher erhenken, eh ich meine
Hand aufhübe zum Strick.' Wie der Vater das hörte,
sprach er 'du hast es am weitesten gebracht, du sollst der
König sein.'
307
49.
Von dem Tode des Hühnchens.
Auf eine Zeit ging das Hühnchen mit dem Hähnchen
in den Nußberg, und sie machten mit einander aus, wer
einen Nußkern fände, sollte ihn mit dem andern teilen.
Nun fand das Hühnchen eine große große Nuß, sagte aber
nichts davon und wollte den Kern allein essen. Der Kern
war aber so dick, daß es ihn nicht hinunter schlucken konnte,
und er ihm im Hals stecken blieb, daß ihm angst wurde,
es müßte ersticken. Da schrie das Hühnchen 'Hähnchen, ich
bitt dich lauf was du kannst, und hol mir Wasser, sonst
erstick ich? Das Hähnchen lief, was es konnte, zum Brun-
nen und sprach 'Born, du sollst mir Wasser geben: das
Hühnchen liegt auf dem Nußberg, hat einen großen Nuß-
kern geschluckt und will ersticken? Der Brunnen antwor-
tete 'lauf erst hin zur Braut und laß dir rote Seide
geben? Das Hähnchen lief zur Braut 'Braut, du sollst
mir rote Seide geben: rote Seide will ich dem Brunnen
geben, der Brunnen soll mir Wasser geben, das Wasser
will ich dem Hühnchen bringen, das liegt auf dem Nuß-
berg, hat einen großen Kern geschluckt und will daran er-
sticken? Die Braut antwortete 'lauf erst und hol mir mein
Kränzlein, das blieb an einer Weide hängen? Da lief das
20 *
308
Hähnchen zur Weide und zog das Kränzlein von dem Ast
und brachte es der Braut, und die Braut gab ihm rote
Seide dafür, die brachte es dem Brunnen', der gab ihm
Wasser dafür. Da brachte das Hähnchen das Wasser zum
Hühnchen, wie es aber hinkam, war dieweil das Hühn-
chen erstickt und lag da tot und regte sich nicht. Da war
das Hähnchen so traurig, daß es laut schrie, und kamen
alle Tiere und beklagten das Hühnchen: und sechs Mäuse
bauten einen kleinen Wagen, das Hühnchen darin zum
Grabe zu fahren; und als der Wagen fertig war, spann-
ten sie sich davor, und das Hähnchen fuhr. Auf dem Wege
aber kam der Fuchs, 'wo willst du hin, Hähnchen?' 'Ich
will mein Hühnchen begraben.' 'Darf ich mitfahren?'
'Ja, aber setz dich hinten auf den Wagen,
von: könnens meine Pferdchen nicht vertragen.'
Da setzte sich der Fuchs hinten auf, dann der Wolf, der
Bär, der Hirsch, der Löwe und alle Tiere in dem Wald.
So ging die Fahrt fort, da kamen sie an einen Bach.
'Wie sollen wir nun hinüber?' sagte das Hähnchen. Da
lag ein Strohhalm am Bach, der sagte 'ich will mich quer
darüber legen, so könnt ihr über mich fahren.' Wie aber
die sechs Mäuse auf die Brücke kamen, rutschte der Stroh-
halm und siel ins Wasser, und die sechs Mäuse fielen alle
hinein und ertranken. Da ging die Not von neuem an,
und kam eine Kohle und sagte 'ich bin groß genug, ich
will mich darüber legen, und ihr sollt über mich fahren.'
Die Kohle legte sich auch an das Wasser, aber sie berührte
es unglücklicher Weise ein wenig, da zischte sie, verlöschte
und war tot. Wie das ein Stein sah, erbarmte er sich
309
und wollte dem Hähnchen helfen und legte sich über das
Wasser. Da zog nun das Hähnchen den Wagen selber,
wie es ihn aber bald drüben hatte und war mit dem
toten Hühnchen auf dem Land und wollte die andern, die
hinten auf saßen, auch heran ziehen, da waren ihrer zu
viel geworden, und der Wagen siel zurück, und alles fiel
mit einander in das Wasser und ertrank. Da war das
Hähnchen noch allein mit dem toten Hühnchen, und grub
ihm ein Grab und legte es hinein, und machte einen Hü-
gel darüber, auf den setzte es sich und grämte sich so lang,
bis es auch starb; und da war alles tot.
50.
Äre Sternthaler.
Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater
und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es bin
Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bett-
chen mehr, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr
als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in
der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte.
Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller
Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben
Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer
Mann, der sprach 'ach, gieb mir etwas zu essen, ich bin so
hungrig? Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und
sagte 'Gott segne dirs' und ging weiter. Da kam ein
Kind, das jammerte und sprach 'es friert mich so an mei-
nem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann?
Da that es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es
noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und
hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins: und
noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch
von sich hin. Endlich gelangte es in einen Wald, und es
war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um
ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte 'es ist
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dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein
Hemd weg geben' und zog sein Hemd ab und gab es auch
noch hin. Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte,
fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren
lauter harte blanke Thaler: und statt des verschenkten
Hemdleins hatte es ein neues an, das war vom allerfein-
sten Linnen. Da sammelte es die Thaler hinein und war
reich für sein Lebtag.
H. 23- Schade', Buchdruckern (S. Schade) iu Bei!in, St-Uchreib-rlir- 45/46.
Im Verlage von Wilhelm Hertz (Befsersche Buch
Handlung) in Berlin ist erschienen:
Kinder-
und
Hausmärchen
gesammelt
durch
die Prüder Grimm.
Große Ausgabe.
In einem Bande, kart. Oktav. Preis 6 M.,
elegant gebunden 7 M. 50 Pf.
Universitaetsbibliothek
LMB Kassel
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