© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
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SITTE
denlhums an unsichtbaren faden zusammenhängendes element.
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kaum
eine kirche traute man zu bauen, in der nicht modernde knochen und
alte kleiderfetzen niedergelegt wurden*; diese heiligen, deren alläre
sich neben dem der gottheit erhoben, deren feste das ganze jahr er
füllten, standen auch dem recht und den krankheiten vor, denn alle
eide wurden auf ihrer kapse geschworen, alle siechen suchten heilung
kniend vor ihren gräbern und ihren reliquien. milde gaben strömten
ihnen zu und die kirche konnte dem bedürfnis der gläubigen nur da
durch genügen, dasz sie die zahl der heiligen, folglich der heilthümer
unablässig mehrte, eine menge dieser heilthümer muste unecht**), der
gröszte tlieil der ihnen beigelegten wunder unwahr sein.
Bei den Griechen und Römern fehlt es nicht an ähnlichen ge
brauchen, sie hielten die gräber ihrer beiden und Vorfahren im anden-
ken und jene gebeine des Orestes oder Theseus hatten für das ganze
land schützende kraft, aus Pclops gebeinen soll Abaris das palladium
gefertigt und den Trojanern gegeben haben***, sein Schulterblatt wurde
vorgezeigt und galt für heilkräftig: quorundam partes medicae sunt,
siculi diximus de Pyrrlii regis pollice, et Elide solebat ostendi Pelopis
costa, quam eburneam affirmahant. Plin. 28, 4. Aber es entwickelte
sich daraus kein so allgemeiner, alles ergreifender cultus, wie bei den 150
Christen, keine beständigen, unaufhörlichen wallfahrten zu den grä
bern. keine kranken genasen, keine todlen erwachten auf den gräbern.
Wenn die mönche aus Schädeln der heiligen zu trinken gaben,
knüpft sich das nicht an jene barbarei der wilden beiden? die heilig—
haltung der knochen gleicht sie nicht jenen einzelnen brauchen der
Griechen?
Auch das einheimische heidenlhum bietet zu Vergleichungen an-
lasz. Nach der Ynglingasaga wurde an Freys grabhügel eine Öfnung
gelassen mit drei fenstern; im hiigel bewahrte man den leichnam drei
jahre, in die drei fenstcr legte man den schätz an gold, silher und
erz; da blieb fruchtbarkeil und friede im land. es war ein heiliges
grab, ein palladium der Nordländer.
Auf den heiligendienst unsers mittelalters müssen also einzelne
Überlieferungen des europäischen, seihst des fernen asiatischen heiden-
thums eingewirkt haben, der weit erstreckte buddhismus kennt kein
blutiges opfer und bringt blosz blumen und wolgerüche dar, unter
gesang und frommem gebet; nur Shäkjamuni, den Stifter seiner lehre,
stellt er im bilde auf und betet seine in besondern gebäuden einge
schlossenen knochen an. dieser reliquiencultus zeichnet alle Buddhi
sten ausf. durch mehr als eine Vermittlung können buddhistische leh
ren bis nach Europa gedrungen sein und sich dort an verwandte rich-
,* die eine kirche bauen wollen, holen sich reliquien und setzen sie gleich
ins fundainent. Pertz 6, 83 b —85 b . 307 — 313.
** trug mit reliquien, beschwörung ihrer echtheit Pertz 6, 83*. b .
*** Jul. Firmicus astronomic. p. 434. Clemens Alexandr. ad gent. p. 30.
t E. Burnouf introduction ä l’histoire du buddhisme indien. Paris 1844 p. 339.
340. in nachrichten über die Mongolen lieiszt jener Shäkjamuni gewöhnlich
Dschagdschamuni.