© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
LAUTVERSCHIEBUNG
weiter verschoben werden kann. ahd. H entspricht darum dem goth.
II, in beiden dialecten hat dieser laut sowol gr. tenuis als spirans zu
ersetzen, nur die fränkische mundart scheint die organische asp. CH
besessen und von der spirans geschieden zu haben, so dasz z. b. dem
gr. KP fränk. CHR, dem gr. c P fränk. HR entsprach, goth. und ahd.
fallen beide zusammen in HR.
Etwas ähnliches hat sich in den labialen zugetragen, nemlich 395
schon das lat. F musz als Verdünnung der eigentlichen asp. PH und
hinneigung zu der spirans V angesehn werden, und das aus dem di-
gamma entspringende F verdeutlicht uns die Verwandtschaft zum V.
zwar bleiben goth. F und V geschieden, ahd. aber begegnen sich beide
laute und schwanken; ja die ahd. spirans verdickt sich in W «= GV,
und V wird dem hochdeutschen dialect bis auf heute ein mit F in den
meisten fällen gleich bedeutender laut, die Verschiebung blieb im goth.
F wie im goth. H stecken, und wenn schon unter den gutturalen ahd.
H und CH nahe aneinander rühren, thun es auch ahd. F und PH.
hieraus folgt, wie der anblick lehrt, dasz nach streng ahd. weise die
media B und G erlischt.
Besser als labiales und gutturales haben die linguales stand ge
halten. hier treten med. len. und asp. reinlich von einander, während
unter jenen die goth. asp. und ahd. med. beeinträchtigt wurden. Nur
eine änderung hat sich im ahd. dialect ereignet: an die stelle der
aspiration TH ist Z =* TS eingelreten.
Dieser letzte wandel darf bei der nähe beider Spiranten H und S
nicht verwundern, in der aussprache wird hauchendes TH leicht zu
lispelndem, und der spirans S tritt TS wirklich näher als TII. unter
den keltischen sprachen setzt der armorische dialect überall Z an den
platz des irischen und welschen TH (s. 374) und wir sahen s. 368
die ir. spirans S in TS überschlagen.
Dasz ahd. Z in der tliat mit TH entspringe und diesem gleich
stehe läszt sich aus einzelnen beispielen darthun. das in der Nähe
von Göttingen liegende Nörten heiszt in des klosters stiftungsurkunde
von 1055 Northuna, in einer späteren von 1155 hochdeutsch aufgefaszt
Norzun, was man allmälich nach dem gegensatz zwischen hochd. Z
und sächs. T in Nörten wandelte *. In einem Reichenauer necrolog
des 9 jh. werden nordische pilgrime jrnr jmrgils eingetragen zor
zurgils.
Nunmehr kann ich beispiele für den anlaut aller neun gleichungen
I. BP PH. dies ist die einzige wirklich mangelnde und nur 396
für den inlaut nachzuweisende, alle goth. anlaute P, alle ahd. anlaute
PH oder PF verrathen aufgenommne fremde Wörter, welche sich in
diese lücke des deutschen lautsystems geworfen haben.
II. P F F. skr. pitr lat. pater gr. narrjQ goth. fadar ahd.
fatar. skr. pantschan gr. nevxe nt [.ine litth. penki sl. pjat’ welsch
* Gudenus 1, 223 und Wolfs buch über Nörten p. 5.