arburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
GOTHEN
Die vordersten und rührigsten in der groszen bewegung, Franken,
Alamannen und die übrigen Hochdeutschen, wird es nicht erklärlich,
warum sie alle von der zweiten auf die dritte stufe schritten?
Wer diese deutung als eingebildet ablehnen oder durch einzelne 438
anstände, die ich nicht verhehlen werde, stören will, kann sich von
der vorstechendsten eigenheit unsrer spräche keine rechenschaft geben.
Als ruhe und gesittung wiederkehrten, blieben die laute stehn, und
es darf ein zeugnis für die überlegne milde und händigung des golhi-
schen, sächsischen und nordischen Stamms gehen, dasz sie bei der
ersten Verschiebung beharrten, während die wildere kraft der Hoch
deutschen noch zur zweiten getrieben wurde, das schlieszt mir auch
auf, warum die hochdeutsche spräche hei manchem empfindlichen
nachtheil, in dem sie zu den übrigen steht, lebendiger geblieben ist
und ihren sieg behauptet.
Ich wende mich zu den Gothen und gothischen stammen.
Trajan hatte Dacien unterjocht, aber die getische macht so wenig
gebrochen, dasz sie verjüngt in derselben gegend auftrat und von nun
an als gothische die weit mit ihrem rühm erfüllte. Wer blosz den
ausgedehnten raum erwägt, in dem die Gothen auftreten, und die fülle
ihrer beere, der musz sich schon überzeugen, dasz in ihnen ein
haupttheil des deutschen volks gelegen war. Nachdem nordöstlich von
der Donau bis zum Pontus hin Ermanarichs Gothenreich erblüht war,
das im hintergrund finnische Stämme, neben sich Slaven und Lilthauer
sah, von dieser seite verkehr mit dem fernen norden, im Süden und
westen mit Byzanz unterhielt, so dasz die Gothen durch ganz Thrakien
nach Makedonien und Griechenland streiften; drangen sie, von den
Hünen selbst erschüttert allmälich weiter vor und erreichten, während
noch ein kern von ihnen an der Maeotis stand hielt, in zwei strömen
durch Gallien über die Pyrenaeen die spanische, über die Alpen die
italische halbinsel. von den hier gestifteten beiden reichen unterlag
aber, nach kurzem glanz, zuerst das ostgothische den letzten an-
strengungen der Byzantiner und dem nachdrang der Langobarden und
Franken, das weslgothiscbe später vor dem einbruch der Araber.
Wäre die gothische stärke unzerspliltert gebliehen und hätte sich ihre
herschaft im osten gleich der fränkischen im westen gefestigt; die
Schicksale Deutschlands und der deutschen spräche würden eine ganz
andere gestalt gewonnen haben. Alles was in der geistigen anlage439
und bildsamkeit der gothischen natur enthalten war, ist uns verloren
worden.
An dieser stelle liegt es mir oh, den namen der Gothen genauer
als es bisher geschehn konnte zu erörtern.
Den Griechen und Römern galt für die thrakische form dieses
namens Ftiai, Getae, nach der schon s. 200 beigebrachten wichtigen
und entscheidenden stelle des Plinius daneben aber auch Gaudae. beide
gestalten gemahnen augenblicklich an die composilion skythischer völker-
namen, MuooaytTcu und ^arruyvdui (s. 226); zugleich beleuchten
sie uns eine Verschiedenheit und Verwandtschaft gothischer völkernamen.
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