© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
GERMANEN
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volks einzugehn; gleich anderm eigentlmm sehn wir sie uns vielfach
bestritten und verkümmert.
Dasz den Römer die Völker der rechten Rheinseite, so bald sie 785
von ihnen künde empfangen, überhaupt Germanen heiszen, ist bekannt,
und auszer inschriften bezeugen es die werke von Caesar, Straho, Li-
vius, Plinius und Tacitus allenthalben, nicht weniger weisz man, dasz
sie diesen namen auf die inneren deutschen Völker erstrecken, wie wir
sahen, nordwärts auch über die scandinavischen insein und ostwärts
bis zu Sarmaten, Geten und Daken. die beiden letzten sind ihnen
offenbar noch keine Germanen. Undeutsch aber erscheint der name,
weil er niemals im munde unserer Vorfahren selbst geführt wird; nie
weder bei ags. oder alln. dichtem taucht er auch nur als dunkles,
veraltetes beiwort auf, was doch kaum unterblieben wäre, wenn er
im volk und in der spräche je gewurzelt hätte, seine scheinbar mög
liche deutung nach deutschen Worten musz darum aufgegeben werden:
er ist nicht aus gör hasta und man zusammengesetzt, noch aus irman,
irmin entstellt, im ersten jh. und vorher hätten die Römer für gör
noch gös vernommen, das ihnen zudem aus gaesum her geläufig war,
das E in ger galt ihnen offenbar kurz, und von Germani weisz ihr
ohr sehr wol die namen Ilermunduri und Arminius zu scheiden, aller
deutsche klang in Germani trügt also.
Nun ist aber weiter höchst wichtig festzuhaljen, dasz der name
von einem winkel der linken seite des Niederrheins her ausgegangen
war und sich von da in immer weitere kreise gedehnt hatte, wir
besitzen darüber eine berühmte oft besprochne stelle des Tacitus cap. 3 :
ceterum Germaniae vocabulum recens et nuper additum, quoniam qui
primi Rhenum transgressi Gallos expulerint, ac nunc Tungri, tune Ger
mani vocati sint. ila nationis nomen, non gentis evaluisse paulatim,
ut omnes primum a victo ob metum, mox a se ipsis invento nomine
Germani vocarentur. vorerst kann hier recens und nuper nicht auf
die jüngste zeit gehn, weil schon Caesar den namen kennt und ver
wendet, ihn vielleicht auch zu des Marius lagen die Römer wüsten
(wenigstens braucht ihn Plutarch, von den Kimbern redend); es soll
sagen, dasz er nicht der alte, ursprüngliche gewesen sei, sondern bei 786
besonderm anlasz aufgekommen*, nemlich die zuerst über den Rhein
schreitenden und die Gallier austreibenden Deutschen, die jetzigen Tun-
gern, seien damals Germanen genannt worden, von dem einzelnen
stamm habe sich der name allmälich auf das ganze volk erstreckt, ein
name, den erst der besiegte aus furcht gebrauchte, hernach die Deut
schen selbst sich gefallen lieszen. ich ändere das untaugliche victore
des textes in victo, für welches hier kein victis gefordert wird, da
Gallos weit vorausgeht, mit victore ist nichts anzufangen: entweder
müste es den siegenden heerführer der Deutschen bezeichnen, und da
auch cap. 1 nuper cognitis, ann. 1, 31 nuper acto delectu, hist. 4, 17
nuper caeso Quinctilio Varo, sagt Civilis im j. 69 sich beziehend auf das was im
jalir 9 gcschehn war.
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