65
Richtigkeit hatte, ging er zu der Witwe und freite sie, und
die Hochzeit ward gehalten.
Am andern Morgen, als die beiden Mädchen sich auf
machten, da stand vor des Mannes Tochter Milch zum
Waschen und Wein zum Trinken, vor der Frau Tochter aber
stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken. Am
zweiten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum
Trinken so gut vor des Mannes Tochter als vor der Frau
Tochter. Und am dritten Morgen stand Wasser zum Waschen
und Wasser zum Trinken vor des Mannes Tochter, und
Milch zum Waschen und Wein zum Trinken vor der Frau
Tochter, und dabei bliebs. Die Frau ward ihrer Stief
tochter spinnefeind und wußte nicht, wie sie es ihr von einem
Tag zum andern schlimmer machen sollte. Auch war sie
neidisch, weil ihre Stieftochter schön und lieblich war, ihre
rechte Tochter aber häßlich und widerlich.
Einmal im Winter, als es steinhart gefroren hatte und
Berg und Thal vollgeschneit lag, machte die Frau ein Kleid
von Papier, rief dann das Mädchen und sprach ‘da zieh das
Kleid an, und geh in den Wald und hol mir ein Körbchen
voll Erdbeeren: ich habe Lust danach? ‘Du lieber Gott,'
sagte das Mädchen, ‘rat Winter wachsen ja keine Erdbeeren,
die Erde ist gefroren, und der Schnee hat auch alles zu
gedeckt. Und warum soll ich in dem Papierkleide gehen? es
ist draußen so kalt, daß einem der Atem friert, da weht ja
der Wind hindurch und die Dornen reißen mirs vom Leib?
‘Willst du mir noch widersprechen?' sagte die Stiefmutter,
‘mach daß du fortkommst, und laß dich nicht eher wieder
sehen, als bis du das Körbchen voll Erdbeeren hast? Dann
Grimm, Märchen. 5