Full text: Brief von Jacob Grimm an Georg Gottfried Gervinus

Lieber Gervinus, wie leid that es mir diesen herbst Sie nicht
zu sehn; es lag bloß an einer woche, so kam ich zurück,
den 16.Sept. hatte ich mich anheischig gemacht in Ur altnord-
gesellschaft zu Kopenhagen etwas vorzulesen, und ich bin
mit dem nächsten schiff unmittelbar über Stettinheimgereist,
ohne nach Kiel und Hamburg zu gehn, wie ich mir vorher
vorgesetzt hatte. Bedenken Sie daß wir nun seit sieben
jahren einander nicht gesehen haben, solange darfs nicht
noch einmal dauern, denn die lebenszeit verengt sich immer
mehr.Sobald ich also wieder ausreisen kann und nach
dem Rhein hingelangen, will ich Sie, wenn schon nicht
mehr im eignen haus, heimsuchen. Endlich nun ist Ihre
wieder einsetzung erfolgt und ich bin zu hören begierig, wie
Ihnen die professur zusagt und ob noch auf die alte weise.
Ich lese hier diesen winter, wie schon den sommer nicht, weil
es meiner höchst reizbaren brusthaut nachtheilig sein soll;
an arbeit und arbeitslust fehlts mir keinen augenblick,
ich vermag es immer so anhaltend, vor und nach dem essen,
wie von jeher und wünsche, daß kein sinken leiblicher
kräfte jemals, solange ich lebe, unfähig dazu mache.
Nächsten monat werde ich nun sechzig jahr und mein
haar ergraut; in gedanken aber fühle ich michnoch
jugendlich und könnte in knabenweise die bücher auf-
schnallen um in die schule zugehn und zu lernen.
So träume ich oft.
       Ich stelle mir vor daß in einigen tagen, der kälte
zum trotz, Sie mit Ihrer Frau ( von deren liebenswürdig-
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